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' f.- ' - Die Studentenzeitung der Humboldt-Universität 7. Jahifang 7. Februar 1995 Vergebliche Mühen

UnAufgefordert Nr. 64

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Das ist Ausgabe Nummer 64 der Studentenzeitung der Humboldt-Universität zu Berlin vom 7. Februar 1995.

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' f.- ' -

Die Studentenzeitung der Humboldt-Universität 7. Jahifang

7. Februar 1995 Vergebliche Mühen

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Die ditte Seile 3

EditorialPikanterweise am Rande des PDS-Parteitages wurden durch einen ZDF-Jour-

nalisten die beruflichen Pläne öffentlich, die Wissenschaftssenator Erhardt fürdie Zeit nach den Abgeordnetenhaus-Wahlen im Oktober bereithält. Er wirdnicht mehr für das Amt des Senators für Wissenschaft und Forschung bereit-stehen, seine weitere Karriere entfaltet sich in Essen als Generalsekretär desStifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft. Ein mächtiger Verband derdeutschen Wirtschaft, dem rund fünftausend (finanzstarke) Mitglieder ange-hören und der auch in Berlin ein Wort mitzureden hat, wenn beispielsweisedie Dahlem-Konferenzen zu finanzieren waren. Eine Woche vor den Presse-mitteilungen über Erhardts bevorstehenden Rückgang waren wir bei ihm alsInterviewpartner zu Gast. Daß daraus nun unfreiwillig eine Art abschließendeBilanz wurde, haben beide Seiten während des Interviews noch nicht gewußt.Trotzdem war es eine Art Zusammenfassung von politischer Arbeit im schwie-rigen Terrain Berlin: Es ist vieles erreicht wurden, insbesondere für die Hum-boldt-Universität, aber die aktuellen Spardebatten lassen vieles in Gefahr ge-raten. Ob sich vor diesem Hintergrund die Klimmzüge gelohnt haben, dieErhardt Anfang Januar vor Pressefotografen öffenlichkeitswirksam („Fit für 95")vollführte, ist zu bezweifeln. Aber ein Wissenschaftssenator im Jogging-An-zug ist allemal amüsant...

Anfang April möchte UnAUFGEFORDERT ein neues Projekt beginnen. Abdem Sommersemester wollen wir in unregelmäßiger Folge, wahrscheinlicheinmal pro Semester, eine „UnAUFGEFORDERT EXTRA" herausgegeben, dieganz den Forschungen der Studenten an der Humboldt-Universität gewidmetist. Das erste Heft, welches wir gemeinsam mit der efhna (Fachschaftszeitungder Europäischen Ethnologie) produzieren wollen, wird sich mit der Bürokra-tie an der Humboldt-Universität beschäftigen. Hintergrund sind die Arbeitser-gebnisse des Seminars „Ethnologie der Bürokratie", welches unter Leitungvon Prof. Kaschuba im Wintersemester stattfand.

Und so oder ähnlich soll es dann auch bei anderen Projekten laufen. Wennalso Studenten oder auch Professoren der Meinung sind, der Arbeitsgegenstandihres Seminars wäre auch für eine größere Öffentlichkeit interessant, solltedieses der Redaktion rechtzeitig bekanntgeben. Denn ohne Publikation tau-gen Forschungen nur für den Elfenbeinturm, und Studenten haben an einerUniversität kaum die Möglichkeit, ihre Forschungsergebnisse zu veröffentli-chen. Wir sind bei der Auswahl der Themen völlig offen (auch Quantenphysikkann sehr interessant sein); - wer Themen hat, einfach bei uns melden.

Für die Semesterferien haben wir mit dieser Ausgabe vorgesorgt: 4 Aus-stellungsempfehlungen, 2 Theaterkritiken und die Rezension eines vierbändigenWerkes von Tad Williams bedeuten Kultur satt. Wem also zwischen Prüfung,Klausur und Belegarbeit noch Zeit bleibt - in der UnAUFGEFORDERT steht, woes was zu sehen, hören und zu lesen gibt.

Und nicht genug mit den Erneuerungen, hat UnAUF Nr. 64 exklusiv denFortsetzungsroman neu, aber anders erfunden. Die Entdeckerin wird sich derersten Folge widmen, dann folgen in alphabetischer Reihe alle anderen Re-dakteure - man darf gespannt sein, was sich unter „Morgenduft, Rabatten-zeit" so alles ereignen wird.

Zu aller letzt steht die Aufforderung: Auch im neuen Semester warten wirwieder auf neue Redakteure. Zwar sind wir im letzten Jahr von solchen zahl-reich aufgesucht worden, aber eine Zeitung, die das breite Spektrum studen-tischer Meinungen widerspiegeln will, kann davon nie genug bekommen. Also,wer Lust am Schreiben hat, im April geht es weiter.

Bis dahin, schöne Ferien und gute Prüfungsnoten!

InhaltHochschulpolitik:

Stupa Wahlen - Hochrechnungen 4Einsparungen an den Unis 4Interview mit dem Wissenschafts-senator. 6Strukturverwässerungen 8Kommentar zum Sparen 11amnesty international 12

Studieren:

Studieren in Oxford 13Keine Räume für Examen? 14Der Löwe ist weg! 15Grüne Woche 1 6

Medien:

Wo ist "Mies und Fies"? 19

Forschung:

Geschichte der HUB: Studenten zwischen1918 und 1920 22

Kultur:

Teesieb 20

Ausstellungen:Künstler aus Chicago und Berlin....25Auftrag Kunst 26Der Toaster im Museum 27Kreuzberg küßt New York? 29

Konzert:Aua beim Konzert! 29

Buch:Der Herr der Schwerter. 30

Theater:Dramen lesung 32Gangsterspektakel im Bunker....34

Narrenhochzeit in Köln 35

Film:100 Jahre Kino 36

Morgenduft - Rabattenzeit 37

Rubriken:

Moneteninfo..; 1 8Rätsel 38Leser und Diverses 39Letztes und Allerletztes 40

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Verläuffigos Ergebnis derWahl zum 3. Studenten-

parlament derHumboldt-Universität

Von den 26.093 Wahlberechtigtenhaben an der diesjährigen Stupa-Wahl2.472 Studenten teilgenommen. Bei211 ungültigen Stimmzetteln ent-spricht dies einer Wahlbeteiligungvon 9,5%. Gegenüber dem Vorjahrgingen dieses Jahr 2,6% weniger Stu-denten wählen. Als fleißigste Wäh-ler haben sich wieder einmal die Psy-chologen erwiesen (33,2%), das größ-te Desinteresse zeigte sich neben denElektrotechnikern (0,8%) bei der Cha-rite (2,3%).

Das neue Studentenparlament wird41 Mitglieder haben, Nachwahlen aufdie unbesetzt gebliebenen 19 Man-date können bis zum 22.04.1995 statt-finden.

Die einzelnen Listen mit den neu-en Mitgliedern des StuPa

Liste 1: RCDS- Gunnar Münchow (Geschichte)- Mario Pahnke (BWL)- Christina Ruff (Theologie)- Ulrike Hüppe (Medizin) .- Andreas Wolff (Jura)- Wiktor Wienke (Jura)- Thomas Krüger (BWL)- Alden Richert (BWL)liste 2: UNI- Thomas Schirrmann (Biochemie)- Rene Scheumann (Pharmazie)- Johannes Peschke (Fischereiwissenschaft)- Axel Humsch (Chemie)- Dirk Rübbelke (VWL)liste 3: HDS - Offene linke liste- Susann Baller (Musikwissenschaft)- Andreas Frielinghaus (Physik)- Anja Lindner (Psychologie)- Marcus Otto (Geschichte)- Michael Weber (Informatik)- Bernd Schilfert (Sozialwissenschaften)liste 4: Die bunten Hunde- Ulrich Kohllöffel (Kulturwissenschaft)- Moritz Krotz (Kulturwissenschaft)liste 5: MUTVILLA- Antje Barsch (Reha-wissenschaften)- Jens Pöschmann (Jura)- Ulrike Kersten (Reha-wissenschaften)- Steffan Knoke (Kulturwiss./Geschichte)liste 6: linke liste der Humboldt-Uni- Jana Schütze (Physik)- Ronald Höhner (Wirtschaftswiss.)- Claudia Schumann (Kulturwissenschaft)- Andreas Biesenthal (Geschichte/Geogra-

phie)- Kornelia Freier (Geschichte/Geographie)- Frank Seyffert (Arbeitslehre/Geographie)- Jeanine Dagyeli (Islamwiss./Turkologie)- Jörn Rogge (Geschichte/Soziologie)- Astrid Kiesewetter (Afrikanistik/Franzö-

sisch)- Bekele Tefera (Theaterwiss./KUnstwiss.)- Gabi Weineck (Sozialwissenschaften)- Joscha Bach (Informatik)liste 7: Geozentriker für Utopia- Mario Pschera (Jura)

Rük——„Rücktritte werden

nicht angedroht,sondern erklärt!"

Die drei Berliner Universitäten werden 7 995 Einsparungen in Höhevon 737 Millionen leisten müssen - durch Schließung und

Fusionierung von Studiengängen. Nach dieser Sparaktion gibtWissenschaftssenator Erhardt auf - für die nächste Legislaturperiode

steht er nicht mehr zur Verfügung.

Auszug aus einem Gespräch der zittymit den vier Berliner Universitätspräsi-denten: „Herr Erhardt will von Ihnenallen am 02. Februar wissen, welcheStudiengänge (...) eingestellt werdenkönnen. Frau Dürkop, was werden Sieihm als Vorsitzende des Kooperations-beirats der vier betroffenen Hochschu-len vorschlagen?" Antwort: „Nichts! DerArbeitsauftrag des Beirats ist ein ande-rer." So oder ähnlich klingen alle Stel-lungnahmen, die momentan aus denUniversitäten in Richtung Senatsverwal-tung für Wissenschaft und Forschungzu hören sind. Dort reagiert man mitGegentrotz: Was er denn von der An-drohung halte, die Dekane und Präsi-denten der Universitäten werden ausProtest zurücktreten, wurde Erhardtgefragt. Antwort: „Rücktritte werdennicht angedroht, sondern erklärt!"

Die Situation kann verfahrener nichtsein. Auf der einen Seite Wissenschafts-senator Erhardt, der die Sparbeschlüssein Form von Strukturveränderungen fürdie Universitäten als „dauerhaft fi-nanzierbare Strukturen" schönredet (sie-he Interview S.6). Auf der anderen Sei-te stehen die Universitäten, die ausAngst vor Eingriffen jegliche konkreteDiskussion zu eigenen Sparpotentialenvermeiden. Die Stellungnahme des Aka-demischen Senats der HUB konnte be-langloser nicht sein (UnAUF Nr.63), TU-Präsident Schumann hat sich mit derkonkreten Benennung von Studiengän-gen, die geschlossen werden könnten,an seiner Universität ins Aus manövriertund die FU versucht sich total totzu-stellen. Es ist ein seltsames Spiel, wel-ches die Universitäten momentan mit-einander treiben: Wer sich zuerst be-wegt, hat verloren.

Und es ist ein Spiel, welches den Rufnach Einschränkung der universitärenAutonomie stärker werden läßt. Denn

im Endeffekt wird es wieder die Staats-seite sein, die über die Einsparungenbeschließen muß, von hier werden Ent-scheidungen getroffen, welche Studien-gänge zu schließen sind. Die Uni-versitätsgremien haben wieder einmalbewiesen, daß sie nicht in der Lage sind,die ihnen zur Verfügung stehende au-tonome Entscheidungsgewalt den An-forderungen entsprechend zu nutzen.Dies hat auch mit dem „Gremien-unwesen" (Erhardt) zu tun, welches dieUniversitäten befallen hat. In einer gro-ßen Anzahl von Gremien wird immerentfernter von der Wissenschaft ver-sucht, Hochschulpolitik zu betreiben,zuungunsten des Verantwortungsge-fühls der Gremienmitglieder, die leiderall zu oft ihre Mitgliedschaft in denKommissionen vom Ort ihrer Tätigkeit- der Universität - trennen. „Professo-ren reagieren doch erst, wenn ihnen derLehrstuhl unter dem Hintern weggezo-gen wird." Diese Klage, am Rande derSondersitzung des Akademischen Se-nats der HUB von einem Professor ge-äußert, ist immer stärker von außerhalbder Universitäten zu hören und einesolche Meinung über universitäresEigenverständnis wird nicht dazu bei-tragen, die öffentliche Meinung über dieHochschulen zu verbessern.

Dabei steht viel auf dem Spiel: Insge-samt ca. 280 Millionen DM müssen dieUniversitäten in den nächsten beidenJahren einsparen, in Form des Abbausvon Doppel- und Mehrfachangeboten.Der Spielplan, den man sich dafür vor-gegeben hat, ist für die betroffenenUniversitäten nicht günstig: falls dieUniversitäten bis zum 31.01.1995 keineeigenen Vorschläge machen (dies istgeschehen), muß Senator Erhardt demAbgeordnetenhaus bis zum 31.03.1995einen Bericht vorlegen, wie gespartwerden könne. Und die Entscheidun-

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Rükgen fällt dann, so will es die SPD, dasAbgeordnetenhaus. Daß dort die Kennt-nis der Berliner Hochschullandschaftnicht sehr gut ist, haben die Entschei-dungen zur Fusion von Charite undUKRV bewiesen (siehe UnAUF Nr. 62).Und so steht zu befürchten, daß dasSchweigen der Universitäten sich imEndeffekt eventuell zum Schaden derUniversitäten auswirken könnte unddaß die Sparmaßnahmen in ihrerEndgestalt schlimmer sind als erwartet.

Nun ist aber Senator Erhardtnicht ganz schuldlos an dieserEntwicklung. Zum einen hat erversäumt, den UniversitätenKooperationsbereitschaft indem Sinne zu signalisieren, daßnunmehr gemeinsam versuchtwerden müsse, dem BerlinerSenat - hier insbesondere den ...Senatsverwaltungen für Inneresund Finanzen - die absurdenSparsummen auszureden. Indiesem Sinne könnte sich Er-hardt auch dazu durchringen,das momentan absolute „Nein!"der Berliner Universitäten alsautonome Entscheidung zuakzeptieren und von diesemPunkt eine Diskussion über diezweifellos vorhandenen Spar-potentiale an den Universitätenzu beginnen. Daß er den Uni-versitäten eine solche Entschei-dung nicht zubilligt und ange-sichts der diskussionslahmenAkademischen Senate und Ku-ratorien in der Öffentlichkeitvon einer Abdankung der Au- *tonomie" spricht, ist für beideSeiten nicht besonders förder- ^ **"lieh.Hinter den Kulissen wird aber zumin-

dest für die Humboldt-Universität ver-sucht, eventuell bedrohte Stellen zu ret-ten. Auf der letzten Sitzung der Haupt-kommision und in vertraulicher Rundeversuchen Universitätsleitung undWissenschaftssenat gemeinsam,noch nicht bestätigte und besetzteProfessorenstellen zu sichern. Dennwenn es hier zu Stellenkürzungenkommt, kann dies für einige Instituteund Fachbereiche (beispielsweise dieChemie) das Ende der Erneuerung be-deuten.Letzten Endes werden wohl alle drei

Universitäten und die HdK noch ein-mal Federn lassen müssen, der Haupt-teil wird auf die FU zukommen, die TUwird sicherlich einen Großteil ihrer Leh-

rerbildung verlieren und für die Hum-boldt-Universität wird sich die Einspa-rung auf einige naturwissenschaftlicheBereiche konzentrieren. Genaues weißman nicht und der Termin der Einspa-rungen wird auch sehr vom BerlinerWahlkampf abhängen. Erhardt selbstwollte nicht sagen, ob es noch vor denNeuwahlen zu Sparbeschlüssen kom-men wird. Das hänge von den Sozial-demokraten ab, die sich schon mehr-fach geweigert hätten, Entscheidungen

auf Kosten der Universitäten zu fällen.Die Universitäten sollten sich aber nichtdarauf verlassen, daß es vor den Neu-wahlen zu keinen Entscheidungenkommt, denn werden dann währenddes laufenden Haushaltsjahres beispiels-weise im Oktober Sparbeschlüsse ge-faßt, wird wohl einem Rasenmähergleich die Personalstruktur nach even-tuell überflüssigen Stellen abgegrast -für die HUB hieße dies noch einmal Ab-bau im Verwaltungsbereich und bei denwissenschaftlichen Mitarbeitern.

Das Szenario der politischen Umset-zung wird ein altbekanntes sein: Wer-den die Sparbeschlüsse in der Öffent-lichkeit ruchbar, werden Studenten(wahrscheinlich diesmal in Gemein-schaft mit ihren Professoren) auf die

Straße gehen, vielleicht auch streiken.Die Universitäten •werden sich lauthalsbeschweren, eventuell kommt sogareine Verwaltungsgerichtsklage heraus -alles zu spät. Alles, was dann diskutiertwird, gehört eigentlich jetzt auf denTisch, müßte eigentlich jetzt an denUniversitäten offensiv diskutiert wer-den. Wer nur auf die Schlange starrt,wird sie nicht besiegen...

Für Manfred Erhardt wird die anste-hende Sparrunde wohl die letzte Amts-

handlung sein (siehe Interview).1 Von außerhalb nach Berlin ge-

kommen, war es seine Aufgabe,die Hochschulen Berlins neu zustrukturieren und sie auf eine si-chere Grundlage zu stellen. Erste-res ist ihm mit einigen Rückschlä-gen gelungen, beim zweiten muß-te er kapitulieren. Am Ende muß-te er, in der Zange der Senatsver-waltungen für Inneres und für Fi-nanzen, immer mehr Zugeständ-nisse machen. Daß er zuletzt seinpolitisches Schicksal an das desregierenden Bürgermeisters Diep-gen geknüpft hat, war wohl nurein Vorwand, denn daß seine Plä-ne vorzeitig bekannt wurden,paßte dem Wissenschaftssenatorgar nicht. Denn nun endet seineAmtszeit in Berlin, wie sie begann:Im Januar 1991 zogen Studentender HUB in einem Protestmarschnach Leipzig, um so die drohen-de Abwicklung einiger Fachberei-che zu verhindern, FU und TUstanden massiv in der Kritik, zu-viele Gelder zu verschlingen.

Zurück läßt Manfred Erhardt eine~* Senatsverwaltung, die hochschul-

politische Vorgaben am liebstenin eigene verwaltungsgerechte Happenzerstückelt und so die Kontakte mit denUniversitäten auf Verwaltungsebenezum nervenaufreibenden Spiel werdenläßt (siehe UnAUF Nr. 6l) und eineStadt, die Bedeutung von Wissenschaftnoch hinter die der Wohnungspolitikeingruppiert - mit entsprechender Er-wartungshaltung an die Universitäten.

Sein Einsatz für die (in ihrer Leitungoft schwierige) Humboldt-Universitätwar beachtlich, betrachtet man jedochdie anstehenden Sparmaßnahmen unddie damit einhergehenden Strukturver-änderungen für die eigentlich geradeneu strukturierte Universität, dann waralle Mühe vergeblich!

jot

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Rük"Unter dem Diktat der

leeren Kassen"Interview mit dem Senator für Wissenschaft und Forschung,

Prof. Dr. Manfred Erhardt

UnAUFGEFORDERT: Am 07. 12.1994 haben Sie die vier Präsidentender Berliner Universitäten und derHdK aufgefordert, in den Uni-versitätsgremien Entscheidungenund Stellungnahmen in bezug aufStrukturentscheidungen herbeizu-führen. Die Universitäten werdensich mit großer Wahrscheinlichkeitdieser Aufforderung widersetzen.Wie wollen Sie überhaupt die not-wendigen Sparmaßnahmen zur Er-füllung der pauschalen Minderaus-gabe in Höhe von 137 Millionen fürdas Jahr 1995 noch umsetzen?Manfred Erhardt: Zunächst einmal

wundere ich mich über diese Verwei-gerung. Ich hatte schon einmal versucht,dem Berliner Senat die Möglichkeit zugeben, Studiengänge zu schließen. Da-mals haben die Universitäten unisonoerklärt, das sei nicht Sache des Staates,sondern Sache der Universitäten selber.Das ist richtig: Im Land Berlin sind dieAkademischen Senate zuständig, Studi-engänge zu schließen, zu verändernoder neu einzurichten. Wenn dies aberdie akademischen Senate nun nicht tunwollen, es der Kooperationsbeirat auchnicht schafft, und wenn auch die Präsi-denten beim Gespräch Anfang Februarnicht in der Lage sein sollten, ein abge-stimmtes Konzept darzulegen, dann binich durch Parlamentsbeschluß zum 31.März diesen Jahres gehalten, einen Be-richt vorzulegen und Vorschläge zu ma-chen, wie es zu welchen Struktur-en tscheidungenkommen kann.

fallen und nicht die Politik müßte dieseAufgabe übernehmen.

Denn die Universitäten müssen erken-nen, daß man nur die Wahl hat zwi-schen der Rasenmähermethode, dashieße der pauschalen Rückführung vonZuschüssen, oderaber einer sinnvol-len Hochschul-strukturpolitik, diedazu führt, daßdas, was wir erhal-

AdministrativeInsuffizienz der HUB

Und darüber wirddann das Parla-ment entscheiden.Ich bedaure, daß

die Entwicklung indiese Richtung ge-hen wird. Es wäremir lieber, es könnte in der Wahrneh-mung der Hochschulautonomie der Uni-versitäten eine Strukturentscheidung

Wahl zwischenRasenmähermethode

und sinnvollerHochschulpolitik

ten wollen, ordentlich finanzierbar ist.Und deshalb wäre es sinnvoll, wenn dieHochschulen sich in der Lage sehenwürden, sich den gesamtgesellschaft-lichen Notwendigkeiten, die sie sonstimmer so sehr einklagen, zu stellen undin einem - ich sage mal: relativ beschei-denen Rahmen - mitziehen würden.Aber niemand geht davon aus, daß im

Jahre 1995 oder 1996 große Sparbeiträ-ge anfallen. In diesen Jahren sollen le-diglich die Strukturentscheidungen ge-fällt werden, so daß bis in acht Jahrenein eingestellter Studiengang automa-tisch auch Einsparbeiträge abwirft.Würde Ihnen denn ein begründe-

tes, aber klares „Nein!" der Univer-sitäten helfen, gegenüber dem Ber-liner Senat auf die Undurchführbar-keit der geforderten Sparmaßnah-men hinzuweisen?

Die Sparvorgaben des Parlaments inder vorgesehenen Höhe sind ja nichtgrundsätzlich undurchführbar. Man mußaber fragen, ob eine Totalverweigerung

vorliegt oder einkonstruktives Be-

Zuschuß. D.h. der Zuschuß an der Hum-boldt-Universität steigt gegenüber demVorjahr 1995 um 45 Millionen, das ent-spricht 9,9 Prozent. Ich erkenne nicht,daß die Humboldt-Universität an derSpitze der Sparbemühungen steht, und

die versäumtenKündigungen ha-ben ja seinerzeitauch gezeigt, daßhier offensichtlichnicht das Sparen

mühen.Ich kann aber

nicht verstehen,warum gerade dieHumboldt-Univer-sität nun auchsagt, es sei genü-

gend gespart worden. Die Humboldt-Universität hatte 1991 350 Millionen Zu-schuß, und hat 1995 fast 500 Millionen

im Vordergrund stand, sondern die ad-ministrative Insuffizienz der Humboldt-Universität dazu geführt hat, daß imGegenteil mehr Geld ausgegeben wer-den mußte, als dies für eine profilierteUniversität nötig ist.

Die Humboldt-Universität sagtselbst, daß sie voraussichtlich mit 25Millionen von den Sparmaßnahmenbetroffen wäre. Umgerechnet be-deutet dies, daß der Sachmittel-bereich von 32 Millionen auf 7 Mil-lionen gekürzt werden müßte, oderdaß 65 Professorenstellen unbesetztbleiben müßten. Sind das nicht Grö-ßenordnungen, die gefährliche Ein-schnitte in den aktuellen Haushaltder Universität bedeuten?

Das sind unprofessionelle Milchmäd-chenrechnungen. Es geht ja nicht dar-um, daß im Jahr 1995 der Einsparbeitragerbracht wird, sondern daß in der Grö-ßenordnung von 158 Millionen, bis zumJahre 2003 eine Zuschußabsenkungstattfindet. Es geht darum, daß im Jahre1995 die Strukturentscheidungen fallen,nicht um die zeitgleiche Realisierung derEinsparungen. Es geht um den Abbauvon mehrfach angebotenen Studiengän-gen.Abgesehen von den genauen Zah-

len, ist eine solche Sparauflage fürdie Humboldt-Universität, die sichnach wie vor in der Umstrukturie-rung befindet, wissenschaftspo-litisch überhaupt verantwortbar?

