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UnAufgefordert Nr. 140

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Das ist Ausgabe Nummer 140 der Studentenzeitung der Humboldt-Universität zu Berlin vom 29. Oktober 2003.

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3UNAUFgefordert november 2003

Die Studentinnen- und Studentenzeitungder Humboldt-Universität zu Berlin.

Herausgeberin: StudentInnenparlament der HU

Verantwortliche Redakteure fürdiese Ausgabe:Alexander Florin, Steffen Hudemann, DorisMall, Urte Schubert, Sören Kittel

Redaktion: Annika Waldhaus, BernhardHoll, Christina Pack, Daniel Schalz, Frederi-ke Felcht, Julia Roth, Josef Kuske, LenaDomröse, Markus Balkenhol, Martin Uebe-le, Nina Töllner, Saara Wendisch, SabineSchereck, Sarah Hofmann, Sebastian Schö-bel, Susanne Vangerow, Tanja Hofmann

Verantwortlich für Anzeigen: Julia Roth, Kai Adamczyk

Satz: Stephan Lahl

Fotos: Susanne Vangerow

Illustrationen: Britta Kussin

Titelbild: Marco Rahn

Kontakt: Humboldt-Universität zu BerlinUnter den Linden 6, 10099 BerlinHauptgebäude, Raum 2094 aTel.: 2093-2288, Fax: 2093-2754,[email protected] [email protected]

Öffentliche Redaktionssitzungen:montags um 18:00 Uhr im Raum 2094 a

Belichtung: Medienraum des RefRat

Druck: FATA MORGANA Verlag, Brunnenstr. 181, 10119 BerlinGedruckt auf Recyclingpapier imTrockenoffsetverfahren

Auflage: 5.000

Für alle Fakten besteht das Recht auf Gegendar-stellung in angemessenem Umfang. Nachdrucknach vorheriger Nachfrage möglich. Wir bittenum Quellenangabe und Belegexemplar. Die Re-daktion behält sich vor, Leserinnen- und Leser-briefe gekürzt zu veröffentlichen. Alle Artikel ge-ben die Meinung des jeweiligen Autors wieder.

Redaktionsschluss dieser Ausgabe:29. Oktober 2003

Redaktionsschluss der Nr. 141: 26.November 2003

EditorialAn den Wochenenden herrscht in den Gängen der Humboldt-Universität Dunkel-heit. Wer samstags arbeiten muss, läuft Gefahr, in den spärlich ausgeleuchtetenFluren zu stolpern. Es ist die Beleuchtung einer Universität, die sparen muss. Manist geneigt, an Gespenster zu glauben an solchen Tagen. Doch was derzeit durchHumboldt-Uni geistert, hat längst Form angenommen. Denn während draußen dieMassendemo gegen die Sparmaßnahmen der Regierung und die Agenda 2010 ih-re Stimme erhebt, werden die Sparpläne der Unis, die ihnen die Senatoren Flierlund Sarrazin aufgedrückt haben, immer konkreter. Zwanzig Prozent des HU-Per-sonals soll eingespart werden. Dafür gibt es bald eine Fakultät für Lebenswissen-schaften. Was das ist, kann zwar so richtig keiner erklären, aber es klingt gut.Der Professorenschwund führt sicherlich nicht dazu, dass ihr schneller studierenkönnt. Nur die Eltern und das Bafög-Amt werden mosern, und fragen warum ihreuch nicht beeilt und wenn ihr dann sagt, dass alles die Schuld vom Senat sei, wer-den sie es nicht verstehen. Es hat Euch ja schließlich keiner gezwungen, ausge-rechnet in Berlin zu studieren.In manchen Ländern müssen Studierende während der Semesterferien ihr Zimmerim Studentenwohnheim räumen, damit es als Jugendherberge genutzt werdenkann. Etwas Ähnliches wäre auch an der HU möglich. Da sich vor allem an Wo-chenenden ein reger Touristenstrom durch das Hauptgebäude der HU bewegt –hier unser Vorschlag ans Präsidium: nehmt Eintritt, macht die Universität zum Mu-seum. Ausstellungsstücke gibt es ja genug im Gebäude. Und macht schnell, solan-ge der Name »Humboldt-Universität zu Berlin« noch etwas wert ist!Ihr Studierenden könntet dann als Museumswärter arbeiten, um Euch die Eintritts-gelder für die Universität zu verdienen. Vielleicht macht ihr doch besser schnell Eu-ren Abschluss.

Eure Unauf <

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Titel

UNAUFgefordert november 2003

Einer für alle und alle gemeinsamSie gelten als konservativ und ›rechts‹. Trotzdem oder viel-leicht gerade deshalb sind ihre ehemaligen Mitglieder in derGesellschaft erfolgreich. Was sind das für Studenten, diesich in archaischen Männerbünden organisieren?

10 Zwei Schritt rechts und zwei zurück1815 fing alles an, als sich in Jena Studenten zusammen-schlossen, um für die Einheit aller Deutschen zu kämpfen

12 Braune BurschenDie Burschenschaft »Gothia« ist tief mit der rechten Szeneverstrickt und sieht sich als Opfer der Linken.

13 Alles für den guten LookIn einem Geschäft für Couleur-Artikel und Freimaurerbedarffindet der Burschenschafter, was er standesgemäß benötigt.

14 Durch Schikane zur FreundschaftIn den USA sind Burschen- und Schwesternschaften aus demCollege-Alltag nicht mehr wegzudenken.

16 »Intensiver als eine WG«Wir sprachen mit einem ehemaligen Burschenschafterüber seine Erfahrungen.

17 Das Gespenst der SparauflagenDie HU muss bis 2009 die Summe von 30 Millionen Eurosparen. 20 Prozent der Stellen werden gestrichen. Die Land-wirtschaftlich-Gärtnerische Fakultät soll geschlossen wer-den. Fast alle Fächer verlieren Professuren. Bis zum 30. Juni2004 muss die Uni ihren Strukturplan dem Senat vorlegen –genügend Zeit für alle, sich mit ihm anzufreunden oder Pro-teste zu organisieren.

18 »Wer einen Bauern reinlegt …«Die LGF will ihre geplante Schließung verhindern. Studie-rende und Lehrende vereinen sich im Protest.

20 Mlynek in die LandwirtschaftSelten waren so viele Studierende bei einer Sitzung desAkademischen Senats der HU. Präsident Mlynek freute sich.

politik

21 Fehlstart in die StrukturdebatteDieter Kirschke, Professor der LGF und Mitglied im Akademi-schen Senat, kommentiert den Sparvorschlag.

22 »Lehre ist so kaum möglich«Die HU setzt auf Junior-Professuren, doch den Wegfall vonhabilitierten Professoren können diese kaum ausgleichen.

23 Autonomie ist wichtigDie Theologische Fakultät wehrt sich gegen ihre Integrationin eine andere Fakultät und die Kürzung um fünf Professuren.

24 SchadensbegrenzungMitte Oktober präsentierte das HU-Präsidium seine Sparliste:ein Fünftel des Etats wird gekürzt; 90 Professuren fallen weg.

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inhalt

UNAUFgefordert november 2003

Rubriken3 Editorial6 News6 Bauvorhaben

40 Tipps & Termine

26 Studieren in… AucklandWenn draußen die Sonne und wunderbare Natur locken, fälltes in Neuseeland schwer, in der Bibliothek zu arbeiten.

28 Uni-Helden: Der Musik-ExperteNahezu jede Melodie erkennt Ingolf Haedicke und suchtaus der Phonothek der HU die richtige Platte heraus.

30 Metropolen in DeutschlandFinsterwalde: Raubritter, singende Soldaten, ein »Meter« Bier

30 E-Mail aus… Budapest

31 »Du Weinbergschnegge«Fußball in der Fremde, Teil II: Der 1. FC Kaiserslautern

32 Berlin Kultur• Auf der Suche nach einem Gefühl• Liebeserklärung an eine Stadt• Neu-Berliner im Spiegel• Geteilte Filmstadt Berlin

35 Theater• Eine Tarantella für den Hausfrieden: »Nora«• Schlampe meets Good Girl: »Diese Männer«

36 Literatur• Das Leiden der russischen Gegenwartsliteratur• Superwoman made in Russia: »Lügen der Frauen«

38 Kino• Im Flugzeug weinen sie alle: »L’auberge Espaniol«• Ein Leben auf der Flucht: »Testamento«• Malzbier im Eis: »Noí Albinói«

42 Katechismus des StudentenFolge XXXVIII: Über das Sparen

studieren

Leben

Kultur

25 Kommentare• Der Datenschutzbeauftragte bemängelt die Berichterstat-

tung über die angebliche Misswirtschaft des RefRats

• Der HU-RefRat zur Sitzung des Akadmischen Senats

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news

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Krausz vorerstnicht StaatssekretärDer Hamburger Suchtmediziner MichaelKrausz wird vorläufig nicht zum Staats-sekretär für Wissenschaft ernannt (Un-Auf 139). Ihm wird vorgeworfen, finanzi-elle Zuwendungen von Pharmafirmen inMillionenhöhe angenommen zu haben.Wissenschaftssenator Thomas Flierl hälttrotz der Forderungen der CDU nach ei-nem neuen Kandidaten an seiner Ent-scheidung für Krausz fest: »Ich rechnemit einem Abschluss der Ermittlungennoch in diesem Jahr. Für mich gilt dieUnschuldsvermutung und ich habe kei-nen Grund, an der fachlichen Qualifikati-on und persönlichen Integrität von Pro-fessor Krausz zu zweifeln.« Weder Krausznoch Flierl hätten von den seit 2001 be-stehenden Vorwürfen gewusst, da ver-deckt ermittelt worden sei. Die SPD-Fraktionsspitze verlangte eine »schnelleLösung« bis spätestens Jahresende.

Lockerung in derEmbryonenforschung?Bundesjustizministerin Brigitte Zypriesist mit ihren Äußerungen zu Bioethik undEmbryonenforschung auf Entsetzen undheftigen Widerstand gestoßen. Am Mitt-woch, dem 29. Oktober, hatte sie in ihremVortrag im Senatssaal der HU nicht mehrausgeschlossen, künftig die Forschung

> Manche von uns stellen sich ihren Tod so vor: Wir sind alt, haben unseren Urenkelnsämtliche Märchen der Gebrüder Grimm vorgelesen, eines Abends legen wir uns ins Bett,schlafen ein und wachen nicht mehr auf. Andere sterben lieber jung, und umso spekta-kulärer soll ihr Abgang sein: Herzstillstand nach wildem Sex, Ertrinken beim Tauchen aufTahiti oder Atemnot beim Bergsteigen im Himalaja.Die Realität sieht oft anders aus. Da wird berichtet von dem kanadischen Rechtsanwaltmit Büro im 24. Stock, der Jura-Studierenden stets die Stabilität seiner Fensterfront de-monstrierte – indem er sich dagegen warf. Eines Tages gab die Scheibe nach. Dafür hatder Mann einen ›Darwin-Award‹ verliehen bekommen, den Preis für die dümmste Todes-ursache des Jahres. Den bekamen auch fünf Ägypter für den Versuch, ein Huhn zu retten,das in einen Brunnen gefallen war. Die Männer starben, das Huhn überlebte. Und dieDeutsche Presse-Agentur berichtete kürzlich von einer Frau, die in der Türkei von einerfliegenden Kuh verletzt wurde. Das Tier war von einem Schnellzug erfasst und in die Luftgeschleudert worden. Besonders skurril, aber weniger realistisch, ist ein Todesfall in deraustralischen Filmkomödie »Siam Sunset«. Dort wird eine junge Frau an einem herrlichenSommertag von einem Kühlschrank erschlagen, der vom Himmel fiel.Etwas ganz Ähnliches wäre kurz vor Semesterbeginn beinahe zwei Gymnasiasten in Ad-lershof passiert. An einem strahlenden Herbsttag spazierten sie am neuen Gebäude desPhysik-Instituts der Humboldt-Universität entlang – ahnungslos, dass sich im selben Mo-ment in der dritten Etage ein etwa 80 Zentimeter langer Eisenzylinder von erheblichemGewicht von der Sonnenrollo-Anlage lösen und zu Boden stürzen würde. Der Zylinder ver-fehlte die Schüler nur knapp. Nun sollen die Mitarbeiter der Physik ihre Rollos vorerstnicht bewegen.»Das war eine sehr gefährliche Situation«, bestätigt der Wichtige-Bauvorhaben-ExperteEwald-Joachim Schwalgin. »Wir gehen aber davon aus, dass es sich um einen Einzelfallhandelt.« Vielleicht sind Fälle wie dieser aber auch die Geburtsstunde eines neuen For-schertypus. Schluss mit all den Sicherheitsstandards! Die wahren Helden der Wissen-schaft haben schon immer ihr Leben für die Forschung gegeben. Hätte Marie Curie ge-wusst, wie es mit ihr endet, sie hätte keine Märchen vorgelesen, sie hätte trotzdem weitergeforscht.

Steffen Hudemann <

Wichtige Bauvorhaben an der Humboldt-Uni

Studierende ohne Vertretung> Die erste Sitzung des HU-Studierendenparlaments (StuPa)am 27. Oktober wurde zum Fiasko. Es war am Ende nicht mehrbeschlussfähig und fügte der verfassten Studierendenschaftdamit ernsthaften Schaden zu.

Die verhängnisvolle Hand erhob sich aus der dritten Reihe.Sebastian Zachow, Mitglied des Ring Christlich Demokrati-scher Studenten (RCDS), stellte den Antrag auf Feststellungder Beschlussfähigkeit. Entsetzen in den Gesichtern der Ver-antwortlichen von ReferentInnenrat und StuPa-Präsidium. DreiStunden hatte das StuPa getagt. Zu diesem Zeitpunkt wusstenalle, dass die benötigten 30 Parlamentarier nicht mehr im Saalwaren.

Finanzreferent Jörg Pohle war nach dem Abbruch der Sit-zung verärgert: »Wir hatten noch sehr wichtige Dinge auf derTagesordnung.« Die Studierenden sollen ab dem Sommerse-mester 6,00 statt bisher 5,11 Euro an die verfasste Studieren-denschaft zahlen. Mit der Beitragserhöhung hätte das StuPadie schwierige Haushaltslage etwas entspannen können. Dadie Universität versäumte, beim Verschicken der Semesterun-terlagen den Betrag auf den Überweisungsträgern zu ändern,

wird die dringend benötigte Beitragserhöhung zum Sommer-semester nun unwahrscheinlich.

Hinzu kommt, dass die Studierendenschaft jetzt ohne ge-setzliche Vertretung dasteht. Auf der Sitzung sollte eine neueSprecherin gewählt werden. Nun ist die Studierendenschaftquasi handlungsunfähig.

Heike Delling, Mitglied des StuPa-Präsidiums, wollte dieSchuld für den Abbruch aber nicht dem RCDS-Vertreter geben.»Er hat nur sein Recht auf Feststellung der Beschlussfähigkeitwahrgenommen«, sagte sie anschließend. Verärgert war sie da-gegen über das Verhalten mancher Parlamentarier. Sektkorkenknallten, StuPa-Vertreter kamen und gingen, wie es ihnen be-liebte. Inhaltliche Diskussionen seien nicht ernst genommenworden. Auch Anne Krapp war »schockiert«. Die Studentin hattesich ihre erste StuPa-Sitzung anders vorgestellt: »Wenn das dieengagiertesten Studenten sind, die die Uni zu bieten hat…«

Die nächste StuPa-Sitzung findet Mitte November in Ad-lershof statt. Wie stark das Engagement der Studierendenver-treter noch ist, wird sich dort zeigen.

Josef Kuske, Steffen Hudemann <

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an menschlichen Embryonen zuzulassen.Im Reagenzglas gezeugte Embryonenseien zwar schon Träger von menschli-chen Grundrechten, die Menschenwürdekäme befruchteten Eizellen im Frühstadi-um allerdings nicht zu, sagte sie.Vertreter der Kirchen und zahlreiche Poli-tiker lehnen diese Vorschläge vehementab, da sie eine Lockerung der bisherigenGesetze zulassen würden, beispielsweise»überzählige« Embryonen aus In-vitro-Befruchtungen der Wissenschaft zurweiteren Forschung zu überlassen. Bis-her ist die Forschung an menschlichenEmbryonen in Deutschland nur unterstrengen Auflagen und ausschließlich animportierten Zellen erlaubt.

HU ist virtuell starkDer Internetauftritt der Humboldt-Uni-versität ist in einer Untersuchung desDortmunder Professors Uwe Kamenzzur besten Uni-Website Deutschlandsgekürt worden. Zur Begründung hießes, die Mischung aus Informationen undSpaß sei gelungen. Als Beispiel führtendie Tester an, dass Merchandising-Arti-kel und T-Shirts über das Internet be-stellt werden könnten. Auf den weiterenPlätzen landeten die Ruhr-UniversitätBochum und die FH Dortmund.Wer sich einmal am Rechner richtig gru-seln möchte, sollte auf den Verlierer-Seiten der Universitäten Greifswald undGießen vorbeischauen. Auch wenn dieHU deutlich weiter ist als diese beiden,könnte auch sie in Sachen Gliederungund Übersichtlichkeit noch besser wer-den, sagte Kamenz.

Geheimdienstvertreibt SporthalleDie Humboldt-Universität muss um ihreSporthalle an der Chausseestraße ban-gen. Die Halle steht auf dem Gelände inMitte, wo die neue Zentrale des Bundes-nachrichtendienstes entstehen soll. »Wirbefürchten, dass die Halle wegfällt«, be-stätigt Gerlinde Radde, Leiterin desHochschulsports an der HU. Es bestehejedoch noch die Hoffnung, die Halle we-nigstens bis 2006 nutzen zu können. So-lange hat die Firma Nike, die den Sport-park auf der Brachfläche neben der Hal-le betreibt, einen Vertrag. Sollte die Halletatsächlich weichen müssen, werde eskeinen Ersatz geben, so Radde. In derHalle und den umliegenden Außenanla-gen veranstaltet die HU über vierzig Kur-se mit etwa tausend Teilnehmern.

Logo ohne VorstandDie Charité wird bald wieder Europasgrößte Uniklinik sein. Durch die Zwangs-fusion mit dem Uniklinikum ›BenjaminFranklin‹ der FU bildet sie dann 8.000 Stu-dierende aus, hat 15.000 Mitarbeiter und3.500 Betten. Doch die Vereinigung gehtschleppend voran, Vorstandsvorsitzen-de/r, Dekan/in und Klinikumsleiter/inmüssen noch ernannt werden. Dafür hatdie »Charité – Universitätsmedizin Berlin«jetzt ein neues Logo. Der Hamburger De-signer Peter Schmidt schenkte seinenEntwurf, der sonst 100.000 Euro gekostethätte, dem Uniklinikum. Auf der Homepa-ge (www.charite.de) ist bereits »das umVertrauen werbende ›C‹ eingesetzt«.

HU-Zentrumfür Gender-KompetenzFrauenministerin Renate Schmidt eröff-nete Ende Oktober das Gender-Kompe-tenz-Zentrum an der Humboldt-Univer-sität. Es dient als Forum für Politik, Wirt-schaft und Wissenschaft. Ziel ist es, dieFähigkeit zu vermitteln, Fragen zu Ge-schlechterdifferenzen in allen Sachge-bieten zu bearbeiten. »Wir werden dieMenschen durchaus persönlich anspre-chen und einladen, sich bei uns zu infor-mieren«, so Susanne Baer, Direktorindes Zentrums.Das Kompetenz-Zentrum will eine Ex-pertinnendatenbank aufbauen, in derBehörden oder Organisationen profes-sionelle Beraterinnen finden. Die Home-page erklärt anhand zahlreicher Bei-spiele von »Ältere Menschen« bis »Woh-nungswesen«, welche Unterschiedezwischen den Geschlechtern zu beach-ten sind und wo man sich weiter darü-ber informieren kann.www.genderkompetenz.info

Virtuelle EthnologieSeit dem 1. Oktober ist ›evifa‹ online. Diesist eine virtuelle Fachbibliothek für Eth-nologen und Völkerkundler, die die Hum-boldt-Universität unter anderem mit derUnterstützung der Deutschen For-schungsgesellschaft eingerichtet hat.Nur geprüfte Online-Quellen finden Ein-gang in den ›Ethnoguide‹. Die Beständeder Sondersammelgebiete Volks- undVölkerkunde sind ebenfalls abrufbar.Das Portal soll noch erweitert werdenund beispielsweise durch Online-Tutori-en Grundlagen vermitteln.www.evifa.de

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news

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sor/innen beispielsweise der Ethnolo-gie, Informatik oder Biologie beantwor-ten jede Woche in einer Vorlesung fürGrundschüler Fragen wie »Warum sindwir schlauer als Roboter« oder »Warumsind Deutsche ›deutsch‹«. Begleitet wirddie Vorlesungsreihe voraussichtlich vonWorkshops im ›Labyrinth Kindermuse-um‹ im Wedding. Am 8. Januar um 17:15Uhr im Audimax gibt der PhilosophVolker Gerhard eine Antwort auf dieFrage »Warum wollen wir so viel wissen«.Dann folgen sieben weitere Vorlesun-gen aus den verschiedenen Gebieten,jeweils zur gleichen Zeit.www.hu-berlin.de/kinderuni

Eine Stundemehr lehrenDie Hochschulen in Nordrhein-Westfa-len müssen in den nächsten beiden Jah-ren 316 Stellen abbauen. Die Zuschüssefür Institute, die das Land direkt fördert,werden 2004 auf 80 Prozent und 2005auf 60 Prozent abgesenkt. Da die Kür-zungen nicht flächendeckend erfolgen,wird es einige Institute besonders harttreffen – bis hin zur Schließung. Um dieStellenkürzungen an den Hochschulenauszugleichen, sollen Professor/inneneine Stunde mehr lehren. Der Haushalts-entwurf, in dem das ganze Bundeslandin den nächsten beiden Jahren insge-samt fünf Milliarden Euro einspart, wirdam 12. November in den Landtag einge-bracht.

Studentinnen,bewerbt euch!Ende des Jahres 2003 werden die bei-den Stellvertreterinnen der hauptberuf-lichen Frauenbeauftragten der HU ge-wählt. Ilke Glockentöger, die jetzige In-haberin der studentischen Stelle, fordertdie Studentinnen aller Fachbereiche auf,sich zu bewerben. Die Tätigkeit erstrecktsich auf alle Bereiche, die Frauen an derHU betreffen. Beispielsweise gilt es, dieChancengleichheit für Frauen herzustel-len und zu sichern, das Präsidium inFrauen betreffenden Angelegenheitenzu unterstützen oder auch Anregungenund Beschwerden entgegen zu nehmen.Informations- und Öffentlichkeitsarbeitist ebenfalls ein wichtiger Bestandteil derTätigkeit. Bewerbungen inklusive der üb-lichen Unterlagen sind bis zum 26. No-vember im Gremienreferat der HU einzu-reichen.Infos: 2093-2840

Entwurf von Paul Baumgarten erbautund diente den Berliner Philharmoni-kern unter Herbert von Karajan von 1954bis 1963 als Spielort. Nach Abschlussder Modernisierungsarbeiten wird derSaal auch einen neuen Namen bekom-men: ›Karajan-Konzertsaal‹.

