Behandlungsdauer mit Antidepressiva
– eine Längsschnittanalyse
Wagner Christoph2,1, Müller Dirk1, Stephanie Stock1 1IGKE 2IQWiG
AGENS Methodenworkshop 2013 7/8. März 2013, ZI Berlin
Agenda
Analyseziele und Hintergrund
Methode der Populationsselektion und Verlaufsanalyse
Ergebnisse zu Einnahmedauer und Patientencharakteristika
Diskussion
Ausblick
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Ziele der explorativen Analyse
Ermittlung der Dauer von Arzneimitteltherapie
Ermittlung der Dauer einer Krankheitsepisode
Zweck: Ermittlung der Dauer von Rezidivprophylaxe
Ermittlung von Erklärungsfaktoren für die Dauer einer Arzneimitteltherapie
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Hintergrund:
Leitlinienempfehlungen zur Therapie mit Antidepressiva
S3-Leitlinie/NVL Unipolare Depression Langfassung Januar 2012 Vers. 1.3:
Erhaltungstherapie:
“Antidepressiva sollen mindestens 4-9 Monate über die Remission einer depressiven
Episode hinaus eingenommen werden, weil sich hierdurch das Risiko eines Rückfalls
erheblich vermindern lässt. In dieser Erhaltungsphase soll die gleiche Dosierung wie in der
Akutphase fortgeführt werden.“ (Empfehlungsgrad A)
Rezidivprophylaxe:
„Patienten mit 2 oder mehr depressiven Episoden mit bedeutsamen funktionellen
Einschränkungen in der jüngeren Vergangenheit sollten dazu angehalten werden,
das Antidepressivum mindestens 2 Jahre lang zur Langzeitprophylaxe einzunehmen.“
(Empfehlungsgrad B)
Mittlere geschätzte Episodendauer für unipolare Depression
6 bis 8 Monate (Berger et al. 2004).
16 Wochen* (Kessler et al. 2003)
* bei Annahme von 90 % der Patienten mit mittel- bis schwergradiger Ekrankung
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Methode:
Populationsselektion
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Soziodemographie
keine Altersgrenzen
Aufgriff Basisjahr 2007:
- mindestens 2 gesicherte ambulante Diagnosen F32 oder F33 in
unterschiedlichen Quartalen
- oder mindestens 1 stationäre Hauptdiagnose F32 oder F33
- und mindestens 2 Verordnungen Antidepressivum der Wirkstoffgruppe ‚N06A‘
(ATC)
Behandlungsfrei im Vorjahr 2006:
- Keine Diagnose gesichert ambulant oder stationär Hauptdiagnose F32 oder F33
- und keine Verordnung Antidepressivum der Wirkstoffgruppe ‚N06A‘
Methode:
Dauer der Arzneimitteltherapie
Gesamtzeitraum Aufgriff Verordnungen: 2007 bis 2011
Versichertenindividuelles Indexquartal der Erstverordnung in
2007
Unterbrechungsfreie Antidepressivatherapie ist definiert als
Zeitraum in Quartalen bis zu einer Lücke von 2 Quartalen
ohne Verordnung
Verfügbarer Erhebungszeitraum für gesamte Population 15
Quartale + 2 Quartale Unterbrechung
Alle Verordnungen mit ATC-Code ‚N06A‘, Wechsel möglich
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Ergebnis:
Populationsselektion
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21.267
24.771
38.436
53.679
109.587
623.862
910.464
3.504
13.665
15.243
55.908
514.275
286.602
0 250.000 500.000 750.000
2007: bis 2011: durchgängige Versichertenzeit bei vollerKostendeckung
2006: keine Verordnung Antidepressivum 'N06A'
2007: >= 2 Verordnungen Antidepressivum ATC-Code 'N06A'
2007: >= 1 Verordnung Antidepressivum ATC-Code 'N06A'
2006: keine gesicherte Diagnose ambulant F32 oder F33oder stationär Hauptdiagnose
2007: ambulant mindestens 2 diverse Quartale mitgesicherter Diagnose F32 oder F33
2007: ICD F32 oder F33 ambulant gesichert oder stationärHauptdiagnose
?