Dies hängt davon ab, v/elche Struktur-

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Rükentscheidungen getroffen werden. Unddeshalb ist es auch meine Vorstellung,daß dies übergreifend von allen dreiUniversitäten vorgeschlagen wird. Denndas, was an der einen Universität ge-schlossen wird, wird ander anderen Universitätselbstverständlich weiter-geführt, vielleicht sogargestärkt werden.Wäre es bei den ange-

deuteten Sparhöhen aufDauer nicht sinnvoller,eine Universität ganz zuschließen als sich mitallen Universitäten aufmühsame Debatten ein-zulassen?

Das ist ein argumentumad absurdum. Aber in derTat: Vor meiner Senatoren-tätigkeit im Jahre 1990 istim Abgeordnetenhaus undim MagiSenat (Verbindungder beiden Berliner Stadt-verwaltungen vorder Wie-dervereinigung - UnAUF)sehr heftig darüber disku-tiert worden, ob nicht dieHumboldt-Universität gän-zlich abgewickelt werdensollte. Es hat bekanntlicheine andere Entscheidunggegeben, und dies bedeu-tete zunächst einmal, daßdie Humboldt-Universitätin den Fachbereichen, dieexistierten, weitergeführtwerden sollte. Daß die fi-nanzielle Not des LandesBerlins so schnell kommtund wir heute unter demDiktat der leeren Kassenstehen, konnte keiner ah-nen.Aber diese Sparmaßnah-

men können ja auch struk-turell sinnvoll gestaltetwerden. Einerseits müssendie überbordenden Mas-senstudiengänge an derFU und TU zurückgeführtwerden, und andererseitsist es für ein Land wie Berlin, mit drei-einhalb Millionen Einwohnern, auchnicht notwendig, daß Vier- und Fünf-fachstudiengänge und sehr vieleDreifachstudiengänge angeboten wer-den. Und wenn gespart werden muß,dann sollte man das nicht mit derRasenmähermethode tun, sondern mansollte aus der Not eine Tugend machen

und sinnvolle Strukturen etablieren, diedauerhaft finanzierbar sind.Es hat von verschiedener Seite,

auch von der Präsidentin der HU,den Vorschlag gegeben, eine Berli-

Prof. Dr. Manfred Erhardt wurde am 24. Januar 1991 Senatorfür Wissenschaft und Forschung in Berlin. Seine politischeLaufbahn begann 1969 im Bundesministerium für Bildung undWissenschaft und Forschung. Von 1982 - 1984 war erGeschäftsführer der CDU-Fraktion im Landtag von Baden-Württemberg.Nach einer Legislaturperiode in Berlin gibt Erhardtauf. NebenUmweltsenator Volker Hassemer und Senatssprecher Michael-Andreas Butz hat auch Manfred Erhardt die Weichen für eineneue berufliche Zukunft nach den Abgeordnetenhaus-Wahlengestellt: Ab Februar 1996 wird Erhardt stellvertretenderGeneralsekretär des Stifterverbandes für die DeutscheWissenschaft. Zum 01. Juli 1996 soll er dann die Nachfolgevon Horst Niemeyer als Generalsekretär antreten.

ner Universität nach französischemVorbild zu gründen. Was halten Sievon derartigen Vorschlägen?

Das französische Vorbild besagt genaudas Gegenteil: Es gab einmal eine riesi-ge Sorbonne, und die wurde, weil eseine anonyme Massenuniversität gewor-den war, in dreizehn Universitäten zer-gliedert. Alle unsere Erfahrungen deu-

ten darauf hin, daß Studieren besser ankleineren, überschaubaren Einheitenmöglich ist als in großen, überbord-enden Studiengängen, in der die An-onymität sowohl auf der Seite des Lehr-

körpers wie auch auf derSeite der Studentenschaftvorherrscht und die Be-treuungsintensität deut-lich geringer ist. Ich hal-te den Vorschlag, aus dendrei Berliner Universitä-ten eine Riesenuniversitätzu machen, für absurd. Esist nichts anderes als dasAufmachen einer Alibi-Diskussion.

Wie verhalt sich aberder Wille, drei BerlinerUniversitäten zu erhal-ten, mit dem jetzt ver-stärkten Ruf nach demAbbau von Doppel-und auch Mehrfachan-geboten? Bedeutet dasnicht eine einseitigeProfilierung für jedeUniversität?

Nein, jede der Universi-täten soll sich im Hinblickauf die Existenz zweierweiterer Universitäten inBerlin profilieren.

Die Universitäten sollenauf Komplementaritätangelegt werden. Unddies bedeutet, daß manendlich in den jeweilsaffinen Fächern die Zu-sammenarbeit zwischenden Universitäten suchenmuß und auch suchenkann. Meine Vorstellunggeht dahin, daß dort, woMehrfachangebote vor-handen bleiben, eine in-haltliche Profilierung er-folgt, so wie dies dieLandeshochschulstruk-turkommission beispiels-weise für die Physik oderfür die Chemie vorge-schlagen hat. Im Bereich

der Lehrerbildung würde das heißen,daß keine Universität die Lehrerbildungvollständig verliert, aber beispielswei-se die TU stärker die naturwissenschaft-lichen Fächer bedient, die HUB stärkerdie geistes-und sozialwissenschaftlichenFächer vorhält und an einer Universi-tät, mein Vorschlag wäre die FU, diegesamte Palette im Bereich der Lehrer-

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8 ttflikbildung vorhanden bleibt.Welche Studiengänge wären denn

konkret von den strukturellen Ein-sparentscheidungen betroffen?Wenn die Universitäten mich in die

Lage bringen, daßich Strukturent-scheidungen fällenmuß, dann werdeich das konkretisie-ren. Aber ich sehezunächst einmal die Universitäten in derVorhand, solche Vorschläge zu erarbei-ten. Wenn sie dies nicht tun, dürfen siedann aber auch nicht der Politik vor-werfen, daß sie konkrete Entscheidun-

15.000 Studienplätze inBerlin abbauen

gen treffen muß.Als Sie 1991 Ihr Amt in Berlin an-

traten, 'war es Ihre Aufgabe, von au-ßen Vorschläge für eine Umstruktu-rierung der Berliner Wissenschafts-

landschaft zu er-arbeiten undauch umzuset-zen. Was ist ausdiesen Vorschlä-gen, insbeson-

dere in Hinblick auf die Gestaltungder HUB, geworden?

Die Stellungnahmen und Empfehlun-gen der Landeshochschulstruktur-kommission, die ja entsprechende Vor-

schläge zum Inhalt hatten, sind dieGrundlage für unseren Berliner Hoch-schulstrukturplan von 1993-

Und obwohl die Universitäten sich beider Aufstellung des Landeshoch-schulstrukturplanes mit Vehemenz ge-gen ihn gestellt haben, darf ich erfreutfeststellen, daß er nun im Rahmen derEntwicklungsplanung für die einzelnenUniversitäten umgesetzt wird. Das giltsowohl für die quantitative Vorgabe,15000 Studienplätze an den Universitä-ten im Lande Berlin abzubauen, als auchfür die strukturellen Vorstellungen, diedort enthalten sind.

Ein konkretes Beispiel: Das Insti-

StrukturverwässerungenDie Berliner Hochschullandschaft ist die vielfältigste in

Deutschland. Drei Universitäten, verschiedene Hoch- undFachhochschulen machen die Hauptstadt zu einem der at-traktivsten Studienorte, da nicht nur Fächer, sondern oftauch Forschungskonzepte zur Auswahl und zum Vergleichstehen. Formal äußert sich dieser Reichtum jedoch in Dop-pel- und Mehrfachangeboten in vielen Fachgebieten. Umdie Struktur des Universitätsstandorts Berlin nun übersicht-licher und effektiver zu gestalten, beschlossen Senat undBerliner Abgeordnetenhaus 1993 den Berliner Hoch-schulstrukturplan. Mit der "Neuordnung der Fächeran-gebote" soll ein "arbeitsteiliger Verbund zwischen denHochschulen" geschaffen werden, der "zu einem effizien-ten Einsatz der knappen Ressourcen führt". Eine ordnendeMaßnahme war nun das Fusionsgesetz von 1992. Danachkann man Agrarwissenschaften nunmehr an der Humboldt-Universität studieren, Lebensmitteltechnologie nur noch ander TU und die Veterinärmedizin ist an der FU zusammen-geführt worden.

Im letzten Fall stellen sich allerdings schon ganz offen-sichtlich die ersten Fragen nach der Effektivität der Umge-staltungen. Noch 1991 bescheinigte der Berliner Wissen-schaftsrat der Veterinärmedizinischen Fakultät der HUB, daßhier unter schlechteren Bedingungen gegenüber der FUdie bessere Forschung betrieben würde. Der Protest an derFU war grenzenlos. Es war daraufhin wohl ein politischeEntscheidung, die Tiermedizin der FU zuzusprechen, ob-wohl deren Standort in Düppel 1992 noch gar nicht fertig-gestellt war. Die Unsicherheit in der Entscheidung beweistauch das Hintertürchen im Fusionsgesetz: nach fünf Jahresoll erst über die endgültige Zuordnung der Veterinärme-dizin entschieden werden. Welche Kosten wird wohl eineneue Entscheidung 1997 verursachen?Ähnlich chaotisch stellt sich von außen betrachtet die Ver-

schmelzung des Fachbereichs Sonder- und Heilpädagogikder FU mit dem Fachbereich Rehabilitationswissenschaftenan die HUB dar. Seit Oktober 1994 studieren 2000 Stu-denten in dem kleinen Gebäude in der Albrechtstraße(UnAUF berichtete in Nr. 62). Das Mietshaus quillt über.

Bevor ein endgültiges Domizil gefunden und ausgebautist, müssen Provisorien finanziert werden, weil sonst derStudienbetrieb für die Reha-Studenten-Massen nicht vollgewährleistet werden kann. Folgekosten unbekannt!Auch die Fusion der Charite mit dem Universitätsklinikum

Rudolf Virchow (UKRV) brachte wenig Klarheit in die Berli-ner Hochschulstruktur. Das Gerücht geht um, daß niemandweiß, wie viele Überhangstellen am UKRV überhaupt be-setzt sind, die vor jeder Personalentscheidung zunächst ver-rechnet werden müssen. Die Studierenden können kaumnoch überschauen, an welcher Universität sie überhauptstudieren. Noch im Oktober 1994 wurden die Medizinstu-denten der FU auf die damals noch drei Uniklinika ihrerUniversität verteilt. Nach Inkrafttreten des Fusionsgesetzesgibt es bisher keine Möglichkeit mehr, den Studienort in-nerhalb der nunmehr zwei Berliner Klinika Benjamin Frank-lin (FU) und Charite/Rudolf Virchow (HUB) zu wechseln. Sowird, wer am UKRV eingeschrieben ist, nach einem langenStudium an der FU ohne eigenes Zutun unter seinem Ex-amen den Stempel der HUB haben, obwohl er diese Univielleicht nie betreten hat. Übersichtlichere Hochschul-landschaft Berlin?Welche Einsparungen brachten nun die Fusionen im Ber-

liner Wissenschaftshaushalt? Auskunft der Senatsverwal-tung: Keine! Die Fusionen seien Strukturmaßnahmen, derGesetzgeber habe aber Einsparungen unmöglich gemacht,indem er jeglichen Personalabbau per Fusion verhinderthat. In den zusammengelegten Fachbereichen könne viel-leicht der eine oder andere Computer eingespart werden,merkliche Haushaltsauswirkungen gäbe es aber keine, sodie Pressesprecherin von Senator Erhardt. Einsparungenwerden erst weitere Umstrukturierungen innerhalb der Unisund die Streichung einzelner Studiengänge bringen. Undda trifft es an der HUB vor allem Orchideenfächer wie Klas-sische Indologie oder Kristallographie, aber auch Fächer,die einfach kein Vorbild an etablierten Universitäten ha-ben wie die Sozialtherapie oder die Archivwissenschaft.

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tut für Philosophie der HUB hat stattder geplanten zehn Professoren-stellen nur acht erhalten, von denenmomentan nur fünf besetzt sind. Beieiner gegenwärtigen Studentenzahlam Institut von über 1000 Studen-ten führt dies zu gravierenden Pro-blemen in der Praxis. Hier liegenProbleme: nichtalles, was mög-lich war, wurdeauch durchge-setzt

Keine andere Uni-versität in den neu-en Bundesländernhat eine solch großzügige Stellen-ausstattung in den Fachbereichen wiedie Humboldt-Universität. Auch im Wis-senschaftsrat ist dies mit Sorgenfaltendiskutiert worden, weil eine zu großeUniversität entstehen könnte.Wenn Sie die Studienanfängerzahlen

vergleichen, so sind diese im Winterse-mester 1994/95 an der HUB größer alsan der FU und als an der TU. Das heißt,es besteht die Gefahr, daß - infolge dergroßzügigen Stellenausstattung - dieHumboldt-Universität eine Massen-universität werden könnte. Dies müßtenach den bitteren Erfahrungen eigent-lich verhindert werden.Beim konkreten Beispiel Philosophie

ist es richtig, daß die ursprüngli-che Stellenzahl bei den Professo-ren zurückgeführt wurde bzw. zu-rückgeführt werden konnte auf dasjetzt vertretbare Maß. Hinzu kamfreilich auch, daß wir uns mit man-chen Berufungen etwas schwergetan haben, nicht alle Rufe, diewir erteilt haben, wurden ange-nommen. In dieser Situation habenwir uns dazu entschlossen, einenetwas behutsameren Aufbau zuwählen: lieber die Berufungen et-was strecken, als alle auf einenSchlag berufen und dann vielleichtnicht die hohe Qualität an Beru-fungen zu erzielen, die wir uns vor-stellen.Eine zweite Frage, die Ihre

Amtszeit in Berlin berührt: IhreAufgabe war es auch, dem poli-tischen Klima der Stadt, welchessehr stark von den WestberlinerErfahrungen geprägt ist, zu wi-derstehen. Ist Ihnen das gelun-gen?Meine Unabhängigkeit habe ich mir

sicher bewahren können, und auch denklaren Blick darauf, daß die Verhältnis-

Studienanfängerzahlenan HUB höher als an FU

und TU

se in Berlin ungleich schwieriger sindals andernorts. Aber in einer großenKoalition können Sie nicht alles durch-setzen, was Sie für notwendig halten.Ich würde gern das Gremienunwesenzurückschneiden, das die BerlinerHochschulen in langatmige Diskussi-onsrunden versetzt. Was ich ganz be-

sonders bedaureist die Tatsache,daß in keinemKuratorium undganz selten in denAkademischenSenaten unsererkur a t o r i a l en

Hochschulen der Streit um die wissen-schaftliche Exzellenz geführt wird.

Dort geht der Streit um Besitzstände,Status-quo-Diskussionen, gewerkschaft-liche Positionen und Besitzstände dereinzelnen Statusgruppen. Das ist außer-ordentlich bedauerlich.Bedauerlich ist ebenfalls, daß das Par-

lament in viel zu starkem Maße Exe-kutivaufgaben übernimmt, das heißt,sich nicht auf seine Kontrollfunktionzurückzieht, sondern viel zu viele Be-lange der Hochschulen selbst zu steu-ern versucht. Es fehlt zudem nirgend-wo so stark wie in Berlin dem Senatund dem zuständigen Senator an Steue-rungsmöglichkeiten. Anreize sind nach

darauf hingewiesen, daß es wün-schenswert wäre, wenn endlich ein-mal Maßstäbe gesetzt werden könn-ten, wohin Wissenschaft in Berlingehen soll. Was wären diese Maßstä-be, 'wenn Berlin in diesem Punkt eu-ropäischen Standards entsprechensoll?

Kein anderes Bundesland hat, bezo-gen auf den Bevölkerungsanteil, höhe-re Wissenschaftsausgaben als Berlin.Wir haben weit mehr Studierende undStudienplätze, als unserem Bevölke-rungsanteil entspricht, das wollen wirauch beibehalten. Der Haushalt für Wis-senschaft und Forschung war noch nieso hoch.wie in diesem Jahr. Mit 3,962Milliarden D-Mark hat mein Haus dashöchste Budget seit den letzten vier Jah-ren.

Das heißt, die Schwierigkeit bestehtganz offensichtlich darin, daß die auto-nomen Universitäten nicht in der Lagesind, Sparzwänge, die sich aus überge-ordneter Sicht ergeben, so zu realisie-ren, daß man daraus vernünftigeStrukturentscheidungen macht. AlleHochschulen sind offenbar nur in derLage, die Finanznöte zu beklagen. Wennman bedenkt, daß die Universitäten jadie Ausbildungsstätten der Führungs-kräfte für Staat, Wirtschaft und Gesell-schaft sind und stets reklamieren, wel-

Lehrerstudenten protestieren gegen Abwicklung Juni 1993

dem System, das sich in Berlin etablierthat, kaum möglich.Sie haben in letzter Zeit mehrfach

ehe Schlüsselqualifikationen vermitteltwerden, ist dies außerordentlich wider-sprüchlich. Hier müssen Maßstäbe in

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10 ttükeine andere Richtung gesetzt werden,die der Verantwortung der Universitä-ten gerecht werden.Welchen Stellenwert hat Wissen-

schaft in der Berliner Politik?Der Stellenwert von Wissenschaft und

Forschung in der Gesellschaft ist, Mei-nungsumfragen zufolge, geringer als derStellenwert der Arbeitsmarktpolitik, derWohnpolitik, der Inneren Sicherheit, desUmweltschutzes - ich glaube, die Ge-sellschaft selber gibt der dem BereichWissenschaft und Forschung nicht dienotwendige Bedeutung. Das schlägtsich natürlich auch in der Politik nie-der.Politik ist immer auch Abbild von ge-

sellschaftlichen Wertschätzungen undEinschätzungen, aber letztlich ist sozu-sagen die Probe aufs Exempel zu ma-chen anhand der Frage: welchen Stel-lenwert hat eigentlich Wissenschaft undForschung im Rahmen des Gesamt-haushalts? Da sind wir in Berlin in ei-ner sehr guten Situation. Der Anteil desEinzelplans Wissenschaft und For-schung am Gesamthaushalt betrug 19928.7 %, heute beträgt er 9,2 %. Das heißt,er ist trotz der Sparmaßnahmen, die not-wendig wurden, gestiegen. Von 1994 bis1995 gibt es einen Rückgang der Zu-schußhöhe nur an der FU feststellbarund an der HdK. Die TU hat 8,6 Millio-nen mehr, die Humboldt-Universität hat45 Millionen mehr, die KunsthochschuleBerlin 6, 5 Millionen, die TechnischeFachhochschule fünf Millionen - ichkönnte diese Liste fortsetzen. Trotz allder Schwierigkeiten, in denen wir unsbefinden, ist es nicht so, daß wir jetztdie Wissenschaft und die Forschungstrangulieren würden. Wenn Sie die mit-telfristige Finanzplanung für Berlin ana-lysieren, dann stellen Sie fest, daß ab1997 allein für Zinsen, nicht für Tilgung,3.8 Milliarden erforderlich sind im Jahr- ein Betrag, der so groß ist wie der Ge-samtetat Wissen-schaft und For-schung. Und gehtes in der Hoch-schulpolitik zwarauch um Geld, abernicht in erster Linie. Es geht um Inhal-te, es geht um Strukturen, und es gehtum eine vorzügliche Ausbildung. Da hatBerlin noch einiges nachzuholen. WennSie bedenken, daß wir die längsten Stu-dienzeiten und die höchsten Abbrecher-quoten haben, dann bedeutet dies, daßsehr viel mehr getan werden muß fürdie Studenten. Daß Studienpläne kom-

Es geht um einevorzügliche Ausbildung

mentiert und strukturiert aufgestelltwerden, daß die Lehre evaluiert wird,daß Studium in der Regelstudienzeitstudierbar gemacht wird und daß diepersönliche Zuwendung der Professo-ren ihren Studenten gegenüber besserwird. Und, daßdie Professorensich, bitte schön,auch dafür verant-wortlich fühlen,wie viele das Ex-amen machen.Nur etwa 50% der Studienanfänger ma-chen am Schluß auch ein Examen. Dazugehört auch, daß sich Professoren undFachbereiche darum kümmern, was ausden Absolventen beim beruflichen Er-steinstieg wird. Es geht nicht nur umeine gute, betreuungsintensive Ausbil-dung, sondern auch um die Sorge da-für, welche beruflichen Chancen die Ab-solventen später haben.

In Ihren Entscheidungen sind Sieoft abhängig von den Senatsverwal-tungen für Inneres und Finanzen.Würde Ihnen hier eine größere Un-abhängigkeit helfen?

Dieser Zustand hängt mit der von denUniversitäten so hoch geschätztenKuratorialverfassung zusammen. Ichhalte die Kuratorialverfassung für eineEinschränkung der Autonomie der Uni-versitäten. Aber ich glaube, die Univer-sitäten setzen sich deshalb so für denErhalt der Kuratorialverfassung ein, weilsie sonst Verantwortung in viel stärke-rem Maße selbst wahrnehmen müßten.So können Sie dies in ein Gremiumabschieben, das mit gesellschaftlichenKräften zusammengesetzt ist, und indem in der Tat über die Personal-kommission und über die Haupt-kommissionen die Verwaltungen fürInneres und Finanzen eine außerordent-lich starke Stellung haben, eine Stellung,wie sie sie in keinem anderen Bundes-

land haben. Dasführt in der Tatdazu, daß dieVerantwortlich-keiten vermischtund dadurch

auch verwischt werden.Aus der Verwaltung der HUB sind

immer wieder Klagen über eineübermäßige Bürokratie in der Se-natsverwaltung zu hören. Sind Ih-nen hier Probleme bewußt in Ihrereigenen Verwaltung bewußt?

Verwaltung ist um so besser, je weni-ger man von ihr merkt. Von beiden Ver-

Keine dienstleistungs-orientierte Verwaltung

an HUB

waltungen, von der Humboldt-Verwal-tung und von der SenatsverwaltungWissenschaft und Forschung, merktman zu viel. Ich sage es mal holzschnitt-artig: Das hängt damit zusammen, daßdie Verwaltung der Humboldt-Univer-

sität noch immernicht professionellgenug ist. Und daswiederum hängtdamit zusammen,daß wir zwar imBereich der Hoch-

schullehrer und des wissenschaftlichenMittelbaus personell und strukturell er-neuert haben, nicht aber im Bereich derHumboldt-Verwaltung. Und dies mußich auch der Leitung der Humboldt-Uni-versität zum Vorwurf machen, daß mannicht für eine Verwaltung gesorgt hat,die dienstleistungsorientiert in der Lageist, so zu arbeiten, daß man möglichstwenig davon merkt. Die Wissenschaft-ler beklagen sich darüber, daß die Ver-waltung oft nicht hilft, sondern im Ge-genteil Dinge erschwert, Probleme auf-macht, Entscheidungen verzögert. Undes wird eine ganz große Aufgabe derLeitung der Humboldt-Universität sein,in möglichst kurzer Frist für mehr Pro-fessionalität in der eigenen Verwaltungzu sorgen.

welche Konsequenzen drohen sichsonst an?

Die Konsequenz, daß die Humboldt-Universität im Bereich der Verwaltungso defizient bleibt, wie sie jetzt ist.Desahlb hoffe ich, daß es gelingt, daßdie Leitung der Humboldt-Universitätsich der Reorganisation der Verwaltungannimmt um damit auch die Einmi-schung der Senatsverwaltung Wissen-schaft und Forschung überflüssig zumachen. Das heißt aber auch, daß dieUniversität um gute Professoren, umgute Studenten werben muß und zei-gen, daß sie in der Lage ist, sich derProbleme anzunehmen, die Studieren-de und Hochschullehrer, die neu an dieHumboldt-Universität kommen, haben.

Seit letztem September lassen sichverschiedene Berliner Verwaltungendurch Unternehmensberater über-prüfen, wie effektiv sie sind, und woman reformieren könnte. Trifft einsolches Reformpotential auch aufdie Senatsverwaltung für Wissen-schaft und Forschung zu?

