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Aus dem Inhalt: mehr auf Seite 5 mehr auf Seite 2 mehr auf Seite 6 mehr auf Seite 3 mehr auf Seite 10 mehr auf Seite 4 Deutschpflicht auf Schulhöfen Stimmen zur Integrationsdebatte Der Islam ist eine Hautfarbe Interview: Bleiberechtsregelung Lehrer mit Migrationsgeschichte AWO Fachtagung Vielfalt– Das Bildungsmagazin Winter 2010 Mutter erklärte im Beisein der Kinder, dass die nahe gelegene Gesamtschule Türkisch als Zweit- sprache anbietet, sei ein „K.o.-Argument für die Schule.“ Dahin kommt Luisa also nicht, weil da „Türken” hingehen werden, die längst Einheimi- sche sind. Auf dem Schulhof hört man Gespräche wie: Wer gut ist, kommt aufs Gymnasium, wer „mittel“ ist, auf die Realschule und die Schlech- ten, die kommen auf die Hauptschule. Die „Schlechten“ wissen mit ihren 9 und 10 Jahren, dass sie abgehängt werden, denn dumm sind sie nicht. Was könnten Kinder aus der aktuellen Integrati- onsdebatte mitnehmen? Dass ein Teil von ihnen schlechte Gene hat und deshalb zum Versagen verurteilt ist? Dass manche Menschen für immer „Ausländer“ oder „Fremde“ bleiben? Dass Kinder, die auf dem Pausenhof türkisch spre- chen, sich und anderen schaden? Natürlich ist die Debatte um Integration nicht nur finster, möglicherweise ist sie sogar notwendig. Schließlich gibt es sie auch, die kritischen, demo- kratischen, betroffenen, engagierten Stimmen, die ebenfalls Gehör finden. Vielfalt - Das Bil- dungsmagazin hat für seine erste Ausgabe einige davon für Sie eingesammelt. Einen guten Nutzen und Spaß beim Lesen wün- schen Ihnen Mercedes Pascual Iglesias & Donja Amirpur. Vor Ihnen liegt die erste Nummer von „Vielfalt -Das Bildungsmagazin“. Diese neue Publikation wird in Zukunft vierteljähr- lich über aktuelle Bildungsthemen und Debatten in NRW berichten, immer auch unter dem Aspekt der Teilhabe von MigrantInnen und ihren Nachkommen. Es erwarten Sie: aktuelle und regionale Meldungen Berichte über Bildungsstudien Reportagen über inklusive Projekte Tipps zu Medien und Projekten Dossiers interkultureller und inklusiver Praxis Vielfalt – Das Bildungsmagazin ist eine Veröffentli- chung aus dem Hause der Integrationsagentur der Arbeiterwohlfahrt Bezirksverband Mittelrhein e.V. Sensibilisierung und Information zu den Themen Antidiskriminierung und Rassismus gehört zu unse- ren Aufgaben. Integration - eine Frage der Bildung? Welchen Nutzen hat die aktuelle Integrationsde- batte, welche Folgen wird sie haben? Den Antwor- ten können wir uns annähern durch genaues Zuhören und Lesen und indem wir Zwischentöne herausfiltern. Lange schon ermahnt die Pädagogik die Politik, sich nicht auf die Defizite der jungen Menschen mit Migrationshintergrund zu fokussie- ren. Seit mehr als 30 Jahren wird ein Paradigmen- wechsel gefordert. Welche Integrationsleistungen erbringt der Kindergarten, die Schule, die duale Aus- bildung, die Universität? Sind die Bildungseinrich- tungen inklusiver, interkultureller geworden? Ja und nein: „Wenn ich mal ein türkisches Kind bekomme, werde ich es Halim nennen oder Merve“, sinnierte neulich eine zehnjährige Viertklässlerin mit deutsch-spani- schem Hintergrund. Vollkommen ging die Integra- tionsdebatte auch an ihr nicht vorbei: „Die werden dann nicht mehr so total türkisch sein, ich bin ja auch nicht mehr so total spanisch oder deutsch.“ In den Grundschulen läuft derzeit das Einstufungs- verfahren der Viertklässler auf Hochtouren. Eine aboutpixel.de, Sven Bentrup

Vielfalt– - integrationsagentur-awo.de · dann nicht mehr so total türkisch sein, ich bin ja auch ... dem Kind Achtung vor seinen Eltern, ... Eine Morddrohung habe ich erhalten

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Deutschpflicht auf Schulhöfen Stimmen zur Integrationsdebatte

Der Islam ist eine Hautfarbe Interview: Bleiberechtsregelung

Lehrer mit Migrationsgeschichte AWO Fachtagung

Vielfalt–Das Bildungsmagazin

Winter 2010

Mutter erklärte im Beisein der Kinder, dass dienahe gelegene Gesamtschule Türkisch als Zweit-sprache anbietet, sei ein „K.o.-Argument für dieSchule.“ Dahin kommt Luisa also nicht, weil da„Türken” hingehen werden, die längst Einheimi-sche sind. Auf dem Schulhof hört man Gesprächewie: Wer gut ist, kommt aufs Gymnasium, wer„mittel“ ist, auf die Realschule und die Schlech-ten, die kommen auf die Hauptschule. Die„Schlechten“ wissen mit ihren 9 und 10 Jahren,dass sie abgehängt werden, denn dumm sind sienicht. Was könnten Kinder aus der aktuellen Integrati-onsdebatte mitnehmen? Dass ein Teil von ihnen schlechte Gene hat und

deshalb zum Versagen verurteilt ist? Dass manche Menschen für immer „Ausländer“oder „Fremde“ bleiben?Dass Kinder, die auf dem Pausenhof türkisch spre-chen, sich und anderen schaden?Natürlich ist die Debatte um Integration nicht nurfinster, möglicherweise ist sie sogar notwendig.Schließlich gibt es sie auch, die kritischen, demo-kratischen, betroffenen, engagierten Stimmen,die ebenfalls Gehör finden. Vielfalt - Das Bil-dungsmagazin hat für seine erste Ausgabe einigedavon für Sie eingesammelt. Einen guten Nutzen und Spaß beim Lesen wün-schen Ihnen Mercedes Pascual Iglesias & DonjaAmirpur.

