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1 1. Einleitung 1.1 Definition, Historisches, Einbettung in Nachbarwissenschaften Der Begriff Bio-Anorganische Chemie scheint zunächst widersprüchlich, legt man die historische Definition der Anorganischen Chemie als der Chemie der „Toten Materie“ zugrunde. Allerdings wurde dieses Verständnis der Anorganischen Chemie bereits 1828 durch die Wöhler’sche Harnstoffsynthese ad absurdum geführt. Unter der Bioanorganischen Chemie versteht man heute diejenige Teildisziplin der Biochemie (= Chemie der lebenden Organismen), der sich mit der physiologischen Rolle von anorganischen Elementen und den molekularen Grundlagen ihrer Funktion befasst. Die Bioanorganische Chemie wird ist etwa 1960 als eigenständiges Teilgebiet akzeptiert. Voraussetzung dafür, dass sich dieses Teilgebiet als eigenständige Disziplin entwickeln konnte, war die Erkenntnis, dass typische anorganische Elemente in physiologischen Systemen weit verbreitet sind und eine Schlüsselrolle bei zahlreichen physiologischen Funktionen spielen. Beispielsweise enthält etwa die Hälfte aller bis heute bekannten Enzyme mindestens ein Metallion als wesentliche, für dessen Funktion meist sogar unabdingbare (essentielle) Komponente. Maßgeblich für die Erkenntnis der physiologischen Rolle anorganischer Elemente waren Fortschritte bei den Isolations- und Reinigungsverfahren der Biochemie und die Entwicklung immer empfindlicherer Nachweismethoden, mit denen sich auch Spuren von Elementen nachweisen lassen. Dies ist insbesondere ein Verdienst der Atomabsorptionsspektroskopie (AAS) und der Atomemissionsspektroskopie (AES). Eine wichtige Triebkraft bei der Entwicklung dieser Disziplin waren auch die Bemühungen um die Aufklärung biochemischer Reaktionsmechanismen und deren Nutzbarmachung in vitro. Dies schließt die Synthese einfacherer Modellsysteme und die Erforschung ihrer Reaktivität ein. Hier stehen die Biochemie und die anorganische Chemie in intensiver gegenseitiger Wechselbeziehung. Beispielsweise werden spektroskopische Daten strukturell bekannter Modellsysteme mit denen der physiologisch vorkommenden Systeme verglichen, um detaillierte Informationen zum Aufbau der „anorganischen“ Teilstrukturen im physiologischen System zu erhalten. Wie der Name schon sagt ist die Bioanorganische Chemie ein hochgradig interdisziplinäres Gebiet, das mittlerweile fast schon „Modecharakter“ hat. Neben der

Vorlesung Bioanorganische Chemie

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1. Einleitung

1.1 Definition, Historisches, Einbettung in Nachbarwissenschaften

Der Begriff Bio-Anorganische Chemie scheint zunächst widersprüchlich, legt man die

historische Definition der Anorganischen Chemie als der Chemie der „Toten Materie“

zugrunde. Allerdings wurde dieses Verständnis der Anorganischen Chemie bereits

1828 durch die Wöhler’sche Harnstoffsynthese ad absurdum geführt. Unter der

Bioanorganischen Chemie versteht man heute diejenige Teildisziplin der Biochemie

(= Chemie der lebenden Organismen), der sich mit der physiologischen Rolle von

anorganischen Elementen und den molekularen Grundlagen ihrer Funktion befasst.

Die Bioanorganische Chemie wird ist etwa 1960 als eigenständiges Teilgebiet

akzeptiert. Voraussetzung dafür, dass sich dieses Teilgebiet als eigenständige

Disziplin entwickeln konnte, war die Erkenntnis, dass typische anorganische

Elemente in physiologischen Systemen weit verbreitet sind und eine Schlüsselrolle

bei zahlreichen physiologischen Funktionen spielen. Beispielsweise enthält etwa die

Hälfte aller bis heute bekannten Enzyme mindestens ein Metallion als wesentliche,

für dessen Funktion meist sogar unabdingbare (essentielle) Komponente.

Maßgeblich für die Erkenntnis der physiologischen Rolle anorganischer Elemente

waren Fortschritte bei den Isolations- und Reinigungsverfahren der Biochemie und

die Entwicklung immer empfindlicherer Nachweismethoden, mit denen sich auch

Spuren von Elementen nachweisen lassen. Dies ist insbesondere ein Verdienst der

Atomabsorptionsspektroskopie (AAS) und der Atomemissionsspektroskopie (AES).

Eine wichtige Triebkraft bei der Entwicklung dieser Disziplin waren auch die

Bemühungen um die Aufklärung biochemischer Reaktionsmechanismen und deren

Nutzbarmachung in vitro. Dies schließt die Synthese einfacherer Modellsysteme und

die Erforschung ihrer Reaktivität ein. Hier stehen die Biochemie und die

anorganische Chemie in intensiver gegenseitiger Wechselbeziehung. Beispielsweise

werden spektroskopische Daten strukturell bekannter Modellsysteme mit denen der

physiologisch vorkommenden Systeme verglichen, um detaillierte Informationen zum

Aufbau der „anorganischen“ Teilstrukturen im physiologischen System zu erhalten.

Wie der Name schon sagt ist die Bioanorganische Chemie ein hochgradig

interdisziplinäres Gebiet, das mittlerweile fast schon „Modecharakter“ hat. Neben der

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Biochemie und der Anorganischen Chemie gibt es Berührungspunkte zu einer Reihe

anderer Teildisziplinen (s. Abb. 1).