Ich habe bisher dem Abgeordneten-haus nicht vorgeschlagen, die drei gro-ßen Universitäten in Berlin durch einesolche Wirtschaftsprüfungs- und Bera-

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PoMk ntungsgesellschaft überprüfen zu lassen,weil ich davon übezeugt bin, daß be-trächtliche Sparpotentiale zutage geför-dert werden könnten und dies zu wei-teren Zuschußrückführungen führenwürde. Und man kann sicher sein, daßauch die Verfahrensabläufe an der Hum-boldt-Universität, wenn sie einmal imSinne einer vernünftigen Aufbau- undAblauforganisation strukturiert würden,zu erheblichen Einsparpotentialen füh-

ren würden.Finden solche Überlegungen auch

in Ihrer Verwaltung statt?Wir haben seit 1991 40 Stellen abge-

baut, haben jetzt noch 220 Personen.Einsparpotentiale gibt es selbstverständ-lich immer noch, aber es muß beachtetwerden, daß wir Einsparungen nurstrukturiert, und bei Verlagerung vonAufgaben und im Hinblick auf denAltersaufbau einer Verwaltung realisiert

werden können.Im Oktober finden in Berlin Wah-

len statt Stehen Sie für die nächsteLegislaturperiode für das Amt wei-terhin zur Verfügung?

Nach derzeitiger Einschätzung eherNein.Herr Erhardt, wir danken für die-

ses Gespräch.Das Interview führten

jot, -k- und UUi

Hurra, wir dürfen sparen!Ein Kommentor

Berlin trägt schwer an sich selbst. Fremde helfende Hän-de, von denen man sich die Bewältigung der eigenen Pybleme in der Vergangenheit versprechen konnte, sindmer seltener geworden: Im Westteil der Stadt vermißt'rrtctfJ 'die Milliarden der fast selbstverständlichen Berlin-Hilfe, d$(&"Ostteil scheint der alles rechtfertigende Hauptstadt-Bon^'""schmerzlich verlorengegangen zu sein. Es kann nun nicM'mehr heißen: Millionen seid verschlungen! DiftR^äbltk(was die DDR meinte) blutet für das Zentrum^%<$ ftttff,liieralles besser werden muß!

Der Versuch der vorallem aus dem West$$gierten Politik der Stadt, dieses Loch deranderer durch die Hauptstadtperspektivelen, darf als gescheitert angesehen wefdero efa« eigensEntwicklungsperspektive für die Stadt zu entv/teköift Vrtifdeversäumt. Der völlig fixierte und erstarrt* Blick auf dl«"Schlange" Bonn oder Regierung hat cfeft 0arikraytt*8e*8«ner Politik aufs äußerste eingeschränkt. öt«f Finantzmisere,durch den forcierten Abbau der Berlfahitife beschlaucht,läßt nur noch einen Ausweg zu: ein schneller Vollzog &&für die Stadt höchst bedenklichen einschnitte. 0$ |«lert&wenig bis gar nicht über die eigenen Fundamente aven infinanzpolitischer Hinsicht nachgedacht wurde und nur rnlldem Fundament anderer jongliert wurde, obsiegt wohl dieRasenmähermethode. Zufällig vielleicht bleibt dies &4&rjenes Sinnvolle in dieser Stadt erhalten. Eine Sicherheft ausvernünftiger Perspektive besteht dafür nicht! DerWissenschaftsstandort Berlin leidet mit.

Der Senator für Wissenschaft und Forschung hat in dergegenwärtigen Situation nur wenig Handlungsspielraum,Daß er jedoch überhaupt mit eigenen Vorschlägen aufzu-warten weiß, die wenigstens eine strukturelle Entscheidungfür die Universitäten ermöglichen könnte, weißt ihn als je-manden aus, der die Problemlage in seinem Ressort schonseit längerem kennt, ändern kann er jedoch auch hier nichtviel. Seiner Einschätzung nach ist es nicht zuletzt die Kura-torialverfassung der Universitäten, die Entscheidungen fürwissenschaftliche Prozesse verhindert bzw. in die falschenHände legt, nämlich in die Hände verschiedener gesell-schaftlicher Interessengruppen, die Besitzstände wahrenwollen, aber Veränderungen im Interesse der Wissenschaftgar nicht begreifen können. Dies grenzt auch den Senator

ein, der immer auf Gruppeninteressen auch innerhalb derien achten muß, ohne daß da der Wissenschaft eine

ragende Rolle zukäme.Äötfn Erhardts Verweis auf den hanebüchenen Zustand

4$fVerwaltung der Humboldt-Universität, die nicht das BildL^ifter der Wissenschaft dienenden Institution vermittelt, son-dern eher das einer die Wissenschaft verhindernden, ent-

erlittenen Grundlage. Doch auchSenator nur die Möglichkeit zu appellie-

ren»er nur sehr begrenzte Einflußmög-

licbfcsitefl hat, wtd Ihn denn auch dazu bewogen haben,«cr> niehf m t a|ier &$*alt an seine bisherige politische

Tröte öliöti VerstSmlms för die Situation und das Eintre-ten Erfiardfelw eise qualitativ hochwertige Wissenschafts-iartdsehöft: £^Kdö$*raphe der Sparbeschlüsse ist eine Ka-taslropli«, die aoeh so heißt. Nicht zuletzt die Humboldt-Uflfv^rsääfr wird in Ihrem Aufbauprozeß aufs empfindlich-ste gesförf, zum Abwarten schier gezwungen und im Pro-«fB dar i«n*r»ft Verständigung arg zurückgeworfen. Viel-leicht wiffct auch hier der Hang der Politik, die Problemeschürt zu reden, wirklichkeitsverstellend, wie wir es in un-serer** Gespräch mit dem Senator an zwei weiteren Stellenbemerken konnten.

Das Problem für die Verwaltung der Humboldt-Universi-täl ,freie Stellen mit fähigen Leuten besetzen zu können,scheitert eben auch an dem kargen Lohn, den man bereitist zuzahlen. Im Vergleich mit Brandenburg zieht der OstenBerlins so immer den kürzeren. Gute Verwaltungsfachleuteverschwänden dann eben in der Mark. Ein weiteres Mo-ment unserer Fragen war der Perspektive gewidmet, in derWissenschaftspolitik in Berlin stattfinden müßte, nämlichdie einer europäischen Hauptstadt, die Wissenschaft in ih-rem Zentrum zuläßt und entwickelt, sodaß sie auch inhalt-lich dem internationalen Vergleich standhalten könnte. Wasja auch seinen Sinn machen würde, wo doch gerade diedeutsche Volkswirtschaft so exportabhängig ist, daß manauch in der Wissenschaft den internationalen Vergleichwagen müßte...Auf all dies bekamen wir keine Antworten.

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amnesty internationalEine weltweite Bewegung für die

Menschenrechte„Da war so'n Zettel. Nu/a, da bin ich mal hingegangen und dannnochmal und dann war nichts mehr." Unverbindlich verbindlicher

Aktionismus an der HUB, ein Einzelfall ?!Es hat an der HUB den Versuch gege-

ben, eine ai-Hochschulgruppe zu grün-den. Der Versuch ist gescheitert. Die Ein-haltung der Menschenrechte steht beiallen Regierungen ganz oben an. Wer-den sie deshalb zuerst verletzt? Feststeht, Menschenrechtsverletzungen gibtes in allen Ländern, abgesehen vonVanuatu, aber auch das ist nicht sicher.Da sind Leben zu retten, für ein Endeder Folterung von Menschen einzutre-ten. Es gibt viel zu tun. In dieser Hin-sicht aktiv zu werden, ob durch beschei-dene oder spektakuläre Kampagnen,diesen Raum bietet u.a. amnesty inter-national. Gegründet wurde diese Or-ganisation 196l mit der erklärten Ab-sicht, weltweit die Freilassung von ge-waltlosen politischen Gefangenen ein-zufordern. 1994 unterstützen mehr alseine Million Mitglieder, Spender undFörderer die Arbeit von amnesty inter-national in über 150 Staaten. In 94 Län-dern arbeiten örtliche Gruppen. Es gibtBerufs- und Zielgruppen-Netzwerke,z.B. von Juristen, Medizinern, Studen-ten und Gewerkschaftern, die auf die-se Art und Weise ihre Verbindungen undihren Einfluß zugunsten der Menschen-rechte nutzen. Die Notwendigkeit die-ser Organisation ist offensichtlich, akti-ve Mitstreiter sind jederzeit willkommen.

Im Januar 1994 fanden an der HUB dreiVeranstaltungen statt, die Interessiertendie Arbeit von ai vorstellten. Beim er-sten Treffen waren ca. 20, beim zwei-ten etwa zwölf Studierende, davon dieHälfte zum ersten Mal gekommen undbeim dritten Mal waren die Organisato-ren unter sich. Natürlich war'n die sau-er, keine Frage. Über eine allgemeineSelbstdarstellung von ai war man nachwiederholtem Anlauf nicht hinausge-kommen, Ämter waren dennoch verteiltworden und schließlich verlief sich derProzeß der Selbstverständigung darüber,wer der seifenblasenartig Interessiertenim Rahmen von ai an der HUB tätigwerden möchte, im Nirvana. Keiner derhoffnungsvoll Angeschriebenen melde-te sich je wieder. Diese Episode ist ei-nigen Augenzeugen von damals in leid-

licher Erinnerung geblieben, im Rechen-schaftsbericht '94 des Referats des In-neren des «i-Bezirks Berlin-Branden-burg mit: „Versuch eines Aufbaus einesArbeitskreises an der HUB (leider vor-erst gescheitert)" vermerkt und daswar's. Das war's?

Die Gründung von at-Hochschul-gruppen wird vom «/-BezirksvorstandBerlin-Brandenburg, der Neugründun-gen betreut und unterstützt; "nicht for-ciert", so der damalige Sprecher PeterLanger. Da sei man skeptisch, da sichdas Volk der Studierenden in dieserHinsicht, der hohen Mobilität wegennicht eigne. Seitens der HU und der FUwar man aber an den Bezirksvorstandherangetreten. Das müssen hoffnungs-voll hoffnungslose Idealisten gewesensein. Keinesfalls. An der HU ist ihr En-gagement verhallt. Die ai-Gmppe an derFU aber besteht und ist aktiv. Woranliegt's? Die Interessenten von damalskamen aus unterschiedlichen Studien-richtungen. Die Gruppe an der FU istinsofern reältiv beständig, da sie sichaus Studierenden des Otto-Suhr-Institutszusammensetzt. Unübersehbar ist ihrSchwarzes Brett im Treppenhaus ange-bracht, parallel zu ihrem Gründungs-prozeß veranstalteten sie eine Ringvor-lesung zum Thema Menschenrechte.

Ein Jahr danach, zufällig oder nicht,taucht im Hauptgebäude der HUB einZettel auf, der an die verstreuten Aktio-nisten von damals appelliert, sich dochwenigstens zur Jubiläumsfeier- ein Jahrnach dem nichts" (Erfindung des Red.)aufzuraffen. Mit Beginn des Sommerse-mesters soll der zweite Versuch gestar-tet werden.Interessenten melden sich bei:Mellanie Sittgen 776 22 21,der ai-Bezirkssprechorin ChristinaHasselmann: 831 10 '16, FAX 831 61 53oder nehmen ai-Infoabende wahr:10. 2.1 28.2./ 10.3./ 28.3./ 25.4./ 12.5./30.5. '95 jeweils 20 Uhr im Kirchencafe,Zugang durch den Seiteneingang derGethsemanckirche Pacelliallee (U-Bahn-Linie 2 nahe Schönhauser Allee).

„ soest

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Stuclieien 13

Dein Schicksal steht auf der Stirn desProfessors

„Anregungen" zu einem neuen, sehr alten Studiensystemoder Studieren in Oxford, Teil 2

Der Oxfordstudent führt ein Doppel-leben: eine Existenz für den Professorund eine für social activities. Wo erselbst bleibt, ist ungewiß. Eine gewisseSchizophrenie ist wohl allen Besuchernsogenannter Elitebildungsstätten wieHarvard, Yale oder sogar Cambridge,eigen. Darum soll der Oxfordian als einStudienfall eher pathologisch denn alsein Vorbild stehen. Der Homo Oxfor-diensis steht früh auf, viel früher alsandere, weil es um Neun Uhr morgensdie besten Plätze gibt in der Bibliothek.(Das hat weniger mit Idealismus zu tun,als mit der Art der Heizung. In den al-ten Gemäuern sind solche rar und Zug-dichte Sitze sehr begehrt.) Hier mauerter sich ein mit einer schützenden WandFolianten, deren Schutz er nur verläßt,um notwendigen sozialen Kontaktennachzukommen, im wesentlichen de-nen zu seinem Professor. Bei Bib-liotheksschluß zur sagenhaften Zeit von12 bzw. 1 Uhr nachts schleppt er sichin sein Bett, knapp neun Stunden spä-ter sind sie wieder da. Der Oxford-student kann nichts dafür, daß er so ist;er muß jede freie Minute kultivieren, umdas wöchentliche Pensum zu schaffen,das wie z. B. bei den Geisteswissen-schaften schon mal 20 Bücher umfas-sen kann. Was sich wie eine Kurzge-schichte aus Schiida liest, wird hier alsTutorialsystem seit einem Jahrtausendpraktiziert. Es scheint die effektivsteMethode zu sein, eine Menge Lehrstoffin eine Menge Studenten ungefragt hin-einzubekommen.

Funktionieren kann das alles nur aufder Ebene persönlicher Verantwortung.Neben Vorlesung und Seminaren ist je-der Student noch seinem „eigenen"Dozenten gegenüber verpflichtet, derüber Leistung wie Benehmen zu wa-chen hat. Einmal in der Woche trifft mansich zur Besprechung neuer Aufgabenund zum Rapport. Üblich ist dabei einZahlenspiel folgender Art: „Auf derGrundlage der folgenden 15 Werke er-

klären Sie bitte den Ausbruch der fran-zösischen Revolution in einem Essayvon sechs Seiten - bis übermorgen!"Dabei mag nicht einmal die Fragestel-lung das Schwierige sein, sondern dasungute Gefühl, einige Tage später ei-nem Spezialisten gegenüber zu sitzenund bohrenden Blicken auszuweichen.Im günstigeren Fall gibt es Sherry undein gutes Gespräch. Wenn es nicht sogut läuft, oder der Tutor ungnädig ist,kann es hinauslaufen auf ein „Das Gan-ze nochmal oder wechseln Sie zur Forst-wirtschaft!". Essay-crisis ist die weit-verbreitetste Krankheit in Oxford.

Wer sein Leben der Wissenschaft wei-hen will, findet hierparadiesische Zu-stände eines Elfen-beinturmes der glän-zendsten Bauart.Freidenker jedochwerden in Oxfordkaum gezüchtet. DerZeitdruck und diepersönliche Autori-tät der Professorenmachen das selb-ständige Denkenkaputt, die Versu-chung ist groß, Lehr-meinungen un-diskutiert zu schlucken und wiederzu-geben.

Der elitäre Anspruch bringt es mit sich,daß nicht jeder auf dem Trimm-Dich-Pfad der Höheren Bildung rennen darf.Zwar sind die Dozenten verpflichtet,mindestens 10 Stunden pro Wochenihren Tutoranden zu widmen, doch fürmehr ist dann auch kein Platz mehr. Dasganze System ist teuer und nur denk-bar, wenn Auslese stattfindet. Nach demersten Abschluß („BA") verlassen zweiDrittel die Universität, allerdings wie inallen angelsächsischen Ländern, nichtohne einen guten Job in Aussicht zuhaben. Man hat eben „studiert".Der dabei bleibende Rest widmet sich

restlos der Forschung. Keine Bürokra-tie steht einem im Wege, keine Notwen-digkeit zur Selbstorganisation im eige-nen Haushalt. Alle unangenehmenhaushaltstechnischen Hürden desForschungsdranges lassen sich leicht mitHilfe der Putzfrau überspringen. Allenotwendigen Formulare legt sie auf demTisch bereit. Hinzu kommt, daß hier alle(inländischen) Studenten von Stipendi-en leben, was eine ausgelassene, demBAföG-Geschädigten und Berlin-Ge-wöhnten eher unwirklich erscheinen-de Atmosphäre erzeugt. Wer hier vonArbeit redet, meint niemals die, mit derman Geld verdient; und wenn hier ei-ner schwitzt, dann nach dem Joggenoder vor der Prüfung.Das „System" scheint ebenso effizient

wie subjektiv zu sein. Auch mit mehrabstrusen Einfällen denn mit Wissenkann einer, so er den richtigen Tutorhat, nach oben kommen. Schon beimEinstellungsgespräch sollte man sichdarauf gefaßt machen, daß neben derEignung viele andere Dinge eine Rollespielen können. Durchgefallen? - Dei-ne Nase hat vielleicht nicht gefallen!Oder oft stehen die Prüfer so weit über

Wider Erwarten bestehen für Studenten aus EG-Staaten gute Chancen, hier in Oxford einen Platz zubekommen, wenn man keinen Abschluß machenmöchte. Sogenannten „visiting students" stehen alleBibliothekstüren, und auch die eines Tutors, offen.Wie immer ist es sehr nützlich, wenn eine Stiftungbei der Organisation hilft. Der ultimative Trick istaber, sich eine Oxforder Koryphäe seines Faches zusuchen und ihm ein Forschungsvorhaben zu schik-ken. Auch für einen Besuch in der Welt der schwar-zen Talare gilt: einfach mal anklopfen; Briten sindviel zu höflich, nicht zu öffnen.

den Dingen, daß sie Neubewerber garnicht wahrzunehmen scheinen, gelang-weilt warten und nur nach einem Pau-kenschlag ihre Aufmerksamkeit ver-schenken. So wird von einem Bewer-ber berichtet, der eine ganz eigene Arthatte, diese Aufmerksamkeit zu errin-gen. Vor dem Prüfer hintretend, sah ernur die Zeitung in den Händen, in de-nen sein Schicksal lag. Hinter der„Times" kam dem Bewerber nur ein„Surprise me!" - „Überraschen Sie mich!"entgegen. So verprellt, zog der Armesein Feuerezeug und entzündete dieZeitung. Der Professor schrak auf - undder Bewerber hatte bestanden.

lotte

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14

aus anderer SichtEin kleineres Raumproblem beim juristischen Staatsexamen

Am Ende eines Studiums soll einExamen stehen. Bei Juristen

. wird dies vor dem staatlichenJustizprüfungsamt abgelegt. Mehr als860 „Kandidaten" sind es dieses Früh-jahr, dem ersten von zwei Terminen imJahr. Dem Amt ist es nicht möglich, ei-nen Ort bereitzustellen, an dem dieKandidaten insgesamt neunmal zusam-menkommen können, um ihre Klausu-ren zu schreiben. Ein Skandal! - EinSkandal?

UnAUF wollte es genauer wissen -und nahm Teil an der Leidensge-

schichte des JustizprüfungsbeamtenHermann Laß: Es begann vor ungefährzwanzig Jahre, daß ihm (unter anderem)die Aufgabe zuteil wurde, für einen ge-eigneten Ort zu sorgen, an dem sich ge-streßte Letztsemester gewissermaßen inKlausur begeben können. Den heime-ligen Kreis von zwanzig Kandidatenbetreute er dabei ebenso, •wie die vier-hundert, die sich im ganzen Jahr 1991zum Examen meldeten; der Rekord lagbislang bei 420 für einen Termin. Aberachthundertsechzig? Das war noch nieda. Auch langjährige Erfahrung brachteHerrn Laß zunächst nicht davon ab, seinGlück bei der für Schulen zuständigenSenatsverwaltung zu versuchen. Auchdie Bezirksschulämter boten später nurvereinzelt Hilfe an: in Hellersdorf undMarzahn. Das JPA liegt in Schöneberg,und auch für die, die versorgt werdensollten, sind dies Gegenden, die etwasab vom Schuß liegen. Genauso, wieübrigens das InnovationszentrumWuhlheide - mit genau einer Busliniean den öffentlichen Personennahver-kehr angeschlossen. Überdies hatte erbei den ehemaligen Oberstufenzentrengerade das im Blick, was man an Uni-versitäten Mensa nennt. Diese produ-ziert Gerüche, die ihr noch lange nachAußerdienststellung anhaften. Undwenn sie denn außer Dienst gestelltsind, wird es sich wohl um einen Alt-bau handeln, mit undichtem Dach, feh-lender Heizung, zugig und ungastlich.Aber ernsthaft: Das Wohlergehen der zuPrüfenden lag dem Beamten von Be-

rufs wegen sehr am Herzen. So ist esbei früheren Gelegenheiten schon vor-gekommen, daß mit Bauleuchten dieDecke eines arg dunklen Kämmerleinsangestrahlt wurden, damit die, die un-ten schwitzten, sich nicht auch noch dieAugen verrenken mußten. Eine aufwen-dige Methode. Aber da, wo Licht, Luftund Sonne nicht fehlten, mußte für einMinimum an Hygienischer Infrastrukturgesorgt sein - eine einzelne Toilette fürhundert Leute reicht da nicht aus, schongar nicht, wenn sie über lange, dunkleoder helle Gänge erreichbar ist, wo aufdem Weg vielleicht kenntnisreichere Ju-risten anzutreffen wären. So erwünschtdie Kommunikation über Recht auchsein mag - bei Klausuren ist sie es gera-de nicht. Es fand sich auch bei glaub-haft versichertem größ-tem Aufwand in ganzBerlin jedenfalls keineSchule, die einen Raumder gesuchten Art anzu-bieten gehabt hätte. Je-denfalls keinen, in demin den anstehendenSchulferien keine Re-novierungsarbeiten an-gelegen hätten. Und all-zuviele Räume durftenes auch nicht sein, sonsthätte der VorhandeneMangel an Kontroll-personal womöglich dieerwähnte Kommunika-tion provoziert. Eineschöne Idee blieb esdaher wohl auch, einender schönsten Säle inder Humboldt-Uni zunutzen. Er befindet sichim Seitenflügels des Berliner Doms undhat holzgetäfelte Wände...

Aber es gibt nicht nur Schulen in Ber. lin: Das Bundesvermögensamt bot

großzügig Hilfe in Form leerstehenderDahlemer Kasernen an. Tische undStühle indes fanden sich dort nicht, siezu mieten, kostet pro Einheit vier Mark.Multipliziert mit 860 (Teilnehmer) und9 (Termine) ergibt das vielleicht einen

Mengenrabatt, aber immer noch zu viel,(ohne daß sich dann auch nur ein ein-ziger Tisch und ein einziger Stuhl vonder Stelle bewegt hätte...) Von Geld sollhier ohnehin nicht die Rede sein DasBerliner Congress-Zentrum an derJannowitzbrücke hätte 36000 DM proKlausur gekostet, doch selbst die schlap-pen 12000 Mark für ein Tagungszentrumin Siemensstadt waren dem JPA schonzu teuer. Ein Jurist an sich mag ja eini-ges Wert sein - aber das bemißt sich erstspäter an der Finanzkraft seines Man-danten.

Man glaubt es Herrn Laß, wenn erseine Odyssee durch.die Berli-

ner Säle in verzweifelten Worten be-schreibt. Das Ende der Reise ist seit zweiWochen durch Aushang bekannt gege-

ben: Es werden eben zwei mal neunTermine veranstaltet und die Gruppegeteilt. Geschrieben wird an altbewähr-ten Orten, wenngleich - die FH für Wirt-schaft in Schöneberg, die zunächst insAuge gefaßt war, gab bekannt, daß beiihnen zu der fraglichen Zeit eigentlichKabelkanäle verlegt werden sollen...

-k-

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Stirlifim 15

Über das Verschwinden desLöwens an der

Staatsbibliothek

Der Zustand einer Bibliothek verrätviel über den Zustand der Gesellschaft,in der diese Bibliothek steht. Bücher,Bücher, Bücher - ihre Aktualität, ihr Zu-stand, die Zugriffsmöglichkeiten auf sie- Lebendigkeit im Umgang mit ihnenoder ermüdende Lethargie: All dies istein Zeichen für die geistige Wachheiteiner Gesellschaft, für ihre Reflexions-freudigkeit, für ihre Befähigung zurSelbstbefragung, die sie sich leistet. Unddamit wohl auch für ihre Entwicklungs-fähigkeit...

Gleich neben der Universität ragt dieStaatsbibliothek auf, nach neuer Be-nennung ihr HausEINS. Betritt man denInnenhof von denLinden her, so fühltman sich in ein klei-nes Idyll versetzt.Sträucher, Grün all-überall, der ranken-de Wein, die ange-schwärzten Mauernverzierend, der plät-schernde Spring-brunnen. Von denBombenschäden derLuftangriffe auf desReiches Hauptstadt diesich nun in Baugruben,betonene Bauskeletteoder schon glitzerndeGlasfassaden verwandelt fin-den, verspürt man hier nichts,wo der Straßen- und Baulärm ver-stummt. Und doch ward auch diesesHaus Opfer des Bombenfraßes. Der re-präsentative Lesesaal mit der Glaskuppelfür das Tageslicht zerstört, viele Bücherverbrannt. Ein Jammertal das nur Provi-sorien zuließ nach fünfundvierzig. Dochdie Provisorien halten an bis in unsereTage...