Spezialisten vereintgegen AllergienDie Zunahme von Allergien beantwortetdie Charité mit der Gründung eines Al-lergie-Zentrums. Dort sollen alle Medizi-nen vernetzt zusammenarbeiten, die mitAllergien zu tun haben: Kinder- undHautärzte, Spezialisten für Lungen- undHals-Nasen- und Ohrenkrankheiten undMagen-Darmerkrankungen, außerdemAugenheilkundler, Immunologen undGenetiker. Die Gründung geht auch aufdie Forderung der EU zurück, interdiszi-plinäre Zentren, die spezialisiert und leis-tungsfähig sind, einzurichten. Insbeson-dere bei Asthma und Neurodermitis istdie Charité schon jetzt international einwichtiger Forschungsstandort. Mit demZentrum erhalten Allergie-Patienten ei-ne einheitliche Anlaufstelle.

Kinder im AudimaxIm Januar startet an der Humboldt-Uni-versität die ›Kinder-Universität‹. Profes-

Neue Beratungzum ArbeitsrechtDer RefRat der HU und die DGB-Jugendbieten ab sofort eine Beratungsstelle fürStudierende mit Fragen zum Arbeits-recht an. Durch diese Koorperation wol-le man ein kompetentes und kostenlosesAngebot im Studentischen Sozialbera-tungssystem schaffen, so Jette Hausot-ter, die Referentin für Soziales im RefRat.Knapp 70 Prozent aller Berliner Studie-renden gehen inzwischen neben ihremStudium einer Arbeit nach und viele un-ter ihnen wüssten zu wenig über ihreRechte als Arbeitnehmer/innen.Monbijoustraße 3, Raum 5Mo 10:00 – 13:00 UhrDo 10:00 – 16:00 Uhr.

Spenden für die MusikMit einer Spendenaktion will die Univer-sität der Künste (UdK) Berlin rund 4,5Millionen Euro für die zwingend not-wendige Renovierung ihres Konzertsaa-les in der Hardenbergstraße einwerben.Die Baukosten werden sich auf insge-samt 8,5 Millionen Euro belaufen. Rund600.000 Euro kann die UdK aus dem ei-genen Haushalt aufbringen, für die rest-liche Summe sind Fördermittel des Bun-des beantragt. Der Konzertsaal wurdezwischen 1949 und 1954 nach einem

> Der Uni geht es schlecht. Jährlich sollsie 30 Millionen Euro einsparen (ab S. 17).Wir wollten helfen und versteigerten des-halb bei ebay fünf Kleinode aus unseremRedaktionsfundus (Unauf 139, S. 17). Im-merhin 14,40 Euro war einem Studentendie Rettung seiner Universität wert. Dafürbekommt er schöne Dinge: den Ret-tungsring von 1992, eine Weihnachts-baumkugel, eine Schallplatte von RudolfRokl, einen digitalen Anrufbeantworterund den Rettungsring-Kulturbeutel.

Nun blieb uns noch die Aufgabe,der Universität die 14,40 Euro auch zukommen zu lassen. Doch weder Präsident Jür-gen Mlynek noch seine Vizepräsidenten Tenorth und Eveslage hatten Zeit, das Geldentgegen zu nehmen. Kurzentschlossen klopften wir also bei der Hausmeisterei. Dortfreute man sich über den unverhofften Geldsegen: »Da können wir ein bisschenWerkzeug kaufen. Irgendwas geht ja immer kaputt oder wird nicht zurückgegeben,wenn man es sich ausleiht.« Und man hat auch schon konkrete Vorstellungen: eineWasserwaage und Schraubendreher würden gebraucht. Damit sollte die Uni wiederaus ihrer Schieflage kommen.

Alexander Florin <

Betrifft: Versteigerung

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Einer für alle und alle gemeinsam

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Sie gelten als konservativ und ›rechts‹. Trotzdem oder vielleichtgerade deshalb sind ihre ehemaligen Mitglieder in der Gesellschaft

erfolgreich. Was sind das für Studenten, die sich zu archaischenMännerbünden organisieren?

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Vorwand der Mittäterschaft des Burschenschafters Karl Sandam Mord von August von Kotzebue verboten. Trotzdem konntenOrganisationen weiterhin im Untergrund bestehen und spiel-ten eine große radikaldemokratische Rolle bei der Revolutionvon 1848. Ihre Rolle als Opposition und Kritiker des Systemsänderte sich jedoch schlagartig mit der Gründung des ZweitenDeutschen Kaiserreiches 1871, in der sie ihre politische Erfül-lung fanden. Sie entwickelten sich zusehends zu einer natio-nal-konservativen und anti-liberalen Strömung. »Eine antise-mitische Tendenz war von Anfang an im Nationalismus ange-legt«, sagt Professor Hardtwig, Professor für NeuereGeschichte an der Humboldt-Universität.

Verräter der Aufklärung

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts stellten Burschenschaf-ten eine wesentliche Antriebskraft zur Verbreitung des moder-nen Antisemitismus und Rassismus dar. Auch das Expansions-streben Deutschlands wurde von den Burschenschaften mit-getragen und der Eintritt Deutschlands in den Ersten Weltkriegmehrheitlich begrüßt. In der Weimarer Republik verkörpertendie Burschenschaften bereits einen stark konservativen, mo-narchistischen Geist und in der jugendlichen Bildungsschichtzeichneten sich antidemokratische Gesinnungen ab. Viele Bur-schenschafter sympathisierten schon 1920 mit dem antidemo-kratischen Kapp-Putsch und später dem Hitler-Putsch (1923)sowie der Machtergreifung der NSDAP. Zwar wurden alle stu-dentischen Organisationen 1935 von Hitler zwangsaufgelöstund in so genannte »Kameradschaften« des NS-Studenten-bundes organisiert, der Kyffhäuser Verband hatte seine Mit-glieder jedoch bereits 1933 dazu aufgerufen sich im ›Stahl-helm‹ oder der SA zu engagieren.

Zunächst widersetzten sich die Burschenschaftler ihrervölligen Auflösung. Nach Hardtwigs Meinung lag das wenigeran den Grundsätzen des Nationalsozialismus als daran, dass sieautonom bleiben wollten. Aufgrund offensichtlicher ideologi-scher Gemeinsamkeiten der Burschenschaften mit der NSDAPwie Antisemitismus, Nationalismus, Ablehnung der Republik,Kampf gegen die Linke und gegen Gewerkschaften, fällt eineAbgrenzung beider Gruppen schwer. Ein markanter Unter-schied bestand jedoch darin, dass Burschenschafter fast aus-schließlich aus der Oberschicht des Bildungsbürgertumsstammten und sich als Elite begriffen, während die NSDAP, wieschon in ihrem Parteinamen zu erkennen ist, sich als Arbeiter-

Einst gegen Fürstenwillkür gegründet,versinken viele Burschenschaften heute im rechten Sumpfund leugnen ihre Nazi-Vergangenheit

Zwei Schritt rechts

und zwei Schritt zurück

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> »Er war untergegangen in der Korporation, die für ihn dach-te und wollte. Und er war ein Mann, durfte sich selbst hoch-achten und hatte eine Ehre, weil er dazugehörte! Ihn heraus-reißen, ihm einzeln etwas anhaben, das konnte keiner!« (Hein-rich Mann, »Der Untertan«)

Die Suche nach Führung und Gemeinschaft ist heute, wieauch schon vor 200 Jahren, zur Gründerzeit der Burschen-schaften, das Hauptmotiv vieler Studenten, einer Korporationbeizutreten. Während Burschenschafter zu Beginn des 19.Jahrhunderts fortschrittliche Ideen vertraten und für Demokra-tie und Liberalismus im Kaiserreich eintraten, assoziieren wirheute meist Rückschritt, stark konservatives oder rechtes Ge-dankengut mit ihnen. Dabei muss allerdings auch zwischenBurschenschaften und anderen Studentenverbindungen un-terschieden werden. ›Verbindung‹ oder auch ›Korporation‹ istder Oberbegriff für eine Gemeinschaft auf Lebenszeit von Stu-denten und berufstätigen Akademikern. Burschenschaftenstellen nur eine von verschiedenen Arten von Verbindungendar. Neben ihnen gibt es auch Turner- und Sängerschaften,Landsmannschaften und christliche Verbindungen.

Die Burschenschaften haben ihren Ursprung in der 1815in Jena gegründeten »Urburschenschaft«. Ihre Ziele waren dienationale Einheit aller Deutschen und eine demokratische Ver-fassung. Die Farben Schwarz-Rot-Gold der Jenaer Burschen-schaft wurden zum Zeichen gegen Fürstenwillkür und Klein-staaterei und sind heute die Farben der deutschen Bundes-flagge. Die Forderungen nach nationaler Einheit widersetztensich den Beschlüssen des Wiener Kongresses vom Sommer1815, die eine Zersplitterung Deutschlands in 38 Teilstaaten

vorsahen. Das Wartburg-fest 1817 in Eisenach bil-dete einen Höhepunkt inder Geschichte der Bur-schenschaften. Hier trafensich alle mitteldeutschenBurschenschaften, um derVölkerschlacht bei Leipzigzu gedenken und gleich-zeitig ihre Forderungennach nationaler Einheitauszurufen.

Zwei Jahre später wur-den die Burschenschaftenmit den Karlsbader Be-schlüssen 1819 unter dem

FarbenDie meisten Studentenverbindungentragen Farben, um ihr Zusammen-gehörigkeitsgefühl zu stärken. Daswird in Form von Bändern und Müt-zen an den Uniformen zum Ausdruckgebracht. Außerdem tauchen dieFarben in Wappen und Flaggen derVerbindungen auf. Viele haben vorihrem Haus einen Fahnenmast mitgehissten Farben stehen – nicht sel-ten in Schwarz-Weiß-Rot.

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partei und als sozialrevolutionär präsentieren wollte. Die natio-nalsozialistischen Corps wandten sich aus rein taktischenGründen dem Konservativismus zu, um die Burschenschaftengezielt anzusprechen. Trotz allem scheint unbestritten, dass dieBurschenschaften nicht, wie sie selbst gerne behaupten, imDritten Reich zum Widerstand gehörten.

Weit rechts und nationalistisch

Nach 1945 wurden sie unter Hinweis auf ihren »nationalis-tischen, reaktionären oder paramilitärischen Charakter« vonden Alliierten verboten. Bereits in den 1950er und 60er Jahrenkam es jedoch zu Wiedergründungen der alten Burschenschaf-ten. In der DDR und somit auch in Ostberlin blieben Burschen-schaften noch bis zu dem Zusammenbruch des Ostblocks 1990verboten.

In Westberlin waren zwar schlagende Verbindungen durchdas Besatzungsstatut rechtswidrig, 1960 gründete sich aller-dings schon der »Verein Deutscher Studenten« an der FreienUniversität (FU) und der Technischen Universität (TU) und wei-tere alte Burschenschaften folgten. Mit dem Aufkommen derStudierendenbewegung um 1968 gerieten die Korporationenjedoch zunehmend in die Defensive und immer weniger Stu-denten traten den Burschenschaften bei.

Seit die »Neue Rechte« in den 80er Jahren an Einfluss ge-wann, tauchten Burschenschaften wieder vermehrt in der Öf-fentlichkeit auf. Der Charakter einer Burschenschaft als Le-bensbund zieht junge Studenten wieder an. Das hierarchischePrinzip spielt in allen Riten der Burschenschaften eine großeRolle. Der Neuanwärter, der so genannte Fux, muss seinemLeibburschen uneingeschränkt dienen und sich ihm stets un-

terordnen. Nach zwei oder drei Semestern kann er zum Bur-schen aufsteigen und muss Ämter übernehmen. Mit dem Stu-dienabschluss tritt der Bursche in die Altherrenschaft ein, dieder Verbindung ideologisch und finanziell unter die Armegreift. Hier kommt es auch immer wieder zu Seilschaften undVetternwirtschaft. Prominente alte Herren in Führungspositio-nen sind zum Beispiel die bayerischen MinisterpräsidentenFranz-Joseph Strauß, Max Streibl und Edmund Stoiber (alleCSU), Berlins Ex-Bürgermeis-ter Eberhard Diepgen (CDU), derösterreichische Rechtspopulist Jörg Haider (FPÖ), sowie zahl-reiche Vorstandsmitglieder großer Unternehmen, Konzerneund Banken.

Dieses Bild erschreckt umso mehr, da einige Burschen-schaften offensichtlich rechtes Gedankengut pflegen und Pro-minente wie Horst Mahler (NPD-Anwalt) zu Vorträgen erschei-nen. Professor Hardtwig kann jedoch für sich sagen, dass ernie einen Bewerber für einen Posten in der Uni auch nur zu ei-nem Gespräch einladen würde, der in seinem Lebenslauf dieMitgliedschaft in einer Burschenschaft angibt. Schließlich seidoch klar, dass »ein Student, der heutzutage einer Burschen-schaft beitritt, politisch weit rechts und nationalistisch ist.«

»Er vertritt konservative Werte, sucht Anschluss und Bin-dung und kommt offensichtlich in unserer wenig wertorientier-ten, pluralistischen Gesellschaft schlecht zurecht«, stellt Pro-fessor Hardtwig fest. Auffällig ist, dass Burschenschafterschon immer von kritischen Geistern als rückständig empfun-den wurden. So beschrieb Heinrich Heine bereits 1816 die Bur-schenschaften als jene, die »hordenweis, und geschiedendurch Farben der Mützen und der Pfeifenquäste, (…) sich ewiguntereinander herumschlagen, in Sitten und Gebräuchen nochimmer wie zur Zeit der Völkerwanderung dahinleben.«

Sarah Hofmann <

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Alles für den guten LookCouleur-Artikel und Freimaurerbedarf –

wo das Herz eines Burschenschafters höher schlägt.

> Man stelle sich folgende Situation vor: Ein junger Student,der sehr engagiert in seiner Verbindung ist, steht vor seinemKleiderschrank und betrachtet voller Stolz seinen Vollwichs,wie er da so hängt. Der junge Student freut sich auf einen wei-teren gelungenen Abend in geselliger Runde bei einem odervermutlich auch mehreren Bieren mit den ganzen anderenBurschen. Heute Abend ist nämlich ein besonders feierlichesTreffen, ein »Kommers«. Auf einmal muss er jedoch voller Ent-setzen feststellen, dass von seiner Pekesche eine Ver-schnürung abgegangen ist. Eine Katastrophe! Woher bekommtman Ersatzteile für eine solch wertvolle, handgeschneidertePrunkjacke?

An dieser Stelle müssen wir eine Lanze für den jungenStudenten brechen. »Vollwichs« ist nämlich die offizielle Be-zeichnung für die gesamte Kleidungsausstattung mit Attribu-ten und Zubehör eines Burschen – nicht etwa irgendeinSchweinkram, wie einige Personen denken könnten. Fest steht,dass ein solcher Vollwichs ein kleines Vermögen wert ist, denner besteht aus dem Cerevis (auch »Biertonne« genannt, einerbestimmten Art Mütze), einer Schärpe, einer weißen Stiefelho-se, schwarzen Schaftstiefeln mit Sporen, weißen Stulpenhand-schuhen, dem »Schläger« (einer Fechtwaffe) sowie der auf-wendigen Jacke, der Pekesche. Und die ganze Ausrüstungsollte natürlich immer gut gepflegt sein.

»Frau sein, frei sein«

Doch unserem Studenten muss nicht bang werden.Schließlich gibt es Menschen, die genau die Artikel, die er nunbraucht, verkaufen. Ein solcher Mensch ist Paul Wenderoth,der sich auf den Verkauf und Handel mit so genannten Cou-leur-Artikeln spezialisiert hat. In einem Gebäude in der Leib-nizstraße in Charlottenburg, nicht weit vom Kurfürstendamm,bietet er »Couleurartikel, Freimaurerbedarf und Immobilien«an, wie ein goldenes Hinweisschild verkündet. Der tatsächlicheLaden befindet sich im ersten Hinterhof. Dort gibt es in einemRaum von gemütlicher Wohnzimmergröße alles, was das Ver-bindungsstudentenherz höher schlagen lässt. An den Wändenfallen zuerst Glasvitrinen auf, in denen allerhand verschiedeneTypen von Gläsern zu sehen sind. Für jedes Getränk das pas-sende Glas. Auch Bierseidel aus Steinzeug stehen da, wie etwaein besonderes Prachtexemplar der Damenverbindung ›Lysi-strata‹, auf dem ein stolzes Motto prangt: »Frau sein, frei sein«.Außerdem verschiedene Anstecknadeln, goldene Zirkel, gol-dene Ringe, reich verzierte Degengriffe, aber auch Kleidungs-stücke wie seidig schillernde Zylinder, weiße Herrenhandschu-he und Mützen in bunten Verbindungsfarben. Für Personen,die sich länger niederlassen wollen, stehen zwei wippende, ausZahnarztpraxen bekannte Lederstühle neben einem kleinenBeistelltischchen parat.

Paul Wenderoth selbst ist ein sympathischer Mittsechzi-ger, der bereits seit 1958 im Geschäft ist. Er ist gelernter Gra-

veur und da Verbindungen immer mal wieder Pokale, Gläseroder andere Dinge graviert brauchen, kam er dazu, sich aufCouleur-Artikel zu spezialisieren. Das Studium seiner Tochterführte ihn und seine Frau Helga 1986 weg aus Hannover nachBerlin. Da er so spezialisiert ist und auch für fast jedes Problemeine Lösung findet, gehören Kunden aus dem ganzen Bundes-gebiet zu seinen Klientel. Bänder für die so genannten Bierzip-fel (einen Schmuck, den Studenten bei bestimmten Treffen an-legen) hat er in fast allen Farbkombinationen vorrätig. Selbstdie weiteren Bestandteile wie kleine, platte Metallhülsen, diegraviert werden müssen, lagern immer einsatzbereit in einemHandwerkerschrank mit ganz vielen, winzigen Schubladen.Nur aufwendige Pekeschen werden anderswo geschneidert.

»O alte Burschenherrlichkeit«

Wie das seine Tätigkeit eben so mit sich bringt, sind Ver-bindungen etwas ganz Normales für Wenderoth. Auf den Hin-weis, dass es schwierig sein kann, sich mit Burschenschaftenüberhaupt in Verbindung zu setzen, reagiert er mit Unver-ständnis. Das politisch eher links geprägte universitäre Klimawürde nicht gerade zum Verständnis beitragen, so Wenderoth.Dabei hätten Verbindungen doch eigentlich nichts zu verber-gen. Und im Telefonbuch stünden sie ja schließlich auch.

»Leider gibt es sehr wenig gute Literatur über Burschen-schaften«, klagt Wenderoth und weist auf ein Regal, in dem eingutes Dutzend verschiedener Bücher steht. Er zieht einen Bild-band, der erschreckend an eine »Unser schönes Deutsch-land«-Publikation des ADAC erinnert, aus dem Regal, blättertein bisschen darin herum, zeigt ein paar Fotos und sagt: »Dashier zum Beispiel, das ist ein gutes Buch.« Es trägt den wun-dervollen Titel »O alte Burschenherrlichkeit«. Unter einem gut-en Buch versteht Wenderoth eines, dass Verbindungen ohneVorurteile und falsche Geheimniskrämerei darstellt. Also ambesten eines, dass von jemandem geschrieben ist, der weißwovon er spricht. Meist sind diese Personen nicht links poli-tisch eingestellt.

Um ein bisschen die Organisation von Verbindungen zuerklären, zeigt er verschiedene Kataloge, in denen Verbindun-gen mit ihrer Couleur (ihren Farben) und ihrem Zirkel (einer ArtSchrifterkennungskringel) aufgelistet sind. Es sind wirklichsehr viele. »Über 2.500 alleine in Deutschland,« sagt Wende-roth. In diesem Moment klingelt das Telefon. Er ist ein Burscheaus einer Heidelberger Verbindung, der Wenderoths Seite imInternet gefunden hat und nun eine Schärpe bestellen möchte.Möglichst noch diese Woche. Herr Wenderoth muss ihn leidervertrösten. So schnell ist selbst ein Profi wie er nicht.

Aber vielleicht sollte man unserem jungen Studenten malsagen, dass er bei Paul Wenderoth eine neue Verschnürung fürseine Pekesche bekommen könnte. Nur bis heute Abend, zumfeierlichen Kommers, das wird leider nicht klappen.

Doris Mall <

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Titel

> Die Verbindungshäuser der ›Fraternities‹ (Burschenschaften)und ›Sororities‹ (Schwesternschaften) gehören zu dem alltägli-chen Bild einer US-amerikanischen Uni wie die Bibliothek oderdie Sporthalle. In Serien wie »Beverly Hills 90210« und zahlrei-chen Sitcoms sowie Filmen wie »Blutige Erdbeeren«, »AnimalHouse« oder »Scream 2« dürfen College-Verbindungen nichtfehlen, ebensowenig wie bei MTV, mit neuen Reality Shows wie»Sorority Life« und »Fraternity Life« das wenig spannende Lie-bes- und Studentenleben ganz normaler ›frat boys‹ und ›sorori-tiy girls‹ porträtieren. Mit Musik hat das nun gar nichts mehr zutun.

Es gibt eine Vielfalt von Verbindungen. Die meisten sindstreng nach Geschlechtern getrennt und gehören zu den so ge-nannten Greek Letter Organisations, die meist konservativ sind.In den letzten Jahren sind einige wenige gemischte Verbindun-gen gegründet worden, die oft auch betonen, für Studenten jederethnischen Herkunft offen zu sein. Aber auch die Black GreekFraternities und Sororities haben eine lange Tradition und datie-ren ihre Anfänge auf den Beginn des 20. Jahrhundert zurück. Oftwurden sie in Elite-Colleges wie Harvard oder dem berühmtenersten schwarzen College Howard gegründet. In den letztenJahren etablierten sich auch einige offen schwullesbische Ver-

bindungen. Das Thema»Homosexualität und Fra-ternities« findet immermehr Medienpräsenz, wasauch mit dem Erscheinendes Buches »Out on Frater-nity Row. Being Gay in aHomophobic Institution«, indem 30 schwule Männervon ihren Erfahrungen inFraternities berichten, zutun hat.

Eine der erschrecken-den Fraternities, die im In-ternet vertreten sind, istdie »Fraternity of Pershing

Rifles«. Sie fühlt sich, es verwundert nicht, der Rifle Associati-on zugehörig und gleicht eher einer Militär-Kaderschmiedegleicht denn einer netten Verbindung netter Studenten, die sichein bisschen Wärme und Zusammenhalt und Alkoholkonsumunter 21 versprechen. Eher selten dagegen sind offensichtlicheAnti-Fraternities wie »Theta Beta Potatoes«, die das System derVerbindungen unterwandern, indem sie ihm allen Sinn entzie-hen und eigentlich nur Bier trinken wollen. So etwas hören dieKonservativen der Greek Letter Organizations nicht gerne, da siesich vor ein paar Jahren das Ziel gesetzt hatten, den Konsumvon Alkohol auf Veranstaltungen und Partys von Fraternitiesbis zum Jahr 2000 zu eliminieren. Es ist ihnen nicht gelungen.

