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Universität Potsdam
Humanwissenschaftliche Fakultät
Department Lehrerbildung/ Bereich Musik
Abteilung: Musikpädagogik und Musikdidaktik
Themenstellerin: Dr. E.-M. Ganschinietz
Masterarbeit im Lehramt Musik
Thema: Szenische Interpretation von Instrumentalmusik-
Ansätze für eine erfahrungserschließende Musikvermittlung
Pfütz, Katharina
Matrikelnummer: 730 466
Master Lehramt Gymnasium
Musik/ Lebensgestaltung-Ethik-
Religionskunde
Eingereicht am 05.08.2010
Flämingstraße 37, 16227 Eberswalde 1. Gutachterin: Dr. E.-M. Ganschinietz
[email protected] 2. Gutachter: Dr. A. Brunner
Inhaltsverzeichnis 1. Zieldefinition und Aufgabenstellung........................................................................... 1
2. Szenische Interpretation von Musiktheater- Theoretische Hintergründe ........................ 4
2.1. Erfahrungserschließende Musikerziehung nach Rudolf Nykrin .............................. 5
2.2. Szenisches Spiel als Vermittlungsmethode im erfahrungsorientierten Unterricht
nach Ingo Scheller ........................................................................................................... 6
2.3. Tätigkeitspsychologisch fundiertes Handlungskonzept nach Wolfgang Martin
Stroh ................................................................................................................................ 8
3. Szenische Interpretation von Musiktheater nach Wolfgang Martin Stroh, Rainer
Brinkmann, Markus Kosuch und Ralf Nebhuth ................................................................ 10
3.1. Begriffsbestimmung ............................................................................................... 10
3.2. Anliegen ................................................................................................................. 11
3.3. Struktur und grundlegende Verfahren .................................................................... 11
3.4. Schaffung eines Erfahrungsraumes ........................................................................ 18
3.5. Zusammenfassung .................................................................................................. 19
4. Szenische Interpretation von Instrumentalmusik .......................................................... 19
4.1. Instrumentalmusik als Szene .................................................................................. 19
4.2. Soziale Situationen eines Instrumentalmusikwerkes und ihre Übertragung in
Spielszenen .................................................................................................................... 20
4.2.1. Die Musik als Szene ........................................................................................ 20
4.2.2. Der Kontext als Szene ..................................................................................... 23
4.2.3. Schlussfolgerungen für die Entwicklung eines Spielkonzepts ........................ 25
4.3. Szenische Interpretation von Instrumentalmusik im erfahrungserschließenden
Musikunterricht ............................................................................................................. 30
4.4. Zusammenfassung .................................................................................................. 35
5. Spielkonzept zum 3. Satz des Klarinettenquintetts op. 115 h-Moll von Johannes
Brahms .............................................................................................................................. 36
5.1. Eignung für eine Szenische Interpretation ............................................................. 36
5.2. Schülerrelevante Kernidee und Musikalisches Hauptziel ...................................... 37
5.3. Voraussetzungen der Lerngruppe ........................................................................... 40
5.4. Verfahren ................................................................................................................ 41
5.4.1. Unterrichtseinheit: Die Musik als Szene ......................................................... 41
5.4.2. Unterrichtseinheit: Der Kontext als Szene ...................................................... 53
5.5. Fazit ........................................................................................................................ 64
6. Zusammenfassung ......................................................................................................... 65
7. Literaturverzeichnis ................................................................................................... 68
Anhang .............................................................................................................................. 72
Material 1: Offene Fantasiereise ................................................................................... 72
Material 2: Arbeitsauftrag zur Entwicklung einer Spielszene ....................................... 73
Material 3: Arbeitsblatt Klarinettenquintett op. 115 h-Moll von Johannes Brahms ..... 74
Material 4: Rollenkarten Szene 1 .................................................................................. 75
Material 5 : Rollenkarten Szene 2 ................................................................................. 76
Material 6 : Rollenkarten Szene 3 ................................................................................. 78
Material 7: Arbeitsauftrag Szene 1 ................................................................................ 79
Material 8: Arbeitsauftrag Szene 2 ................................................................................ 80
Material 9: Partiturausschnitte Szene 2 ......................................................................... 81
Material 10: Arbeitsauftrag Szene 3 .............................................................................. 83
Material 11: Übersicht zu Phasen, Verfahren und Materialien ..................................... 85
Partitur ........................................................................................................................... 87
Eidesstattliche Erklärung............................................................................................... 93
Begleit-CD (Audio) zur Szenischen Interpretation des 3. Satzes des Klarinetten-
quintetts op. 115 h-Moll von Johannes Brahms
- Die Musik als Szene: Track 1-4
- Der Kontext als Szene: Track 5 und 6
Begleit-Präsentation (DVD+R) zur Szenischen Interpretation des 3. Satzes des
Klarinettenquintetts op. 115 h-Moll von Johannes Brahms
- Verfahren im Unterrichtsversuch
1
1. Zieldefinition und Aufgabenstellung
„Es geht im Umgang mit musikalischen Gegenständen nicht mehr darum, herauszube-
kommen, was „der Meister uns sagen will“ […] oder wie ein Werk „richtig“ verstanden
werden soll […]. Es geht vielmehr darum, dass die Beteiligten sich - in einem pädago-
gisch definierten Erfahrungsraum – eine „Bedeutung selbst erarbeiten.“ (Kosuch 2007, S.
14; Hervorhebung im Original)
Die erfahrungserschließende Musikvermittlung geht davon aus, dass nur durch
Erfahrungen gelernt wird. So forderte Rudolf Nykrin bereits in seiner 1978 vorge-
legten „Erfahrungserschließende[n] Musikerziehung: Konzept-Argumente-Bilder“
einen Musikunterricht, der an Erfahrungen der SchülerInnen anknüpft und ihnen
im Umgang mit musikalischen Gegenständen neue musikalische Erfahrungen
ermöglicht. Nur so könne eine „Kompensation und Aufklärung von Erfahrungs-
einschränkungen“ (Nykrin 1978, S. 181) möglich und die Musik den Schüler-
Innen durch Erarbeitung eigener Deutungen zugänglich gemacht werden.
Zu diesem Schluss kommt auch die Musikpädagogin und -wissenschaftlerin
Sigrid Gaiser, die in ihrer Studie „Einstellungen zum Begriff klassische Musik“
von 2008 die Vermittlung klassischer Musik1 im Unterricht betrachtet. Während
die SchülerInnen Rock- und Popmusik in ihrem Alltag durch eigenen Umgang er-
leben und so Erfahrungen damit sammeln können, ist nach Gaiser der vermutlich
einzige Ort der Begegnung mit klassischer Musik der schulische Musikunterricht.
Nach Gaiser sollte dieser deshalb einen „wirkliche[n] Umgang mit Musik“
(Gaiser 2008, S. 48) ermöglichen, in dem er das praktische Erleben und Erfahren
in den Vordergrund rückt. Nur wo eigene Erfahrungen mit Musik gemacht wür-
den, wäre die Entwicklung einer differenzierten Einstellung zu ihr möglich (vgl.
Gaiser 2008, S. 48). Doch wie sieht Musikvermittlung klassischer Musik heute
aus?
Schaut man sich aktuelle Lehrbücher für den Sekundarstufenbereich an, fällt auf,
dass das Vorgehen, vor allem im Bereich der Instrumentalmusik, meist musikana-
lytischer Natur ist. Dabei werden die Werke auf ihre musikalischen Themen und
Motive hin untersucht und musikalische Strukturen und Formen analysiert. Ergän-
zend finden biografische Daten des Komponisten Erwähnung. Eigene musika-
lische Tätigkeit der SchülerInnen erschöpft sich im Nachspielen der Motive und
1 Der Begriff der „klassischen Musik“ wird hier in Anlehnung an Gaiser „in ihrer am häufigsten
gebräuchlichen Deutung: Ernste Musik in Abgrenzung zur Unterhaltungsmusik“ (Gaiser 2008, S.
45) gebraucht.
2
Musizieren von Mitspielsätzen (vgl. Behrend/ Streerath 2008, S. 118, S. 132 u.a.).
Dieser musikanalytische Schwerpunkt zeigt sich auch bei anderen methodischen
Zugängen, wie dem „Visualisieren“ von Klängen, Verläufen oder Formen (vgl.
Heukäufer 2007, S. 249 f.), „Musik malen“ zur Verbildlichung musikalischer
Strukturen und Verläufe (vgl. Heukäufer 2007, S. 182 f.), oder der „personalen“
Interpretation von Musik. Dort werden einzelne Motive als Personen verstanden
und die Musik als ihre Geschichte (vgl. Schmidt 1995) aufgefasst. „Bewegung zur
Musik als Interpretationshilfe“ (vgl. Heukäufer, S. 92, 118 f.) und die Darstellung
als „Verkleidungs- und Rollenspiel“ (vgl. Richter 1993) knüpfen zwar schon an
Erfahrungen der SchülerInnen an, haben aber auch eher Musikanalyse unterstüt-
zende Funktion.
Die Szenische Interpretation von Musiktheater hat einen anderen Ansatz.
Ursprünglich auf Musiktheater und Oper angewendet, inzwischen aber auch
erfolgreich auf Lieder, Umgangsweisen mit Musik und interkulturelle Musik
übertragen (vgl. ISIM2 2006), werden die behandelten Werke durch szenisches
Spielen und musikalische Tätigkeit für die SchülerInnen erleb- und erfahrbar.
Musikanalyse wird in Vorbereitung auf den Spielprozess durch den Spielleiter
durchgeführt, der anhand musikalisch und sozial relevanter Ideen des Werkes
Lernsituationen auswählt und gestaltet.3 Der Weg des musikalischen Lernens
führt dabei über die körperlich-sinnliche Begegnung mit Musik zum „Machen“
musikalischer Erfahrungen (vgl. Schönebeck 1995, S. 24), die innerhalb des
Prozesses reflektiert werden. Es handelt sich hierbei um „Körperlernen“ (Stroh
1994, S. 9).
Die Szenische Interpretation von Musiktheater lernte ich im Rahmen meiner
schulpraktischen Übungen an der Universität Potsdam kennen. Dort unterrichtete
ich eine kurze Einheit zum Musical „West Side Story“, das als ausgearbeitetes
Spielkonzept4 vorliegt (Kosuch/ Stroh 1997). Im Praxissemester konnte ich dieses
Spielkonzept in einer längeren Unterrichtsphase ausprobieren und stellte fest, dass
die SchülerInnen in diesen Stunden mit viel Freude und Spaß am Musikunterricht
2 ISIM: Das „Institut für Szenische Interpretation von Musik und Theater“ ist ein Zusammen-
schluss von Personen und Institutionen, die Szenische Interpretation einsetzen und konzeptionell
weiterentwickeln, sowie ein Forum für Interessierte, die mit dieser Methode arbeiten wollen. 3 So können in einer Lernsituation durchaus musikanalytische Elemente vorhanden sein, diese
dienen aber immer der Verdeutlichung der Kernidee eines Spielkonzepts. 4 Unter dem Begriff „Spielkonzept“ wird eine Spielanleitung mit Verfahren zur Szenischen Inter-
pretation eines konkreten Musikwerks verstanden.
3
teilnahmen. Daraufhin besuchte ich Kurse in Szenischer Interpretation, welche
mich in ihrem Lerngehalt so überzeugten, dass ich mich zu einer Spielleiterausbil-
dung an der Staatsoper Berlin entschloss, um die Methode effektiver im Unter-
richt einsetzen zu können.
Dabei interessierten mich insbesondere die Einsatzmöglichkeiten bei Instrumen-
talmusik, da ich im Praxissemester die Erfahrung machte, dass die SchülerInnen
bei der Beschäftigung mit Instrumentalmusik auf herkömmliche Art gelangweilt
und desinteressiert waren, während sie bei der Szenischen Interpretation von
Musiktheater mit viel Freude agierten. So kam ich auf die Idee Instrumentalmusik
mithilfe der Szenischen Interpretation zu unterrichten, um den SchülerInnen durch
praktisches Erleben und Erfahren einen Zugang zu dieser Musik zu ermöglichen
und darüber hinaus einen Musikunterricht zu gestalten, an dem sie mit Spaß und
Spielfreude teilnehmen.
Bei der Suche nach geeigneten Spielkonzepten fand ich lediglich drei, die sich
überhaupt mit Instrumentalmusik beschäftigten (vgl. ISIM 2006). Zwei von ihnen
waren für den Einsatz in den Sekundarstufen vorgesehen, griffen aber nur Teil-
aspekte der Szenischen Interpretation auf.5 Zudem stieß ich auf einen Aufsatz
Wolfgang Martin Strohs zur „Szenischen Interpretation absoluter Musik“ (Stroh
2007b), der wichtige Überlegungen für die Entwicklung eines Spielkonzepts gibt,
aber keine konkreten Vorschläge macht. An dieser Stelle setzt die vorliegende
Arbeit an, in dem sie ausgehend von theoretischen Überlegungen eine Anwen-
dung von Szenischer Interpretation auf Instrumentalmusik ermöglicht und konkre-
te Vorschläge zu deren Umsetzung im Musikunterricht der Sekundarstufen gibt.
Die Arbeit gliedert sich dafür in einen fachwissenschaftlichen und einen empiri-
schen Teil. Im fachwissenschaftlichen Teil der Arbeit (Kapitel 2-4) wird die Sze-
nische Interpretation von Musiktheater zunächst durch Darlegung von Ursprung
und Entwicklung als Methode im erfahrungserschließenden Musikunterricht
vorgestellt und in ihren zentralen Aspekten beschrieben. In Kapitel 4 wird die An-
wendung Szenischer Interpretation auf Instrumentalmusik theoretisch begründet
und daraus abgeleitet Schlussfolgerungen für den Aufbau eines Spielkonzepts,
Stückauswahl und Anwendbarkeit musikalischer Verfahren gezogen. Da die
5 Bedeutungskonstruktion anhand des zweiten Satzes des Klavierkonzerts Nr. 4 von Beethoven;
sozialgeschichtlicher Kontext eines Werkes anhand des zweiten Streichquartett Schönbergs (vgl.
Stroh 2007a)
4
Szenische Interpretation von Instrumentalmusik als Vermittlungsmethode im
erfahrungserschließenden Musikunterricht eingesetzt werden soll, wird anschlie-
ßend gefragt, welche musikalischen Erfahrungen durch sie ermöglicht werden.
Im empirischen Teil der Arbeit (Kapitel 5) wird exemplarisch ein Spielkonzept
Szenischer Interpretation von Instrumentalmusik zum dritten Satz des Klarinetten-
quintetts von Johannes Brahms sowie seine Erprobung im Grundkurs Musik der
11. Klasse am „Gymnasium Finow“ in Eberswalde vorgestellt. Zu diesem Werk
kam ich zufällig durch einen Artikel von Christoph Richter (2007, S. 3), in dem er
den zweiten Satz des Klarinettenquintetts als Beispiel für das Betrachten von klas-
sischer Musik im Unterricht anführt. Die Annahmen, dass durch Anwendung der
Verfahren der Szenischen Interpretation ein praktisches Erleben und Erfahren von
Instrumentalmusik möglich wird und die SchülerInnen mit Spaß und Freude an
einem so gestalteten Musikunterricht teilnehmen, sollen in der Auswertung der
Unterrichtserprobung überprüft werden.
Für die Bearbeitung des Themas wurde auf Literatur zur Szenischen Interpretation
von Ingo Scheller sowie auf Szenische Interpretation von Musik und Theater
zurückgegriffen. Dort wurde mit dem „Methodenkatalog zur Szenischen Interpre-
tation von Musiktheater“ von Brinkmann, Kosuch, Stroh und Nebhuth von 2001,
diversen Spielkonzepten zu Musiktheaterwerken und Zeitschriftenaufsätzen, in
welchen neuere Unterrichtsversuche, Forschungsansätze und theoretische Kon-
zepte vorgelegt wurden, gearbeitet. Für die Entwicklung des Spielkonzepts habe
ich auf musikwissenschaftliche Literatur zu den relevanten Themen zurückge-
griffen. Wesentliche Quellen waren dabei die Veröffentlichungen der Johannes-
Brahms-Gesellschaft.
2. Szenische Interpretation von Musiktheater- Theoretische Hintergründe
In der reformpädagogischen Bewegung der 1970er Jahre entwickelten sich durch
die Orientierung am Erfahrungshorizont der SchülerInnen neue Formen des
Lernens. Entscheidender Impuls für den Bereich der Musikpädagogik war die
„Erfahrungserschließende Musikerziehung“ von Rudolf Nykrin. Parallel dazu ent-
wickelte Ingo Scheller im Bereich der Literaturpädagogik ein Konzept des erfah-
rungsorientierten Unterrichts, der die Methode der Szenischen Interpretation
zunächst für die Vermittlung von Dramen im Deutschunterricht einsetzte.
5
Im Folgenden sollen beide Linien in ihren für die Szenische Interpretation von
Musiktheater grundlegenden Zügen dargestellt werden. Dabei soll der Schwer-
punkt auf das Verständnis des Begriffs „Erfahrung“ sowie seine Verknüpfung mit
dem Handeln als konstitutive Bedingung gelegt werden.
In Punkt 2.3. finden sich Ausführungen zum tätigkeitspsychologisch fundierten
Handlungskonzept Wolfgang Martin Strohs, welches ausgehend von beiden
Linien eine wissenschaftliche Grundlage für die Szenische Interpretation von
Musiktheater liefert.
2.1. Erfahrungserschließende Musikerziehung nach Rudolf Nykrin
In seiner „Erfahrungserschließenden Musikerziehung“ von 1978 konzipiert
Rudolf Nykrin einen Musikunterricht, der die SchülerInnen mit ihren subjektiven
Erfahrungen in den Mittelpunkt des Unterrichts stellt. Dabei werden diese als
Menschen mit „der Einheit ihrer inneren und äußeren Tätigkeit; mit einem lebens-
geschichtlich gewachsenen Hintergrund; mit je spezifischen und situationsspezi-
fischen Auffassungen und Aktionsweisen; mit einer unverwechselbaren Identität“
(Nykrin 1978, S. 15 f.) angesehen. Der Musikunterricht gestaltet sich demnach als
individuelle Auseinandersetzung der SchülerInnen mit einem Erfahrungsobjekt.
Das Ziel ist es, Erfahrungsdefizite abzubauen: „Allgemeine Aufgabe musika-
lischer Erziehung ist es, die Defizite musikalischer Erfahrung […] zu verringern
oder zu korrigieren“ (Nykrin 1978, S. 129). „Erfahrung“ im Allgemeinen versteht
Nykrin als die „von einer Person zum individuellen (personalen) Handlungs- und
Deutungshintergrund verarbeiteten Wahrnehmungen von Reizen, Situationen
und Geschehnissen, an denen sie beteiligt waren“ (Nykrin 1978, S. 23; Hervorhe-
bung im Original). Diese Beteiligung setzt eine handelnde Tätigkeit voraus, bei
der zum Einen „Aspekte der „Wirklichkeit“ von Musik“ (Nykrin 1978, S. 81) auf-
gegriffen werden und zum Anderen im Prozess der Tätigkeit eine „reflexive Aus-
einandersetzung mit musikalischen Phänomenen“ (Nykrin 1978, S. 83) erfolgt.
Die musikalische Erfahrung lässt sich nach Nykrin von zwei Seiten her be-
trachten. Einerseits trägt musikalische Erfahrung stets einen individuellen Charak-
ter, da sie auf den einzelnen Menschen wirkt. Dazu gehören beispielsweise
Erfahrungen, die aus dem Musikhören resultieren. Diese individuellen Erfah-
rungen sind „personale, als solche unverwechselbare und nicht austauschbare
Lebensdaten“ (Nykrin 1978, S. 40), die sich aufgrund ihrer Individualität schwer
6
kommunizieren lassen. Der Musikunterricht sollte deshalb Kommunikations-
chancen bieten, sich über individuelle musikalische Erfahrungen auszutauschen,
in dem das entsprechende Vokabular für die Kommunikation angeboten und
erarbeitet wird.6 Andererseits trägt die musikalische Erfahrung gesellschaftlichen
Charakter, da sie an „Ausschnitten gesellschaftlicher Musikwirklichkeit“ (Nykrin
1978, S. 36) vollzogen wird. Dabei kann Musik als Teil einer sozialen
Gesamtsituation erfahren werden, in der sie politischen, sozialen oder auch
wirtschaftlichen Einflüssen ausgesetzt und in diese eingebettet ist. Erfahrungen
mit Musik zu machen, heißt somit auch Erfahrungen mit der Gesellschaft zu
machen: „Musikalische Erfahrung ist Erfahrung mit Gesellschaft“ (Nykrin 1978,
S. 36).7
Die musikalischen Erfahrungen zu „erschließen“, das heißt im Unterricht zu re-
konstruieren und zu deuten (vgl. Nykrin 1978, S. 130), bedarf es des Handelns der
SchülerInnen: „Im Handeln erfährt und bildet der Mensch sich selbst und seine
Umwelt“ (Nykrin 1978, S. 134). Dazu sind im Rahmen der Musikerziehung
geeignete Interventionen durch den Lehrer auszuwählen. Einige dieser von Nykrin
vorgeschlagenen Interventionen sind jedoch in der Verknüpfung von Ziel und
Durchführung problematisch. Für die Rekonstruktion und Deutung lebens-
geschichtlich „gemachter“ Erfahrungen schlägt Nykrin beispielsweise das Schrei-
ben eines Aufsatzes zur eigenen musikalischen Erfahrung vor. Fraglich ist, ob die
von ihm selbst als ungenügend eingestufte Fähigkeit der musikbezogenen Kom-
munikation der SchülerInnen für einen solchen Aufsatz ausreichend ist.
2.2. Szenisches Spiel als Vermittlungsmethode im erfahrungsorientierten
Unterricht nach Ingo Scheller
Das Szenische Spiel wurde in den achtziger Jahren mit dem Ziel entwickelt,
SchülerInnen erfahrungs- und handlungsbezogene Zugänge zu literarischen
Texten zu eröffnen. Dabei gab es unterschiedliche Ansätze bezüglich der pädago-
gischen Legitimierung ihres Einsatzes, von denen an dieser Stelle nur derjenige
Ingo Schellers als Grundlage der Szenischen Interpretation von Musiktheater
ausgeführt werden soll.
6 Nykrin fasst dies unter dem Begriff der „musikbezogenen Kommunikationspraxis von Schülern“
(Nykrin 1978, S. 45) zusammen, welche durch musikalische Erziehung erweitert und verfeinert
werden soll. 7 Die Inhalte musikalischer Erfahrungen bleiben bei Nykrin unbestimmt (vgl. Jank 2009, S. 53).
7
Ingo Scheller entwickelte das Szenische Spiel als Bestandteil eines erfahrungs-
orientierten Unterrichts, welchen er als Reaktion auf Erfahrungen als Deutschleh-
rer in unterschiedlichen Schulformen konzipierte. Der vorherrschende Unterricht
war seiner Ansicht nach geprägt von „Problemen, die sich aus der „Verwissen-
schaftlichung“, „Individualisierung“ und der „Entpersonalisierung“ des Unter-
richts“ (Scheller 1987, S. 30) ergaben. Sie führten zur Vermittlung eines auf
Informationen reduzierten Wissens und sorgten dafür, dass die Unterrichtsinhalte
für die Schüler fremd blieben. Dieser unbefriedigende Umstand ließ Scheller nach
Verfahren suchen, die den lustvollen Umgang mit Literatur fördern konnten und
den Kommunikations- und Reflexionsformen der Schüler entsprachen. Er er-
probte und überarbeitete verschiedene theater- und schauspielpädagogische An-
sätze, beispielsweise von Brecht, Stanislawski, Boals und Morenos (vgl. Kosuch
2004, S. 7).
Um den SchülerInnen den Zugang zu literarischen Texten zu ermöglichen, über-
nehmen sie im Szenischen Spiel Rollen und analysieren und interpretieren das
Verhalten der Figuren vor ihrem eigenen Erlebenshorizont. So können die Schü-
lerInnen Bezüge zwischen Inhalten des Textes und der eigenen Lebensbiografie
herstellen. Die im Spiel gemachten Erlebnisse8 werden dabei in unbewussten Hal-
tungen, als „Niederschläge real erlebter körperbestimmter Interaktionen“ (Scheller
1987, S. 59), beispielsweise Gestik, Mimik, Sprechweise und Tonfall, umgesetzt
oder auch in bewussten Haltungen ausgedrückt. Die Erlebnisse werden nach
Scheller zu Erfahrungen9, wenn Entstehung und Wirkung dieser Erlebnisse in der
jeweiligen Situation reflektiert werden. Diese Reflexion, die aus Vergleichen,
Bewerten und bewusstem Erinnern (vgl. Scheller 1987, S. 61) besteht, umfasst
somit eine Interpretation subjektiver Bedeutungen des Erlebten.
Um die Verarbeitung von Erlebnissen zu Erfahrungen zu ermöglichen, muss der
Unterricht zum „Erfahrungsraum“ (Scheller 1987, S. 64) werden. Das Szenische
Spiel bietet diesen Raum, in dem es durch seine Verfahren Erlebnisse ermöglicht
8 Scheller versteht unter Erlebnissen „Reaktionen auf Situationen (Szenen) […] in die Schüler kör-
perlich, emotional, denkend und handelnd eingebunden“ (Scheller 1987, S. 56) sind. Diese Reakti-
on wird durch vorangegangene Erlebnisse, Erwartungen und Erlebnisweisen beeinflusst. 9 Was Scheller unter „Erfahrung“ versteht, wird im Gegensatz zu dem Begriff „Erlebnis“ nicht
explizit ausgeführt. Es lässt sich allerdings aus den weiteren Überlegungen Schellers ein für diese
Arbeit ausreichendes Verständnis formulieren: „Erfahrung ist ein (durch Reflexion) verarbeitetes
Erlebnis“. Dabei bleibt das konkrete Wesen der Erfahrung unklar, der methodische Ansatz
Schellers wird davon jedoch nicht beeinträchtigt.
8
und Verarbeitungsstrategien anbietet. Dabei läuft die Verarbeitung von Erlebnis-
sen zu Erfahrungen in den Schritten Aneignung, Verarbeitung und Veröffentli-
chung von Erfahrung ab.