Vor Ihnen liegt die erste Nummer von „Vielfalt -DasBildungsmagazin“.

Diese neue Publikation wird in Zukunft vierteljähr-lich über aktuelle Bildungsthemen und Debatten inNRW berichten, immer auch unter dem Aspekt derTeilhabe von MigrantInnen und ihren Nachkommen.Es erwarten Sie:� aktuelle und regionale Meldungen � Berichte über Bildungsstudien� Reportagen über inklusive Projekte� Tipps zu Medien und Projekten� Dossiers interkultureller und inklusiver Praxis

Vielfalt – Das Bildungsmagazin ist eine Veröffentli-chung aus dem Hause der Integrationsagentur derArbeiterwohlfahrt Bezirksverband Mittelrhein e.V.Sensibilisierung und Information zu den ThemenAntidiskriminierung und Rassismus gehört zu unse-ren Aufgaben.

Integration - eine Frage der Bildung?

Welchen Nutzen hat die aktuelle Integrationsde-batte, welche Folgen wird sie haben? Den Antwor-ten können wir uns annähern durch genauesZuhören und Lesen und indem wir Zwischentöneherausfiltern. Lange schon ermahnt die Pädagogikdie Politik, sich nicht auf die Defizite der jungenMenschen mit Migrationshintergrund zu fokussie-ren. Seit mehr als 30 Jahren wird ein Paradigmen-wechsel gefordert. Welche Integrationsleistungenerbringt der Kindergarten, die Schule, die duale Aus-bildung, die Universität? Sind die Bildungseinrich-tungen inklusiver, interkultureller geworden? Ja und nein:„Wenn ich mal ein türkisches Kind bekomme, werdeich es Halim nennen oder Merve“, sinnierte neulicheine zehnjährige Viertklässlerin mit deutsch-spani-schem Hintergrund. Vollkommen ging die Integra-tionsdebatte auch an ihr nicht vorbei: „Die werdendann nicht mehr so total türkisch sein, ich bin ja auchnicht mehr so total spanisch oder deutsch.“ In den Grundschulen läuft derzeit das Einstufungs-verfahren der Viertklässler auf Hochtouren. Eine

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Deutschpflicht auf Schulhöfen ausgebremst

Debatte / 2

Vielfalt – Das Bildungsmagazin

„Im Unterricht, ganz klar, da soll Deutsch gespro-chen werden. Alles andere gehört zur Privatsphäre.Wenn ein Tscheche sich mit seinem Landsmann un-terhalten will, soll er das auch in seiner Mutterspra-che tun dürfen, auch auf dem Pausenhof oder imBus bei der Klassenfahrt. Ich habe das während mei-ner Auslandszeit in den USA als vollkommen normalbeobachtet, dass man sich außerhalb der Unter-richtsstunden einer Schule auch mit Freunden in sei-ner Muttersprache unterhält, ob deutsch, spanisch,russisch und was auch immer. Dieser kleine privateFreiraum muss gestattet sein, auch hier in „D“. So weit der Internetbeitrag einer Bloggerin in „guteFrage.net“ zum Thema Deutschpflicht auf Schulhö-fen. Die Einstiegsfrage hatte am 28.09. ein Schülerformuliert: „Wir nehmen gerade das Thema Inte-gration in Deutsch durch, und da wollte ich mal fra-gen, was ihr zu der so genannten Deutsch-Pflicht anSchulen denkt? Also, dass man auf dem Schulhof,im Klassenraum, auf Klassenfahrten/-ausflügen etc.nur deutsch sprechen darf. Würde mich mal inter-essieren. Danke schon mal. :D“

INTEGRATIONSDEBATTE IM KLASSENRAUMDie Integrationsdebatte ist in den Klassenräumenund auf den Pausenhöfen der Republik angekom-men. Erneut, wie schon vor sechs Jahren, als be-kannt wurde, dass sich die Berliner Herbert-Hoover-Oberschule im März 2005 auf einer Schulkonferenzentschieden hatte, Deutsch verpflichtend einzufüh-ren, machen sich viele die Entscheidung des Lehre-rInnenkollegiums, der SchülerInnen und der Elternzu eigen und versehen sie mit Zwangs- und Bestra-fungsphantasien. Übrigens: an dieser Berliner Schule wird niemandbestraft, wenn er gegen die freiwillige Verpflich-tungserklärung verstößt.Sowohl die Integrationsbeauftragte der Bundesre-gierung, Maria Böhmer (CDU), als auch FDP-Gene-ralsekretär Christian Lindner brachten das nichtmehr so ganz taufrische Thema „Deutsch als Pflicht-sprache auf Pausenhöfen“ wieder auf die politischeBühne. Lindner: „Es hilft der Integration, wenn dortdeutsch nicht nur im Unterricht gesprochen wird,sondern auch auf dem Pausenhof.“ Aber was ist, wenn sich zwei Jungen zurückziehen,

um in der Ecke des Schulhofs türkisch zu sprechen?Brauchen wir Überwachungskameras und Wanzen?Die Süddeutsche Zeitung vermutet hinter LindnersVorstoß gar ein Konjunkturpaket für arbeitslose Leh-rer. Sondereinsatzgebiet Pausenhof. Kritik an derForderung kam auch von den Grünen. Der integrati-onspolitische Sprecher der Grünen, Memet Kilic, be-merkte, in der öffentlichen Wahrnehmung werdedamit der Eindruck erweckt, Migrantenkinder seiennur deshalb nicht so gut in der Schule, weil sie in derPause in ihrer Muttersprache sprechen. Damit lenkedie Bundesregierung nur von der eigenen Unfähig-keit in der Integrationspolitik ab.