Eine Behelfsinstandsetzung sicherteden noch vorhandenen Bestand. EinZugang zu den Büchern wurde wieder

Eine wahre Geschichte

ermöglicht. Jedoch gab es wenig An-strengungen das Verlorengegangene zuersetzen noch Neues in breitem Umfangzu beschaffen. Sicher war das auch denfinanziellen Kärglichkeiten in der DDRgeschuldet. Aber eines war überdeut-lich: Auch hier regierte der Giftschrank-schlüssel. Das Sortiment für die Öffent-lichkeit war gelichtet um die problema-tischen Autoren und Themen. Zugriffverdiente man sich auf das wenig vor-handene nur mit dem Unerläßlichkeits-verweis für die wissenschaftliche Arbeit- alles in engen Grenzen! Noch heutemag man manchmal zurückerinnert wer-

den, an ein Klima der Kontrolle,das weiter ging, als nur die Si-cherung des Bestandes zu ge-währleisten.

Doch gab es immer diesenLichtblick des Innenhofes,der Unversehrtheit aus-strahlte, denn außer demGrün, dem plätschern-den Wasser und der

Ruhe, prangte

an der Ein-gangstür, als Türgriff

modelliert, ein messingener Löwe. Erkam aus einer anderen Welt, die manauch dem Gefühle nach verließ, wennman die Tür durchschritten hatte. Werjedoch im dunklen Dezember gedan-kenverloren Zugriff um die schwere Ein-gangstür in den Angeln zu bewegen,bemerkte die Kantigkeit die er plötzlichumgriff. Schnödes Aluminium wohl inbilligster Bautürausführung mit besorg-niserregendem Türschild konnte mannun erblicken, wo vormals der Löwe

gar gülden leuchtete.Gestohlen!, blitzte es durch die Köpfe

der Eintretenden. Gerüchte brachen sichBahn. Der letzte Hort der Normalität,des Ensembles der Ruhe zerstört. Dashat deeer Westen bei aller zur Schaugestellten Aufbauwut nun in Wahrheitvollbracht. Die verlotterten Sitten öff-neten Tür und Tor für die Zerstörungim Kleinen.

Doch vergewisserte man sich, nacherster Empörung und nach reiflicherÜberlegung ob man dieser Peinlichkeitdes Stehlens der letzten Kleinode über-haupt _ nachgehen dürfe, beim

Garderobenpersonal,so kam die ganzeWahrheit ans Licht:Renovation sei ange-sagt, da müsse dasDing eben für einegeraume Zeit in ei-ner Werkstatt ver-schwinden.

Das bedenklicheTürschild ist nun-mehr entferntworden. Es sah zuschrecklich ausauf der andersartigmetallen beschla-genen Tür. Der

Kuppellesesaal sollnach neueren Mel-

dungen wohl schonfertiggestellt sein, leider

hat ihn die Öffentlichkeitnoch nicht benutzen können. Die Um-stellung der Zusammenarbeit mit demHaus ZWEI ist in vollem Gange. In dennächsten Jahren wird man dann auchdie Räume der heutigen Universitätsbi-bliothek benutzen können für den ei-genen Bestand. Es geht doch aufwärts!

Die Gesellschaft nicht verloren...?

Ulli

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Grün, grün, grünStudieren auf dem Grünen Freßmarothon

Vom 20. bis 29- Januar fand in Berlin die 60. „Internationale GrüneWoche" (IGW) statt. Wie jedes Jahr zeichnete sich die IGW durchMassen von Besuchern in den einzelnen Messehallen aus. Diesmalwaren auch Studenten der Landwirtschaftlich-gärtnerischen Fakul-tät der Humboldt-Universität rege vertreten, denn immerhin konnteder Besuch des Grünen Freßmarathons als Lehrveranstaltung ab-gebucht werden. Das vielfältige Angebot an landwirtschaftlichen In-formationsveranstaltungen sollte den Studenten Praxisnähe vermit-teln. Inwiweweit sie das überhaupt konnte, wollte UnAUF herausbe-kommen und schickte eine Expertin los - das Ergebnis war einstressiger Tag für die zuständige Redakteurin.

Ernährungswirtschaft

Geht man von den Meschenmassenaus, die sich durch die überfüllten Mes-sehallen quälten, so führen in derBesuchergunst die Länderschauen unddie Hallen, in denen sich die ausländi-schen Messeteilnehmer vorstellten. Dieslag untere anderem daran, daß es dortSpezialitäten aus den jeweiligen Länderangeboten wurden, die einen Hauch

Exotic verbreiteten.Neben den ausländischen Partnern der

Grünen Woche gestalteten die einzel-nen Bundesländer zum einen einen je-weiligen Ländertag, zum anderen hat-ten diesmal ganz konkret Regionen, in-ternational wie national, Gelegenheitsich detailliert und umfassend den Be-suchern (Verbrauchern) vorzustellenund ihre ganz speziellen Belange aufder IGW darzulegen. Gerade die Länder-hallen kamen bei den Besuchern sehrgut an und zeichneten sich durch einepermanente Überfüllung aus, so daß

man am Ende nur noch den Wunschverspürte, diesen Platz fluchtartigst zuverlassen und frische Luft zu schnap-pen. In wieweit bei dem anhaltendenBesucherstrom noch Informationen aus-getauscht werden konnten ist nicht zusagen, jedoch hatte man gerade bei denGemeinschaftshallen der Länder das Ge-fühl, daß das Betreuungspersonal dereinzelnen Stände bei diesem nicht ab-reißenden Strom von „Interteressenten"überfordert war. Obwohl es neben denzahlreichen Veranstaltungen für die Ver-braucher auch solche für das Fach-publikum oder Fachinteressierte gab,waren diese entwerder schwer zu fin-den oder aber für Außenstehende nichtzugänglich. Darüber hinaus mußte manals zufälliger „Fachbesucher" (worunterhier auch Studenten der Landwirtschaft-lich-Gärtnerischen Fakultät verstandenwerden) dann auch noch die konkre-ten Veranstaltungsdaten für die jeweili-ge Veranstaltung kennen bzw. diePresseinformationen der IGW zur Handhaben. Zu den fachlichen Höhepunk-ten der Grünen Woche zählten unter an-. derem laut Veranstalter das Ost-West-

Agrarforum des Bundesministeriumsfür Ernährung, Landwirtschaft undForsten (BML) mit dem Thema „In-vestieren in Osteuropa - Wege zur er-folgreichen Unternehmenskooper-ation", das 15. Internationale ForumAgrarpolitik des Deutschen Bauern-verbandes (DBV) über „Die Zukunftder EU-Tierseuchenpolitik" - ein The-ma, das nicht nur bei betroffenenLandwirten auf Interesse gestoßenwäre - sowie der zweite Berlin-Bran-denburgische Gartenbautag. In demWust der Informationen, die man anso ziemlich jedem Stand zu dem ent-sprechendem Thema erhalten hatte,sei es in Form eines Hochglanz-prospektes oder als einfaches Falt-blatt, sind solche Mitteilungen unter-gegangen.

Landwirtschaft

Landwirtschaftlich Interessierte fan-den die Objekte ihrer Begierde ganz

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Sludeien 17

konzentriert um die Halle 25, in der dielandwirtschaftliche Sonderschau „Exten-sive Tierhaltung" mit zahlreichen leben-den Exponaten gezeigt wurde - allesin allem waren etwa 700 Nutztiere indiese Halle zu sehen. Ziel dieser Son-derschau war es „im engen Kontakt zwi-schen Erzeugern und Verbrauchern Ein-blick in die verschiedenen, heute ge-bräuchlichen Stallhaltungen" (Info-Heftder IGW) zu gewähren; wohl auch umständig neu aufkommenden Gerüchtenvon tierquälerischen Methoden der Stall-haltung vorzubeugen, da der Fleisch-konsum in Deutschland in den letztenJahren stetig zurückgegangen ist.

Auf einer größeren Anzeigentafel wa-ren während den Vorführungen alle In-formationen zu den vorgeführten Tie-ren zu lesen. Die Anwesenheit derZüchter gab Interessierten denoch dieMöglichkeit, weitere Informationen zuerhalten und gerade für Studenten die-ser Fachrichtung sich mit Fachpersonalauszutauschen und Neues zu erfahren.

Verband sich beim Otto-Normalver-braucher bisher mit dem Begriff vonLandmaschinen die Vorstellung von al-ten relativ kleinen und unbequemenTraktoren, so wurde diese Vorstellungin der Halle mit den Landmaschinen,die von Schleppern und Geräten vonder Bodenbearbeitung bis hin zur Ern-te gingen, zestört angesichts der Riesen,voll mit modernster Technik. Solch einAnblick trägt mit Sicherheit sehr viel

mehr dazu bei, daß sich der Vorlesungs-stoff im Fach Agrarwissenschaften ein-prägt und auch verständlicher wird.Auf Ausstellungstafeln waren Informa-

tionen zu den einzelnen Modellen zulesen. An den Firmenständen ergab sichdie Gelegenheit mit dem Firmen-personal über die Landmaschinen zudiskutieren und sich die jeweiligenModelle erklären zu lassen. Wie einedieser riesigen Landmaschinen, die mansich eher auf den gigantischen Feldernin Amerika vorstellen kann, von Innenaussieht, konnte der Besucher eigen-händig erkunden. Gerade in diesem Be-reich boten sich viele Gelegenheiten,mit den Fachleuten ins Gespräch zukommen und auch Informationen überentsprechende Tätigkeitsfelder zu erhal-

ten.

Gartenbau

In Bezug auf das Gebiet des Garten-baus sah es bis kurz vor Ende der Inter-nationalen Grünen Woche nicht ganzso gut aus, was das Angebot an Fach-ausstellungen und Fachhallen betrifft,da der Berlin-Brandenburgische Gar-tenbautag erst an den letzten drei Ta-gen statt fand. Trotzdem gab es zahlrei-che Angebote, wenngleich die meistenauf den Bereich des Kleingartens und

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auf die Bedürfnisse des Kleingärtnersausgerichtet waren. Gartenbaustu-denten fanden somit nicht unbedingtein so umfangreiches Angebot an Fach-ständen und Fachveranstaltungen. Inder Hauptsache diente die IGW als Vor-bote der Bundesgartenschau Cottbus1995. Daneben gab es noch die in die-sem Jahr die fast doppelt so große Flä-che der Internationalen Blumenhalle, inder ein Meer von Azaleenblüteri,Rhododenren, Eriken und Kamelien zusehen war. Die Ansichten über die An-ordnung der Blumen gingen weit aus-einander, wobei die Blütenpracht zumEnde hin auch immer schlaffer wurdeund somit an Reiz verloren hat. Nebendieser Blumenschau gab es begleitendeine Informationsschau unter dem Mot-to „Stationen einer Azaleenkultur", dieaber nur für Interessenten eine Bedeu-tung gehabt haben dürfte aufgrund desengen Rahmens der Blumenschau.

Besonders die Themen des Kongreß-forums ,Agrarstruktur, Tierproduktion,Pflanzenproduktion, Agrarpolitik undGartenbau" wären für Studenten derAgrarwissenschaften interessant gewe-sen; da diese Veranstaltungen aber anverschiedenen Tagen stattgefunden ha-ben wäre es notwendig gewesen meh-rere Male auf die IGW zu kommen, wasangesichts der Eintrittspreise für Studen-ten unmöglich gewesen wäre.

In der Hauptsache ist die Internatio-nale Grüne Woche eine Verbrauche-und Ernährungsmesse und dann ersteine Messe für Landwirtschaft und Gar-tenbau. Diese Schwerpunktlegung wirdauch an der Konzeption deutlich, da derBereich der Gemeinschaftshallen derLänder, in denen es in erster Linie umdie Vermarktung von Ernährungswirt-schaft geht, erweitert worden ist. Zwarsoll der Bereich der Landwirtschaft unddes Gartenbaus im kommenden Jahrerweitert werden und die entsprechen-den Messehallen werden auch gebaut,doch ändert dies nichts an der Schwer-punktbildung. Ein Besuch auf der Grü-nen Woche ermöglicht einem Einblickin die einzelnen Bereiche - doch ummit Fachleuten aus dem agrarwissen-schaftlichen Gebiet zu reden und tie-fergehende Informationen zu erhalten,ist es nicht der richtige Ort. Ein Besuchauf den entsprechenden Fachmessendürften für Studenten der Agrar-wissenschaften wesentlich effektiverund sin voller sein.

franziska

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Rückzaklungsforderungendes BAföG-Amtes

Das ist gar nicht schön: Ihr findet imBrieflzasten ein Schreiben des BAföG-Amtes, in dem Euch in schönstemBeamtendeutsch mitgeteilt wird, daßaufgrund eines Buchungs- oder sonsti-gen Fehlers zuviel BAföG gezahlt wurdeund diese Überzahlung umgehend zu-rückzuerstatten ist.Das können manchmal erhebliche Be-

träge sei. Immer wieder kommt es vor,daß Betroffene brav zahlen, obwohl siegute Chancen haben, die Rückzahlungs-forderung abzuwehren. Wie, das lest Ihrimfolgenden.

Wann kann eineRückzahlungs-forderung gestelltwerden?

Zum ersten dann, wenn aufgrund ei-nes Fehlers von Seiten des BAföG-Amtesoder des Geförderten eine Zuvielzahlungerfolgte. Dafür kann es tausenderleiGründe geben, beispielsweise Rechen-oder Buchungsfehler, statt des Ost- wirdder Westkrankenkassensatz überwiesenusw. usf. Wird man gefördert, kann manvor einem solchen Rückforderungs-bescheid nie sicher sein, auch nach Jah-ren nicht. Dies ist übrigens kein böserWillen eures Sachbearbeiters, er ist zurRückforderung per Gesetz gezwungen.

' Zum zweiten natürlich, wenn auf demBAföG-Bescheid vermerkt ist, daß dieBewilligung unter dem Vorbehalt derRückforderung erfolgte. Hierbei mußder überzahlte Betrag auf jeden Fallzurückgezahlt werden. Dies ist jedochist ein Spezialfall, und soll im folgen-den nicht betrachtet werden.

Wie kann man sichwehren?

Meist wird dem Geförderten bei Be-

kanntwerden des Fehlers vom Amt eineinfaches Schreiben mit der Aufforde-rung zur Stellungnahme zugeschickt. Indem Brief wird auch auf die Pflicht desGeförderten hingewiesen, dem Amteventuelle Fehler im BAföG-Bescheidanzuzeigen.

Wenn Euch diese Nachricht ins Hausflattert, auf jeden Fall die studentischeBAföG-Beratung aufsuchen! Ganz allge-mein gilt, daß gegen das obengenann-te Schreiben keine Rechtsmittel möglichsind. Deshalb solltet ihr erstmal (undsowieso!) per Mitteilung an das Amt dieRückzahlung verweigern und einen of-fiziellen BAföG-Bescheid mit derRückforderungssumme anfordern, dennnur gegen den Bescheid sind Rechts-mittel zulässig (siehe auch "Rechts-behelfsbelehrung." auf dem Bescheid).Rechtsmittel ist in diesem Falle der Wi-derspruch. Dieser muß innerhalb einesMonats beim BAföG-Amt sein, dazureicht es zunächst aus, wenn ihr ein ein-faches Schreiben mit dem Satz: "Hier-mit lege ich Widerspruch gegen denBescheid vom sounsovielten ein!" ab-schickt.

Wie gesagt, reicht dies zur Frist-wahrung aus, die Rückzahlung an sichist damit noch lange nicht abgewendet.Da aufgrund des Widerspruches dasAmt per Gesetz gezwungen ist, die"Recht- und Zweckmäßigkeit" des Be-scheides zu prüfen, ist es auf jeden Fallangesagt, eine Begründung für dieRückzahlungsverweigerung nachzurei-chen.

Wie kann man dieVerweigerungbegründen?

Die Betroffenen haben gute Chancen,an der Rückzahlung vorbeizukommen.

Jeder, der von Amts wegen einen Be-scheid erhält, kann sich auf densog. Vertrauensschutz berufen. Ver-trauensschutz bedeutet, daß man auf dieGültigkeit eines offiziellen Bescheides,selbst wenn er sich als fehlerhaft her-ausstellt, vertrauen kann.

Außerdem muß der Geförderte, umvon der Rückzahlung verschont zu blei-ben, die überzahlten Gelder bereits ver-brauchthaben. Das dürfte bei den nichtgerade üppigen BAföG-Sätzen in denallermeisten Fällen gegeben sein. Werkann es sich schon leisten, einerseitsums BAföG zu betteln und es anderer-seits auf dem Konto rumliegen zu las-sen.

Wichtig/ Nicht auf den Vertrauens-schutz berufen kann sich, wer durchfolgende durch den Gesetzgeber genaudefinierter Voraussetzungen in den Ge-nuß der Förderung kam

1.) durch arglistige Täuschung,Drohung oder Bestechung2.) durch im wesentlichen fal-scher oder unvollständiger Anga-ben, wenn sie vorsätzlich bzw.grob fahrlässig gemacht wurden3.) wenn dem Azubi nachweis-lich die Fehlerhaftigkeit des Be-scheidesbewußt war, er z.B. einefehlerhafte Berechnung auf demBescheid erkannt hat

Nochmal: Die Beweislast für das Vor-liegen obiger Einschränkungen desVertrauensschutzes liegt beim BAföG-Amt. Im Zweifel wird zugunsten des Ge-förderten entschieden, d. h. keine Rück-zahlung. Also achtet in Eurer Begrün-dung darauf, daß obige Punkte bei Euchnatürlich nicht zutreffen!

ojoff(nach Informationen der studenti-

schen BaföG-Beratung, HauptgebäudeRaum 3011, Dank an Peter)

Folgende Moneteninfos sind bereitserschienen: "Wohngeld für Studenten"(UnAuf 61), "BAföG nach Fachricht-ungswechsel" (UnAuf 62), "Studentenund Lohnsteuer" (UnAuf 62)

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-Qiirfipipn- 19

Mies und Fies: Entdeckungbereits ad acta gelegt

Wie eine studentische Anarchistenzeitung vom Erdboden verschwindet

FU, WS 1994/95: Provokant, in strah-lendem Orange leuchtet sie dem Pas-santen entgegen. Doch leider nur einRelikt einer studentischen Vereinigung,die sich gegen die bürgerliche, autori-täre Form der Herrschaft von Menschenüber Menschen aufzulehnen versuch-te, auf eine miese und fiese Art. IhreMeinungen sollten publik gemacht wer-den, eine Zeitung wurde gegründet.Diese Aktion liegt jedoch mittlerweileeinige Zeit zurück. Im Zuge des rebelli-schen Aufstands von nicht unzähligenStudenten an nicht unzähligen Univer-sitäten in diesem Lande, ging man die-ses Projekt im vergangenen Winterse-mester an.

Ganze zwei Ausgaben des so genann-ten "feigen blattes" konnten ver-öffentlicht werden. Danach verschwanddie ungewöhnliche Bereicherung fürden Pressemarkt vom Erdboden. EinVertreter des AStA-FU vermutet dahin-ter zwei mögliche Gründe. Entwederging den Initiatoren der Sinn für einederartige Herausforderung verloren,weil es anscheinend für solche origi-nellen Erscheinungen im spießigenAlltagsleben der Studentenschaft anNischen fehlt. Oder aber der Druck vonSeiten des AStA löste so große Span-nungen aus, daß ihnen folglich der Spaßan der Freude abhanden kommen muß-te.

Natürlich stellt sich hier die Frage,warum es zu diesen großen Reibereienmit dem AStA kam? Und wer sind diese"gemeingefährlichen" Journalisten ei-gentlich?

In der editorialähnlichen Einleitungder zweiten Ausgabe definieren sich die"mies und fies" -Redakteure als "Gegen-zeitung zur derzeitigen studentischenVertretung (AStA) FU". Nach Aussageder Redakteure hat der AStA die Fach-schaftsinitiativen aus ihrer gemeinschaft-lichen "Parteijugend von CDU, SPD undAL" rausgeschmissen, so daß unweiger-lich eine neue Zeitung in dieses Gesche-hen eingreifen mußte- das "feige blatt".Dieses sollte nun die aktuellen univer-sitären Themen in einer neuartigen

Form den netten, eifrigen Studenten"zum Fraß vorgeworfen werden". Da-bei wurden die Artikel nicht nament-lich gekennzeichnet, ein Impressum warebenfalls nicht zu finden. Der Grund:man hatte Angst vor der Judikative die-ses "entsetzlichen Staates".Als Gegenzeitung zum AStA fühlte sich

dieser nun ganz besonders angegriffenund zeigte sich empört über die teilspolemische, teils vulgäre Sprache. Von"Informationsmüll" bis "ausscheißen"tauchen so allerhand nette Vokabeln derdeutschen Sprache auf. Die Inhaltewaren ähnlich direkt, so daß sich dieMeinungen über die zukünftige Ver-breitung dieses Mediums im AStA spal-teten, zumal sie dieses Projekt ja direktunterstützten, in-dem sie das Blattselbst über dieAStADruckerei inUmlauf gebrachthatten. Und dasauf Studentenkos-ten, nein, demmußte ein Endegesetzt werden.

Das Ende kamjedoch ohne Nach-druck, zumindesthatte das so denAnschein. Bereitsnach dem Erschei-nen der zweitenAusgabe nämlich,mit Ausklang desJahres 1994, ver-schwand das "fei-ge blatt" in einerunauffindlichenVersenkung. DieproblematischeHandhabung be-züglich des Um-gangs mit diesemP r e s s e b e i t r a gschien plötzlichauf unerklärlicheWeise für alle Par-teien, ob nun tat-sächlich parteiisch

oder nicht, gelöst.Ein Wunder, so wie es unerwartet er-

leuchtete, erlöschte es wieder. Schade,daß das autonome Team den diversen,nicht konkret nennbaren Faktorenstandgehalten hat, wo sie doch geradeFurore machten und die Wände undTischbeine des AStAs mit orkanartigenBöen ins wackeln brachte.

"mies und fies" verschwindet undschon ist sie wieder da: die Göttin Lan-geweile.Wer mag sie wohl geweckt haben?

Kam sie gewollt oder war sie Freundindes Zufalls? Ein Fall, der es nicht längerwert zu sein scheint, geklärt zu werden.Ad acta!

alex

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"0 0 0

Das TeesiebTs gebürtige Berlinerin, Marke Ost (urst),sind mir die reichen Verwandten schon

vor Zeiten abhanden gekommen und resi-dieren, längst unabhängig von mir, im nordwestlichenDeutschlandteil.Mir Topf fiel das Glück zu, und zwar im Süden des

Landes, einem Deckel zu begegnen, aber darum gehtes hier mal nicht. Dieser Deckel namens Schlawinerverlockte nun mich für ein Urlaubswochenende in die„gemietete" Einraumwohnung einer weltreisendenGutenaltenfreundin, derer er einige aufweisen kann.Aber darum geht es hier mal nicht! Diese Unbekanntereiste in der Welt, und wir verlustierten uns in ihremHauptwohnsitz. Mir waren solche Sitten neu, jedochnicht schäbig, denn Schlawiner und ich sind ganz arti-ge Leute. Nur einmal waren wir nicht artig...Der weltreisenden Unbekannten Briefchen und Pöst-

chen lagen einfach so herum - auf dem Schreibtisch,daneben, in diversen Winkeln der Regale; unausweich-lich, bunte Briefchen, lockende Absender. Mich gingensie nichts an, ich blieb kühl.Schlawiner ist an ihnen nicht ohne weiteres vorbeige-

kommen, weil er eben ein Schlawiner ist und respekt-los zudem.Im Vornherein hatte er mir nebenbei erzählt, daß Freun-

din in wohlhabenderen Kreisen herumverkehrt, natür-lich nicht nur, aber dorthingeboren wurde sie nun ein-mal. Ich hatte darauf „aha" gesagt, aber aha sollte erstkommen. Aha kam mit den verstreuten Briefchen.Schlawiner hat so eine wohlweisliche Art zu grinsen.