Als erster Schritt wird das Erlebnis reflektiert und in seiner subjektiven Bedeut-
samkeit geprüft, Scheller spricht in diesem Zusammenhang von einer „Aneignung
von Erfahrung“ (Scheller 1987, S. 64). Dieser Schritt wird individuell durchge-
führt, in dem sich der Einzelne fragt, was ihm an diesem Erlebnis besonders
wichtig ist. Anschließend wird in einem zweiten Schritt die individuelle Ansicht
durch Gespräche mit MitschülerInnen, in Konfrontation mit Anderen gebracht. So
können sich neue Perspektiven eröffnen und eigene Ansichten überdacht werden.
Dabei werden die Erfahrungen verarbeitet. Im dritten Schritt, der „Veröffentli-
chung von Erfahrungen“ (Scheller 1987, S. 67) werden die Ansichten öffentlich
dargestellt und diskutiert. Es erweitert sich der Kreis anderer Perspektiven durch
Vorspielen von Szenen und der anschließenden Diskussion über das Gespielte.
Bei der Beschreibung der drei Schritte in der Umwandlung von Erlebnissen zu
Erfahrungen wird deutlich, wie individuell dieser Vorgang ist. Dem Lehrer
kommt deshalb innerhalb des Szenischen Spiels eine zur herkömmlichen Musik-
vermittlung im schulischen Unterricht veränderte Rolle zu. Ist er sonst derjenige,
der vorgibt, was gelernt wird, so wird er hier zu einem Moderator, der
Lernsituationen und Verfahren anbietet und diese organisiert. Er steuert nicht auf
ein vorgegebenes Lernergebnis für die SchülerInnen hin, sondern lässt Raum für
deren eigene Erfahrungen und Deutungen. Scheller greift diesen Aspekt der
subjektiven Deutung auf, in dem in späteren Veröffentlichungen statt von Sze-
nischem „Spiel“ von „Interpretation“ die Rede ist.
2.3. Tätigkeitspsychologisch fundiertes Handlungskonzept nach Wolfgang
Martin Stroh
Mitte der 1980er Jahre begann die Übertragung der Szenischen Interpretation von
Dramen auf Musiktheaterwerke, um diese im Musikunterricht an allgemeinbil-
denden Schulen zu vermitteln. Wolfgang Martin Stroh formulierte dafür ein Kon-
zept, das den Erfahrungsbegriff Schellers aufgriff, diesen auf die Beschäftigung
mit Musik im Unterricht bezog und dabei Ansätze der Tätigkeitspsychologen
Rubinstein und Leontjew aufgriff. Grundlegend für dieses Konzept ist die
Unterscheidung von Handlung und Tätigkeit.
9
Als Bezugsbegriff für die Musikpädagogik gilt für Stroh der „musikalisch tätige
Mensch“ (Stroh 1999, S. 9), weshalb sich diese mit einer Analyse musikalischer
Tätigkeiten zu beschäftigen habe. Während Handlungen auf ein Ziel ausgerichtet
sind, werden Tätigkeiten durch Motive initiiert, musikalische Tätigkeiten also
durch musikalische Motive. Diese müssen weder bewusst noch sichtbar sein: „Die
Tätigkeitsebene gibt der Handlung ihren Sinn, stellt die Motive für das Handeln
bereit und bildet den (meist nicht bewußten [!]) Rahmen für konkretes Handeln.“
(Oerter 1993, S. 262) Das Motiv einer Tätigkeit entwickelt sich aus den Bedürf-
nissen des Individuums (vgl. Leontjew 1987, S. 101), die sich im Rahmen ihrer
Realisierung in Handlungen weiterentwickeln. So verändert der tätige Mensch
durch seine Handlungen nicht nur seine Umwelt, sondern durch die Weiterent-
wicklung seiner Bedürfnisse auch sich selbst. Dies wird als „Aneignung von
Wirklichkeit“ bezeichnet. Auf musikalische Tätigkeit bezogen heißt das:
„Aneignung beinhaltet […] jedwede Form der Musikrezeption, die darin besteht, daß [!]
Musikstrukturen an vorhandene Schemata assimiliert oder zu neuen internalen Ordnungen
aufgebaut werden.“ (Oerter 1993, S. 255)
Die musikalische Tätigkeit „ist Aneignung von Wirklichkeit mit musikalischen
Mitteln“ (Stroh 1999, S. 11) und somit ein aktiver Prozess. Sie geht über das
Erlernen musikalischer Fertigkeiten hinaus und lässt eine umfassendere
Aneignung von Wirklichkeit zu, in dem beispielsweise bei einem politischen Lied
nicht nur das Lied selbst gesungen, sondern auch eine Singhaltung eingenommen
wird, bei der die Aussage des Textes ausgedrückt, kommentiert und so reflektiert
wird.
„Erfahrungen“ sind für Stroh Ergebnisse von Handlungen und somit auf Tätig-
keiten angewiesen. Ein Musikunterricht, der Erfahrungen ermöglichen will, kann
deshalb nicht bei der Planung von Handlungen stehenbleiben, sondern muss die
Analyse von Tätigkeitsmotiven einbeziehen, um ihre Wichtigkeit für die Aneig-
nung von Wirklichkeit zu verdeutlichen. Nach Stroh geschieht genau das bei der
Szenischen Interpretation, in dem den SchülerInnen aus einer Rollenperspektive
heraus Motive für das Handeln anderer Menschen bewusst werden:
„Sie übernehmen im Sinne des „Probehandelns“ solche Motive aus einer Rollendistanz
heraus und erfahren, was es für die „Aneignung von Wirklichkeit“ bedeutet, derart
motiviert tätig zu sein.“ (Stroh 1999, S. 13)
Durch die Verschränkung der Lebenswirklichkeit der SchülerInnen und der Wirk-
lichkeit des Werkes, kann Musik „verstanden“ werden (vgl. Stroh 1999, S. 11).
10
3. Szenische Interpretation von Musiktheater nach Wolfgang Martin Stroh,
Rainer Brinkmann, Markus Kosuch und Ralf Nebhuth
Im Folgenden wird die Szenische Interpretation von Musiktheater vorgestellt.
Dabei sollen zentrale Aspekte der Interpretationsmethode, die bei einer
Anwendung auf Instrumentalmusik aufgegriffen werden müssen, deutlich
gemacht werden.
3.1. Begriffsbestimmung
Die Szenische Interpretation von Musiktheater ist eine musikbezogene Weiterent-
wicklung des Szenischen Spiels nach Ingo Scheller. Ihre Besonderheit liegt in
ihrem konstruktivistischen Ansatz. Szenische Interpretation geht davon aus, dass
das Individuum die Bedeutung des betrachteten Gegenstands, ob Musiktheater
oder Lied, aufgrund seiner persönlichen Lebenserfahrungen konstruiert. So wer-
den die während des szenischen Spielens entstandenen Situationen sowie Äuße-
rungen, Verhaltensweisen und Motive der darin handelnden Figuren durch die
SchülerInnen gedeutet. Dabei ist die Szenische Interpretation keinesfalls „willkür-
lich oder subjektivistisch, weil sie unter Anleitung eines Spielleiters stattfindet,
der darauf achtet, dass die individuellen Bedeutungskonstruktionen veröffentlicht,
zur Diskussion gestellt und in einer Gruppe reflektiert werden.“ (ISIM 2006).
Die einzelnen Verfahren der Methode sind auf eine pädagogisch inszenierte Dar-
stellung von Inhalten „durch Gruppen unter wesentlicher Zuhilfenahme der Ele-
mente des Körper- und Bewegungsausdruckes sowie der Körpersprache“ (ISIM
2006) ausgerichtet. Zum szenischen Spielen kommt die musikalische Tätigkeit
hinzu, die eine weitere Interpretationsebene öffnet. Zugunsten des szenischen
Spielens werden herkömmliche musikalische Tätigkeiten wie Singen oder Instru-
mentalspiel zurückgenommen und durch Haltungen zur Musik oder gestisches
Singen ersetzt (vgl. Stroh 2007a). Die musikalische Tätigkeit ist dabei an eine
sozialhistorische, politische oder gesellschaftliche Situation gebunden, die ihren
Ausgangspunkt in der sozialen Gesamtsituation des Werkes hat. Jene wird
zunächst spielerisch erfahren, um dann einzelne Teile musikalisch zu erarbeiten
(vgl. Jank 2009, S. 181).
11
3.2. Anliegen
Ziel der Szenischen Interpretation ist es, dass sich die Spielenden „Musik auf eine
aktive, selbstbestimmte, bewusste und soziale Art und Weise aneignen“ (Stroh
2007b, S. 7). Dabei wird das Musikwerk selbst als eine Form der Wirklichkeitsan-
eignung betrachtet, da in ihm Erlebnisse und Erfahrungen von Menschen verar-
beitet sind. Die SchülerInnen werden bei der Szenischen Interpretation selbst
tätig, eigene Fantasien und Ideen werden aufgegriffen, umgesetzt und durch Ein-
satz reflexiver Verfahren bewusst gemacht. All dies geschieht in einer sozialen
Gruppe, in der die SchülerInnen miteinander agieren und aufeinander eingehen
müssen. Durch diese Art der Auseinandersetzung mit Musik findet die Auflösung
eines spezifischen „Kunstwerkcharakters“ (Stroh 1994, S. 17) statt und macht das
musikalische Werk für die SchülerInnen und ihre Erfahrungswelt durch subjektive
Deutung zugänglich.
Lernen, als „das angeleitete Machen von Erfahrungen“ (Nebhuth/ Stroh 1990, S.
10), beschränkt sich dabei nicht auf musikalische Erfahrungen.10
In einem Werk
sind durch die dort enthaltene Wirklichkeit Themen erkennbar, die auch den Erfa-
hrungsalltag der SchülerInnen bestimmen.11
Durch Reflexionsverfahren werden
die SchülerInnen angestoßen eigene Ansichten zum Thema zu hinterfragen und so
immer auch etwas über sich selbst zu erfahren.
3.3. Struktur und grundlegende Verfahren
Strukturiert wird der Prozess der Szenischen Interpretation von Musiktheater
durch den Ablauf in Phasen. So wird eine intensive Auseinandersetzung mit dem
Musikwerk gewährleistet.
Phase 1: Vorbereitung
Phase 2: Einfühlung
Phase 3: Szenisch-musikalische Arbeit
Phase 4: Ausfühlung
Phase 5: Reflexion
10
Zur Schwierigkeit des Begriffs der „musikalischen Erfahrung“ siehe Punkt 4.3., S. 32 f. 11
So wird beispielsweise in der Oper „Carmen“ die „Geschlechterrolle“ jener Zeit thematisiert
(vgl. Nebhuht/ Stroh 1990).
12
Während in kurzen Unterrichtseinheiten oder Verwendung einzelner Bausteine im
Unterricht die Phasen der Vorbereitung und Ausfühlung weggelassen werden
können, ist das Vorhandensein der Phasen Einfühlung, Szenisch-musikalische
Arbeit und Reflexion für die Szenische Interpretation konstitutiv (vgl. Brinkmann/
Kosuch/ Stroh 2001, S. 4). Dabei erfolgt Reflexion als Phase am Ende des
Spielprozesses, um durch Aufarbeiten des Gesamtprozesses die Umwandlung von
Erlebnissen zu Erfahrungen zu ermöglichen. Darüber hinaus steht sie in Wechsel-
beziehung zur szenisch-musikalischen Arbeit, in dem dort reflexive Verfahren
integriert werden, um Erlebnisse „an Ort und Stelle“ zu Erfahrungen zu verarbei-
ten: „Die Integration eines Reflexionsprozesses in den Spiel- und Arbeitsprozess
selbst ist einer der wichtigsten Aspekte szenischer Interpretation.“ (Kosuch 2007,
S. 11) Auch Verfahren der Einfühlung können in die Szenisch-musikalische
Arbeit mit einfließen, etwa wenn dort Figuren in oder nach Szenen nach ihren
Erlebnissen und Gedanken befragt werden. Insgesamt lässt sich sagen, dass sich
die Phasen nicht klar gegeneinander abgrenzen lassen, sondern für das jeweilige
Spielkonzept sinnvoll ineinandergreifen.
Für das Verständnis der Szenischen Interpretation von Musiktheater und ihre
spätere Übertragung auf Instrumentalmusik sollen die Phasen mit ihrem Anliegen
und grundlegenden Verfahren kurz vorgestellt werden.12
Phase 1: Vorbereitung
In der Phase der Vorbereitung wird der Spielraum für die Szenische Interpretation
strukturiert. Dazu gehört das Herrichten einer Spielfläche zu Beginn des Spielpro-
zesses, die durch Kreidestriche auf dem Boden oder symbolische Barrieren wie
Stühle in den Ecken begrenzt wird und für alle einsehbar ist. Für einzelne Szenen
positionieren die darin agierenden SpielerInnen Requisiten auf der Spielfläche
und erklären diese. Für Brinkmann, Kosuch und Stroh (2001, S. 9) ist das
12
Die Ausführungen stützen sich im Wesentlichen auf den Methodenkatalog von Brinkmann,
Kosuch und Stroh (2001).
Vorbereitung
reitun
reitung
… des Spielraumes … szenisch- musikalischer
Arbeit durch Warm-Ups … der Einfühlung
13
„Herrichten des Spielraumes […] selbst ein „theatralischer Akt“ und sollte mit
entsprechender Zeit und Sorgfalt durchgeführt werden. Die Einfühlung kann
durch das Ausgeben von Rollenkarten und die Erstellung von Besetzungslisten
vorbereitet werden.
Die szenisch-musikalische Arbeit wird durch Warm-Ups vorbereitet. Diese
weisen einen inhaltlichen Bezug zum Spielkonzept auf und gehen auf musika-
lische Basiserfahrungen zurück (vgl. Stroh 2007a, S. 91), die so elementar wie nur
möglich sind. Dabei kann es sich um einen für das Werk typischen Klang, ein vor-
herrschendes Rhythmusmodell, einen grundlegenden Bewegungsablauf oder eine
Geste handeln. Durch Ausprobieren unterschiedlicher Körperhaltungen kann auch
schon in die szenische Arbeit eingeführt werden. Insgesamt können Warm-Ups
die bei vielen SchülerInnen vorliegenden Hemmungen in Bezug auf eigenes
Singen und Bewegen lockern.
Phase 2: Einfühlung
Die Einfühlungsphase ist von enormer Wichtigkeit, da das gesamte Geschehen im
Spielprozess zwischen Ein- und Ausfühlung aus der Rolle heraus erlebt wird (vgl.
Brinkmann/ Kosuch/ Stroh 2001, S. 10). Die Phase dient dem Aufbau eines Rol-
lenschutzes, aus dem heraus ein Zugang zu den Motiven der gespielten Figur
möglich wird, ohne eigene Ansichten offenbaren zu müssen.
„Die Schülerinnen und Schüler müssen sich von ihrer eigenen Situation lösen und sich
auf fremde Perspektiven und Haltungen einlassen, müssen sich in Figuren hineinversetzen
und deren bewusste und unbewusste Handlungsmotive ergründen. Sie müssen erforschen,
welche Wahrnehmungen und Empfindungen, welche Erwartungen, Intentionen und
Wünsche die Figuren umtreiben und welche Aspekte ihr Verhalten beeinflusst haben
könnte“ (Scheller 2004, S. 50)
Hinzu kommt die Möglichkeit im Schutz der Rolle auch ungewöhnliches sogar
von der Norm abweichendes Verhalten öffentlich darstellen zu können, ohne
dafür sanktioniert zu werden. Dies kann nur durch eine systematische Anleitung
der Einfühlung erreicht werden (vgl. Brinkmann/ Kosuch/ Stroh 2001, S. 51).
Ebenen der Einfühlung
In Rollen, Gruppen
oder soziale Milieus In komplexe
Situationen, Konflikte
oder Szenen
In einzelne
Handlungen
14
Die Einfühlung in Rollen, Gruppen oder soziale Milieus geht aller szenisch-
musikalischen Arbeit voraus. Zur individuellen Einfühlung gehört neben dem
Lesen von Rollenkarten und dem Schreiben einer Rollenbiografie auch die sze-
nische Arbeit mit Haltungen, wie das Erproben individueller körperlicher
Haltungen und Verhaltensweisen und das Entwickeln einer Sprechhaltung.
Anschließend kann durch Informationsmaterial zur historischen Situation eine
kollektive Einfühlung in Lebenssituation und Sozialisation der Figuren
durchgeführt werden. Ebenfalls möglich ist eine musikbegleitete Fantasiereise, die
zum historischen Ort der Handlung führt.
Die Einfühlung in Situationen, Konflikte oder Szenen erfolgt während der
szenisch-musikalischen Arbeit. Hierfür eignet sich insbesondere die Darstellung
von Figurenkonstellationen, bei denen Beziehungen und mögliche Abhängigkei-
ten der Figuren untereinander deutlich werden. Darüber hinaus können die Fi-
guren nach ihren Erwartungen, Hoffnungen und Ängsten in Bezug auf die kom-
mende Spielphase befragt werden. Die SchülerInnen werden sich so über die
Beweggründe ihrer Rolle klar und können diese in das szenische Spiel einfließen
lassen.
Die dritte Ebene der Einfühlung betrifft die einzelne Handlung während des
szenischen Spiels. Dabei werden in und nach der Szene Rollenbefragungen durch-
geführt. Der Spielleiter „fragt nach Geschehnissen, den Erlebnissen, den Konse-
quenzen und dem, was die Figuren gerade übereinander denken“ (Brinkmann/
Kosuch/ Stroh 2001, S. 19). Es werden „Erlebnisgespräche“ geführt, bei dem die
SpielerInnen „im Dialog mit dem Spielleiter das Erlebte noch einmal Revue
passieren lassen und aus ihren Rollen heraus dazu Stellung nehmen“ (Scheller
2004, S. 55). Das Bewusstwerden der gemachten Erlebnisse fördert das
Verarbeiten zu Erfahrungen im Rahmen der Reflexion.
Phase 3: Szenisch-musikalische Arbeit
Szenisch-musikalische
Arbeit
Präsentation
Haltungen
Bilder
Präsentation
Szenisches Spielen
15
Der Begriff der „Haltung“ ist ein zentraler Begriff der Interpretationsmethode:
„Wenn ich hier von Haltungen spreche, dann meine ich damit nicht nur das, was jemand
über seinen Körper, also über Körperhaltung (etwa Kopf-, Rumpf-, Arm- und Beinstel-
lungen und – bewegungen), Gebärden und Mimik ausdrückt, sondern das Gesamt von
inneren Einstellungen, Gefühlen, Vorstellungen und sozialen Orientierungen und äußeren
körperlichen und sprachlichen Ausdrucks- und Handlungsweisen, wie es sich in verschie-
denen sozialen Situationen realisiert.“ (Scheller 1987, S. 59)
Haltung meint hier sowohl einen äußeren körperbezogenen Ausdruck wie auch
einen nach außen getragenen inneren Ausdruck. Beide sind oftmals der bewussten
Kontrolle entzogen und können somit in der Selbst- und Fremdwahrnehmung ver-
schieden sein (vgl. Scheller 1987, S. 59). Eine Arbeit mit Haltungen ist also
gleichzeitig schon eine Reflexion äußerer und innerer Ausdrücke.
Im Methodenkatalog von Brinkmann, Kosuch und Stroh wird der Begriff der
Haltung von Scheller um Haltungen „die musikalisch vermittelt sind“
(Brinkmann/ Kosuch/ Stroh 2001, S. 21) erweitert. Dazu gehören Hör-, Sing- und
(instrumental-musikalische) Spielhaltungen. So werden rein szenische Haltungen
mit musikalischen Tätigkeiten in Verbindung gebracht und die szenischen Vor-
gänge, aus denen die Haltungen resultieren, gleichzeitig durch sie interpretiert.
Dabei können Geh- und Körperhaltungen von Figuren zur Musik eingenommen
und bei Veränderung der Musik angepasst werden. Auch können individuelle, zu
Text und Charakter der Musik passende, Singhaltungen eingenommen werden.13
Während die Haltung etwas Dynamisches ist, handelt es sich bei Bildern um
Verfahren, in denen eine Handlung fixiert ist, also eine „fotografische Moment-
aufnahme“ (Brinkmann/ Kosuch/ Stroh 2001, S. 29). Dazu werden Standbilder,
Soziogramme oder Denkmäler gebaut, modelliert und kommentiert. Die ersten
beiden stellen die Figuren in bestimmten Situationen mit ihren Beziehungen zu-
einander dar. So können Erwartungen, Empfindungen, Zuneigung, Abneigung etc.
öffentlich dargestellt werden. Denkmäler hingegen zeigen auf einer abstrakteren
Ebene Begriffe, welche zentral für das Geschehen sind.
Das szenische Spielen umfasst den Bereich des Spielens mit vorgegebenem Text
und die szenische Improvisation. Beim Spielen mit Text erfolgt ein beabsichtigter
Verfremdungseffekt, der dem Rollenschutz dient (vgl. Brinkmann/ Kosuch/ Stroh
2001, S. 37). Dieses szenische Spielen kann auch zur Musik erfolgen, etwa wenn
im Musiktheaterwerk ein Dialog von Musik untermalt wird. Bei der szenischen
13
Spezifisch musikalische Verfahren der Szenischen Interpretation von Musiktheater werden unter
Punkt 4.2.3., S. 26 f. ausführlicher aufgegriffen.
16
Improvisation werden keine festen Szenenabläufe dargestellt, sondern ein be-
stimmtes Problem, eine Situation oder eine Beziehungsstruktur mit ihren verschie-
denen Lösungsmöglichkeiten durchgespielt.
Zur Verarbeitung von Erlebnissen zu Erfahrungen ist nach Scheller die
„Veröffentlichung“ nötig. Brinkmann, Kosuch und Stroh nennen diesen Vorgang
Präsentation. Damit ist jedoch keine Präsentation im Sinne einer Aufführung vor
Publikum gemeint. Vielmehr bezieht es sich auf die Veröffentlichung von Ergeb-
nissen aus der Einfühlungsphase und in der szenisch-musikalischen Arbeit ent-
standenen Haltungen und Bildern. So können Rollenbiografien vorgelesen sowie
Figuren mit ihren individuellen Haltungen präsentiert werden. Die beschriebene
szenisch-musikalische Arbeit weist eine Körperorientierung auf, die den Schüler-
Innen die ungewohnte musikalische Tätigkeit und ihre Veröffentlichung erleich-
tert.
„[Die] körperbezogenen Spielsituationen erleichtern es den SchülerInnen ganz erheblich
musikalische Gesten frei zu äußern, musikalische Haltungen einzunehmen, sich zu Musik
zu bewegen und auf Instrumenten zu spielen. Im szenischen Spiel ist die musikalische
Tätigkeit ja eine Inszenierung und keine Konzertvorführung!“ (Stroh 1994, S. 13)
Phase 4: Ausfühlung
Nach der szenisch-musikalischen Arbeit einer Szene erfolgt die Ausfühlung.
Diese „ist der zur Einfühlung komplementäre Prozeß [!]: die TeilnehmerInnen
werden aus ihrer Rolle entlassen. Die Ausfühlung findet noch in der Szene statt,
die TeilnehmerInnen befinden sich noch in ihrer Rolle“ (Brinkmann/ Kosuch/
Stroh 2001, S. 50). Die SpielerInnen bleiben auf der Spielfläche und der Spiellei-
ter führt mit ihnen ein Gespräch, bei welchem gefragt wird, was die Figur gerade
denkt, fühlt, erwartet und weiterhin vorhat. Diese Ausfühlung ist individuell auf
die jeweilige Figur ausgerichtet. Eine andere Möglichkeit der Ausfühlung ist die
Ausrichtung auf das Geschehene, indem die Figuren befragt werden, was gerade
Ebenen der Ausfühlung
Aus Rollen, Gruppen
oder soziale Milieus Aus einzelnen
Handlungen
Aus komplexen
Situationen, Konflikten
oder Szenen
17
vorgefallen ist. Diese Formen der Ausfühlung werden als Ausfühlung aus Hand-
lungen oder komplexen Situationen durchgeführt.
Bei der Ausfühlung als eigenständiger Phase verabschieden sich die SchülerInnen
gemeinsam von ihrer Rolle, etwa durch Abwerfen eines ihre Rolle symboli-
sierenden Kleidungsstücks in die Kreismitte (Vgl. Brinkmann/ Kosuch/ Stroh
2001, S. 51). Den SchülerInnen soll so bewusst werden, dass sie nun nicht mehr
aus ihrer Rolle heraus agieren, sondern wieder als sie selbst.
Phase 5: Reflexion
Durch Reflexion in der Rolle werden durch Deutung und Verfremdung des Wahr-
genommenen Voraussetzungen, Wirkungen und mögliche Alternativen zum
Handlungsgeschehen sichtbar gemacht. Dazu werden die SchülerInnen nach ein-
zelnen Szenen mit Perspektiven anderer SpielerInnen oder BeobachterInnen,
welche nicht selbst in der Szene agieren, konfrontiert. So werden äußere Verhal-
tensweisen, durch Nachahmen von Haltungen oder das Modellieren von Stand-
bildern zur Analyse von Beziehungskonstellationen, gedeutet. Die szenischen
Verfahren werden hier zu reflexiven Verfahren.
Die erfahrungs- und sachbezogene Reflexion außerhalb der Rolle stellt eine in
sich geschlossene Phase dar. Es handelt sich um ein Feedback, welches
Brinkmann, Kosuch und Stroh in ihrem Methodenkatalog als „Rückkopp-
lungsprozess“ (2001, S. 53) verstehen. Dabei werden zunächst erfahrungsbezogen
Gefühle, Beobachtungen etc. im Rahmen eines „Blitzlichts“ veröffentlicht.
Sachbezogen können Stellungnahmen zu konkreten Spielszenen gemacht werden.
„Bei der Spielerreflexion schließlich bringen die Schüler selbst zum Ausdruck, wie sie
sich selbst und andere im Spiel und in der Rolle wahrgenommen und erlebt haben, welche
Emotionen und Erinnerungen dabei wachgerufen wurden und wie sie die Rolle und das
Verhalten der Figur, die sie übernommen haben, einschätzen. Diese Form der Reflexion
ist für die Spielerinnen und Spieler auch deshalb wichtig, weil sie ihnen Gelegenheit gibt,
sich wieder von der Rolle zu lösen bzw. sich von ihr zu distanzieren und eigene Erleb-
nisse zu verarbeiten.“ (Scheller 2004, S. 57)
Die Reflexion ist die wichtigste Phase der Szenischen Interpretation, da in ihr die
Erlebnisse zu Erfahrungen verarbeitet werden.