KULTUSMINISTER GEGEN DEUTSCHPFLICHTAm 15. Oktober lehnten schließlich die Kultusmini-ster der Länder auf der Kultusministerkonferenz(KMK) in Berlin die Einführung einer Deutschpflichtentschieden ab und erteilten damit nicht nur der In-tegrationsbeauftragten, sondern auch der „Volks-meinung“ eine Abfuhr. Laut einer Emnid-Umfrageim Auftrag des Magazins Focus unter 1000 Perso-nen hatten sich 75 Prozent dafür ausgesprochen,Deutsch zur Pflicht zu machen. Die Türkische Ge-meinde reagierte erleichtert auf die Stellungnahmeder Länderminister. „Es bedurfte eines Signals derKMK“, sagte der Bundesvorsitzende Kenan Kolat.„Ein Verbot der Muttersprache ist nicht hinnehm-bar.“ Dies wäre ein „Signal der Unterwerfung“ undeine Stigmatisierung von Jugendlichen mit auslän-dischen Wurzeln. Die rheinland-pfälzische Bil-dungsministerin Doris Ahnen (SPD) sagte, die Ideedes Sprachverbots sei „in keiner Weise geeignet“,Integrationsprobleme zu lösen. Der Deutsche Kul-turrat und mehrere Migrantenverbände sprachensich in einer gemeinsamen Erklärung für eine stär-kere interkulturelle Bildung in der Gesellschaft aus.

Die Vielfalt kultureller Ausdrucksformen einschließ-lich der Muttersprache von Zuwanderern müssestärker anerkannt werden, erklärte der Spitzenver-band der Länderkulturverbände in Berlin. Vor allemKinder und Jugendliche bräuchten eine individuelleFörderung unter Berücksichtigung ihres kulturellenHintergrundes, so der Kulturrat. In der Erklärung ver-weisen die Unterzeichner auch auf die UN-Kinder-rechtskonvention.

„Art. 29: Die Bildung des Kindes muss darauf gerich-tet sein ... dem Kind Achtung vor seinen Eltern, seinerkulturellen Identität, seiner Sprache und seinen kul-turellen Werten, den nationalen Werten des Landes,in dem es lebt, - und gegebenenfalls des Landes, ausdem es stammt, sowie vor anderen Kulturen als dereigenen zu vermitteln.“

„Art. 30: In Staaten, in denen es ethnische, religiöseoder linguistische Minderheiten oder Ureinwohnergibt, darf einem Kind, das einer solchen Minderheitangehört oder Ureinwohner ist, nicht das Recht vor-enthalten werden, in Gemeinschaft mit anderen An-gehörigen seiner Gruppe seine eigene Kultur zupflegen, sich zu seiner eigenen Religion zu bekennenund sie auszuüben oder seine eigene Sprache zu ver-wenden.“

Nähere Informationen unter:http://www.bagiv.de/pdf/pe-deutschpflicht-mo.pdfhttp://www.berlin.de/landespressestelle/archiv/2010/10/15/314662/index.html

aboutpixel.de, Steve_ohne_s

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Vielfalt – Das Bildungsmagazin

Eine Morddrohung habe ich erhalten. Meine erste.Ich sollte mich wohl geehrt fühlen. Eine Morddro-hung ist ein Ritterschlag für jeden Meinungsmacher.Wer heutzutage was auf sich hält, schmückt sich mitseinen Kritikern und vor allem mit seinen Bedro-hungen. Je gefährdeter die Person und Meinung,desto wichtiger wird man. Danke. Aber nun zumThema.

Aus gegebenem Anlass - quasi als Dankeschön -schließe ich mich meinen Kritikern an und fordereeinen Stopp der Islamisierung Europas. Auch ichfinde es erschreckend, wie viele Menschen nunplötzlich zu „Muslimen” gemacht werden. Unauf-fällige Bürger Deutschlands, die sich bis dato nie mitReligion oder dem Islam beschäftigt hatten, be-kommen plötzlich ein "Muslim"-Etikett verpasst.Zack! Zum Beispiel meine atheistischeiranische Freundin, die von vielen Deutschen pau-schal unter der Kategorie „Muslimin” geführt wird.Deswegen muss sie ihnen gegenüber ihre Party-gänge und ihren Alkoholkonsum verteidigen. Oderein türkischer laizistischer Bekannter, dem keinSchweinefleisch mehr angeboten wird. Die beidenwurden quasi zwangsislamisiert und hocken nun ineinem Boot mit praktizierenden Muslimen. Und wieviele andere müssen nun auch sie geradestehen füreine Religion, die sie weder kennen noch kennenwollen. Dass wir alle in einem Boot sitzen, ist für uns allesehr ungewohnt. Einige ergeben sich der Rollenzu-schreibung und gehen auf spirituelle Entdekkungs-fahrt.Und - welch Überraschung! - entdecken die Religion

