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VERWALTUNGS WISSENSCHAFTLICHE BLÄTTER Zeitschrift für Verwaltungswissenschaften – Ausgabe 04/2009 Herausgeber: Dr. Manfred Matzka – Dr. Theodor Thanner – Dr. Mathias Vogl – Mag. Gregor Wenda ÖSTERREICHISCHE 1 Sehr geehrte Leserinnen und Leser der Österreichischen Verwaltungswissen- schaftlichen Blätter! Im Juni fand die Dreiländertagung der ver- waltungswissenschaftlichen Gesellschaften der Schweiz, Deutschlands und Österreichs in Schaffhausen statt. Das Generalthema war „Sicherheitsverwaltung“, wobei die Referate über den engeren Bereich der (polizeilichen) Sicherheitsadministration hinausgingen und überaus interessante Informationen und Analysen zu Rechts- fragen, Organisationsthemen, Strategie- themen und zum Krisenmanagement liefer- ten. Einige der Beiträge werden in diversen Fachzeitschriften erscheinen, ein Sammel- band ist seitens der Schweizer Veranstalter derzeit nicht geplant. Teil 1 der Tagungs- zusammenfassung fand sich bereits in der letzten Ausgabe dieser Publikation, nun- mehr folgt Teil 2. Der Mehrwert der Dreiländertagung liegt vor allem darin, dass die Teilnehmer – unter ihnen eine beachtliche Zahl österreichischer Experten – Einblicke in die Verwaltungen der jeweils anderen Länder erhalten konnten. Die lockere Atmosphäre der Veranstaltung ermöglicht darüber hinaus Gewinn bringende bilaterale Kontakte. Aus diesen Gründen kann nur mit großer Überzeugung für die nächste derartige Veranstaltung geworben werden: Sie findet voraussichtlich im Herbst 2010 zum Thema „Verwaltung und IT“ in Berlin statt. Schließlich ist noch eine Innovation im Pro- gramm der ÖVG anzukündigen: Wir werden am 24. November dieses Jahres erstmals eine Diskussionsveranstaltung mit jüngeren Verwaltungswissenschaftern durchführen, die zu Themen im Bereich „IT und Recht“ gearbeitet, geforscht und publiziert haben. Die ersten Reaktionen zeigen, dass wir drei bis vier interessante Referate zu erwarten haben und eine Diskussion darüber den Teil- nehmerinnen und Teilnehmern sicher Gewinn bringen wird. Wir sind überzeugt davon, dass es in Österreich eine junge ver- waltungswissenschaftliche Community gibt, der man Präsentationsmöglichkeiten und Profilierungschancen eröffnen muss. Die Einladungen dazu werden rechtzeitig an unsere Mitglieder ergehen, ausdrücklich sind aber auch junge wissenschaftlich enga- gierte Kolleginnen und Kollegen willkom- men, die noch nicht Mitglieder sind, aber die Arbeit der ÖVG kennenlernen wollen. Dr. Manfred Matzka e. h., Präsident der ÖVG Dr. Manfred Matzka

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VERWALTUNGSWISSENSCHAFTLICHE

BLÄTTERZeitschrift für Verwaltungswissenschaften – Ausgabe 04/2009

Herausgeber: Dr. Manfred Matzka – Dr. Theodor Thanner – Dr. Mathias Vogl – Mag. Gregor Wenda

ÖSTERREICHISCHE

1

Sehr geehrte Leserinnen und Leser derÖsterreichischen Verwaltungswissen-schaftlichen Blätter!

Im Juni fand die Dreiländertagung der ver-waltungswissenschaftlichen Gesellschaftender Schweiz, Deutschlands und Österreichsin Schaffhausen statt. Das Generalthemawar „Sicherheitsverwaltung“, wobei die Referate über den engeren Bereich der (polizeilichen) Sicherheitsadministrationhinausgingen und überaus interessanteInformationen und Analysen zu Rechts-fragen, Organisationsthemen, Strategie-themen und zum Krisenmanagement liefer-ten. Einige der Beiträge werden in diversenFachzeitschriften erscheinen, ein Sammel-band ist seitens der Schweizer Veranstalterderzeit nicht geplant. Teil 1 der Tagungs-zusammenfassung fand sich bereits in derletzten Ausgabe dieser Publikation, nun-mehr folgt Teil 2.