Dieses Grinsen im Gesicht und die Briefchen in derHand ließ er nun die Inhalte aus den Kuverts gleiten.Alle Inhalte sahen einander irgendwie ähnlich. Es wa-ren gutpapierne "Klappkarten" - Glanzpappe! - mit um-rahmten Farbphotographien. Diese wiederum ähneltensich auch! Glückliche Menschen, immer zwei davon, inwonneknalligem Lachen, händchenhaltend, jung, Men-schen wie du und ich ...Dann gab's unter den gold- oder silberumrahmten

Glücksphotos noch die Absenderangaben, feiner Gold-oder Silberdruck, echt schnieke und sauber das Ganze.Und was daran am nobelsten war: alles Grafen undGräfinnen, und vielleicht war'n da auch Prinzeßchendabei, ja wer weiß?Diese Äußerlichkeiten zu betrachten war ich mir nicht

zu schade. Es handelte sich für mich um eine Neuheit.Ein paar schöne Photos und ein paar kursivschrift-gedruckte Absender, alles mal mustern, schöne Bilder,reiche Leute; man selbst kommt ja wohl nicht in dieVerlegenheit.Ich fing an, die Kuverts wieder zu füllen. Schlawiner

grinste aber noch immer und begann... die Karten auf-

zuklappen und... nachzusehen... was glückliche Gra-fen schreiben...Also, das ging mir etwas zu weit mit dem Stöbern. Du,

Schlawiner, sagte ich, das geht zu weit! Und: Jetzt istSchluß, ja?!Schlawiner ließ die Ohren ein wenig flattern und spitzte

genüßlich die Lippen. Demonstrativ verschränkte ichnun die Arme und schloß die Augen und klagte nurnoch einmal: Du Schlawiner bist hinterhältig und ge-mein und alles Mögliche und sowas macht man nicht.Mein Gewissen blähte sich über alle Maßen auf. Ichwar ein Blähballon.

Schlawiner las (laut):Liebe Constanze! Es war wirklich wunderbar, Dich auf

unserem Hochzeitsfeste wieder einmal gesehen zu ha-ben. Du sahst natürlich wie immer umwerfend aus! Wirwissen nicht, wie wir Dir für Dein Geschenk zu unsererHochzeit danken sollen. Wie bist Du nur darauf gekom-men? Es hat uns so gefallen. Du hattest eine wirklichhinreißende Idee. Unter den vielen netten GeschenkenwarDeins ein herausragendes, ein ganz besonders net-tes. Wie können wir Dir dafür danken?! Danke für dasexklusive Teesieb, liebe Constanze, das Teesieb ist wirk-lich besonders nett. Die dankbaren... und... aus...Schlawiner legte den Brief auf den Tisch. Unsere Stim-

mung hatte etwas Fragendes. Ich glaubte, mich verhörtzu haben und blickte irritiert auf die Nobelphotos. Stil-le lag im Zimmer.

Schlawiner nahm sich die nächste Karte. Der Wortlautwar ähnlich, aber hier handelte es sich um irgendeinenKoffer. Eine fremde, neuartige Beziehungswelt tat sichauf. Und ich wußte nicht, wie - mich überfielen plötz-lich krampfähnliche Zuckungen, abartiges, fast geräusch-loses Gekicher; mir blieb die Luft zum Atmen weg, dasTeesieb vor Augen, ich grabschte nach dem Brief,grabschte nach Luft, grabschte nach Schlawiner, derschließlich quer über den wertvollen Briefen lag; baldkicherte ich nicht mehr, sondern wurde nur noch vonZuckungen geschüttelt. Endlich war auch das vorüber -ein abgebranntes Feuer mit letzten aufsteigenden Rauch-schwaden - saßen Schlawiner und ich - ein HäufleinAusgekichertes, nicht wissend, weshalb eigentlich.Auf dieser Welt sind gewiß ganze Sortimentkompanien

unheimlich exklusiver Teesiebe existent, solcherart, wiesie mir wahrscheinlich nie einfielen. Ich hab' ja nurkaufhallenübliches Baumwoll- und ein Bambussieb vomMarkt; aber vielleicht geht es darum ja nicht. Des Pu-dels Kern liegt vielleicht ganz woanders, ja wer weiß?

Sylvia Domes

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22 Rxsdmg

-ZeitBerliner Studenten zwischenNovemberrevolution und Kopp-Putsch (1918-1921

Der erste Weltkrieg ist endgültig verloren, Deutschland steht vor demRuin - die plötzliche Ernüchterung nach einer angeblich ununterbroche-nen Folge von Siegen auch und gerade während des Frühjahrs und Som-mers 1918. Dieser Krieg war von den Professoren und Studenten der Ber-liner Universität enthusiastisch begrüßt worden (siehe UnAuf 63), nunstehen sie vor den Trümmern einer Ideologie.

Diejenigen, die da Ende 1918 auf dieharten Sitzbänke der Hochschulenzurückkehren, kennen die Schützen-gräben bis zum Erbrechen. Man schätzt,daß 90% aller deutscher Studentendieser Zeit irgendeine Form vonKriegsdienst geleistet haben. Mit ganzunterschiedlichen Auswirkungen aufihre Psyche. Die einen hassen den Kriegund diesen Staat, der sie ins Feuereinesmörderischen Krieges gejagt hatte,leidenschaftlich. Die anderen, und wiesich bald herausstellte die Mehrheit,vermissen die Gemeinschaft der Front-soldaten, die militärische Ordnung undsie fühlen sich von der Regierung, diedieselbe "Welt von Feinden", der "unsereSoldaten so lange heldenhaft und imFelde unbesiegt widerstanden" umWaffenstillstand bittet, verraten. Mitdieser gespaltenen Gefühlslage treffendie Studenten auf die Revolution,begrüßen begeistert die neue Zeit oderverdammensie als Chaos und Anarchie.

UngemütlicherNovember

Es ist ein sehr ungemütlicher No-vember in der deutschen Reichs-hauptstadt: die Massen rebellieren,Maschinengewehrfeuer hallt durch dieStraßen, überall Soldaten der einen oderanderen Seite. Und die Berliner Uni-versität mittendrin. Am 7. November1918, noch ist der Kaiser nominellStaatsoberhaupt, wendet sich diekaisertreue Berliner Garde-Kavallerie-Schützendivision mit einem Aufruf an

die Studenten der Hauptstadt. "NichtWorte, Flugblätter oderVersammlungenkönnen uns aus dem Chaos retten,sondern einzig und allein die Tat... StelltEuch den regierungstreuen Truppen zurVerfügung, um an ihrer Seite gegen dieUnruhestifter vorzugehen! " Und das warwörtlich gemeint, denn der Ort wo es"Waffen und Verpflegung" gebenwürde, ist gleich mit angegeben.

Noch folgen nur wenige Studentendem Aufruf. Als die Berliner Unruhenam 9-November ihren vorläufigenHöhepunkt erreichen, die bekanntlichmit der Abdankung des Kaisers und derAusrufung der Republik enden sollten,sind es vor allem Offiziere, die sich vordem Universitätsgebäude und derStaatsbibliothek verschanzen und aufdie Revolutionäre feuern. Nach nurwenigen Stunden flattert die Rote Fahneauch über dem Universitätsportal.

In den heiligen Hallen der Universität,die bisher nur das halblaute Raunen derBildungsbürger erfüllte, verbreitet sichder Lärm der Revolution. Es wird sichversammelt, Aufrufe werden ver-abschiedet - ans Studieren denkt kaumeiner. Noch am selben Tage wählenganze 40 sozialistische Studenten einendreiköpfigen Studentenrat, nach demVorbild der Arbeiter- und Soldatenräte,die derweil das Regiment im Landeübernehmen. Und da die Macht-verhältnisse nun einmal so sind, kanndieser von einer verschwindendenMinderheit legitimierte Studentenrat inder neuen sozialistischen Regierung alsVertreter aller Studenten auftreten. Ererhält sogar einige Räume im Reichstag

zur Verfügung gestellt.

"Typen sozialistischerMonatshefte"

Ein Zeitgenosse, Dr. Friedrich A.Pinkerneil, Direktor des AkademischenHilfsbundes und somit übermäßigerpolitischer Sympathie unverdächtigbeschreibt die Arbeit der Studentenrätlerso: "Das waren die Typen der sozia-listischen Monatshefte, die in derRevolution die Freiheit, offen ihrenStandpunkt zu vertreten, ihre Kräfte zurEntfaltung zu bringen, begrüßten. Sieverrieten in einem Kesseltreiben vonFragen, daß sie mehr politische Weisheitihr eigen nannten als manche Vor-sitzende liberaler und konservativerBürgervereine. Die Wachsoldaten erhiel-ten an diesem Tage Leutnantsein-nahmen bewilligt - diese Studentenarbeiteten ehrenamtlich und ohne daßihnen bisher ein allzu freundliches Wortvon seilen ihrer Genossen gesagt wordenwäre."Am 11. November unterbricht der

Studentenrat, der kurzfristig dasUniversitätsregime übernommen hatte,den Lehrbetrieb und fordert alleStudenten zur "organisierten Arbeit" inBetrieben und Verwaltungen auf. Dasjedoch bringt beim nichtsozialistischenMehrheitsrest der Studenten das Faßzum Überlaufen, sie wehren sich gegenden Alleinvertretungsanspruch, mitErfolg. Der Berliner Arbeiter- undSoldatenrat verweigert den Studen-tenrätlern seine Anerkennung mit derhöchst bemerkenswerten Begründung,daß der Rat in seiner jetzigen Formweder auf Betreiben noch mit Billigungder gesamten Studentenschaft etabliertworden sei. So ihrer Unterstützungberaubt, müssen die Studentenrats-mitglieder hilflos protestierend mit-

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ansehen, wie entgegen ihres Aufrufesdie Studenten die nicht gerade revo-lutionäre Tätigkeit wiederaufnehmen,für die sie an die Universität gekommen•waren, nämlich unbehelligt von derWeltgeschichte studieren.

Doch selbst wenn man wollte, wie solldas gehen , wenn ringsum die Stadtkocht. Zwei Deutsche Republikenwaren mittlerweile ausgerufen worden:die bürgerliche eines Friedrich Ebertund die sozialistische des Karl Lieb-knecht. Der Machtkampf ist noch langenicht entschieden, die bewaffnetenAuseinandersetzungen noch lange nichtbeendet.

Gruppenbildung

Ebenso heftig geht esunter den Studentender Berliner Universitätzur Sache, auch siewollen nun Politik ma-chen. Und dazubraucht man zunächsterst mal eine Partei.Verschiedenste politi-sche und andere Grup-pierungen hatten sichim Vorfeld unter denStudenten herauskri-stallisiert. Neben densich zum Studenten-ratsmodell bekennen-den mehrheitssozia-listischen Studentenwaren eine Demokrati-sche Studentenpartei,die (andere) Sozialisti-sche Studentenpartei,die Gruppe der studie-renden Burschen-schafter Berlins undviele andere studenti-sche Parteien aus dem Boden geschos-sen. Daneben gab es eine Vielzahl vonGruppen in den verschiedenen Fakul-täten, so eine philosophische, theolo-gische und eine historische Gruppe, desweiteren die Gruppe der Juristen undNationalökonomen und die Kliniker-gruppe usw. usf. Und alle hatten ihreeigenen Vorstellungen, wie es an derUni weitergehen sollte.

Eine Woche später treffen sich diestudentenpolitisch Engagierten zu einerersten Studentenversammlung in derKommode. Mehr als 30 Reformpro-gramme waren von den verschiedenenGruppen erarbeitet worden, die natür-lich auch alle verabschiedet werden

—FüsrJug—sollten. Und so nimmt eine erstaunlichheftige Auseinandersetzung ihren ver-heerenden Verlauf. Zunächst wird stun-denlang über die Geschäftsordnunggestritten. Besonders geraten sich dieAnwesenden über die Frage in die Haa-re, wie man die ausländischen Studie-renden behandeln sollte, ob sie mitabstimmen dürften und wer überhauptAusländer sei. Schließlich einigt mansich auf den Status von nicht abstim-mungsberechtigten Gästen.Jedoch ist damit das Aggressions-

potential längst nicht abgebaut. AmEnde der Versammlung ist der Raumderart verwüstet, daß sich der Rektorgezwungen sieht, eine zweite Versamm-lung unter Hinweis auf die "nicht un-erheblichen Sachbeschädigungen in der

22"Denkt nach, ob Ihr Euch nicht der Er-innerung an die letzte Versammlung,deren Fortsetzung die heutige werdensoll, schämen müßt. Denkt an dieProletarierversammlungen, denen Ihrbeigewohnt habt. Wollt Ihr, die Ihr Füh-rer sein oder werden sollt, Euch immerwieder an Disziplin und Würde vonEuren Altersgenossen im Arbeitskittelübertreffen lassen."Der Aufruf scheint zu fruchten, die

Studenten lernen die Spielregeln derDemokratie - obwohl im Inhalt immernoch hart gestritten wird.

Im Grundtenor jedoch ist man sicheinig, so in der Forderung nach studen-tischer Selbstverwaltung und dem jedemStudenten zustehenden Recht auf poli-tische Betätigung. Es werden Aufrufe

Revolutionäre Arbeiter und Soldaten vor der Universität

Aula - man denke, die akademische Ju-gend, die zukünftigen geistigen Führerdes Volkes, haben sich derart betragen "zu verbieten.

Aula in Trümmern

Trotzdem ist der Drang, sich zu eini-gen und die geballte Kraft möglichstvieler Studierender hinter sich zu brin-gen, groß. Eine zweite Versammlung solldies erreichen. In dieser Situation trittwiederum ein Rat in Erscheinung, dies-mal ein "Rat geistiger Arbeiter", der ei-lends am 23. November ein Flugblatt"An die Studenten Berlins!" verteilenläßt. Darin wird Disziplin angemahnt:

an die "Jetzige Regierung" verabschie-det, bald möglichst eine Nationalver-sammlung einzuberufen und auchnichtsozialistischen Kreisen die Teilnah-me an den Regierungsgeschäften zuzu-billigen.

Die Idee der Parlamentarischen Demo-kratie scheint die Mehrheit der Studie-renden zu begeistern. Wozu haben sieschließlich sonst Studentenparteien ge-gründet? Der sozialistisch dominierteStudentenrat soll von einer in direkter,gleicher und geheimer Wahl legitimier-ten Studentenvertretung abgelöst wer-den. Letztendlich kann man sich sogarauf einen Termin für diese Wahl eini-gen: 30.November bis 2. Dezember

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1918. Und so wie sich im Großen, alsoim Deutschen Reich die Macht immermehr zu ungunsten der Räteregierun-gen verschiebt, tut sie dies auch im klei-nen Spiegelbild der Gesellschaft, an derUniversität. Aus den Wahlen geht einneunköpfiges Gremium hervor, das nundie Interessen der Studenten der Berli-ner Uni wahrnehmen soll, darunter nurein Vertreter der Sozialistischen Studen-ten.

Studentenwehr

Der Rechtsruck unter den Berliner Stu-denten (und nicht nur hier) wird Ende1918 offenkundig. Der Universität stehtseit kurzem ein Rektor vor, der aus sei-nem nationalkonservativen Herzen kei-ne Mördergrube macht: der AlthistorikerEduard Meyer, der nicht nur aus Berufs-gründen der Vergangenheit anhängt.Am 16. November veröffentlicht diesereinen Artikel, in dem er den 9-Novem-ber 1918 als "Bußtag" beklagt, an dem"sich das Volk selbst entmannt hat."Die angeblich sozialdemokratische

Regierung Ebert ist derweil dabei, Trup-pen zu suchen, die ihr die radikal-sozialistischen Arbeiter- und Soldaten-räte vom Hals schafft. Daß sie dieseHelfershelfer ausgerechnet in Form derrechtsradikalen Freikorps findet, ist einKuriosum der Geschichte. Auch an derBerliner Universität werben die Frei-korps ab Ende November massiv umMitkämpfer. Diesmal finden sie mehrAnklang als noch vier Wochen zuvor.Gerade unter den Kriegsheimkehrern,die das angeblich anarchistische Chaosder Revolution hassen gelernt habenund sich nach Ordnung und Sicherheitder militärischen Hierarchie sehnen, fin-den die Werber Gehör. Auch aus Loya-lität stellt man sich der neuen Regierungim Kampf gegen die Bolschewisten zurVerfügung.

Im Januar 1919, währen der sogenann-ten "Spartakuswoche", bildet sich inBerlin eine "Studentenwehr" mit ca. 300Gewehren, um für die Regierung gegendie aufständischen Spartakisten1 vorzu-gehen. Studentengruppen, die auf Sei-ten der Freikorps stehen, organisierensich im "Waffenring der schlagendenVerbindungen Berlins", denn geradediese Verbindungen, die Ehrenhändelnoch immer mit der Waffe austragenund wo Schmisse noch immer als männ-lich schön gelten, haben am Draufhauennoch Spaß.

Um die "Kämpfer" gegenüber den "Da-

—Böschung—heimgebliebenen", d.h. den Kampf-unwilligen nicht zu benachteiligen,schließt der Rektor vorübergehend dieUniversität. Am Ende des Monats be-dankt sich der "Reichsausschuß der aka-demischen Berufsverbände" ausdrück-lich bei den berliner Studenten für dieBeteiligung "in Wort und Tat bei denFreikorps".

Undank

tik gemacht. Nun endlich wollen dieStudenten der Berliner Universität ihreigenes Parlament. Im April und Mai1919 wird in den Räumen der Uniwiedermal gewählt. Es geht um die Ver-teilung der 120 Sitze des ersten allge-meinen Studierendenparlamentes. Auchhier spiegelt sich das neue Kräftever-hältnis im Lande wider: nur acht Sitzefallen für die Sozialistische Studenten-partei ab, der Großteil der Mandate gehtan die Vertreter der studentischen Ver-bindungen, die Progressivität nicht un-bedingt mit Löffeln gefressen haben.Das neugewählte Parlament bestimmt

Nach Niederschlagung des Aufstandeswerden die Studenten entwaffnet, ihrFührer, der Vorsitzendedes "Waffenrings", ver-haftet. Die Reaktion derbetroffenen Studentenist demgemäß von Ent-täuschung über dieneue Regierung ge-prägt. Sie hatten wohlDankbarkeit erwartet,und nun dies. "Wennman auch verstehenkann, daß die Regie-rung nicht will, daß ein-zelne Gruppen auf eige-ne Faust Sicher-heitswehren bilden, soist doch auf jeden fall zuverurteilen, wie sie vor-ging. Sie hat Leute ver-haftet, die für sie undgegen den Bolschewis-mus waren, währendVerbrecher, Deserteure,Arbeitsscheue und her-umlungernde Matrosenmit Kanonen, Maschi-nengewehren undHandgranaten ihrePutsche und 'Volksbe-lustigungen ' inszenie-ren können.", kritisiertdie Zeitschrift des stu- Wahl zum Studentenparlament 1921dentischen Wingolfs-bundes eher verhalten die Regierung.

Die Angst der Ebert-Regierung vor ei-nem rechten Putsch unter Beteiligungder Studenten und ihre dementspre-chende Vorgehensweise, nachdem siesich ihrer zur Niederschlagung desPutschversuches von links bedient hat-ten, mußte die Studenten regelrecht indie Arme von rechten Putschisten trei-ben. Damit beschwor sie erst die Situa-tion herauf, die sie eigentlich verhin-dern wollte.

Zunächst jedoch beruhigt sich die Lageauch an den Universitäten. Es wird wie-der studiert, aber nebenher auch Poli-

einen Allgemeinen studentischen Aus-schuß (AstA) mit sieben Mitgliedern, dernun die studentische Selbstverwaltungin die Hände nehmen soll.

Und doch, unter der Oberfläche bro-delt es. Das Vertrauen in die Regierungist von seiten der studentischen Mehr-heit durch verschiedenste Maßnahmen,die die Studenten vor den Kopf stoßenmußten, und die hier darzustellen zuweit führen würde, nachhaltig gestört.Hinzu kommen soziale und finanzielleUnsicherheit und auch das blanke Elendunter Teilen der Studentenschaft. Dies

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ist der fruchtbare Boden, auf den dienational-konservativen Ideen einesKapp und von Lüttwitz2 fallen. ••

Putschisten in der Uni

Als im März 1920 tatsächlich eineSturmböe von rechts Deutschland er-schüttert und der Kapp-Putsch der Re-gierung das Fürchten lehrt, sind wiederviele Studenten dabei, nur diesmal nichtauf Seiten der Regierung. Am 13- Märzbesetzen die Putschisten das Uni-gebäude Unter den Linden. Sie erfah-ren Unterstützung nicht nur von RektorMeyer, von dem nichts anderes zu er-warten war, sondern auch von derMehrheit des AstA. Der Rektor stellt denPutschisten sogar Räume im Hauptge-bäude zur Verfügung, die als Werbe-büros für studentische Rekruten genutztwerden. Die Uni wird geschlossen, nurdie Leute Kapps haben noch Zutritt. Ineinem zeitgenössischen Zeitungsberichtwerden die Vorgänge an der Uni wiefolgt beschrieben: "Der Rektor EduardMeyer hat einem Werbeoffizier der Kapp-'Regierung' Zimmer in der Universitäteingeräumt, er hat Befehle des 'neuenReichskanzlers' weitergegeben... AmMontag, dem 15- (März - d. A.), wurdeauf der Universität die Schwarz-weiß-rote Fahne gehißt; auch soll aus demHauptgebäude mit Maschinengewehrengeschossen worden sein. Ein großer Teilder Studentenschaft, unter ihnen Mit-glieder der 'verfassungsmäßigen Studen-tenvertretung', hat sich für die Kapp-Lüttwitze betätigt."

Ende März ist der Spuk vorbei, diemeisten Deutschen wollten Kapp nichtund haben ihn binnen weniger Tageund übrigens ohne die tatkräftige Un-terstützung der Regierung zu Fall ge-bracht. Auch an der Berliner Universi-tät kehrt wieder Ruhe ein. Rektor Mey-er öffnet die Uni, schreibt einen Berichtan das zuständige Ministerium - undbleibt im Amt. Friede, Freude, Eierku-chen - und doch, die Saat, die Kapp leg-te, beginnt bald zu keimen, vorläufignoch gnädig verdeckt durch die folgen-de, vorübergehende Konsolidierung dernun "Weimarer" genannten Republik mitdem Rechten Hinkefuß als Geburtsfeh-ler. Aber darüber wird ein andermal er-zählt, ojoff

1 benannt nach "Spartakusbund", linksradikaler Flügelder USPD, Führer K. Liebknecht und R. Luxemburg, spä-tere Keimzelle der Kommunistischen Parte DeutschlandsCKPD)

2Kapp und Gen. von Lüttwitz, Anführer des sog. Kapp-Putsches

Korrespondenzen14 Künstler aus

Chicago und Berlin

Deutsche und Amerikanische Künstlertreten in einen Austausch, konfrontie-ren ihre Arbeiten miteinander, lassen sie"korrespondieren". So auch lautete derTitel einer Ausstellung der "BerlinischenGalerie" im Martin-Gropius-Bau vom18.November 1994-22.Januar 1995: Kor-respondenzen - 14 Künstler aus Chica-go und Berlin. Die dort ausgestellteKunst mit eine Reihe von außeror-dentlich wertvollen Aussagen war je-doch ohne Hintergrundwissen und viel-leicht auch etwas Kunstverständnis odernennen wir es einfach "Kunsterfahrung"oft schwer zu verstehen. Die teilweisenoch "unfertigen", unangepaßten, nochnicht etablierten Künstler bewiesen mitihren Arbeiten mal wieder die Neigungmoderner Künstler, ihre "Botschaften"nicht offen und klar ersichtlich darzu-stellen, sondern versteckt hinter kom-pliziert wirkenden Installationen undBildern. Hatte man die Interpretationender Künstler schließlich entschlüsselt,nahm man die dargestellte "erkannte"Problematik des jeweiligen Kunstwer-kes fast dankbar auf, um sich gedank-lich mit ihnen auseinanderzusetzen, die-se zu reflektieren.

Die Medien der Künstler waren sehrunterschiedlich. Allen gemeinsam warjedoch die Auseinandersetzng mit Er-scheinungsformen von Realität, nichtunbedingt in der Abbildung dieser, son-dern im "künstlerisch-denkerischen"Prozeß der Beschäftigung mit ihr. Dieeinzelnen Kunstwerke verbanden sichzu einem "Bild unserer Zeit"; im Mittel-punkt den seinen Standpunkt in derWelt reflektierenden Menschen.