für sich. Yes, die Zwangsislamisierung funktioniertwunderbar. Und die Kopftuchmädchenproduktionwird angekurbelt. Interessant ist doch, wie es zu die-ser Etikettierung kommt: Nicht etwa der türkischeGemüsehändler nimmt sie vor, sondern eben jene,die panisch vor der drohenden IslamisierungEuropas warnen. Jene, die mit dem Finger auf jedephänotypisch undeutsche Person zeigen und „Mos-lem!” rufen. Sie sind es, die meinen Freunden einemuslimische Identität geben, um sie anschließenddarauf zu reduzieren und anzugreifen. Lustigerweisemerken die Pseudokritiker nicht einmal, wie sie diegroß machen, die sie eigentlich klein halten wollen.Muslime in Deutschland sind schon lange nichtmehr nur religiöse Menschen islamischen Glaubens.„Muslime” in Deutschland sind die „Ausländer” vonfrüher, die „Gastarbeiter” von damals. Und auch dieDebatten und Diskussionen drehen sich nicht umden Islam als Religion, sondern um die Muslime alsEthnie. Der Islam wurde ethnisiert.Für manche meiner Freunde ist das Muslimsein in-zwischen wie eine Hautfarbe. Eine fremdbestimmteIdentität. Und die Gesellschaft lässt ein Ablegen die-ser Identität nicht zu.Deshalb kann man bei Islamophobie sehr wohl voneiner Form des Rassismus sprechen. Und der kannnicht durch Aufklärung über den Islam bekämpftwerden, sondern durch Aufklärung über Rassismus. Deshalb, lieber Absender meines ersten Morddroh-briefs: Du bist ein Rassist. Es ist mir wichtig, dass dashier steht. Schwarz auf weiß.

Erstbabdruck in der taz am 10. November 2010.

Kübra Yücel, 22, studiert B.A. Politikwissenschaften an der Universität Hamburg, war ein Jahr lang an der School of Oriental and African Studies (SOAS) in London. Nun wieder zurück in Hamburg, arbeitet sie neben ihrem Studiumals Referentin und freie Journalistin.

Derzeit schreibt sie die Kolumne "Das Tuch" in der taz (Tageszeitung), die dort jeden zweiten Mittwoch im Gesellschafts-teil erscheint. Ihren Blog finden Sie unter http://ein-fremdwoerterbuch.blogspot.com/

Die Autorin:

Der Islam ist eine Hautfarbe

EINE KOLUME VON KÜBRA YÜCEL

Debatte / 3

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Debatte / 4

Vorbild und Vermittler – Lehrer und Lehrerinnen mit Migrationsgeschichte

An deutschen Schulen fehlen Lehrer und Lehrerin-nen mit Migrationshintergrund, lautet eine These inder Diskussion über Bildungsbenachteiligung.Tatsächlich beträgt der Anteil der Lehrkräfte mit Mi-grationsgeschichte geschätzte zwei Prozent in Nord-rhein-Westfalens öffentlichen Schulen. Dabei sindbesonders Lehrer mit Migrationsbiografie Vorbilderfür gelungene Integration und können als Vermitt-ler zwischen den Kulturen fungieren, so das Ergeb-nis einer empirischen Untersuchung der BerlinerErziehungswissenschaftlerin Viola Georgi.

INTERKULTURELLE SCHULENTWICKLUNGBei der umfassenden Befragung von 200 Lehrernund Lehrerinnen mit Migrationshintergrund zeigtesich, dass sie „ein Schlüssel zur interkulturellenSchulentwicklung“ sind. Fast 70 Prozent gaben an,sich in besonderem Maße für den Bildungserfolgvon Kindern aus Einwandererfamilien zu engagie-ren. Ihre Sprachkenntnisse setzen sie als Ressourceein, um besonders zu den Eltern ihrer Schülerinnenund Schüler einen guten Draht zu entwickeln. Achtvon zehn dieser Lehrer fanden, dass sich ihr Einsatzlohne, weil sie das Selbstbewusstsein ihrer migran-tischen Schüler stärken. In Nordrhein-Westfalen entstand auf Initiative desMinisteriums für Schule und Weiterbildung bereitsvor drei Jahren das „Netzwerk Lehrkräfte mit Zu-

wanderungsgeschichte“ mit dem Ziel, mehr Abitu-rienten für den pädagogischen Beruf zu gewinnen.Für die Landeskoordinatorin Dr. Antonietta P. Zeolisind Lehrerinnen und Lehrer mit einer eigenen Mi-grationsbiografie für alle Schüler und SchülerinnenVorbilder. „So wird gesellschaftliche Realität auchim Kollegium der Schulen sachgerecht reflektiert.Heute sind Lehrerzimmer immer noch kein Spiegelder Gesellschaft.“ Mittlerweile zählt das Lehrer-netzwerk knapp 300 Mitglieder aus allen Schulfor-men. Jedes Mitglied hat eine ganz eigeneZuwanderungsgeschichte und hat erfolgreich seineschulische Laufbahn bis hin zum Lehrerberuf ge-meistert. Sowohl Oberstufenschüler- und schüle-rinnen als auch Lehrer und Lehrerinnen mitZuwanderungsgeschichte werden durch die erfah-renen Kollegen und die Koordinatorin unterstützt.

DAS ERFOLGSGEHEIMNISDas Erfolgsgeheimnis des Netzwerkes liegt unter an-derem in der Heterogenität seiner Mitglieder, soZeoli. Zum Angebot des Netzwerkes gehören zumBeispiel Fortbildungen zum Umgang mit Vielfalt anSchulen und eine „kultursensible Laufbahnbera-tung“. Ein Mitglied des Lehrernetzwerks ist der 33-jährigeMahmut Ezikoğlu. Der Lehrer mit türkischen Wur-zeln lebt in der zweiten Generation in Deutschland

und unterrichtet am Grillo-Gymnasium in Gelsen-kirchen Mathematik, Sport und Informatik. An derSchule liegt der Anteil von Schülern mit Migrations-hintergund bei 35 Prozent. Bei knapp sechzig Lehr-kräften unterrichten hier immerhin fünf Lehrer mitZuwanderungsgeschichte.