Bioanorganische Chemie

Physik

(Molekular) Biologie

Pharmazie,Medizin

Medizinische ChemieToxikologie

Anorganische Chemie

Biochemie

Lebensmittelchemie

(Umwelt)Technologie

Abbildung 1. Die Bioanorganische Chemie und ihre Nachbardisziplinen

Es ergeben sich folgende Berührungspunkte:

- Physik: Bereitstellung und Weiterentwicklung der Nachweis- und

Untersuchungsmethoden

- (Molekular)Biologie: Bereitstellung physiologischen Materials und dessen

gezielte gentechnologische Manipulation

- Toxikologie: Untersuchung des Schadstoffpotentials anorganischer

Verbindungen und dessen molekularer Grundlage

- Pharmazie, Medizin, Medizinische Chemie: medizinischer Einsatz

anorganischer Substanzen in der Diagnostik und der Therapie

- Lebensmittelchemie, Agrar- und Ernährungswissenschaften: Rolle

anorganischer Verbindungen für Wachstum und Gedeihen eines Organismus,

Schadstoffproblematik

- Technologie, Umwelttechnologie: Bakterieller Stoffabbau in Kläranlagen oder

Sedimenten, Schadstoffabbau und Entgiftung

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Page 3: Vorlesung Bioanorganische Chemie

1.2 Die physiologischen Funktionen von Metallionen

In lebenden Organismen finden sich z. T. größere Mengen an Metallionen. Erste

Erkenntnisse über deren physiologische Rolle sammelte bereits Liebig (1803-1873)

mit seinen Untersuchungen zum Stoffwechsel anorganischer Nahrungsbestandteile

und zum Einsatz von Düngemitteln zur Ertragssteigerung (Nitrate, Phosphate,

Kaliumsalze). Als besonders auffallende bioanorganische Verbindungen wurden die

Blatt- und Blutfarbstoffe von Seiten der damals noch als Teil der Organischen

Chemie begriffenen Naturstoffchemie untersucht (man denke in dem

Zusammenhang an die Blutlaugensalze!). In der Folgezeit lernte man auch, dass

einige Krankheiten oder Missbildungen auf mangelnde Versorgung mit bestimmten

Spurenelementen zurückzuführen sind. Dabei kann man in für einen Organismus

absolut lebensnotwendige, essentielle und dem Gedeihen förderliche (benefitial)

Elemente unterscheiden. Die Abgrenzung liegt darin, dass das vollständige Fehlen

essentieller Elemente schwere, irreversible Schäden auslöst. Vielfach stellt man fest,

dass als förderlich oder essentiell anerkannte Elemente in höherer Konzentration

(Dosis) umgekehrt schädigend oder gar toxisch wirken. Ein Paradebeispiel dafür ist

Selen. Einmal wurde Selenocystein als 21. essentielle Aminosäure erkannt und

werden selenhaltige Präparate in der Nahrungsmittelergänzungsindustrie als

Wunderheilmittel dargestellt, andererseits ist es in größeren Mengen aufgenommen

stark toxisch. Darin dokumentiert sich dass Paracelsus’sche Prinzip von der

ambivalenten Wirkung vieler Stoffe. Für ein jedes essentielles oder förderliches

Element ist demnach ein Dosis-Wirkungsdiagramm zu formulieren wie Abb. 2 es

zeigt.

Konzentration (Dosis)

positiv

negativTod Tod

Abbildung 2. Dosis-Wirkungsdiagramm

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Page 4: Vorlesung Bioanorganische Chemie

Abbildung 3. Übersicht über die essentiellen Elemente.

Tabelle 1. Durchschnittlicher Metallgehalt des Menschen

Tabelle 1 gibt eine Übersicht über den durchschnittlichen Metallgehalt im

menschlichen Körper nach Emsley,1 während Abb. 3 die essentiellen Elemente

zusammenfasst. Unter den Übergangsmetallen besitzen fast alle Elemente der 3d-

Reihe eine essentielle physiologische Funktion, während unter den Elementen der

4d-Reihe lediglich Mo eine derartige Rolle spielt.

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Page 5: Vorlesung Bioanorganische Chemie

5

Funktion Eigenschaft Beispiele

Strukturbildung- und

Stabilisierung

Ladung, Bildung schwer

löslicher Verbindungen

Ca2+: Skelettaufbau; Ca2+, Mg2+: Stabilisierung der Struktur von DNA; Zn2+:

Stabilisierung der Struktur DNA-erkennender Proteine; Zinkfinger, P,O,C, Si, S, F:

Bestandteile von strukturstabilisierenden Anionen

Reizleitung,

Signalübertragung

Ladung, hohe Beweglichkeit Na+, K+: Elektrochemische Potentialsprünge, z.B. bei der Nervenreizleitung,

Steuerung der Muskelkontraktion, erfordert Ionenpumpen zur Erzeugung und

Ionenkanäle zum Abbau von Konzentrationsgefällen.

Säure-Base Katalyse Lewis-Acidität Mg2+, Zn2+: Katalyse von Hydrolysen oder Kondensationsreaktionen (Phosphatasen,

Carboanhydrasen, Hydrolasen etc.), zentrale Rolle beim Auf- und Abbau organischer

Verbindungen

Elektronentransport Redoxaktivität Fe/S-Cluster, Fe/Mo-Cofaktoren der Nitrogenasen, Mn-Cluster der Photosynthese,

Fe-Porphyrinkomplexe der Cytochrome, blaue Kupferproteine

Sauerstofftransport bei der

Atmung

labile Koordination von O2 Fe-haltige Häm-Proteine, Cu-haltige Hämocyanine

Aktivierung kleiner Moleküle,

Atomübertragungsreaktionen

Erzeugung und

Stabilisierung radikalischer

Zwischenstufen

O-Übertragung: Fen+: Cytochrome; Fen+, Cun+, Con+, Mon+, Vn+, Mnn+: Oxygenasen,

Oxidasen, Reduktasen, Ni2+: Hydrogenasen; Übertragung von Alkylresten,

Umlagerungsreaktionen: Co2+: Cobalamine (Vitamin B12)

Tabelle 2. Physiologische Funktion anorganischer Bestandteile

Page 6: Vorlesung Bioanorganische Chemie

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Die Funktion der essentiellen Elemente wird deutlich, wenn man sich die

Mangelerscheinungen vor Augen führt, die ihr Fehlen nach sich zieht. Die wichtigsten

Befunde sind in Tabelle 3 zusammengestellt.