Das wohl Bedeutendste an amerikanischen Verbindungenist ihre starke Beteiligung an jeder Form von sozialem Engage-ment. »Serve the community« haben sie sich auf die Fahne ge-schrieben. So steht in manchen Statuten, dass nur aufgenom-men werden kann, wer 12 bis 15 Stunden Community Servicepro Woche geleistet hat und trotzdem noch einen Notendurch-schnitt von 2,3 hält, und das nötige Kleingeld für den Mit-gliedsbeitrag hat, denn: »Who is blessed must share«.

Einer von diesen ›blessed people‹ ist zum Beispiel Jason. Erist in der Black Greek Fraternity »Sigma Pi Phi«, die, so behaup-tet er, die erste Black Greek Fraternity war und 1904 gegründet

»A commitment that you are makingwith mind, body and soul.«Über amerikanische Verbindungen

Durch Schikane

zur Freundschaft

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KneipeWenn Studentenverbindungen »fei-ern«, dann gehen sie nicht in eineKneipe, sie veranstalten eine Kneipeauf (nicht ›in‹) ihrem Haus. Das be-deutet meist Bier saufen bis zumUmfallen. Besonders beliebt sindBierstrafen. Wer gegen die rigidenRegeln verstoßen hat, muss in die»Kanne« – das heißt er muss so lan-ge Bier saufen, wie die anderen esbefehlen.

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Titel

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wurde. Sie stehen im Streit mit »Alpha Phi Al-pha«, die 1906 gegründet wurde und die wie-derum die Gründung von »Sigma Pi Phi« nichtanerkennen. Es waren damals vorwiegend äl-tere Studenten, die sich zusammenschlossen,nicht College Studenten.

Jason ist ein ›Active‹, das heißt er hat denstrengen und anstrengenden Bewerbungspro-zess erfolgreich überstanden und wurde initi-iert. Darüber, wie das genau abgelaufen sei,will er nichts Konkretes sagen – nur soviel,dass es ein teurer und zeitaufwendiger Prozesswar. Ein College Student, der an einer Fraterni-ty interessiert ist, heißt ›Rushee‹. Er kann beizahlreichen ausgeschriebenen Events mit Mit-gliedern von Fraternities zusammenkommen,um sich vorzustellen und ein positives Bild vonsich zu hinterlassen. Die Mitglieder stellendann ausgewählte Studenten zu einer ›pledgeclass‹ zusammen, die auf Probe in der Faternitywohnen und sich mit Regeln und Schikanen,sowie diversen unangenehmen Aufgaben her-umschlagen müssen. Nach einiger Zeit erfährtman, ob man wirklich auserwählt ist und wirddann initiiert. Ein Thema, das in dem Zusam-menhang mit diesem Ritual immer wieder auf-taucht, ist das sogenannte ›hazing‹, frei über-setzt ›schikanieren‹ oder ›quälen‹.

Auch Jason wurde schikaniert. Und erhat gelernt, es selber zu tun und macht esnach eigenen Aussagen »pretty good«. Erkennt auch die Definition des Wortes nachdem Webster Dictionary. Dieses beschreibt›hazing‹ frei übersetzt als »1. Schikanieren, in-dem man unnötige oder unwürdige Arbeitverteilt 2. Schikanieren durch Demütigung,Bestrafung oder Kritik und 3. Schikanieren durch einen Initiati-onsritus in Fraternities.« »Siehst du«, sagt Jason, »jeder, der El-tern hat, die sich richtig kümmern oder der mal einen stärkerenRaufbold auf dem Schulhof getroffen hat, wurde schon malschikaniert. Das ist doch normal.« Dass die Fraternities diesesauch als körperlichen Missbrauch definieren und umsetzen seizwar schade, aber das habe es schon seit den ersten Verbin-dungen gegeben und das werde es immer geben. Schikanie-ren mache jemanden zwar nicht zum besseren Mitglied einerFraternity, aber es stärke die symbolische Bindung zu einer Or-ganisation.

Er persönlich halte ja nichts von brutaler, körperlicherSchikane. Schon seine Mutter habe gewusst, die beste Schika-ne sei, wenn du den Geist des anderen kontrollierst, um ihnzum Denken zu bringen. Und heute, Jahre später, stimmt Jasonihr zu. Ich nehme den Slogan von Sigma Pi Phi »a commitmentthat you are making, mind, body and soul« jetzt ganz anderswahr. Da ist der Totenkopf auf ihrer Webseite nur konsequentund mir läuft es kalt den Rücken runter.

Sarah ist Mitglied in der ›Black Sorority Alpha Kappa Alpha‹,die 1908 in Harvard als »Fraternity für Frauen« gegründet wurde.Erstaunlich niedrig ist der Notendurchschnitt von 3,0, den eineStudentin hier halten muss. Wichtiger sei eben das soziale Enga-gement, meint Sarah. Und der Zusammenhalt der Studentinnen,die Gemeinschaft. Sie finde hier Freundinnen fürs Leben. Für sieist klar, sie wird immer eine Alpha Kappa Alpha sein, ihr Leben

lang. »Gerade auch in Zei-ten der Krise wie jetzt imIrak-Krieg ist es wichtig,dass sich College Stude-nentinnen engagieren unddie Werte des eigenen Lan-des verteidigen«, sagt sie.Das »Support our Troops«-Schild am Eingang des Al-pha Kappa Alpha-Hausesspricht für sich. Auch Sarahwill über die Riten und Re-geln nichts Konkretes sa-gen, nur soviel, Männerbe-such im Verbindungs- hausist verboten, und das findet sie auch gut so. In einer gemischtenVerbindung zu sein, könne sie sich nicht vorstellen. Gerade dieGemeinschaft unter Frauen mache das Leben in einer Sororityschließlich aus.

Aus dem Collegeleben sind Fraternities und Sororities wohlnicht wegzudenken. Und die Schüler der staatlichen High Schoolin New Orleans, deren Toiletten mit Hilfe der Sorority Alpha Kap-pa Alpha renoviert wurden, haben sich bestimmt gefreut.Schließlich braucht man ja einen netten Platz zum Rauchen undkann auch gleich schon mal das Schikanieren üben – für später.

Urte Schubert <

FuxWer einer Burschenschaft beitritt,wird zunächst Fux. Er wird einem»Burschen« zugeordnet. Dieses Ver-hältnis kann sehr weit gehen, bis hinzu einer Art Leibeigenschaft. Dasheißt, der Fux muss dem BurschenBier bringen oder die Schuhe put-zen. Das Ziel des Fuxes ist, irgend-wann selbst Bursche zu werden, umanschließend wiederum die neuenFuxe zu »leiten«.

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Titel

> UnAufgefordert: Wie hast du die Studentenverbindungkennengelernt?

Nachdem ich wochenlang vergeblich an meinem Hoch-schulort eine Wohnung gesucht hatte, rief mich plötzlich je-mand an und bot mir ein günstiges Zimmer für ein halbes Jahrohne jegliche Verpflichtung an. Es war ein Burschenschafter.Ich griff zu, weil das Semester bald anfing. Ich ging mit der Ein-stellung hin, dass ich ja innerhalb des halben Jahres vor Ort ei-ne neue Wohnung finden könnte. Denn Studentenverbindun-gen waren mir damals sehr suspekt.

Warum bist du dann doch Mitglied geworden?Ganz einfach: Ich bin eingetreten, weil es mir gut gefallen

hat. Die Burschenschafter waren ein bunter Haufen allerleiFachrichtungen und jeglicher politischer Couleur. Das erste,was ich in diesem Metier lernte, war, Vorurteile und Klischeesüber Bord zu werfen: Es ging nicht nur darum, zu saufen, zufechten oder deutsche Lieder zu trällern. Auch verstecken sichnicht hinter allen Mauern der Verbindungshäuser elitäre, na-tionalistisch gesinnte Obrigkeitsstaatsfanatiker. Nicht jedeStudentenverbindung ist eine Burschenschaft: Es gibt Sänger-schaften, Landsmannschaften, Corps, Turnerschaften, konfes-sionelle Verbindungen etc. Jede hat ihre eigene Geschichteund ihre liebenswerten, aber auch eigentümlichen Traditionen.

Wie sah dein Alltag als Burschenschafter aus? Grundsätzlich nicht anders als bei jedem anderen Studen-

ten, aber alles etwas intensiver und organisierter als zum Bei-spiel in einer WG. Wir kochten zusammen, trieben viel Sport, fei-erten Partys und diskutierten über Gott und die Welt. Mehrmalsim Semester gab es Vorträge und Seminare, auch in anderenUni-Städten bei befreundeten Verbindungen. In wöchentlichenFuxenstunden lernten die Neuen die Ideale und Geschichte derBurschenschaft kennen. In Tanzkursen wurden wir für Bälle fit

gemacht. Und je nachdem,welches Amt du übernom-men hast, warst du verant-wortlich für Partys, die Bi-bliothek oder beispielswei-se die Instandhaltung desVerbindungshauses.

Wie war die Hierarchieaufgebaut?

Als Neuling warst duFux, nach zwei Semesternund bestandener Fuxen-prüfung (Vortrag, Probe-mensur und mündlichePrüfung) bist du dann akti-ver Bursche geworden. In-aktive Burschen waren die,die das Grundstudium hin-ter sich hatten. Wenn du

deinen Studienabschluss gemacht hast, bist du Philister bzw.Alter Herr geworden. Burschenschafter ist man ein Leben lang.So trafen sich auf den Feiern mehrere Generationen mit all ihrenunterschiedlichen Erfahrungen. Als Fux hast du dir einen An-sprechpartner oder ›Mentor‹ bei den Burschen ausgesucht. Häu-fig sind daraus lebenslange Freundschaften entstanden.

Warum bist du nach zwei Jahren dennoch ausgetretenund bereust du deine Entscheidung?

Mein Austritt hatte viele kleine Gründe. Wie bei jeder langexistierenden Institution, ob Partei, Kirche oder Hochschule,die sich Grundsätze und Aufgaben gegeben hat, sind interneReformen sehr langwierig und manchmal auch unmöglich. Ichhabe Fragen gestellt und bin angeeckt: Warum werden Stu-dentinnen nicht aufgenommen? Welchen Sinn hat das Men-surfechten in der heutigen Zeit noch? Wie positioniert sich dieBurschenschaft in einem multinationalen Europa? Die Bun-desbrüder hatten oft keine befriedigenden Antworten und mirwurde klar, dass Anspruch und Wirklichkeit weit auseinanderklafften. Dazu kamen private Gründe. Weder meinen Eintrittnoch meinen Austritt bereue ich. Ich habe viel erlebt, viel ge-lernt und vieles von dem kann ich heute noch anwenden.

Kannst du Studentenverbindungen grundsätzlich em-pfehlen oder eher nicht?

Ich kann doch keine Empfehlung abgeben! Jede Verbin-dung ist anders. Es gibt wirklich rechtsradikale Burschenschaf-ten, das ist aber eine Minderheit. Es gibt aber auch liberale odersogar »linke« Burschenschaften. Allen gemeinsam ist eine kon-servative Grundhaltung. Ich kann nur jedem raten, der sich eineMeinung über Studentenverbindungen erlaubt, genau hinzu-schauen und nicht alle pauschal zu verurteilen. Wer Begriffe wie›persönliche Freiheit‹ und ›Verantwortung für andere‹ mit Lebenerfüllen will, kann – aber muss nicht – in eine Studentenverbin-dung eintreten. Er kann sich auch in anderen Gruppen enga-gieren. Hauptsache, er studiert nicht vier oder mehr Jahre allei-ne vor sich hin und hat nur seine Fachbibliothek von innen ge-sehen.

Wie sähe die ideale Studentenverbindung für dich aus?In Ansätzen gibt es schon viele Verbindungen, die meinem

Ideal nahe kommen. Wichtig ist, dass Anspruch und Wirklich-keit sich aufeinander zu bewegen. Studentenverbindungensollten alle Studierenden ansprechen können, manche altenZöpfe abschneiden und neue Traditionen stiften. Sie sollten ei-ne studentische europäische Bewegung in Gang setzen unddie Hochschulen zu mehr Initiative für ein offenes Europa auf-fordern: Vergleichbarkeit der Abschlüsse, europäische Studi-engänge, bessere Startbedingungen für Gaststudierende und-dozenten. Da liegt ein riesiges Potenzial verborgen, wie vor200 Jahren, als sich Studierende, also Burschen für Einigkeitund Recht und Freiheit eingesetzt haben und häufig deswegenim Unikarzer gefangen saßen.

Die Fragen stellt Alexander Florin <

Wir sprachen mit einem ehemaligen Burschenschafter

»Intensiver als eine WG«

UNAUFgefordert november 2003

Alter HerrWer sein Studium beendet hat, trittnicht etwa aus der Verbindung aus,er hat ja lebenslange Loyalität ge-schworen; er bleibt ihr als »AlterHerr« erhalten. Das Netz der AltenHerren dient vor allem den Seil-schaften, von denen die Burschen-schafter profitieren. Wie das funk-tioniert, hat der BurschenschafterEberhard Diepgen (CDU) vorge-macht: Erst wurde er Bürgermeister,dann ruinierte er gemeinsam mitden Burschenschaftern Klaus Lan-dowsky und Rainer Zittelmann dieBerliner Staatsfinanzen.

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Politik

> Viele Studierende weigerten sich zu glauben, was ihnen diePresse gleich zum Semsterbeginn verkündete: Die Humboldt-Universität (HU) gibt fast jede vierte Professur einschließlichder zugehörigen Mitarbeiter auf, schließt die Landwirtschaft-lich-Gärtnerische Fakultät und die Bibliothekswissenschaften,streicht vielen Fachrichtungen die Magister-Nebenfächer. Unddas alles schon bis 2009. Sicher, bis dahin kann noch viel ge-schehen, bis dahin können noch viele Studierende ihr Studiumbeenden. Aber bis dahin wird die HU auch viel von dem verlie-ren, was sie zu einer studierenswerten Uni macht.

Der letzte Streik (1997) liegt schon eine Studentengenerati-on zurück, es wird Zeit, dass wieder etwas geschieht. Die Studie-renden wollen sich ihre Fächer nicht einfach zusammenstreichenlassen und gehen – zunächst verbal im Akademischen Senat –auf die Barrikaden. Vereint mit Institutsleitern, Dozierenden undMitarbeitern wollen sie gegen das Sparprogramm des HU-Präsi-diums protestieren. Dieses sieht sich aber nur als Schadensbe-grenzer, setzt es doch die Vorgaben des Senats um.

Die Tinte unter den Hochschulverträgen begann geradezu trocknen, da teilte Wissenschaftssenator Thomas Flierl denUnis mit, sie hätten von 2006 bis 2009 weitere 75 Millionen Eu-ro einzusparen. »Mit den Planungsbudgets ist nun die Basis

geschaffen, an den Universitäten Strukturplanungen vorzu-nehmen«, sagt Flierl. Und das Präsidium der Humboldt-Univer-sität ging auch sofort ans Werk.

Das Präsidium erstellte Rankings, die viele der Betroffenennicht nachvollziehen können oder mögen. Aus diesen Ran-kings entwickelte es dann Kürzungsvorschläge, die vorwie-gend beim Personal umgesetzt werden, das 81 Prozent desHaushaltes ausmacht. Vakante Stellen landeten automatischauf der Liste. Dass diese, um den Lehrbetrieb zu gewährleisten,derzeit oft von Gastdozenten besetzt werden, störte dabeinicht. Genauso strichen die Kürzungsstrategen alle Stellen, diebis 2009 altersbedingt frei werden.

Aus derzeit elf Fakultäten werden sieben. Die neuenFächerzusammenstellungen sollen »die Interdisziplinarität in-tensivieren und Flexibilität gewährleisten« – so das Präsidiumin seiner Begründung vor dem Akademischen Senat.

Bis zum 30. Juni nächsten Jahres sollen die Strukturplänedem Senat vorliegen, das sicherten die Unis auch zu. Sonstwürde eine Expertenkommission die Umsetzung der Kürzun-gen vornehmen. Es ist also wieder einmal nicht viel Zeit für Pro-teste, Vorschläge und Konzepte.

Alexander Florin <

das Gespenst der Sparauflagen

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Foto: Susanne Vangerow

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Politik

> Die Eingangshalle erinnert fast an einen toskanischen Dom.Marmorplatten zieren den Fußboden. Durch ovale Fensterscheinen Sonnenstrahlen. Am Kopfende der Halle steht eineüberlebensgroße Statue. Sie stellt Albrecht Thaer dar, denStammvater der Landwirtschaftlich-Gärtnerischen Fakultät(LGF). In der Halle findet man auch ein Plakat. ›Quo Vadis LGF‹steht darauf – Wohin geht die LGF? Auf Beschluss des Präsidi-ums der Humboldt-Universität soll diese Fakultät bis 2009 ge-schlossen werden. Betroffen sind davon 31 Professor/innen,zahlreiche Mitarbeiter/innen und fast 1.500 Studierende.

Von der Eingangshalle kommt man in den Innenhof desFakultätsgebäudes. Bäume mit bunten Blättern ragen hier indie Höhe. Auf den Wegen liegt Herbstlaub. Am Ende des Hofesist der Raum, wo gleich die Erstsemestervorlesung beginnenwird. Martin Bork liest den Aushang vor dem Vorlesungssaal.Die Fachschaft ruft zu Aktionen gegen die geplanteSchließung auf. »Nicht schon wieder«, hat der frischgebackeneStudent gedacht, als er während der Einführungsveranstaltungvon den Plänen der Unileitung gehört hat. Auch seine Schulemachte nach ihm ihre Pforten dicht. Aber eigentlich sei das garnicht so schlimm gewesen. Auch die Schließung seiner neuenWirkungsstätte nimmt er eher gelassen »Es ist ja nicht so, dassmorgen zugemacht wird.« Außerdem möchte er sowieso bis2009 fertig studiert haben, – »theoretisch.« Heute ist er sehrfrüh gekommen.

Der Gang vor dem Vorlesungsraum ist noch leer. Aber baldströmen die »Erstis« durch den Hof. Viele rauchen eine Zigaret-te, bevor sie die Treppe zum Vorlesungssaal erklimmen. MarikaBodnar streicht sich mit der freien Hand eine blondierte Sträh-ne aus dem Gesicht. »Ernüchternd« fand sie die Informationüber die geplante Streichung. Von den Protest-aufrufen derFachschaft fühlte sie sich auf den Schlips getreten gefühlt. »Ichhabe mich fast gezwungen gefühlt, jetzt was zu machen. Zehn-mal am Tag hat man das gehört.« Erst mal war es ihr nämlichwichtig, in ihr Studium reinzukommen. Aber jetzt versteht siedie Fachschaft schon. Schließlich möchte sie auch gerne inBerlin weiterstudieren. Ihren Wusch, Gartenbauarchitektin zuwerden, kann sich die gebürtige Ostdeutsche sonst kaum er-füllen. Agrarwissenschaften als Studiengang bietet im Ostennur Berlin. Was genau sie unternehmen könnte, um das Aus ih-rer Studienstätte zu verhindern, weiß die 19-Jährige aber nicht.

»Typisch Ersti, die machen nichts«, erregt sich eine Studie-rende höheren Semesters. »Die sind von der Schule her nichtgewöhnt, sich zu engagieren.« Die Studentin, die sich so auf-regt, steht im Studierendencafé ›Flora Soft‹ hinterm Tresen. Ei-nige Federn schmücken ihr kurzes Haar. Zusammen mit ihrem

Kommilitonen Martin Gemeinholzer spült sie Becher aus. DasCafé ist fast leer. Zwei Studenten lümmeln in den Sesseln. EineGruppe steht im Eingang und unterhält sich. Martin hat schonfrüher als andere von den Präsidiumsplänen erfahren. EineFreundin von ihm ist HiWi am Institut. »Die war total fertig, alssie mir davon erzählt hat.« Martin musste sie erst mal beruhi-gen: »Vielleicht wird alles gar nicht so schlimm.« Er beteiligtsich an den Protesten gegen die Schließung und möchte aucham Dienstag zur Aktion im Hauptgebäude der HU gehen.

An diesem Tag, dem 28. Oktober, wird der Akademische Se-nat zu den »Eckpunkten der Strukturplanung« tagen. Darin sinddie vorgesehenen Einsparungen – damit auch die Schließungder LGF – verankert. Bisher ist der Strukturplan, auch wenn es inder Presse anders dargestellt wurde, nur ein Entwurf des Präsi-diums. Am Dienstag soll der Akademischen Senat ihn diskutie-ren und beschließen.

»So geht es nicht!«

Hinter einer gelben Tür ist der Fachschaftsraum. Hier sitztJenny Walther, Fachschaftsmitglied und eine der Hauptorganisa-tor/innen der Proteste. Den Strukturplan findet sie unmöglich:»So’n Ding auf den Tisch geknallt, ohne inhaltliche Begründung,nur anhand von zwei Kriterien – das geht so nicht!« Sie sitzt hin-ter einem Schreibtisch. Während sie redet, reicht sie einer Erstse-mestlerin – sie hat nämlich gerade Studierendenberatung – eini-ge Unterlagen und diese zieht sich nach hinten zum Kopiererzurück. Jenny Walther schlägt die Beine übereinander und er-zählt von den Kriterien, die hinter dem Strukturplan stehen.

Gekürzt wird nach Altersstruktur und Drittmitteln. Alsodort, wo demnächst sowieso Professor/innen altersbedingtausscheiden. Bei der LGF trifft das bis 2009 auf 21 der 31 Pro-fessuren zu. Was die Drittmitteleinwerbung angeht, sind dieAgrarwissenschaftler im Bereich Wirtschafts- und Sozialwis-senschaften des Landbaus überdurchschnittlich. Unter demDurchschnitt liegen sie allerdings in den anderen drei Berei-chen: Pflanzenbau–, Gartenbau-, und Nutztierwissenschaften.Hinzu kommt, dass die LGF wegen der vielen Anbauflächensehr teuer ist. Die Hälfte, der vom politischen Senat geforder-ten finanziellen Einsparungen könnte UniversitätspräsidentJürgen Mlynek vorweisen, wenn die LGF wegfällt. Ein Drittelder Stellenstreichungen wäre damit erreicht. Dabei geben sichdie Agrarwissenschaftler alle Mühe billiger zu werden. Seit1992 wurden zwei Drittel des Etats gespart. Damals gab esnoch 97 Professuren.

An der Landwirtschaftlich-Gärtnerischen Fakultätformiert sich Protest gegen die geplante Schließung.