STRUKTURELLE BARRIERENDie Vorurteile, gegen die potentielle Lehrer wäh-rend ihrer Schulzeit ankämpfen müssten, und die fi-nanziellen Belastungen, die mit einem Studiumeinhergingen, machten ein Lehramtsstudium wenigattraktiv, erklärt der Pädagoge Ezikoğlu: ,,OhneBafög hätten mein Bruder und ich nicht studierenkönnen.”Hat man es erst einmal geschafft, kann der Migrati-onshintergrund durchaus nützlich sein, berichtetEzikoğlu. Den Schülern gegenüber kann man alsVorbild dienen, sie sehen, dass man es mit auslän-dischen Wurzeln durchaus schaffen kann, Lehrer zuwerden. Auch in der Kommunikation mit den Elternkann die andere Herkunft helfen, Kontaktängste ab-zubauen. Ein heterogenes Kollegium ist ein we-sentlicher Beitrag für die interkulturelle Öffnung derSchule.

Maria Pena Ortega und Laura da Silva Carvalho

Vielfalt – Das Bildungsmagazin

Hauptstelle RAA NRW Essen c/o RAA Düsseldorf, Yaman Communications

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Stimmen zur aktuellen Integrationsdebatte„Muss ich Schweinefleisch essen und Bier trinken, um als Deutscher angesehen zu werden?“

ROLAND PREUSS kommentierte am 12.Oktober inder Süddeutschen Zeitung die Aufregung des baye-rischen CSU-Ministerpräsidenten Horst Seehofer.Dieser hatte in einem „7-Punkte-Plan zur Integra-tion“ ein weiteres Mal die Forderung gestellt,Deutschland dürfe kein Einwanderungsland wer-den. „Im Grunde lebt Horst Seehofer bereits in einerWelt, die ihm gefallen müsste, nämlich in der Null-Zuwanderungs-Welt. Denn das, was der CSU-Vor-sitzende am Wochenende so lautstark gefordert hat,den Zuzug aus 'anderen Kulturkreisen' zu stoppen,ist bereits seit Jahren Wirklichkeit in Deutschland.Unter dem Strich gibt es kaum noch Einwandereraus muslimischen Staaten. Vergangenes Jahr zogengut 8000 Menschen mehr in die Türkei als umge-kehrt nach Deutschland kamen: Rentner, die in ihrealte Heimat zurückkehrten beispielsweise. Auchnach Bosnien-Herzegowina wanderten fast 1500Menschen mehr aus als einwanderten. Auswande-rungsland Deutschland - das gilt auch für Muslime.“

Am Rande einer Kölner Party kündigt MESUT A.(Dolmetscher von Beruf) an, er habe seine Bestim-mung gefunden, er sei jetzt Integrationsverweige-rer und er kritisiert: „Kenan Kolat von der TürkischenGemeinde Deutschland benimmt sich wie ein abge-wiesener Liebhaber, der seiner Angebeteten immerwieder seine Vorzüge präsentiert.“

In einem türkischen Imbiss äußerten sich die GästeÖZKAN L. und HASSAN K. zunächst erfreut, zuihrer Meinung in der Integrationsdebatte gefragt zuwerden, bemerkten dann aber, dass es kein Themades Alltags, sondern der Politik und der Medien sei.„Wir sollen unsere Kultur aufgeben, das verstehendie meisten unter Integration, vor allem wenn manaus der Türkei kommt.“ Ein anderer beklagte, dass esaußerhalb der Arbeit keine Orte der Begegnung mitDeutschen gebe.

Die dreißigjährige Studentin MITRA F. sagte beieiner kleinen Befragung, durchgeführt von Bochu-mer Studentinnen im Stadtteil Querenburg: „Ichfühle mich von der Integrationsdebatte nicht ange-griffen. Ich finde es richtig und gut, dass Migrantenin Deutschland besser Deutsch sprechen sollen. Mirbegegnen Deutsche mit viel Respekt, weil ich Phy-sikerin bin. Das ist hier selten. In Iran erging es mirnie so, da war das ganz normal.“

KENAN KOLAT von der Türkischen GemeindeDeutschlands warnt vor dem Hintergrund der Sar-razin-Debatte und verschiedener Studien, wonachdeutsche Jugendliche keine türkischen Nachbarnhaben möchten, vor einem gesellschaftlichenRechtsruck: „Am gefährlichsten ist, dass Rassismusin Deutschland sich wandelt von einem Nazi-Ausse-hen hin zu einem ‚Rassismus in Krawatte’.“

BEATE BLÜGGEL, Leiterin der RAA Köln, findet dieIntegrationsdebatte auf „merkwürdige Weise“ för-derlich. Das Thema beschäftige viele und das seiauch notwendig: „Es ist peinlich, dass diejenigenKinder mit Migrationshintergrund an den deutschenUnis besser abschneiden, die erst nach dem Abiturnach Deutschland kommen. Was sagt das überunser Bildungssystem aus?“

In seiner Rede zum 20. Jahrestag der deutschen Ein-heit äußerte sich BUNDESPRÄSIDENT CHRISTIANWULFF dezidiert zur Integrationsdebatte: „Weildiese Menschen mit ausländischen Wurzeln mirwichtig sind, will ich nicht, dass sie verletzt werdenin durchaus notwendigen Debatten. Legendenbil-dungen, die Zementierung von Vorurteilen und Aus-grenzungen dürfen wir nicht zulassen. Das ist inunserem eigenen nationalen Interesse.“