Tabelle 3. Übersicht über Mangelerscheinungen

Element Mangelerscheinung

Ca Wachstumsbeeinträchtigung (Skelett)

Mg Krampfneigung

Fe Anämie, Störung des Immunsystems

Zn Hautschäden, Zwergwuchs, verzögerte sexuelle Reifung

Cu Arterienschwäche, Leberstörungen, sekundäre Anämie

Mn Unfruchtbarkeit, gestörter Skelettaufbau

Mo Verlangsamtes Zellwachstum, Kariesneigung

Ni Wachstumsverzögerung, Dermatitis

Cr Glukose-Intoleranz (Symptome wie bei Diabetes)

Si Störungen des Skelettwachstums

F Karies

I Schilddrüsenfehlfunktion (Kropf), verlangsamter Metabolismus

Se Muskelschwäche, Bluthochdruck

Prinzipiell kann man zwischen Metalloproteinen und Metallenzymen unterscheiden:

In Metalloproteinen treten Metalle als Cofaktoren von Proteinen auf. Metalloenzyme

sind Metalloproteine mit katalytischen Funktionen. Auffällig ist, dass einige der

redoxaktiven Metallionen in biologischen Systemen in eher ungewöhnlichen

Oxidationsstufen vorkommen: Beispiele sind Fe(V), Mn(III), Cu(I), Mo(IV), W(IV),

Co(I), Ni(I), Ni(III).

Page 7: Vorlesung Bioanorganische Chemie

2. Koordination, Transport und Speicherung von Metallionen

2.1 Bioliganden

Neben einfachen oder komplexen Phosphaten, Sulfid- und Sulfationen, Wasser und

dessen deprotonierten Formen (OH-, O2-) stehen Metallionen in Enzymen die

folgenden Bioliganden zu Verfügung:

a) Aminosäuren und Peptide (s. Übersicht)

Aminosäuren können Metallionen über ihre Carboxylatfunktion binden. Dabei sind

die in Abb. 4 gezeigten, unterschiedlichen Koordinationsmodi möglich. Abb. 5 gibt ein

Beispiel für die µ, η1: η1-Koordination einer synthetischen Aminosäure.

CO O

Mη1, syn

CO O

M

η1, anti

CO O

M

η2

CO O

M Mµ,η1:η1

Ca2+ Fen+, Mnn+

'

Abbildung 4. Koordinationsmodi von Aminosäuren an Metallionen

Abbildung 5. Die Struktur von CdCl2(H2O)(DL-Hpip) mit µ, η1: η1-Koordination der

Aminosäure

Analog ist eine Koordination am C-Terminus von Peptiden möglich. Bei Polypeptiden

ist jedoch zu berücksichtigen, dass viele Aminosäuren Substituenten mit

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Page 8: Vorlesung Bioanorganische Chemie

Ligandfunktionen in ihrer Seitenkette tragen. Da jedes Peptid nur einen C-Terminus

gegenüber einer Vielzahl von derart koordinierenden Aminosäuren aufweist, ist eine

Bindung von Metallionen an die Seitengruppen bevorzugt. Tabelle 4 gibt eine

Übersicht über potenziell koordinierende Aminosäuren; ein Beispiel für die

Koordination eines synthetischen histidinfunktionalisierten Äquivalents eines

Dipeptids gibt Abbildung 6.

Tabelle 4. Aminosäuren/Peptide als Liganden

In Abhängigkeit vom Metallion und seiner Oxidationsstufe existieren gewisse

Präferenzen bezüglich des Aminosäurepartners, der Koordinationszahl und der

Koordinationsgeometrie (Selektivität) (s. Tabelle 5)

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Page 9: Vorlesung Bioanorganische Chemie

Tabelle 5. Charakteristische Bindungspartner und Koordinationsgeometrien für

bestimmte Metallionen

Abbildung 6. Koordination von Aminosäuren mit histidinhaltigen Seitenketten an Cu2+

(Sovago et al, Inorg. Chim. Acta, 339, 2002, 373).

Abbildung 7. Beispiele für Komplexe mit chelatisierender und N-terminaler Koordination von

Glycin, s. Mann et al. Dalton Trans. 2007, 1500.

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Page 10: Vorlesung Bioanorganische Chemie

b) Nucleobasen, Nucleotide und Nucleinsäuren (s. Übersicht)

Abbildung 8. Nucleobasen,. Nucleoside und Nucleotide.

Nucleobasen (Abb. 8) sind ambidente Liganden, d. h. sie verfügen über mehrere ungleiche

Koordinationsstellen. Je nach der Art (Größe, Ladung) des koordinierten Metallions, der

anderen Liganden (H-Brücken-Bindungen) und den äußeren Bedingungen (pH-Wert) können

sie als ein- oder mehrzähnige Liganden fungieren und über Imino-, Amino-, Amido-,

Hydroxo- oder Oxofunktionen koordinieren. Beispiele für röntgenographisch gesicherte

Strukturen von Metallkomplexen mit Koordination der Nucleobasen Adenin, Cytosin und

eines sich von Guanin ableitenden Nucleosids zeigt Abbildung 9.