Der aus Deutschland stammendeKünstler Klaus Hoefs zum Beispiel sahdie (oder seine) Realität in Verbindungmit einer "träumerischen", unwirklich er-scheinenden Wirklichkeit. Diese "ver-packte" er in einer schattenhaften ausNatursegmenten bestehenden Welt aufgroßen, ganz in grün gehaltenen Ge-mälden, die dem Betrachter eine Wan-derung durch seine, Klaus Hoefs, Na-turerlebnissen und das Versinken indiesen ermöglichten.

Eher mit einer gesellschaftlich-politi-schen Realität beschäftigte sich dage-gen der Amerikaner Inigo Manglano-

Ovalle: Namen wie San Diego, Miami,Los Angeles, Guatanomo, Hong Kong,u.a., Orte, die an Aus-und Einreise er-innern, an eine weiße Wand geschrie-ben und durch Stahldrähte mit einemin der Mitte des Raumes etwas über demBoden befestigten Schlauchboot ver-bunden. Anstelle des Außenmotors be-saß das Boot einen Monitor, auf demder Hinterkopf eines Menschen abge-bildet war, als sitze dieser in dem Boot.Versuchte der Künstler sich hier mit sei-ner persönlichen Erfahrung eines latei-namerikanischen Einwanderers in dieUSA, mit seiner eigenen Vergangenheitund der vieler anderer auseinanderzu-setzen?Auch der aus Chicago stammende

Künstler Charles Wilson beschäftige sichausgiebig mit der Vergangenheit: dieVergangenheit der Deutschen. Seinegleich zu Beginn der Ausstellung auf-gestellte Installation (eine Schießbude)schien den Besucher auf die potentielleBeteiligung jedes einzelnen an einemEreignis aufmerksam machen zu wol-len, indem der Betrachter Wilsons Ar-beit sich geradezu aufgefordert fühlt,das Gewehr am Schießstand zu ergrei-fen und auf die in einiqer Entfernunqvorüberzienenden Silhouetten (auch dieeines Boxers war zu erkennen) zuschießen: Die Installation Joe Louis v.Max Schmeling, Yankee Stadium, NewYork, 22Juni 1938 (so der Titel) sollte,wie aus dem die Arbeit kommen-tierenden Text hervorgeht, an den Box-kampf zweier "Representanten einesfremdenfeindlichen Nationalismus'" er-innern und die Gefahr der Massen-manipulation durch Medien und Poli-tik deutlich machen.Viel Zeit war nötig, um die erlebnis-

reiche "Reise" durch die sieben aufverschiedenstartige Weise gestaltetenAustellungsräume "erfolgreich" zu be-enden, doch "sprach" die Ausstellungeine Vielzahl von verschiedenen Pro-blematiken an und versuchte Einblickezu geben in die Kunst des 20Jahrhun-derts. Eine im großen und ganzen sehrgelungene Ausstellung!

gesa

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26 KulturAuftrag: Kunst

Eine historische Ausstellung

Das Foyer des Deutschen HistorischenMuseums füllt sich. Man müßte die Na-men zu all den offensichtlich wichtigenGesichtern kennen, dann könnte manselbstbewußt mittuscheln. In einer Stim-mung zwischen Vernissage und kultu-rellem Ereignis erwartet die gemischteGesellschaft von heute und gestern dieausgestellten Werkeder DDR-Auftragskul- '*•tur. Viele Kameras sindauf ein unscheinbaresRednerpult gerichtet,an welchem Lothar deMaiziere, End-DDR-Mi-nisterpräsident a.D.,und Herbert Schirmer,End-DDR-Kulturmini-ster a.D., die histori-sche Kunstschau eröff-nen wollen. Lothar deMaiziere tritt nach demMuseumsdirektor ansRednerpult. Im selbenMoment schießt ausder Gästemenge einPärchen auf die Frei-treppe hinter dem Red-ner. Kämpferisch ent-rollen sie ein hand-gemaltes Laken-Trans-parent: "IM 'Czerny'grüßt IM 'Guttuso' undIM Hausmann' und alletapferen Tschekisten."Sogleich stürzen derMuseumsdirektor undseine Aufsichtskraft aufdie Revoluzzer. KleinesHandgemenge, kurzeAufmerksamkeit beider geladenen Gesell-schaft, das Objekt desAnstoßes nimmt leich-ten Schaden. Der Mu-seumsdirektor spürt diePeinlichkeit seiner Si-tuation. Taktikwechsel.Er schiebt den Ministerpräsidenten a.D.beiseite und benutzt das Mikrophon:"Dieses Museum soll ein Haus des Frie-dens sein. Wir wollen jeden gewährenlassen. Also lassen sie Herrn de Mai-ziere bitte sprechen!" Der Revoluzzer imTrench: "Reden kann er ja!" Daraufhin

ist die Lage geklärt. Das Transparentprangt, de Maiziere spricht und die Men-ge murmelt wieder desinteressiert.Herbert Schirmer reagiert auf das Ge-schehen schlagfertig mit seiner Anfra-ge: "Sollte jemand ein Transparent "Mit-läufer" dabei haben, möge er es bittejetzt hinter mir entrollen!" keiner hat.

Johannes Friedrich Rögge: Lenindenkmal 1951Ohne Stilbruch

Aber trotzdem ist der Ausstellungsstarteine gelungene Performance. Die vor-geführten 40 Jahre sozialistische Real-kunst begannen mit einer Reminiszenzan die letzten Tage ihrer Ära.

Eine Etage höher dann die Bilder. Alt-bekannte Massenware bekommt plötz-

lich Namen und Schöpfer. Dem Betrach-ter, der in der DDR Schulen, Poliklini-ken oder Betriebskantinen besuchte,wird bewußt, daß man die sozialisti-schen Ikonen, zu denen keiner betete,nur als Standard-Dekoration wahrnahmoder wie heutzutage die meisten Werbe-plakate ignorierte. Vor allem die aus der

Frühzeit der DDR über-kommenen Werke gehö-ren in diese Kategorie. Inspäteren Jahren findensich hauptsächlich mo-numentale Schinken,deren Auftraggeber be-sonders zufrieden wa-ren, wenn sie die (oftnur plumpe) Symbolikerfaßten. Zum Beispielhing im FDJ-Zentralratein 8m langes schreiendbuntes Wandbild "DieErben des Roten Okto-ber", das Fahnenträger,junge, berufstätige Frau,Juri Gagarin, den kleinenTrompeter und auf demKornfeld hopsende Kin-der glücklich vereint -und jeder versteht Kunst.So findet der voreinge-nommene Betrachterauch seine Klischees be-stätigt, wenn vom Bron-zeverformer, der 1951für den VEB Werkzeug-fabrik Königssee einLenindenkmal schuf, imKatalog zur Ausstellungauch ein Werk von 1938abgebildet ist: Adolf Hit-lers Kopf - ohne Stil-bruch.

Aber so einfach ma-chen es die Ausstellungund die DDR-Künstlerdem abgeklärten Nach-Wende-Besucher denn

doch nicht. Überrascht wird man an pro-vokante und beeindruckende Bilder er-innert, die in der DDR heftige Diskus-sionen auslösten. Kalte Gesichter, fetteGelage, belustigende Karikaturen ma-chen selbst das offiziell abgeforderteAbbild vom DDR-Menschen schriller,

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Kütlf-differenzierter, lebendiger als in denLehrbuchvorstellungen jeglicher Dog-matik.

Die schmalen Gänge und flachen Räu-me der Schau verhindern eigentlich, daßauch die flächengrößten Werke pathe-tische Wirkungen erzeugen. Aber vormanchem Bild bleibt man dennoch er-griffen stehen und muß sich der Aus-strahlung eines Mattheuer "Guten Tag"einfach ergeben oder verliert sich in der

Vielheit des eigentlich unwirklichenMonumentalgemäldes "FrühbürgerlicheRevolution in Deutschland" von Wer-ner Tübke.Als Sammlung ungewöhnlicher histo-

rischer Quellen ist die Ausstellung ge-meint. Einer künstlerischen Bewertungverweigern sich die Ausstellungs-gestalter bewußt, die Chronologie istunverfängliches Ordnungsprinzip. Brief-dokumente und rückblickende Inter-

27

views mit den Künstler per Video ver-vollständigen die historische Dokumen-tation.Ob als Zeitzeugnis, Kunstausstellung

oder Erinnerungsstütze - eine spannen-de Ausstellung.

Auftrag: Kunst 1949-1990. Bildende Künstler inder DDR zwischen Ästhetik und Politik noch biszum 14. April 1995 im Deutschen HistorischenMuseum im Zeughaus. Eintritt frei.

Ist im Museum ein Toaster nochein Toaster?

fohne Titel. Sichern unter../' - Eine erste Ausstellung des Werkbund-Archivs offeriert dem Besucher ein

Stilleben von Alltagsgegenständen der letzten achtzig Jahre.

Noch zu DDR-Zeiten wußte meineSchwester, Architekturstudentin mitHang zum Ruinösen, manch wunder-volles von den Schutthalden der real-existierenden DDR-Wirtschaft mit nachHause zu bringen. Neben einem alten,natürlich nicht funktionsfähigen Tele-fon, einer archaisch anmutenden Kaf-feekanne und diversen Motorradteilenbrachte sie eines Tages einen Staubsau-ger in unser Heim, welcher den frühensechziger Jahren zu entstammen schienund seine Staubsaugerbeutel noch nachvorne auslud. Das wichtigste Detail andem Gerät war aber der Umstand, daßes noch zu funktionieren schien. Ein-mal in Gang gesetzt, geschah wunder-

liches: Da sein Lärmpegel weit über demeines Preßlufthammers lag, konnten wirunsere klingelnden Nachbarn, die sichbeschweren wollten, nicht hören. Se-hen konnten wir sie allerdings auchnicht, denn der Staubsauger blies deninwendig jahrzehntelang gesammeltenStaub in schönem starkem Strahl hin-ten wieder heraus, nach wenigen Mi-nuten war unser Zimmer von einemfeinen Staubnebel umgeben, durchwelchen wir unsere Mutter herantretensahen, einen fürchterlichen Fluch aufden Lippen und die Bedingung, in dennächsten zwei Minuten alles tipp toppin Ordnung zu bringen.

Der Staubsauger existiert heute noch

in der Wohnung meiner Schwester, seinGebrauchswert hat er allerdings gegeneinen musealen Schauwert eingetauscht- welcher Bewohner der neunziger Jah-re besitzt schon solche Zeichen vergan-gener Kulturen?

Nach gleicher Devise verfahren auchdie Mitarbeiter des Werkbund-Archivs.Angetreten zur Dokumentation desDeutschen Werkbundes, eines Brudersdes Bauhauses, hat sich das Werkbund-Archiv heute zur Aufgabe gestellt, Ent-wicklungen und Brüche in der Alltags-kultur des 20. Jahrhunderts sichtbar zumachen. Dazu muß man sammeln, sam-meln und nochmals sammeln. Inzwi-schen sind es über 40.000 Objekte und

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Page 28: UnAufgefordert Nr. 64

28 Mur-

Dokumente, die in einer großen Lager-halle dahindämmern und darauf war-ten, der Öffentlichkeit noch einmal ge-zeigt zu werden. Und zwar nicht als das,was sie mal waren, nämlich Alltags-gegenstände der profansten Art, son-dern als Zeitzeugen der Gesellschaft.Einer kleinen Anzahl aus der riesigenSammlung ist es nun vergönnt, fürknapp fünf Monate drei kleine Räumeim 2. Obergeschoß des Martin-Gropius-Baus zu bevölkern und dem interessier-ten Betrachter Zeugnis zu geben davon,wie er vor fünf, zehn und mehr Jahrenlebte.Dargeboten wird die Sammlung als ein

Stilleben, welches nicht nur die gesam-melten Dinge selbst enthält, sondernüber ihre bloße Existenz im musealenRaum auf ihre Veränderung hinweisensoll - der altbekannte Braun-Taschen-rechner ist plötzlich nicht mehr Zube-hör eines jeden Schülers, sondern auchMuseumsgegenstand, Dokument einertechnisierten Gesellschaft. Es soll abernicht bloß die eine Seite des Museums-stücks gezeigt werden - beispielsweise

die Designgeschichte, die mitSicherheit in jedem Platten-spieler steckt, sondern auchdie Alltagsfülle, die diese Ge-genstände nun einmal um-faßt: „Wir versuchen, dengezeigten Objekten ihr viel-dimensionales Geheimnis inder Konstellation von Raum-bildern zu entlocken. Dabeigeht es nicht um die natura-listische Rekonstruktion desGeflechts von Bedeutungenund Assoziationen, die jedenGegenstand im Alltagskon-zept umgibt, sondern um dieKonstruktion einer neuen,künstlichen Umgebung, inder etwas von der Geschich-te, dem Geheimnis des prä-sentierten Gegenstandes auf-scheint." So Renate Flag-meier, Projektleiterin desWerkbund-Archivs, über dieZiele dieser ersten Ausstel-lung.Ausgestellt im Komplex

„Apparatwesen" wurdenhauptsächlich technischeHaushaltsgeräte seit denzwanziger Jahren, zusam-mengefaßt in Küchengeräten(mit einem wunderschönenVierfach-Doppel-Toaster),Schallplattenspielern und

Radios, Fernseher und Computer undTaschenrechner. Dazu gehören Lampen,Kitsch und wunderschöne Föns, vondenen sicher jeder morbide Studentmindestens eins besitzen möchte.

Star der Ausstellung ist zweifellos eineWaschmaschine aus den zwanziger Jah-ren, die anmutet wie E.T.'s Landekapsel,nur viel schöner.

Das wichtigste an all den Geräten istaber die Tatsache, daß sie alle funkti-onstüchtig sind und der Besucher mitMuße kann sich staunend in die Eckesetzen und den Geräuschen lauschen,die die bedienten Geräte dem Bedie-nenden boten. Da ist beispielsweise einCopmuter aus den sechziger Jahren,groß wie ein Kleiderschrank und seineGeräusche klingen ungefähr so wie eineabgedeckte Sirene, und wenn er aus-geschaltet wird, hört es sich an, als obirgendwo in der Ferne ein Flugzeugseine Triebwerke abschaltet.

In einem zweiten Raum wird auf die„Geometrisierung der Form" aufmerk-sam gemacht. Es geht um den Abstr-aktionsprozeß, den die Dinge im zu-

nehmenden Maße verfallen, um dieVereinheitlichung und Normung vielerAlltagsgegenstände: Aus vielen Geld-stücken wurde eine Kreditkarte, aus un-terschiedlichen Flaschen wurde ein fe-stes System von Pfandflaschen, die In-dividualität der Bouillon wurde ersetztdurch den Brühwürfel.

Schließlich und endlich machen dieWerkbund-Archivare mit einer Foto-sammlung auf das Prinzip der Serialitätaufmerksam, gemeint ist die ewig glei-che Barbie, die nur in der Farbe sichunterscheidenden Fruchtgummis unddie globale Coca-Cola.Am Ende wird das Museum zum Ap-

parat umfunktionert, in Zusammenarbeitmit dem Medieninstitut Berlin hat dasWerkbund-Archiv eine CD-ROM entwik-kelt, auf der der Besucher sein eigenesMuseum aufbauen kann.

Abgesehen von diesen hehren, kultur-wissenschaftlichen Absichten steckt indieser Ausstellung auch eine großeFreude, daß gerade Vergangene nocheinmal zu betrachten. Wer möchte nichtnoch einmal die Fernsehgeräte sehen,mit denen Mama und Papa zur erstenPantoffelkinogeneration wurden, wes-sen Herz schlägt nicht höher beim maß-geblichen und immer gleich bleibendenBraun-Zweifach-Mixer für die Küche? .

Und der, der gerne auf Flohmärktenstöbert, wird auch hier in Sammlerglückschwelgen - so viele alte Schallplatten-spieler gibt es in Berlin an einem Ortnicht noch einmal. In diesem Sinne istdie erste Ausstellung des Werkbund-Archivs keine hochtrabende Werkschaumit pädagogischen Absichten, hier kannman staunen und angesichts der Bunt-heit und Eigenart der Sammlung in Ent-zücken geraten. Wie jener Vater mit sei-nem etwa sieben jährigen Sohne, die-vor der Schallplattenspielersäule ihre„Ämter" vertauscht hatten: während derSohn sich langweilig durch die Räumequälte, war der Vater nicht wegzubrin-gen von einer einzigartigen Gesamt-konstruktion mit Fernseher, Radio undSchallplattenspieler - die zu allem(Un)Glück auch noch funktionierten.

jot

(ohne Titel. Sichern unter... - Unbe-ständige Ausstellung des Werkbund-Archivs, bis 04.06.1995, Martin-Gro-pius.Bau, 2.OG. Der Katalog zur Aus-stellung ist ab März erhältlich)

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— — -Kultur — —Kreuzberg küßt New York

Eine Angenehme Antrittsvorlesung

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Juristen sind trocken, sachlich, kon-servativ und dröge. Hans Peter Schwin-towski ist Professor für Bürgerliches undeinige andere Rechte. Er ist also Jurist....Demnach ist Hans Peter SchwintowskiJurist...

Am 26. Januar hielt er seine Antritts-vorlesung an der Humboldt-Universitätüber „Verteilungsdefizite durch Rechtauf globalisierten Märkten". Dies nahmer zum Anlaß, zur Vernissage seinerAusstellung einzuladen. Am Ende derVorlesung verriet er auch die Adresse.Denn er malt Bilder; die Werke, die inden letzten eineinhalb Jahren in Berlinentstanden, waren zu bewundern. ,

Der Erste Eindruck ist bunt - gelb, rot,blau und chaotisch. Satte Farben mi-schen sich mit Sand „möglichst von in-teressanten Orten...", mit angekokeltenPhotos (bevorzugt: Richard Ziegler) lee-ren Farbtuben, Stoffetzen, Überrestenvon Zigarettenschachteln (Gauloisesblondes, legeres), „alle Materialien, diein der Natur vorkommen, möglichst voninteressanten Plätzen dieser Welt" - rechtwild auf der Leinwand verteilt.Aber nicht sinnlos. Die Bilder haben

Namen: Kreuzberg küßt New York,Tango im Mähdrescher, Henry's Orgas-mus, Milk of a bloodless wound, Berlin'95, Tacheles... Auf „Stille Tage in Clichy"tropft es mäßig bunt von oben nachunten, man denkt an das „gris", dasHenry Miller beschrieb. „Wer hat Angstvor Virginia Woolf" dreht sich um ei-nen Akt von Modigliani, eine etwasangesengte Postkarte, die gar nichtfurchteinflößend ist, wie der „Begleit-text" vermerkt. Was einen so sachlichenNamen haben mag, ist ohne wissen-schaftliches Interesse aber mit Vergnü-gen lesbar; ohnehin teilen die Bilderselbst einiges auch handschriftlich mit.Beispiel: Eine fotografierte Schöne rä-kelt sich leicht (un)bekleidet und sin-niert, augenaufschlagend: „Irgend-jemand sollte mir doch noch das Abstr-aktionsprinzip erklären..." Was immerdas Abstraktionsprinzip ist (es ist etwasfürchterlich zivil-juristisches), sie will eswissen. Beredte Bilder also; was siebedeuten, ist nicht immer gar so schwerzu erraten. Little Love Machine beispiels-weise ist dreieckig, wenn auch nichtgleichschenklig, und mit den Überre-

sten einer Champagnerflasche (Pom-mery) garniert. Es enthält die AbkürzungLLM, aber das gehört nicht hierher.Three Ways unplugged ist gelb, rot,schwarz, eigentlich dunkelblau. Undwenn auch die Verbindung zwischenden Farbstreifen noch fehlt, äußerte derMaler die Hoffnung, daß die Farben,drei Wege, wieder zueinander findenwerden. Letztendlich harmonieren siedoch. „Malt er eigentlich gegenständ-

lich?", möchte man fragen. Aber überdie kunsttheoretische Einordnung mö-gen sich andere streiten. Künstler kön-nen sein: Laut, bunt, und extrovertiert.Herr Professor Schwintowski ist einKünstler... jedenfalls macht es Spaß, sichseine Bilder anzusehen. Die Ausstellungist noch bis 13-2. im Cafe Mora,Großbeerenstrße 57 in Kreuzberg zusehen.

-k-

Stabat mater dolorosaEin schmerzensreiches Konzert

Am 19- Januar 1995 fand, wie schondrei mal zuvor im Schauspielhaus Ber-lin ein mdr-Konzert statt. Dank derPressekarte für UnAufgefordert bestanddie Möglichkeit sich dies Konzert an-zuhören und oben drein gab es auchdas Programmheft umsonst.

Entgegen den vorhergehenden Kon-zerten, waren diesmal doch ein wesent-lich höherer Anteil an jügeren Konzert-besuchern im großen Saal des Schau-spielhauses zu sehen; der direkte Ver-kauf von Karten zu studentenfreund-lichen Preisen hatte somit seine Wir-kung nicht verfehlt. Aus dem Programmund der Ankündigung konnte man ent-nehmen, daß sich die beiden Stückedieses Abends mit der Mariensequenz„Stabat mater dolorossa" beschäftigen.

Der wissensdurstige Konzertbesucherkonnte aus dem Programmheft die In-formation entnehmen, daß dieseMariemsequenz Bestandteil der Liturgiezum Fest der Sieben Schmerzen Maria(Septem Dolorum Beatae Mariae Vir-ginis), welches am 15. September be-gangen wird, ist. Sie ist hauptsächlichin Gebet- und Stundenbüchern überlie-fert. Seit 1521 ist die „Stabat materdolorosa" in das Missale Romanum auf-genommen und wurde 1727 als fünfteSequenz in die offizielle römischeMeßliturgie eingeführt. Weiterhin erfuhrman, daß der Autor der „Stabat materdolorosa" umstritten ist. Zum einen wirdbehauptet sie stammt aus der Feder desFranziskanremönches Jacopo de Bene-dictis (Jacopo da Todi), zum anderen

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30 KLdturwird der Kardinal Bonaventura als Au-tor angenommen.Wäre man boshaft so könnte man auch

sagen, daß der Konzertgenuß sich alsso schmerzensreich entpuppte, als obman einer Katze auf den Schwanz ge-treten wäre. Doch ganz so schlimm wares dann nun auch wieder nicht. Dererste Beitrag von Krzysztof Peren-derecki, Stabat mater für drei gemisch-te Chöre a cappella, war im ersten Mo-ment doch ungewohnt, wenn man analte Kirchenmusik gewöhnt war zu hö-ren. Trotz aller Gewöhnungsbedürf-tigkeit hatte das Stück seine eigenen„interessanten" Seiten. Vor allen Dingenwurde die Wirkung der dreistimmigenChormusik sehr eindruchsvoll hervor-gehoben; man bekam einen Eindruckvon der Vielgestaltigkeit der menschli-chen Stimme, die nicht nur auf eineBegleitung durch ein Musikinsterumentangewiesen ist. Als zweites Stück wur-de Stabat mater op. 58 für gemischtenChor, Orchester und vier Solo-Stimmenvon Antonin Dvorak aufgeführt. Dazwischen den Stücken keine längerePause war, war der Stilwechsel dochabrupt und man brauchte doch einegewisse Zeit der Umgewöhnung.Dvoräk's Stabat mater dolorossa kameinem dann von der Klangfarbe und derIntonation schon sehr viel bekanntervor. Das Orchester und der Chor har-monierten auch sehr schön miteinan-der, doch wurde diese „einlullende"Harmonie jäh von den einsetzendenSolostimmen gestört. Hörte man zuvornoch Chor und Orchester gleicherma-ßen gut, so war von nun an lediglichdie Sopranstimme der Sopranistin zuhören, die alle anderen Stimmen, sei esvon Chor oder Orchester unter ihrerschrillen Stimme begrub. Auch von denanderen Solostimmen war, sofern sienicht als alleinige Solostimme in Erschei-nung traten, nicht viel zu hören. Ange-sichts der Vielfalt, die sich in diesemMusikstück verbirgt war es schade, daßdiese Vielfalt durch eine so extrem do-minierende Sopran-Solostimme unter-drückt wurde. Am Ende verblieb einetwas quälender Eindruck bei mir zu-rück, doch muß gesagt werden, daßeine solche Konzertkritik immer auf-grund von subjektiven Empfindungengeschrieben wird und ein jeder solltesich seine eigene Meinung bilden, so-fern er/sie in dem entsprechendemKonzert gewesen war.

franziskaP.S. Für die mdr Konzerten gibt es

grundsätzlich Studentenermäßigung,die einen Konzertbesuch doch in denBereich des Möglichen erscheinen las-sen; selbst wenn man gerade mal wie-der knapp bei Kasse sein sollte und diesist ja bei Studenten meistens der Fall.