»Wer einen Bauern reinlegen will,

hat schon verloren«

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Politik

Die Erstsemestlerin ist fast fertig mit Kopieren. Jenny Waltherkann verstehen, dass die Neuankömmlinge nun erst einmal da-mit zu tun haben, ihr Studium auf die Reihe zu kriegen. Sie findetauch nicht, dass die Fachschaft Panikmache betrieben hat. Aberdarauf hinzuweisen, dass es bis 2009 nur noch 10 Professurengibt, findet sie schon wichtig. Denn: »Wie soll mit diesen be-grenzten Mitteln weiterstudiert werden? Und außerdem kannman nur in Berlin Gartenbau auf Lehramt studieren. Fischerei-und Gewässerökologie sind europaweit einzigartig.« Auch imHinblick auf die EU-Osterweiterung können die Forschungser-gebnisse und Netzwerke der LGF genutzt werden.

Schon einmal drohte der LGF die Schließung. Das war1996, als der politische Senat Berlins beschloss, sich die agrar-wissenschaftliche Fakultät aus Kostengründen zu sparen. Da-mals stellte sich die Unileitung hinter ihre Landwirte. Die Be-gründung war der gute internationale und nationale Ruf derBerliner Fakultät. Als Reaktion entwickelte sich die LGF zumMusterknaben der vom Präsidium gewünschten Studienrefor-men. Schon zum Wintersemester 2000/01 wurden Bachelor-und Masterstudiengänge eingeführt, damit war die LGF die ers-te Agrarfakultät in Deutschland, die dieses tat. »Hier sind allesauer auf die Universitätsleitung.« Jenny meint mit ›alle‹ die Stu-dierenden genauso wie die Professoren. Die Agrarwissenschaft-ler schmerzt es, dass das Präsidium heute selbst die Schließungvorschlägt. »Wahrscheinlich dachte Mlynek, wir hätten keineLobby, aber da hat er sich geirrt.« Durch Pfiffe und Buhrufe habeman ihm während der Einführungsveranstaltung zum neuen Se-mester deutlich gemacht, dass die Landwirte und Gartenbauernsich wehren. Denn »Wer einen Bauern reinlegen will, hat schonverloren«, zitiert die Studentin ihren Ex-Dekan.

Christian Ulrichs fühlt sich hereingelegt, oder »geködert«,wie er es ausdrückt. Er ist Junior-Professor an der LGF. Er hat-te eine gute Stelle in den USA. Er hat sie aufgegeben für dasVersprechen, bei guter Evaluierung bestünde eine 1/3-Chanceauf Übernahme in Berlin. Dann, beim Neuberufenenempfangim Hause von Wissenschaftssenator Flierl, traf Ulrichs auf Mly-nek. Ein »Es täte ihm leid, aber die LGF würde keiner vermis-sen« traf ihn völlig unvorbereitet. Er will das so nicht hinneh-men. Bei der Kundgebung am Dienstag wird er eine Rede ge-gen die Schließung der LGF halten.

Singen gegen die Schließung

Am Dienstag drängen sich die Protestierenden vor demHaupteingang der HU. Viele tragen einen grünen Flicken amÄrmel. ›LGF‹ steht darauf, daneben ist ein gelb-rotes Blümchen.»Ist doch gar nicht so schlecht«, sagt Jenny Walther. Es sindwohl doch mehr Leute gekommen, als sie erwartet hat. Auchein paar Erstsemestler tummeln sich unter den Demonstrie-renden. Die Sonne scheint. Die Helmholtzstatue in der Mittedes Hofes ist von Transparenten umgeben. Als die Redebeiträ-ge geendet haben, sollen alle singend ins Hauptgebäude ein-ziehen. »Wie soll das mit dem Singen denn klappen, wir kennendie Melodie ja gar nicht.« Zwei ältere Damen halten skeptischihre Textblätter in der Hand. Mit mäßig lautem Gesang bewegtsich die Demo dann Richtung Senatssaal. Die, die noch einenPlatz ergattern können, nehmen an der Sitzung des Akademi-schen Senates teil. Jenny Walther sitzt ganz vorne.

Was hier beschlossen wird, ist noch nicht das Ende derLGF. Der Juniorprofessor Ulrichs ist optimistisch. Seine Zu-kunft plant er weiterhin bei den Agrarwissenschaftlern in Ber-

lin. »Wenn wir alle an einem Strang ziehen, werden wir schoneine Lösung finden«, ist er sich sicher. Mlynek will er beim Wortnehmen. Das Ganze sei erst mal ein Vorschlag, habe der überdie im Strukturplan verankerten Schließungspläne gesagt.Schließlich habe auch die vom Universitätspräsidium einberu-fene Gutachterkommission den Erhalt der Fakultät als Ganzesempfohlen.

Susanne Vangerow <

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Foto: Susanne Vangerow

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Politik

> Es ist kurz vor drei Uhr, Dienstagnachmittag, der 28. Oktober.Vor dem Senatssaal im ersten Stock des Hauptgebäudes derHumboldt-Universität zu Berlin (HU) steht ein schwarzer Mono-lautsprecher auf einem Rollwagen. Aus ihm dringen Stimmen.Hin und wieder kommen Studierende vorbei, bleiben kurz ste-hen, drehen ein wenig am Lautsprecherknopf herum und gehendann weiter. Die Stimme spricht von 30 Millionen Euro, von Insti-tuten, die geschlossen werden sollen, von Verantwortung. Eskönnte die Stimme des Präsidenten sein, sie könnte aber eben-so gut einem Studierenden gehören. Der Lautsprecher unifor-miert die Stimmen zu einem gleich klingenden Krächzen.

Im Senatssaal tagt seit sechs Stunden das Gremium, dasdem Saal seinen Namen gegeben hat, der Akademische Senat(AS) der HU. Es geht um die Strukturplanung des Präsidiums.Die Landwirtschaftlich-Gärtnerische Fakultät (LGF) soll ge-schlossen werden, die Bibliothekswissenschaften auch. DieRomanistik und die Asien- und Afrikawissenschaften sollen ei-nen großen Teil ihrer Stellen einsparen. Deshalb sind zu derSitzung um neun Uhr früh nicht nur die gewählten Vertreterdes Senats und das übliche Dutzend Zuschauer gekommen,sondern auch weit über hundert Studierende. Es werden zu-sätzliche Stühle aufgebaut, doch das reicht bei weitem nicht.Die Menschen drängen weiter in den Senatssaal hinein. Vielemüssen vor der Tür bleiben. Damit sie die Sitzung verfolgenkönnen, wird der Lautsprecher auf den Flur geschoben.

Die Studierenden der LGF tragen dieInitialen ihrer Fakultät auf grünen Schil-dern am Oberarm, die der Bibliothekswis-senschaften haben sich CDs umgehängt.Am Fenster baumelt ein Schild mit derAufschrift »Mlynek in die Landwirtschaft«.Das Schild ist offenbar in Eile geschriebenworden, das »schaft« ist in winziger Schriftin die untere Ecke gequetscht. Zwei Stu-denten bauen direkt hinter dem Platz vonPräsident Jürgen Mlynek ein Transparentauf. »Herr Präsident, Sie haben Ihre Auf-gabe verkannt«, steht darauf.

Dann kommt der Präsident. Er eröff-net die Sitzung und erklärt, dasszunächst einige wichtige Punkte abge-arbeitet werden müssten, bevor man zudem Punkt komme, »für den die Öffent-lichkeit sich hier sicher interessiert«: zuTagesordnungspunkt sechs, dem Struk-turplan. Die Öffentlichkeit nimmt dashin, sie grölt nicht, buht nicht, pfeiftnicht. Eine Stunde hört sie geduldig zu,wie der AS über Zulassungszahlen undden Nachtragshaushalt diskutiert. Dannendlich ist es soweit. Mlynek ist sichtlichnervös, er weiß, was jetzt kommt. Er

weiß, dass gleich der Zorn der Betroffenen auf ihn einprasselnwird. Deshalb bedankt er sich bei ihnen, er freue sich, dass sieoffenbar gekommen seien, um sachlich zu diskutieren.

Dann ist Dieter Kirschke an der Reihe. Der Professor derLGF ist erregt. Er sagt, er wolle überhaupt nicht diskutieren, nichtüber diesen Vorschlag des Präsidiums. »Das Papier ist nichtnachvollziehbar dokumentiert«, sagt Kirschke. »Wenn das eineSeminararbeit zu diesem Thema wäre – ich frage Sie, wie wür-den wir ein solches Papier wohl bewerten?« Die Protestierendenklatschen. Das sind die kämpferischen Töne, die sie hören wol-len. Kirschke stellt den Antrag, das Papier als Diskussionsgrund-lage abzulehnen (siehe Kommentar). Er wird damit am Ende kei-nen Erfolg haben, aber zunächst fühlt sich das Präsidium her-ausgefordert.

Verbale Tiefschläge

Heinz-Elmar Tenorth, Vizepräsident für Studium und Leh-re, ergreift das Wort. »Ihre Argumentation bewegt sich auf demNiveau des Bodensatzes von Rudi Völler«, wirft er Kirschke anden Kopf. Die Protestierten raunen, solche verbalen Tiefschlä-ge haben sie von der Uni-Leitung nicht erwartet.

Mlynek versucht, sein Präsidium aus der Schusslinie zubewegen. Immer wieder sagt er, dass er den Unmut verstehe,

Selten waren so viele Studierende bei einer Sitzung des AkademischenSenats der HU. Der Präsident freute sich.

Mlynek in die Landwirtschaft

UNAUFgefordert november 2003

Mit Gitarre, Trompete und Gesang zog die LGF vor den Akademischen Senat

Foto: Alexander Florin

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Politik

als würde das den Betroffenen helfen. Er versucht, den Zorn inandere Bahnen zu lenken. Gegen den Senat, der habe die Kür-zungen schließlich verlangt. Im Übrigen spreche sich auch dieUni-Leitung grundsätzlich gegen Kürzungen im Wissen-schaftsbereich aus. Und gegen den Präsidenten der Techni-schen Universität, Kurt Kutzler, der glaube, »HU und FU würdendie Sparsumme unter sich aufteilen.«

Dann werden viele der Studierenden müde. Es ist nachzwölf, sie verpassen ihre Vorlesungen, die Diskussion dreht sichim Kreis. Es geht um das Verfahren und den Zeitplan. Bis EndeJuni muss die HU dem Berliner Senat einen Sparplan vorlegen.Anderenfalls hat Wissenschaftssenator Thomas Flierl angekün-digt, eine externe Expertenkommission einzusetzen. Alle Vertre-ter betonen, es müsse gewährleistet werden, dass der AS »Herrdes Verfahrens« bleibe. Dann geistern Abkürzungen wie EPK,für Entwicklungs- und Planungskommission, und LSK, für Kom-mission für Studium und Lehre, ohne Erläuterung durch denSaal. Viele gehen, sie verstehen einfach nichts mehr.

Die Verbliebenen sind zunehmend verärgert über die Ig-noranz des Präsidiums. Ulfert Oldewurtel, Student der Asien-und Afrikawissenschaften spricht aus, was alle vermuten: »DerVorschlag des Präsidiums ist längst beschlossen, er wird jetztseinen Weg durch die Kommissionen gehen und am Ende wirdes genau so geschehen.«

Auch die studentischen Vertreter im AS verzweifeln amPräsidium, das gemäß Satzung die Redeleitung hat. Sie versu-chen, dem Präsidenten die Redeleitung zu entziehen. An sostarkem Aufbegehren wollen sich die professoralen Vertreter

dann doch nicht beteiligen. Auch der Alternativvorschlag derStudierenden, der unter anderem eine stärkere Einbindung al-ler Statusgruppen und die Prüfung der Effektivität des fünf-köpfigen hauptamtlichen Präsidiums vorsieht, bekommt keineMehrheit. »Wir sind enttäuscht, dass die anderen Statusgrup-pen ihrer verbalen Kritik keine Taten folgen ließen«, so Doro-thée Booth, Öffentlichkeitsreferentin des RefRats nach der Sit-zung.

Am Ende Enttäuschung

Es ist bereits nach drei Uhr. Alle Verbliebenen haben mitt-lerweile einen Sitzplatz gefunden, als die LGF-Studentin HeikeDelling als eine der letzten ans Mikrofon tritt. Sie hält noch ein-mal ein Plädoyer für das Fortbestehen ihrer Fakultät, weist da-rauf hin, dass die LGF die einzige ihrer Art im Osten der Repu-blik sei, die Bibliothekswissenschaften sogar einzigartig in ganzDeutschland. Die LGF habe immer ihre Reformbereitschaft ge-zeigt, sie habe als erste das Bachelor- und Master-System ein-geführt und sei dafür stets vom Präsidium gelobt worden: »Wirfühlen uns von Ihnen verraten, Herr Tenorth.« Die fünf Präsidi-umsmitglieder sitzen das jetzt aus, die Kritik erreicht sie längstnicht mehr. Dann ist die Sitzung geschlossen, der Lautsprechervor der Tür wird abgebaut, und der Präsident verschwindet hin-ter der schweren Tür seines Büros.

Er, Jürgen Mlynek, bleibt der Herr des Verfahrens.Steffen Hudemann <

UNAUFgefordert november 2003

kommentar

Fehlstart in die Strukturdebatte

> Der vom Präsidium vorgelegte Vorschlag zur Strukturpla-nung ist keine geeignete Grundlage für die Strukturdebatte ander Humboldt-Universität.

Erstens: Der Vorschlag des Präsidiums mutet den Einrich-tungen teilweise erhebliche Einschnitte zu, ist aber praktischnur in einem Punkt ein wirklicher Strukturvorschlag: die Land-wirtschaftlich-Gärtnerische Fakultät zu schließen. Das ist alsDiskussionsgrundlage für die künftige Struktur der Humboldt-Universität zu wenig.

Zweitens: In der anstehenden Strukturdebatte sollten Leis-tungsindikatoren für Forschung und Lehre in angemessenerWeise berücksichtigt werden. Der Vorschlag des Präsidiumslässt nicht erkennen, ob und wie das geschehen ist. Es ist nichtakzeptabel, dass Vorschläge selektiv und punktuell durch Zah-len unterlegt werden, wenn die Vorgehensweise nicht nach-vollziehbar ist.

Drittens: Der Vorschlag des Präsidiums enthält verschie-dene alte und neue Worthülsen zu einer künftigen Humboldt-Universität; es gibt jedoch keine Informationen zu dem konkre-ten Strukturvorschlag. Hintergründe des Vorschlags werden

nicht genannt, Optionen werden nicht erläutert, der Abwä-gungsprozess im Präsidium ist nicht ersichtlich, und eine Be-gründung des konkreten Vorschlags wird nicht gegeben.

Viertens: Der Vorschlag des Präsidiums führt zu enormenKonflikten, und er versucht, das Ergebnis vorwegzunehmen.Wenn fast alle Einrichtungen davonkommen und nur die Land-wirtschaftlich-Gärtnerische Fakultät geopfert werden soll, ist esschwierig, eine Mehrheit gegen einen solchen Vorschlag zu ge-winnen. Man mag deshalb den Vorschlag des Präsidiums als tak-tische Meisterleistung werten; für den internen Diskurs und dieDiskussionskultur an der Humboldt-Universität ist er fatal.

Wir hoffen, dass es der Humboldt-Universität dennoch ge-lingt, eine konstruktive Debatte über die künftige Struktur zuführen und einen akzeptablen Strukturplan nicht gegen, son-dern mit den Einrichtungen zu erarbeiten und umzusetzen. Wirsind überzeugt, dass die Agrarwissenschaften ein genuinerBestandteil der Humboldt-Universität sind und bleiben.

Prof. Dr. Dieter KirschkeLandwirtschaftlich-Gärtnerische Fakultät, Fachgebiet Agrarpolitik,

und Mitglied im Akademischen Senat <

Foto: Susanne Vangerow

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Politik

> Nachdem die Humboldt-Universität (HU) vor drei JahrenVorreiter in Sachen ›Junior-Professur‹ war und die Problemebei der Einführung ignorierte (UnAuf 132), will sie nun bis zumJahr 2009 insgesamt 73 Junior-Professuren fest im Stellenplanverankern. Genauer gesagt: Das Präsidium scheint bei seinenVorschlägen zum Sparen wegfallende Professuren wenigstensein bisschen ausgleichen zu wollen.

Von Prof. Dr. Hans Jürgen Prömel, Vizepräsident für For-schung an der HU, gibt es auf die Frage, ob die Junioren dieeingesparten Professuren abfangen sollen, folgende Antwort:»Wir wollen die Lücken nicht durch Junior-Professuren füllen.Das wäre Augenwischerei. Es handelt sich vielmehr um das›Upgrade‹ von einigen Mittelbaustellen.« Ein Institut, das eineJunior-Professur haben möchte, muss eine Stelle aus dem Mit-telbau dafür ›opfern‹. Die Ausstattung der Junior-Professorenist besser als die im Mittelbau. Damit ist bessere Lehre undForschung möglich. Da Professuren und Mitarbeiter nach Le-bensalter, Junior-Professuren jedoch pauschal bezahlt wer-den, sei die finanzielle Mehrbelastung sehr gering.

Derzeit gibt es bereits über 30 etablierte Junior-Professo-ren und -Professorinnen an der HU; zählt man die Medizin mit,sind es 43. Anfangs gab es in den Fächern Probleme mit derAnerkennung als Professoren, »aber so etwas braucht Zeit«,weiß Prömel, dessen Steckenpferd die Junior-Professuren sindund der sie ermutigt, auch für ihre Statusgruppe der Profes-sor/innen in den Gremien mitzuarbeiten. Ebenso ging die Be-reitstellung von Ausstattung, beispielsweise Arbeitsräumen,nicht immer glatt vonstatten, aber jetzt ist alles im Lot. Bevordas Präsidium daran ging, etwa 40 weitere Stellen festzu-schreiben (Verteilung: siehe Tabelle S. 24), zog es Bilanz überdie bisherigen Junior-Professuren. »Grundsätzlich positiv« fieldiese aus, so Prömel, der betont, dass die Fakultäten dadurchverjüngt werden und neue Ideen Einzug in Lehre und For-schung halten.

Doch eine Hierarchiestufe tiefer ist die Begeisterung nichtganz so groß. »In den Naturwissenschaften sehe ich die Juni-or-Professuren eher kritisch«, sagt Prof. Dr. Erhard Kemnitz, In-stitutsdirektor der Chemie. In der Chemie klafft die Lücke zwi-schen Mittelbau und Professuren besonders groß: Ein Profes-

sor kann in einer Vorlesung viele Studierende mit Wissen be-reichern, doch in den wichtigen Praktika müsse in kleinenGruppen gearbeitet werden – und die leiten Mitarbeiter desMittelbaus. Deshalb kann die Chemie auf ihre Mitarbeiterkaum verzichten: »Junior-Professuren sind nicht grundweg ne-gativ, aber sie sind nie und nimmer ein Ausgleich für eine Pro-fessur – weder in der Lehre noch in der Forschung.«

Junioren ohne Mitarbeiter

Ganz nebenbei fallen ja bei der Streichung einer Professurimmer auch deren Assistenten weg. Das hieße bei der beab-sichtigten Streichung von vier Professuren in der Chemie fallenelf volle wissenschaftliche Mitarbeiterstellen weg. Und Junior-Professuren sind nicht mit Personal ausgestattet, halten überdie sechs Jahre verteilt durchschnittlich nur fünf Semesterwo-chenstunden und sollen auch noch selbständig forschen.Kemnitz weiß, was er kritisiert: Er selbst gibt auch schon malzwölf Semesterwochenstunden, wenn es nötig ist.

Die gleichen Probleme mit den Einsparungen hat die Ro-manistik, wo man das Sparpotenzial von einer Million Euro

In sechs Jahren soll jede fünfteProfessur eine Junior-Professur sein.Sie können die Spar-Lücken jedochnicht füllen.

»Lehre ist so kaum

noch möglich«

UNAUFgefordert november 2003

Illustration: Britta Kussin

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Politik

> Die Theologische Fakultät soll in der Philosophisch-Histori-schen Fakultät aufgehen und fünf Professuren aufgeben. Wirsprachen mit Dekan Prof. Dr. Heinz Ohme über die Folgen.

UnAufgefordert: Welche Auswirkungen hat es, wenn dieTheologische Fakultät nicht mehr eigenständig ist und ineine andere integriert wird?

Heinz Ohme: Das wissen wir noch nicht, das Präsidium hatsich da noch nicht erklärt. Klar scheint: Die Haushaltshoheitwäre nicht mehr bei den Fächern. Das wäre ein erheblicher Ein-schnitt in unsere Autonomie. Unsere Ablehnung dieser Integra-tion hat nicht nur historische Gründe. Seit 1810 ist die Theologiean der HU eine eigene Fakultät. Wir können es nicht hinneh-men, in grundlegenden Fragen von anderen Fächern majorisiertzu werden.

Wäre die Theologie mit fünf Professuren weniger über-haupt arbeitsfähig?

Wir haben bereits in den letzten Jahren wesentliche Kür-zungen erlebt. 1990 hatten wir insgesamt 40 Dozenturen undProfessuren in Berlin, dann fusionierte 1993 die Theologie derHU mit den beiden kirchlichen Hochschulen in Berlin undmusste mit 22 Professuren auskommen. 1995 waren es nurnoch 18, 1998 dann 15. Jetzt geht es um die Substanz. Wir hät-ten große Probleme, die Prüfungen in allen fünf Hauptdiszipli-nen der Theologie zu gewährleisten.

Mit zehn Professuren können wir ein angemessenes Stu-dium für etwa tausend Studierende in allen Studiengängennicht gewährleisten. Mit 227 Erstsemestern im Sommer warenwir die Theologische Fakultät in Deutschland mit dem größtenZuwachs. Nur etwa 25 bis 50 Prozent der Studierenden studie-ren, um Pfarrer zu werden. Viele belegen Theologie in Kombi-nation mit anderen Fächern. Und gerade die Magister-Neben-fächer sollen wegfallen!

Das ist doch absurd: Auf der einen Seite wirft man uns vor,wir würden uns zu sehr an kirchlichen Interessen orientierenund auf der anderen Seite will man uns wegnehmen, was an-dere Fächer bereichert.

Kann man den Professurenschwund nicht mit Junior-Professuren ausgleichen?

Wir haben bereits zwei Junior-Professuren. Aber für weiterewürden Assistenzstellen wegfallen; das geht nicht. Die Theolo-gen werden trotz der Junior-Professur nicht die Habilitation auf-geben.

Wie geht es für die Fakultät jetzt weiter?Wir nehmen jetzt, wie die anderen auch, Stellung zu den

Vorschlägen und sprechen mit dem Präsidium. Wir haben ob-jektive Einwände gegen das zugrunde liegende Zahlenmateri-al und die aufgestellten Rankings der Fächer. Wir werdenaußerdem bei der Anhörung in der Entwicklungs- und Pla-nungskommission unsere Position deutlich machen. Unser Be-stand ist nicht nur von der HU abhängig. Da ist der Senat ge-fordert. Und die Kirche, die ja ihre eigenen Hochschulen für dieTheologische Fakultät geopfert hat.