Aufgelesen / 5

Vielfalt – Das Bildungsmagazin

aboutpixel.de, Sergei Brehm

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Aktuelles / 6

Jubiläum der Hilfsangebote für Zuwanderer-Kinder„Regionale Arbeitsstellen zur Förderung ausländi-scher Kinder und Jugendlicher“ lautete bei ihrerGründung 1980 der Titel der „RAAs“. Mittlerweile istdas Wort „ausländisch“ aus dem Titel durch „aus Zu-wandererfamilien“ ersetzt worden. Diesen Kindern und Jugendlichen stehen die Mitar-beiterInnen der heute 27 nordrhein-westfälischenRAAs mit Förderung und Beratung zur Verfügung.Sprachliche Bildung, Elternarbeit und Interkulturel-les Lernen stehen dabei nach wie vor im Zentrum.Vor dreißig Jahren gab es im Rahmen des Modell-versuchs der „Bund-Länder-Kommission für Bil-dungsfragen“ acht Einrichtungen, deren Dauer aufvier Jahre ausgelegt war. Der Bedarf ist seither ge-

waltig angestiegen. Seit 1986 konnten Kommunenmit einem Zuwandereranteil über dem Landes-durchschnitt mit Hilfe von Landesmitteln eine RAAeinrichten. Zugenommen hat auch die Vielfalt derAufgaben.Im letzten Jahr, erklärt die Referentin der RAA-Hauptstelle in Essen, Livia Daveri, erreichten dieRAAs in Nordrhein-Westfalen mit ihrem interkultu-rellen „Rucksack“-Lernangebot 3755 Familien inKindertagesstätten, zusätzlich 93 Kleinkind-Grup-pen mit dem speziellen Sprachlernkonzept „Griff-bereit“. Erzieherinnen werden ebenso wie Elterninformiert und beraten: „Viele Eltern“, so Daveri,„sind verunsichert zum Beispiel in der Frage, in wel-cher Sprache sie mit ihren Kindern sprechen sollen.

Wir bestärken sie darin, die Sprache zu wählen, inder sie sich und ihre Gefühle am besten ausdrückenkönnen. Wir sagen, man muss alle Sprachen der Kin-der willkommen heißen.“ Integrationsminister Gun-tram Schneider erklärte beim Festakt in Essen am 9.November, die RAAs stünden für die konzeptionelleArbeit beispielsweise im Bereich der frühen Bildungfür die Fortbildung von Erzieherinnen und Lehrkräf-ten, für Beratung und Organisation kommunaler In-tegrationskonzepte, für Vernetzung und Koopera-tion mit anderen Einrichtungen wie z.B. den Mi-grantenselbstorganisationen: „Die Arbeitsstellensind ein Erfolgsmodell.“www.raa.de

Vielfalt – Das Bildungsmagazin

30 Jahre RAA in NRW

aboutpixel.de, Jan Pogarell

Neue Bleiberechtsregelung für geduldete Kinder und JugendlicheMercedes Pascual Iglesias sprach mit Claus-Ulrich Prölß, Flüchtlingsrat Köln, über den Beschluss der Innenministerkonferenz

Auf der letzten Innenministerkonferenz (IMK) wurdebeschlossen, Kindern und Jugendlichen von Flücht-lingen mit Duldungsstatus ein Aufenthaltsrecht un-abhängig von ihren Eltern zu gewähren. Haben dieBeratungsstellen für Flüchtlinge wie der KölnerFlüchtlingsrat bereits konkrete Hinweise erhalten,wie dieser Beschluss in der Praxis umgesetzt wird?

Nein, bislang ist der entsprechende IMK-Beschlussim Wortlaut noch gar nicht veröffentlicht worden.Darüber hinaus wird es die Aufgabe der Bundeslän-der sein, den Beschluss im Rahmen von Erlassenauszuführen.

Es wird davon gesprochen, dass nur Kinder und Ju-gendliche von dieser Neuregelung profitieren sol-len, die gute Schulleistungen erbringen. Heißt das,dass nur Schüler von Gymnasien einen Aufenthalterhalten sollen?Was das genau heißt, ist sicherlich abhängig vomBeschlusswortlaut und den Ausführungsbestim-mungen der Länder. Wir gehen aber davon aus, dassein „erfolgreicher“ Schulbesuch ausreicht, egal auf

welcher Schule.Haben Sie eine erste Einschätzung über die Anzahlder Kinder und Jugendlichen, die von dieser Rege-lung betroffen sein könnten?

Grundsätzlich dürften bundesweit nur rund 4.500bis 5.000 jugendliche Flüchtlinge in Frage kommen.Je nach dem, wie der für diese Regelung erforderli-che „erfolgreiche“ Schulbesuch definiert werdenwird, kann sich die Gesamtzahl der potentiell Be-günstigten noch weiter erheblich reduzieren.

Ist der Beschluss der Innenministerkonferenz ange-messen, um die Probleme der geduldeten Kinderund Jugendlichen in Deutschland zu beheben?

Der IMK-Beschluss erfüllt unsere Erwartungen über-haupt nicht. Auch die Justizministerin Sabine Leu-theuser-Schnarrenberger hatte viel weitergehendeVorstellungen. Was wir vor allem brauchen, ist so-wohl eine neue und dann auch vernünftige Bleibe-rechtsregelung für Flüchtlinge und ihre Familien alsauch die ausländerrechtliche Berücksichtigung desKindeswohls nach der UN-Kinderrechtskonvention.

Wettbewerb http://www.hier.geblieben.net/

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Studie nimmt das Vorleseverhalten von Migrantenfamilien in den Blick

Familien mit Migrationshintergrund legen ein sehrunterschiedliches Vorleseverhalten an den Tag, daszeigt die Studie „Vorlesen und Erzählen in Familienmit Migrationshintergrund“, die von der StiftungLesen, der „Zeit“ und der Deutschen Bahn realisiertwurde. In 36 Prozent dieser Familien lesen die Müt-ter, in 12 Prozent die Väter ihren Kindern täglich vor,in jeder achten Familie liest jedoch niemand vor. DasGleiche gilt für einen zweiten wichtigen Impuls zurVermittlung von Sprach- und Lesekompetenz: dasErzählen von Geschichten. In 30 Prozent der Fami-

lien wird es von der Mutter, in 13 Prozent vom Vatertäglich praktiziert, in fast jeder vierten Familie erzähltallerdings niemand den Kindern Geschichten.Heinrich Kreibich, Hauptgeschäftsführer der StiftungLesen, zieht das Fazit: „Gerade dort, wo weder Vor-lesen noch Erzählen in der familiären Tradition eineRolle spielen, muss so früh wie möglich angesetztwerden, um junge Eltern zu sensibilisieren.” Die Studie finden Sie unterhttp://www.stiftunglesen.de/vorlesestudie/default.aspx