HELDEN IN SCHWERER ICITDer Herr der Ringe wird zum Herrn der Schwerter

"Science Fiction befaßt sieb mit erneut und auf dramatische Wei-niebt nachprüfbaren Möglichkeiten, se wiedervereint zu werden.Fantasy mit plausiblen Unmöglich- ^ ^ ^ Die Zahl der Feindekeifen." f^^^ ringsum ist groß,

Miriam Allen de Ford

Wer J.R.R. Tolkiens "Herr der Ringe"als seinen persönlichen Kult betrachtet,wird an dem "Zyklus von Osten Ard"von Tad Williams langfristig wohl nichtvorbeikommen. Sechs Jahre lagen zwi-schen dem Erscheinen des ersten Ban-des "Der Drachenbeinthron" und demvor kurzem herausgekommenen viertenund letzten Band

"Der Engelsturm" - für denVerfasser dieses Artikels eine Tor-tur des Wartens auf die Fortset-zung. Nun endlich liegen alle vierBände vor, auch wenn der PreisWahnsinn ist und nur zu hoffenbleibt, sie bald als Taschenbücher'erwerben zu können, denn - und dassei vorweggenommen: es lohnt sich be-stimmt!

K8INDUT2CN0 HEf TCHEN

Die Story an sich ist simpel gestrickt:Küchenjunge am Hof des Königs einessagenhaften Reiches wird zum Heldenin schwerer Zeit. Das Böse mit unfaßli-cher Macht ausgestattet holt aus zumletzten Schlag gegen das Gute. Der Heldwird zunächst mehr in den Kampf ge-gen das Böse gezogen, als daß er zieht.Er findet eine illustre Schar von origi-nellen Freunden, verliert sie durch wil-de Abenteuer, nur um mit ihnen dann

grausamreißen sie immer wieder Lücken in die

tapfere Schar. Die oberste und dunkel-ste Macht, verschweißt in einem unheil-bringenden Bündnis mit ihren mensch-lichen und nichtmenschlichen Helfers-helfern ist so alt, daß es einen graust.Bis zum Schluß bleiben die wahren Ab-sichten des Bösen verschleiert - nur ei-nes ist offensichtlich, es geht um denUntergang der bisherigen Welt.Viele Kämpfe müssen ausgefochten

werden, bis endlich - das ist wohl auchkeine Überraschung - das Gute siegenkann. Aber nach diesem Muster funk-tioniert jede Fantasy. Was jedoch diegute Seite dieses Genres von der Dut-zendware ä la Billig-Heftchen aus dem

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Kuhr-Bastei & Co.-Verlagen unterscheidet, istdie Fülle an Originalität und literarischerQualität. Diese vier Bücher, das sindsumma summarum fast 4000 Seiten prallgefüllte Fantasy von ihrer besten Seite.

Daß das so ist, liegt vor allem auchdaran, daß Tad Williams bei Tolkiensehr genau gelesen und sich da auchAnregungen geholt hat und zum zwei-ten, daß er dieselbe Quelle angezapfthat: das schier unerschöpfliche Reser-voir des keltischen Sagenkreises. Auchbei Williams gibt es das geheimnisvolleschöne und unsterbliche Volk, hier nichtEiben sondern Sithi genannt. Ihr Zeital-ter ist zu Ende, das der Menschen be-ginnt.

CEHEIMNIS DCHSCHWERTER

Was dem Tollkien seine Ringe, sinddem Williams seine Schwerter. Denktman jedenfalls. Die Überraschung istumso größer, wird aber nicht verraten."Minneyar, Leid und Dorn" - das sinddie Namen der Klingen mit ungeheurerMacht, von einem geheimnisum-witterten Volkszweig der Sithi, oder wiesie sich selbst nennen: "Kinder derMorgendämmerung uralter Zeit geschaf-fen.Die Welt, die der Autor erschafft und

die nach seinen eigenen Aussagen indiesem am Anfang nicht so geplanten"Aufgeschwollenen Epos" ihren Nieder-schlag findet, wimmelt von sagenhaf-ten Gestalten der Finsternis und desLichtes, von Magie und Zauber.

Und er geht dabei weit über bloßesPlagiat hinaus. Er entwickelt Neues undbeschreibt Dinge, die die urbritischeDistinguität des echten OxfordianTolkien nicht einmal zur Kenntnisnimmt. Frodo ist asexuell - Simon ist esnicht. Irgendwann schläft er mit der Frauseiner Träume und hat sogar Spaß dran.Und das unter den Augen der "MutterKirche", die bei Williams auch mitspie-len darf als macht- und hilflose morali-sche Instanz, wo sogar die oberstenPriester sich lieber im alten Zauberüben, als der Welt den wahren Glau-ben beizubringen. Glücklicherweise, istman versucht zu sagen.Wenn Schlachten geschlagen werden

müssen ist Heldentum angesagt, aberdas Sterben wird bei Williams da-durch nicht schöner.

Wenn Tollkien sich an heldenhaft ver-gossenem Blut regelrecht berauscht,stellt Williams schon mal die Frage nachdem Sinn - ohne deshalb nicht gleichweniger Blut zu vergießen

Und noch etwas macht dieses Werkso einzigartig. Die Grenzen zwischenGut und Böse verlaufen fließend. DasSchwarz-weiß des Guten und Bösen hateine gehörig große Grauzone dazwi-schen, und auch die Seiten zu wech-seln ist manchmal möglich. Selbst dasBöse hat das Recht auf eine nachvoll-ziehbare Vergangenheit, die es zu demmachte, was es ist - fast so, daß der Le-ser Verständnis hat für sein Handeln.

BUNDEtDEDFADEN

Tad Williams beherrscht die Magie derSprache perfekt, er verzaubert den Le-ser durch eine Meisterschaft der Begrif-fe, die trunken macht. Die Art, wie ererzählt, erinnert an die Sprache uralterZeit, als Druiden und Sänger an Lager-feuern mit Sagen und Märchen die Zu-hörer in ihren Bann schlugen.Wie es Williams schafft, die Spannung

nach einem gemächlichen Beginn überdie 4000 Seiten ohne Abbruch aufrecht-zuerhalten, bleibt sein Geheimnis. Selbstdas Ende, in seinen überraschendenWendungen und auch in seiner Einfach-heit verblüffend, ist erst buchstäblich aufden letzten Seiten des letzten Bandeszu erraten. Es gibt immer wieder Mo-mente unerträgli-cher Spannung, sodaß man schnellerlesen möchte, alsdas Gehirn dieBuchstaben zuverarbeiten ver-mag.Aber auch Kritik

muß erlaubt sein.So kann der Ro-man nicht seineHerkunftszeit ver-leugnen: das Zeit-alter des Fernse-hens mit seinerDominanz derSoap-Opera, woimmer zum Höhe-punkt abgeblen-det wird. Williamsverfährt in einer

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ähnlichen Technik. Er wechselt zwi-schen seinen verschieden Erzählebenenimmer dann, wenn es besonders span-nend wird, um mehr oder weniger vie-le Seiten später wieder den abgelegtenFaden aufzunehmen. So kann es schonmal vorkommen, daß der Leser ein gan-zes Bündel zeitweise zurückgelegterFäden in Händen hält.

Und doch ist man nach Lektüre derBücher um einiges reicher, und wennes nur die vielen kleinen Weisheitensind, die im Buch wie Edelsteine ver-teilt sind. Vieles wird einem im Gedächt-nis bleiben, vieles auch wieder verlo-rengehen - und das ist gut so, kann manes doch dann wieder lesen, mit neuemGewinn. Und so sind wir wieder beiTollkien! Soll es doch Leute geben, dieihn drei, vier und noch mehr Male ge-lesen haben, das könnte bei TadWilliams auch passieren.

ojoff

Notwendige Bemerkung: Diese Buch-besprechung ist hoffnungslos subjektivund lobhudlerisch, weil mir das Werkecht gefallen hat. Geld vom Verlag gab'skeins, und kaufen mußte ich mir dieBücher auch selbst.

Der komplette Zyklus:"Der Drachenbein-Thron""Der Abschiedsstein ""Die Nornenkönigin ""Der Engelsturm"erschienen im S.Fischer Verlag GmbH

1988-1994, je 49,80 DM (gebunden)

1261 B*rlin - Frtotonau . SchmiljanstraB* 19/20ToUfon 851 5160zwischen Kais*r*ich« undU - Bahnhof Friedrich - Wilhelm Platz

Der Ausrüstungsladen fürExpedition und Trelcking

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32 KUtir-

Dramatische ZukunftJunge Autoren übten ihre Stücke lesen

Am Sonntag, dem 15. 1. 1995, traten12 junge Theaterautoren den Stücke-marathon an, der sozusagen den End-spurt der Berliner Sprechtheater-werkstatt bildete, der für diese Bezeich-nung aber doch angenehm gemächlichverlief, so daß, wer in der zweiten Pau-se nach Genuß der ersten Hälfte ging,noch nicht wegen Überforderung kla-gen mußte und sich, zur Bekämpfungder eigenen Angst, etwas zu verpassen,auf den allgemeinen Ratschlag zurück-ziehen konnte, daß man sowieso, wennes am schönsten ist, gehen soll, nochdazu in Anbetracht der Unwahrschein-lichkeit, daß dieser Zeitpunkt noch aufsich warten ließe. Objektiv verpaßt habeich einzig die Sichtung der für die mut-maßlich zukunftsträchtigen Stücke ver-antwortlichen Persönlichkeiten daselbst,soweit es also um die Einordnung dertieferen Bedeutung der Dramen in denRahmen des Lebensrasters und der (Um-)Welt des Künstlers geht, muß ich min-destens bei der zweiten Hälfte passen.Die schriftliche Grobfassung der gele-senen Stück-chen steht mir aber zurVerfügung, dem Literarischen Co-Uoquium (Rechte für die Druckausga-be für diesen Abend) und der Bereit-stellung von DM 10 aus dem Budgetder UnAUFGEFORDERT sei Dank.

Ich werde mich nun einigen Gedan-ken widmen zur Beantwortung der be-wegenden Frage: Hat das junge Thea-ter eine Zukunft? Und wenn ja, wie wirddas eine die andere (oder umgekehrt)gestalten?

Schon Mesalliance (frz., früher eine

nicht standesgemäße Ehe, heute für:unglückliche, unebenbürtige Verbin-dung) von Volker Lüdecke könnte ei-nem alle Hoffnung nehmen...

Zwei Stadtstreicher lagern an der Brük-ke zwischen Ufer, Matratzenfetzen,Pappkartons und Böschung. DüstereErwartungen wechseln sich mit depres-siven, immer wiederkehrenden Alltags-wahrnehmungen ab.

Neben der Scheiße, den Zigarettenkip-pen, Tampons, Kondomen und abge-nagten Knochen fällst du alte Socke garnicht auf. ... Wenn alle sichtbar in ih-rer Scheiße stehen, ist kein Unterschied.... Die Farbe der neuen Mode: kack-braun. ... Alles kommt ans Tageslicht:zerstückelte Leichen, Milchzähne. Men-schen bringen sich um, weil die Toiletteverstopfi ist. ... Morgen wirst du auf ei-nerganz neuen Zeitung liegen. (Kasper-ski (also irgendein Mensch dieses Na-mens) steigt auf das Brückengeländer.)Der König persönlich will sich das Le-ben nehmen. ... Es ist eine große Ehrefür uns, ihm dabei zuzuschauen.

Kasperski steht auf dem Brückenge-länder und schwankt im Wind. EinePassantin stört ihn.

Aber wenn Sie sich wirklich umbrin-gen wollen, warum tun sie es dann inderÖffentlichkeit?(!) ...Kasperski: Tag-täglich bringt sich irgendwer um.Und wie um alle letztlich noch existie-

renden Sicherheiten, die bedeuten wür-den, daß er konsequent als einer vonvielen Irgendwers der Sinnlosigkeit sei-nes Lebens durch die Sinnlosigkeit sei-nes Todes unauffällig ein passendes

Ende bereitet, ad absurdum zu führen,läßt er sich vorgeblich von Regina Leß(der Passantin) überreden, seine Le-bensgeschichte an sie zu verkaufen,klettert vom Brückenbogen herunterund geht mit ihr, den Verkaufsvertragordnungsgemäß abzuschließen.

Im Unterschied zu einer hier nochvorstellbaren Inszenierung steht Parvusam Golf "von Igor Kroitzsch (ein in derTheaterlandschaft angeblich halbwegsetablierter, aber ungespielter Autor).Eine Groteske (wozu uns MeyersGrosses Taschenlexikon erklärt, es seiein Monströs-Grausiges, das zugleichlächerlich erscheint, ..., findet sich inLiteratur und Kunst v.a. solcher Epo-chen, in denen das überkommene Bildeiner heilen Welt angesichts der verän-derten Wirklichkeit seine Verbindlich-keit verloren hat). Die Erfahrung sagt,daß große Worte bestens von trivialenUmständen begleitet werden und daßumgekehrt, wenn ein Stück für nichtinszenierbar gehalten wird, erwartetwerden kann, daß der verbale Teil rela-tiv leicht rezipierbar ist. Soweit meinVerständnis reicht (wofür die Erwartun-gen nicht allzu hoch angesetzt werdensollten), ist die Figur Parvus' eine rechteigentümliche, was sich darin zeigt undvielleicht auch begründet ist, daß er ausfrüherer Zeit stammt, seherische Fähig-keiten besitzt, fortschreitender Erblin-dung ausgesetzt ist und sich, zum Zwek-ke der Heilung durch zukünftige medi-zinische Möglichkeiten, einfrieren läßt.Auf mir unbekannte Weise und ausebensolchen Gründen wird er in zeitli-

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KuMir 33

eher und lokaler Nähe zum Golfkriegaufgetaut und das Stück dokumentiertnun seine vermutlich tiefsinnigen, aberebenso unergründlichen Satzfolgen,deren Weisheit und Zusammenhang mirverborgen blieb. Dagegen scheintSklarz, sein Kompagnon, noch einiger-maßen den Durchblick zu haben:Parvus:

In welch einer Zeit lebe ich? - Sklarz:Nun ja, diese Frage habe ich erwartet,vorbereitet mich, hölzern zwar, dochnicht mehr unbehauen, ich mein', bele-sen bin ich inzwischen schon. ... Diewirkliche Gegenwart, wie sie sich jetzt,im stillen und lauten, vollzieht, ist nichtmehr wie die unsrige. (Hört!) Ge-schlechtskrankheiten und Alkoholismusnahmen wie das Wirtschaften zu. ...Noch immer ist naturlos der Geist undgeistlos die Natur. ...So wie Frauen denungerührten paranoiden Mann anbe-ten, so sinken Völker vor neuen Macht-habern in die Knie Verdammte Flie-gen! {Die benötigten Schwärme an die-sen Insekten sind vermutlich eine derSchwierigkeiten, das Stück unspielbarzu machen, man denke an die Unmög-lichkeit der Verläßlichkeit, Bezahlung,des Ersatzes u. ä.) Etwas muß gesche-hen! Bilden wir einen Klub oder einePartei!

Sklarz steht im Leben, Parvus wird denWeg aus dem schwachsinnigen Alters-optimismus nicht mehr finden:

So führt die alte Logik die Tatsachen.Reich ist das Leben an Armut stets durchWohlstand.Schade, Genialität so mit dem Tau-

wasser wegfließen zu lassen.Das Stück Der flüchtige Blickwon Till

von Heiseler hält voraussichtlich mehrals der Titel verspricht. Erstes Stichwort:Transorbitale Lobotomie, eine in den40er Jahren in den USA umsprocheneForm der Gehirnchirurgie, bei der amAugapfel vorbei ins Hirn gestochenwird, um alle möglichen und unmögli-chen Krankheiten zu heilen, man den-ke dabei an Schizophrenie, Homosexua-lität, Hysterie, Gewalttätigkeit usw..Nach Dr. Freeman wird diese Methodedie Psychiatrie revolutionieren oder zu-mindest die Welt verändern. Aber dar-um geht es erstmal gar nicht, sondernum Frances, Insassin eines Irrenhauses,die wunderbar Schubert singt, zweiSoldaten, Peer und Henry, besagten Dr.Freeman, Chefarzt der Klinik, in dieFrances zwangseingeliefert wurde, ei-nen Wärter und ein unbekanntes, da-her geheimnisvolles Wesen, ein(e)

alterslos wirkende(s) Mädchen/Frau.Peer und Henry besuchen mehr oderweniger regelmäßig die Anstalt, beschla-fen irre Frauen; der Wärter bekommtGeld. Die Soldaten scheinen dieserTriebbefriedigung weder skrupellosnoch ohne jede Moral zu frönen, siesind bewußt bei der Sache und redensogar darüber.

Henry: Sie ist wirklich verrückt. Ver-rückt. Wirklich. Was ich meine, ist: Ich

Gesten, die nicht die Ihren sind?Peer: Ja. Und jetzt singen Sie mir et-

was vor, verdammt noch mal. LiebenSie Schubert?In der vorletzten Szene des abgedruck-

ten Ausschnitts läßt Henry Peer einenFrosch essen, weil der „sein Freund istund zu ihm hält". Sie endet so:

Henry: Wie war es mit deiner Be-kloppten?Peer: Ich war bei der mit den Katzen-

bin nicht grad eine Schönheit, meineich. Nicht gerade, nicht? Sie hat meineNarbe... meine Narbe am Rücken ent-deckt. Und hat sie gehalten mit beidenHänden. Ich sage zu ihn die hat mir eindeutscher Junge verpaßt, sag ich zu ihr.Fünfzehn Jahre. Ich war zweiundzwan-zig, als ich drüben war. Den Jungenhaben wir an die Wand gestellt. Fünf-zehn ist jung, um zu sterben. Findest dufünfzehn jung? Ich finde, fünfzehn istjung. Um zu sterben, ist fünfzehn jung.Eine schöne Narbe, sagt sie. Er hat nichtgezuckt, sage ich, er war erst fünfzehn,als wir ihn an die Wand gestellt haben.Der Nazijunge.Als Peer, der auch eine Frau Zuhause

hat, einmal bei Frances landet, liegt(s)eine Unsicherheit in der Luft und inseinen Worten und in Frances' wortkar-ger Ruhe. Peer: Gesprächig sind Sie nichtgerade. Nicht wahr? Henry hat schlech-te Träume, er schreit nachts. Die andernverspotten ihn. Wollen Sie einen Kau-gummi? In ein paar Monaten sind wirOffiziere. Dann wohnen wir nicht mehrin der Kaserne, dann kann er nachtsschreien, wie er will.Frances: Warum machen Sie diese

äugen.Ach.Sie hat mir Schubert vorgesungen.Schubert?Ja, sie hat mir Schubert vorgesungen.Demnächst wird Frances für Henry

Schubert singen. Der flüchtige Blick reiztdie Hoffnung, auf der Bühne gesehenwerden zu können, denn es kann zueiner fesselnden Fragestellung werden,wer oder was verrückt ist, wenn nichtsmehr normal ist, wenn diese Einteilungihren Sinn behalten soll, auch wenneine Antwort unwahrscheinlich ist. DasStück von von Heiseler hat das Zeug,zu sagen, was es sagen will, zu zeigen,was es zeigen will, ohne es offen aus-zusprechen oder in roten Lettern an dieWand zu malen.

Von vornherein ganz anders gelagertist Q & A - Questions and Answers vonHans-Werner Kroesinger. Material fürdieses Stück lieferten die Tonbänder derGespräche des israelischen Verne-hmungsbeamten Avner Less und demSS-Obersturmbannführer Adolf Eich-mann, die zwischen dem 29- Mai I960und dem 2. Februar 1961 geführt wur-den. In dieser Zeit ist Less für Eichmann

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34 Kulturder einzige Gesprächspartner. Nach derInformation in der Theaterbroschürebezieht sich der Titel - ein Terminus ausder Polizeisprache- auf die konkreteSituation der beiden Männer im Ver-nehmungszimmer, ihre Arten und Stra-tegien zu fragen und zu antworten, dieFunktion Eichmanns betreffend.

Die Kunst des Theaters ist es, aus die-ser gewollt neutralen Atmosphäre undden festgelegten Sätzen ein Spiel zuerzeugen. Der Autor bestimmt nur we-nige Handlungsanweisungen, nur dieBeschreibung der ersten Szene gibt ei-nige Vorstellungen vor:Eichmann allein in abgetragenem An-

zug, weißes Hemd, kein Gürtel, keineKrawatte, Handschellen, überprüft sei-nen Anzug, hat Schwierigkeiten mit derschlecht sitzenden Hose, nimmt immerwieder korrekte Haltung an, probiertverschiedene Ansätze aus, es gelingtihm nicht.

Dann steht der Text, die Fragen unddie Antworten. Sie stehen für sich selbstund sind doch angewiesen auf dieFormgebung durch Inszenierung undRegie, um in bestimmter Weise zu be-tonen, abzuschwächen, auch zu wer-ten. Einzige und damit auffällige unddamit voll wirksame Einschränkungenbilden Einschübe nach Art von Zu-sammenschnitten: Chor der Tonbänder,ungehaltene Interviews: Da fing die Ar-beit an, erfassen, zuordnen, eliminie-ren, ein Federstrich = eine Leiche, eineZahl auf dem Papier umgesetzt in Kör-per, die Zahlen nahmen Gestalt an, dif-ferenziert in Kugeln, Gas und Tod durchArbeit oder Transport, ...

vor allen Dingen Überschaubarkeit,wissenschaftliche Korrektheit, das Ex-periment wurde frühzeitig beendet,unfreiwillig, doch zunächst die Eupho-rie des Aufbruchs, der Anfang aus demNichts, ein Unternehmen, dessen Di-

mension so unvorstellbar war wie einFlug zum Mars.

Die Strategie ist die des „Hier hast du.Nu mach was draus." Erst für die, diees aufführen wollen, aber - das bleibtzu wünschen - dann auch für das Pu-blikum.

Zurück zum Anfang, der Frage nachder Zukunft. Nun ja, sie hat bereits be-gonnen und beginnt immer wieder neu,deshalb kann ich sie gar nicht beant-worten. Es kommt aber auch nicht aufdie Antworten an, sondern auf die Fra-gen, und davon stellt jedes neue Stückeinen Haufen. Es kommt darauf an, sieso zu stellen, daß sie interessant klin-gen, Antworten sich lohnen würden(mindestens für den Spaß), und wenig-stens so tun, als wären solche zwar nichtoffensichtlich, aber doch möglich.

rebus

Gangsterspektakel

Der Pfeil zur Bühne weist auf ein ro-stiges Blechtor. Dahinter ein grauerQuader mit schwarzen Gucklöchern,

DT-Spiel im Bunker

vier Stockwerke hoch. Hinter einenschweren Vorhang wieder ein Pfeil, derWeg nach oben. Meterdicker Beton

hängt einem nur wenige Zen-timeter über dem Kopf. DasTreppenhaus ist wie einSchacht durch einen stei-nernden Klotz. Das Grau istbunt übersprüht. Wir sind imBunker in der Alb rech tstraße.Unser Ziel ist keine Techno-oder SM-Party, vielmehr hatdas Deutsche Theater zu einerneuen Inszenierung geladen.

Die Zuschauer sammeln sichauf Stühlen, die wie in einemVorzimmer aufgereiht sind.Vergebens sucht man die Büh-ne. "The Life of Stuff - Lebens-stoff" ist angekündigt. Ent-schärfte Monotonrhythmen er-klingen, das Ambiente tut einübriges - zu erwarten ist einmodernes Stück über Techno,Ecstacy und zugedröhnte Köp-fe. Irgendwie bekommt mandas auch alles, aber hur inForm eines abgenutztenDrogenmafia-Plots. Die Halb-

starken und die Backfische in SimonDonalds Stück haben draußen in derWelt alle irgendwie ein bedauernswer-tes Scheißleben und hoffen bei der gro-ßen Party des Abends auf Anerkennungund den Stoff, den sie zum Leben brau-chen. Sie leiden unter nervösem Aus-schlag oder an totaler Nutzlosigkeit undscheinen so einem Mittelklasse-Dealerdie sichersten Helfer auf dem Weg inden Zenit der Unterwelt. Als sie allescheibchenweise begreifen, daß sie so-gar als Mörder mißbraucht werden, ihrGewisssen entdecken und endlich auchder Möchtegern-Capone seinen Meistergefunden hat, taucht aus feurigem Ne-bel der Rächer auf, der von allen imJenseits geglaubte wahre Big Boss. Ermacht seinem Schneehandel-Konkur-renten den Gar aus und dessen Clubzu Asche. Die Party wird niemals statt-finden.