Das Interview führte Alexander Florin <

UNAUFgefordert november 2003

nicht nachvollziehen kann. Man habe bereits fünf nicht besetz-te Professuren (von zehn für 2.100 Studierende) und helfe sichmit drei Vertretungen aus. »Wenn die wegfallen, geht’s ans Ein-gemachte«, stellt Prof. Dr. Dieter Ingenschay, Institutsdirektorder Romanistik, klar. Man brauche vielmehr für das Lehramt ei-ne Didaktik-Professur, die bereits seit vier Jahren nur vertretenwird. Durch die Einführung von Bachelor/Master-Studiengän-gen, voraussichtlich ab Wintersemester 2004/05, wäre einekürzere Durchlaufzeit der Studierenden zu erreichen unddurch die Straffung und geringere Belastung könne man aufzwei Stellen verzichten. Aber mit dem aktuellen Vorschlag »istdie Romanistik, wie sie jetzt besteht, nicht fortzuführen.«

Trotz Sparen das Niveau halten

»Die Entwicklung ist nicht studierendenfreundlich. Soschlecht ist die Situation nirgendwo – da kann man jede ande-re Uni vorziehen«, resigniert Ingenschay. Aber er will denKampf für sein Fach, das immerhin an der studierendenstärk-sten Fakultät der HU angesiedelt ist, nicht aufgeben. Er hofftauch auf die Unterstützung der Botschaften und verweist dar-auf, dass beispielsweise Italien, Spanien, Portugal und Ka-talanien sich jeweils an der Besetzung von Lektoratsstellen amInstitut beteiligen. Außerdem hätten die Studienabgänger guteBerufschancen durch den hohen Praxisbezug.

Es gibt nirgendwo Unverständnis dafür, dass gespart wer-den muss und dass die Uni »Schadensbegrenzung« betreibe,indem sie beispielsweise Junior-Professuren fest in den Planaufnimmt. So kann wenigstens die Gesamtzahl der Professo-ren beinahe gehalten werden (S. 24). Doch wie auch immer dieDaten präsentiert werden, Erhard Kemnitz weiß: »Das Level derLehre aufrechtzuerhalten ist kaum möglich.«

Alexander Florin <

Autonomie ist wichtig

Page 23: UnAufgefordert Nr. 140

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Politik

2003 2009 (-)Mathematik-Naturwissensch. 19*Chemie 16 12 –4Physik 21 18 –3Mathematik 20 17 –3Informatik 13 11 –2Geographie 10 07 –3Psychologie 13 11 –2

Lebenswissenschaften 08*Biologie 20 18 –2Aufbau Lebenswissenschaften 00 10 10Museum für Naturkunde 07 04 –3

Landwirtschaft und Gartenbau 31 00 –31

Staatswissenschaften 10*Wirtschaftswissenschaften 24 20 –4Jura 24 20 –4

Philosophie und Geschichte 12*Theologie 15 10 –5Philosophie 08 07 –1Geschichte 15 13 –2Archäologie 2+2 04 04 0Kunstgeschichte 05 05 0Musikwissenschaft 04 03 –1Bibliothekswissenschaften 02 00 –2Kultur- & Medienwissenschaften 07 05 –2Musikdirektor 01 01 0Ästhetische Praxis 01 01 0

Kulturwissenschaften 15*Deutsche Sprache und Linguistik 09 08 –1Deutsche Literatur 10 09 –1Klassische Philologie 03 03 0Romanistik 10 05 –5Anglistik/Amerikanistik 09 08 –1Slawistik 10 07 –3Europäische Ethnologie 03 02 –1Großbritannien-Zentrum 03 03 0Nordeuropa-Institut 04 03 –1Afrika- und Asienwissenschaften 16 11 –5

Sozialwissenschaften 09*Sozialwissenschaften 15 13 –2Erziehungswissenschaften 12 10 –2Rehabilitationswissenschaften 12 09 –3Sportwissenschaften 06 05 –1

Interdiszipl. Frauenforschung 03 03 0

GESAMT 386 296 -90*Juniorprofessuren (Gesamt: 73)

Sparen nach Zahlen

UNAUFgefordert november 2003

Das HU-Präsidium präsentierte Mitte Oktober seine Vorschläge,wie ein Fünftel des Etats gespart werden kann.

> Etwa 20 Prozent der Mittel, die der Humboldt-Universität(HU) jährlich zukommen, werden wegfallen. Insgesamt sollenalle drei großen Berliner Universitäten bis 2009 gemeinsam 75Millionen Euro einsparen. Die HU geht davon aus, dass ihr An-teil von 24,3 Millionen bis dahin auf etwa 30 Millionen ansteigt.Zusätzliche Einschnitte im Etat, beispielsweise zugunsten vonFachhochschulen, ist sie seit Jahren gewöhnt. Die aktuell dis-kutierten Streichungen bewirken auch, dass die HU etwa 3.000Studienplätze aufgeben müsste, wie der Vizepräsident für For-schung, Prof. Dr. Hans Jürgen Prömel, einräumt. Zieht man inBetracht, dass sich schon jetzt über 37.000 Studierende dietheoretisch vorhandenen 20.000 Studienplätze teilen, be-kommt man eine leichte Ahnung von den Zuständen in der Zu-kunft.

Eigentlich sollte mit den Verträgen zwischen Hochschulenund Senat, die den Unis ihre Budgets jeweils für mehrere Jah-re zusichern, die Zukunft der Unis sicherer werden. Das einzi-ge, was mit den Hochschulverträgen sicher ist: Es wird immerweiter gekürzt. Im Sommer dieses Jahres forderten die Unisbeim Wissenschaftssenator die voraussichtlichen Ein-sparun-gen für die Zeit nach den aktuellen Hochschulverträgen, alsobis 2009, an. Seine Antwort führte zu Debatten über die Auftei-lung, auch wenn Wissenschaftssenator Thomas Flierl betont,dass die Zahl 75 Millionen Euro nur zur Orientierung dient; Se-nat und Unis müssten sich noch abstimmen.

Die Freie Universität (FU), deren Präsident Dieter Lenzenim Gegensatz zu seinem TU-Kollegen Kurt Kutzler das Budgetals verbindlich betrachtet, hätte nach der derzeitigen Auftei-lung 26,3 Millionen und die Technische Universität (TU) 32,6Millionen Euro einzusparen. Das Kuratorium der TU hat dieEntscheidung über die Sparvorgaben Ende Oktober abgelehnt.Die TU fühlt sich in der Verteilung benachteiligt, weil sie bei-spielsweise einen Großteil der Geisteswissenschaften aufge-ben müsste.

Die Medizin von HU und FU wurden bereits Opfer vonSarrazin: Die Charité und das Universitätsklinikum ›BenjaminFranklin‹ fusionierten zur ›Charité – Universitätsmedizin Berlin‹.Derzeit suchen sie noch einen Vorstand und einen Modus fürForschung und Lehre.

Kann man die nächste Einsparwelle nicht verhindern?»Der Point of No Return ist überschritten, wir müssen jetzt in-tern Lösungen erarbeiten, damit die HU eine gute Uni bleibt«,sagt Prömel. Das HU-Präsidium stellte daher eine Streichlisteals Diskussionsgrundlage zusammen, die jedoch auf Wider-stand stieß. Dem HU-Präsidium wird vorgeworfen, mit seinerListe Tatsachen zu schaffen, wobei viele die Entscheidungenals fragwürdig und intransparent ansehen. »Der Schwarze Pe-ter wurde vom Präsidium seit Mitte Oktober denen zugescho-ben, die keinen Gegenvorschlag machen«, entrüstet sich HeinzOhme, Dekan der Theologischen Fakultät. Doch bis über dieKürzungen im Akademischen Senat abgestimmt wird, ist nochviel möglich – hoffen die Betroffenen.

Alexander Florin <

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Politik

> Es ist kein Geld da! Weder für den Mensabau in Adlershof,noch die Bücher in den Zweigbibliotheken oder die Renovie-rung und Modernisierung von Hörsälen. Ruinen schaffen ohneWaffen – an manchen Ecken unserer Universität gilt dieserSpruch bereits. Doch da gibt es eine Teilkörperschaft, die proSemester 190.000 Euro einnimmt. Manchen genügt diese In-formation, um schon einen Missbrauch zu wittern. Dieses tutauch der Spiegel, der über den Missbrauch von Geldern undder Misswirtschaft in den ASten dieser Republik und auchbeim RefRat berichtete. Nun kann ich den Zustand nicht bun-desweit beurteilen. Aber für die Humboldt-Universität zu Ber-lin kann und will ich dies tun.

Der RefRat hat sich eine breite Informations- und Unter-stützungsaufgabe gestellt. Diese ist durch die letzte Novellie-rung des Berliner Hochschulgesetzes rechtlich abgesichert.Damit ist einem Verbot oder einer Beschneidung des RefRatsdurch die Verwaltungsgerichte entgegenwirkt worden. Durchmeine Arbeit als Datenschutzbeauftragter erhalte ich Einblickin die Wirtschaftsberichte des RefRats und kann diesem Gre-mium bei der Organisation und dem Umgang mit Geld im Rah-men seiner eigenen basisdemokratischen Ordnung nur einenhohen Grad an Professionalität bescheinigen. Auch die Prüf-berichte des Landesrechnungshofes sowie die Berichte undStellungnahmen der Innenrevision kamen zu einem positiven

Ergebnis; ebenso wie das Präsidium dieser Universität, das dieRechtsaufsicht über den RefRat ausübt.

Sollten vereidigte Wirtschaftsprüfer, der Präsident desLandesrechnungshofes oder unser Präsident sich geirrt ha-ben? Oder sollten diese Personen gar den RefRat decken undein etwaiges strafbares Verhalten vertuschen wollen (was fürsich wieder eine Straftat wäre)? Kriminelle Vereinigungen aufhöchster Ebene? Wohl kaum! Kontrolle ist wichtig und richtig.Aber auch und gerade die Journalisten des Spiegels hätten mitgeringen Rechercheaufwänden zur Kenntnis nehmen können,dass es keinen Anhaltspunkt für eine Misswirtschaft gibt. Obman mit den Zielen des RefRates immer einverstanden seinmuss, steht hierbei auf einem anderen Blatt.

Im Vordergrund sollten die sozialen Errungenschaften desRefRats stehen: die Sozialklausel für das Semesterticket, einNothilfefond für unverschuldet in Not geratene Studierende, dieohne diesen exmatrikuliert würden, kostenlose Sozial- undRechtsberatung für Studierende und die Unterstützung desStudium Generale in Zeiten der Einsparung mit der Sense durchHerrn Sarrazin. Liebe Studierende vom RefRat: Macht weiter so!Und denkt immer daran, dass die Kontrolleure euch von Zeit zuZeit besuchen kommen. Das gehört zu den Spielregeln.

André KuhringDatenschutzbeauftragter der HU <

UNAUFgefordert november 2003

kommentar

Der RefRat und das liebe Geld – Neider, Journalisten und die Staatsgewalt

> Auf einen Präsidenten, der gegen den Willen der Studieren-den mehr sparen will, als der Berliner Senat von ihm verlangt,können wir verzichten. Erneut fordern wir den Rücktritt desPräsidenten und seiner Stellvertreter/innen.

Präsident Mlynek missbrauchte seine Stellung als AS-Vor-sitzender und griff manipulierend in die Sitzung ein, wodurchdiese zur Farce geriet. In einer dreistündigen Diskussion wurdedas Präsidium von allen Seiten scharf angegriffen und demstudentischen Alternativvorschlag zugestimmt. In der Abstim-mung fand der präsidiale Vorschlag dann eine große Mehrheit– selbst Vertreter/innen von abzuschaffenden Instituten ließenihrer vorherigen Kritik keine Taten folgen. Warum?

Der studentische Alternativvorschlag sieht unter anderemvor, die Bezüge der Professor/innen zwei Jahre lang auf Ostni-veau einzufrieren. Damit wären die jetzigen Stellen für denZeitraum der Hochschulverträge abgesichert. Außerdem sollgeprüft werden, ob das hauptamtliche Präsidium auf zwei eh-renamtliche Vizepräsident/innen zu verkleinern ist. Drittensübernehmen nach unserem Vorschlag die Kommission fürLehre und Studium und die Entwicklungs- und Planungskom-mission die Verantwortung für die weitere Strukturplanung.Damit wären die universitären Selbstverwaltungsgremien anden notwendigen Diskussionen besser beteiligt.

Dorothée BoothÖffentlichkeitsreferat, RefRat der HU <

Der HU-RefRat zur AS-Sitzung am 28. Oktober 2003

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Studieren

> Es ist Sonntag morgens um sieben. Ich schalte den Weckeraus. Auf dem Weg zur Dusche treffe ich meinen MitbewohnerMichael, der gerade von seiner Samstagnacht zurückkommt:»Sie haben David Hasselhoff gespielt!« Ich blicke ihn über-rascht an. »Alle Deutschen lieben doch David Hasselhoff?!«Ach so. Meine vier Mitbewohner sind Neuseeländer und wis-sen Bescheid.

Viertel vor Acht. Ich mache mich auf den Weg zur Uni unddenke zurück, wie alles begann.

It’s very metropolitan

Als ich mich für das Masterstudium an der University ofAuckland anmeldete, wollte ich vor allem nach Neuseeland, al-le Mittel waren recht. Ich muss eine Master-Arbeit schreiben?Geht klar, wenn ich nur nach Neuseeland kann. Natürlich hat-te ich auch ein fachliches Interesse. Als Ethnologe wollte ichmich auf Polynesien spezialisieren. Aber ich wollte auch einsa-me Strände mit weichem, schwarzem Vulkansand, uralte Re-genwälder mit exotischen Tieren und Pflanzen, eine Stadt di-

rekt am Meer, subtropisches Klima, das ganze Jahr warmesWetter. Das alles gibt es hier. Leider bekomme ich nicht allzuviel davon mit. Was ein Masterstudium wirklich bedeutet, istjetzt so deutlich wie ein Vorschlaghammer: verdammt viel Ar-beit.

Die Uni in Neuseeland ist, wie viele Unis im Angelsächsi-schen, weitaus verschulter als zu Hause. Es gibt richtige Klas-sen, seit neuestem sogar mit Klassensprechern. Auf postgra-duiertem Niveau sind die Klassen klein, wenn’s hoch kommtfünfzehn Leute, meistens jedoch unter zehn. Nicht geleseneTexte fallen da auf. Wer fehlt, muss kurze Zusammenfassungendes Lesestoffs schreiben. Dieses Semester geht von AnfangAugust bis Ende Oktober. In dieser Zeit muss ich 33.000 Wörterschreiben, etwa hundert Seiten. Anfangs war ich erstaunt, nurvier Seminare, das erschien mir recht wenig. Erstaunt bin ichnoch immer: unglaublich, wie viel man für ein Seminar arbeitenkann. Es ist eine sehr intensive Art zu lernen, und die ständigenTritte in den Hintern trichtern mir mehr Ethnologie ein, als dasin Deutschland je der Fall war. Ich lebe also jetzt in der Biblio-thek und träume vom Strand, der viel zu nah ist, um vergessenzu werden.

Mein Schulweg führt über die Autobahnbrücke. Es istStau, wie eigentlich immer. Neben dem akuten Verkehrspro-blem (öffentlichen Nahverkehr gibt’s nur sehr spärlich) hatAuckland auch viel Grün. Die Stadt wurde auf 52 (erloschenen)Vulkanen errichtet. Doch viele von ihnen stehen unter Natur-schutz und sind nicht bebaut. Die ›Stadt der Segel‹ (wegen dervielen Segelboote und dem Americas Cup) ist nicht die Haupt-stadt von Neuseeland, aber dafür die größte, arroganteste undvon vielen verabscheute Stadt. Laut, stinkig, gefährlich undüberlaufen, sagen die, die nicht hier wohnen. Der Rest vonNeuseeland ist zurückgeblieben, sagen die Aucklander. MeineKommilitonin Zoe blickt über die unendlichen Staus auf denerstaunlich zahlreichen Autobahnen. »I like the motorway,«sagt sie, »it’s very metropolitan.«

Spuren des Empire

Alle paar Meter laufe ich an einem kleinen asiatischenSpätkauf vorbei. Auckland ist stolz auf sein Multikulti-Image,eine richtige Metropole. Viele Menschen aus Asien leben hier,vor allem aber ist die Stadt die größte Ansammlung von Poly-nesiern in der Welt: insgesamt um die 150.000 Samoaner, Ton-ganer, Menschen aus Fiji, Niue und den Cook Inseln, Maorinicht eingerechnet. An der Uni sieht man allerdings wenig vonihnen: Gerade mal sechs Prozent der Studierenden sind Maoriund Pacific Island People, obwohl sie zusammen dreißig Pro-zent der Bevölkerung ausmachen. Die Stadt ist übersät mitSushi-Bars, asiatischen Food-Courts und Supermärkten. DieAucklander kaufen gerne in den verschiedenen ethnischen Lä-den ein – weiter geht die Freundschaft meist nicht. Kontaktzwischen den verschiedenen ethnischen Gruppen ist die Aus-nahme, Vorurteile sind eher die Regel.

Studieren in… Auckland

UNAUFgefordert november 2003

Gefangen in der Bibliothek und draußen lockt der Strand.

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Page 26: UnAufgefordert Nr. 140

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Ich laufe die Symonds Street hinunter zur Uni. Ein Mahn-mal liegt auf meinem Weg: »den tapferen imperialen und kolo-nialen Kräften und den freundlichen Maori«. Das Empire istnoch nicht ganz Geschichte in der Ex-Kolonie. Nicht nur dieMeldung in den Nachrichten, englische Wissenschaftler hättenendlich herausgefunden, wie die beste Cuppa gebraut wird;das Empire hinterlässt seine Spuren in der Architektur, manspielt Rugby und Cricket und frühstückt Baked Beans. Undnächste Woche ist Guy Fawkes Day. Guy Fawkes’ Heldenruhmrührt von dramatischen Ereignissen im England des 17. Jahrhun-derts her (die Polizei erwischte ihn bei dem Versuch, das engli-sche Parlament in die Luft zu jagen). Zum Gedenken an seinenTod durch Verbrennen wird deshalb jedes Jahr am 5. Novemberein Feuerwerk veranstaltet.

Das noch nicht ganz verglommene Empire hat allerdingsauch eine sehr ernsthafte Seite: Die Iwi (die verschiedenenMaori-Stämme) müssen um jeden Fußbreit kämpfen, sindschlecht dran, was ihre Gesundheit, Jobs und Bildung betrifft.Was Alan Duff in ›Warriors‹ schilderte, ist immer noch er-schreckende Realität.

Sommerferien bis März

Es ist halb neun und ich betrete den Graduate Room mitmeiner Graduate Swipe Card. Als Graduate Student hat manaufregend mehr Privilegien als die kleinen Grundstudierenden.Ich darf Bücher doppelt so lange ausleihen, habe Zugang zuallen möglichen Computerräumen und sogar einen Schlüsselfür das Institut. Ein Klassensystem par excellence.

Freudig erregt begrüße ich meinen Computer. Hätte ichdoch einen Undergraduate-Kurs belegt! Die scheinen das

ganze Semester auf Klassenfahrt zu sein, Saufspiele im Hof zumachen, abends in die Karre und cruisen auf der Queen Stre-et.

Mein Freund Joof aus Thailand ist schon da. An der Unistudieren viele aus Japan, China, Malaysia, Thailand. Die inter-nationalen Studiengebühren sind mit 17.000 bis 20.000 Neu-seeland-Dollar (etwa 8.000 bis 10.000 Euro) ziemlich gesalzen(Wenige wissen es und keiner weiß warum: Deutschland hateinen Sonderstatus; wir zahlen weniger). Die Eltern in derenHeimat sind entweder stinkreich oder übernehmen sich hoff-nungslos, um den Kleinen ein Studium im »Westen« zu finan-zieren. Und die Kleinen sind ziemlich geil auf schnelle Autos,die sie dann regelmäßig vor einen Baum fahren.

Abends um sechs bin ich wieder zu Hause. Heute ist Sonn-tag, da mache ich mal früher Schluss… Im Fernsehen kommenNachrichten. Sport – Da war doch noch was… Ach ja, der Restder Welt! Neuseeland ist ein sehr sicheres und sehr, sehr ruhi-ges Land, da wird sich nicht groß um Weltpolitik gekümmert.Heute tritt ein Gesetz in Kraft, dass den Anbau von genmani-pulierten Pflanzen erlaubt. Das hat viele aufgeschreckt, weitmehr als der Irak-Krieg das je geschafft hätte. Tausende warenin Auckland auf der Straße, große Plakate mahnen zur Besin-nung. In Wellington demonstriert ein Grüppchen Umweltfre-aks, bis die gemeine Streife anfängt zu schubsen. Unerhört: EinDemonstrant wird sogar weggetragen!

Das Semester neigt sich dem Ende entgegen, geschmei-dig wie ein Hurricane, der auf die kalifornische Küste prallt. Ar-beiten bis zur letzten Minute und dann: endlich, endlich Som-merferien – bis März! Schwelgen in dem, warum ich auch hierbin: Pazifikwellen, Fjorde, Gletscher, heiße Quellen im Sand,Weihnachten bei dreißig Grad – und natürlich Guy Fawkes!

Markus Balkenhol <

UNAUFgefordert november 2003

Foto: Markus Balkenhol

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Studieren

> Als ich den Raum voller CD-Player, Plattenspieler, Kassetten-rekorder, Verstärker und Kopfhörer betrete, erklärt Ingolf Hae-dicke einem Studenten gerade, wie man eine CD brennt. DerSechzigjährige ist Hausherr des Platten- und Tonbandarchivsdes Musikwissenschaftlichen Seminars der Humboldt-Univer-sität (HU), der »Phonothek«. Studierende und Dozenten kön-nen hier Musik hören oder kopieren. Ob Klassik oder Rockmu-sik, Haedicke erkennt nahezu jede Melodie, die man ihm vor-singt oder -pfeift und hat binnen kürzester Zeit denentsprechenden Tonträger parat. Über 12.000 Schallplattenstapeln sich im Nebenraum und im Keller, dazu mehr als 600Tonbänder und etwa 2.500 CDs. »Sie dürfen nicht vergessen«,sagt Haedicke, »dass Sie sich hier auf dem Gebiet der Deut-schen Demokratischen Republik befinden.« Erst nach derWende konnte er damit beginnen, Compact Discs anzuschaf-fen. Es gab sie im Osten nicht.

Haedicke hat sein Hobby zum Beruf gemacht. Von kleinaufan hat er genauso gern gebastelt wie Musik gemacht. Eigentlichwollte er Tonmeister werden. Heute ist er froh, dass er es gelas-sen hat. »Sonst hätte ich mich immer in Nichtraucherräumen hin-ter Glasscheiben mit Pianisten rumärgern müssen.« Nach fünfJahren musikwissenschaftlichem Studium an der HU stand erMitte der sechziger Jahre trotz guter Noten ohne Abschluss da,weil er kein Englisch konnte. Der damalige Institutsleiter richteteHaedicke trotzdem eine Assistentenstelle ein. Anfang der siebzi-ger Jahre lagerte man die Schallplattensammlung aus der Biblio-thek aus und Haedicke wurde mit ihrer Betreuung beauftragt.