Der Mehrwert der Dreiländertagung liegtvor allem darin, dass die Teilnehmer – unterihnen eine beachtliche Zahl österreichischerExperten – Einblicke in die Verwaltungen derjeweils anderen Länder erhalten konnten.Die lockere Atmosphäre der Veranstaltungermöglicht darüber hinaus Gewinn bringendebilaterale Kontakte. Aus diesen Gründenkann nur mit großer Überzeugung für dienächste derartige Veranstaltung geworbenwerden: Sie findet voraussichtlich im Herbst2010 zum Thema „Verwaltung und IT“ inBerlin statt.

Schließlich ist noch eine Innovation im Pro-gramm der ÖVG anzukündigen: Wir werdenam 24. November dieses Jahres erstmalseine Diskussionsveranstaltung mit jüngerenVerwaltungswissenschaftern durchführen,

die zu Themen im Bereich „IT und Recht“gearbeitet, geforscht und publiziert haben.Die ersten Reaktionen zeigen, dass wir dreibis vier interessante Referate zu erwartenhaben und eine Diskussion darüber den Teil-nehmerinnen und Teilnehmern sicherGewinn bringen wird. Wir sind überzeugtdavon, dass es in Österreich eine junge ver-waltungswissenschaftliche Community gibt,der man Präsentationsmöglichkeiten undProfilierungschancen eröffnen muss. DieEinladungen dazu werden rechtzeitig anunsere Mitglieder ergehen, ausdrücklichsind aber auch junge wissenschaftlich enga-gierte Kolleginnen und Kollegen willkom-men, die noch nicht Mitglieder sind, aber dieArbeit der ÖVG kennenlernen wollen.

Dr. Manfred Matzka e. h.,

Präsident der ÖVG

Dr. Manfred Matzka

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Vermeidung und Abwehr von Risiken für Leib,Leben und Eigentum, die aus strafbarenHandlungen Einzelner resultieren – das ist derenge Polizeibegriff. Sicherheitsverwaltungmeint aber auch im gängigen Sprachgebrauchschon mehr: Man hat damit auch die Gefahrenvon Naturereignissen, von Epidemien, die Ver-letzbarkeit komplexer Infrastrukturen hoch-entwickelter Gesellschaften ins Auge gefasst.(Zivilschutz, Katastrophenschutzmanage-ment, Vorsorgeübungen zählen durchaus zumRepertoire unserer Innenministerien.)

Das wäre also die 1. These, die ich in derDiskussion über Risikomanagement sehe:Eigentlich ist alle Verwaltung, alle Regie-rungs-Politik Risikomanagement (also sprach-lich anders ausgedrückt: Sicherheits-Verwal-tung). Verwaltung könnte man also verstehenals staatliche Tätigkeit zur Vermeidung von(für die Einzelnen, für die Gesellschaft)schädlichen Risiken.

2. These: Gerade in jenen Bereichen, indenen die Regierung, und mit ihr die Verwal-tung, sehr rasch auf dramatische Außenfak-toren zu reagieren hat, tendiert sie – oderbesser gesagt: ihre politische Spitze – dazu,spontan und gestützt auf politisches Kalkülund populistische Reaktionsmuster zu agie-ren. Das ist aber nicht immer die beste Reak-tionsweise. Es gäbe gerade hier auch dieMöglichkeit einer Nutzung von wissenschaft-lichen Grundlagen. Sofern man Verwaltung insolchen Situationen als Risikomanagementversteht, steht dort ein ganzes Arsenal vontheoretischen und wissenschaftlichen Grund-lagen zur Verfügung.

Es ist wichtig, dass wir die Diskussion über Sicherheitsverwaltung nicht auf die Rechtsord-nung und die Organisation des Polizeiwesens reduzieren. Sicherheitspolitik und -ver-waltung hat doch eigentlich damit zu tun, Gefahren, Instabilitäten, außergewöhnliche Situa-tionen abzuwehren, zu verhindern. Es geht ihr also im weitesten Sinn um den Umgang mitRisiken. Und für diese Definition finden sich in der Literatur und der internationalenStaatenpraxis gute Beispiele.

Verwaltung ist ja ganz allgemein nicht (nur)ein Handwerk, sondern basiert auf einerzumindest 250-jährigen Theorieentwicklung,sie ist wissensbasiert, ihre Erkenntnisse sindobjektivierbar und intersubjektiv vermittelbar,sie arbeitet methodisch sauber, sie kanneigenständig Ergebnisse erzielen. Sie ist eineselbstständige Staatsfunktion und sie kanninterdisziplinär arbeiten.