Große Bosse, kleine Schurken undzwischen deren Mühlen eine paar ver-irrte arme Würstchen - keine außerge-wöhnlich originelle Story.

Und doch, die Szenerie bleibt nichtohne Überraschung. Denn das Stück istungewöhnlich anstrengend für den Teil-nehmer. Szenenwechsel ist hier wört-

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Kultur 35

lieh, zunehmen. Wenn abgeblendetwird, muß die ganze Zuschauerschar aufWanderschaft gehen. Auf der gesamten4. Etage des Bunkers, in 6 verschach-telten Räumen finden sich Keller, Party-halle, Büro und Dachaussicht und wieSchnappschüsse reihen sich die Bilderaneinander. Aus dem Stück wird einComic strip. Und das nun paßt wieder-um zur Geschichte, die ohne Tech-noklänge gut und gerne im Amerika der

30er Jahre spielen könnte. Nach einerknappen Stunde begreift man das end-gültig. Drogen, Kapuzen-Shirts undSilberkleider machen eben noch keinaktuelles Stück. Das gute Spiel der Ak-teure, die Idee mit dem real-fiktivenRaumgefühl und die interesseweckendeSpielstätte können die enttäuschten Er-wartungen leider nicht wettmachen.Jedoch der Bunker als Spielort und vor

allem das Wissen um sein weltliches

Leben zwischen Kriegsvergangenheitund gegenwärtigem Ort eines jugendli-chen Kampfes gegen die Wirklichkeitmachen auch diesen Theaterabend zueinem Erlebnis.

jkNächste Aufführungen: 7., 8., 9-, 17., 18., 22.

Februar und 2., 3- und 9- März im Bunker amDeutschen Theater. Beginn immer 20.30 Uhr. DieKarten kosten 20,-DM und sollten vorbestelltwerden, da nur jeweils 50 Zuschauer ein-gebunkert werden können.

Die Hochzeit der NarrenKarneval als Ausdruck für eine alternative, umgekehrte Welt oder eher Synonym für ein

ausgedehntes Rauschgelage?

In kürze schlagen wir im Kalender das Kapitel der Fa-stenzeit auf, welche das nicht mehr allzuweit entfernteOsterfest ankündigt. Bevor jedoch die für viele immernoch besinnliche Bußzeit beginnt, erlaubt uns ein Brauchder Volkskultur ein närrisches Treiben. Mehrere Tage langsteht die Alltagswelt dann Kopf. Das allerdings nur ineinigen Regionen unseres Landes. Dieser Anlaß nun läßtjedes Jahr im Berlin wohnenenden Funkemariechen eineArt Lokal Patriotismus aufsteigen. Erneut fühlt es sich auchdiese Jahr wieder dazu berufen, in einigen Wochen daswinterliche, starre Preußen zu verlassen, um endlich wie-der dem Narrenkult zu frönen.

Zurück geht's also ins rheinische Fastnachtsgetümmel,wo die karnevalistischen Schwingungen von der Hoch-burg Köln aus, bereits das gesamte Umland in gespannteVorfreudestimmung versetzen.

Seit 1823 lebt in Köln die romantische Tradition desneuen Karnevals fort. Prächtige Rosenmontagszüge,Funkenregiment, Kappensitzungen, sowie Büttenredensind nur einige Schlüsselwörter für dieses Phänomen, dasvon vielen Leuten als nicht nachvollziehbar und oft nie-derträchtig verurteilt wird. Dabei werden die eigentlichenWurzeln der Formen und Organisation dieses Festesaußer Acht gelassen.

Vor etwa 700 Jahren nämlich feierte man in fast allenTeilen Deutschlands die Fastnacht als Beginn der Fasten-zeit. Ausgiebigst wurde zelebriert, um die Entsagungender bevorstehenden strenggehaltenen Rituale der Fasten-und Bußzeit zu kompensieren. Die Fastnacht, im schwä-bisch-allemannischen „Fasnet", im bayrisch-österreichi-schen „Fasching" genannt, hatte demnach eine Ventil-funktion. Das Bedürfnis nach leiblichen Genüssen, unge-zügeltem Verhalten und Maskerade konnten so mit Er-laubnis der herrschenden Klassen ausgelebt werden, umder nach Disziplin rufenden Vorbereitung auf das Oster-fest standzuhalten und schließlich gerecht zu werden.

Die Fastnacht war im Spätmittelalter und der frühen Neu-

zeit ein städtisches Ereignis. Zünfte, Gesellengrup-pierungen und studentische Vereinigungen schlössen sichin Maskenumzügen zusammen, um sowohl die Politik, alsauch die Kirche zu verspotten. Keine Gesellschaftsschichtwurde ausgelassen, niemand blieb von den Flüchen ver-schont. Man nahm sich einer recht derben, obszönenSprache an und brach auf diese Weise soziale Konventio-nen. Alex

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36 — KLAurDas Kino hat Geburtstag

Versuch einer Zusammenfassung

Beinahe heimlich hat mit Jahresanfangein Jubiläum begonnen, das von Indu-strie und Beschäftigten der Branche ei-gentlich wie die Endphase des US-ame-rikanischen Präsidentschaftswahl-kampfes gefeiert werden müßte: 100Jahre Kino.

Als die Brüder Skladanovsky das bo-xende Känguru zum exentrischenAbendvergnügen der künstlerisch inter-essierten Berliner Boheme machten,ahnten sie und ihre Kollegen in Europawahrscheinlich nicht, was mensch allesso mit Hilfe dieser bewegten Bilder an-stellen würde.

Den an dieses, als siebte Kunst be-zeichnete, Medium angeschlossenenWirtschaftsunternehmen bringt es heut-zutage jährliche Millionen von Dollar,DM (oder auch Zloty?) an Gewinn.

Und wir, die Konsumenten (oder auchProduzenten) der großen und kleinenGeschichte, die das Kino-Leben soschreibt, ergötzen uns -trotz der oft jen-seits der lODM-Grenze liegenden Ein-trittsbuße- am körperlichen als auchseelischen Exhibitionismus der Akteu-re, schwelgen im immer wieder neuauf-bereiteten Traum der großen, wahrenund schönen Liebe, freuen uns über denDiletantismus oder das Pech von ande-ren oder lassen uns einfach animieren(wodurch und wozu ist der persönli-chen Erfahrung eines jeden Lesers über-lassen).

Am Anfang ward dasLicht

„Ankunft eines Zuges" oder „Das Bebewird gefüttert" waren vorrevolutionäreKassenschlager der französischenGebrüder Lumiere, die europaweit einständig wachsendes Publikum beein-druckten. Der Titel täuschte nicht überden Inhalt des Filmes hinweg. Und als1917 die Ufa (Universum-Film-Aktien-gesellschaft) gegründet würde und balddarauf sich Henny Porten und EmilJannings in den Armen lagen oder AstaNielsen Conrad Veidt den Kopf ver-drehte war auch in Deutschland das Eisgebrochen. Trotz Hunger und Wirt-schaftsmisere strömte alles ins Kino.Sexueller Ausschweifung wurde nach

der Aufhebung der Zensur Tür und Tor-passender ist wohl Vorhang- geöffnet,wenn Pola Negri gekonnt ihre Beineübereinander schlug oder der interes-sierte Besucher des Filmtheaters sichüber die „Tragödie eines europäischenRasseweibes" ein Bild machen konn-te. Exotik muß sein.

Doch die Ehre und vorallem daskünstlerische Niveau des deutschenFilms wurde mit denen in den Zwanzi-ger Jahren entstanden expressionisti-schen 'Seelenkino' gerettet. In obsku-ren, futuristischen und abstrakten De-korationen wurden Filme gedreht, dienoch heute zu den Meisterwerken derFilmkunst zählen: „Das Kabinet des Dr.Caligari", „Nosferatu", „Metropolis" oder„Der müde Tod". Auch mit Beginn derTonfilmzeit blieb das deutsche Kino imGespräch. Erst unter Goebbels wurdedie Ufa ihrem eigentlichen Gründungs-ziel untergestellt: als monopolisiertesGeschäft aus Kinos, Gesellschaften,Verleihbüros, Rohmaterialfabriken undFilmkreditbanken wurde der Film alsmassenwirksames Propagandamittel fürden zweiten Weltkrieg benutzt.

Nach'45

Aufgeteilt in Defa im Osten und Ba-varia-Filmkunst AG, AG für Film-fabrikate und Universum-Film AGimWestteil, ging man getrennte Wege. Inder DDR wurde unter Defaaufsicht bisin die 60er Jahre hinein Filme produ-ziert deren künstlerischer Wert für dasdeutsche Kino nicht zu unterschätzenist. Jedoch wurde nach und nach eineimmer engerwerdende Welt des Sozia- ,lismus gezeigt, so daß das Interesse derKinobesucher für solcherart Unterhal-tung zunehmend schwand. Im Westensetzte das Nachkriegsdeutschland vor-allem auf Heimatfilm und Kostüm-schmonzette. Die Kinokunst schlief,Ausnahmen bestätigen wie immer dieRegel, ein. So ist auch verständlich, daßdie „Nouvelle Vague" der deutschen Ci-neasten erst Jahre später als im avant-gardistischen Frankreich eingeleitetwurde, durch Leute wie Fassbinder,Kluge, Wenders, Sträub oder Herzog.Erst in den Siebziger Jahren erhieltenFilmschaffende durch staatliche Förde-

rungen und dem Auftraggeber Fernse-hen größere Chancen zu produzieren.Der deutsche Autorenfilm war geborenund bestimmte das Geschehen in derBranche bis weit in die 80er Jahre hin-ein.

Organisation ist alles

Nun ist es eines über Kinogeschichteetwas zulesen etwas anderes aber vonden Verantwortlichen etwas über denIST-Zustand des deutschen Kinos zuerfahren. Die deutsche Komödie hatgerade in den letzten drei Jahren vieleBesucher ins heimische Filmtheater ge-

lockt, was nicht zuletzt der Verdienstjunger Künstler ist. In und um Berlingibt es mehrere Möglichkeiten für je-den, der sich berufen zur Kunst fühlt,ein Studium an einer Film-oder Schau-spielschule zu absolvieren. Eine davonist die HFF in Babelsberg. Am Wassergelegen bietet sie jährlich einer Hand-voll Studenten die Möglichkeit sich demewigen Ruhm etwas zu nähern. Einigeder Villen in denen die einzelnen Fach-bereiche untergebracht sind mußtenschon aufgegeben werden, andere wie-derum wurden vom Land Brandenburgkäuflich erworben und wenn alles gut

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Kultur 37

geht wird die HFF auf das Gelände derDefa in Babelsberg ihr neues (und dannendgültiges) Domizil aufschlagen. Aufdie Frage nach etwaigen Planungen an-läßlich des Kinogeburtstages gab manmir ein für den kulturellen Bereich rechthäufiges Nein zur Antwort; begründetwurde dies, wie so oft, mit fehlendenfinanziellen Mitteln und Uneinigkeitüber Inhalte der geplanten Veranstaltun-gen bei der angestrebten Kooperationmit anderen Medieneinrichtungen inPotsdam. Jeder kocht also sein eigenesSüppchen, dessen Zutaten mir aber ver-borgen bleiben mußten, da ich mich beimeinen Telefonaten immer wieder inder selben Situation befand: entwederwar der mir anempfohlene Gesprächs-partner nicht zu ereichen oder aber ganzunwisend meinen Anfragen gegenüber.Und so wurde ich vermittelt und ver-mittelt ...

Da tobt das Leben...

Ähnlich inaktiv gab sich auch die Deut-sche Film- und Fernsehakademie imHerzen Berlins, die mich auf die Fragenach geplanten Veranstaltungen nur auf die Stiftung „Deutsche Kinemathek"verwies. Dies ersparte ich mir aber, dennnach eingehender Recherche undgekonter Verknüpfung von Tatsachenund Hinweisen war ich hinter das Ge-heimnis des 'Koordinierenden Gremi-ums 100 Jahre Kino' gekommen, wel-ches unter dem 'Deckmantel' der Film-förderungsanstalt Berlin eine ganze Bro-schüre zu den Jubiläumsaktivitäten alsMaßnahmenkatalog herausgebracht.

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Darin erfährt der erstaunte Leser, daßnicht nur Sonderbriefmarken undTelefonkarten auf den Markt kommen(oder schon sind) sondern auch das einJahrhundert-Kino-Zug durch deutscheLande rollt, mit Trailershows währendder Fahrt! Die wichtigsten Termine (lautBroschüre) wurden schon verpaßt bzw.liegen im warmen Juni. Am 8. des Mo-nats ist in der Waldbühne Auftakt zurReihe „Filme auf der größten Leinwandder Welt" und am darauffolgendenAbend wird ebenfalls in Berlin der Deut-sche Filmpreis verliehen (wer den wohlwiedermal bekommen wird?)Wöchentlich donnerstags 20.30 Uhr

läuft gleich neben dem Hauptgebäudeder Uni im Zeughauskino eine Retro-spektive zu „100 Jahre Kinematografie".Weitere Filmreihen und Ausstellungenunter verschiedensten Aspekten bietenauch das Bundesfilm-Filmarchiv, dieLandesbildstelle, die Stiftung „DeutscheKinemathek" oder auch der Verein „Dieersten 100 Jahre Kino in Berlin"e.V. Sie-ben neue Bücher werden dem Neu-gierigen alles wissenswerte über dasKino verraten und es wird für Sportlerund Fitgebliebene sogar HistorischeWanderungen durch die Berliner Film-geschichte in Pankow (vielleicht dieSkladanovskystraße einmal auf und ab)und Weißensee geben. Selbst dieHumboldtuniversität läßt sich nicht lum-pen und bietet irgendwann im Laufe desJahres ein Kolloquium zu „Der MythosDEUTSCHLAND Wahrnehmungs-,Konsens- und Konfrontationsstrategienin ost-und westeuropäischen Spiel-undDokumentarfilmen" an.

Wem das allesnichts ist der hatab dem 9-Februarimmer noch dieChance sich beider Berlinale dieneuesten europäi-schen und ameri-kanischen Produk-tionen zu Gemütezu führen und aufden original le-bensgroßen An-blick des Schattenseines der ange-kündigten Film-stars zu hoffenoder vertraut ein-fach auf Kabelan-schluß und vollenKühlschrank undsieht sich die Fil-me im Fernsehenan. -oha

ein Fortsetzungsroman

„Gnädigste ihr Haar liegt so schief,erlauben sie mir dieses heikle Pro-blem mit ein paar gekonntenFingergriffen zu lösen?"

„Aber ich bitte sie, liebster Freund,war ich jemals ihnen gegenüberwirklich vormundschaftlich einge-stellt? Sie können mir glauben, daßich mehrmals täglich ihren Namenauf meine Taschentücher stickeund mit banger Sehnsucht einerneuerlicher Benutzung selbigerharre."

„Oh, hätte ich das gewußt, wäredies Bekenntniss schon früher überihre roten Lippen gekommen, waswären mir für Qualen erspart ge-blieben, wie hätte mich jeder Son-nenaufgang von neuem zu Tränengerührt, angesichts der GewissheitIhnen uneingeschränkt zu Dienstensein zu dürfen!"

„Ah, oh nicht zu stürmisch, fes-selt doch auch mich die Etikette anmeinen familiären Stand und etwasContenance würde uns in dieserimmer verfänglicher werdendenSituation gut zu passe kommen."

„Aber sollten wir nicht unseremHerzen folgen. Sehn Sie nur wieIhr Schal im Winde flattert, so freiund zart will auch ich Ihren Halsumschlingen können. Kommen Sie,folgen Sie dem Ruf Ihrer Triebe, ichseh doch das Verlangen in IhrenAugen glühen."

„Halten Sie doch ein!"Eilig sprang sie über die Hecke

davon und stürmte zum nahegele-genen Ententeich. Hier ließ sie sichschwer atmend nieder, trunken vorGlück begann sie heftig mit denAugen zu rollen ...

oha

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38 Räfsd

Der Rätsel Lösungx heute Nr. 61 und Nr. 62

Spar- und Übungsrätselhorizontal:1. negatives Befindlichkeitsprädikat; 4.

führender frz. Geiger seiner Zeit, Schü-ler von Corelli; 6. Gehbetrieb; 8. Flußim Zentrum des Orion; 9- Luftreifen; 10.ungekochte Nahrung; 13- griechischeÜbersetzung des dritten Vokals;vertikal:2. ehemaliger Professor für Komposi-

tion an der Münchner Musikhochschu-le; 3- Modus eines Wanzendaseins aufder Mauer; 5- Umschlagplatz fürPersonenbeförderungsmittel; 7. apostro-phierte Entscheidungssituation; 11.Normengeber für Einheiten; 12. lingui-stisches Konstitutiv der Fußballwette.

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Afämiscttes 39

Heckereckezu „Das teuerste Flugblatt der Welt"in UnAUF Nr. 62

Auch wenn ich mir nichts dafür kau-fen kann, habe ich mich doch über denArtikel im Dezemberheft gefreut. Immer-hin eine kleine Würdigung, zu der sichEure Präsidentin nicht aufraffen kann.

Sie schuldet mir seit über 2 JahrenAntwort auf den „Offenen Brief" aufSeite 170, abgedruckt in dem Buch „Dasteuerste Flugblatt der Welt".

Rainer Schottlaender

zu Meckerecke,Leserbrief H. Schinkel in UnAUF 63

Nachdem auch die NADEL meine Zu-schrift abdruckte und ich mich wieder-um in UnAUF 63, S. 39 entdeckte, zö-gere ich, wem in meinem Herzen derVorrang gebührt.

Ich flüchte mich in dem historischenSatz: „Ich liebe Euch doch alle!" Undzugleich diene ich mit ein paar Marken.Helmut Schinkel

Die UnAUFGEFORDERTwird auch imInstritut für Germanistik vertrieben,Zuschriften an die NADEL sind also inZukunft nicht erforderlich.

KinderbetreuungSommerferien 1995

Wir suchen Betreuer/innen, diewährend der Sommerferien 1995,gegen Honorar, Kindergruppen be-treuen wollen, die in Schullandheimunseres Verbandes fahren:Interessenten melden sich bitte

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kontakt: humboldt-universitätpf mutvilla - lesbisch-schwule

interessenvertretungunter den linden 6

_l0099berlin ___

IMPRESSUMUNAUFGEFORDERT

Die Studentenzeitung der BerlinerHumboldt-Uni.

Erstmals erschienen am17. November 1989.

Redaktion:Ingo Bach, Jens Schley

(Chefredaktion),Franziska Ahles, Momme Aus-born, Stephanie Gimmerthal,Klaus Kallenberg, Anke Kautz,

Juliane Kerber, Alexandra Kolle,Georg Linde,Hannah Lund,

Antje Meinhold, Ulrich Miksch,Rüdiger Neick, Gesa Rothbarth,Julia Trotha, Sylvia Wassermann

Kontakt:Humboldt-Universität zu Berlin

Unter den Linden 610 099 Berlin

Hauptgebäude Raum 3022,Tel.: 2093 2288fax: 2093 2770

Redaktionsschluß:27. Januar 1995

Satz: RoodyT i t e l : Ralf Lutter (Copyright B.Z.)

Fotos: Fisahn, Harre u. a.

Druck:Contrast

Tempelhofer Damm 21012099 Berlin

gedruckt auf Recycling-Papier

Nachdruck, auch auszugsweise, istausdrücklich erwünscht. Wir bitten

aber um Quellenangabeund Belegexemplar.

Für alle Fakten besteht das Rechtauf Gegendarstellung in ange-messenen Umfang. Namentlichgekennzeichnete Artikel geben

nicht in jedem Fall die Meinungder Redaktion wieder. Kürzel

werden nur von Redaktionsmitglie-dern verwendet.

Die Redaktion behält sich vor,Leserbriefe gekürzt zu •

veröffentlichen

UNAUFGEFORDERT Nr. 65erscheint am

10. April 1995.

Die Redaktionssitzungen sindöffentlich: dienstags, 18.00 Uhr,

HG 3022.

Redaktionsschlußfür die nächste Nummer:

27. März 1995

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40 Das LetzteWas ist ein Stupi?

Antwort: Ein Stupa-Studi. Ich hättemich gern mit Ratschlägen an dasStudentenparlament zurückgehalten,allein es geht nicht. Als ich heute mei-nen elektronischen Briefkasten leerte,fand sich darin auch eine Nachricht, diemich nachdrücklich aufforderte, dochan der Studentenparlamentswahl teilzu-nehmen. Es wurde mirsogar ein Bestechungs-angebot gemacht, wennich fünfmal wählen gin-ge: Jeder fünfte Wäh-ler bekommt einÜberraschungsei." Dasmacht die gesamte Sa-che zwar überlegens-wert, doch als alleinigesArgument reicht es amEnde vielleicht dochnicht.Das Dilemma zu gerin-

ger Wahlbeteiligunggibt es ja seit neuestemin zweierlei Hinsicht:Mangel an Kandidatenund Mangel an Wäh-lern. Deshalb besteht indiesem Jahr die Gefahr,daß einige Studentenden Sinn einer Wahlvielleicht nicht auf denersten Blick erkennen,weil weniger Kandida-ten als Sitze zur Verfü-gung stehen. Das machtdie Wahl aber nurscheinbar unsinnig,denn natürlich darf mandem Studentenparla-ment zutrauen, daß sieeinen Sitzverteilungs-modus finden, der den-noch einige Kandidatendurchfallen läßt - Span-nung bis zum Schluß.Man muß sich nach all dem überlegen,wie man die desinteressierten Studen-ten besser ködert. Das System muß aus-geklügelter werden. Ein fünftel Über-raschungsei ist etwas zu plump. Bereitsim letzten Jahr wurde ja ein einzelnerVorstoß gewagt, der Druck auf die Wäh-lerschaft ausüben sollte: „Wer nichtwählt, wird exmatrikuliert!" — auch nichtbesonders geschmackvoll. Quatschwäre sicher, den Studenten Einblick in

Arbeit und Daseinszweck des zu wäh-lenden Gremiums zu gewähren. Etwasmystisches muß der Einrichtung für denDurchschnittsstudenten schon anhaften.Auch sollte man nicht verraten, daß Stu-dentenparlament und Stupa dasselbesind. Danach wurde ich übrigens schoneinmal ernsthaft gefragt und wußte nur

zu antworten, daß das eine Hoch-schulpolitik macht, während sich dasandere der HoPo zuwendet. Rein sach-bezogene Argumente sind demnach si-cher ungeeignet, um den Studenten zumWählen zu bewegen. Viel mehr sollteman zur weiteren Mystifizierung allerstudentischen Organisationen beitragen- neue Gremien, kryptischere Abkür-zungen. Das verstärkt den Anschein vonWichtigkeit. Schon jetzt weiß zwar kei-

ner, wie ÖffRef, RefRat und Stupa zu-sammenhängen, aber ausbaufähig istdas schon noch. Weiterhin sollte manZulassungsbeschränkungen für Kandi-daten für das Studentenparlament ein-führen - 44 sind einfach zu viele. Dawird gar nicht mehr deutlich, was esfür eine Auszeichnung ist, in dem ober-

sten Studentengremiumtagen zu dürfen. Die über-zähligen kann man dannin den zusätzlich zu schaf-fenden Gremien beschäf-tigen. Ein weiterer wich-tiger Schritt wäre die dra-stische Verkürzung derWahlperiode. Wählt manso wie jetzt nur einmal imJahr, muß man tatsächlichzumindest 6 Monate langkonstruktive Arbeit lei-sten, was leichter gesagtals getan ist. Völlig belie-big kann man nämlich dieVorbereitung auf die Wahlund die Nacharbeit der •letzten Wahl leider auchnicht ausdehnen. Erinnertsei in diesem Zusammen-hang an den Beschluß derSatzung nach der erstenStudentenparlaments-wahl, der trotz wirklichgelungener Ansätze zurVerzögerung in nur 9 Mo-naten zustande kam. Hierwäre wirklich noch eingewaltiges Potential fürdie Ausweitung der wäh-lerwirksamen Gremienbü-rokratie. Wählte man also,sagen wir alle 3 Wochen,würde sich das Vorhan-densein der studentischenSelbstverwaltung vielmehr bei den Studenten

ins Gedächtnis eingraben - ein gewis-ses Mehrinteresse wäre die logischeFolge. Vielleicht würde sogar derWissenschaftssenator mit Bewunderungauf die Humboldt-Universität schauen.Eine werbewirksame Berichterstattungin Berlins Presse wäre dann gesichert.Vielleicht kann ja dann das Studenten-parlament in Zukunft bei allen Wahlendie 10%-Hürde überspringen.

li