Nebenbei sammelte und überspielte er Rockmusik, die il-legal aus dem Westen kam. »Zu DDR-Zeiten eine Platte zu be-kommen, war immer ein Abenteuer«, erzählt er. Noch in denfünfziger Jahren hatte sein Chef ein anti-amerikanisches Pam-phlet gegen Jazz geschrieben, den er als Bordell-Musik verun-glimpfte. Wie dachte man da erst über die Beatles und Stones?

Haedicke ging trotz aller Widerstände mit seinen Bändern zumRadio – und hatte überwältigenden Erfolg. »Mit primitivsterTechnik habe ich damals Radiosendungen gemacht, zu denenich heute noch Post kriege.« Auf ›DDR 2‹ gab es eine dreiteiligeBeatles-Serie, in weiteren Sendungen wurden die großenRockmusikplatten anderer Bands komplett gespielt. »Wir wuss-ten, dass unsere große Albumserie von Hunderttausendenmitgeschnitten wurde«, sagt Haedicke. »Wir haben damals Pio-nierarbeit geleistet.«

Über der Treppe steht ein goldenes Grammophon, dane-ben eine unscheinbare silberne Walze. Es ist der Original-Nachbau des ersten Phonographen von Thomas Alva Edisonaus dem 19. Jahrhundert. Haedicke besitzt neben dem Nach-bau sogar zwei echte Edison-Phonographen von 1903 und1912. »Nach letzten Schätzungen sind die etwa 30.000 Eurowert«, sagt er. Dann zeigt er mir noch seine neueste Errungen-schaft, einen kleinen blauen VW-Bus aus Plastik. Er hat ihn beiEbay ersteigert. »111 Euro für ein Spielzeug, man muss schonverrückt sein.« Er lächelt. Der Bus hat zwischen den Rädern ei-ne Abtastnadel, die ihn gleichzeitig lenkt. Setzt man ihn auf ei-ne Schallplatte, kommt aus dem Dach die Musik. »Ich freuemich schon, das den Studenten vorzuführen.« Haedicke machtjedes Semester Veranstaltungen zur Elektroakustik. Dort be-eindruckt er Studierende dann unter anderem mit original Edi-son‘schen Walzen von 1903. Er warnt vor den ältesten Tonträ-gern, die er besitzt: »Klingt scheußlich, aber Sie müssen sichdas Erstaunen der Leute vor über hundert Jahren vorstellen, alsaus der schwarzen Plaste plötzlich Musik kam.«

Haedicke kümmert sich auch um die Instandhaltung dermehr als 200 Geräte am Institut. Und er versucht, in den Unter-richtsräumen »idiotensichere Anlagen« zu schaffen. »Sie glau-ben gar nicht, wie ungeschickt sich Dozenten anstellen kön-nen.« Für einen älteren Professor bastelte Haedicke eine Spezial-

Fernbedienung, die er so präparierte, dass nur nochdie »Play«- und »Stop«-Tasten übrigblieben.

Wie alle Einrichtungen hat auch die Phonothekunter den Sparzwängen zu leiden. Während HaedickeAnfang der Neunziger Jahre noch zwischen 40.000und 50.000 Mark pro Jahr zur Verfügung standen,kann er heute nur noch etwa 2.000 Euro für CDs aus-geben. Manchmal ist er ein wenig enttäuscht darüber,dass nicht mehr Studierende die Phonothek nutzen. Erglaubt, dass das an der Ausrichtung der Musikwissen-schaft an der HU liege. »Es geht hier in erster Linie dar-um, aus drei Büchern ein viertes zu machen.« In derDDR sei die Stoßrichtung eine andere gewesen, auchdas musische Klima habe sich verändert. »Damalsspielten alle Studenten in irgendwelchen Gruppenmit.« Haedicke weiß jedoch, dass das auch mit derschlechten Raumsituation zu tun hat – es gibt kaumÜbungsräume. Trotzdem muss er über die fehlendeBereitschaft, Musik zu hören, manchmal den Kopfschütteln. »Musik erfahren kann man nicht durchBücher«, sagt er. »Man kann auch nicht Kunstwissen-schaft studieren, ohne sich mal ein Bild anzugucken.«

Daniel Schalz <

Uni-Helden: Der Musikexperte

UNAUFgefordert november 2003

Foto: Susanne Vangerow

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Leben

Im November

Filmfoto: »Der Strass«, 1991

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Leben

> Es waren einmal eine Handvoll grimmiger Raubritter, die ineinem dunklen Schloss tief im Wald hausten. Sie überfielen un-schuldige Händler auf dem Weg nach Jüterbog oder Leipzig –kurz: sie kontrollierten ihr Umland mit harter Hand. Jeder zit-terte, hörte er von dem Ort »Vynsterwalde«.

Knapp 800 Jahre später ist das Städtchen froh, wenn ›FürstPlatzeck‹, wie Brandenburgs Ministerpräsident hier gern ge-nannt wird, vorbeischaut und auf dem Weg nach Senftenbergnoch schnell einen Scheck über 650.000 Euro hinterlässt. Dochauch wenn das kurz vor der Landtagswahl in Brandenburg ge-schah, es half alles nichts. Gerade einmal vier von 27 Plätzenkonnte die SPD für sich im Stadtrat gewinnen. Genauso vielwie die PDS. Dabei hatten alle nach 1989 so viel Hoffnung.Mehr als 13 Millionen Euro hat das Land Brandenburg seitdemin die Stadt investiert. Graue Plattenbausiedlungen wurdenbunt angestrichen und alte Fachwerkhäuser grundsaniert. DieAbwanderung reißt trotzdem nicht ab. Die Arbeitslosenquoteliegt irgendwo zwischen 20 und 25 Prozent; die über die Stadtverteilten »Räumungsverkauf«-Schilder sprechen für sich. Die

Seniorenquote liegt sechs Prozentüber dem Bundesdurchschnitt unddie Finsterwalder Rundschau feiertin jeder Wochenend-Ausgabe ein»Baby der Woche«. Die meisten Ju-gendlichen zieht es nach Cottbus,Leipzig oder Berlin.

Für die übrig gebliebenen20.000 Einwohner bleibt eine Stadtmit unaufdringlichen Highlights: einKino mit zwei Sälen und niedrigenEintrittspreisen, ein Tierpark mitDachs, Dingos und Waschbärenund wer abends etwas erleben will,der geht in ›Radigk’s Brauhaus‹. DerHausherr Bernhard Radigk brautsein Bier in fünfter Generationselbst, »unfiltriert«, wie er betont. Essei praktisch »Bier zum Schlanktrin-ken«, mit einer Extraportion VitaminB. Und nur Langweiler bestellensich davon hier einfach ein Glas. Diemeisten ordern einen »Meter« undbekommen dann zwölf Gläser, auf-

gereiht auf ein-Meter-langen Holzbrettern. Wer einen »Tower«bestellt, kann sich sein Bier selber aus einem gläsernen Zylin-der zapfen und wer zum Stammtisch gehört, hat den Zapfhahnsamt Zählwerk gleich am Tisch. Der Rekord liegt bisher bei100,6 Litern an einem Abend.

Bekannt ist Finsterwalde aber erst durch seinen Zusatzti-tel »Sängerstadt« geworden. Das Lied »Wir sind die Sänger ausFinsterwalde« war vor rund hundert Jahren ein Berliner Gas-senhauer. Noch heute ist es die Hymne der Stadt. Vor der Kreis-sparkasse steht eine Statue mit drei Sängern, auf dessenSockel man die Geschichte von den singenden Soldaten liest.Die Finsterwalder unter ihnen hatten nach entbehrungsreicherSchlacht singend wieder zueinander gefunden. Die Stadtver-waltung hält seitdem diesen Mythos mit einem regelmäßig ver-anstalteten »Sängerfest« aufrecht. Das größte Konzert für dieFinsterwalder war trotzdem der Scorpions-Auftritt vor drei Jah-ren. Davon wird man sich noch lange erzählen, genau wie vonder Geschichte über die Raubritter von einst.

Sören Kittel <

UNAUFgefordert november 2003

Metropolen in Deutschland:

Finsterwalde

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Leben

UNAUFgefordert november 2003

> Ungarn ist ein Paradies – für man-che, weil der Zahnarzt so preiswertist. Für andere wegen des Weins. FürOmis und Opis wohl wegen der Ku-ren an einer der heißen Quellen. Fürmich aber ist es das Essen.

Am meisten haben es mirSüßspeisen angetan: Palatschin-

ken, Esskastanienpüree, Somloier Nockerln, Dobos-Torte undPflaumenklöße. Empfehlenswert ist auch der zweite Biss in ei-nen Túró-Rúdi, eine Art Quarkschokoriegel, bei dessen ersterVerkostung es mir im negativen Sinne die Sprache verschlagenhat, als ich einem erwartungsvollen Ungarn mitteilen musste,dass das nicht so ganz mein Geschmack sei. Mittlerweile binich süchtig danach.

Allerdings bin ich mit der herzhaften ungarischen Kücheimmer noch in der Anfreundungsphase. Ich liebe Letscho, undich lasse mich auch gern hin und wieder auf ein öliges Käse-Lángos ein. Es ist noch nicht einmal das fettige Essen, was mirdas Leben mit Herzhaftem hier schwer macht, sondern, dass

ich als Vegetarierin offenbar einer sehr exotischen SorteMensch angehöre. Gemüse wird tatsächlich ausschließlich alsBeilage verstanden. Mein Supermarkt hat ein dementspre-chend reichhaltiges Angebot: massig Zwiebeln und Knob-lauch, manchmal noch drei Paprika und fünf Tomaten.

Als mein Freund seiner ungarischen Oma erklärte, dassich nichts vom Rollbraten essen werde, hatte ich arge Befürch-tungen, sie würde gleich ohnmächtig vor lauter Fassungslosig-keit. Ich konnte sie dadurch beruhigen, dass ich mir Unmengenvom panierten Blumenkohl auf den Teller lud. Als wir gingen,meinte sie versöhnlich, dass sie mir zuliebe das nächste MalHühnchen machen würde. Es war mir etwas unangenehm, ihrzu erklären, dass ich auch kein Huhn esse. Dieses Mal standsie kurz vor einer Herzattacke.

Nun, wir haben alle überlebt. Die alte Dame wohl, weil siealles so schön auf die merkwürdige Jugend schieben kann undich, weil es immer noch all die unwiderstehlichen Süßspeisengibt. Wahrscheinlich werde ich Ungarn demnächst auch we-gen der Zahnärzte loben müssen.

Julia Willerding <

E-Mail aus… Budapest

»Du weinbergschnegge!«> Die ›Mary Jane Bar‹ auf der Kastanienallee quillt über. Die Leu-te stehen bis zur Straße. Von drinnen tönen Schreie. »Des gibt’sdoch escht net!« Auf zwölf Quadratmetern stehen gut 40 Men-schen dicht an dicht und starren gebannt auf den Fernseher inder Ecke. Er trohnt auf einer Fahne des 1. FC Kaiserslautern.»You’ll never Walk Alone« steht drauf – an diesem Sonntag-abend besteht daran kein Zweifel. Lauternspielt gegen den HSV – und macht nach ei-ner halben Stunde das 1:0. Die Mary Janewackelt, die Mary Jane singt. Nicht nur die Begeisterung ist einIndiz dafür, dass sich das fast ausschließlich männliche Publi-kum überwiegend aus waschechten Pfälzern zusammensetzt.Oder hat irgendjemand schon mal einen Berliner »Nu bewegdisch doch mal, du Weinbergschnegge!« rufen hören?

Immer noch drängeln sich Leute – »Isch bin ma volldreist…« – in die Bar, die mit ihrem in UV-Licht getauchtenMondlandschaft-Pappmaché und den Lichterketten hinter derBar ziemlich trendy aussieht. Für den Hinweis, dass das Spieldrei Häuser weiter im ›Kastaniengrill bei Ismail‹ auch läuft undda nur drei Leute rumhängen, haben zwei junge Frauen nur einmitleidiges Lächeln übrig. Auch sie quetschen sich rein. EinAusschank ist kaum möglich, was den beiden Jungs hintermTresen allem Anschein nach ganz recht ist. Auch sie sind vollauf das Spiel konzentriert. Erst in der Pause läuft das Weizen inStrömen. Kurz danach Elfmeter für Lautern. Klose – »Der Miromacht’s!« – haut ihn rein. Partystimmung. Lautern kämpft, Lau-tern grätscht. Zur Freude des versammelten Pfälzer Exils: »Im-mer druff!«

Nach dem 3:0 bekommen die Vorbeigehenden auf der Ka-stanienalle im Stakkato mitgeteilt: »Hier regiert der Eff-Zeh-

Ka!«. Als wenig später auch noch das vierte Tor für die rotenTeufel fällt, wackelt das Pappmaché. Es inspiriert die Anwesen-den gar zum Vereinslied: »Olé-olé, olé-ola, der FCK ist wiederda…« Das klingt nach Betze. Fehlt nur noch die abschließendeSpielanalyse: »Die ham heut’ rischtisch konschtruktiv gespielt!«

Daniel Schalz <

Fußball in der Fremde (II): 1. FC Kaiserslautern

Mary Jane Bar, Kastanienallee 24

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Berlin Kultur

> Als ich klein war, dachte ich immer, Berlin, das ist da, wo allein besetzten Häusern wohnen und den ganzen Tag lang »TonSteine Scherben« hören. Und Reinhard Mey. Was das allesbringen sollte, war mir nicht so ganz klar, aber es klang, als hät-te man eine Menge Spaß dabei. Berlin war auch immer sehr,sehr weit weg. Eine Art Zufluchtsort, wie ein Versprechen. Ber-lin war wichtig, aber nicht unbedingt monatelang an der Ta-gesordnung.

Dies scheint sich in den vergangenen Jahren massivgeändert zu haben. Für alle Medien, gerade in den bundeswei-ten, ist Berlin inzwischen ein Thema geworden. Kaum schaltetman den Fernseher an oder hört in einer fernen Stadt Radio,wird man mit Berichten über die Hauptstadt vollgedröhnt, dieoftmals einfach nur zum Inhalt haben, wie toll diese Stadt dochsei. Natürlich – Berlin hat große Vorteile: Die Mieten sind rela-tiv niedrig, das kulturelle Angebot ist (noch) hervorragend undauch, dass die politische Macht sich hier ballt, mag durchauswichtig und interessant sein. Aber rechtfertigt das diesen me-dialen Overkill? Vielleicht hat einfach nur noch niemand er-

kannt, was wirklich dahintersteckt: Alle, die am Puls der Zeitsein wollen, rennen in die Hauptstadt. Und wer noch nicht aufdem Weg ist, wird von denen, die schon hier sind, durch unter-schwellige, mediale Manipulation aufgefordert, auch herzu-kommen. So sieht’s doch aus!

Gibt man bei Google ›nach Berlin umziehen‹ ein, bekommtman etwa 700 Treffer, bei ›Umzug nach Berlin‹ sind es sogar4.300. Da kann man mal sehen, wer alles herkommen will. ImMoment scheint sich Berlin zur Musikmetropole Deutschlandszu mausern. Immer mehr große Plattenfirmen zieht es dorthin,wo die Konkurrenz bereits sitzt. Sony ist schon länger hier, EMIebenfalls. Letztes Jahr zog Universal aus Hamburg an dieSpree, der Deutsche Phonoverband wird bald folgen. NächstesJahr kommt dann auch MTV Deutschland von München genNorden gekarrt, damit es möglichst gleich noch live von derebenfalls aus Köln hergezogenen Popkomm berichten kann.Ach ja: Warner Music Germany verhandelt übrigens ebenfallsgerade mit Berlin über günstige Konditionen.

Nicht nur große Konzerne, sondern auch kleine Plattenla-bels scheinen immer mehr dem angeblich so unbeschreibli-chen Feeling der Hauptstadt verfallen zu sein. Nun gut, FourMusic, das Label der Fantastischen Vier, zog vor allem ausStuttgart weg, weil dort die Mieten extrem hoch sind, und kul-turell ambitionierten Leuten oftmals bürokratische Steine imWeg liegen. Also sind sie hier, haben ihre Künstler mitgebrachtund konkurrieren nun mit vielen weiteren kleinen Labels wiebeispielsweise Kitty Yo. Es sind auch eher die kleineren Labels,die den so typischen Berlinsound prägen, der das eben ge-nannte unbeschreibliche Feeling klanglich untermalen soll.

Dabei streiten sich die Experten aufs Heftigste, was für einSound das denn sein soll. Ist es der Reggea-Ragga von Seeed?Oder deutschsprachiger Neo-NDW-Electro-Pop-Punk von Miaoder Wir sind Helden? Oder einfach vor sich hintröpfelnder El-ectro, Rock oder gar HipHop? Oder ist vielleicht sogar Peachesdie berlinerischste Künstlerin überhaupt, weil sie aus Kanadastammt und somit den weiteren Weg hat? Eigentlich sollte dieseStadt doch groß genug sein, um einen typischen Sound garnicht mehr nötig zu haben. Das restliche Bundesgebiet jeden-falls scheint eher genervt. Wenn die Kölner Band Angelika Ex-press »Geh doch nach Berlin!« singt, dann ist das jedenfalls ein-deutig unbegeistert gemeint.

Und trotzdem, woher kommt es, dass so viele ausländi-sche Studierende leuchtende Augen bekommen, wenn sie vonBerlin sprechen? Dass man plötzlich Freunde hat, von denenman gar nicht mehr wusste, dass sie noch leben und die einennur anrufen um zu fragen, ob sie einen mal besuchen können:»jetzt, wo du in Berlin bist, weißt du?« Vielleicht sind sie alle aufder Suche nach dem, was an Berlin so besonders sein soll. Viel-leicht haben es diejenigen am ehesten gefunden, die an einemHerbstnachmittag auf einem Hochbahnsteig der U-Bahn ste-hen, leicht vor sich hinlächeln und im Geiste »Big in Berlin« vonden Sternen hören. Wenn man es sich nur intensiv genug ein-bildet, ist es nämlich plötzlich da, dieses leichte Flattern imBauch, als wäre man verliebt. Dann weiß man: Man hat es ge-funden, das unbeschreibliche Gefühl. Das ist: Einfach hier zusein, gerade jetzt im Moment. Hier – in Berlin.

Doris Mall <

»Berlin, Du bist so wunderbar«Kaiserbase

»Mama Berlin, Backstein und Benzin,wir lieben Deinen Duft, wenn wir um die Häuser zieh’n.«

Seeed

»Hoch ob’m im Wedding, oda in Charlottenburgam Theo, am Theo, dit is ne Gegend wo ick nich so oft langgurk,

weil ick wohn am Görli Görli«PR Kantate

»Aber zu Haus kann ich nur in Berlin sein,da ist das Leben, da wohnt der Bär.

Denk’ ich ›zu Haus‹, fällt mir nur Berlin ein,da bin ich glücklich, da fehlt mir nichts mehr.«

Reinhard Mey

»Ein Himmel voller Lichter wärmt die Herzen hier,ein Meer voller Attraktionen und dazwischen wir

sind viele und wir sind zu zweitWir sind Big in Berlin tonight«

Die Sterne

»Where have you beenWere was I going

Angel Of Berlin, Angel Of Berlin You’ve been so close but I didn’t see you

Angel Of Berlin, Angel Of Berlin«Martin Kesici

Auf der Suche nach einem Gefühl

UNAUFgefordert november 2003

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Berlin Kultur

> Eigentlich kennt man doch die gängigen Klischees: Die Ber-liner sind unfreundlich, die Hunde lästig aber notwendig, dieStadt hässlich aber voller Geschichten. Stellt sich die Frage:Warum noch ein Berlinbuch lesen. Antwort: Weil es MonikaMarons Berlin ist, das hier eine literarische Liebeserklärungbekommt. Sie erzählt mit scharfer Beobachtungsgabe in demsehr persönlichen und dichten Stil, den man aus ihren Essay-sammlungen und Romanen kennt, von dieser Stadt und sichselbst. Man kann ihr begegnen, wie sie sich begegnet, demKind, der Jugendlichen, der frisch verliebten und zurück-blickenden Berlinerin Monika Maron. Der Schülerin, der DDR-Bürgerin, der Freundin, der kritischen Beobachterin undglühenden Verteidigerin Berlins.

»An einem sehr warmen Frühlingstag vor dreiundvierzigJahren habe ich zum ersten Mal gedacht, dass ich die Stadt, inder ich geboren wurde und fast alle Zeit meines Lebens ver-bracht hatte, liebe […]. Ich sah auf die verdreckte Asphalthautder Chausseestraße und dachte, dass ich sie umarmen wollte,mich mit ausgebreiteten Armen flach auf die Straße legen unddie Straße, die Stadt umarmen.« Wer jetzt glaubt, eine Liebes-erklärung sei nur schwärmerisch und verklärt, hat sich sehrgetäuscht. Maron ist sich auch der negativen Seiten Berlinsbewusst – »eigentlich sind wir nett« – so dass in ihren Textenimmer ein Trotzdem mitschwingt.

Entstanden sinddie Skizzen sowohl inder DDR als auchnach der Wende, derjüngste ist von 2003.Die Mauer und inner-deutsche Grenze sindimmer wieder Themaund schwingen inihren Betrachtungenmit, mal traurig, malphilosophisch. »DieStadtmitte der Haupt-stadt ist ihr westlicher Außenbezirk. Die Mitte ist die Grenze;das Nichtüberschreitbare ist die Mitte, auch des Denkens. Da,mitten in die Mitte hinein führt eine Tür, ein eisernes, braun an-gestrichenes Tor, durch das die von draußen kommen, vondrüben, aus dem Westen, wie immer einer das nennt. Die Türhat nur auf einer Seite eine Klinke, auf der anderen.«

Monika Maron scheint es gefunden zu haben, das unbe-schreibliche Gefühl Berlin. Illustriert ist das Ganze mit den Fotosihres Sohnes Jonas Maron, der damit auch seinem Geburtsortgleich noch ein Denkmal setzt.

Urte Schubert <

Liebeserklärung an eine stadt »…wo man in der eigenen Stadt verreisen

kann wie an einen fremden Ort«Monika Marons »Geburtsort Berlin«

UNAUFgefordert november 2003

»Hier spricht Berlin – Geschichten aus einer barbarischen Stadt«Georg Diez, Nils Minkmar, Peter Richter, Claudius Seidl, Anne Zielke Kiepenheuer & Witsch, 2003, 223 Seiten. 8,90 Euro

> »Wie ich lernte Berlin zu hassen« lautet die erste Zeile einesWerkes, das fünf Journalisten der ›Frankfurter AllgemeinenSonntagszeitung‹ verfassten. Diese Handvoll Neuberliner, alle-samt beim Feuilleton der Zeitung beschäftigt, haben ihre Erleb-nisse in fast 60 »Erfahrungsberichten« zu Protokoll gegeben.

Berlin wird als Stadt des Mangels, der Improvisation, derLangsamkeit empfunden, so als ob die »Hauptstadt der DDR«ihren Geltungsbereich noch auf den Westen der Stadt ausge-dehnt hätte und sich nur noch anhand der Ampelmännchen undLänge der Ampelphasen vom Westen unterscheiden ließe. Keinguter Käse wäre zu bekommen, sondern »Bonbel« als die Berlin-variante eines Edelkäses – sprich eine Stadt ohne Stil und gutesBenehmen sei Berlin, zumal man hier unter Abendgarderobe einrotes Sakko verstehe. Voller Alltagsbeobachtungen ist diesesBuch, über exhibitionistische, laute, prollige, naive Berliner.