Pair of asymmetric units of

Cu(MIDA)(AdeH)(H2O)] ×/H2O

showing the intra -molecular

interligand hydrogen bond in both

molecules (open dashed lines) and

the inter -molecular p,p-stacking

interaction between five- and six-

membered rings of AdeH ligands

(black dashed lines).

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Page 11: Vorlesung Bioanorganische Chemie

Struktur von

Pd(CNtBu)(C6F5)(MeCytosin)2

Abbildung 9. Verschiedene Beispiele für röntgenographisch charakterisierte Komplexe mit

koordinierten Nucleobasen.

Auch ein Beispiel für die chelatisierende Koordination von Pd(II) an einfach

deprotoniertes Thymin ist mittlerweile bekannt (Abb. 10).1 Die Synthese erfolgte

gemäß:

[(Aryl)2Pd(µ-OH)2Pd(Aryl)2](NBu4)2 + 2 1-Methylthymin → 2 [(Aryl)2Pd(1-

Metyhlthymid)] + 2 H2O (Aryl = C6F3H2, C6F5).

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Page 12: Vorlesung Bioanorganische Chemie

Abbildung 10

Für zytostatisch wirkende Halbsandwich-Ru(II)-Komplexe des Typs (η6-

Aren)Ru(en)Cl] wurde die selektive Bindung an N7 von Guaninbasen in DNA-

Oligomeren nachgewiesen. Modellkomplexe zeigen attraktive π-Wechselwirkungen

zwischen ausgedehnten π-Arenliganden und dem nichtkoordierten, elektronenarmen

Sechsring der Nukleobase sowie stabilisrende Wechselwirkungen über H-Brücken

(Abb. 11).2 Ein derartiges „π-stacking“ bewirkt auch den Einschub sog.

„Intercalatoren“ in die DNA, was bei Zytostatika wie cis-Platin-Derivaten und bei der

Fluoreszenzmarkierung von DNA eine wichtige Rolle spielt.

Abbildung 11. Strukturen zweier Halbsandwich-Rutheniumkomplexe mit 9-Ethylguanin.

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Page 13: Vorlesung Bioanorganische Chemie

Die Tatsache, dass Nucleobasen in verschiedenen tautomeren Formen vorliegen

können, stellt eine zusätzliche Komplikation dar (Abb. 12).

N

N

NH

HO

R

N

HN

NH

O

R

N

N

NH2

O

R

Abbildung 12. Verschiedene Tautomere des N(1)-substituierten Cytosins

Durch Koordination an Nucleobasen können Metallionen mit der Basenpaarung

interferieren, indem sie die „falschen“ Tautomeren und „falsche“ Basenpaare

stabilisieren. Ausbleibende Reparatur zieht eine Verfälschung der genetischen

Information nach sich. Die mutagene und carcinogene Wirkung einiger Metallionen

basiert auf diesem Mechanismus. Andererseits kann man diese Koordination auch

gezielt medizinisch in der Tumorbekämpfung nutzen (cis-Platin).

c) Makrozyklische N-Donorliganden: Tetrapyrrolliganden und Verwandte (s.

Übersicht, Abb. 13)

NH

N

N

N

Corrin

Abbildung 13

13

Page 14: Vorlesung Bioanorganische Chemie

Die makrozyklischen Chelatliganden können eine breite Vielfalt von Metallionen

koordinieren und bilden sehr stabile Komplexe. Dies lässt sich schon daraus

ablesen, dass Sedimente, Kohle und Erdöl hohe Konzentrationen an derartigen

Komplexen enthalten. Die Makrozyklen haben einen zentralen Hohlraum von genau

definierter Größe, etwa 60-70 pm. Komplexe des Mg2+-Ions (72 pm, Chlorophyll), von

Fe2+/3+ in verschiedenen Spin-Zuständen (h. s. Fe2+: 78 pm, zu groß, l. s. Fe2+: 65

pm, passt; h. s. Fe3+: 65 pm, passt, l. s. Fe3+: 55 pm, zu klein, durchschnittlich 65 pm,

Häm-Proteine, Cytochrome), Co2+ (65 pm, Cobalamin) und Ni2+ (69 pm, F-430,

Tunichlorin, chlorophyllartiger Ni-haltiger Komplex bei Manteltieren) haben wichtige

biologische Funktionen. Gewisse Anpassungen an größere Metallionen sind dadurch

möglich, dass diese außerhalb der Ringebene koordinieren oder der Makrozyklus

durch Wölbung (doming), Verdrillung (ruffling), Einnehmen einer sattelförmigen

(saddling) oder wellenförmigen Struktur (waving) seine Planarität einbüßt. Abb. 14

zeigt diese Verzerrungen zusammen mit den Energien der entsprechenden out-of

plane IR-Schwingungen. Diese Verzerrungen werden maßgeblich von der

Aminosäuresequenz zwischen dem Porphyringerüst und einem weiteren axialen

Liganden (dem sog. proximalen Liganden) sowie in verknüpften Porphyrinen durch

die Aminosäuresequenz der Verknüpfung beeinflusst und sind in verwandten

Enzymfamilien weitgehend konserviert. 3

Abbildung 14. Deformationsmodi des Porphyrinrings und die Energie der charakteristischen

out-of-plane IR-Bande

Die Tetrapyrrol-Liganden sind aromatische 18π-Elektronensysteme, was ihnen und

ihren Komplexen neben ihrer besonderen Stabilität auch intensive Absorptionen im

Sichtbaren und Redoxaktivität verleiht. Wegen ihrer intensiven Farben werden sie oft