Aktuelles / 7

Ost und West nähern sich an - auch beim Thema Ausländerfeindlichkeit

Vielfalt – Das Bildungsmagazin

Bei der Verbreitung von Ausländerfeindlichkeit unter jungen Deutschen lassensich nach Einschätzungen von Sozialwissenschaftlern des Kriminologischen For-schungsinstituts Niedersachsen keine grundsätzlichen Ost-West-Unterschiedemehr feststellen. Eine Befragung unter 45 000 Jugendlichen habe gezeigt, dasses Gebiete in Ostdeutschland gebe, in denen junge Menschen überhaupt nichtausländerfeindlich eingestellt seien, in einigen Regionen Süddeutschlands hin-

gegen sei diese Haltung durchaus verbreitet.Der Studie folgt nun eine weitere, die sich mit den Ursachen für die ausländer-feindlichen Einstellungen beschäftigt, denn klassische Indikatoren wie Arbeits-losigkeit und niedriges Einkommen stehen nicht mehr zwangsweise im Zusam-menhang mit Ausländerfeindlichkeit. Weitere Informationen unter www.kfn.de

Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) will mehr Männer für denBeruf des Erziehers begeistern. Das berichtete sie Anfang November dem Ham-burger Abendblatt. Mit Umschulungsmaßnahmen möchte die Familienmini-sterin das Fehlen von rund 8000 ErzieherInnen bis 2013 bekämpfen: „Ich binmir ganz sicher, dass gerade ein gestandener Malermeister auf seine Art in den

Kitas super ankommen könnte. Die Kinder lernen Dinge, die ihnen die Erziehe-rin nicht mitgeben kann.“Die Redaktion fragt: „Mit welchen Gehältern will die Ministerin Männer in dieKita locken?“

Mehr Malermeister in deutsche Kitas

aboutpixel.de, Walther Dannehl

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Aktuelles / 8

Wenig Betreuung für die Kleinen - Schlusslicht Nordrhein-Westfalen

Das Land Nordrhein-Westfalen ist weiterhin Schluss-licht bei der Betreuung der unter Dreijährigen (U3).Das geht aus dem jährlich vorgelegten Länderver-gleich des Statistischen Bundesamtes in Wiesbadenhervor. Die Zahl der Kinder unter drei Jahren in Kinderta-gesbetreuung steigt weiter an. Wie das StatistischeBundesamt am 10. November 2010 mitteilte, wur-den im März 2010 rund 472 000 Kinder unter dreiJahren in Kindertageseinrichtungen oder in öffent-lich geförderter Kindertagespflege betreut. Dieswaren 55 000 Kinder mehr als ein Jahr zuvor. DerAnteil der Kinder in Tagesbetreuung an allen Kin-dern dieser Altersgruppe (Betreuungsquote) belief

sich damit bundesweit auf 23,1% (+ 2,7 Prozent-punkte gegenüber 2009).Wie in den Vorjahren war in den ostdeutschen Bun-desländern insgesamt die Betreuungsquote mit48,1% fast dreimal so hoch wie in den westdeut-schen Bundesländern (17,4%). Die höchsten Be-treuungsquoten für Kinder unter drei Jahren gab esin Sachsen-Anhalt (56,0%), gefolgt von Branden-burg (51,0%) und Mecklenburg-Vorpommern(50,8%). Unter den westdeutschen Flächenländernhatte Rheinland-Pfalz mit 20,3% die höchste Be-treuungsquote. Die bundesweit niedrigste Betreu-ungsquote gab es im März 2010 in Nordrhein-West-falen (14,0%).

Es bestehe eine große Unterfinanzierung im Kita-Bereich, erklärte Wolfgang Jörg, jugendpolitischerSprecher der SPD-Fraktion im NRW-Landtag, dasschlechte Abschneiden des bevölkerungsstärkstenBundeslandes. Schuld daran sei die schwarz-gelbeVorgängerregierung. Die Situation stelle sich als ka-tastrophal dar, so Jörg weiter. Die Betreuungsquotemüsse bis 2013 mehr als verdoppelt werden. Die Landesregierung hat zusätzlich mit Folgekostenaus einem Urteil des Verfassungsgerichts in Mün-ster zu rechnen: Danach muss das Land den weite-ren U3-Ausbau bezahlen, nicht die Kommunen.

Vielfalt – Das Bildungsmagazin

Erste Schritte zur SchulreformNach einer Experten-Anhörung im Landtag von Nord-rhein-Westfalen will die rot-grüne Minderheitsregie-rung für das neue Schulhalbjahr ab Januar 2011zunächst folgende Neuerungen beschließen: Kopfno-ten zum Arbeits- und Sozialverhalten in Form von Zif-fern werden abgeschafft. Verbindliche Grundschul-gutachten für weiterführende Schulen wird es nichtmehr geben, stattdessen entscheiden die Eltern. LautGewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) hat-ten sich 40 Prozent der bisherigen Empfehlungen alsunrichtig erwiesen. Zudem soll es den Kommunenfreigestellt werden, Grundschulbezirke einzuführen,die festlegen, welche wohnortnahe Schule ein Kindbesuchen kann.

NRW will Kopfnotentilgen

aboutpixel.de, Timo Platte

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Medientipps

Kitas mit besonderem Sprachförderbedarf könnensich jetzt bewerben.