Reflexion
In der Rolle
Außerhalb der Rolle
18
3.4. Schaffung eines Erfahrungsraumes
Die beschriebenen Phasen dienen, über ihr jeweiliges Anliegen hinaus, der Struk-
turierung eines Erfahrungsraumes zum „Verstehen von Musik“ durch Bedeu-
tungskonstruktion (vgl. Kosuch 2007, S. 11). Dieser Erfahrungsraum wird durch
Warm-Ups geöffnet und mit dem Einfühlen in die Rollenperspektive betreten. Bei
der szenisch-musikalischen Arbeit haben die SpielerInnen die Möglichkeit sich
„kreativ forschend und handelnd im Erfahrungsraum zu bewegen“ (Kosuch 2007,
S. 11; Hervorhebung im Original). In der Phase der Ausfühlung wird der
Erfahrungsraum wieder verlassen und in der Reflexionsphase noch einmal be-
trachtet und dem „eigenen Verstehen zugänglich“ (Kosuch 2007, S. 11) gemacht.
Am Ende der Szenischen Interpretation schließt sich dieser Erfahrungsraum
wieder. Der Raum wird während des Vorgangs durch die Methode der Szenischen
Interpretation, den Interpretierenden mit seinem sozialen und biografischen Hin-
tergrund sowie den äußeren Gegenstand, dem Musikwerk, begrenzt.
Der während der Szenischen Interpretation entstehende Erfahrungsraum wird
durch den Spielleiter zur Verfügung gestellt.
„Er moderiert und inszeniert den Interpretationsprozess, den Prozess der Begegnung mit
Musik, indem er Spielregeln definiert. Er ist nicht Musik-/ Kunstvermittler im Sinne des
Belehrenden oder des über Musik Informierenden. […] Er öffnet den Spiel-Raum, der in-
haltlich von den Beteiligten/ Spielern gefüllt wird und in dem diese ihre (gemeinsame)
Interpretation von Musik entwickeln, Bedeutung von Musik konstruieren.“ (Kosuch 2007,
S. 15)
Dafür plant der Spielleiter inhaltlich, ziel- und situationsorientiert den Einsatz
szenischer Verfahren und stellt Material für diese zur Verfügung. Zudem muss er
die Methoden anschaulich erklären und vorführen können, denn nur durch eine
korrekte Anwendung der Verfahren kann das Ziel des „Erfahrungen-Machens“ er-
reicht werden. Man könnte den Spielleiter deshalb auch als „Prozessorganisator“
(Kosuch 2007, S. 15) bezeichnen. Daneben ist er Impulsgeber und Beobachter. Er
greift inhaltliche Entscheidungen der SchülerInnen auf und kann diese vertiefen
lassen, außerdem ist er in Rollengesprächen Gesprächspartner und gibt Impulse
für die Reflexion. Als Beobachter achtet der Spielleiter auf die Einhaltung des
Rollenschutzes und gibt den SchülerInnen damit Sicherheit für das szenische
Spielen und die Reflexion (vgl. Scheller 2004, S. 59).
19
3.5. Zusammenfassung
Die Szenische Interpretation von Musiktheater wird strukturiert durch den Ablauf
in fünf Phasen, der die Schaffung eines Erfahrungsraumes zur Aneignung von
Wirklichkeit durch Bedeutungskonstruktion ermöglicht. Dazu bedarf es einer die-
sen Konstruktionsprozess unterstützenden Auswahl geeigneter Verfahren durch
den Spielleiter. Dieser begreift sich als Prozessorganisator und begleitet die Schü-
lerInnen auf dem Weg zu ihrer eigenen Interpretation des Musiktheaterwerks. Die
Szenische Interpretation knüpft dabei an Erfahrungen der SchülerInnen an und
ermöglicht ihnen neue Erfahrungen im Umgang mit dem Lerngegenstand.
4. Szenische Interpretation von Instrumentalmusik
Die Szenische Interpretation von Musiktheaterwerken ist einleuchtend, schließlich
besitzen sie eine in Text festgeschriebene Handlung. Sie enthalten Arien oder Lie-
der, in denen Gefühlszustände besungen und Handlungen vorangetrieben werden.
In dieser Arbeit soll eine Anwendung der Szenischen Interpretation auf Instru-
mentalmusik erfolgen, eine Musikgattung, die weder einen zugrundeliegenden
veröffentlichten Text hat wie das Musiktheater, die Oper, das Ballett oder Lieder,
noch einen Titel wie die Programmmusik. So muss als Erstes gefragt werden, wie
ein Werk der Instrumentalmusik mit dem Begriff der „Szene“ in Zusammenhang
gebracht werden kann, um Gegenstand einer Szenischen Interpretation zu sein.
4.1. Instrumentalmusik als Szene
Für die Herstellung eines Zusammenhangs nützt die Bestimmung einer Szene als
„Schauplatz einer [Theater-] handlung“. So könnte man, wenn man
Instrumentalmusik als Szene begreift, das Werk selbst als Schauplatz von
Handlungen auffassen. Es stellt sich jedoch die Frage, welche Handlungen dies
sein könnten, also welche Szenen in einem Instrumentalmusikwerk zu finden sind.
Um dies zu klären, soll der Begriff der Szene bei Ingo Scheller aufgegriffen
werden:
„Eine Szene nenne ich eine räumlich und zeitlich begrenzte soziale Situation, in der
Menschen mit bestimmten Intentionen und Erwartungen, Wahrnehmungen und Gefühlen
körperlich und sprachlich (inter-)agieren und sich wechselseitig zueinander in Beziehung
setzen. Was der Mensch wahrnimmt, gehört zur Szene: der Raum, die Gegenstände,
Menschen mit ihren Bewegungen und Handlungen, Geräusche und Gerüche, Geschmack,
Berührungen und die Temperatur, aber auch Vorstellungen und Emotionen, die mit diesen
Eindrücken verbunden werden.“ (Scheller 2004, S. 22; Hervorhebung im Original)
20
Ergänzt man diese Auffassung durch den tätigkeitspsychologischen Ansatz
Strohs, lassen sich neben Intentionen, Erwartungen und Gefühlen auch die Motive
des tätigen Menschen zur Szene zählen. Unter Szene kann demzufolge eine sozia-
le Situation verstanden werden, in welcher der Mensch aus Motiven heraus seine
Umgebung in bestimmter Weise wahrnimmt und in ihr handelt.
Mit dem Hintergrund der Szene als soziale Situation lässt sich ein Zusammenhang
zum Instrumentalmusikwerk herstellen. Ein Musikwerk entsteht nicht im leeren
Raum, sondern ist Ausdruck einer individuellen Persönlichkeit, des Komponisten,
mit seinen lebensgeschichtlichen wie musikalischen Erfahrungen sowie dem so-
zialen Kontext seiner Zeit. Darüber hinaus erfolgt die Rezeption des Werkes
individuell durch die Wahrnehmungen des Hörers, welche durch dessen sozialen
Kontext bestimmt sind.
Soll ein Instrumentalmusikwerk szenisch interpretiert werden, müssten die sozia-
len Situationen in konkrete Spielszenen übertragen werden, um sie für die
SchülerInnen erfahrbar zu machen. Im Folgenden sollen deshalb Überlegungen
angestellt werden, welche sozialen Situationen im Zusammenhang mit einem
Instrumentalmusikwerk stehen können, und wie diese in eine Spielszene zu über-
tragen sind. Zu diesem Zweck soll im Hinblick auf die Entwicklung eines Spiel-
konzepts zwischen der (akustisch hörbaren) Musik und ihrer Wahrnehmung durch
den Hörer und den geschichtlichen und sozialen Hintergründen des Werks sowie
individuellen Umgangsweisen mit der Musik durch Komponist oder Interpreten
unterschieden werden.
4.2. Soziale Situationen eines Instrumentalmusikwerkes und ihre Übertra-
gung in Spielszenen
4.2.1. Die Musik als Szene
Zunächst befindet sich der Hörer selbst in einer sozialen Situation, wenn er ein
Musikstück hört. Er nimmt das Musikstück vor dem Hintergrund seiner gegen-
wärtig erlebten sozialen Situation (Gegenwartsbezug) wahr. Diese ist wiederum
bestimmt durch seine in der Vergangenheit erfahrenen sozialen Situationen (bio-
grafischer Hintergrund/ Vergangenheitsbezug).
„Somit wird ein klangliches Geschehen vom hörenden Subjekt auf individuelle Weise
umgeformt, oder anders ausgedrückt: Das hörende Subjekt begegnet dem klanglichen Ge-
schehen, in dem es sich mit seinem Bezugssystem einbringt und dies verändert“ (Günther
1991, S. 108; Hervorhebung im Original)
21
Die beschriebenen sozialen Situationen können schwer direkt in Handlungen um-
gesetzt werden. Jedoch ist dies vor dem Hintergrund der durch Situationen ausge-
lösten Emotionen, Assoziationen und imaginierten Szenen möglich. Es handelt
sich um ein Sichtbar-Machen der durch die Musik ausgelösten Eindrücke (vgl.
Stroh 2007, S. 8). Dieses Sichtbar-Machen stellt im Rahmen der Szenischen Inter-
pretation gleichzeitig eine Reflexion der eigenen Wahrnehmungen dar und bietet
die Möglichkeit ihrer Überprüfung.
„Wahrnehmungen lassen sich nicht unmittelbar an der Realität (etwa eines Musikstückes)
überprüfen, sondern nur dadurch, daß [!] man sie mit Wahrnehmungen anderer bzw. mit
anderen Wahrnehmungen vergleicht.“ Günther (1991, S. 110)
Dies geschieht durch Konfrontation des eigenen Erlebens mit dem der Anderen
als wichtigen Schritt in der Verarbeitung von Erfahrungen.14
Wie könnte ein solches Sichtbar-Machen aussehen? Zur Beantwortung dieser
Frage möchte ich auf Überlegungen des Musikpsychologen Günter Kleinen zu-
rückgreifen. Für ihn ist die Wahrnehmung von Musik wesentlich durch eine Ein-
fühlung in diese bestimmt.
„Einfühlung ist der Schlüssel zum Eintritt in die musikalischen Innenwelten. Denn durch
sie werden in zweierlei Hinsicht psychische Distanzen überwunden: a) Distanzen
zwischen Individuum und Gruppe und b) Distanzen zwischen Individuum und der Musik
selbst. […] Wahrnehmung ist kein Mechanismus oder Automatismus, der irgendwie über
angeborene oder erlernte Schemata funktioniert, sondern sie setzt im Prozeß [!] der
Einfühlung die Hinwendung und eine aktive, subjektiv sinngebende psychische Leistung
voraus.“ (Kleinen 1994, S. 38)
Komponenten der Wahrnehmung von Musik sind der Grad der Annäherung an die
Musik und an die Gruppe durch Einfühlung sowie eine subjektive Sinngebung.
Um eine Wahrnehmung von Musik zu ermöglichen, müssten diese Komponenten
Bestandteil einer Unterrichtseinheit zur Musik als Szene sein.
An erster Stelle steht die Einfühlung in die Musik zur Vorbereitung der Wahrneh-
mung. Als einen Weg im pädagogischen Kontext beschreibt Kleinen die Möglich-
keit der Körperlichkeit, des Bewusstmachens unmittelbarer körperlicher Empfin-
dungen (vgl. Kleinen 1994, S. 197). Dazu wird die Aufmerksamkeit beim Hören
von Musik zunächst auf diese Körperempfindungen gelenkt. Dies kann durch Be-
wegung im Raum erfolgen, bei dem die SchülerInnen den eigenen Atem, das
spontan angeschlagene Tempo und die eigene Haltung beim Gehen bewusst wahr-
nehmen sollen. Darauf aufbauend sollen die SchülerInnen „Bilder zulassen, genie-
ßen [und] bewerten“ (Kleinen 1994, S. 197). Hier zeigt sich, im Finden eigener
14
Siehe Punkt 2.2., S. 7 f.
22
Bilder, wie in der anschließenden Reflexion dieser Bilder anhand eines verbalen
Austausches oder Finden von ähnlichen Haltungen bei anderen SchülerInnen, die
subjektive Sinngebung. Die Bilder werden in eine grafische Darstellung übertra-
gen, mit deren Hilfe die eigenen Erfahrungen verbal geäußert und mit den Erfah-
rungen anderer SchülerInnen verglichen werden können. Als Abschluss dient eine
Reflexion mit dem Ziel, dass die SchülerInnen „Wahrnehmungen als Prozeß [!]“
(Kleinen 1994, S. 197) begreifen und Veränderungen in den Erfahrungen bei-
spielsweise bei mehrfacher Wahrnehmung oder Wahrnehmen der Musik unter
neuen Aspekten erkennen können.15
Die Überlegungen Günter Kleinens zur Wahrnehmungsschulung lassen sich mit
zentralen Aspekten der Szenischen Interpretation zusammenführen. So wird die
Einfühlung, in die Musik im ersten Fall oder in Personen und soziale Situationen
im Zweiten, als wesentlich für die Möglichkeit angesehen Erfahrungen mit dem
Gegenstand zu machen. Erfahrungen werden nicht einfach „gemacht“, sondern die
SchülerInnen durch Einfühlung in die Lage versetzt diese zu machen. Darüber
hinaus enthalten beide Ansätze eine Körperorientierung, die das Bewusstmachen
körperlicher Empfindungen als Grundlage für musikalische Erfahrungen ansieht.
Auch die durch Einsatz reflexiver Verfahren erreichte subjektive Sinngebung
findet sich in der „subjektiven Bedeutungskonstruktion“ der Szenischen Interpre-
tation wieder.
Aufgrund der Übereinstimmung dieser zentralen Aspekte können die Überle-
gungen Günter Kleinens für die Erstellung eines Ablaufs zur Musik als Szene
nutzbar gemacht werden. Bei der Übertragung in die Szenische Interpretation von
Instrumentalmusik ist darauf zu achten, dass sich die eingesetzten Verfahren in
Struktur und Anliegen der Szenischen Interpretation integrieren. Neben der Beto-
nung des szenischen Spielens gehört dazu die Integration reflexiver Verfahren,
um die gemachten Erlebnisse bewusst zu machen und eine Verarbeitung zu
Erfahrungen zu ermöglichen.16
15
Als Konsequenz ergibt sich, dass das zu interpretierende Instrumentalstück mehrfach und in
voller Länge gehört wird, um diesen Prozess bewusst werden zu lassen. So könnte das Hören des
Musikstücks vor einer abschließenden Reflexion stehen, bei der nach Veränderungen in der Wahr-
nehmung gefragt wird. 16
Siehe Punkt 2.2., S. 7 f.
23
So schlage ich folgenden Ablauf für die Musik als Szene vor:
1. Hören der Musik als Ganzes oder in Teilen bei gleichzeitiger freier Bewe-
gung im Raum
Ziel: Bewusstwerden von Körper- und Bewegungsempfindungen
2. Lenken der Aufmerksamkeit auf die Wahrnehmung von Stimmungen und
Gefühlen
Ziel: Bewusstwerden von durch die Musik ausgelösten Emotionen
3. Spontane Bilder und Assoziationen zulassen und bewerten
Ziel: Bewusstwerden subjektiver Bedeutung durch Veröffentlichung erster
Ergebnisse des Arbeitsprozesses
4. Erneutes Hören nach von außen gesetzten Impulsen17
Ziel: Vorbereitung einer szenischen Darstellung
5. Sprachlicher Austausch über die imaginierten Szenen
Ziel: Überprüfung der Wahrnehmung durch Finden von Ähnlichkeiten und
Unterschieden
6. Szenisches Spiel und Reflexion
Ziel: Veröffentlichung und Verarbeitung von Erfahrungen
Die einzelnen Punkte lassen sich bei der Entwicklung eines Spielkonzepts zur
Szenischen Interpretation von Instrumentalmusik durch verschiedene Verfahren
realisieren. Eine Möglichkeit findet sich in dem in dieser Arbeit beschriebenen
Spielkonzept.18
4.2.2. Der Kontext als Szene
Im Kontext als Szene kann das Werk auf Grundlage seiner Einbettung in eine so-
ziale Situation, also ausgehend von seinem Gebrauchszusammenhang gedeutet
werden. Dazu gehört zunächst der allgemeine kulturelle Hintergrund, also gesell-
schaftliche Strömungen in der Zeit der Entstehung oder deren politische
Umstände. Konkret auf das Werk bezogen kann auch die Entstehungssituation
dargestellt werden. So lässt sich durch musikwissenschaftliche Nachforschung
oftmals Material finden, das Aufschluss über Anlass und Motive des
Komponisten zur Komposition gibt. Aus diesem Material können Spielszenen,
etwa ein Gespräch zwischen Auftraggeber und Komponist, entwickelt werden.
17
Die Impulse ergeben sich aus musikalischem Hauptziel und Kernidee des Spielkonzepts. Siehe
Punkt 4.2.3., S. 26 18
Siehe Punkt 5.4.1., S. 41 ff.
24
Wolfgang Martin Stroh spricht darüber hinaus von der Möglichkeit der szenischen
Darstellung des „Verwendungszusammenhang[s]“ (Stroh 2007b, S. 7) eines
Werks. Mir scheint an dieser Stelle jedoch eine Differenzierung in Aufführungs-,
Interpretations- und Rezeptionssituation sinnvoll, um die Vielschichtigkeit der
möglichen Szenen deutlich zu machen. So könnte versucht werden historische
Aufführungspraxis darzustellen, dies bietet sich vor allem im Bereich der Kam-
mermusik mit ihrer kleinen Besetzung an. Darüber hinaus könnte „Hausmusik“
dargestellt werden, bei der eine Familie über eine bestimmte Interpretation strei-
tet. Diese Szene könnte sowohl im historischen Rahmen als auch in moderner
Umgebung angelegt werden. Auch der Vergleich älterer und neuerer Interpretati-
onen oder Neubearbeitungen könnte hier einen Gegenwartsbezug herstellen. Eine
weitere Möglichkeit ist die szenische Darstellung der Rezeptionssituation, etwa
wenn sich nach einem Konzert Freunde über die Aufführung unterhalten, oder ein
Musiker einen beim Konzert anwesenden Kritiker zu seiner Meinung befragt. Es
lassen sich im Bereich des sozialen Kontexts von Instrumentalmusik sicherlich
weitere Szenen für eine Szenische Interpretation finden.
Ausgehend von den Überlegungen zur Darstellung von Musik und Kontext als
Szene sollen nun Schlussfolgerungen für die Entwicklung eines Spielkonzepts
Szenischer Interpretation von Instrumentalmusik gezogen werden. Dabei muss
gefragt werden, wie ein solches Spielkonzept aufgebaut sein könnte und welche
Verfahren der Szenischen Interpretation von Musiktheater dabei Verwendung
finden können. Anschließend sollen Überlegungen zur Stückauswahl angestellt
werden.
25
4.2.3. Schlussfolgerungen für die Entwicklung eines Spielkonzepts
Vorschlag für den Aufbau
Wird mit der Szenischen Interpretation von Instrumentalmusik das Ziel verfolgt
den SchülerInnen Möglichkeit zur subjektiven Bedeutungskonstruktion zu geben,
sollte zuerst eine Unterrichtseinheit zur Musik als Szene durchgeführt werden.19
Dort können die SchülerInnen, zunächst unbeachtet des Kontexts und damit
verbundener Eindrücke des Werks, eine subjektive Deutung der Musik erarbeiten.
Dazu gehört, dass sich die SchülerInnen mit eigenen Ideen und Assoziationen zur
Musik beschäftigen. Diese können in der zweiten Unterrichtseinheit zur Differen-
zierung der im sozialen Kontext des Werkes gespielten Rolle beitragen. So kann
die eigene Persönlichkeit der SchülerInnen in ihre Rolle eingebracht werden. Die
im ersten Teil sichtbar gemachten Emotionen etc. können die Spielszenen des
Kontexts, in Hinblick auf das Darstellen einer Interpretationssituation, vorbe-
reiten, in dem bestimmte Momente im Musikwerk als besonders bedeutend
19
Das Ziel entspricht dem Anliegen der Szenischen Interpretation von Musiktheater (vgl Punkt
3.2., S. 11f.). Es ist denkbar, dass die Methode mit anderen Zielen im Unterricht eingesetzt wird,
etwa zur Vermittlung musikgeschichtlicher Hintergründe. Siehe dazu im Folgenden: Auswahl des
Instrumentalmusikstückes
Spielkonzept
Der Kontext
als Szene
Die Musik
als Szene
Szenische Darstellung von:
- Kultureller Hintergrund
- Entstehungssituation
- Aufführungssituation
- Interpretationssituation
- Rezeptionssituation
Ausgangspunkt:
musikwissenschaftlicher und
kulturhistorischer Hintergrund
Szenische Darstellung von:
- Emotionen
- Assoziationen
- Imaginierten Szenen
als sichtbare Handlung
Ausgangspunkt:
Wahrnehmungen
26
wahrgenommen, und später innerhalb einer szenischen Darstellung der Interpreta-
tionssituation herausgestellt werden können.
Auch für die Verarbeitung von Erlebnissen zu Erfahrungen ist dieser Ablauf güns-
tig. So wird zuerst eine eigene Bedeutung der Musik gefunden und diese inner-
halb der Spielgruppe mit den Deutungen der anderen MitspielerInnen konfron-
tiert. In der zweiten Unterrichtseinheit folgt die Konfrontation mit der Perspektive
von Personen aus dem sozialen Kontext des Werkes. Der Kreis der Personen mit
anderen Perspektiven auf das Werk erweitert sich so über die Spielgruppe hinaus
und trägt zu einer vertieften Verarbeitung von Erfahrungen im Sinne Schellers
bei.
Der inhaltliche Rote Faden für ein Spielkonzept ergibt sich aus dem musika-
lischen Hauptziel in Verbindung mit einer Kernidee, die jedem Spielkonzept Sze-
nischer Interpretation von Musik zugrunde liegen (vgl. Stroh 2007b, S. 5). Darin
wird ein für die SchülerInnen relevantes Thema aufgegriffen, das in dem zu inter-
pretierenden Musikwerk deutlich wird. Dabei handelt es sich bei der Szenischen
Interpretation von Musiktheater zumeist um soziale Problematiken. Bei der Sze-
nischen Interpretation von Instrumentalmusik bietet sich die Chance, musikalische
Sachverhalte für SchülerInnen relevant werden zu lassen. So kann von einem
musikalischen Hauptziel aus eine Kernidee, die in der Erfahrungswelt der
SchülerInnen bedeutsam ist, für das Spielkonzept gesucht werden. Diesem Ziel
entsprechend werden die Verfahren innerhalb der Szenischen Interpretation durch
den Spielleiter ausgewählt und Impulse während des Spielprozesses gesetzt.
Anwendbarkeit der Verfahren Szenischer Interpretation von Musiktheater auf
Instrumentalmusik
Die Anwendbarkeit szenischer Verfahren ist bei der Auseinandersetzung mit dem
Kontext eines Werkes nachvollziehbar. Durch den Spielleiter werden Situationen
vorgegeben und diese von den SchülerInnen mithilfe einer Textvorlage gespielt
oder szenisch improvisiert. Dabei agieren, ähnlich wie beim Musiktheater,
konkrete, im Zusammenhang mit der Entstehungsgeschichte eines Werks auch
historische Figuren miteinander.
Anders verhält es sich bei den spezifisch musikalischen Verfahren. Eine zentrale
Stellung innerhalb der Szenisch-musikalischen Arbeit der Szenischen Interpreta-
tion von Musiktheater nimmt die Arbeit an Singhaltungen ein. Aufgrund des
27
Fehlens von Vokalstimme in einem Instrumentalmusikwerk würde ich diese Art
der Haltung nicht einsetzen. Eine Möglichkeit im musikalischen Bereich trotzdem
mit Haltungen zu arbeiten, um innere Rollenvorstellungen nach außen sichtbar zu
machen, bietet die Musikalische Spielhaltung.
„Eine musikalische Spielhaltung ist die „professionellste“ und daher schwierigste Hal-
tungs-Art. Sie geht davon aus, daß [!] das Spielen von Musikinstrumenten in gleicher
Weise eine Haltung ist, wie es bei der Sprech- oder Singhaltung der Fall ist. Spielhal-
tungen sind aber sehr stark musikalisch vermittelt, da das Spielen eines Instruments nicht
in alltäglicher Weise mit Körperhaltungen verknüpft ist.“ (Brinkmann/ Kosuch/ Stroh
2001, S. 27)
Eine solche musikalische Spielhaltung scheint mir da schwierig, wo SchülerInnen
selbst keine Erfahrungen im Spielen von Instrumenten haben. Bei der Entwick-
lung eines Spielkonzepts müsste der Spielleiter daher entscheiden, ob diese
Schwierigkeit für die Lerngruppe zu bewältigen ist.
Ein Verfahren, das sich im Rahmen einer Szenischen Interpretation von Instru-
mentalmusik gut eignet, ist eine Einfühlung über Musik. Bei der Szenischen Inter-
pretation von Musiktheater, bei der oft eine bestimmte Musik einer Figur zugeord-
net ist, gibt der Charakter der Musik Hinweise auf den Charakter der Person (Vgl.
Kosuch 2004, S.21). Dies trifft auf Instrumentalmusik nicht zu. Das Verfahren
kann im Rahmen einer Szenischen Interpretation von Instrumentalmusik trotzdem
genutzt werden, indem sie nicht in Personen einfühlt, sondern in eine Atmosphäre.
„Durch die Klanglichkeit, zum Beispiel in Form einer Melodie oder eines Sounds, erzeugt
Musik eine emotionale Atmosphäre, die beim Spielenden im Einfühlungsprozess
sinnliche Vorstellungen aktivieren[…]“ (Kosuch 2004, S. 21)
Eine weitere Möglichkeit wäre die Musikbegleitete Fantasiereise, die sowohl in
Atmosphäre als auch in die historische Zeit einfühlen könnte. Man müsste da
entscheiden, ob die Musik des Werkes für diese Fantasiereise genutzt wird, oder
ein anderes Werk. Dies ist auch davon abhängig, ob die Szenische Interpretation
als Baustein oder als gesamtes Spielkonzept durchgeführt wird und wie oft im
Verlauf der Erarbeitung das Instrumentalmusikwerk ansonsten schon gehört wird.