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Page 15: Vorlesung Bioanorganische Chemie

auch als „Pigmente des Lebens“ bezeichnet. Ihre Redoxaktivität macht diese

Komplexe zu essentiellen Komponenten bei den wichtigsten biologischen

Energieumwandlungsprozessen: der Atmung und der Photosynthese. Selbst nach

der Koordination an den Makrozyklus verbleiben am Metallion noch zwei weitere

Koordinationsstellen. Diese können einmal zur Substratbindung und zum anderen

zur Steuerung der Reaktivität durch den trans-ständigen Liganden (trans-Effekt)

herangezogen werden. In den Metalloproteinen der Häm-Familie ist eine axiale

Position von einem proximalen Histidinliganden besetzt.

d) Ionophore

Dabei handelt es sich um vielzähnige Chelatliganden der Zähnigkeit von ≥ 6, die

Ionen mit oft großer Selektivität binden. Ihre Hauptfunktion besteht im Ionentransport.

Daher üben sie auch bei der Aufnahme von Ionen aus dem umgebenden Medium

und ihrer Speicherung eine wichtige Funktion aus. Ein wichtiger Ionophor für K+ und

Ca2+ ist das Valinomycin, ein cyclisches Dodecadepsipeptid, das sich aus Valin und

Isobuttersäure her leitet (Abb. 15). Ein weiteres Beispiel ist Nonactin, ein

makrozyklischer Ester, der ebenfalls K+ und Ca2+ bindet (Abb. 16).

Abbildung 15. Valinomycin (links) und Nonactin (rechts)

15

Page 16: Vorlesung Bioanorganische Chemie

Abbildung 16. Struktur des Ca2+-Komplexes von Nonactin4

In den strukturell charakterisierten K+ und Ca2+-Komplexen (s. Abb. 16) wird das

Metallion von allen Estercarbonyl- und Ether-Sauerstoffatomen koordiniert (KZ = 8).

Infolge der Koordination drehen sich alle acht Donorfunktionen ins Komplexinnere.

An der Außenseite sind die unpolaren Alkylgruppen angeordnet. Dies erlaubt

beispielsweise den Transport polarer, schwach koordinierender, hydrophiler und

meist substitutionslabiler Metallionen durch die lipophile Doppelschicht biologischer

Membranen. Weiter bewirkt die Anhäufung chiraler Zentren eine spezifische

Rezeptorerkennung. Dafür ist auch maßgeblich, dass von den zahlreichen möglichen

Konformationen des freien Liganden oft nur eine einzige für die Metallkomplexierung

optimal ist. Diese natürlichen Ionophore sind Teil des chemischen Abwehrsystems

von Pilzen, Flechten und Meeresorganismen. Ihr gezielter Einsatz stört den

Ionenhaushalt und die Membranfunktion von Bakterien, beeinträchtigt aber die

komplexeren Ionentransportmechanismen höherer Organismen kaum. Derartige

Makrozyklen werden daher auch medizinisch als Antibiotika eingesetzt.

Eine weitere wichtige Gruppe von biogener Ionophore sind die Siderophore (=

Eisenträger). Dabei handelt es sich um Chelatliganden mit einem Molekulargewicht

bis ca. 1500 Da und hoher Spezifität für Fe(III). Wichtige Beispiele zeigt Abb. 17. Ihre

Funktionen sind die Mobilisierung, der Transport und die Speicherung von Eisen.

Organismen müssen sich derartiger Liganden bemühen, weil die Konzentration von

Fe3+ im Meerwasser (3⋅10-7 Gewichtsprozent, Fe(OH)3↓), wesentlich geringer ist als

die physiologische Konzentration (6⋅10-3 Gewichtsprozent). Auch an Land ist Fe3+

meist in unlöslicher, oxidischer Form gesteinsgebunden.

16

Page 17: Vorlesung Bioanorganische Chemie

Abbildung 17. Wichtige biogene Siderophore.

Mikroorganismen (Bakterien, niedere Pilze) und viele Pflanzen (insbesondere

Wasserpflanzen) vermögen mittels der Siderophore, die sie in das umgebende

wässrige Medium abgeben, aus schwerlöslichen Eisenhydroxid-Depots Fe3+ durch

Komplexierung zu mobilisieren. Die Fe-bindenden funktionellen Gruppen sind

Catecholate (bei den Enterobaktinen), Hydroxamate (bei den Ferrioxaminen und

Ferrichromen), Carboxylate und Hydroxycarboxylate (z.B. Rhizoferrin). Die Komplexe

sind mehr oder weniger globulär gebaut und verfügen über eine Peripherie aus

hydrophilen Gruppen (Amid- und Esterfunktionen), die Wasserlöslichkeit und den

Transport im aquatischen System gewährleisten.

Bis heute sind etwa 200 biogene Siderophore von Pilzen, Bakterien und Hefen

bekannt. Ihre Biosynthese wird über ein DNA bindendes und von Fe(II) aktiviertes

Regulationsprotein (Fe uptake regulation, fur) durch das Angebot an Eisen reguliert.

Ein prominenter Vertreter ist das Enterobactin, ein Tris(catecholat)-Ligand (Abb. 14).

Die Komplexbildungskonstante Kf = [Fe(Ent)] / [Fe]3+ [Ent3-] (Gl. 2) beträgt ca. 1049.

Synthetische, den Siderophoren nachgebildete Chelatliganden werden auch

medizinisch eingesetzt. Dies beruht zum einen auf ihrer antibiotischen Wirkung.