Da sie das im Rahmen ihrer traditionellenWelt kann – also etwa im Vollzug der Gesetzemit rechtswissenschaftlichen Instrumenten,in der Optimierung des Finanzmitteleinsatzesmit den Werkzeugen der Finanzwissenschaf-ten und bei der Konsens- und Vertrauensge-winnung mit Fundierungen aus der Politik-wissenschaft – da sie es also an sich kann,wird sie auch in der Lage sein, ihre bisher ent-wickelten theoretischen Grundlagen für dasKrisenmanagement zu nutzen.

Lassen Sie mich ein Beispiel aus demTechnikbereich einbringen: Wenn sich Flug-zeugpiloten einer schwierigen Situation,einem besonderen Risiko gegenüber sehen,dann arbeiten sie eine sorgfältig vorbereiteteCheckliste, ein Manual, durch. Sie verhaltensich professionell, reflektieren die Situation,bilden oder nutzen Theorien. Genauso solltesich die Verwaltung in einer Hochrisiko-Situation verhalten.

Es ist – und das ist der zweite Ansatz –möglich und notwendig, bei Krisen, bei derBewältigung akuter und hoher Sicherheits-risiken, ja Risiken ganz allgemein, so profes-sionell vorzugehen, wie wir das von Flug-zeugpiloten erwarten: Die Verwaltung hat

Risk Management in den Zentren der VerwaltungZusammenfassung des Vortrags im Rahmen der Dreiländertagung 2009

von Präsident Dr. Manfred Matzka

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hiefür das Handwerkszeug, Manuale zu ent-wickeln und der Politik anzubieten. Sie wer-den so überzeugend sein, dass die Politik dieVerwaltung hier einbeziehen muss, und siemit den Funktionen betraut, die sie – und nursie – wahrnehmen kann. Es geht darum, Ver-waltungsexperten in jene Risikomanagement-funktionen einzusetzen, die sie aufgrund ihrerAusbildung und Erfahrung und auf der Basisvon Wissenschaft und Theorie erfolgreichund gut wahrnehmen können.

3. These: Risk Management ist keine An-gelegenheit, die sich auf die klassischenSicherheitsressorts beschränken lässt; alsoInneres, Verteidigung, Umweltschutz, Ge-sundheit. Diese Herausforderung, Risiken zumanagen, Sicherheit zu schaffen bzw. zugewährleisten, betrifft alle Ressorts. Und weilsie alle betrifft, betrifft es diese nicht nur jeeinzeln, sondern in ihrem Zusammenwirken.

Ein simples Beispiel möge das illustrieren:Die Schließung einer kleinen Polizeiwachemag sinnvoll sein, die Auflassung eines Mini-Postamts wirtschaftlich geboten und dieZusammenlegung von zwei Bezirksgerichtenmit „Drittelrichtern“ unverzichtbar. Wenn aberalle drei Maßnahmen gleichzeitig denselbenOrt treffen, wird es ein massives Akzeptanz-problem geben. Das kann man allerdings imVorhinein analysieren, erkennen, und sichentsprechend verhalten.

Risikomanagement (im alten Sprachge-brauch: Sicherheitsverwaltung) ist also eineAufgabe der Regierungskoordination; eineQuerschnittsaufgabe des Kanzlers, des Pre-miers, des gesamten Kollegiums – und ihresjeweiligen professionellen Apparates. Es isteine Aufgabe des Cabinet Office, der Presi-denza del Consiglio, des Bundeskanzleram-tes … oder wie die „Centers of Government“auch immer heißen mögen. Ich sehe interna-tional eine Tendenz in diese Richtung.

4. These: Es ist alles schon einmal irgend-wo da gewesen, es gibt für jede Situation

Präzedenzen – möglicherweise nicht direktbei uns und möglicherweise in etwas andererErscheinungsform. Es lohnt sich also für Risi-komanager, sich sehr weit und vor alleminternational umzusehen und weiterzubilden.

Regierungen neigen allerdings dazu – weilWahlen nur im Inland gewonnen werden –,alles Auswärtige als irrelevant zu nehmenoder der Diplomatie zu überlassen. Dabeikönnte man aber von anderen Verwaltungenunendlich viel lernen: best practices, bench-marks, Diskurse, neue Entwicklungen. Sieliegen offen zur Auswertung bereit. Und dasgilt besonders für das Management außer-gewöhnlicher Situationen – die ja in einemnationalen Kontext nicht so häufig vorkom-men.