Es gilt, eine gewisse Müdigkeit der SchülerInnen in Bezug auf das Musikwerk zu
vermeiden.
Das Verfahren improvisierter Szenen zur Musik lässt sich besonders im Bereich
der Musik als Szene einsetzen. Stroh schlägt in seinem Baustein zur Konstruktion
von Bedeutung anhand von Assoziationen zum zweiten Satz des Beethoven-Kla-
vierkonzerts Nr. 4 vor, dass die SchülerInnen sich als Vorbereitung auf das
28
szenische Spiel während des Musikhörens zwei Personen oder Gegenstände vor-
stellen, die miteinander agieren (vgl. Stroh 2007a, S. 19). Anschließend werden
die imaginierten Szenen in Spielszenen umgesetzt und in Form einer szenischen
Improvisation bei gleichzeitigem Hören der Musik durchgeführt. Auch im
Kontext als Szene lässt sich dieses Verfahren, beispielsweise bei der szenischen
Darstellung einer Interpretationssituation einsetzen.20
Für die Verarbeitung von Erlebnissen zu Erfahrungen ist die Reflexion unab-
dingbar, die auch musikalisch erfolgen kann. Diese Musikalische Reflexion be-
trachtet dabei zunächst das Hören, indem der Spielablauf mit der Musik verknüpft
wird. Es kann eine Diskussion darüber entstehen, welche Erlebnisse durch die
Musik ausgelöst wurden, wie die Musik das Spiel beeinflusst hat, unterstützend
oder kommentierend, und wo Widersprüche oder Übereinstimmungen zwischen
Musik und Spiel entstanden sind (vgl. Brinkmann/ Kosuch/ Stroh 2001, S. 55).
Für die Szenische Interpretation von Instrumentalmusik besonders geeignet ist die
musikalische Reflexion durch Betrachtung der Partitur. Gerade im Oberstufenbe-
reich, bei dem Erfahrungen mit Partituren vorliegen, können formale Aspekte in
die Diskussion eingebracht werden. Durch die Analyse der musikalischen Vorge-
hensweise des Komponisten kann eine bestimmte Emotion oder Assoziation, die
von mehreren Spielern geteilt wurde, durch den Notentext begründet werden. Die
Betrachter können erfahren, wie der Komponist diesen Effekt durch die musika-
lische Form (Melodieverlauf, Rhythmus etc.) erreicht hat.21
Im Rahmen einer Szenischen Interpretation von Instrumentalmusik lassen sich
weitere musikalische Verfahrensweisen, wie Komposition oder instrumentale
Gruppenimprovisation, einsetzen. Diese sollten konkret auf Szene bezogen wer-
den oder im Anschluss an eine Szenische Interpretation durchgeführt werden, um
nicht zu stark vom eigentlich Szenischen wegzugehen. Die Szenische Interpreta-
tion könnte so eine Vorbereitung auf andere musikalische Umgangsformen mit
Musik darstellen.
20
Siehe Punkt 5.4.2. im Verfahren: Szenische Improvisation zur Musik im Stopp-Verfahren, S. 58 f. 21
Die Musikanalyse unterstützt so die Erarbeitung der Kernidee.
29
Auswahl des Instrumentalmusikstückes
Nach Ansicht Wolfgang Martin Strohs kann die Szenische Interpretation überall
dort eingesetzt werden, wo sie das Ziel verfolgt „ein „Verstehen“ von Musik und
Theater, und zwar ein konstruierendes, selbstbewusstes und körperlich-ganz-
heitliches Verstehen“ (Stroh 2006; Hervorhebung im Original) zu ermöglichen.
So müsste sich die Szenische Interpretation bei jeglicher Art von Instrumental-
musik einsetzen lassen.22
Für den Einsatz der Methode im Musikunterricht würde
ich allerdings ausgehend von den vorherigen Überlegungen Anforderungen an das
konkrete zu interpretierende Stück stellen.
Grundsätzlich gilt, dass ein Instrumentalstück die Möglichkeit der Erarbeitung
einer Kernidee und eines musikalischen Hauptziels bieten muss. Dabei kann sich
der Spielleiter entweder für ein Stück entscheiden und davon ausgehend eine
Kernidee und ein musikalisches Hauptziel entwickeln, oder er verfolgt eine be-
stimmte Kernidee (beispielsweise orientiert am Rahmenlehrplan) und wählt dazu
passend ein Werk aus.
Für den Teil der Musik als Szene scheint es mir wichtig, dass das Musikstück
nicht zu lang ist, sodass es im Rahmen des Spielprozesses komplett gehört werden
kann und genügend Zeit für die Arbeit damit bleibt. Die konkrete Dauer ist so-
wohl von äußeren Faktoren, wie die für die Szenische Interpretation zur Verfü-
gung stehende Zeit, wie von Bedingungen der Lerngruppe, wie Konzentrations-
fähigkeit, abhängig. Hinzu kommt die musikalische Struktur des Stücks, die An-
satzpunkte für eine Interpretation in Form von Szenen bieten muss, beispielsweise
durch kontrastierende Teile. Bei der Suche nach einem entsprechenden Musik-
stück sollte sich der Spielleiter über eigene Assoziationen und imaginierte Szenen
zur Musik klar werden, um zu erfahren, was darin an Ideen zur szenischen Dar-
stellung stecken könnte.
Im Bereich Kontext als Szene sollte über das ausgewählte Stück genügend
Quellenmaterial zu Verfügung stehen, damit die durch Szenische Interpretation
vermittelten musikgeschichtlichen Hintergründe wissenschaftlich fundiert sind.
Sollte sich ein Werk aufgrund seiner musikalischen Struktur nicht für eine
Szenische Interpretation im Bereich Musik eignen, aber aufgrund guter
22
Die Frage, ob dem tatsächlich so ist, kann in dieser Arbeit nicht beantwortet werden, könnte
aber Gegenstand weiterer Untersuchungen zur Thematik sein.
30
Quellenlage für eine im Bereich Kontext, so ist es möglich, diesen Teil für die
Vermittlung musikgeschichtlicher Hintergründe zu nutzen. Ebenso kann, wenn
nicht genügend Quellenmaterial vorhanden ist, aber die musikalische Struktur sich
gut für eine Szenische Interpretation eignet, die Musik als Szene unabhängig vom
Kontext des Werks durchgeführt werden, um die Wahrnehmung der SchülerInnen
zu schulen.
4.3. Szenische Interpretation von Instrumentalmusik im
erfahrungserschließenden Musikunterricht
Da die Szenische Interpretation von Instrumentalmusik als Vermittlungsmethode
im erfahrungserschließenden Musikunterricht eingesetzt werden soll, ist zu
prüfen, ob Nykrins Kriterien für einen solchen Musikunterricht erfüllt werden und
welche Erfahrungen durch sie ermöglicht werden können.
Kriterien eines erfahrungserschließenden Musikunterrichts (vgl. Nykrin 1978, S.
130 ff):
A. Erschließung (Rekonstruktion und Deutung) von lebensgeschichtlich
„gemachter“ Erfahrung als Grundlage aktueller Erfahrung
B. Übung in Legitimations- und Verständigungsprozessen anlässlich des ge-
meinsamen musikalischen Lernens
C. Kompensation und Aufklärung von Erfahrungseinschränkungen in fach-
wissenschaftlicher und -technologischer Orientierung
D. Ermöglichung von Handlungsvollzügen; Lehren, Gelerntes zu gebrauchen.
Zu A. Die aktuellen Erfahrungen der SchülerInnen während des Gesamtpro-
zesses der Szenischen Interpretation von Instrumentalmusik greifen auf bereits
gemachte Erfahrungen zurück. Dies wird besonders deutlich bei dem Teil der
Szenischen Interpretation, der sich auf Emotionen und Bilder zur Musik
bezieht. Wie bereits ausgeführt, entstehen diese Erfahrungen aufgrund vor-
mals erlebter sozialer Situationen und den darin gemachten Erfahrungen.
Auch beim szenischen Spielen wird auf vergangene Erfahrungen zurückge-
griffen, etwa wenn die SchülerInnen sich überlegen, warum ihre Figur wie
handelt. Darin steckt auch immer das Wissen darum, aus welchen Motiven
man wie handeln kann, dies ist ein Wissen aus Erfahrung.
Zu B. Mit dem zweiten Kriterium fordert Nykrin eine Bewusstheit für das
unterrichtliche Handeln ein (vgl Nykrin 1978, S. 133), die sich durch
31
Reflexivität äußert. Auch hier erfüllt die Szenische Interpretation von Instru-
mentalmusik durch die im szenischen Spiel integrierten reflexiven Verfahren,
durch den Austausch subjektiver Bedeutsamkeiten und im musikalischen
Bereich durch musikalische Reflexion, das Kriterium.
Zu C. Erfahrungseinschränkungen bei SchülerInnen erstrecken sich nach
Nykrin zunächst auf „unzureichende sensorische Erfahrungen und symbo-
lische Deutung des Reizgeschehens“ (Nykrin 1978, S. 133). Hinzu kommen
Defizite in den Dimensionen Produktion und Interaktion und eine „Ausblen-
dung oder Verkürzung der Frage nach den Voraussetzungen, Zielen und Aus-
wirkungen musikalischer Tätigkeit“ (Nykrin 1978, S. 134). Diese Erfahrungs-
defizite können durch Szenische Interpretation von Instrumentalmusik
vermindert werden. So werden im Zuge des Hörens sensorische Erfahrungen
gemacht (Emotionen), diese symbolisch (Assoziationen, Bilder, imaginierte
Szenen) gedeutet und in Produktion (Veröffentlichung) und Interaktion (Re-
flexion) umgesetzt. Ausgehend vom tätigkeitspsychologischen Handlungs-
konzept Strohs erfüllt die Szenische Interpretation von Instrumentalmusik
auch die Kompensation des dritten Punkts, in dem dort explizit nach Motiven
für musikalische Tätigkeit gefragt wird. Dabei werden im Rahmen der
szenisch-musikalischen Arbeit Voraussetzungen, Ziele und Motive der
handelnden Personen direkt im szenischen Spiel geäußert, oder durch refle-
xive Verfahren, wie Rollengespräche, zum Vorschein gebracht.
Zu D. Szenische Interpretation ist stetiges Handeln, ob als SpielerIn oder
BeobachterIn (etwa durch Modellieren von Standbildern) von Szenen. Sie
ermöglicht den SchülerInnen Handlungserfahrungen, die Grundlage für
zukünftige Erfahrungen sein können.
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Szenische Interpretation von
Instrumentalmusik die vier Kriterien des erfahrungserschließenden Musikun-
terrichts nach Nykrin erfüllt und somit einen geeigneten Vermittlungsansatz
von Instrumentalmusik in einem solchen Unterricht darstellt. Da auch der
erfahrungserschließende Musikunterricht nicht ohne Ziele auskommt, muss
32
überlegt werden, welche musikalischen Erfahrungen konkret durch Szenische
Interpretation ermöglicht werden können.23
Zunächst ist zu klären, was unter „musikalischer Erfahrung“ verstanden
werden kann. Schaut man in die Literatur, findet sich eine Fülle an Konzepten.
Grundsätzlich lassen sich diese in musikalische Erfahrungen ausgehend vom
Werk (Objektorientierung, zum Beispiel Richter 1976) oder ausgehend vom
Individuum mit dem Werk (Subjektorientierung, zum Beispiel Nykrin 1978,
Kaiser 1991) unterscheiden. Die Uneinigkeit darüber, was eine musikalische
Erfahrung ist, resultiert schon aus der Uneinigkeit darüber, was „Erfahrung“
an sich ist. Es würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen die Diskussion aus-
führlich darzustellen. So sollen beide Auffassungen in Abgrenzung vonein-
ander nur kurz dargestellt werden, um die Besonderheit der subjektorientierten
Herangehensweise, die grundlegend für die Szenische Interpretation von
Instrumentalmusik ist, zu verdeutlichen.
Nach Richter (1976) umfasst die musikalische Erfahrung drei Dimensionen.
Zunächst wäre da die musikalisch-materiale und musikalisch-technische
Erfahrung des Gegenstands (der Sachverhalt). Die zweite Dimension ist die
der allgemein-musikalischen Erfahrung (das Wesen von Musik) und schließ-
lich umfasst die musikalische Erfahrung auch allgemeine Erfahrungen, etwa
philosophischer oder privater Art (Erfahrung von der Welt, der Sache und der
eigenen Welt). All diese Dimensionen beziehen sich vom Ansatz her auf das
Werk und was es an Erfahrungen vermitteln kann (vgl Richter 1976, S. 39).
Für die Szenische Interpretation, bei der stets nach der subjektiven Bedeut-
samkeit der Musik für das Individuum gefragt wird, reicht diese objektorien-
tierte Auffassung nicht aus.
Hermann Kaiser geht in einer subjektorientierten Auffassung von der An-
nahme aus, dass es gar keine musikalische Erfahrung im reinen Sinne gibt. Er
bevorzugt stattdessen den Begriff der „musikbezogenen Erfahrung“24 (vgl.
Kaiser 1991, S. 38). Seiner Meinung nach gibt es nur Erfahrungen, in denen
Musik eine mehr oder weniger wichtige, aber nicht ausschließliche Rolle
23
Es steht außer Frage, dass auch Erfahrungen in anderen Bereichen, wie der Sozialkompetenz,
gemacht werden können, in dieser Arbeit soll aber explizit das Potential für das Machen musika-
lischer Erfahrungen betrachtet werden. 24
Kaiser präzisiert zwar den Begriff der „musikalischen Erfahrung“ als „musikbezogene Erfah-
rung“, benutzt jedoch in seinen Ausführungen beide Begriffe synonym.
33
spielt. Wesentliches Element der musikbezogenen Erfahrung ist dabei die Re-
flexivität, denn das Wissen der musikbezogenen Erfahrung (materiale Grund-
lage) ist „immer ein bewertetes, für die eigene Person bedeutsames und
wichtig eingeschätztes Wissen“ (Kaiser 1991, S. 38). Dabei grenzt sich die
musikbezogene Erfahrung gegenüber dem „Erlebnis“ in der Art und Weise ab,
dass sie reflektiert wird und eine Grundlage für zukünftige Erfahrungen ist.
Gegenüber der „Erkenntnis“ ist die musikbezogene Erfahrung wie folgt abge-
grenzt:
„Von Erkenntnis ist musikalische Erfahrung dadurch abgehoben, daß [!] letztere sich im-
mer auf konkrete Einzelfälle bezieht. Ferner ist in einer musikbezogenen Erfahrung das
Wissen darum, daß [!] etwas so und nicht anders ist, entscheidend. Eine Erkenntnis dage-
gen hebt auf die Gründe und Ursachen dafür ab, warum etwas so und nicht anders ist
[…]. Das Kriterium von Erkenntnis, ihre Wahrheit, ist in und für eine musikbezogene
Erfahrung unerheblich, an seine Stelle tritt das der subjektbezogenen Dienlichkeit.“
(Kaiser 1991, S. 38; Hervorhebungen im Original)
In diesem Sinne könnte man bei Richter eher von Erkenntnis als von Erfah-
rung sprechen, wenn für ihn das musikalisch-materiale Wissen von der Sache
selbst im Mittelpunkt musikalischer Erfahrung steht.25
Die Ausführungen Kaisers decken sich mit der Auffassung Strohs, der im Hin-
blick auf die Vermittlung musikalischer Erfahrungen im Rahmen einer Sze-
nischen Interpretation von Musiktheater ausführt: „Es gibt keine rein musika-
lischen Erfahrungen- weder im szenischen Spiel noch im wirklichen Leben“
(Stroh 1994, S. 12). Die musikalische Erfahrung wird hier als Erfahrung „im
Umgang mit Musik“ aufgefasst. Entscheidend ist damit die Bedeutsamkeit der
Musik für das Individuum, welches im handelnden Umgang mit ihr eine ei-
gene Bedeutung konstruiert.
Soll die Szenische Interpretation von Instrumentalmusik als Vermittlungsme-
thode im erfahrungserschließenden Musikunterricht eingesetzt werden, muss
sie musikalische Erfahrungen ermöglichen. So lässt sich als übergeordnetes
Ziel Szenischer Interpretation von Instrumentalmusik das Machen „ausdrück-
lich angestrebter“ (Kaiser 1991, S. 39) musikalischer Erfahrungen, als Erfah-
rungen im handelnden Umgang mit Musik, formulieren. Für die Zielstellung
des konkreten Unterrichts müssen die musikalischen Erfahrungen deshalb aus-
25
Dies zeigt sich in seinem Vorgehen zum zweiten Satz des Klarinettenquintetts op. 115 h- Moll
von Johannes Brahms, bei dem stets bezugnehmend auf die musikalische Analyse des Notentextes
Kompositionsprinzip, das Instrument und seine Spielweise, sowie das Spielen „zu fünft“ im Mit-
telpunkt der Betrachtung stehen (vgl. Richter 2007, S. 4 ff.).
34
formuliert werden. Dies bietet Vorteile für die Entwicklung von Spielkon-
zepten, da sie an den musikalischen Erfahrungen ausgerichtet und nach der
Durchführung mit deren Hilfe überprüft werden können.26
Darüber hinaus
bietet sie die Möglichkeit den Einsatz der Szenischen Interpretation von
Instrumentalmusik im schulischen Musikunterricht anhand konkreter Ziele zu
legitimieren.
Die im Folgenden aufgestellten musikalischen Erfahrungen integrieren die
Ansätze von Kaiser und Stroh. Ebenfalls aufgegriffen wird das Anliegen der
Szenischen Interpretation von Musiktheater dem Individuum eine subjektive
Bedeutungskonstruktion zu ermöglichen. Vor diesem Hintergrund ergeben
sich meiner Meinung nach sechs konkret formulierbare musikalische Erfah-
rungen, die durch Szenische Interpretation von Instrumentalmusik bereitge-
stellt werden können.27
Musikalische Erfahrung…
A. der Wahrnehmung von Musik und ihrer Überprüfung
Die Überprüfung der Wahrnehmung erfolgt durch das Veröffentlichen der
durch die Musik ausgelösten Emotionen, Assoziationen, Bilder und imagi-
nierten Szenen. Dabei werden die gemachten Erlebnisse mit den Perspekti-
ven der anderen SchülerInnen konfrontiert, reflektiert und zu Erfahrungen
verarbeitet. Die SchülerInnen erfahren, dass die gleiche Musik aufgrund
individueller Hintergründe unterschiedlich wahrgenommen werden kann
und auch verschieden sichtbar gemacht wird. Es kann so ein Bewusstsein
für die subjektive Bedeutsamkeit von Musik vorbereitet werden.
B. der Verständigung über Musik und ihre Wirkung
Durch Integration reflexiver Verfahren erhalten die SchülerInnen die Mög-
lichkeit sich über ihre Wahrnehmung der Musik und deren Wirkung
sprachlich zu äußern. Impulse durch den Spielleiter oder andere Spielteil-
nehmerInnen können dabei zu einer Erweiterung des musikbezogenen
Vokabulars beitragen.
C. der durch Reflexion erlangten subjektiven Bedeutsamkeit von Musik
26
Siehe „Auswertung“ in Punkt 5., S. 49 ff. und 62 ff. 27
Die musikalische Erfahrung wird dabei im Sinne Strohs und Kaisers als musikbezogene Erfah-
rung aufgefasst.
35
Während sich B. auf eine soziale Erfahrung im Sinne eines Vergleichs des
individuellen Erlebens in Konfrontation mit dem Erleben der Gruppe
bezieht, handelt es sich bei dieser Erfahrung um einen Rückbezug auf sich
selbst, also eine Selbsterfahrung.
Durch Reflexion erfahren die SchülerInnen, was die Musik für sie selbst
bedeutet, was sie in dieser Musik wahrnehmen und für sie wichtig ist.
D. eigener musikalischer Tätigkeit
Dies ist vor allem eine Tätigkeit zur Musik, etwa durch Einnehmen von
Haltungen oder auch Bewegungsimprovisation zur Musik ausgehend von
der Wahrnehmung des Einzelnen.
E. des Kontexts von Musik
Die SchülerInnen können erfahren, dass ein Musikwerk mit seiner Entste-
hungs-, Aufführungs-, Interpretations- und Rezeptionsgeschichte Aus-
druck einer historischen und sozialen Situation ist. Das Werk wird so als
eine Form der Aneignung von Wirklichkeit erfahren.
F. des Findens einer differenzierten Einstellung zu Musik
Durch die Verfahren Szenischer Interpretation können die SchülerInnen
Instrumentalmusik auf eine, sich gegenüber der musikanalytischen Ver-
mittlung abgrenzende Art und Weise kennenlernen. Durch den handelnden
Umgang mit der Musik und dem „Bedeutsam-Werden“ derselben im
Spielprozess können Vorbehalte gegen diese Musik vermindert, eventuell
sogar aufgelöst werden und so eine eigene differenziertere Einstellung zur
Musik gefunden werden (vgl. Gaiser 2008, S. 47).
Die durch Szenische Interpretation gemachten Erfahrungen sind Selbsterfahrung,
wie auch soziale Erfahrungen. Selbsterfahrung in dem Sinne, dass individuell Be-
deutungen konstruiert werden und die eigene Persönlichkeit entwickelt wird,
soziale Erfahrung in dem Sinne, als dass musikalische Tätigkeit und szenisches
Spiel in einem sozialen Rahmen (Gruppe) und an dem sozialen Kontext eines
Werkes vonstatten gehen.
4.4. Zusammenfassung
Die Übertragung Szenischer Interpretation von Musiktheater auf Instrumental-
musik kann durch die Auffassung von Instrumentalmusik als Ausdruck sozialer
Situationen gelingen. Durch diese Auffassung lassen sich aus denen das Werk
36
umgebenden sozialen Situationen Spielszenen konstruieren, die den SchülerInnen
die Möglichkeit geben konkrete musikalische Erfahrungen mit Instrumentalmusik
zu machen.
Das geschieht einmal im Zusammenhang mit der individuellen Wahrnehmung
von Musik als auch durch das Erfahren des Kontexts des Instrumentalmusik-
werkes durch szenisches Spielen, in das spezifisch musikalische Verfahren inte-
griert werden.
Entlang der Kriterien Nykrins für einen erfahrungserschließenden Musikunterricht
konnte gezeigt werden, dass sich die Szenische Interpretation von Instrumental-
musik als Ansatz einer erfahrungserschließenden Musikvermittlung eignet, und
dass sich konkrete musikalische Erfahrungen als Ziele des Unterrichts formulieren
lassen. Durch den Einsatz verschiedenster Verfahren kann Musik darüber hinaus
ganzheitlich –als emotionale Erfahrung, Körpererfahrung etc.- erfahren werden.
Dabei bleibt zu bedenken, dass den SchülerInnen der Raum für das Machen dieser
Erfahrungen durch die Methode bereitgestellt wird, ob die SchülerInnen diese
aber tatsächlich machen, ist ungewiss.
5. Spielkonzept zum 3. Satz des Klarinettenquintetts op. 115 h-Moll von
Johannes Brahms
Das Spielkonzept beruht auf Ergebnissen musikanalytischer Betrachtung28
und
musikwissenschaftlicher Auseinandersetzung mit den sozial-geschichtlichen
Hintergründen des Werks. Diese Ergebnisse können aufgrund des begrenzten Um-
fangs der Arbeit nicht vollständig dargestellt werden, sie werden aber an für das
Spielkonzept relevanter Stelle aufgegriffen.
5.1. Eignung für eine Szenische Interpretation
Johannes Brahms schrieb das Klarinettenquintett, zu dem er durch die Bekannt-
schaft mit dem Klarinettisten der Meininger Hofkapelle Richard Mühlfeld
angeregt wurde, im Sommer 1891 nieder. Es wurde gemeinsam mit dem Klari-
nettentrio op. 114 am 24. November 1891 in Meiningen privat aufgeführt und am
12. Dezember desselben Jahres im Saal der Berliner Singakademie durch
Mühlfeld und das Joachim-Quartett, unter Anwesenheit des Komponisten, zur
öffentlichen Uraufführung gebracht. In der Literatur lassen sich zahlreiche Infor-
28
Besonders hilfreich dafür war die ausführliche musikalische Analyse durch Roland Häfner 1978.
37
mationen zu Entstehung und Aufführung, sowie Rezeption des Werkes finden,
was eine Szenische Interpretation zum Kontext als Szene gut möglich macht.
Im Bereich der Musik als Szene eignet sich das Werk aufgrund seiner Entstehung
in der Romantik für eine Szenische Interpretation. In dieser Zeit wurde Musik,
und zwar nicht nur ihre Komposition, sondern auch ihre Aufführung als Mit-
teilung des Subjekts angesehen, „in welche dasselbe seine ganze Innerlichkeit
hineinlegt“ (Hegel o. J., zitiert nach: Scherliess 2009, S. 552).
„Diese Tendenz, die in der romantischen Ästhetik wurzelte, ging mitunter so weit, dass
Kompositionen mit außermusikalischen Vorstellungen in Verbindung gebracht wurden,
die gar nicht vom Komponisten intendiert waren, sondern mit völlig fremden. […] Musik
mit literarischen oder bildlichen Vorstellungen zu verbinden, war eine weit verbreitete
Haltung. Sie betraf auch Brahms‘ Werke.“ (Scherliess 2009, S. 552)
So greift die Szenische Interpretation des dritten Satzes des Klarinettenquintetts
eine durchaus gängige Praxis der Romantik auf, wenn dabei verbale und bildliche
„Verständnishilfen“ (Scherliess 2009, S. 552) genutzt werden und das Werk aus-
gehend von seiner Bedeutung für das Subjekt betrachtet wird.
Der dritte Satz des Klarinettenquintetts eignet sich auch aufgrund seiner über-
schaubaren Länge von ca. 4:30 Minuten, da der Satz im Ganzen gehört werden
kann, ohne dass die SchülerInnen in ihrer Konzentration überfordert werden.
Auch mehrmaliges Hören ist so möglich. Zudem bietet seine musikalische Struk-
tur durch Dreiteiligkeit und das Aufnehmen und Verarbeiten kontrastierender
Themen die Möglichkeit der Verknüpfung einer Kernidee mit einem musika-
lischen Hauptziel.