Mikroorganismen bedürfen für ihre Vermehrung einer kontinuierlichen Versorgung

mit Eisen. Sie sind allerdings nicht dazu in der Lage, dieses aus fest gebundenem

Eisen im Blutserum freizusetzen. Bei Patienten, denen Bluttransfusionen verabreicht

17

Page 18: Vorlesung Bioanorganische Chemie

18

werden, beugt man durch Gabe von mit dem Urin ausscheidbaren Chelatliganden

einer Eisenvergiftung vor.

2.2 Transport und Speicherung von Ionen am Beispiel des Eisens

Speicherung und Freisetzung

Um Fe3+ aus der Umgebung aufnehmen zu können, synthetisieren Lebewesen

Siderophore. Pflanzen nutzen dazu oft symbiotisch lebende Mikroorganismen. Der

jetzt lösliche Komplex wird spezifisch in die Zelle aufgenommen, wobei er mit

Membran-Rezeptoren wechselwirkt und über einen energieverbrauchenden Prozess

ins Innere der Zellen transportiert wird. Das Herauslösen des Eisens aus dem

Komplex kann auf mehreren Wegen erfolgen: Hydrolyse des Liganden, Reduktion

von Fe3+ zu Fe2+, das weitaus labilere Komplexe mit diesen Liganden bildet, oder

Verdrängung des zur Aufnahme und zum Transport verwendeten Liganden durch

einen spezifischen intrazellulären Eisen bindenden Rezeptor. Eine Hürde bei dem

Reduktionsmechanismus sind die außerordentlich niedrigen Potenziale der

Fe3+/Fe2+-Paare in den Siderophorkomplexen. Dies ist eine direkte Konsequenz der

hohen Komplexstabilitäten, wie die folgenden Überlegungen zeigen:

Gemäß der Nernst-Gleichung ergibt sich das Redoxpotential des

Gleichgewichtssystems [Fe(Sid)] + 3H+ + e- ⇄ Fe2+ + H3Sid (3) zu

E = E0 + 0.059V ⋅ log [FeSid] [H+]3 / ([Fe]2+·[H3Sid]) (4).

Mit Kf = [Fe(Sid)] / ([Fe3+]·[Sid3-] (2) und Ks = [H+]3 [Sid3-] / [H3Sid] lässt sich Gl. 4 zu

E = E0 + 0.059V · log [Fe3+]/{[Fe2+]}·Ks·Kf} (Gl. 5) umformen.

Dementsprechend ist zu erwarten, dass das Redoxpotenzial des Fe2+/3+ - Paares E0

mit zunehmender Komplexbildungskonstante sinkt, ähnliche pKS-Werte der Liganden

vorausgesetzt. Dies ist auch der Fall (Tabelle 6)

Page 19: Vorlesung Bioanorganische Chemie

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Tabelle 6. Stabilitätskonstanten und Redoxpotenziale für Fe-Komplexe verschiedener

Siderophore

Siderophor log Kf (Fe(III)) E0 in V (pH = 7) Ligand-Typ

Mugineinsäure 18.1 - 0.102 Carboxylat, Amino-N

Aerobactin 22.5 -0.336 Hydroxamat, Carboxylat

Coprogen 30.2 -0.447 Hydroxamat

Desferrioxamin B 30.5 -0.468 Hydroxamat

Ferrichrom A 32.0 -0.448 Hydroxamat

Enterobactin ca. 49 -0.790 Catecholat

Alterobactin A 51±2 -0.972 Catecholat, Hydroxy,

Carboxylat

Für Alterobactin A (Alt A) zeigen potentiometrische Titrationen, dass bei Fe3+-

Bindung sechs Protonen freigesetzt werden. Mit Hilfe der NMR-Spektroskopie konnte

gezeigt werden, dass je zwei Protonen von der Catecholateinheit und den beiden

Hydroxyaspartat-Untereinheiten abgegeben werden. Der Fe3+-Alterobactionkomplex

ist über einen pH-Bereich von 4 bis 9 hydrolysestabil. Komplexbildung stabilisiert Alt

A gegen Hydrolyse. In Abwesenheit des Metallions wird Alt A bei pH = 8 mit einer

Halbwertszeit von 11.6 h unter Spaltung des Lactonrings zum offenkettigen Alt B

hydrolysiert. Der Komplex ist unter den gleichen Bedingungen dagegen stabil.5

Demnach ist ein gekoppelter Protonierungs-/Reduktionsmechanismus

wahrscheinlich. Ist Fe2+ erst einmal in der Zelle freigesetzt worden, muss es wegen

seiner Labilität direkt verarbeitet oder gespeichert werden.

Page 20: Vorlesung Bioanorganische Chemie

Abbildung 18. Alterobactin A und Alterobactin B und Voltammogramm des Fe(III)-Komplexes

Die Speicherfunktion übernehmen hochspezialisierte Proteine, insbesondere das

Ferritin und das Hämosiderin. Im Ferritin bilden 24 gleichartige Protein-

Untereinheiten eine Hohlkugel mit einem Außendurchmesser von etwa 130 Å und

einem Innendurchmesser von 75 Å, in die ca. 1200 Fe-Atome (max. 4500 Fe)

eingelagert werden (Abb. 19). Die ungefähre Zusammensetzung des Fe-Kerns lautet

Fe(III)9O9(OH)8(H2PO4) mit wechselndem Phosphat-Anteil. Aus EXAFS-Daten kann

man schließen, dass die Fe-Atome von sechs O-Atomen im Abstand von etwa 195

pm und von etwa 7 Fe-Atomen im Abstand von ca. 330 pm umgeben sind. Er ähnelt

dem metastabilen Mineral Ferrihydrit 5 Fe2O3·9 H2O (= Fe10O6(OH)18. Dieses weist

eine hexagonal dichteste Packung von O-Atomen auf. Die Oktaeder sind über

gemeinsame Kanten zu Doppelsträngen verknüpft. Die Doppelstränge sind ihrerseits

durch gemeinsame Ecken mit Nachbarsträngen verbunden (Abb. 20).6 Die

Einlagerung und Freisetzung des Eisens erfolgt als Fe(II).