Dafür gibt es auch einige Foren: etwa dieEU, die OECD, andere internationale Organi-sationen, die Weltbank; auch die Kooperationder wissenschaftlichen Gesellschaften ist einleistungsfähiges Netzwerk. Hier nenne ichdas IIAS, die EGPA und unsere drei Gesell-schaften. Es gibt also Verwaltungs-Wissenund die dazugehörigen „human resources“,zu denen Verwaltungen und Entscheidungs-träger Zugang haben können.

Man hat sich im letzten Jahrzehnt durchausauch stärker direkt zwischen den Regierun-gen vernetzt, dies insbesondere seit 9/11,

Dr. Manfred Matzka bei der Dreiländertagung

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der Tsunami-Katastrophe, den Pandemie-Befürchtungen und jetzt auch nach der Ban-kenkrise. Diese Vernetzung erfolgte vor allemzwischen den Schaltzentralen (Premierminis-tern) und läuft der Kooperation auf Ressort-ebenen allmählich den Rang ab. (Die Frageist allerdings, ob „Gipfel“ für alles wirklich diebeste Lösung sind.) Es wurde also zuneh-mend evident, dass manche Probleme inihrer Dimension auch die nationalen Möglich-keiten übersteigen, so dass gar nichts ande-res übrig bleibt, als international zu agieren.

Dennoch stellte die OECD 2005 gerade zudieser internationalen Kooperation Defizitefest: Wissen und Technologie im Krisenma-nagement sind ungleich verteilt, es gibt zuwenig Bereitschaft zum Teilen und gemeinsa-men Nutzen dieser Ressource, internationaleÜberwachungssysteme (etwa bei Naturphä-nomenen) und das Monitoring sind verbesse-rungswürdig und funktionierende Rahmen fürKooperation sind noch kaum institutionali-siert.

Und – füge ich hinzu – das zeigt, dass dieinternationale Vernetzung im Risikomanage-ment noch immer sehr stark im politisch-pla-kativen Bereich verblieben ist; dass sie dieVerwaltung, die großen administrativen Orga-nisationseinheiten, die professionellen stra-tegischen und operativen Apparate nochnicht erfasst und einbezogen hat. Wir solltenhier vom punktuellen Krisengipfel zum nach-haltigen internationalen Risikomanagementweiter gelangen.

5. und letzte These in der Diskussion: Pro-fessionelles Risikomanagement hat nicht nurden defensiven Aspekt, Probleme zu vermei-den oder Krisen zu bewältigen; den hat esauch, und daher ist Professionalisierung desUmgangs mit eingetretenen Risiken einewichtige Aufgabe von Regierung und Verwal-tung. Professionelles Risikomanagementbringt aber viel mehr: Es hilft, rechtzeitigChancen zur Veränderung zu erkennen –

strategisch und zukunftsorientiert daran zuarbeiten, mit der nächsten ähnlichen Heraus-forderung besser umzugehen als mit dergerade aktuellen.

Gesamtsteuerung, gesellschaftspolitische,integrierte Lösungskonzepte, umfassendeStrategien sind es, die als überzeugendeAlternative dem von Medien oder gewissenpolitischen Kräften oft als Allheilmittel ange-sehenen Ruf nach der Polizei entgegenge-stellt werden können. Eine Regierung bzw.Verwaltung, die das nutzt, wird erfolgreichersein als eine, die sich von jeder Krise, vonjedem besonderen Risiko aufs Neue überra-schen lässt.

Ich versuche eine Zusammenfassung:• Sicherheitsverwaltung, umfassend ver-

standen, ist Risikomanagement;• auf dieser Basis kann und soll man in Situa-

tionen mit hohen Risiken die politische Ent-scheidung durch professionelles Manage-ment ergänzen;

• das verlässt das enge Gebiet der klassi-schen Sicherheitsressorts und gewinnteinen umfassenden Ansatz der Regie-rungssteuerung – nicht Ressortverwaltung;

• professionelles Risikomanagement nutztinternationale Erfahrungen;

• Risikomanagement bietet neue Chancen,wenn man es nicht nur defensiv, sondernstrategisch und zukunftsorientiert versteht.So definiert sich für mich Sicherheitsver-

waltung in einem neuen Sinn: als umfassen-des, professionalisiertes, planendes undsteuerndes Risikomanagement der zentralenInstitutionen der Verwaltung.