Das Besondere an diesem Buch ist, neben dem hohen Un-terhaltungswert und der Tatsache, dass es sehr gut geschrie-

ben ist, dass es nicht nur den ›Berliner an sich zeigt‹, sondernvor allem den Neu-Berlinern einen Spiegel vors Gesicht hält. Esbeleuchtet die selbst empfundene Bedeutsamkeit all der Leu-te, die denken, der Nabel der Welt wäre in Berlin und alles wür-de sich um sie drehen. Bloß wird man nicht cool oder wichtig,weil man Unter den Linden flaniert oder in Mitte oder im Prenz-lauer Berg seine Freizeit verbringt.

Ob der Berliner nun mit Hertha BSC den »fürchterlichstenVerein der Bundesliga« anfeuert oder der Currywurst einenüberhöhten kulinarischen Stellenwert einräumt – das Buch istvoller Schrulligkeiten über Berlin und seine Einwohner. Reichtder Anschluss an die Republik Österreich aus, wie es als Lö-sungsvariante im Buch zu finden ist?

Ob nun allen Neuberlinern die »Tassen aus dem Schrank«fliegen oder nur den Autoren, soll jeder für sich nach Lektüredieses Buches entscheiden. Auf jeden Fall ist es die perfekteLektüre für die langwierigen Aufenthalte in den öffentlichenNahverkehrsmitteln, die die Entdeckung der Langsamkeit täg-lich aufs Neue ausführlich zelebrieren, in einer Stadt, in der Frei-zeit, so die Autoren, mehr als alles andere vorhanden ist.

Volker Lake <

Neu-Berliner im Spiegel

Fischer-Verlag, 2003, 128 Seiten, 13,90 Euro

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Berlin Kultur

> Ob als hippes Lifestyle-Kabinett oder triste Plattenbausied-lung – die Hauptstadt boomt als Schauplatz des deutschenFilms. Für viele Filmemacher der Gegenwart und Vergangen-heit ist Berlin jedoch mehr als nur Großstadtkulisse. Mit ihrerbewegten jüngeren Geschichte zwischen Weltkrieg und Nach-wendezeit verkörpert die Metropole rasante Veränderung unddient als Symbol schmerzhafter Trennung und nicht minderschmerzhafter Wiedervereinigung. Als solches ist Berlin nunThema einer zehnteiligen Filmreihe, die im Kino ›Nickelodeon‹vom 20. November bis zum 25. Februar 2004 läuft. Der Titel istProgramm: »Berlin – Geteilte Stadt im Film«.

Iris Praefke, die an der HU Sozialwissenschaft studiert, hatdas Projekt organisiert. Sie ist gleichzeitig Filmvorführerin imNickelodeon und hatte die Idee einer Filmreihe während ihreseinjährigen New York-Aufenthaltes. Zurück in Berlin konnte siesowohl die Betreiber des Kinos wie auch ihren Dozenten Hart-mut Häußermann des Arbeitsbereiches Stadt- und Regionalso-ziologie an der HU für ihren Plan gewinnen. Häußermann,Schirmherr der Veranstaltung, befasst sich sowohl in dem For-schungsprojekt »Contested Cities« wie auch in dem gleichna-migen Seminar mit der Erfahrungswelt politisch, religiös undethnisch geteilter Städte. Die Lehrveranstaltung fand im letztenSommersemester zum zweiten Mal parallel an Unis in Chicago,

Belfast und Jerusalem statt. Alle paar Wochen diskutierten dieSeminarteilnehmer per Internetkonferenz länderübergreifendmiteinander.

Um den Vergleich verschiedener Sichtweisen und Erfah-rungswelten ging es Iris Praefke auch bei ihrer Filmauswahl.Ost- wie auch Westpers-pektiven auf Teilung und Einheit Ber-lins durch die Jahrzehnte wollte sie zeigen. Die Suche nach»Mauerfilmen« auf DDR-Seite stellte sich dabei als wesentlichergiebiger dar. »In DEFA-Filmen ist der Westen als Bezugs-punkt immer präsent«, stellte sie fest. In Westproduktionen da-gegen diene die Stadt zumeist nur als Kulisse, werde der Tei-lungsaspekt weitestgehend ignoriert. Eingeschränkt wurde dieFilmsuche zudem dadurch, dass einige Filme nirgendwo ver-fügbar waren. Fündig wurde die Studentin allein bei zwei Klas-sikern: Billy Wilders parallel zum Mauerbau gedrehter Komödie»Eins, Zwei, Drei« (1961) und »Der Himmel über Berlin« (1987)von Wim Wenders.

Als prominente Gegenstücke von diesseits der Mauer gibtes »Berlin – Ecke Schönhauser« (1957) über Alltagsleben, Aus-bruchsversuche und Erwachsenwerden einer ostdeutschenJugendclique zu sehen, wie auch Konrad Wolfs Liebesge-schichte »Der geteilte Himmel« (1964). Doch sollen im Rahmender Berlin-Reihe nicht nur vorwiegend bekannte Titel dem Pu-blikum präsentiert werden. So steht »…und deine Liebe auch«(1962) auf dem Programm, eine Dreiecksgeschichte vor demHintergrund des Mauerbaus, der in dieser DEFA-Produktionerstmals thematisiert wurde.

Filmische Raritäten finden sich auch in der zweiten Hälfteder Kinoreihe, die sich mit Atmosphäre und Leben im Berlin derWende- und Nachwendezeit befasst. Im Zentrum des west-deutschen Filmes »Ostkreuz« (1991) steht das Schicksal dreierJugendlicher in einer unwirklichen, unwirtlichen Stadtland-schaft direkt nach dem Mauerfall. »Der Strass« (1991) als einerder letzten DEFA-Produktionen erzählt vom Zerplatzen privaterund beruflicher Träume eines Berliner Fotojournalisten undzeugt von der neugewonnenen stilistischen Freiheit ostdeut-scher Filmemacher. Als Geheimtipp empfiehlt Iris Praefke »Go-rilla Bathes at Noon« (1993) des jugoslawischen RegisseursDusan Makavejev: die phantasievolle Großstadtodyssee einesrussischen Majors, der von seiner Truppeneinheit in Berlinzurückgelassen wurde. Den Abschluss im nächsten Februarbilden zwei bekanntere Produktionen der jüngsten Vergangen-heit: der aktuell laufende Dokumentarfilm »Mittendrin« (2003)und Hannes Stöhrs hochgelobter Spielfilm »Berlin is in Ger-many« (2001).

Doch »Berlin – Geteilte Stadt im Film« ist mehr als ein Film-abend. Um die Veranstaltung in einen wissenschaftlichen Kon-text zu stellen, organisierte Iris Praefke programmbegleitendeVorträge. Auch wird es Publikumsgespräche mit Regisseurenund Schauspielern geben. Als künstlerische Untermalung zeigtdas Nickelodeon zeitgleich die Fotoausstellung »BerlinFrollein« von Kirsten Kiesow. In lustigen, skurrilen, leicht eroti-schen Bildern erzählt sie den fiktiven Tag einer jungen Frau inder Hauptstadt und präsentiert dabei ausnahmsweise ein Ber-lin jenseits von Ost- und Westproblematik.

Nina Töllner <Infos: www.stadt-im-film.de und S. 41

Geteilte Filmstadt Berlin

UNAUFgefordert november 2003

»Gorilla Bathes at Noon«

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Kultur | Theater

> Henrik Ibsens »Nora« ist ein Sinnbild für Emanzipation. Aberwarum? Mit seiner Inszenierung an der Vaganten-Bühne gehtRegisseur Folke Braband der Frage nach. Schauplatz ist dasmodern eingerichtete Wohnzimmer von Nora (Esther Linken-bach) und Helmer (Fritz Bleuler). Die beiden führen eine kon-ventionelle Ehe: Ihm steht eine Beförderung bevor und siekümmert sich mit dem Hausmädchen um die Kinder.

Es ist Weihnachten und beinahe alles, was Helmer interes-siert, ist, ob seine Frau wieder von den Makronen genascht hat.Aber sonst ist Nora sein »Eichhörnchen« und »Zuckerpüpp-chen«, das auf der Silvesterparty zum Vergnügen aller eine Ta-rantella tanzen darf. Nora ist wenig motiviert. Sie hat andereSorgen. Vor Jahren hatte sie eine Unterschrift gefälscht, um dieKur für ihren todkranken Mann zu bezahlen. Davon weiß er al-lerdings nichts und würde für ihr Handeln auch kein Verständ-nis haben. Ihr Geheimnis droht aufzufliegen, als Krogstad (Ro-manus Fuhrmann), mit dem sie den Deal abgewickelt hatte, siebittet, ihm eine Arbeitsstelle bei ihrem Mann zu verschaffen.Just die Stelle, die sie bereits ihrer notleidenden Freundin ver-

> »Wenn ich möchte, könnte ich in 15 Minuten einen Mannhier haben«, verkündet Shelly (Katharina Voß) stolz. Allerdingsmit einem angeknacksten Stolz, denn gerade wurde sie mittenin der Nacht von Andy verlassen. Zudem ist sie mit der Mieteim Rückstand. Dem wird abgeholfen, als kurz darauf Cloris(Katja Heinrich) in ihrer Ein-Zimmer-Wohnung auftaucht. Sieselbst hat gerade ihren Freund verlassen und sucht eine neueBleibe, vor allem eine ohne Männer.

Im Potsdamer Hans-Otto-Theater ist zu sehen, wie mit die-sen zwei weiblichen Singles Welten aufeinander prallen.Während Shelly verkündet: »Mit Männern spricht man nicht,mit Männern vögelt man«, fragt sich Cloris: »Ist denn alles nurSex? Ich will geliebt werden. Ich will, dass man mich braucht,dass man nett zu mir ist. Ich möchte geben, … teilen, … fühlen.«

In ihrem Stück »Diese Männer« skizziert Mayo Simon inkleinen, aber pointierten und humorvollen Episoden die ver-schiedenen Phasen, die solch ein weibliches Zusammenleben

Eine Tarantella für den Hausfrieden

UNAUFgefordert november 2003

Schlampe meets Good Girl

durchmacht: skeptisches Beobachten der anderen, Näher-kommen, Streit um einen Mann, kurzzeitiges harmonischesMiteinander, auf das doch der bittere Schluss folgt.

Diese Schlaglichter wurden einfühlsam und witzig vonBettina Jahnke inszeniert, beispielsweise als Cloris sich mit Ku-scheltier und Radio im Kleiderschrank versteckt, um ShellysMänner-Manie zu entkommen oder als Shelly demonstrativden Staubsauger ins Zimmer stellt, um Eindruck zu schinden,als sie Cloris erwartet. Die beiden Schauspielerinnen sind einegelungene Besetzung, die die Figuren sympathisch und glaub-würdig ausfüllen.

Geknüpft an das Hauptthema Mann, von dem stets direktoder indirekt die Rede ist, geht es in dem Stück um Liebe,Sehnsucht und letztendlich auch darum, nicht allein zu sein,egal in welcher »Gender-Kombination«.

Sabine SchereckTermine beider Stücke: S. 41 <

sprochen hat. Als Helmer doch von den zurückliegenden Er-eignissen erfährt, versucht er, diese zu Noras »Schutz« zu ver-tuschen. Aber Nora ist es leid, stets wie ein kleines Mädchen be-handelt zu werden. Sie geht und taucht ihren Rock gegen eineHose aus.

Folke Braband hat das Stück in die Gegenwart geholt undbeweist, dass es auch dort einen Platz hat, denn Beziehungs-probleme, Kampf um Arbeit und Schatten der Vergangenheitstehen heute noch auf der Tagesordnung. Das Besondere ander Inszenierung ist, dass die feine Psychologie des Dramasspürbar wird. Die Figuren sind scharf gezeichnet und ihr Tonbeschwört eine unheimliche Spannung zwischen ihnen herauf.Diese Wirkung ist auch dem Bühnen- und Kostümbildner Step-han Dietrich zu verdanken. Das schlichte aber elegante Wohn-zimmer und die maßgeschneiderten Kostüme lassen Raum fürdas, was zwischen den Figuren passiert. Mit dem steten Blickauf das scheinbar Private wird man unversehens Zeuge einesmitreißenden Kammerspiels.

Sabine Schereck <

Page 35: UnAufgefordert Nr. 140

36

Kultur | Literatur

> Russland: Ein geheimnisvolles Land, das noch immer etwa einSechstel der Erdoberfläche einnimmt. Ein Land mit reicher, aberunübersichtlicher Kultur und ein paar schwer auszusprechendenKlassikern der Weltliteratur. Russland – das war das Schwer-punktland auf der diesjährigen Frankfurter Buchmesse.

Wer meint, die Lektüre eines aktuellen Romans verschaffemehr Klarheit über Land und Leute, irrt. Selbst wenn man alleNeuerscheinungen durchlesen würde, bliebe die Frage nach denWerten dieser sich neu formierenden Gesellschaft offen. Deswe-gen liegt es nahe, die Ansprüche herunterzuschrauben und zumBeispiel einen der zahlreichen von weiblichen Autoren verfasstenKrimis herauszugreifen. Es bietet sich Ex-Milizleutnant AlexandraMarinina (»Mit tödlichen Folgen«) an, die als erste russische Kri-minalautorin in Deutschland bekannt wurde und deren Verkaufs-zahlen in Russland im zweistelligen Millionenbereich liegen.Auch Polina Daschkowa (»Russische Orchidee«) und Darja Don-zowa (»Der unschuldige Mörder«) tragen zur Etablierung des Kri-mis als russisches Markenprodukt bei.

Klischees werden durch die mit Vorliebe in Moskau spie-lenden Krimis erneut und mit Hilfe dramaturgischer Raffinessebeinahe kunstvoll aufgegriffen: Die neureichen Russen im ge-

fährlichen Netz von Mafia, Korruption und Showbusiness aufder einen Seite, auf der anderen alltagsnahe Protagonisten wiedie Französischlehrerin Dascha (Alter Ego von Donzowa, einerehemaligen Französisch- und Deutschlehrerin), die in ihremKofferraum eine Leiche findet und trotz aller Anklagen an dieUnschuld ihres Ex-Mannes glaubt. Dies verweist auf ein Leit-motiv sowohl im klassischen Werk von Lew Tolstoj als auch ineinem der großen Stränge der gegenwärtigen russischen Lite-ratur: das Leid, vor allem die Leidenschaft und Leidensfähigkeitder Frauen.

Von der Bereitschaft zur Aufopferung handelt unter ande-rem Viktoria Tokarjewas »Eine Liebe fürs ganze Leben«. Wie inihren früheren Erzählungen (»Lebenskünstler«) verlässt eineunscheinbare Figur ihr Verlierertum letztlich als genauso un-scheinbare Heldin. Mit einer aus westeuropäischer Sicht unbe-greiflichen Selbstlosigkeit bewahren solche Frauengestalten ih-re Kinder, besonders aber ihre Männer, vor dem Untergang inAlkoholismus und anderen Problemen.

Wie sind solche Schicksale ohne eine Prise Humor zu ertra-gen? Gar nicht. Er ist häufiger Begleiter: vom schwarzen Humorder Ljudmila Petruschewskaja bis zur leisen Ironie Ulitzkajas.Wenn Frauen für Frauen schreiben, wird nicht nur ein gewissesMaß an Identifikation benötigt, sondern auch ermutigendeLeichtigkeit in der Bewältigung des Alltags. Ein Antrieb zumWeiterleben – ein Happy End, zumindest teilweise.

So durchlebt die Protagonistin in »Lügen der Frauen« vonLjudmila Ulitzkaja, der international bekanntesten russisch-sprachigen Autorin, ein Wechselbad fremder Gefühle am eige-nen Leib, bis sie am Ende selbst vor einer Sackgasse anlangtund nicht zuletzt mit Hilfe ihres Mannes neue Kraft schöpft. Dieangenehme Balance zwischen Unterhaltung, der Möglichkeitmitzufühlen und zu schmunzeln spricht das Innere an. DenVersuch einer größeren gesellschaftlichen Beschreibung un-ternimmt dagegen Tatjana Tolstaja mit »Kys«.

Obwohl sie als direkte Konkurrentin Ulitzkajas gilt, spieltTolstaja dieses Jahr ein anderes Genre-Instrument. Die inihrem Heimatland sehr populäre Großnichte von Lew Tolstoj

Das Leiden der Autorinnen

UNAUFgefordert november 2003

»Die gegenwärtige Literatur inRussland liefert ausreichend Stoff fürdie Trostlosigkeit und Verzweiflung.Wenn diese schweren Stoffe alsPulver oder Flüssigkeit erhältlichwären, könnte man damit dieKakerlaken auf dem ganzen Planetenausrotten.« Wladimir Kaminer

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37

Kultur | Literatur

> Die Autorin liest mit lauter, etwas hektischer Stimme, fast oh-ne auszuatmen, aber mit prägnanter Betonung. Die Übersetze-rin beeilt sich und erzählt von »Tante Shenja«, der HauptfigurUlitzkajas, die zuhört, wenn andere ihre Geschichten erzählen.Man kann sich gut vorstellen, wie die gelernte Genetikerinihren Kindern vorliest – »als Ersatz für ein geisteswissenschaft-liches Studium«, wie sie gesteht.

Nach und nach nimmt die Länge ihrer Antworten auf dieFragen des neugierigen Publikums zu. Ob die kürzeste der Ge-schichten in ihrem neuen Buch »Lügen der Frauen« von Nabo-kov beeinflusst wäre, warum die Frauen bei ihr besser ab-schneiden als die Männer, welche Rolle die Familie für sie spie-le. Ljudmila Ulitzkaja legt viel Wert auf Authentizität: Sieantwortet mit Seufzern der Aufrichtigkeit, wobei das Gesichtdie Resigniertheit eines eher introvertierten Menschen verrät,der von Medien durchleuchtet wird.

Authentisch sollen auch die »Lügen der Frauen« sein, eineSammlung von sechs aufeinander bezogenen Erzählungenrund um Shenja. Dass sie eine russische ›Superwoman‹ ist, er-weist sich erst gegen Ende. Zu Beginn ist sie in der selben pas-siven Position wie der Leser: Shenja lässt sich die Geschichtenanderer während ihres Urlaubs erzählen. Allmählich rückt sieselbst in den Mittelpunkt und überschattet mit ihrem eigenenEmanzipations- und Selbstfindungsweg die ausgeschmücktenLebensläufe der Frauen und teilweise sehr jungen, frechenMädchen, die ihr vorher begegnet sind.

Die in ihrer Harmonie etwas zu konstruiert wirkende, gerad-linige Komposition passt zu der schnörkellosen, direkten und

Superwoman made in Russia

UNAUFgefordert november 2003

und Enkelin des Grafen Alexej Tolstoj – in ihrer eigenen Fern-sehsendung »Lästerschule« kritisiert sie polemisch Künstlerund Politiker – stellt in »Kys« eine parabelhafte post-apokalyp-tische Welt dar. 200 Jahre nach dem SuperGAU: atomare Ein-wirkung, Mutationen, Diktatur, mehrere Katastrophen. Dasumfangreiche Epos (Entstehungszeit 1986 bis 2000) verströmtals eine der bittersten aktuellen Gesellschaftssatiren die kul-turpessimistische Botschaft der Ausweglosigkeit. Vielfach ein-gestreute Zitate bieten nebenbei einen Intensivkurs der Weltli-teratur. Und das alles in einem gut übersetzten Mix aus Mär-chensprache und Straßenslang.

Wer abseits dieser beiden Auflagen-Königinnen einenEinblick in die anspruchsvollere und weniger bekannte russi-sche Gegenwartsliteratur gewinnen will, sollte sich die zwei-sprachige Anthologie »Immerhin ein Ausweg« merken. Hierdominieren ebenfalls thematisch und inhaltlich Frauen.

Wie ungerecht den Männern gegenüber, schließlich dür-fen Makanin, Mamlejew, Sorokin und Pelewin mit ihren oft po-litisch provozierenden Romanen über Gewalt, Gewalt, Gewalt,Sex und Drogen nicht vergessen werden. Oder vielleicht doch?

Tanja Hofmann <

Literaturtipps:Ljudmila Ulitzkaja: »Lügen der Frauen«, Hanser Verlag, 16,90 EuroPolina Daschkowa: »Russische Orchidee«, Aufbau Verlag, 20 EuroDarja Donzowa: »Der unschuldige Mörder«, Btb, 21,90 EuroTatjana Tolstaja: »Kys«, Rowohlt Verlag, 22,90 EuroNatalia Nossowa, Christiane Körner: »Immerhin ein Ausweg«, Dtv, 9,50 EuroIrina Denekina: »Komm«, Fischer Verlag, 17,90 Euro

Ljud

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doch farbigen Sprache. Die Einfachheit und der Charme ihrerkurzen Sätze verlieren jedoch dann an Wirkung, wenn sichUlitzkaja auf Details konzentriert. Auftauchende Klischees wieWodkaliebhaber, unaufhörlich quatschende Frauen, von Berufund Familie geplagte und saure Gurken essende Frauen zeich-nen mit penetranter Hartnäckigkeit nur die Konturen beste-hender Stereotypen nach.

Gleichzeitig treiben die »Lügen« durch originelle Sujets dieLektüre des schmalen Bands voran, darunter Shenjas Ge-spräche mit Prostituierten in Zürich für die Produktion einesFilms. Lässt man einige Plattitüden wie Transvestiten (die ei-gentlich Transsexuelle heißen müssten), Aids und Gartenzwer-ge beiseite, so kann auch dieses Kapitel auf unterhaltsame Wei-se in das abwechslungsreiche Leben Shenjas entführen.

Ljudmila Ulitzkaja spricht mit stolzer Eindringlichkeit vonder Bedeutung der Frauen als bessere Menschen und zeichnetsie als Retterinnen der letzten Bastion der Gesellschaft, derEinheit der Familie. Man sollte diese Überzeugung wenigstensin Ansätzen für den Genuss des Buches teilen. Sonst wird mankaum verstehen, warum die Autorin ihr in jeder Erzählung vonNeuem mit alten Mitteln versucht, ein Denkmal zu setzen.

Mag Shenja mit ihrer poetischen, weiblichen, überrussi-schen Seele an die Geschichten anderer mit liebenswerter Ein-falt glauben wollen, man will Shenja ihr Leben in Moskau alsVerlegerin, Mutter, Gutverdienerin und Lebensmeisterin letzt-lich nicht abnehmen. Solche Übermenschen sind nun malnicht (stereo)typisch für Russland.

Tanja Hofmann <

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Kultur | Kino

> Franzosen sind elegant, Spanier stolz und Dänen meistenslangweilig, wie all die Völker im Norden. Jeder, der einmal län-gere Zeit im Ausland war, kennt diese Vorurteile und hat sieimmer wieder bekämpfen müssen. Für Studenten sorgt dasAustauschprogramm Erasmus seit 1987 dafür, dass jedes Jahretwa 100.000 Studierende ihre Heimat-Uni verlassen und Euro-pa kennen lernen – und sei es eben nur am Stammtisch. Für al-le, die das hinter oder noch vor sich haben, gibt es nun einenFilm, der diese Erfahrungen für einen Abend zurückholt.