Weil fehlende Sprachkompetenzen Erfolg in Schuleund Beruf beeinträchtigen können, hat das Bun-desministerium für Familie, Senioren, Frauen undJugend zur Stärkung von Sprachkompetenz von frü-hestem Kindesalter an das Programm „OffensiveFrühe Chancen“ aufgelegt. In den zu fördernden

„Schwerpunkt-Kitas Sprache und Integration“ solldie Betreuungsrelation deutlich verbessert werden.Jede Förder-Kita erhält pro Jahr 25 000 € für eineHalbtagsstelle für zusätzliches besonders qualifi-ziertes Personal, insbesondere zur Sprachförderungunter Dreijähriger.Kitas mit besonderem Sprachförderbedarf, die auchKinder unter drei Jahren betreuen (insgesamt min-destens 40 Kinder), können sich für das neue Pro-

gramm bis zum 15. Dezember 2010 bewerben. Ins-gesamt werden zum Förderbeginn im Frühjahr 2011rund 3000 Einrichtungen ausgewählt, die über-durchschnittlich häufig von Kindern mit besonde-rem Sprachförderbedarf besucht werden. Fragen und Antworten zur Offensive Frühe Chancenfinden sich unter http://www.fruehe-chancen.de/allgemein/dok/6.php

Offensive „Frühe Chancen“

Einige wesentliche Positionen in der Integrationsdebatte hat die Deutsche Presseagentur knapp undanschaulich zusammengefasst: Wer eine Diskussion mit KollegInnen, Eltern und SchülerInnen füh-ren möchte, kann sie sich unter folgender Adresse herunterladen:http://www.gmx.net/themen/nachrichten/ausland/966rx0k-positionen-in-der-integrationsdebatte

Argumente zur Integrationsdebatte

Positionen zur Integrationsdebatte

Integrationsverweigerung, Zuwanderungsstoppund verfehlte Integrationspolitik: Die aktuelle In-tegrationsdebatte wird stark von Schlagworten ge-prägt. Sie werden verwendet, ohne dass dieArgumente bekannt sind, die wir benötigen, umDiskussionen anzuregen und aufzuklären. Darumhaben die Verantwortlichen der Fachbereiche imTeam des Berliner Integrationsbeauftragten kurz-fristig einen kompakten internetbasierten „Argu-mentebaukasten” entwickelt, in dem zentraleBehauptungen und Stereotype aufgegriffen unddurch Fakten ersetzt werden. Ein Teaser ermöglicht die Verlinkung auf IhrerHomepage. Direkter Link zur Baukastenseite: http://www.berlin.de/lb/intmig/schlagworte_der_integrationsdebatte_start.html

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Aus der AWO / 10

ImpressumHerausgeber:ArbeiterwohlfahrtBezirksverband Mittelrhein e.V.IntegrationsagenturDienststelle Venloer Wall 15, 50672 Köln

RedaktionMercedes Pascual Iglesias, Donja Amirpursowie Meike Bogdan, Maria Pena Ortega,Laura da Silva Carvalho, Universität Bochum

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© AWO Bezirksverband Mittelrhein e.V.Abdruck, auch in Auszügen, erwünscht, jedoch nur mit Genehmi-gung des Herausgebers.

„Wir wollen die Bekämpfung der Kinder- und Ju-gendarmut noch stärker als Querschnittsthema an-gehen“, erklärte NRW-Familienministerin UteSchäfer auf der Fachtagung „Bildungsgerechtigkeit/ Keine Zukunft ohne Bildung“ der Landesarbeits-gemeinschaft der Arbeiterwohlfahrt NRW Mitte No-vember in Schwerte. Der Grund: „Jedes vierte Kindin Nordrhein-Westfalen lebt in Armut – immerhin760.000.“ Für die Arbeiterwohlfahrt ist Armut kein neues, son-dern – seit ihrer Gründung vor 90 Jahren – ein zen-trales Thema. Auf der diesjährigen „Armuts“-Tagungstand die fehlende Bildungsgerechtigkeit im Mit-telpunkt. Unter dem Beifall der 200 Teilnehmerin-nen und Teilnehmer der Veranstaltung beklagteBodo Champignon, Vorsitzender der AWO Landes-arbeitsgemeinschaft NRW, nicht nur, dass „diese Tat-sache von Politik und Gesellschaft oftmals nurresignierend zur Kenntnis genommen wird“, son-

dern unterstrich die Forderung nach einer Kinder-grundsicherung, die gemeinsam mit dem DGB, derGEW, dem Deutschen Kinderschutzbund und demParitätischen erhoben wird. „An dieser politischenForderung ändert auch die geplante Einführungeiner Bildungschipkarte durch die Bundesregierungnichts. Es muss unser aller Anliegen sein, Kinder vonGeringverdienern und Hartz IV-Empfängern bil-dungsmäßig nicht zu diskriminieren und zu stig-matisieren“, betonte Champignon. Kindertagesein-richtungen mit U3-Betreuung und der Offene Ganz-tag in den Schulen würden bereits zu mehr Bil-dungsgerechtigkeit beitragen, „die Rahmenbeding-ungen sind aber immer noch nicht geeignet, die Ent-wicklungschancen der Kinder und Jugendlichen –unabhängig von den wirtschaftlichen Gegebenhei-ten des Elternhauses – nachhaltig zu befördern.“

Thomas Kampmann

Fachtagung „Bildungsgerechtigkeit/Keine Zukunft ohne Bildung“

Die Integrationsagentur der Arbeiterwohlfahrt Be-zirksverband Mittelrhein e.V. stellt ihre Arbeits-schwerpunkte in der Broschüre „Blickwechsel:Strukturen schaffen für Integration“ vor. Bestelladresse: [email protected]

Neue Broschüre

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