20

Page 21: Vorlesung Bioanorganische Chemie

Abbildung 19. Schematischer Aufbau des Ferritins. Die Cn-Achsen markieren Kanäle n-

zähliger Symmetrie. Jede Untereinheit besteht aus vier langen α-Helices, die zu einem

Bündel gruppiert sind. Sie werden von einer 5. kurzen α-Helix (symbolisiert durch E)

verbunden. N symbolisiert den gegenüberliegenden N-Terminus.

Abbildung 20. Die vermutliche Struktur von Ferrihydrit.

Die Fe3+ -Ionen sind durch µ-O und µ-OH-Brücken miteinander verknüpft. Zur

Proteinwandung hin erfolgt die Ankopplung über Carboxylatgruppen (von Glutamat

und Aspartat). Das Eisen befindet sich im high-spin Zustand; das gegenüber

isolierten high-spin Fe3+ - Ionen (spin-only Wert S = 5/2, 5.92 µB) deutlich

verminderte magnetische Moment von nur 3.85 µB weist auf antiferromagnetische

Kopplung hin. Für den An- und Abtransport des Eisens dienen Kanäle im

Proteinmantel, die einen Durchmesser von ca. 10 Å haben. Beim Einbau wird das

21

Page 22: Vorlesung Bioanorganische Chemie

22

Eisen zunächst an der nach außen weisenden Seite des Kanals als Fe2+ koordiniert.

Nach Transport ins Innere und Ankopplung an die Carboxylatgruppen der inneren

Wandung oder den dort bereits gebundenen Fe2O3-Keim erfolgt oxidative Addition

von O2. Dabei gebildete zweikernige, peroxoverbrückte (Fe3+)2-Intermediate bilden

durch nachfolgende weitere Oxidation und Hydrolyse zwei FeO(OH)-Zentren. Die

Nettogleichung für diesen Prozess lautet 4 Fe2+ + O2 + 6 H2O → 4 FeO(OH) + 8 H+.

Bemerkenswerterweise erfolgt der Einbau von Fe3+-Ionen mit einer Geschwindigkeit

von bis zu 3000 Fe-Atomen pro Sekunde.

Für den Transport von Fe-Ionen nach außen werden zwei mögliche Mechanismen

diskutiert. Zum einen könnten unpolare Reduktionsmittel durch die hydrophoben

Ferritin-Kanäle vierzähliger Symmetrie nach innen gelangen und Fe3+ reduzieren. Die

Fe2+-Ionen würden anschließend durch hydrophile Kanäle dreizähliger Symmetrie

nach außen transportiert. Alternativ könnten Reduktionsmittel an der Außenseite des

Ferritins andocken und Elektronen durch die Proteinhülle ins Innere abgeben.

Eventuell wird die Fe(III) Reduktion in beiden Fällen durch Fe(II)-Chelatliganden

unterstützt.

Hämosiderin hat einen noch höheren Speichergehalt als Ferritin, ist aber unlöslich.

Man vermutet, dass es in Lysosomen aus Ferritin entsteht, dessen Proteinhülle

teilweise abgebaut wird. Lysosome sind kugelförmige Vesikel, die Proteine,

Polysaccharide, Lipide und Nucleinsäuren abbauen können.

Transport

Zum Fe-Transport dienen ca. 80 kDa schwere Proteine der Transferrin-Familie. Ihre

Hauptfunktion besteht darin, Fe-Ionen vom Ort der Resorption, der Speicherung oder

des Abbaus der roten Blutkörperchen zu den blutbildenden Zellen im Knochenmark

zu transportieren. Die einzelne Peptidkette besitzt zwei halbmondförmige Bereiche

mit je einer Bindungsstellen für Eisen. Es wird dort von zwei Tyrosinat-, einem

einzähnigen Aspartat, einem Histidin und einem chelatisierenden Carbonatliganden

gebunden. Die Bindung des Carbonats erfolgt simultan zu der des Eisens. Der

Carbonatligand ist über H-Brücken auch an das Protein gebunden. Infolge der

Koordination wird das Transferrin deutlich kompakter. Man spricht von einer offenen

Struktur des unbeladenen Apoproteins und einer geschlossenen Struktur des

Page 23: Vorlesung Bioanorganische Chemie

Proteins. Abb. 21 zeigt die offene Struktur von Pferdelactoferrin in der Apoform und

die geschlossene Struktur der beladenen Form.

Abbildung 21. Die röntgenographisch bestimmte Struktur von Pferdelactoferrin

Abbildung 22. Die Koordinationsumgebung um die Fe-Ionen im Transferrin; links:

schematisch, rechts: reale Struktur der Fe-Bindungseinheit in der N-Domäne des humanen

Transferrins

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Page 24: Vorlesung Bioanorganische Chemie

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Die Stabilitätskonstante des Ferritin Fe3+ - Komplexes liegt bei etwa 1020 istg aber

stark vom pH-Wert abhängig; bei pH = 5,5 ist K nur noch ca. 1012 und bei pH 4,5 liegt

Kstab unterhalb des Wertes für den Citratkomplex. Zur Weitergabe des Eisens an die

Zelle wird, so die plausibelste Hypothese, Transferrin an einen Rezeptor angelagert,

zum Endosom eingeschnürt und ins Zellinnere transportiert. Hier wird ein pH von 5.0

- 5.5 hergestellt. Das nach Protonierung des Transferrins und Reduktion als Fe2+

freigesetzte Eisen wird dann schnell an den niedermolekularen Eisenpool im Zytosol

übergeben und das Apotransferrin wieder in das Plasma abgegeben. Tatsächlich

transportiert die Gesamtmenge des körpereigenen Transferrins pro Tag etwa 40 mg

Eisen, während die gesamte Aufnahmekapazität bei lediglich 7 mg Fe liegt.