Da ist Xavier (Romain Duris), ein französischer Student derVolkswirtschaftslehre, der Paris verlässt und sein Erasmusjahrin Barcelona antritt. Er lässt nicht nur seine Hippie-Mutterzurück, sondern auch seine Freundin Martine (Audrey ›Amélie‹Tautou). Im Flugzeug weint Xavier – und wird auch gleich voneinem anderen Passagier als Erasmusstudent enttarnt. In Bar-celona angekommen läuft er durch die Straßen und überlegtsich, wie es wohl ist, wenn er einmal mit dieser Stadt vertrautsein wird. Momente wie dieser sind es, die jeder, der schon einJahr im Ausland war, direkt nachfühlen kann.

Der Franzose sucht nach Menschen, die wie er allein undziellos sind und bezieht schließlich ein Zimmer im »l’aubergeespaniol«, was umgangssprachlich im Französischen soviel wie›Irrenhaus‹ bedeutet. In dieser WG wohnen außer ihm noch einchaotischer Italiener, eine aufbrausende Spanierin, einespießige Britin, ein ruhiger Däne und Tobias aus Deutschland.Dieser mag es, Listen aufzustellen, studiert eifrig und hält seinZimmer in Ordnung. Schließlich kommt noch eine Belgierindazu. Sie entspricht dem liberalen Image ihres Landes und istlesbisch. Regisseur Cédric Klapisch (»Und jeder sucht seinKätzchen«) sagte in einem Interview, er wolle Europäer por-trätieren, ohne in Klischees zu verfallen. Es ist ihm zum Glücknicht gelungen. Schließlich sind es genau diese Dinge, überdie man nach dem Film reden möchte. Jeder, der schon ähnli-ches durchgemacht hat, wird sich in mindestens einer Szenewiederfinden und sich wünschen, das auch noch einmal mit-machen zu können.

Eigentlich hätte jeder der Erasmusstudenten eine eigeneGeschichte verdient, doch allein Xaviers Erlebnisse von einemJahr in 90 Minuten zusammenzufassen, ist beinahe unmöglich.So erzählt der Film in kurzen Szenen kleine Episoden erzählt.Zum Beispiel die: Martine, seine Freundin, kennt sein Lebennur aus kurzen Telefonaten. Jedes Mal, wenn sie angerufenhatte, war Paris regnerisch und laut, Barcelona dagegen son-nig und reizvoll erschienen. Da beschließt sie, ihn zu besuchen,sein neues Leben kennen zu lernen. Sie versucht, tiefe Ge-spräche über ihre Beziehung mit ihm zu führen – und scheitert.

Besser kann niemand die beiden unterschiedlichen Le-benswelten darstellen. Französische Filmästhetik, für ihre tiefemotionalen Dialoge bekannt, zerschmettert an der opulentenKulisse Barcelonas und an der einnehmenden Flamenco-Stim-mung.

Einziger Nachteil: Allein in diesem Artikel wurde das WortErasmus fünfmal verwendet. Im Film nimmt es teilweise Aus-maße an, die in keinem Verhältnis stehen zu dem geringen Sti-pendium, das Studierende von der EU pro Monat erhalten.

Sören Kittel <L’auberge Espaniol (Barcelona für ein Jahr)Frankreich/Spanien, 2002, 122 min., Kinostart: 13. Nov.

Im Flugzeug weinen sie alle

UNAUFgefordert november 2003

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Kultur | Kino

> Ein Greis mit Baskenmütze läuft gebeugt durch die leerenStraßen von Guatemala-Stadt. Noch ist die Sonne nicht aufge-gangen. Alfonso Bauer Paiz läuft und läuft und läuft. Unaufhör-lich, rastlos. Dies ist die Grundsequenz von »Testamento«. DieDokumentarfilmer Uli Stelzner und Thomas Walther haben ei-nen Film dich über den guatemaltekischen Anwalt AlfonsoBauer Paiz, der seit mehr als einem halben Jahrhundert für so-ziale Gerechtigkeit kämpft. Es ist auch ein Film über die Ge-schichte der lateinamerikanischen Revolution.

1944 stürzt Bauer Paiz mit Gleichgesinnten die Diktatur inGuatemala, zehn Jahre später machen die USA der Demokra-tie ein Ende. Bauer Paiz flieht nach Mexiko, wo er Che Guevaraversteckt. Er kehrt nach Guatemala zurück, arbeitet im Unter-grund, erlebt den Militärputsch und die gnadenlose Verfol-gung Oppositioneller.

Mehrmals werden Mordanschläge auf ihn verübt. Schwer-verletzt wird er nach einem solchen 1971 nach Chile gebracht.Im Land Salvador Allendes scheint die Parole »El pueblo unidojamas será vencido« vom unbesiegbaren Volk Wirklichkeit ge-worden zu sein. Doch schon 1973 ist der Traum aus. Bauer Paizflieht nach Kuba und kehrt erst 1993 in sein Heimatlandzurück. Für das Linksbündnis »Allianz Neue Nation« wird er1999 als 81-Jähriger in den Kongress gewählt.

Stelzner und Walther haben mit »Testamento« auch einenFilm über die Unvereinbarkeit von revolutionärer Arbeit und einerheilen Familie gedreht. Sie lassen die Kinder von Bauer Paiz zuWort kommen, die von Gefühlskälte, Kommunikationslosigkeit,Unverständnis und fehlendem Vertrauen sprechen. Und von derständigen Angst, immer und überall, die ihr Leben auf der Flucht

Nói Albinói, Dagur Karí, Island 2003, 93 min.Kinostart 13. Nov.

> Was weiß man in Deutschland schon über Island, dieseskleine Land am Polarkreis? Dass das Wetter dort immerschlecht ist und dass heißes Wasser aus dem Boden schießt.Dank Rudi Völler und Waldemar Hartmann wissen wir auch,dass es auf Island kein Weizenbier gibt. Die wenigsten würdenIsland aber als Filmland bezeichnen. Zu unrecht, denn in demkleinen Staat gibt es mittlerweile eine Reihe interessanter, jun-ger Filmemacher, die sich vor ihren Kollegen in den anderenskandinavischen Länder nicht zu verstecken brauchen. Nundringt ihr Schaffen auch bis nach Deutschland vor. Im Septem-ber kam bereits Fridrik Thor Fridrikssons »Islandfalken« nachDeutschland, nun startet mit »Nói Albinói« bereits der nächsteisländische Film in den deutschen Kinos.

Allein die Gegend, in die der 30-jährige Regisseur DagurKarí seinen ersten Langspielfilm gelegt hat, wirkt märchenhaftexotisch: ein kleines Dorf in den Westfjorden Islands, umgebenvon schroffen Bergen. Im Winter, wenn die Sonne dort nie rich-tig aufgeht und der Schnee sich meterhoch türmt, ist es vonder Außenwelt abgeschnitten. In dieser Umgebung wohnt der

Ein Leben auf der Flucht

UNAUFgefordert november 2003

begleitet hat. Bauer Paiz erlebt den Tod von zwei Ehefrauen unddrei Töchtern – der Preis eines Lebens für die Revolution.

Stelzner und Walther geben Familienmitgliedern und altenWeggefährten Zeit zu erzählen, ohne dabei unnötigerweise zusentimental zu werden. Sehr spärlich, dafür umso wirkungsvol-ler setzen sie dokumentarisches Filmmaterial ein. So entsteht eintief bewegendes Bild von Lateinamerika – eher resignativ dennhoffnungsvoll. Der Film dokumentiert das Scheitern der lateina-merikanischen Revolution. Gleichzeitig lässt er den Zuschauerehrfurchtsvoll auf das Leben eines Mannes blicken, der trotzschier unvorstellbarer privater und politischer Rückschläge nieaufgehört hat, für seine Ideale weiterzukämpfen.

Daniel Schalz <

»Testamento« – Eine Geschichte der lateinamerikanischen Revolutionvon Uli Stelzner und Thomas Walther, BRD 2003, 93 min. Kinostart: 27. Nov.

Malzbier im Eis17-jährige Nói (Tómas Lemarquis). Der hochintelligente Jungeträumt von der Ferne, am liebsten von Hawaii. Sein einziger Be-zugspunkt: ein Kaleidoskop mit Südseebildern. Der Alltaglangweilt Nói. Die Tage verbringt er statt in der Schule lieber ineinem Geheimversteck im Keller des großmütterlichen Hausesoder in der örtlichen Tankstelle. Dort manipuliert er den Spiel-automaten – vom Erlös kauft er sich Malzbier.

Karí betrachtet die Bewohner seiner Heimat mit liebevollerIronie. Seine Charaktere sind erfrischend skurril. Da ist zumBeispiel der Buchhändler Óskar, der Kierkegaards Werke fastungelesen auf den Müll wirft. Die Begründung: Was solle manvon jemandem halten, der mit Nachnamen »Friedhof« heiße. Soschräg die Dorfbewohner sind, für jemanden der so ist wie Nói,jemand der in den Tag hinein träumt, haben sie kein Verständ-nis. Allein Íris (Elín Hansdóttir), die Tochter des Buchhändlers,versteht Nói. Doch Nóis Versuch, mit ihr der Provinz zu entflie-hen, ist zum Scheitern verurteilt.

Was dem Filmhelden Nói versagt bleibt, ist Regisseur Da-gur Karí längst gelungen: Er ist in den tiefen Süden gegangen.In Kopenhagen, wo er bereits studierte, dreht er derzeit einenDogma-Film.

Steffen Hudemann <

Page 39: UnAufgefordert Nr. 140

Tipps und Termine

40

Uni-Termine1. Dezember»Der Kanal als Archiv. Messen, Willen,Kontrollieren«Referent: Florian SchreinerEinführung: Prof. Dr. Friedrich A. Kittler

8. Dezember»Orte der Gewalt. Die Arbeiten von Chris-toph Büchel«Referentin: Dr. Helga LutzEinführung: Prof. Dr. S. v. Falkenhausen

»Das Reich der Mitte - in Mitte« »Berliner Wissenschaftler berichten«HU-Hauptgebäude, Raum 3038jeweils 19:00 UhrInfos: 2083-661

17. November»Zhi-Yuan, ein chinesischer Garten des17. Jahrhunderts«Referent: Prof. Dr. Willibald Veit

24. November»Eine Skizze der Deutschen Turfan-Ex-pedition (1902-1914). Archivquellen ausUrumchi und Berlin«Referentin: Dr. Cordula Gumbrecht

1. Dezember»Polyglottie im traditionellen China: EinAspekt dynastischer Fremdherrschaft«Referent: Prof. Dr. Erling von Mende

8. Dezember»Kaiserliche Repräsentation: Bildpro-gramme der Ära Qianlong (1736-1795)«Referent: Dr. Herbert Butz

»Studies that Matter?!«»Zur Zukunft von Gender Studies undFeminismus in den Kultur- und Litera-turwissenschaften«Institut für Englische Philologie, FUGosslerstr. 2-4, Hörsaal 203jeweils 16:00 Uhr

11. November»Männlichkeitsforschung und das neueUnbehagen der Gender Studies«Referent: Walter Erhart

25. November»Changing Subjects - Zum dynamischenVerhältnis von Feminismus und GenderStudies«Referentin: Elfi Bettinger

2. Dezember»Vervielfältigung der Geschlechter – An-tifeminismus und/oder Gender Stu-dies?«Referentin: Renate Hof

»Die Berliner Universitätunterm Hakenkreuz II«HU-Hauptgebäude, Raum 2014bjeweils 18:00 UhrInfos: 2093-2252www.geschichte.hu-berlin.de/ns-zeit

12. November»Kontinuität und Diskontinuität in derBerliner Germanistik«Referent: Prof. Dr. Wolfgang Höppner

26. November»Erziehungs- und Rehabilitationswis-senschaften«Referenten: Dr. Werner Brill, Dr. Klaus-Peter Horn

»Richard-Hamann-Vorlesung«HU-Hauptgebäude, Hörsaal 2038/035jeweils 20 Uhr Infos: 2093-4288/4441

12. November»Diagnostisches Vergleichen? GiovanniMorelli und die kennerschaftliche Grund-lagenforschung der Kunstgeschichte«Referent: Dr. Peter Seiler

19. November»Die Hände anonymer Genies. WilhelmKöhlers Meister C in der karolingischenSchule von Tours«Referent: Prof. Dr. Tilmann Buddensieg

26. November»Otto Pächt und Charles Sterling überdie spätmittelalterliche Malerei – zweikunsthistorische Sehkulturen im Ver-gleich«Referent: Prof. Dr. Adam Labuda

3. Dezember»Sehen Bildhauer anders?«Referentin: Dr. Ada Raev

»Monday Lectures«Jägerstr. 10–11, Raum 006jeweils 18:15 Uhr

17. November»The Invention of an Empress: QueenVictoria’s Golden and Diamond Jubileesas Paradigms for the Study of VictorianMemorial Cultures«Referent: Prof. Dr. Ansgar Nünning

1. Dezember»Geschichtskultur und Histo-Schick. DasRuhrgebiet und Nordostengland von1970 bis 2000«Referent: Prof. Dr. Heinz Reif

bis 12. NovemberUrlaubsantragsfrist

5. DezemberStudententag der LebenswissenschaftenInstitut für BiologieInvalidenstr. 43, Hörsaal 129:00 UhrAnmeldung: 2093-8606

9. DezemberAkademischer SenatHU-Hauptgebäude, Senatssaal9:00 UhrInfos: 2093-2460

Vorträge undVeranstaltungen

12. NovemberGesprächskreis ›Geschichte der BerlinerUniversitäten‹»Das teuerste Flugblatt der Welt: Wider-stand gegen SED-Politik«Referent: Rainer SchottlaenderHU-Hauptgebäude, Raum 3085a16:00 Uhr

16. NovemberFührung»Australische Tiere sind oft sonderbar«Referent: Prof. Dr. Ulrich ZellerMuseum für Naturkunde15:00 UhrInfos: 2093-8591

27. NovemberVortrag»Präsentieren in Studium und Beruf«HU-Hauptgebäude, Hörsaal 305916:00 Uhr

Ringvorlesungenund Vortragsreihen

»Archive der Gewalt«HU-Hauptgebäude, Raum 2097jeweils 18:00 UhrInfos: 2093-9772

15. November»Bibliotheken der Gewalt. Vor-Schrei-ben und Nach-Lesen in David Finchers›Sieben‹ «Referenten: Arno Meteling, Einführung:Prof. Dr. Thomas Macho

UNAUFgefordert november 2003

Page 40: UnAufgefordert Nr. 140

Tipps und Termine

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Mosse LecturesHU-Hauptgebäude, Senatssaaljeweils 19:00 Uhr

27. November»Das ist der moderne Krieg«Zu Picassos Historienbild ›Guernica‹Referent: Werner Spiess

4. Dezember»Modernism and Monstrosity: Picassoand Carl Einstein«Referent: Timothy James Clark

Kino

Kinoklub an der HUjeweils 20 Uhr im Kinosaal www.kinoklub.de

11. NovemberFlashdance (DF)13. NovemberHomicidal (OV)18. NovemberCode: Unbekannt25. NovemberDirty Dancing (DF)27. NovemberThe Female Bunch –Des Satans heiße Katzen2. DezemberCria Cuerros – Züchte Raben (OmenglU)9. DezemberManá cumple cien anos – Mama wird100 Jahre alt (OmenglU)

UniKino der TUTU-Hauptgebäude, Raum 104

6. NovemberMy Big Fat Greek Wedding13. NovemberMatrix: Reloaded20. NovemberThe Big Lebowski27. NovemberHerr der Ringe – Die Zwei Türme4. DezemberDie Feuerzangenbowle11. DezemberFrida

»Berlin – geteilte Stadt im Film«www.stadt-im-film.deKino Nickelodeon, Torstraße 216

20. November17:15 Uhr Eröffnungsveranstaltung18:00 Uhr »Eins, Zwei, Drei« (1961)Filmreihe bis 25. Februar

Theater

15. NovemberPremiere: »Väterchen Frost«Fassung von Annette ReberMaxim Gorki Theater,Am Festungsgraben 2Karten: 20 22 11 15

20. NovemberDeutsche UA »The Pillowman«von Martin McDonaghDeutsches Theater, Kammerspiele,Schumannstraße 13AKarten: 28 44 12 21

25. bis 28. Nov. und 3. bis 6. Dez.»Nora« Bearbeitung: Folke BrabandVagantenbühne, Kantstraße 12aKarten: 312 45 29

29. NovemberUA »Diese Männer« von Mayo SimonHans-Otto-Theater PotsdamTheaterhaus am Alten Markt19:30 UhrKarten: (0331) 981 18

UNAUFgefordert november 2003

Konzert

30. NovemberBach, WeihnachtsoratoriumCollegium Musicum der Berliner Univer-sitäten FU/TUSt. Johannes-Basilika, Lilienthalstr. 519:00 UhrKarten: 83 85 40 47

Konzertreihe für Patienten, Mitarbeiterund Freunde der Charité

13. November»Hot String Quintet«Campus Charité,Louisenstr. 65, Foyer EG19:00 UhrInfos: 450 56 60 30

27. NovemberKlassische, barocke und romantischeMusik auf dem russischen AkkordeonSauerbruchweg 5,Gewölberaum, 2. Ebene19:00 UhrInfos: 450 56 60 30

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Page 41: UnAufgefordert Nr. 140

42 UNAUFgefordert november 2003

>Vor einem

halben Jahr war es noch etw

as unangenehm,

wenn m

an alles in Mark um

rechnete, und man sagte dann pi-

kiert: »Ich rechne imm

er noch alles in Mark um

, hähä.« Meis-

tens entgegnete dann der, mit dem

man gerade redete: »H

a-ha, ich auch, echt.« U

nd dann schmunzelte m

an ein wenig zu-

samm

en und stellte fest, dass der Euro doch tatsächlich einbisschen G

emeinschaftsgefühl verm

ittelte. Heute ist die Lage

schon anders. Obw

ohl jeder das Gefühl hat, der Euro sei nur

70 Cent w

ert, weiß auch jeder, dass das nicht stim

mt. M

anw

eiß ja schließlich, was ein W

arenkorb ist und kennt dessenW

ert. So komm

t es, dass man als gew

ollt gebildeter Mensch

lieber anderen das Euroteurogeseier überlässt und fein be-ginnt, das W

ort »Mark« aus seinem

fremdw

ortreichen Wort-

schatz zu streichen (es sei denn, man kennt einen, der so

heißt). Aber im

Vertrauen gesagt: Ich rechne imm

er noch allesin M

ark um.

Zum B

eispiel weiß ich, dass eine Packung Z

igaretten baldacht M

ark kosten wird. N

ur, dass man das R

auchen ja garnicht m

ehr einstellen mag, seit es für einen guten Zw

eck ist,also gegen den Terror. D

ie acht Mark m

uss man som

it inves-tieren, w

enn man nicht unm

oralisch handeln will. Schließlich

wollen w

ir ja hier keinen Terror, und dann muss m

an eben Ket-te rauchen. D

a kann man also nicht sparen.

Ich kaufe mir die Zeitschrift »Petra«, da sind in dieser W

o-che die 50 besten Spartipps drin, und ich habe m

ir eisern vor-genom

men, einige dieser R

atschläge zu befolgen. Ich gehealso gleich in den Superm

arkt und kaufe ein riesiges StückK

äse und eine Familienpackung H

aferflocken. Petra hat mir

gesagt, ich soll große Packungen kaufen. Und dann gehe ich

noch zu Aldi und kaufe die M

icrofleecejacke für unangetaste-te 14,99 Euro. Petra sagt, die sei w

arm. Petra sagt auch, dass

Milch in B

randenburg billiger ist, ich setze mich also ins A

utound kaufe hinter der B

erliner Stadtgrenze vier Liter Milch in

meiner neuen M

icrofleecejacke, und die Verkäuferin fragtdoch prom

pt, wo ich die her habe. Sage ich natürlich nicht.

Sieht aber schick aus das Ding für A

usflüge in den Osten. Viel-

leicht fahre ich jetzt öfter mal hierher. W

enn man die M

ilch aus

Über das SparenK

atechismus des Studenten, Folge X

XX

VIII

Brandenburg in B

erlin noch an Freunde weiterverkauft, be-

komm

t man am

Ende sogar das Benzingeld w

ieder raus.U

nd dann kaufe ich noch was, und diese Idee ist nicht von

Petra. Ich kaufe eine Packung Schnittbrot, eine Packung Corn-

flakes und eine Tafel Schokolade. Zuhause esse ich ein lecke-res B

rot mit K

äse und asche anschließend mit m

einen Ziga-

retten gegen Terror in die Packung Brot. D

ann esse ich einePortion C

ornflakes mit M

ilch aus Brandenburg, H

aferflockenm

ag ich nämlich auch gar nicht so gerne.

Nach dem

Mahl m

ische ich die restlichen Cornflakes m

itdem

Inhalt meines Staubsaugerbeutels. N

achdem ich die Scho-

kolade nun noch halb vertilgt habe und ich restlos satt und zu-frieden bin, lege ich den Rest der Schokolade in den Backofenund backe sie so lange, bis nur gerade die O

berfläche ein wenig

geschmolzen ist. N

ur noch die Bürste holen, Haare aus der Bür-

ste in die angeschmolzene O

berfläche rieseln lassen, hart wer-

den lassen, wieder ins Silberpapier rollen – fertig. U

nd dann Brot,C

ornflakes und Schokolade nur noch eben einpacken, wütende

oder besser noch: enttäuschte Briefchen beilegen, Hersteller-

adresse drauf und ab damit zur Post. D

as dauert ein paar Tage,und schon schicken die Ersatz. So kann m

an praktisch umsonst

essen, und vielleicht kassiert man sogar noch ein W

erbege-schenk. U

nd wenn ich jetzt noch diesen Spartipp an die Petra

schicke, kann ich 50 Euro gewinnen.

Spartipps sind heiß begehrt, schließlich müssen w

ir allesparen. »W

ir müssen alle den K

arren aus dem D

reck ziehen«,sagt G

erhard. Einige, das habe ich im Fernsehen gesehen,

fangen schon an, sich nach dem großen G

eschäft mit in Strei-

fen geschnittenem Zeitungspapier den H

intern abzuwischen,

nur weil K

lopapier so teuer geworden ist. U

nd andere essennur noch selbstangebaute Kräuter. Ich w

eiß nicht, wie G

er-hard sow

as findet. Vielleicht bewundernsw

ert. Und D

oris isstbestim

mt auch gerne m

al ausschließlich Kräuter, jedenfallssieht sie so aus. Vielleicht kann der K

anzler nur deshalb soteure Z

igarren rauchen, weil D

oris beim Essen soviel G

eldspart. W

as weiß ich.

Annika W

aldhaus <Illustration: B

ritta Kussin

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