Ergebnis:
Patientencharakteristika im Basisjahr 2007
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GESCHLECHT UND ALTER n n (%) Ø SD
Weiblich 15.455 72,7
Alter 21.267 100,0 49,3 16,3
REGION n n (%)
Ausland/Missing 130 0,6
Alte Bundesländer inkl. Berlin 17.779 83,6
Neue Bundesländer exkl. Berlin 3.358 15,8
Summe 21.267 100,0
INANSPRUCHNAHME n n (%)
Hausarzt und kein Spezialist 8.081 38,0
Facharzt 9.303 43,7
Psychotherapeut 1.388 6,5
Facharzt und Psychotherapeut 2.495 11,7
Summe 21.267 100,0
Krankenhausaufenthalt Depression 2.731 12,8
KRANKHEIT n n (%)
F32/F33.0 = mild 1.050 4,9
F32/F33 .1 = moderat 6.790 31,9
F32/F33 .2 = schwer 5.155 24,2
F32/F33 .8 = sonstige 918 4,3
F32/F33 .9 = n.n.bez. 7.354 34,6
21.267 100,0
Rezidivierende Depression 5.398 25,4
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Hoher Anteil Krankenhausversorgung
Hoher Anteil Spezialistenversorgung
Hoher Anteil Diagnosen „moderat“ und „schwer“
Population mit hoher Krankheitsschwere
Ergebnis:
Patientencharakteristika im Basisjahr 2007
Ergebnisse:
Dauer unterbrechungsfreier Therapie mit Antidepressiva
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2568
3911
2719
1860 1393
993 728 637 470 407 343 283 272 205
4478
0500
100015002000250030003500400045005000
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15+
Anzahl V
ers
ichert
e
Häufigkeit unterbrechungsfreie Antidepressiva-Behandlung in Quartalen
23%
7%
18%
52%
0% 10% 20% 30% 40% 50% 60%
> 3 Jahre
> 2 Jahre <= 3 Jahre
> 1 Jahr <= 2Jahre
<= 1 Jahr Gesamtpopulation (n=21267)
21,1% mindestens 15 Quartale
Durchschnitt 6,7 Quartale (SD 5,6)
Subgruppe bis 65 Jahre (n=17487)
19,2% mindestens 15 Quartale
Durchschnitt 6,5 Quartale (SD 5,4)
Ergebnisse:
Betrachtung der Patientencharakteristika
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Merkmal Ausprägung Anteil AD-Therapie
mindestens 15 Quartale (%)
Differenz zu Anteil in
Gesamtpopulation (%)
GESCHLECHT Männlich 20,8 -0,3
Weiblich 21,2 0,1
ALTER >=10<20 10,1 -11 *
>=20<30 13,5 -7,5 *
>=30<40 16,1 -4,9 *
>=40<50 20 -1,1
>=50<60 22,7 1,6 *
>=60<70 24,1 3,1 *
>=70<80 29,1 8 *
>=80<90 36,5 15,5 *
>=90<100 27,9 6,9
REGION Ausland/Missing 16,2 -4,9
Alte Bundesländer inkl. Berlin 20,8 -0,3
Neue Bundesländer exkl. Berlin 22,8 1,8 *
* Test Mittelwertdiffferenz Binomialverteilung p<.05
Ergebnisse:
Patientencharakteristika
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Merkmal Ausprägung Anteil AD-Therapie
mindestens 15 Quartale (%)
Differenz zu Anteil in
Gesamtpopulation (%)
LEISTUNGEN Kein Krankenhausaufenthalt 19,8 -1,3 *
Krankenhausaufenthalt 29,6 8,6 *
Hausarzt und kein Spezialist 21,2 0,2
Facharzt 21,8 0,8
Psychotherapeut 15,2 -5,9 *
Facharzt und Psychotherapeut 20,9 -0,1
KRANKHEIT F32/F33.0 = mild 18,3 -2,8 *
F32/F33 .1 = moderat 19,7 -1,4 *
F32/F33 .2 = schwer 24,4 3,3 *
F32/F33 .8 = sonstige 22,4 1,4
F32/F33 .9 = n.n.bez. 20,2 -0,9
Depressive Episode 20 -1,1 *
Rezidivierende Depression 24,2 3,1 *
* Test Mittelwertdiffferenz Binomialverteilung p<.05
Zusammenfassung und Diskussion:
In einer Population depressiver Patienten, die eine neue Episode und eine
medikamentöse Therapie beginnen, erhalten 23% der Patienten eine
unterbrechungsfreie Therapie mit Antidepressiva für mindestens 3 Jahre
Die durchschnittliche Behandlungsdauer liegt bei etwas über 1,5 Jahren
Patienten mit Dauertherapie beeinflussen den Durchschnitt positiv
Unter den Patientencharakteristika ist kein Merkmal, das dauertherapierte Patienten
eindeutig als Subgruppe klassifiziert
Jedoch:
Insbesondere Krankenhausaufenthalt und hohes Alter sind mit Dauertherapie assoziiert
Fachärztliche Versorgung scheint nicht mit Dauertherapie assoziiert zu sein
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Zusammenfassung und Diskussion
Die selektierte Population hat eine hohe Krankheitsschwere sowie Inanspruchnahme
von Spezialistenleistungen; insbesondere Krankenhaus. Mögliche Erklärung:
- Aufgreifkriterium: >= 2 Verordnungen Antidepressivum
- Aufgreifkriterium: >= 2 diverse Quartale mit ambulant gesicherter Diagnose F32/F33
Die Populationsselektion zeigte einen relevanten Anteil MIT Antidepressivatherapie und
OHNE parallele ärztliche Diagnostik/Behandlung.
Ein Hinweis auf Rezidivprophylaxe bei Diagnosefortschreibung oder offlabel use?
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Diskussion:
Literatur
Flut von Studien zu einzelnen Wirkstoffen mit Zeithorizont bis 1 Jahr
Bislang keine Analyse mit mehr als 2 Jahren gefunden
Vollständige Recherche steht aus
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Ausblick:
Intersektorale Längsschnittbetrachtung:
Abbildung des Krankheitsverlaufes auf Quartalsebene anhand (nicht) vorliegender
depressionsspezifischer Inanspruchnahme
- Wie viele der Dauertherapierten sind chronisch krank?
- Wie viele erhalten zumindest intermittierend Therapie zur Rezidivprophylaxe?
Weitere Arzneimittelanalyse:
- Gibt es bevorzugte Wirkstoffe/Wirkstoffgruppen für Dauertherapie?
- Wie viele Medikamentenwechsler gibt es, wie häufig wird gewechselt?
- Ist eine Toleranzentwicklung anhand Aufdosierung beobachtbar?
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Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit !
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select case
when email like ‘[email protected]‘ then ‘unikoeln‘
when email like ‘[email protected]‘then ‘iqwig‘
else ‘agens‘ end as kontakt format $9.;
quit;
17
Literatur
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