5.2. Schülerrelevante Kernidee und Musikalisches Hauptziel
Das Klarinettenquintett gehört zur Kammermusik und besteht aus einem Solisten
und einem Streichquartett, das aus zwei Violinen, Viola und Cello besteht. In der
Entwicklung der Gattung Streichquartett erhielten die Instrumente zunehmend
gleichberechtigte Stimmen. Christoph Richter spricht in diesem Zusammenhang
von einer „Demokratisierung in der Musik“ (Richter 2006, S. 15). Sie zeigt sich
beispielsweise im Wechsel der Bass-Stimme vom Spielen des Generalbasses zum
solistisch-virtuosen Spiel und dem stärkeren Einbezug der Mittelstimmen in das
musikalische Geschehen, was dem Streichquartett einen gewissen „Gesprächs-
charakter“ verleiht.
38
„Die Motivation [für eine Komposition für Streichquartett; Anm. der Verfasserin] scheint
nicht das Instrument zu sein, sondern die Schrift, die Sprache, demnach die Stimme und
noch präziser die Stimmen zu-, mit- und untereinander.“ (Simmenauer 2008, S. 45)
Dabei ist die „Essenz der subtile musikalische Dialog zwischen den Instrumenten“
(Simmenauer 2008, S. 46). Der Gedanke an ein Gespräch, eine demokratische
Unterhaltung im Sinne einer Kommunikation gleichwertiger Partner, ist die Kern-
idee des vorliegenden Spielkonzepts. Sie ist insofern schülerrelevant, als dass
Kommunikation im Allgemeinen ein grundlegendes Thema des Alltags ist und die
Anerkennung der Gleichwertigkeit von Gesprächspartnern eine Kompetenz im
alltäglichen Miteinander darstellt. Die Forderung nach einer entsprechenden Ge-
sprächskultur, auch im Unterricht selbst, ist davon Ausdruck.
Der Gesprächsgedanke wird im Spielprozess auf zwei Ebenen für die Schüler-
Innen erfahrbar. Zum Einen wäre da die sozial-geschichtliche Ebene. Betrachtet
man den Zusammenschluss von vier Musikern in einem ständigen Streichquartett,
zeigt sich die Besonderheit einer solchen musikalischen Zusammenarbeit: „kaum
ein anderes Team ist nach innen gleichwertig wie […] [ein] Streichquartett, so
autark- ein Streichquartett hat keinen Chef, der von außen hineinregiert“
(Simmenauer 2008, S. 75). So auch nicht das Joachim-Quartett:
„Nach dem Gesagten leuchtet es ohne weiteres ein, dafs [!] Joachim nicht etwa immer die
„erste Geige“ spielt und von seinen Partnern unterthänige [!] Dienstverrichtungen fordert.
Vielmehr gehen alle vier so in dem vorzutragenden Kunstwerk auf, dafs [!] stets gerade
das zur Geltung gelangt, worauf es ankommt.“ (Moser 1900, S. 231)
Zu der Gleichwertigkeit in der musikalischen Zusammenarbeit, der Stückauswahl
und Interpretationsarbeit, kommt die gegenseitige Anerkennung als Persönlich-
keit. Beides erfordert ein „im Gespräch bleiben“, um optimale künstlerische Er-
gebnisse zu erzielen.29
Der Gesprächsgedanke als Kernidee zeigt sich auch in der Musik selbst. Das
musikalische Hauptziel des Spielkonzepts besagt, dass der Gesprächsgedanke in
doppelter Hinsicht strukturell in der Musik verankert ist. Zum Einen zeigt sich in
der Kompositionstechnik ein Aufnehmen der Themen und Motive durch die ver-
schiedenen Stimmen sowie Variieren und Verarbeiten derselben. Die Klarinette
spielt als Solo-Instrument eine gleichwertige Rolle neben den anderen Instru-
menten, sie hat innerhalb des Satzes keine exponierte Stellung inne. Sie beginnt
zwar mit dem Hauptthema des Andantino, doch schon beim zweiten Erklingen
29
Dieser Zusammenhang wird von Sonia Simmenauer in ihrem Buch „Muss es sein? Leben im
Quartett“ (2008) anhand ihrer Erfahrungen als Kammermusik-Agentin eindrucksvoll beschrieben.
39
desselben in Takt 8 spielt sie gemeinsam mit der ersten Violine.30
Der zweite Teil
des Satzes wird von der ersten Violine begonnen, welche das Presto-Thema
vorstellt. Im weiteren Verlauf erscheint die Klarinette eher als fünfter Gesprächs-
partner, denn als Solist.
Der Satz kann noch in anderer Hinsicht als musikalisches Gespräch gedeutet
werden. So weist er eine Dreiteiligkeit auf, die an eine Diskussion erinnert. In ihr
werden Argumente ausgetauscht und am Ende des Gesprächs steht ein Kompro-
miss. So erinnert der erste Teil des Satzes (Takt 1-33) an ein „harmonisches Ge-
spräch“. Im mit „Andantino“ überschriebenen Teil stellt die Klarinette das Thema
vor, spielt es gemeinsam mit der ersten Violine, während das Cello das Thema
nahezu spiegelt. So entsteht eine klare Struktur, welche auch durch das Hinzutre-
ten der anderen Instrumente ab Takt 8 nicht durchbrochen wird. Lediglich am
Schluss des Teils ab Takt 23 wird es durch Sechzehntel-Bewegungen in der Klari-
nette unruhiger.
Anders der zweite Teil des Satzes (Takt 34-165). Tempo (Presto non assai, ma
con sentimento) und Metrum wechseln (vom 4/4- zum 2/4-Takt) und das von der
ersten Violine vorgestellte Presto-Thema besteht aus Sechszehnteln und
Synkopen. In diesem Satz zeigt sich die Gleichwertigkeit der Stimmen in einer
immer wieder auftretenden Gleichzeitigkeit verschiedener Themen und Motive,
wie in den Takten 43-49 mit Zweiundreißigstel-Figuren in der Klarinette, einem
Vierton-Motiv aus dem ersten Teil und dem Kopfmotiv des Presto. Dieser Teil
kann als „Streit“ oder „angeregte Diskussion“ gedeutet werden, bei dem die ein-
zelnen Stimmen sich gegenseitig zu überzeugen suchen.
Der dritte Teil (ab Takt 166) greift das Vierton-Motiv des Andantino auf, um nach
einem letzten „Aufbegehren“ der Instrumente zum Anfangsthema und der „Har-
monie“ zurückzukehren. Allerdings nicht im 4/4-, sondern verbleibend im 2/4-
Takt, was so gedeutet werden kann, dass ein Kompromiss gefunden wurde und
nicht einfach nur eine Meinung gesiegt hat.
Die ausgeführten Deutungsmöglichkeiten werden durch dahingehende Impulse in
das Spielkonzept aufgenommen, sie sind aber nicht als einzige Deutungsmöglich-
keit des musikalischen Geschehens anzusehen. Die SchülerInnen sollen das
Geschehen musikalisch selbst deuten und nicht einer durch den Spielleiter vorge-
30
Siehe Anhang: Partitur, S. 87
40
gebenen Deutung folgen. An dieser Stelle wird die Aufgabe des Spielleiters als
Prozessbegleiter besonders deutlich.
Die verwendete Audio-Aufnahme wurde hinsichtlich der Kernidee und des
musikalischen Hauptziels ausgewählt. Mir war dabei, im Sinne des demokra-
tischen Gesprächs, ein möglichst „harmonischer“ Zusammenklang der Instru-
mente wichtig, bei dem die Klarinette nicht heraussticht, die einzelnen Stimmen
aber trotzdem gut herauszuhören sind.
5.3. Voraussetzungen der Lerngruppe
Der Grundkurs Musik der 11. Klasse am „Gymnasium Finow“ in Eberswalde be-
steht aus acht Schülerinnen und vier Schülern. Alle haben Notenkenntnisse und
können einfache Melodien selbstständig auf Instrumenten erarbeiten. Einige von
ihnen haben darüber hinaus Instrumentalunterricht außerhalb der Schule, so spie-
len mehrere SchülerInnen Gitarre. Eine Schülerin nimmt Gesangsunterricht, eine
weitere singt in der Schulband.
Neben den musikalischen Vorerfahrungen kann im Rahmen des Unterrichtsver-
suchs auf Erfahrungen zum Szenischen Spiel zurückgegriffen werden. Es wurde
im Deutschunterricht der Sekundarstufe I eingeführt und nach Aussage der
Musik- und Deutschlehrerin von den SchülerInnen gut angenommen. Im Kurs
wird außerdem regelmäßig mit (musik-) wissenschaftlichen Quellen gearbeitet.
Eine Entwicklung von Spielszenen auf Grundlage von Quellenmaterial, so wie im
Spielkonzept vorgesehen, wird für die SchülerInnen neu sein. Aufgrund meiner
eigenen Unterrichtserfahrungen mit der Lerngruppe nehme ich an, dass diese Auf-
gabe jedoch gut bewältigt wird.
Die Romantik als Epoche ist den SchülerInnen durch den vorangegangenen
Musikunterricht bekannt. Unmittelbar vor dem Unterrichtsversuch wurde die Epo-
che eingeführt und ist anhand der Kunstlieder Franz Schuberts („Der Tod und das
Mädchen“; Liederzyklus „Winterreise“) charakterisiert worden. Neben musikana-
lytischer Betrachtung arbeiteten die SchülerInnen kreativ, in dem sie einen
musikalischen Gegenentwurf zur „Winterreise“ entwickelten.
Der Unterrichtsversuch wurde an zwei aufeinanderfolgenden Freitagen durchge-
führt, wobei jeweils 90 Minuten, unterbrochen von einer Pause, zur Verfügung
standen.
41
5.4. Verfahren
Bei der Vorstellung der beiden Unterrichtseinheiten werden die einzelnen
Verfahren beschrieben und in ihrer Auswahl begründet. Sind im Unterrichts-
versuch Schwierigkeiten bei der Durchführung aufgetreten, findet sich an ent-
sprechender Stelle eine Bemerkung.
Der überwiegende Teil der Verfahren wurde dem Methodenkatalog von
Brinkmann, Kosuch und Stroh (2001) entnommen. Diese werden durch Angabe
ihrer Systematisierung und Seitenzahl kenntlich gemacht.
5.4.1. Unterrichtseinheit: Die Musik als Szene31
Vorbereitung (Phase 1)
Herstellen einer Bewegungsfläche
Der Raum wird so eingerichtet, dass genügend Platz für eine Bewegungsfläche
entsteht. Diese wird durch Hinstellen von vier Stühlen in den Ecken begrenzt. Auf
jeden Stuhl wird ein Schlaginstrument gelegt.
Bemerkung: Ich entschied mich in der konkreten Unterrichtssituation dafür, diese
Vorbereitungen vor dem Eintreffen der SchülerInnen durchzuführen. Die Bewe-
gungsfläche wurde im Unterricht für die SchülerInnen durch Abschreiten sichtbar
gemacht.
Einfühlung (Phase 2)
Musikalisch inszenierte Bewegungsimprovisation
Schritt 1: Die SchülerInnen stehen auf der Bewegungsfläche und erspüren mit ge-
schlossenen Augen ihren Puls. Dieser soll durch eine ostinate Bewegung, einen
Armimpuls oder eine Gewichtsverlagerung, sichtbar gemacht werden. Die Augen
werden geöffnet und die Bewegungen der anderen SchülerInnen wahrgenommen.
Die SchülerInnen beginnen entsprechend ihres eigenen Pulses zu Gehen, mit der
Zeit soll die Gruppe ein einheitliches Tempo finden.32
31
Siehe Anhang: Begleit-Präsentation. Die Präsentation ist so aufgebaut, dass die Verfahren im
Unterrichtsversuch parallel verfolgt werden können. 32
Nach einer Grundidee von Barbara Haselbach: „Puls“- Zeiterfahrung in der Bewegung, vgl.
Haselbach 1987, 41 f.
42
Schritt 2: Vier SchülerInnen gehen zu den Stühlen und nehmen die Instrumente
auf, während sich die Anderen weiter auf der Fläche bewegen. Ein Schüler wird
aufgefordert, mit dem Instrument den Rhythmus der Gehenden aufzunehmen und
zu variieren. Die Spielleiterin sollte keine Vorgaben hinsichtlich der zu verändern-
den Parameter machen, um die Kreativität nicht einzuschränken. Die sich bewe-
genden SchülerInnen sollen den neuen Rhythmus oder die neue Dynamik in ihrer
Bewegung umsetzen. Der Spieler beobachtet die Gehenden, und wenn alle in der
neuen Bewegung sind, wird der Rhythmus noch einen Moment beibehalten. Der
Spieler nickt einem anderen Spieler zu, dieser nimmt den Rhythmus der Gruppe
auf und variiert dann seinerseits. Dies setzt sich fort, bis alle vier Spieler an der
Reihe waren.33
Schritt 3: Das Geschehen wird reflektiert. Dazu werden folgende Fragen gestellt:
- Wie erging es euch bei der Bewegungsimprovisation?
- SpielerInnnen: Wie hat die Gruppe auf euer Spiel reagiert?
- Bewegende: Fandet ihr das Bewegen zum Instrumentalspiel einfach oder
schwer? Welche Faktoren haben eure Bewegungen beeinflusst?
Begründung: Bei diesem Verfahren kommt es ausgehend von der Erfahrung von
körpereigener Zeit zur Erfahrung von Zeit und Dynamik in Musik. Neben einem
unterschiedlichen Tempo werden rhythmische Gestaltungsmöglichkeiten wahrge-
nommen und in Bewegung sichtbar gemacht. Zudem wird die Aufmerksamkeit
auf das Wahrnehmen äußerer Impulse gelegt. Dazu werden die SchülerInnen über
die innere Wahrnehmung (Puls) zur äußeren Wahrnehmung (Musikimpulse)
geführt und so auf die Wahrnehmung zunehmend komplexer Struktur von Musik
(Metrum-Dynamik-Harmonik/ Melodik) vorbereitet. Durch Versprachlichung und
Veröffentlichung der bei der Bewegungsimprovisation gemachten Erlebnisse im
Rahmen der Reflexion können diese bewusst gemacht und zu Erfahrungen verar-
beitet werden. Den SchülerInnen kann durch den Vergleich mit anderen Umset-
zungen die individuelle Wirkung von Musik bewusst werden.
33
Grundidee: „Instrumente im Raum“- Musik als Improvisationsanregung, vgl. Haselbach 1987,
S. 91 f.
43
Szenisch-musikalische Arbeit34
(Phase 3)
Assoziationen zu Musik35
Es werden so viele Stühle wie SchülerInnen anwesend sind am Rand der Bewe-
gungsfläche gegenübergestellt, sodass eine Gasse entsteht. Auf den Stühlen liegen
Zettel und Stifte.
Schritt 1: Die SchülerInnen stehen mit geschlossenen Augen im Raum und hören
den ersten Teil des dritten Satzes des Klarinettenquintetts.36
Dazu werden Fragen
gestellt:
- Welche Körperempfindungen oder Bewegungsimpulse löst die Musik aus?
- Welche Stimmungen und Gefühle nehmt ihr in der Musik wahr?
Bei erneutem Hören gehen die SchülerInnen von einer Seite der Fläche zur ande-
ren und zurück und schreiben jedes Mal eine Assoziation zur Musik auf.
Schritt 2: Jede/r SpielerIn nimmt einen Zettel. Die darauf stehende Liste wird
nacheinander vorgelesen. Anschließend gibt die Spielleiterin Themen (positiv be-
setzt, negativ besetzt, Gespräch/Szene) vor, zu denen passende Assoziationen aus-
gewählt und vorgelesen werden sollen.
Begründung: Das konkrete Musikstück wird als Auslöser von Körperempfin-
dungen, Emotionen sowie Assoziationen und Bildern erfahren. Ein Aufschreiben
der Assoziationen dient der Versprachlichung und bereitet die Veröffentlichung
eigener Ansichten in der Gruppe vor. Diese eigenen Ansichten zur Musik werden
bewertet, mit der Ansicht anderer konfrontiert und so in ihrer Subjektivität be-
wusst gemacht. Die Spielleiterin gibt durch die Themen Impulse zur Kernidee und
hebt erste Ideen von Szenen zur Musik hervor, die im weiteren Verlauf der Erar-
beitung genutzt werden können.
Offene Fantasiereise37
Die SchülerInnen bilden Kleingruppen zu vier Personen und sitzen beieinander.
Es wird zur Musik des ersten und zweiten Teils des Satzes38
eine Fantasiereise39
34
In diese Phase werden reflexive Verfahren integriert, um eine Verarbeitung der dort gemachten
Erlebnisse „an Ort und Stelle“ zu ermöglichen. 35
Verfahren aus: Skript „Methoden der Szenischen Interpretation von Musiktheater. Aufbaukurs
I“ des Instituts für szenische Interpretation von Musik und Theater, vgl. Brinkmann o.J., S. 10 36
Siehe Begleit-CD: Track 1 37
Grundidee: „Offene Fantasiereise“ von Wolfgang Martin Stroh, vgl. Stroh 2007a, S. 14 38
Siehe Begleit-CD: Track 2, Der zweite Teil ist gekürzt.
44
durchgeführt, deren Ziel es ist, bei den SchülerInnen Bilder und Szenen zur Musik
entstehen zu lassen. Nach der Fantasiereise sollen die Szenen in der Kleingruppe
besprochen und hinsichtlich ihrer Gemeinsamkeiten verglichen werden.
Begründung: Die Fantasiereise vertieft die Kernidee eines Gesprächs von Instru-
menten durch die Übertragung auf ein Gespräch zwischen Personen. Sie legt
dabei Wert auf die Wahrnehmung von Veränderungen in der Musik. Das Ver-
fahren dient außerdem der Vorbereitung der szenischen Improvisation, für die sie
als „Ideenpool“ fungiert. Durch den Vergleich der eigenen imaginierten Szene mit
den Szenen der Gruppenmitglieder kann die individuelle Wahrnehmung der Mu-
sik überprüft werden.
Szenische Improvisation nach W-Fragen (angepasste MET 3.36, S. 40) mit
Kommentierung40
Die SchülerInnen erhalten den Arbeitsauftrag,41
aus den zu beiden Teilen
entstandenen Bildern und imaginierten Szenen eine Spielszene zu entwickeln. Die
Kleingruppe muss dafür zunächst eine gemeinsame Grundidee entwickeln. An-
schließend wird ein Szenenverlauf gestaltet, der an die gehörte Musik angepasst
werden soll, also in zwei Teilen abläuft. Dabei können die Gruppen entscheiden,
ob sie ihre Szene mit oder ohne Worte, zur Musik oder ohne Musik vorspielen
wollen.
Für die Umsetzung in eine Spielszene werden W-Fragen als Hilfe gegeben:
- WAS ist der Anlass der Szene?
- WO spielt die Szene?
- WER spielt in der Szene mit?
- WAS findet statt?
- WELCHE Absichten und Interessen haben die handelnden Personen?
- IN WELCHER ART UND WEISE sprechen die Personen miteinander?
In der Bearbeitungszeit wird der Raum durch die Spielleiterin in eine Spielfläche
und einen Zuschauerraum umgeräumt. Die SpielerInnen strukturieren sich zu
Beginn ihrer Szene die Spielfläche durch Verwendung von Requisiten wie
Stühlen und geben den Ort der Handlung an.
39
Siehe Anhang: Material 1, S. 72 40
Begleit-Präsentation: Szenen der Kleingruppen unter Punkt: „Szenisch-musikalische Arbeit“ 41
Siehe Anhang: Material 2, S. 73
45
Die ZuschauerInnen erhalten eine Beobachtungsaufgabe:
- Achtet auf Emotionen und Motive der Personen, die beim Spielen sichtbar
werden.
Kommentierung durch BeobachterInnen
Am Ende des ersten Teils der Spielszene bleiben die SpielerInnen wie erstarrt als
Bild stehen und fixieren so die Handlung. Die BeobachterInnen sprechen einen
Satz, der die Szene für sie charakterisiert.
Kommentierung durch Hilfs-Ich (MET 3.16.1., S. 31)
Am Ende der Szene verharren die SpielerInnen wieder im Bild. Die Beobachter-
Innen gehen zu einer Person, legen ihr die Hand auf die Schulter und sprechen
einen Satz in der Ich-Form, den die Figur gerade denken könnte. Diese Kommen-
tierung wird zuvor durch die Spielleiterin erklärt und gezeigt.
Begründung: Die W-Fragen zur szenischen Improvisation dienen der Umsetzung
der imaginierten Szenen zu Spielszenen und helfen der Gruppe bei der Entwick-
lung durch Fragen zur Situation. Im szenischen Spiel werden die entstandenen
Szenen, die zugleich eine Bedeutungskonstruktion der Gruppe darstellen, veröf-
fentlicht und durch die nachfolgende Kommentierung mit verschiedenen
Ansichten zur Szene konfrontiert. Die Kommentierung nach dem ersten Teil der
Szene bereitet die Reflexion des Spielprozesses vor, indem nach einer Art „Kurz-
charakteristik“ des Gehörten gefragt wird.42
Die Kommentierung durch Hilfs-Ich
dient der Reflexion der Emotionen und Motive der handelnden Personen aus
denen heraus sie tätig werden und unterstützt dadurch die subjektive Deutung der
Szene durch die SchülerInnen.
Ausfühlung (Phase 4)
In diesem Teil des Spielkonzepts erfolgt keine Ausfühlung als eigenständige
Phase, da die SchülerInnen nur in die Atmosphäre der Musik, aber nicht in kon-
krete Rollen eingefühlt wurden. Wie in Punkt 3.3. beschrieben ist diese Phase für
die Szenische Interpretation nicht konstitutiv.
42
Siehe Musikalische Reflexion: Hören, S. 46
46
Reflexion (Phase 5)
Musikalische Reflexion (MET 5.5., S. 55)
Szenen
SchülerInnen und Spielleiterin sitzen im Kreis. Die entstandenen Szenen werden
mithilfe folgender Fragen reflektiert:
- Welche Gemeinsamkeiten gab es in den Szenen?
- War eine Grundidee erkennbar?
- Wie hat die Musik diese Grundidee und damit das szenische Spiel
beeinflusst?
Hören
Gemeinsam wird der dritte Teil des Satzes43
gehört. Die SchülerInnen werden zu
ihrem Höreindruck befragt. Dazu wird die Kurzcharakteristik der ersten beiden
Teile hinsichtlich des Gesprächsgedankens aufgegriffen und gefragt, wie das Ge-
spräch enden könnte. Es wird angenommen, dass die SchülerInnen eine Rückfüh-
rung in die Charakteristik des ersten Teils (Harmonie) wahrnehmen.
Überprüfung des Höreindrucks mithilfe des Notentextes
Die SchülerInnen erhalten ein Arbeitsblatt44
mit den Themen des ersten und zwei-
ten Teils des Satzes sowie der Variante des Andantino-Themas im dritten Teil.45
Andatino- und Presto-Thema werden von der Spielleiterin vorgespielt,46
von den
SchülerInnen beschrieben und ausgehend von einer musikalischen Analyse in
ihrer beim Hören der Musik wahrgenommenen Wirkung erklärt. Für den dritten
Teil wird ebenfalls eine Kurzcharakteristik erfragt. Anschließend werden die
SchülerInnen aufgefordert den Schluss des Satzes anhand des Notenbildes zu be-
schreiben und zu charakterisieren. Ich nehme an, dass die Deutung des Endes als
„Harmonie“ zugunsten der Formulierung des „Kompromisses“ aufgegeben wird.
Die SchülerInnen werden aufgefordert, ausgehend von der Musik eine Idee zum
Ende ihrer eigenen Szene zu äußern.
43
Siehe Begleit-CD: Track 3 44
Siehe Anhang: Material 3, S. 74 45
Die Klarinette wurde klingend notiert, da angenommen wird, dass die SchülerInnen keine
Erfahrungen im Lesen von transponierenden Instrumenten haben. 46
Siehe Begleit-CD: Track 4
47
Deutung als Gespräch
Die Kernidee des Gesprächsgedankens wird durch ein Goethe-Zitat zum Streich-
quartett: „man hört vier vernünftige Leute sich untereinander unterhalten“ (vgl.
Simmenauer 2008, S. 129) aufgegriffen. Die SchülerInnen sollen überlegen, ob
sich die Ansicht auf den gehörten Satz des Klarinettenquintetts übertragen lässt.
Begründung: An dieser Stelle wird das musikalische Hauptziel, die strukturelle
Verankerung des Gesprächsgedankens in der Musik, erfahrbar. Die subjektive
Bedeutungskonstruktion, die durch die Entwicklung von Spielszenen entstanden
ist, kann an der Wirklichkeit der Komposition nachvollzogen werden. Sie wird
dabei als nicht beliebig, sondern als im musikalischen Kontext des Werkes
stehend, erfahren. Ziel der musikalischen Reflexion ist es, durch die
Verschränkung der Lebenswirklichkeit der SchülerInnen (subjektive Deutung)
und der Wirklichkeit des Werkes (Notentext) ein „Verstehen“ von Musik im
Sinne Strohs zu ermöglichen.47
Bemerkung: Innerhalb der Reflexion wurde die Dreiteiligkeit des Stückes von den
SchülerInnen erkannt und entsprechenend charakterisiert. Der Gesprächsgedanke
tauchte bei den Deutungen der SchülerInnen jedoch nicht explizit auf. Um diesen
aufzugreifen, wurde von mir das Goethe-Zitat als Impuls zur Kernidee einge-
bracht. Mit der Frage auf die Übertragbarkeit des Zitats auf das Musikstück waren
die SchülerInnen jedoch überfordert. Ich hatte den Eindruck, dass das Zitat an der
Stelle für die SchülerInnen nicht passte, da zuvor die Deutung als Gespräch keine
Rolle spielte. Anhand der Unsicherheit, mit der versucht wurde meine Frage zu
beantworten, bemerkte ich, dass an dieser Stelle ein Bruch im Spielkonzept
vorliegt. Es wurde von der subjektiven Wahrnehmung der Musik weggegangen zu
einer analytischen Betrachtungsweise, die aber im Gegensatz zur Beschreibung
der Themen nicht in Bezug zur Wahrnehmung oder Wirkung der Musik stand.
Darüber hinaus wurde den SchülerInnen durch das Zitat eine Deutung quasi
„übergestülpt“, was der Szenischen Interpretation mit ihrer Betonung der subjek-
tiven Deutung entgegen läuft.