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Der 2. Tag stand im Zeichen zweier weite-rer Themenmodule. Der 3. Block („Herausfor-derungen für die Sicherheitsverwaltung“)unter der Moderation von Sektionschef Dr.Mathias Vogl, Vizepräsident der ÖVG, wurdemit einem Referat über „Interkulturelle Öff-nung“ von Dr. Albert Schmid, Präsident desdeutschen Bundesamtes für Migration undFlüchtlinge, eingeleitet. Dr. Schmid beschrieban Hand von Zahlen die Ausgangslage inDeutschland – in vielen Ballungsgebietengebe es heute Viertel mit mehrheitlich nicht-deutscher Bevölkerung. Es entstünden multi-ethnische Gesellschaften und auch Parallel-gesellschaften, auf die die Verwaltungreagieren müsse. „Wir haben 2,2 MillionenBeamte in Deutschland, aber nur 3,4 %haben einen Migrationshintergrund, obwohldas 19 % der Gesamtbevölkerung sind“. ImJahr 2006 sei ein Nationaler Integrationsplangestartet worden, der auch Maßnahmen imBereich der Sicherheitsverwaltung und derPolizei mit einschließe. Manche Landespoli-zeien haben sich inzwischen Zielmarken fürEinstellungen gesetzt – so wie Hamburg, woschon über 12 % der Polizeibediensteteneinen Migrationshintergrund haben und nach20 % gestrebt wird. Zu Maßnahmen der Per-sonalgewinnung müssten aber entspre-chende Angebote bei der Aus- und Fortbil-dung treten. Vertrauen werde unter anderem

durch Dialogprojekte geschaffen. Vom Aus-land (etwa Frankreich oder Großbritannien)könne in puncto Interkultureller Öffnung teil-weise noch einiges gelernt werden, meinteSchmid. Die internationale Zusammenarbeitin der Sicherheitsverwaltung müsse verstärktund mehr internationale Kompetenz herein-geholt werden, „denn nur so sind in Multi-Minoritäten-Gesellschaften der Zukunft Frei-heit und Sicherheit zu gewährleisten.“

Mag. Peter Andre, Menschenrechtskoordi-nator im österreichischen Bundesministe-rium für Inneres und Leiter der AbteilungLegistik, sprach über „Menschenrechte undSicherheitsverwaltung“. Österreich sei, wiedie Schweiz und Deutschland, Mitglied derEuropäischen Menschenrechtskonventionund daher an die dortigen Garantien und dieJudikatur des Europäischen Gerichtshofs fürMenschenrechte gebunden. „Auch die Poli-zei muss sich immer an den Menschenrech-ten orientieren“, unterstrich Andre. Das öster-reichische Sicherheitspolizeigesetz nehmedarauf unter anderem durch streng normierteGrundsätze der Befugnisausübung und denGrundsatz der Verhältnismäßigkeit Rück-sicht; die Kontrolle der Sicherheitsverwaltungerfolge insbesondere durch den Menschen-rechtsbeirat und den Rechtsschutzbeauf-tragten. Der aus elf Mitgliedern bestehendeMenschenrechtsbeirat wurde im Juli 1999 auf-grund der Empfehlungen des europäischenAnti-Folter-Komitees (CPT) als Beratungsor-gan des Innenministers geschaffen und über-prüft die Tätigkeit der Sicherheitsexekutiveunter dem Gesichtspunkt der Wahrung derMenschenrechte. Der Rechtsschutzbeauf-tragte wurde mit der Sicherheitspolizeigesetz-Novelle 2000 eingerichtet und kontrolliertunter anderem verdeckte Ermittlungstätigkei-ten, den Einsatz von Videoüberwachung imöffentlichen Raum oder den Einsatz vonKennzeichenüberwachungen. Europaweitnimmt Österreich mit den Instrumenten des

Sicherheitsverwaltung im Umbruch:Ein Resümee der Dreiländertagung 2009 inSchaffhausen, Schweiz (Teil 2)von Generalsekretär Mag. Gregor Wenda

Mag. Peter Andre

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Rechtsschutzbeauftragten und des Men-schenrechtsbeirates eine Vorreiterrolle ein.