Transferrin-Rezeptoren (TfR) finden sich auf allen sich teilenden Zellen. Die TfR

Expression ist koordiniert mit der Zellproliferation, und wird routinemäßig als Maß

z.B. für das Wachstumspotential von in-vivo Tumoren herangezogen.

Neben Fe3+ kann Transferrin auch andere dreiwertige Ionen wie Cr3+ und Al3+,

daneben auch Cu2+, Mn2+, Co3+ sowie Ti4+ aufnehmen. Tatsächlich bindet Ti4+ mit

höherer Affinität an Transferrin als Fe3+! Der Transport von Ti4+ spielt bei der

Mobilisierung dieses normalerweise extrem schwerlöslichen Ions - Ti4+ bildet in

wässriger Lösung bereits bei niedrigem pH oxo/hydroxoverbrückte, unlösliche

Polymere – eine wichtige Rolle. Letzteres wird für die Korrosion medizinischer

Implantate im Körper sowie für die Anreicherung von Ti in malignem Gewebe

verantwortlich gemacht. Tumorzellen haben einen erhöhten Eisenbedarf und

exprimieren signifikant mehr Transferrin als gesunde Zellen. Der selektive Ti4+-

Transport in Tumorgewebe ist für Ti(IV)-Zytostatika wie Cp2TiCl2 von Bedeutung. Der

Transport von Al3+-Ionen durch Transferrin zum zentralen Nervensystem und die

dortige Anreicherung dieses Ions, das ja nicht mehr durch Reduktion mobilisiert

werden kann, stellt einen wichtigen Aspekt bei dessen Toxizität dar. Al3+-

Ablagerungen wurden als (Mit)-Auslöser von Krankheiten wie Alzheimer-Krankheit

diskutiert, doch ist diese These sehr umstritten.

Das folgende Schema zeigt den Fe-Kreislauf in höheren Lebewesen in vereinfachter

Form.

Page 25: Vorlesung Bioanorganische Chemie

Unreife Erythrozyten

Hämosiderin [Fe3+] [Fe2+] Häm und Globin

Ferritin

Protoporphyrin

Erythrozyten

Hämoglobin [Fe2+]

(120 - 150 mg)

(2500 - 3000 mg)

Milz und andere GewebeZerstörung der Erythrozyten

[Fe2+] Ferritin [Fe3+]

extrazelluläre FlüssigkeitFe(III)-Transferrin

[Fe2+] Häm-Enzyme

Ferritin [Fe3+]

Hämosiderin [Fe3+]

Myoglobin [Fe2+]Hämoglobin [Fe2+]Erythrozyten

PlasmaFe(III)-Transferrin

Schweiß, Urin

Schleimhaut [Fe2+]

Ferritin [Fe3+]

Faeces

Gastrointestinaltrakt

Nahrung

30 mg/Tag

5 mg/Tag

30 mg/Tag

Leber und andere Gewebe(150 - 200 mg)

Entsprechende Aufnahme-, Speicher- und Transportmechanismen existieren

vermutlich auch für andere Metallionen, doch sind die Prozesse dort bei weitem nicht

so genau verstanden wie beim Eisen. Ein Beispiel ist das Vanadium. Seescheiden

(Ascidiae), Pilze und Braunalgen haben die Fähigkeit, dieses Element bis zu einem

Faktor von 107 gegenüber ihrer Umgebung anzureichern. Auch dazu bedienen sich

diese Organismen bestimmter Ionophore. Aus dem Fliegenpilz wurde beispielsweise

der Naturstoff Amavadin isoliert, ein Komplex mit von zwei 2,2’-Oxy(imino)-

dipropionat-Liganden koordiniertem Vanadium der Oxidationsstufe V oder IV

(Abbildung 23). Die Stabilitätskonstante beträgt etwa 1023.

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Page 26: Vorlesung Bioanorganische Chemie

Abbildung 23. Die Struktur von Amavadin

Vanadium ist Bestandteil der gängiger Nitrogenasen (Reduktion von N2 zu NH3) und

von Haloperoxidasen. Letztere katalysieren die Halogenierung organischer Stoffe

unter Mithilfe von H2O2 und sind Teil des Abwehrsystems dieser Organismen.

In Seescheiden (Ascidien), welche symbiontisch mit bestimmten Cyanobakterien

leben, findet sich eine Fülle makrozyklischer Peptide aus modifizierten Aminosäuren.

Beispiele zeigt Abb. 24. Diese können Ionen wie Ca2+ oder Cu2+ selektiv mit mäßig

hohen Komplexbildungskonstanten binden. Die Struktur eines zweikernigen,

carbonatverbrückten Kupferkomplexes zeigt Abbildung 24. Auch für diese wird eine

Funktion als Ionophore bei der Aufnahme und dem Transport von Cu2+ in marinem

Milieu diskutiert. Die Makrozyklen wirken antiviral und antineoplastisch. Ferner

konnte nachgewisen werden, dass Cu2+ oder Ca2+ - Ionen die einzelnen

Aminosäurebausteine über einen Templateffekt präorganisieren und die selektive

Makrolaktamisierung begünstigen. Insofern wird auch diskutiert, dass die Metallionen

eher für die Biosynthese der Makrozyklen wichtiger sind als die Makrozyklen für den

Ionentransport.7

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Page 27: Vorlesung Bioanorganische Chemie

Literatur

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