Bei einer erneuten Durchführung sollte der explizite Hinweis auf einen Ge-
sprächsgedanken in der Musik durch das Zitat weglassen werden, wenn er nicht
von den SchülerInnen selbst geäußert wird. Stattdessen würde ich fragen, aus
47
Siehe Punkt 2.3., S. 8
48
welchen Situationen die SchülerInnen einen solchen Ablauf Harmonie-Streit-
Kompromiss kennen. So könnten Alltagserfahrungen der SchülerInnen
aufgegriffen und das Musikstück als Abbild von Wirklichkeit erfahren werden.
Zusammenfassung des Spielverlaufs
Der dritte Satz des Klarinettenquintetts wird in voller Länge gespielt und die
SchülerInnen nehmen auf dem Arbeitsblatt Eintragungen vor, die den Spielverlauf
zusammenfassend nachvollziehbar machen. Es sollen die Assoziationen zum
ersten Teil, die imaginierte Szene des zweiten Teils und Stichpunkte zur
musikalischen Struktur der Themen aufgeschrieben werden (mittlere Spalte).
Anknüpfend an das Goethe-Zitat soll der Gesprächsverlauf in Schlagworten
festgehalten werden (rechte Spalte).
Begründung: Das Ausfüllen des Arbeitsblatts fasst den Spielverlauf zusammen
und macht die einzelnen Schritte hin zu einer Deutung des gesamten Satzes des
Klarinettenquintetts als Gespräch nachvollziehbar. Kernidee und musikalisches
Hauptziel werden ausgehend von den subjektiven Deutungen der Schüler-Innen
geäußert und verschriftlicht.
Bemerkung: In der Umsetzung war an dieser Stelle die Zeit knapp, es sollte aber
auf jeden Fall noch das Blitzlicht durchgeführt werden. Daher entschied ich mich
für eine mündliche Zusammenfassung des Spielverlaufs mit der Möglichkeit, dass
die SchülerInnen die Eintragungen selbstständig zu Hause vornehmen.
Blitzlicht als Reflexion des eigenen Erlebens und Erfahrens (MET 5.3.1, S.
54)
Die SchülerInnen sitzen im Kreis und geben der Reihe nach ein kurzes Statement
zu ihrer augenblicklichen Befindlichkeit nach der Szenischen Interpretation ab.
Die Aussagen dürfen weder kommentiert noch diskutiert werden, außerdem sollte
sich jede/r SchülerIn äußern, auch wenn Aspekte wiederholt werden.
Begründung: Das Blitzlicht hat sowohl für die Spielleiterin als auch für die
SpielerInnen selbst einen hohen Informationswert darüber, wie die Szenische
Interpretation von Instrumentalmusik empfunden wurde. Sie ist also gleicher-
maßen eine Reflexion des Gesamtgeschehens. Die SchülerInnen können eigene
Erlebnisse und Erfahrungen äußern und die der Anderen wahrnehmen. Durch eine
Wiederholung von Äußerungen wird deren Bedeutsamkeit hervorgehoben.
49
Auswertung
Durch die Szenische Interpretation von Instrumentalmusik als Vermittlungs-
methode sollen in erster Linie Erfahrungen auf musikalischer wie außermusika-
lischer Ebene ermöglicht werden. So stellt sich in der Auswertung die Frage,
welche Schüleraussagen und Beobachtungen sich hinsichtlich solcher Erfah-
rungen deuten lassen.48
Zur Überprüfung der Schüleraussagen und Beobach-
tungen hinsichtlich musikalischer Erfahrungen bietet es sich an diese dahingehend
zu betrachten, ob sich Hinweise auf die in Punkt 4.3. (S. 37 f.) formulierten kon-
kreten musikalischen Erfahrungen finden lassen.
Die Szenische Interpretation bietet meiner Meinung nach darüber hinaus die
Möglichkeit Instrumentalmusik so zu vermitteln, dass die SchülerInnen dabei
Spaß und Freude verspüren. So stellt sich in der Auswertung auch die Frage, ob
sich Schüleraussagen finden lassen, die diesen Aspekt aufgreifen. Für die Aus-
wertung werden Schüleraussagen, die im Rahmen der Reflexion einzelner
Verfahren sowie der abschließenden Reflexion des Erlebens und Erfahrens im
Blitzlicht gemacht wurden, verwendet. Ergänzend dazu werden Beobachtungen
der Spielleiterin einbezogen.
Auswertung…
1. einzelner Verfahren hinsichtlich musikalischer Erfahrungen
2. der Schlussreflexion (Blitzlicht) hinsichtlich musikalischer Erfahrungen
3. der Schlussreflexion hinsichtlich ergänzender außermusikalischer
Erfahrungen49
4. der Schlussreflexion hinsichtlich Spaß bei der Szenischen Interpretation
48
Es sei an dieser Stelle noch einmal darauf hingewiesen, dass es nicht sicher ist, ob diese Erfah-
rungen tatsächlich gemacht werden konnten, beziehungsweise dass alle SchülerInnen diese Erfah-
rungen gemacht haben. Dies ist jedoch kein Nachteil der Methode, sondern Ausdruck der Subjekti-
vität des Verarbeitungsvorgangs. 49
Der Schwerpunkt der Auswertung liegt auf musikalischen Erfahrungen, darum werden nur die
außermusikalischen Erfahrungen dargestellt, die aus den Schüleraussagen direkt geschlossen wer-
den können.
50
1. Auswertung einzelner Verfahren hinsichtlich musikalischer Erfahrungen
Musikalisch inszenierte Bewegungsimprovisation
Schüleraussagen Deutung
- „interessant, was andere zum
Rhythmus machen, wie die
Gruppe reagiert“
- „man muss sich erst daran ge-
wöhnen, wenn eine Umstellung
im Rhythmus/ Takt kommt um
den aufnehmen zu können“
- „man muss sich darauf einstel-
len“
In den Schüleraussagen wird deutlich,
dass die SchülerInnen die Bewegungs-
impulse der Musik wahrgenommen
und in Bewegung umgesetzt haben.
Die erste Aussage zeigt, dass auch die
Reaktionen der Gruppe wahrgenom-
men wurden, also eine Überprüfung
der gezeigten Bewegungen stattfand.
Durch Einsatz des Verfahrens konnte
die musikalische Erfahrung der „Wahr-
nehmung von Musik und ihre Über-
prüfung“ sowie „eigener musikalischer
Tätigkeit“ in Form von Bewegungsim-
provisation ermöglicht werden.
Assoziationen zu Musik
Schüleraussagen Deutung
Assoziationen der SchülerInnen:
- locker, bestimmend, fröhlich/
Fröhlichkeit/ Heiterkeit, freudig,
traumhaft
- Freiheit/ frei
- Frühlingsgefühle/ Liebe/ Gefühle,
Passion/ Leidenschaft, Sinnlich-
keit,
- Fluss, Sonne, Wald, Schmetter-
linge, Natürlichkeit, Frühling,
Sommer
- Harmonie (Mehrfachnennung)/
harmonisch, Schönheit, Hoff-
nung, Stimmung
- Geigen, Glück, Takt, Ball, Ruhe,
- Märchen, Liebesfilm, Spazier-
gang
Die Vielzahl von Assoziationen zur
Musik lässt den Schluss zu, dass die
SchülerInnen ihre Wahrnehmung der
Musik sowie ausgelöster Stimmunen
und Gefühle sprachlich äußern
konnten also eine „Verständigung
über Musik und ihre Wirkung“
möglich wurde. Den Schüleraussagen
kann nicht entnommen werden, ob
diese musikalische Erfahrung den
SchülerInnen auch bewusst geworden
ist. Durch die nachfolgende Impuls-
setzung konnte auch die Erfahrung
„subjektiver Bedeutsamkeit von Mu-
sik“ bereitgestellt werden.
51
Assoziationen zum Impuls Szene/
Unterhaltung
- Schönheit
- Waldspaziergang
- traumhaft
- Leidenschaft
(siehe oben)
Offene Fantasiereise
Beobachtungen Deutung
- Intensiver Austausch der imagi-
nierten Szenen in den
Kleingruppen
- Jede/r der SchülerInnen kam zu
Wort und konnte seine Szene in
der Gruppe äußern
Die SchülerInnen konnten ihre
Wahrnehmung von der Musik sprach-
lich äußern. Darüber hinaus wurden die
individuell entstandenen Szenen durch
das Gespräch einer Überprüfung
hinsichtlich des Wahr-genommenen
unterzogen. Es ist anzunehmen, dass
die musikalischen Erfahrungen
„Wahrnehmung der Musik und ihre
Überprüfung“ sowie „Verständigung
über Musik und ihre Wirkung“
ermöglicht werden konnten. Da die
Szenen Ausdruck der subjektiven
Fantasie sind und das Gespräch in der
Kleingruppe durch Konfrontation mit
den Szenen der anderen SchülerInnen
eine Reflexion darstellt, könnte hier
auch die Erfahrung „subjektiver Be-
deutsamkeit von Musik“ gemacht wor-
den sein.
Szenische Improvisation
Beobachtungen Deutung
- Die Zweiteilung in der Musik
wurde in allen drei Spielgruppen
aufgegriffen
- Zwei Gruppen spielten ihre Sze-
ne zur Musik
Das Spielen der Szenen ausgehend von
der Musik und zur Musik kann als
Erfahrung „eigener musikalischer Tä-
tigkeit“ angesehen werden.
52
2. Auswertung der Schlussreflexion (Blitzlicht) hinsichtlich musikalischer
Erfahrungen
Schüleraussagen Deutung
- „schön zu sehen, was man
so für verschiedene Empfin-
dungen haben kann“
- „dass aus so einem kleinen
Stück so viele Ideen
kommen“
- „erstaunlich, wie man von
der Musik beeinflusst wer-
den kann“
Die Schüleraussagen greifen die musika-
lische Erfahrung der individuellen Wirkung
von Musik (ausgehend von der „Wahr-
nehmung von Musik“) auf. In den ersten
beiden Aussagen geschieht dies als soziale
Erfahrung (es wird wahrgenommen, dass
jede/r eine andere Empfindung/ Idee hatte),
in der dritten Aussage als Selbsterfahrung
(Wahrnehmung als individueller Prozess).
So konnte die Musik in ihrer „subjektiven
Bedeutsamkeit“ erfahren werden.
3. Auswertung der Schlussreflexion hinsichtlich ergänzender außermusika-
lischer Erfahrungen
Schüleraussagen Deutung
- „ungewohnt, Augen zu
schließen und sich etwas
vorzustellen“
- „war eine ganz neue Erfah-
rung“
- „wie aus einem Stück so ein
Theaterstück werden kann“
- „nicht nur rumsitzen“
- „dass wir uns auch mal kör-
perlich bewegt haben“
Im Rahmen der Szenischen Interpretation
wurden mit den SchülerInnen unbekannte
Verfahren zur Erfassung eines Instrumen-
talstücks durchgeführt (Hören von Musik
mit geschlossenen Augen, Entwickeln einer
Szene zur Musik). Die SchülerInnen
konnten ihr Handlungsrepertoire erweitern
und mit diesen Verfahren Erfahrungen
machen. Hinzu kommt die durch das
Handeln gemachte Erfahrung eigener kör-
perlicher Aktivität.
4. Auswertung der Schlussreflexion hinsichtlich Spaß bei Szenischer
Interpretation
Schüleraussagen Deutung
- „mal was anderes“
Die Vermittlung von Instrumentalmusik
durch Szenische Interpretation wurde als
positiv wahrgenommen.
53
Schüleraussagen Deutung
- „hat Spaß gemacht“
- „habe mich wohl gefühlt“
- „hat sich schlimmer ange-
hört, als es war“
Nach Aussage der SchülerInnen hat ihnen
die Erarbeitung Spaß gemacht und sie
fühlten sich sowohl bei der Durchführung
des Verfahrens als auch in den Gruppen
wohl.
Beobachtungen
- Aufmerksames und konzen-
triertes Arbeiten während
der Unterrichtseinheit
- Keine Nebentätigkeiten
- Engagiertes Spielen
Das engagierte und einfallsreiche Spielen
lässt sich ebenfalls als Freude am Spiel und
an der Vermittlung deuten.
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass bereits in dieser ersten Unterrichts-
einheit eine Vielzahl von Erfahrungsmöglichkeiten für die SchülerInnen bereitge-
stellt werden konnte. Es ist aufgrund der Schüleraussagen und Beobachtungen an-
zunehmen, dass viele dieser Erfahrungen von den SchülerInnen auch gemacht
wurden. Die SchülerInnen äußerten zudem, dass ihnen die Szenische Interpretati-
on Spaß gemacht hat.
5.4.2. Unterrichtseinheit: Der Kontext als Szene
Szenenauswahl
Die Dreiteiligkeit des dritten Satzes des Klarinettenquintetts wird auch im Kontext
als Szene aufgegriffen. Die Auswahl der Szenen und der darin agierenden Per-
sonen gestaltete sich insofern schwierig, da sich in der musikwissenschaftlichen
Literatur widersprechende Angaben zu Zeiten, Orten und Besetzungen zur
Entstehung und Aufführung des Klarinettenquintetts finden. Um nur ein Beispiel
zu nennen: Im Werksverzeichnis von McCorkle (1984, S. 463) findet sich für die
private Erstaufführung des Klarinettenquintetts am 24. November 1891 in Schloss
Elisabethenburg in Meiningen folgende Besetzung für das Klarinettenquintett:
Mühlfeld, Joachim, Fleischhauer (Konzertmeister in Meiningen), Abbas und
Hausmann (Cellist des Joachim-Quartetts). Brahms ist bei dieser Aufführung an-
wesend. Nach Herta Müller (2002, S. 137) wurde zur Aufführung des Klarinetten-
quintetts das gesamte Joachim-Quartett geladen, welches in folgender Besetzung
spielte: Joachim, de Ahna, Wirth und Hausmann.
54
Sicher scheint, dass sich Brahms, Mühlfeld, Joachim und Hausmann in Meiningen
aufhielten.50
Ebenfalls anwesend war die Freifrau von Meiningen. Diese Personen
könnten daher als Figuren in einer Szene zur Entstehungssituation auf Schloss
Elisabethenburg auftreten.
Für eine Szene zur Interpretationssituation wird ein anderer Ort gewählt. Durch
die Quellen übereinstimmend angegeben, wurde das Werk am 12. Dezember 1891
im Saal der Singakademie in Berlin uraufgeführt. Dort spielte das Joachim-
Quartett in seiner damaligen Besetzung (Joachim, de Ahna, Wirth, Hausmann)
mit Richard Mühlfeld als Solisten (vgl. McCorkle 1984, S. 462). Diese Personen
stehen somit als Figuren für eine Probenszene im Vorfeld des Konzerts zur Verfü-
gung.
Die dritte Szene stützt sich auf Dokumente zur Rezeption. So finden sich bei
Roland Häfner (1987, S. 45 ff) zwei Kritiken zu Aufführungen des Klarinetten-
quintetts. Diese sind eine Kritik über die Uraufführung vom 12. Dezember 1891
in Berlin aus der AMZ [Allgemeine Musik-Zeitung] von Otto Lessmann und eine
Kritik von Eduard Hanslick zur Aufführung am 16. Dezember 1891 in Wien, er-
schienen in der Zeitschrift „Fünf Jahre Musik“.
Vorbereitung (Phase 1)
Herstellen einer Spielfläche
Der Raum wird umgeräumt, sodass eine Spielfläche entsteht. Verkleidungen und
Requisiten werden sichtbar ausgelegt.
Wiederholtes Hören
Um den SchülerInnen die vorangegangene Unterrichtseinheit ins Gedächtnis zu
rufen und an den dabei gemachten Erfahrungen anknüpfen zu können, wird der
erste Teil des dritten Satzes gehört.
Brainstorming (Met 5.4.3., S. 55)
Die SchülerInnen stehen mit der Spielleiterin im Kreis und erhalten Stichworte, zu
denen sie Assoziationen äußern sollen. Das Oberthema ist „Romantik“, die Stich-
worte dazu: „Komponisten und Werke“, „Musikalisches“ und „Lebensgefühl“.
50
In der aktuellen Literatur (Hofmann 2008, S. 55) findet sich der Hinweis, dass Brahms und
Hausmann am 21. November 1891 in Meiningen eintrafen um das Klarinetten- Trio zu proben,
am 24. November folgte Joachim für Proben und abendliche Aufführung des Klarinettenquintetts.
Die vollständige Besetzung des Streichquartetts wird nicht erwähnt.
55
Begründung: Da die SchülerInnen sich im Musikunterricht bereits ausführlich mit
dem Zeitalter der Romantik beschäftigt haben, soll in diesem Brainstorming ihr
Vorwissen aktiviert werden. Dafür wird die in der Szenischen Interpretation von
Musiktheater oft genutzte Musikbegleitete Fantasiereise zur Einfühlung in die
historische Zeit weggelassen. Sie benötigt zum Einen zu viel Zeit, die dann in der
Erarbeitung der Szenen fehlt und zum Anderen in diesem Spielkonzept keine
zusammenhängende Handlung dargestellt wird, die nur aus Zeit und Ort zu
verstehen wäre.51
Wo entsprechende Informationen notwendig sind, finden sich
diese später auf den Rollen- und Szenenkarten zum szenischen Spiel.
Warm-Up: Rhythmuskreis mit Figurennamen52
SchülerInnen und Spielleiterin stehen im Kreis. Die Spielleiterin gibt einen
Grundrhythmus vor, der durch Schrittbewegungen von den SchülerInnen
aufgenommen wird (rechts-ran-links-ran). Die Spielleiterin spricht die Figurenna-
men rhythmisch vor, die SchülerInnen sprechen mit. Zum Sprechen wird
geklatscht und zwar bei „Freifrau Helene von Meiningen“ und „Mühlfeld, der
Klarinettist“ jeweils auf Silben mit „e“, bei „Johannes Brahms der Komponist, ja“
auf Silben mit „a“. Die Gruppe wird geteilt und jede Gruppe spricht und klatscht
einen Namen. Nacheinander wird mit dem Sprechen aufgehört, sodass nur Schritt-
bewegung und Klatschen durchgeführt werden. Die SchülerInnen sollen den An-
deren bewusst zuhören.
Begründung: In diesem Warm-Up wird Bewegung und Rhythmusklatschen als
musikalische Tätigkeit durchgeführt. Es wird dabei an musikalische Erfahrungen
der SchülerInnen angeknüpft. Der Bezug zum Instrumentalwerk besteht zum
51
Zur Kritik an der Brauchbarkeit von Fantasiereisen zur Einfühlung in die historische Zeit vgl.
Stroh 2007a, S. 17 52
Verfahren aus: Skript „Faust. Charles Gounod. Szenische Interpretation von Musiktheater:
Materialien für eine Unterrichtseinheit“ des Instituts für Szenische Interpretation von Musik und
Theater, vgl. Brinkmann/Winkler/ Günther o.J., S. 6
56
Einen in der Aufnahme der Figurennamen aus der ersten Szene, zum Anderen in
der Aufnahme von Rhythmen aus den Themen des Satzes. Das Warm-Up bereitet
durch gemeinsame vorgegebene Bewegungen die später zu entwickelnde indivi-
duelle Bewegung der Gehhaltung der Rollen vor. Es stellt so einen Vorgriff auf
den Unterrichtsinhalt dar und sollte locker und lustvoll ablaufen, um die Schüler-
Innen für die kommende Arbeit zu aktivieren und motivieren.
Einfühlung (Phase 2)
Einfühlung über Rollenkarte (MET 2.3.1, S. 16)
Die SchülerInnen erhalten Rollenkarten53
mit Informationen über eine Figur, wie
deren Lebensgeschichte und Beziehungen zu anderen Figuren. Sie gehen mit der
Rollenkarte durch den Raum und lesen sie in der Ich-Form laut vor.
Entwickeln einer Gehhaltung (MET 3.2, S. 22) und Verkleiden
Während die SchülerInnen, jetzt ohne lautes Lesen, durch den Raum gehen, for-
dert die Spielleiterin die SchülerInnen auf sich zu überlegen, wie ihre Figur gehen
könnte und verschiedene Gehweisen auszuprobieren. Zur Fokussierung der
Aufmerksamkeit auf verschiedene Körperteile werden Fragen gestellt:
- Wie setzt eure Figur die Füße? Sind sie eher nach außen gedreht oder nach
innen? Macht ihr große Schritte oder kleine? Tippelt ihr vielleicht?
- Wie bewegt ihr die Hüfte? Schwingt sie beim Gehen mit oder ist sie steif?
- Wie aufrecht ist euer Oberkörper? Streckt ihr die Brust raus oder geht ihr
zusammengesunken?
- Wie ist die Kopfhaltung? Aufrecht oder hängend?
Anschließend suchen sich die SchülerInnen eine Verkleidung oder ein Accessoire,
das zu ihrer Rolle passt.
Rollenpräsentation in Szenengruppe
Die SchülerInnen werden aufgefordert miteinander Kontakt aufzunehmen und
sich in den Szenengruppen zusammenzufinden. Dort sollen sie ihre Rolle präsen-
tieren und Beziehungen zwischen den Personen herstellen.
Begründung: Durch die Rollenkarte, welche „Ergebnisse wissenschaftlicher
(Nach-) Forschung, gepaart mit Fantasie“ (Stroh 2007a, S. 28) enthält, können die
53
Siehe Anhang: Material 4, S. 75; Material 5, S. 76; Material 6, S. 78
57
SchülerInnen Einblick in Lebenssituation und Sozialisation einer historischen Fi-
gur gewinnen. Die Informationen helfen durch Vorgabe einer bestimmten Grund-
haltung der Figur, die stattfindenden Handlungen im szenischen Spiel zu
gestalten. Aus diesen Informationen können außerdem Motive für das Handeln
der Figur geschlossen und in der Reflexion geäußert werden. Das Vorlesen der
Rollenkarte in der Ich-Form, das Entwickeln einer Gehhaltung und Verkleiden
dienen der Rollenübernahme und dem Rollenschutz. Die Gehhaltung ist dabei
körperlicher Ausdruck einer inneren Rollenvorstellung und macht den Schüler-
Innen ihre eigene Körpersprache bewusst. Durch die Begegnung der Rollen mit
gegenseitiger Vorstellung in der Szenengruppe wird das szenische Spiel
vorbereitet, in dem Beziehungen zueinander hergestellt werden können. Die
SchülerInnen präsentieren ihre Rolle und veröffentlichen somit das Ergebnis
dieses ersten Arbeitsprozesses.
Szenisch- musikalische Arbeit54
(Phase 3)
Die Szenengruppen richten sich vor dem Spiel die Spielfläche mit Requisiten ein
und stellen ihre Figuren und den Ort der Handlung vor.
Szene 1
Szenisches Spiel mit selbst erstellter Textvorlage (erweiterte MET 3.32, S. 39)
Die SchülerInnen erhalten Materialien zur Entstehungsgeschichte des Klarinet-
tenquintetts. Aus diesen soll selbstständig eine Textvorlage für eine Szene ent-
stehen, in der die Motive der einzelnen Personen zum Komponieren und Musi-
zieren des Musikstücks deutlich werden.55
Szenische Reflexion- Standbild modellieren (MET 3.15.2, S. 31)
Ein freiwilliger Schüler wird zur Erklärung des Verfahrens zu einem Standbild
modelliert. Der Schüler ist dabei passiv, „wie eine Drahtpuppe“ (vgl. Brinkmann/
Kosuch/ Stroh 2001, S. 31) und kann nach den Vorstellungen der Spielleiterin
„geformt“ werden. Die SchülerInnen sollen dann die agierenden Personen der
Szene, Freifrau von Heldburg, Richard Mühlfeld und Johannes Brahms, zu einem
solchen Standbild modellieren.
54
In diese Phase werden reflexive Verfahren integriert, um eine Verarbeitung der dort gemachten
Erlebnisse „an Ort und Stelle“ zu ermöglichen. 55
Siehe Anhang: Material 7, S. 79
58
Anschließend werden Fragen zur Reflexion gestellt:
- Frage ErbauerIn: Warum hast du die Person so hingestellt?
- Frage SpielerIn: Bist du mit dieser Positionierung einverstanden?
Begründung: Die SchülerInnen sollen an dieser Stelle selbstständig mit
wissenschaftlichem Quellenmaterial umgehen und aus diesem die wesentlichen
Informationen für ihre Szene ziehen. In dem Material werden Motive der Figuren
für ihr Handeln, insbesondere Motive für das Komponieren des Klarinetten-
quintetts genannt und können für die Gestaltung der Szene verwendet werden. Da
für die Entstehungsgeschichte des Klarinettenquintetts die Beziehungen zwischen
den in der Szene agierenden Personen von besonderer Bedeutung sind, wird ein
Mehr-Personen-Standbild entworfen. Darin können diese Beziehungen durch die
Ausrichtung der Personen zueinander sichtbar werden. Die Befragung der Betei-
ligten dient der Versprachlichung der Ideen zur Darstellung der Beziehungen.
Bemerkung: In der Durchführung wurde die Szene durch die SchülerInnen
improvisiert. Aufgrund der fortgeschrittenen Zeit wurde das Modellieren des
Standbilds, das erfahrungsgemäß viel Zeit braucht, durch ein Gruppensoziogramm
ersetzt. Dabei positionieren sich die SpielerInnen selbst je nach ihrer Beziehung
zu den anderen Figuren der Szene zueinander. Das Verfahren hätte im Spielpro-
zess besser erklärt werden müssen. Die SchülerInnen bezogen sich zwar
aufeinander, taten dies aber nur durch den Parameter Abstand. Es sollten hier
zunächst die verschiedenen Möglichkeiten der Positionierung zusammengetragen
werden (Blickrichtung, Ausrichtung des Körpers, Haltung der Arme etc.) und die
Figuren nacheinander hingestellt werden, sodass jeder seine Figur aus eigenen
Ideen heraus positioniert und begründet.
Szene 2
Szenische Improvisation zur Musik im Stopp-Verfahren (erweiterte MET
3.39, S. 42)
Diese Szenengruppe erhält einen Arbeitsauftrag,56
Ausschnitte aus dem zweiten
Teil des Klarinettenquintetts (Takt 35-165)57
und die dazu gehörigen Partitur-
ausschnitte58
. Ausgehend von Musik und Partitur soll eine Szenenimprovisation
56
Siehe Anhang: Material 8, S. 80 57
Siehe Begleit-CD: Track 5 58
Siehe Anhang: Material 9, S. 81
59
zur Erarbeitung einer gemeinsamen Interpretation des Stücks erfolgen. Die
Sprechanteile der Musiker, sowie die Art und Weise ihrer Kommunikation soll
dem Auftreten des jeweiligen Instruments in der Musik (Beispiel: Klarinette
entspricht Mühlfeld) angepasst werden. Die SchülerInnen erhalten als Hilfe fol-
gende Fragen:
- Welches Instrument/ Motiv dominiert den jeweiligen Ausschnitt? Wer hat
demzufolge das „Sagen“?