Botschafter Dr. Fred Tanner, Direktor desGenfer Zentrums für Sicherheitspolitik (GCSP),ging in seinem Vortrag auf die „Aus- und Wei-terbildung im Bereich der Sicherheitspolitik“ein. „In Zeiten neuer Bedrohungslagenbraucht man interdisziplinäre Sattelfestig-keit“, beschrieb Tanner die Herausforderungeiner neuen ressortübergreifenden und pra-xisrelevanten Ausbildungsmethode in derSicherheitspolitik. Sicherheit sei eine Dauer-aufgabe und nicht mehr strikt in „Inneres“und „Äußeres“ trennbar; die Schnelligkeit derWeiterentwicklungen verlange deshalb aucheine erhöhte Anpassungsfähigkeit im Bil-dungsbereich. Das Genfer Zentrum fürSicherheitspolitik besteht seit 1995, als es alsBeitrag zur Partnership for Peace (PfP)gegründet wurde; mehr als 1.000 Militäran-gehörige, Beamte und Diplomaten aus über 60 Ländern besuchten dort bereits Lehr-gänge. Die erlernten Fähigkeiten sollten wir-kungsvoll und zeitgerecht anwendbar seinund auch auf „Unwahrscheinliches“ vorbe-reiten. Neben der notwendigen Fach- undSozialkompetenz komme in einem internatio-nalen Netzwerk den Fremdsprachenkennt-nissen laufend größere Bedeutung zu. Aus-bildung sei eine nationale Verantwortung.Eine moderne Sicherheitspolitik bedürfe einesbreiten Ausbildungsbereichs, da die Bedürf-nisse verschiedener Verwaltungen unter-schiedlich seien. „Gemeinsame Sicherheiterfordert gemeinsame Ausbildung und ‚con-tinuous learning‘“, so der GCSP-Direktor.

Im letzten Block der Dreiländertagungwurde unter der Moderation von Tagungslei-ter Dr. Albert Hofmeister, Ehrenmitglied derSGVW, das Thema „Risk Management imöffentlichen Bereich“ aufgegriffen. EinenÜberblick über „Risk Management in denZentren der Verwaltung“ gab SC Dr. ManfredMatzka, Präsident der ÖVG. „Eigentlich ist

alles an Sicherheitsverwaltung auch Risiko-management, denn es geht immer um dieVermeidung von Risiken für die Gesell-schaft“, sagte Matzka. Gefahren und Instabi-litäten müssten in einem Staat abgewehrtoder vermindert werden; der Begriff derSicherheitsverwaltung sollte also viel weitergefasst werden. Ein modernes Risikomana-gement könne sich nicht nur auf einbestimmtes Ressort beziehen, sondernmüsste die Aufgabe eines koordinierenden„Government Office“ sein. „Die Globalisie-rung zwingt dazu, in diesem Verwaltungsbe-reich international vernetzt zu arbeiten“, gabMatzka zu bedenken. Risikomanagementkönne dabei mit erprobten Mitteln professio-nell betrieben werden, denn die Verwaltungkönne auf 250 Jahre interdisziplinärer Erfah-rung und „ein Arsenal von wissenschaftli-chen, theoretischen Grundlagen“ zurückgrei-fen. Staatliche Verwaltungen dürften nichtdefensiv bleiben, vielmehr gehe es um stra-tegische Planung beim Umgang mit Risiken.Bereits jetzt könne man internationaleAnsätze finden, wo versucht werde, außerge-wöhnlichen Situationen zu begegnen – etwadie OECD oder die Weltbank. In diesemSinne sei auch ein insbesondere bei derOECD geführter Diskussionsprozess in Ganggeraten, welche regulatorischen und institu-tionellen Werkzeuge ein Risk Managementstaatlicher Verwaltungen benötigt.

Prof. Dr. Iwan Rickenbacher, SchweizerPolitikwissenschafter und Kommunikations-berater, griff den Begriff des „Risk Manage-ment“ aus politikwissenschaftlicher Sichtauf. In der Regel sei ein interdisziplinäresGesamtkonzept gemeint, um unternehmeri-schen Risiken vorausschauend zu begeg-nen. „Die Politik muss sich also das Unter-nehmensziel anschauen – was sind die‚issues‘, die Herausforderungen“, erklärteRickenbacher. Ansätze eines staatlichenRisikomanagements seien schon im Mittelal-