- Wie reagieren die Instrumente aufeinander? Wer diskutiert miteinander?
- Wann erklingen die Instrumente gleichzeitig oder mit gleichen Motiven?
Wer könnte einer Meinung sein?
- Wie klingen die Instrumentenstimmen des Abschnitts insgesamt, z.B.
ruhig/ aufgeregt? Wie ist also die Stimmung zwischen den Redenden?
Bei der Vorstellung der Szene wird die Musik bis zum ersten Stopp gespielt, es
folgt die dazugehörige Szenenimprovisation. Ist diese zu Ende, nehmen die
SchülerInnen die Spielhaltung ihres Instruments ein und erstarren. Der nächste
Abschnitt der Musik wird gespielt.
Kommentierung durch Rollenbefragung
Die SpielerInnen werden durch die BeobachterInnen zu der Szene befragt. Die
Spielleiterin gibt dazu ein Beispiel:
- Herr de Ahna, wie ist das für Sie immer nur die zweite Geige zu spielen?
- Sonst geben immer Sie den Ton an, Herr Joachim, diesmal mussten Sie
das Kommando an die Klarinette abgeben, wie war das für Sie?
Szene und Musik in Beziehung setzen (als musikalische Reflexion MET 5.5, S.
55)
Zur Reflexion werden Fragen an SpielerInnen und BeobachterInnen gestellt:
- Fragen BeobachterInnen: Wer hat sich im Interpretationsstreit durch-
gesetzt? Wie wurde die Szene von der Musik beeinflusst? Welcher Zusam-
menhang besteht zwischen Szene und Musik?
- Fragen SpielerInnen: Wie hat die Musik die Improvisation beeinflusst?
Inwieweit habt ihr euch an der Musik, inwieweit an der Partitur orientiert?
- Fragen an alle: Wo liegen bei einem solchen Instrumentalstück die
Schwierigkeiten in der Interpretation?
60
Begründung: Grundlage für die Szene ist die Konstellation eines Quartetts, in dem
sich stets vier Meinungen, und im Fall des Klarinettenquintetts sogar fünf, auf
eine Interpretation des Stücks einigen müssen. Die Musiker müssen ihre Vorliebe,
ein bestimmtes Tempo oder eine bestimmte Stelle genau so und nicht anders
spielen zu wollen, begründen. Dabei kann es zu Konflikten kommen, die sich im
zweiten Teil des Satzes musikalisch wiederfinden lassen. An dieser Stelle wird die
Kernidee des Spielkonzepts, der Gesprächsgedanke, strukturell in der Musik er-
fahrbar. Durch Rollenbefragung werden Motive für das Verhalten der Musiker
während der Auseinandersetzung um die Improvisation deutlich. In der abschlie-
ßenden Reflexion stellen die SchülerInnen den Zusammenhang zwischen den
miteinander spielenden Instrumenten und miteinander redenden Musikern her.
Szene 3
Szenisches Spiel mit selbst erstellter Textvorlage oder improvisiert (erweiterte
MET 3.32, S. 39; MET 3.35, S. 40)
Auf Grundlage zweier Kritiken59
zur Aufführung des Klarinettenquintetts erarbei-
ten die SchülerInnen eine Spielszene, bei der sich zwei Ehepaare über die erlebte
Uraufführung unterhalten. Es ist den SchülerInnen freigestellt, ob sie eine Text-
vorlage erstellen oder die Szene improvisieren.
Kommentierung durch Hilfs-Ich (MET 3.16.1, S. 31)
Am Ende der Szene erstarren die SpielerInnen in einem Bild. Die Beobachter-
Innen treten hinter eine Figur und sprechen einen Satz in der Ich-Form, den diese
Figur ihrer Meinung nach gerade denken könnte.
Zusammenfassung der Szene
Ausgehend von der Spielszene werden die BeobachterInnen durch die
Spielleiterin befragt, wie die Konzertbesucher das Klarinettenquintett aufgenom-
men haben.
Begründung: In dieser Szene können die SchülerInnen erfahren, wie das Klari-
nettenquintett bei seiner Uraufführung, sowie der Aufführung in Wien vom
Publikum aufgenommen wurde. Die Personen der Rollenkarten sind frei erfunden,
fügen sich aber in den Kontext des bürgerlichen Konzertgängers jener Zeit ein.
Durch die Kommentierung soll die innere Bewegtheit und Begeisterung der Hörer
59
Siehe Anhang: Material 10, S. 83
61
deutlich werden, die Reflexion ist gleichzeitig eine Zusammenfassung der
Informationen aus der Spielszene.
Ausfühlung (Phase 4)
Verabschiedung
Die SchülerInnen gehen in ihrer Szenengruppe auf die Spielfläche. Sie reichen
einander die Hand und sprechen folgenden Satz:
Kleingruppe Szene 1: „Ich habe mich gefreut, unsere Bekanntschaft zu vertiefen!“
Kleingruppe Szene 2: „Es war mir ein Vergnügen, mit Ihnen zu musizieren!“
Kleingruppe Szene 3: „Was für ein Konzert!“
Anschließend wird die Verkleidung ausgezogen.
Begründung: Durch das Sprechen eines Satzes zur Verabschiedung wird die Figur
wieder abgelegt. Auch das Ablegen der Verkleidung symbolisiert das Zurück-
geben der Figur. Die SchülerInnen können so die Reflexion außerhalb der Rolle
durchführen.
Bemerkung: Bei der Durchführung erfanden die SchülerInnen, vertieft in ihre
Rollen, eigene Worte zur Verabschiedung. Das könnte bei einer erneuten Durch-
führung gleich in die Verantwortung der SchülerInnen gelegt werden.
Phase 5: Reflexion
… des gesamten Spielprozesses
SchülerInnen und Spielleiterin sitzen im Kreis. Die SchülerInnen sollen Über-
schriften für die einzelnen Szenen äußern.
Begründung: Durch die Überschriften soll der Zusammenhang zwischen den
Szenen in ihrem Verlauf deutlich werden. So kann den SchülerInnen bewusst wer-
den, welche verschiedenen Bereiche zum Kontext eines Werkes gehören können.
Bemerkung: Es wäre an dieser Stelle auch möglich gewesen, die Überschriften der
Szenen mit wesentlichen Informationen auf dem zuvor schon genutzten Arbeits-
blatt aus der ersten Unterrichtseinheit schriftlich festzuhalten.
… Blitzlicht als Reflexion des eigenen Erleben und Erfahrens60
60
Siehe: Blitzlicht, S. 48
62
Abschluss
Der dritte Satz des Klarinettenquintetts61
von Johannes Brahms wird im Ganzen
vorgespielt. Die SchülerInnen sollen entspannt zuhören und können den Spielver-
lauf Revue passieren lassen.
Begründung: Die SchülerInnen hören das Instrumentalstück einmal vollständig
und nehmen es bewusst wahr.
Bemerkung: In der Auswertungsphase zur Unterrichtseinheit fiel mir auf, dass es
interessant gewesen wäre zu erfahren, ob sich die Wahrnehmung des Musikstücks
bei den SchülerInnen verändert hat. Bei einer erneuten Durchführung würde ich
das Vorspielen des ganzen Satzes deshalb vor dem Blitzlicht durchführen und die
entsprechenden Frage zur Reflexion formulieren.62
Auswertung
1. einzelner Verfahren hinsichtlich musikalischer Erfahrungen63
2. der Schlussreflexion (Blitzlicht) hinsichtlich musikalischer Erfahrungen
3. der Schlussreflexion hinsichtlich außermusikalischer Erfahrungen64
4. der Schlussreflexion hinsichtlich Spaß bei der Szenischen Improvisation
1. Auswertung einzelner Verfahren hinsichtlich musikalischer Erfahrungen
Rhythmuskreis mit Figurennamen
Schüleraussagen65
Deutung
- „bessere Aufwärmübung [als
beim letzten Mal]“
- „schön was aus verschiedenen
Rhythmen entsteht“
- „fast eine Überforderung“
- „[Interessant] wie kommt man
[…] mit verschiedenen Rhyth-
men […]so klar“
Der Rhythmuskreis gibt die Gelegen-
heit zur Erfahrung „eigener musika-
lischer Tätigkeit“. Die Schüleraussa-
gen lassen erkennen, dass diese Tätig-
keit für einige SchülerInnen schwerer
zu bewältigen war als für Andere,
insgesamt aber als durchführbar
wahrgenommen wurde.
61
Siehe Begleit-CD: Track 6 62
Siehe Punkt 4.2.1., S. 20 63
Siehe Punkt 4.3., S. 34f. 64
Auch an dieser Stelle werden nur diejenigen außermusikalischen Erfahrungen dargestellt, die
aus den Schüleraussagen direkt geschlossen werden können. 65
Durch die ungenügende Tonqualität der Aufnahme können nicht alle Schüleraussagen im Wort-
laut wiedergegeben werden. Zu besseren Verständlichkeit werden diese ergänzt.
63
Szenische Improvisation zur Musik im Stopp- Verfahren
Schüleraussagen Deutung
- „Ich fand’s toll mal so zu spielen,
auch mit Musik“
Anhand von Schüleraussagen und Be-
obachtungen lässt sich sagen, dass
auch hier „eigene musikalische Tätig-
keit“ als Tätigkeit zur Musik stattfand
und so erleb- und erfahrbar werden
konnte.
Beobachtungen
- SchülerInnen gestalteten die Im-
provisationsszenen ausgehend
von den Sprechanteilen der
Instrumentenstimmen
- griffen die Stimmungen in der
Musik in ihrem Spiel auf
2. Auswertung der Schlussreflexion hinsichtlich musikalischer Erfahrungen
Schüleraussagen Deutung
- „[Ich fand es] vom Wissen heute
besser“
- „man [hat] so das geschichtliche
Hintergrundwissen [mitbekom-
men]“
- „Was mir positiv aufgefallen ist,
[…] dass wie wir heute den Stoff
vermittelt bekommen haben
leichter war, als wenn wir vier
bis fünf Seiten im Lehrbuch
durchlesen; so hat jede Gruppe
ihren Teil gehabt und den dann
auch vorgestellt.“
Die Schüleraussagen zeigen, dass die
musikalische Erfahrung des „Kontexts
eines Werkes“ durch die Szenische In-
terpretation zur Verfügung gestellt
werden konnte.
64
3. Auswertung der Schlussreflexion hinsichtlich ergänzender außermusika-
lischer Erfahrungen
Schüleraussagen Deutung
- „war schön in Rollen zu
schlüpfen und sich mal frei was
zu überlegen“
- „fand es schwierig die Rolle zu
übernehmen“
- „gelungener als Improvisation
vom letzten Mal“
- „Spielen war gut“
Während der Szenischen Interpretation
konnte die Erfahrung gemacht werden,
wie es ist eine andere Rolle zu über-
nehmen und aus deren Motiven heraus
tätig zu werden. Dazu kommt die Er-
fahrung des eigenen szenischen Spie-
lens.
4. Auswertung der Schlussreflexion hinsichtlich Spaß bei der Szenischen
Interpretation
Zu Spaß und Freude wurden in dieser Unterrichtseinheit keine direkten Aussagen
der SchülerInnen gemacht. Jedoch waren sich fast alle SchülerInnen darin einig,
dass dieses Mal „besser als letztes Mal“ war. Nur eine Schülerin fand die Musik
als Szene besser. Aus den Schüleraussagen lässt sich schließen, dass die Schüler-
Innen auch in dieser Unterrichtseinheit Spaß hatten.
5.5. Fazit
Die SchülerInnen haben die Methode der Szenischen Interpretation von
Instrumentalmusik gut angenommen und mit Spaß am Spiel und Engagement
durchgeführt. Dabei wurde die zweite Unterrichtseinheit als „besser“ empfunden.
Ich nehme an, dass dies auf die ungewohnte Art der Umsetzung von
Wahrnehmungen von Musik in der ersten Unterrichtseinheit zurückzuführen ist.
Außerdem waren die SchülerInnen in der zweiten Unterrichtseinheit darauf
vorbereitet, szenisch zu spielen und zur Musik tätig zu werden.
Durch den Einsatz verschiedener Verfahren innerhalb des Spielkonzepts konnte
eine Vielzahl von Erfahrungsmöglichkeiten bereitgestellt werden. Die Schüler-
aussagen lassen den Schluss zu, dass viele dieser Möglichkeiten auch genutzt
wurden. Auf die musikalische Erfahrung der „differenzierten Einstellung zu
Musik“ konnte weder aus den Schüleraussagen noch aus Beobachtungen direkt
geschlossen werden. Möglicherweise wäre diese aber durch die oben erwähnte
65
Reflexion der Wahrnehmung des ganzen Satzes als Abschluss der zweiten
Unterrichtseinheit auch zu erkennen gewesen.66
Nach Auswertung des Spielkonzepts zur Szenischen Interpretation von Instrumen-
talmusik des dritten Satzes des Klarinettenquintetts von Johannes Brahms lässt
sich die Annahme bestätigen, dass durch Szenische Interpretation ein praktisches
Erleben und Erfahren von Instrumentalmusik möglich wird. Im Rahmen des
Spielprozesses wurde an eigene Erfahrungen der SchülerInnen angeknüpft und
diese in die szenisch-musikalische Arbeit integriert. Es wurde außerdem deutlich,
dass sich die SchülerInnen ganz im Anliegen der Szenischen Interpretation eine
Bedeutung der Musik selbst erarbeiten konnten. Das Entstehen der verschiedenen
Szenen zur Musik in der ersten Unterrichtseinheit ist davon Ausdruck. Auch die
Annahme, dass die SchülerInnen bei der Szenischen Interpretation mit Spaß am
Unterricht teilnehmen, bestätigte sich. Das wurde zum Einen direkt aus den
Aussagen der SchülerInnen in der Reflexion ersichtlich, zum Anderen zeigte sich
dies in deren engagierten Spiel.
6. Zusammenfassung
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Szenische Interpretation von
Instrumentalmusik einen Lernvorgang unterstützt, der im aktuellen Rahmenlehr-
plan Musik (Sekundarstufe) des Landes Brandenburg wie folgt beschrieben wird:
„Beim Lernen konstruiert jeder bzw. jede Einzelne ein für sich selbst bedeutsames Abbild
der Wirklichkeit auf der Grundlage ihres/ seines individuellen Wissens und Könnens
sowie ihrer/ seiner Erfahrungen und Einstellungen.“ (MJBS 2008, S. 8)
Dabei stellt die Methode, durch den handelnden Umgang mit dem Instrumental-
musikwerk, das praktische Erleben und Erfahren in den Vordergrund der Musik-
vermittlung, wobei durch „Erschließen“ vorangegangener Erfahrungen neue
(konkret formulierbare) musikalische Erfahrungen möglich werden. Darüber
hinaus können die SchülerInnen auch außermusikalische Erfahrungen, beispiels-
weise Körpererfahrungen, machen. Durch die Verschränkung von Lebenswirk-
lichkeit der SchülerInnen und der Wirklichkeit des Werkes können dabei eigene
Bedeutungen zur Musik „konstruiert“ werden.
66
Dabei bleibt auch fraglich, ob es zu einer differenzierteren Einstellung zu klassischer Musik im
Allgemeinen oder nur zu dem betrachteten Instrumentalstück kommen würde.
66
Das Ziel der Vermittlung von Instrumentalmusik durch Szenische Interpretation
ist es, dass die SchülerInnen durch eigene szenische und musikalische Tätigkeit
Erlebnisse machen, die durch Integration reflexiver Verfahren in den Spielverlauf
sowie durch Reflexion des Gesamtprozesses zu Erfahrungen verarbeitet werden.
Der Spielleiter organisiert diesen Prozess durch die Auswahl geeigneter
Verfahren, eingegliedert in den Ablauf: Vorbereitung, Einfühlung, Szenisch-
musikalische Arbeit, Ausfühlung und Reflexion. So kann durch die Methode der
für den Lernvorgang nötige Erfahrungsraum geschaffen werden.
Zur Schaffung dieses Erfahrungsraumes ist eine sorgfältige Planung der Verfah-
ren unbedingt notwendig. Beim Erstellen des Spielkonzepts fiel mir auf, wie
wichtig das aufeinander Aufbauen der verschiedenen Verfahren ist, um den Ab-
lauf, vor allem in der ersten Unterrichtseinheit logisch zu gestalten. So ist bei der
Entwicklung vor allem darauf zu achten, dass das szenische Spiel durch vorange-
gangene Verfahren ausreichend vorbereitet wird. Dies gilt insbesondere für Lern-
gruppen, die keine Erfahrungen im szenischen Spiel haben. Für solche Gruppen
könnte die „Szenische Improvisation nach W-Fragen“ auch durch szenisches
Spiel mit selbst erstellter Textvorlage ersetzt werden, sodass die SchülerInnen die
Sicherheit des Textes haben, um ihre Szene zu veröffentlichen. Eine andere Mög-
lichkeit wäre eine Bilderfolge zur Szene zu entwerfen, die von den Gruppen foto-
grafiert und dann im Rahmen der Veröffentlichung vorgestellt und erklärt wird.
Für den Einsatz der Szenischen Interpretation von Instrumentalmusik im regu-
lären Musikunterricht wäre die Verbindung mit anderen Methoden von Vorteil.
Im Unterrichtversuch fiel mir auf, dass die Szenen zum Kontext teilweise ober-
flächlich blieben. Die Informationen aus den wissenschaftlichen Texten wurden
scheinbar nicht vollständig erfasst, beziehungsweise konnten nicht ausreichend in
das Szenische Spiel eingebracht werden, um den Kontext umfassend darzustellen.
Das zeigte sich besonders in der Szene zur Rezeption, bei der sowohl im Spiel, als
auch in der Kommentierung eher auf zwischenmenschliche, als auf inhaltliche
Aspekte der Szenensituation eingegangen wurde. Es wäre sinnvoll, an dieser
Stelle eine sorgfältige Betrachtung wissenschaftlicher Texte mit den SchülerInnen
zu integrieren. So könnte inhaltliches Wissen verstärkt in die Szenische
Interpretation eingebunden werden. Daraus könnte sich auch eine Möglichkeit zur
Leistungsbewertung ergeben, die im vorliegenden Spielkonzept keine Rolle
67
spielte, für den Einsatz im regulären Musikunterricht aber überlegt werden
könnte.
Die Methode der Szenischen Interpretation von Instrumentalmusik kann als eine
Methode bei der schulischen Vermittlung von Instrumentalmusik verstanden wer-
den. Sie erhebt nicht den Anspruch das Instrumentalmusikwerk in all seinen Fa-
cetten zu betrachten, sondern bietet den SchülerInnen die Möglichkeit, die Musik
selbst sowie den Kontext des Werkes zu erleben und zu erfahren. So wird das
Instrumentalmusikwerk für die SchülerInnen auf eine Art und Weise zugänglich,
die mit Spaß und Freude verbunden ist und die Möglichkeit einer subjektiven
Deutung bietet. Eigene Erfahrungen der SchülerInnen können eingebracht und
neue musikalische Erfahrungen „gemacht“ werden. Die Szenische Interpretation
von Instrumentalmusik ist deshalb meiner Meinung nach für eine erfahrungser-
schließende Musikvermittlung in besonderem Maße geeignet.
68
7. Literaturverzeichnis
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Konzept des handlungsorientierten Unterrichts zu einem Konzept der allgemeinen
Opernpädagogik, Diss. Phil., Carl von Ossietzky Universität Oldenburg;
http://docserver.bis.uni-oldenburg.de/publikationen/dissertation/2005/kossze04/
kossze04.hmtl [29.04.2010]
ISIM (2006): Institut für Szenische Interpretation für Musik und Theater,
www.musiktheaterpaedagogik.de [21.04.2010]
Stroh, Wolfgang Martin (2006): Vortrag auf dem Musiktheater-Symposium
Berlin 2006: Szenische Interpretation- Vom erfahrungsorientierten Lernen zur
Musikrezeption und –produktion;
www.musiktheaterpaedagogik.de/pdf/vortrag_bln2006.pdf [29.04.2010]
Landesinstitut für Schule und Medien Berlin-Brandenburg (Hrsg.) (2007): Hin-
weise zum Unterricht in der Jahrgangsstufe 11 im Land Brandenburg Musik;
http://bildungsserver.berlin-brandenburg.de [11.05.2010]
Ministerium für Jugend, Bildung und Sport des Landes Brandenburg (Hrsg.)
(2008): Rahmenlehrplan für die Sekundarstufe I Musik;
http://bildungsserver.berlin-brandenburg.de [20.07.2010]
Notenverzeichnis
Brahms, Johannes (1966): Quintette Op. 88, 111, 115, Leipzig: Edition Peters.
Diskographie
Brahms, Johannes (1999): Klarinettenquintett Op. 115, Streichquintett Nr. 2 Op.
111, Alban Berg Quartett/ Sabine Meyer/ Hariolf Schlichting, EMI Records.
Bildquellen Begleit-Präsentation
Titelbild Klarinette:
http://www.philso.uni-
augsburg.de/lmz/institute/bsb/blasinstrumente/dozenten/harrer/ [12.07.2010]
Johannes Brahms, Fotografie von 1895:
http://www.historische-daten.de/projekte/museum/auto/ bilder/brahms.jpg
[12.07.2010]
Richard Mühlfeld, Zeichnung Adolph von Menzel 1891:
http://www.wka-clarinet.org/amenzel-muehlfeld-klein.jpg [12.07.2010]
72
Anhang
Material 1: Offene Fantasiereise
Setze dich bequem hin und schließe deine Augen.
Atme tief und regelmäßig.
Richte deine Aufmerksamkeit auf die Geräusche, die du im Raum wahrnimmst.
Das Geräusch deines eigenen Atems und dem der Anderen.
Du wirst gleich Musik hören, und sobald diese Musik beginnt, taucht vor deinem
inneren Auge eine Landschaft, ein Raum oder eine andere Umgebung auf. Du
siehst Personen darin, die miteinander agieren.
(Beginn der Musik)
Die Personen bewegen sich passend zur Musik, vielleicht unterhalten sie sich.
Beobachte wie in einem inneren Film wie und wohin die Personen sich bewegen.
Verändert sich die Musik, so bemerkst du auch eine Veränderung im Verhalten
der Personen.
(Ende der Musik)
Die Szene verblasst wieder und du nimmst deinen Atem und die Geräusche im
Raum wahr.
Dann öffnest du die Augen und bist wieder ganz hier.
73
Material 2: Arbeitsauftrag zur Entwicklung einer Spielszene
In der Kleingruppenarbeit sollt ihr die Szenen der Fantasiereise als Spielszene umsetzen.
Dazu könnt ihr eine während der Fantasiereise entstandene Szene auswählen oder als
Gruppe aus den verschiedenen Ideen eine neue Szene entwickeln. Die Spielszene soll an
die Musik angepasst sein, d.h. auch in zwei Teilen mit eigener Charakteristik ablaufen.
Auf der CD findet ihr deshalb noch einmal die Musik der Fantasiereise zum Nachhören.
Als Hilfe zur Entwicklung der Spielszene können euch folgende Fragen dienen:
- WAS ist der Anlass der Szene?
- WO spielt die Szene?
- WER spielt in der Szene mit?
- WAS findet statt?
- WELCHE Absichten und Interessen haben die handelnden Personen?
- IN WELCHER ART UND WEISE agieren/ sprechen die Personen miteinander?
Ihr habt die Möglichkeit, die Szene mit oder ohne Worte darzustellen, gleichzeitig zur
Musik oder ohne Musik. Beim Vorspielen der Szene bleibt ihr am Ende des ersten Teils
wie „eingefroren“ in eurer Position, bis ihr das Signal zum Weiterspielen bekommt. Das
Gleiche geschieht am Ende des zweiten Teils.
74
Material 3: Arbeitsblatt Klarinettenquintett op. 115 h-Moll von Johannes Brahms
III. Satz
J. W. v. Goethe: „man hört vier vernünftige Leute
sich unterhalten“67
Erster Teil (Takt 1- 33)
Zweiter Teil (Takt 34- 165)
Dritter Teil (Takt 166- 192)
(Notentext ab Takt 184)
67
Über das Streichquartett; Zit. nach: Simmenauer, Sonia (2008): Muss es sein? Leben im Quartett, 3. korrig. Auflage, Berlin: Berenberg Verlag, S. 129.
Assoziationen
Kurzcharakteristik:
Imaginierte Szene
Kurzcharakteristik
Musikalische Strukturen
Kurzcharakteristik:
75
Material 4: Rollenkarten Szene 1
Quellen:
Freifrau von Heldburg vgl. Hofmann 2008, S. 39, S. 42ff.; Moser 1974, S. 270
Richard Mühlfeld vgl. Müller 2002, S. 131 ff.
Johannes Brahms vgl. Fellinger 1981, S. 79; Hofmann 2008, S. 39, 43; Korff 2008, S. 17 f., 212f.,
216
Freifrau Helene von Heldburg
Du bist 52 Jahre alt und die Ehefrau des Herzogs Georg II von Sachsen-Meiningen. Ihr beide seid große
Musik- und Theaterliebhaber, schließlich warst du selbst einmal Schauspielerin. Als solche weißt du, wie
man mit Künstlern umgehen muss, vor allem mit solchen wie Johannes Brahms, der manchmal etwas
knurrig ist. Seit du ihn vor zehn Jahren das erste Mal getroffen hast, bist du von seiner Musik begeistert. So
oft es geht laden dein Mann und du ihn ein, seine Werke mit der Meininger Hofkapelle zu probieren, oder
mit dir am Klavier gemeinsam zu musizieren.
Dieses Mal sollen zwei besondere Stücke geprobt und privat aufgeführt werden, ein Klarinetten-Trio und
ein Klarinettenquintett. Darauf freust du dich besonders, da der Klarinettist der Meininger Hofkapelle
Richard Mühlfeld endlich einmal besonders gut zu sehen und zu hören sein wird.