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ter erkennbar gewesen, etwa durch Militär-vereinbarungen oder die ersten Verordnun-gen zur Sicherung von Bannwäldern. DieHauptakteure in Politik und Verwaltung„haben aber eine unterschiedliche Perzep-tion möglicher Risiken und eine unterschied-liche Bereitschaft, diesen zu begegnen.“ NurEreignisse mit erheblichen und unerwartetstarken Auswirkungen und hohem Scha-denspotenzial könnten bewirken, dass neueBereiche in den Fokus des Risk Managementder Politik kommen. „Auch die Finanzkrisewird kaum eine nachhaltige Wirkung haben“,meinte Prof. Rickenbacher, denn Großereig-nisse müssten sich wiederholen, um zu ech-ten Reformen zu führen. In der Schweiz gäbees derzeit kein flächendeckend koordiniertesRisk Management, vielmehr finde diesesgroßteils auf Ebene der Kantone statt. AufBundesebene müssten die bestehendenAnsätze des Risikomanagements mit einerkohärenten, koordinierten Risikopolitik ver-stärkt werden.

Tagungsleiter Dr. Albert Hofmeister kam inseiner abschließenden Bilanz auf die unter-schiedlichen Traditionen der Verwaltungs-wissenschaft in Deutschland, Österreich undder Schweiz zu sprechen. Während in denersten beiden Staaten lange die Rechtswis-senschaft vorherrschend war, lag die Verwal-tungswissenschaft in der Schweiz eher in derHand der Ökonomen. „Es zeigt sich, dass indie verwaltungswissenschftliche Diskussion

auch andere Wissenschaften mit einbezogenwerden müssen“, meinte Hofmeister unterVerweis auf die Darstellungen des Politikwis-senschaftlers Prof. Rickenbacher. So habeman sich etwa im New Public Managementlange zu viel auf Instrumente und zu wenigauf Leadership konzentriert. „Ähnlich könntedas auch beim Risk Management sein“.

Zum Ausklang der Dreiländertagung 2009wurden die Teilnehmerinnen und Teilnehmerauf Einladung der Stadt Schaffhausen nochzu einem Aperitif auf dem Burgberg „Munot“gebeten, der eindrucksvolle Ausblicke aufdas historische Zentrum bot. Die nächsteDreiländertagung wird voraussichtlich imHerbst 2010 in Deutschland stattfinden. DiePlanungen der drei Gesellschaften habenbereits auf dem „Munot“ begonnen.

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Beitr i t tserklärung:Ich erkläre meinen Beitritt zur Österreichischen Verwaltungswissenschaftlichen Gesellschaft – ÖVG

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Bitte senden Sie die Beitrittserklärung entweder mit E-Mail an [email protected] oder an Monika Lang, p. A.Bundesministerium für Inneres, Herrengasse 7, 1014 Wien.

Österreichische Verwaltungswissenschaftliche Gesellschaft

p.A. Bundesministerium für Inneres Rechtssektion

A-1014 Wien, Herrengasse 7Telefon: 01 – 53126 – 2220

http://www.oevg.infoE-Mail: [email protected]

Werden Sie Mitglied der Österreichischen Verwaltungswissenschaftlichen Gesellschaft – ÖVG. Der Mitgliedsbeitrag beträgt 21 Euro pro Jahr.

Impressum:

Die Österreichischen Verwaltungswissenschaftlichen Blätter (ÖVwBl) sind ein Informationsmedium der ÖsterreichischenVerwaltungswissenschaftlichen Gesellschaft (ÖVG) für ihre Mitglieder – ZVR: 164880580Im Sinne der Meinungsvielfalt stellt das .SIAK-Journal diese Seiten der ÖVG zur Formulierung ihrer Standpunkte zur Ver-fügung. Der Inhalt dieser Seiten muss sich daher nicht unbedingt mit den Ansichten der Redaktion des .SIAK-Journalsdecken.Redaktion und Zusammenstellung: Dr. Theodor Thanner, E-Mail: [email protected]: WENDA, HBF/HOFER

VORANKÜNDIGUNG

„IT und Recht – Wendepunkt für die Verwaltung“

Werkstattgespräch der Österreichischen Verwaltungswissenschaftlichen Gesellschaft

Programm:• Kurzreferate zu IKT und Recht (Details auf www.oevg.info)• Diskussion• Buffet

Wann: 24. November 2009, 17.00 UhrWo: Bundeskanzleramt, 1010 Wien, Dachfoyer (Eingang Minoritenplatz 1)

Anmeldung: [email protected]