Richard Mühlfeld, Klarinette
Du bist 35 Jahre alt und Solo-Klarinettist der Meininger Hofkapelle. Dort hast du bei den zweiten Geigen
angefangen und bist aufgrund deines Könnens schnell zu den ersten Geigen aufgestiegen. Doch dein Herz
hängt an der Klarinette, die du neben Geige und Klavier schon als Kind zu spielen gelernt hast. Dein Talent
auf der Klarinette wurde schon bald entdeckt und mit 21 Jahren spieltest du als Solist in einem Konzert der
Hofkapelle. So wurdest du Solo-Klarinettist, wobei du keinerlei Starallüren aufweist, im Gegenteil, du wirst
wegen deiner zurückhaltenden bescheidenen Art gemocht.
Johannes Brahms kennst du seit 10 Jahren. Seitdem hält er sich immer wieder für Proben und Aufführungen
seiner Werke in Meiningen auf. Du hast schon bei vielen solcher Aufführungen mitgespielt, doch jetzt diese
neuen Kompositionen für Klarinette sind einfach wunderbar. Es ist für dich eine große Ehre sie spielen zu
dürfen.
Johannes Brahms, Komponist
Du bist 58 Jahre alt und als Sohn eines Musikers hast du schon früh selbst mit dem Musizieren begonnen.
Es sah zunächst so aus als würdest du Pianist werden, doch du wolltest lieber komponieren. Im Laufe deiner
Karriere hast du zahlreiche Freundschaften, sowohl mit anderen Musikern als auch Musikliebhabern aus
Bürgertum und Adel geschlossen. Viele dieser Freundschaften halten trotz deines Schwankens zwischen
Schweigen und Zornausbrüchen schon lange an. Eine dieser Freundschaften ist die zum Herzogspaar von
Sachsen-Meiningen, über deren Einladungen du dich immer sehr freust. Sie geben dir die Möglichkeit,
deine neuen Kompositionen mit der Hofkapelle zu proben und aufzuführen. Zudem sind beide sehr sympa-
thisch und mit der Freifrau musiziert es sich vorzüglich. Ihr gegenüber versuchst du sogar Charme zu
zeigen, denn sie ist äußerst liebenswürdig und gescheit.
Heute bist du angereist, um ein Klarinetten-Trio, bei dem du selbst Klavier spielen wirst, und ein Klari-
nettenquintett zu proben. Eigentlich dachtest du, dass deine kompositorische Tätigkeit abgeschlossen wäre,
aber dann hast du diesen Richard Mühlfeld Klarinette spielen hören und sein Spiel hat dich neu inspiriert.
76
Material 5 : Rollenkarten Szene 2
Joseph Joachim, erster Geiger
Du bist 60 Jahre alt und spielst die erste Geige in dem nach dir benannten Joachim-Quartett. Neben
dem Geigenspiel komponierst du und pflegst Freundschaften mit Musikern wie Robert Schumann
und Felix Mendelssohn. Einer deiner liebsten Freunde aber ist Johannes Brahms, den du deinen
„Spiel-und Kampfgenossen“ nennst, und dessen musikalisches Genie du früh erkannt hast. Ihr seid
jetzt schon fast vierzig Jahre befreundet und du hast ihn von Anfang an durch die Aufführung seiner
Werke gefördert.
Bei der Interpretation seiner und anderer Werke steht für dich die „musikalische Empfindung“ im
Vordergrund. So begründest du deine Vorschläge oft mit einem „Ich finde dies im vorliegenden Fall
schöner.“ Die Orientierung an der musikalischen Empfindung gilt insbesondere für das Spiel mit
deinem Streichquartett, in dem du als Quartettführer auch deshalb beliebt bist, weil du auch Interpre-
tationsvorschläge der anderen Mitspieler aufgreifst.
Heinrich de Ahna, zweiter Geiger
Du bist 56 Jahre alt und spielst im Joachim-Quartett unter Leitung von Joseph Joachim. Obwohl du
schon früh bei berühmten Lehrern Geige gelernt hast, hast du dich zunächst für eine militärische
Laufbahn entschieden. Als österreichischer Offizier hast du sogar am italienischen Feldzug von 1959
teilgenommen. Nach deiner Rückkehr spieltest du Joseph Joachim vor, der dich dazu ermutigte,
wieder als Musiker dein Geld zu verdienen.
Inzwischen bist du Konzertmeister und spielst zusätzlich im Streichquartett. Doch den Offizier merkt
man dir schon noch an. Dein zackiger manchmal etwas schroffer Ton verrät eben, dass du das
Befehlen gewöhnt warst. Im Quartett wirst du aufgrund deiner musikalischen Anpassungsfähigkeit
geschätzt, das brauchst du auch, schließlich ist die Stimme der zweiten Geige die am wenigsten
selbstständige im Quartett.
Emanuel Wirth, Bratsche
Du bist 49 Jahre alt und spielst im Joachim-Quartett unter Leitung von Joseph Joachim. Du stammst
ursprünglich aus Böhmen, warst Konzertmeister der Kurkapelle in Baden-Baden und bist dann als
Violinlehrer nach Rotterdam an das dortige Konservatorium gewechselt. Inzwischen bist du in
Berlin gelandet, wo du eine Violinprofessur an der Königlichen Hochschule innehast. Daneben
spielst du gern und regelmäßig Bratsche im Streichquartett.
Deine Kollegen und du spielen alle auf Stradivari-Instrumenten, aber du bist dir sicher, dass keiner
sein Instrument so liebt wie du. Der warme weiche Klang entzückt dich jedes Mal und so kostest du
es besonders aus, wenn die Bratsche mal etwas Wichtiges spielen darf.
77
Quellen:
Joseph Joachim vgl. Moser 1900, S. 42, 66, 117, 148, 231, 235
Heinrich de Ahna vgl. Moser 1900, S. 232, 241
Emanuel Wirth vgl. Moser 1900, S. 241
Robert Hausmann vgl. Moser 1900, S. 232, 241; „Die TONKUNST“ online 2003
Robert Hausmann, Cello
Du bist 39 Jahre alt und spielst Cello im Joachim-Quartett unter Leitung von Joseph Joachim, mit dem du
auch außerhalb der Quartettverpflichtungen in herzlichem Kontakt stehst. Seit du 25 Jahre alt bist,
unterrichtest du Cello an der Königlichen Hochschule Berlin, wo du 1884 den Titel „Königlicher
Professor“ erhieltest.
Deine Spezialität im Streichquartett sind die dicken Bässe, durch die du den anderen Spielern eine gute
Grundlage für ihre Tonentfaltung gibst. Genauso liegen dir die straffen rhythmischen Akzente, durch die
du den anderen Spielern gerade in schnellen Sätzen einen festen Stützpunkt lieferst. Du weißt, dass die
anderen Spieler deinen Beitrag zum Gelingen der Musik zu schätzen wissen, deiner Meinung nach
könnten sie es dir aber ruhig etwas öfter sagen.
Richard Mühlfeld, Klarinette
Du bist 35 Jahre alt und Solo-Klarinettist der Meininger Hofkapelle. Dort hast du bei den zweiten Geigen
angefangen und bist aufgrund deines Könnens schnell zu den ersten Geigen aufgestiegen. Doch dein
Herz hängt an der Klarinette, die du neben Geige und Klavier schon als Kind zu spielen gelernt hast.
Dein Talent auf der Klarinette wurde schon bald entdeckt und mit 21 Jahren spieltest du als Solist in
einem Konzert der Hofkapelle. So wurdest du Solo-Klarinettist, wobei du keinerlei Starallüren aufweist,
im Gegenteil, du wirst wegen deiner zurückhaltenden bescheidenen Art gemocht.
Johannes Brahms kennst du seit 10 Jahren. Seitdem hält er sich immer wieder für Proben und
Aufführungen seiner Werke in Meiningen auf. Du hast schon bei vielen solcher Aufführungen mitge-
spielt, doch jetzt diese neuen Kompositionen für Klarinette sind einfach wunderbar. Es ist für dich eine
große Ehre sie spielen zu dürfen.
78
Material 6 : Rollenkarten Szene 3
Quellen:
Henriette Kling: nochmaliges Spielen nach da-capo-Rufen vgl. Häfner 1978, S. 5; Müller 2002,
S. 137
Karl Siewert
Du bist 57 Jahre alt und Arzt mit gut gehender Praxis in Berlin. Du fühlst dich als Mitglied der
gehobenen Gesellschaft und als solcher warst du natürlich im gestrigen Streichquartettabend in der
Berliner Singakademie. Wider Erwarten war es ein sehr schöner Abend. Diese Klarinettenstücke von
Johannes Brahms waren fantastisch! So etwas hast du noch nicht gehört. Besonders das
Klarinettenquintett mit diesem Mühlfeld hat es dir angetan. Du freust dich auf den heutigen Abend,
wenn dein Freund Gustav Kling mit seiner Frau kommt, denn dann könnt ihr das Konzert noch
einmal gemeinsam Revue passieren lassen.
Agathe Siewert
Du bist 53 Jahre alt und mit dem Arzt Karl Siewert verheiratet. Du legst viel Wert darauf in der
feinen Gesellschaft akzeptiert zu werden, denn du willst deinem Mann eine präsentable und
respektable Gemahlin sein. Es ist nicht so einfach die richtigen Umgangsformen an den Tag zu
legen, wenn man selbst nur eine einfache Näherin war.
Heute Abend kommt das Ehepaar Kling zu euch, da wird es bestimmt nur um das gestrige Konzert
in der Berliner Singakademie gehen. Nun ja, es war ganz nett, aber warum dieser Brahms so gefeiert
wird, das verstehst du nicht. Doch das sagst du lieber nicht zu laut.
Gustav Kling
Du bist 56 Jahre alt und Rechtsanwalt mit großer Kanzlei in Berlin. Du liebst die Musik und wärst
beinahe selbst Geiger geworden, hast dich dann aber doch für die berufliche Sicherheit des Anwalts
entschieden. So oft es nur geht musizierst du gemeinsam mit deiner Frau Henriette und ihr geht in
jedes Konzert, das sich in deinen vollen Terminkalender einschieben lässt. Gestern Abend ward ihr
im Streichquartettabend in der Berliner Singakademie. Dieses Joachim-Quartett spielt wirklich
sagenhaft! Doch gestern war ein besonderes Erlebnis, denn es wurden neben einem Streichquartett
noch zwei Werke für Klarinette gespielt. Besonders das Klarinettenquintett war ein Hörgenuss.
Diese traumhaften Melodien! Deine Frau kann dich schon gar nicht mehr schwärmen hören, nur gut,
dass ihr heute Abend zu deinem Freund Karl Siewert geht, mit dem Mann kann man fachsimpeln.
Henriette Kling
Du bist 48 Jahre alt und mit dem Rechtsanwalt Gustav Kling verheiratet. Du hältst ihm den Rücken
frei und hast dich immer selbst um eure Kinder gekümmert. Die sind nun schon eine Weile aus dem
Haus und du hast dir einen lange gehegten Wunsch erfüllt und wieder mit dem Klavierspielen
begonnen. Inzwischen bist du so gut, dass du oft gemeinsam mit deinem Mann musizierst. Jetzt ist
auch endlich Zeit, um in all die wunderbaren Konzerte zu gehen, die Berlin zu bieten hat. So wart ihr
gestern im Streichquartettabend des Joachim-Quartetts an der Berliner Singakademie. Es war ganz
besonders, denn zwei Werke für Klarinette wurden unter Anwesenheit des Komponisten Johannes
Brahms aufgeführt. Du warst so begeistert, dass du gemeinsam mit den vielen anderen Konzertbe-
suchern endlos da capo gefordert hast. Schließlich spielten die Musiker das ganze Klarinettenquintett
noch einmal. Es war einfach wunderbar!
79
Material 7: Arbeitsauftrag Szene 1
Am Morgen des 21. Novembers 1891 trifft Johannes Brahms in Meiningen auf Schloss Elisa-
bethenburg ein, um dort bei der ersten Probe seines Klarinettenquintetts op.115 in h-Moll dabei zu
sein. Ebenfalls anwesend sind die Herzogin von Sachsen-Meiningen, Freifrau von Heldburg und
der Klarinettist Richard Mühlfeld.
Entwickelt auf Grundlage des vorliegenden Materials und eurer Rollenkarten eine Spielszene (mit
Textvorlage) zu dem Aufeinandertreffen der Personen. Darin soll deutlich werden, wie es zu der
Komposition kam und welche Beziehungen zwischen den einzelnen Personen bestehen.
Brief von Johannes Brahms an Freifrau von Heldburg (25. Juli 1891)
„Ich möchte mich nämlich auf das zudringlichste nach Meiningen einladen! Es ist aber
diesmal nicht purer Egoismus. Ganz vertraulich erlaube ich mir zu erzählen, wie sehr
ich für Sie gedacht und gar gearbeitet habe. Es ist mir (immer unter uns) nicht
entgangen, wie sehr Sie dem herzogl. Kammermusikus und Musikdirektor Mühlfeld
geneigt sind, ich habe mit Wehmut gesehen, wie mühsam und ungenügend Ihr Auge
ihn an seinem Orchesterplatz zu suchen hatte./ Im Winter konnte ich ihn wenigstens
einmal vorne hinstellen- aber jetzt- ich bringe ihn in Ihre Kemenate, er soll auf Ihrem
Stuhl sitzen. Sie können ihm die Noten umwenden und die Pausen, die ich ihm gönne,
zu traulichem Gespräch benützen./ Das weitere wird Ihnen gleichgültig sein; nur der
Vollständigkeit halber sage ich noch, daß ich für diesen Zweck ein Trio und ein
Quintett geschrieben habe, in denen er mitzublasen hat, und die ich Ihnen zur
Verfügung stelle- zur Benutzung anbiete. Nebenbei ist nun Ihr Mühlfeld der beste
Meister seines Instruments, und mag ich für diese Stücke an gar keinen anderen Ort
denken, als an Meiningen.“
(zit. nach Kalbeck in: Häfner, Roland (1978): Johannes Brahm:. Klarinettenquintett, München: Wilhelm
Fink,, S. 3f.)
Christian Mühlfeld (Bruder) über die Faszination
Johannes Brahms an Richard Mühlfelds Klarinettenspiel
„Der Meister … gewann Interesse an dessen warmer
Vortragsweise, dem schönen, in allen Lagen
modulationsfähigen Ton, der Atemregulierung und der
daraus hervorgehenden musikalischen Phrasierung, die
wiederum eine durchsichtige Gliederung des
Musikstücks bemerken ließ, und erkannte sofort die hohe
musikalische Intelligenz, die nicht das technische
virtuose Können in den Vordergrund stellte, sondern das
tiefere Eingehen in den Geist der Komposition, in die
Absichten des Komponisten, die echt musikalisch
empfundene Wiedergabe zur Hauptsache machte.“
(zit. nach Mühlfeld, in: Müller, Herta (2002): Richard Mühlfeld- der
Brahms-Klarinettist, in: Meyer, Martin (Hrsg.): Brahms-Studien. Band
13, Tutzing: Hans Schneider, S. 137)
Johannes Brahms an
Clara Schumann
„… man kann nicht schöner Klari-
nette blasen, als es der hiesige Herr
Mühlfeld tut.“
(in: Müller, Herta (2002): Richard
Mühlfeld- der Brahms-Klarinettist, in:
Meyer, Martin (Hrsg.): Brahms-Studien.
Band 13, Tutzing: Hans Schneider, S. 136)
80
Material 8: Arbeitsauftrag Szene 2
Es ist der Abend vor der Uraufführung des Klarinettenquintetts in der Berliner
Singakademie am 12. Dezember 1891. Alle Musiker haben das Musikstück für
sich geübt, jetzt muss eine gemeinsame Interpretation erarbeitet werden.
Hört euch zunächst den zweiten Teil des Satzes noch einmal an. In die Aufnahme
sind Stopps eingefügt. Eure Aufgabe ist es, zwischen den Musikabschnitten eine
Szenenimprovisation oder ein szenisches Spiel mit selbst erstellter Textvorlage
durchzuführen, bei der ihr euch darüber unterhaltet, wie das Stück zu
interpretieren ist (Beispiel: langsamer-schneller, mehr legato, Lautstärke etc.).
Während die Musik spielt, erstarrt ihr in der Spielhaltung eures jeweiligen Instru-
mentes.
Die Sprechanteile der einzelnen Musiker, sowie Art und Weise ihrer
Kommunikation, entnehmt ihr dem Auftreten ihres Instrumentes in der Musik
(Beispiel: Klarinette entspricht Mühlfeld). Betrachtet dafür auch den vorliegenden
Partiturausschnitt.
Für die Darstellung als Szene könnt ihr euch auf das Aufgreifen wesentlicher
Elemente der Musik beschränken. Folgende Überlegungen können dabei helfen:
- Welches Instrument/ Motiv dominiert den jeweiligen Ausschnitt? Wer hat
demzufolge das „Sagen“?
- Wie reagieren die Instrumente aufeinander? Wer diskutiert miteinander?
- Wann erklingen die Instrumente gleichzeitig oder mit gleichen Motiven?
Wer könnte einer Meinung sein?
- Wie klingen die Instrumentenstimmen des Abschnitts insgesamt, z.B.
ruhig/ aufgeregt? Wie ist also die Stimmung zwischen den Redenden?
83
Material 10: Arbeitsauftrag Szene 3
Am 12. Dezember 1891 wurde das Klarinettenquintett op. 115, gemeinsam mit
dem Klarinetten-Trio op. 114, in der Berliner Singakademie uraufgeführt. Eine
weitere Aufführung erfolgte am 16. Dezember in Wien. Von beiden
Aufführungen liegen Kritiken vor, eine von Otto Lessmann (Komponist und
Musikkritiker) in der Allgemeinen Musik-Zeitung in Berlin, die andere von
Eduard Hanslick (Professor für Ästhetik und Musikgeschichte und Musikkritiker)
in der Zeitschrift „Fünf Jahre Musik“.
Entwickelt ein fiktives Gespräch zwischen Hörern des Klarinettenquintetts, wie es
sich anlässlich einer Abendeinladung in musikinteressierten Kreisen jener Zeit
abgespielt haben könnte. Als Grundlage dafür dienen euch die unten aufgeführten
Ausschnitte aus den Kritiken über das Klarinettenquintett sowie die Informationen
auf euren Rollenkarten. Darüber hinaus könnt ihr eigene Hörerfahrungen aus der
letzten Unterrichtsstunde einbringen.
Kritik über die Uraufführung am 12. Dezember 1891 von Otto Lessmann
„Der dritte Abend des Joachim-Quartetts, der am 12. d. M. in der Singakademie stattfand,
gestaltet sich zu einer großartigen Huldigung für Dr. Johannes Brahms, der seine beiden
neuesten Kammermusikwerke, ein Trio für Klavier, Klarinette in A Moll und ein Quintett für
Streichinstrumente und Klarinette in H Moll, zur ersten Aufführung brachte. […] Übrigens
erweist sich die Zusammenstellung der Klarinette mit Cello und Klavier bei weitem nicht so
klangschön, wie die mit dem Streichquartett. Im Trio nahm der Ton der mehr in hoher als in
tiefer und mittlerer Lage geschriebenen Klarinette etwas die Gehörnerven Ermüdendes an,
während in dem Quintett das Zusammenwirken der Streichinstrumente mit der Klarinette zu
den wundervollsten, entzückendsten Klangkombinationen geführt hat. Ohne Zweifel ist das
Quintett das bedeutendere der beiden neuen Werke, ja es ist vielleicht das bedeutendste
Kammermusikwerk von Brahms […]. Der erste Satz ist bei allem Ernst doch von äußerst
wiecher Stimmung, der dritte, ein von einem Presto non assai unterbrochenes Andantino fesselt
durch interessante Melodik und der vierte, ein mit con moto bezeichneter Variationensatz, dem
ein einfaches klares und empfindungsvolles Thema zu Grund liegt, zeigt die außerordentliche
Fertigkeit des Komponisten in der Handhabung der kontrapunktischen Künste. Das ganze Werk
aber fesselt nicht sowohl durch die geistreiche, kunstvolle Arbeit, als vielmehr durch die bedeu-
tenden und schönen Gedanken und die Tiefe, edle Empfindung, welche alle Sätze durchweht.
Gespielt wurde das Werk unter Mitwirkung des ausgezeichneten Klarinettisten, Kammer-
virtuosen Mühlfeld aus Meiningen , in idealer Vollendung. […] Der Singakademiesaal war
ausverkauft, und die Anwesenden wurden nicht müde nach den einzelnen Sätzen der Brahms‘-
schen Werke dem Meister stürmische Huldigungen darzubringen.“
(zit. nach Lessmann, in: Häfner, Roland (1978): Johannes Brahms: Klarinettenquintett, München: Wilhelm Fink,
S. 45 f.)
84
Kritik über die Aufführung am 16. Dezember 1891 in Wien von Eduard Hanslick
„Ungleich bedeutender als das Klarinetten-Trio op. 114 ist Brahms‘ neues Quintet t in H -mol l
für Klar inet te und Streichquartett. Lange hat kein Werk ernster Kammermusik im Publikum so un-
mittelbar gezündet, so tief und lebhaft gewirkt. Das Quintett ist ein breiter ausgeführtes, bedeutendes
Seitenstück zu dem Klarinetten-Trio in A-moll. Noch stärker und geheimnisvoller als in letzterem
waltet hier der eigenartige Zauber des Klarinettenklanges. Wie dem bildenden Künstler ein gegebenes
äußerliches Mittel, ein bestimmtes Material, Maß oder Lokal häufig zum künstlerischen „Motiv“ wird,
ihm neue Ideen zuführt, so hat Brahms jüngstes dankbares Adoptivkind, die Klarinette, ihn zu
reizenden neuen Erfindungen und Kombinationen angeregt. […] Auf das Adagio folgt ein Andantino in
D-dur von etwas gleichmütigem Charakter; es geht in ein „Presto non assai“ über, dessen kurzes, ge-
schwätziges Motiv an Ähnliches von Brahms erinnert. Nach einer kunstvollen Durchführung schließt
auch dieser Satz, wie alle übrigen, im pianissimo. […]
Eine Stil-Eigentümlichkeit, die sich in fast allen neueren Kammermusiken von Brahms ausprägt,
erscheint besonders auffällig in dem H-moll Quintett; der viel engere Zusammenhang, das Einheitliche
im Charakter aller vier Sätze. In dem Quintett gehört alles einer Farbenscala an, so mannigfaltiges
Leben auch darin herrscht. […] Die mäßigend zurückhaltenden Bezeichnungen ‚non troppo‘, ‚non
assai‘, ‚quasi‘ u.s.w. sind charakteristisch für den späten Brahms, der nicht gern über ein gewisses
Niveau der Gemütsbewegung hinausgeht und grelle Kontraste lieber meidet als aufsucht. Daß
manchem Hörer nach einem wenig bewegten ersten Satz ein herzhaft fröhliches Scherzo, nach einem
düsteren Adagio ein feurig fortstürmendes Finale erwünschter schiene, solle weder verschwiegen noch
getadelt werden. Aber das Gefühl der Enttäuschung, wo es überhaupt eintrat, wird schnell verschwin-
den. Wer sich ernst und liebevoll mit Brahms beschäftigt hat, dem wird auch der maßvollere, abge-
klärte Stil seiner späteren Epoche mit all seinen Eigenheiten bald lieb und vertraut werden.“
(zit. nach Hanslick, in: Häfner, Roland (1978): Johannes Brahms: Klarinettenquintett, München: Wilhelm Fink, S. 46 ff.)
85
Material 11: Übersicht zu Phasen, Verfahren und Materialien
1. Die Musik als Szene
Phase Verfahren Schülermaterial Hörbeispiele
Phase 1:
Vorbereitung
Herstellen einer Bewegungs-
fläche
Phase 2:
Einfühlung
Musikalisch inszenierte
Bewegungsimprovisation
Phase 3:
Szenisch-
musikalische
Arbeit
Assoziationen zu Musik Track 1
Offene Fantasiereise Material 1, S. 72 Track 2
Szenische Improvisation nach
W- Fragen mit Kommentie-
rung
Material 2, S. 73 Track 2
Phase 4:
Ausfühlung
(entfällt)
Phase 5:
Reflexion
Musikalische Reflexion
- Szenen
- Hören
- Überprüfung
Höreindruck
- Deutung als Gespräch
Material 3, S. 74
Track 3
Track 4
Zusammenfassung des Spiel-
verlaufs
Material 3, S. 74
Blitzlicht
86
2. Der Kontext als Szene
Phase Verfahren Schülermaterial Hörbeispiele
Phase 1:
Vorbereitung
Herstellen einer Spielfläche
Wiederholtes Hören
Brainstorming
Warm-Up
Phase 2:
Einfühlung
Einfühlung über Rollenkarte Material 4, S. 75
Material 5, S.76
Material 6, S. 78
Entwickeln einer Gehhaltung
und Verkleiden
Rollenpräsentation in der
Szenengruppe
Phase 3:
Szenisch-
musikalische
Arbeit
Szene 1
Szenische Improvisation
Gruppensoziogramm
Material 7, S. 79
Szene 2
Szenische Improvisation zur
Musik im Stopp- Verfahren
Kommentierung durch
Rollenbefragung
Szene und Musik in Bezie-
hung setzen
Material 8, S. 80
Material 9, S. 81
Track 5
Szene 3
Szenische Improvisation
Kommentierung durch Hilfs-
Ich
Zusammenfassung der Szene
Material 10, S. 83
Phase 4:
Ausfühlung
Verabschiedung
Phase 5:
Reflexion
Reflexion des Spielprozesses
Blitzlicht
(Abschluss) Track 6
93
Eidesstattliche Erklärung
Hiermit versichere ich, dass ich die wissenschaftliche Arbeit einschließlich beglei-
tender Medien (Audio-CD, DVD) selbstständig verfasst habe. (Ausnahme: Rea-
lisierung Layout und Videoeinbindung der Begleit-Präsentation durch Mitar-
beiterinnen des Audiovisuellen Zentrums der Universität Potsdam). Alle Quellen
und Hilfsmittel, die für die Arbeit verwendet wurden, habe ich angegeben.
Außerdem versichere ich, dass weder diese Arbeit, noch Teile daraus, bereits in
anderen Lehrveranstaltungen als Form des Leistungsnachweises verwendet
wurden oder werden.
Eberswalde, den 05.08.2010