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Standsicherheitsuntersuchungen f ¨ ur verfl ¨ ussigungsgef ¨ ahrdete Standorte nach der Theorie zweiter Ordnung mithilfe von Phi-C-Reduktion andor Tam´ askovics TU Bergakademie Freiberg, Institut f¨ ur Geotechnik Lehrstuhl f ¨ ur Bodenmechanik, Grundbau und bergbauliche Geotechnik Gustav-Zeuner-Straße 1, D-09599 Freiberg Die spontane Verfl¨ ussigung von Lockergesteinen ist eine sehr gef¨ ahrliche Versagens- art, weil bei einem dadurch ausgel ¨ osten Setzungfließen bedrohliche Massenbewegun- gen ohne wahrnehmbare Vorzeichen eintreten und sich durch einen fortschreitenden Bruchmechanismus auf sehr große Fl¨ achen ausdehnen k ¨ onnen. Zu einem m¨ oglichen Verfl ¨ ussigungsversagen eines Lockergesteins ist das gleichzeitige Vorliegen einer Rei- he von bodenmechanischen Bedingungen notwendig. Neben einer speziellen Korn- verteilung und bevorzugt runder Kornform bilden eine hinreichend lockere Lagerung und hohe Wassers¨ attigung die Grundvoraussetzungen f¨ ur die Verfl¨ ussigungsneigung eines Lockergesteins. Zum Ausl¨ osen des Versagensvorganges ist weiterhin eine hin- reichend große St ¨ orung des Spannungszustandes in Form einer ¨ außeren oder inne- ren Einwirkung erforderlich. Zur Durchf¨ uhrung des Stabilit ¨ atsnachweises an dem zu bewertenden Standort aus verfl ¨ ussigungsgef ¨ ahrdeten Lockergesteinen wird unter den geometrischen, hydrologischen und geotechnischen Bedingungen sowie unter den po- tenziell einwirkenden Initialen ein dynamisch oder statisch zul¨ assiges Spannungsfeld berechnet, das die Bewertung der Tragf¨ ahigkeit von Bodenelementen bei einem un- drainierten Belastungsvorgang mit der Theorie zweiter Ordnung erm¨ oglicht. Durch die angeschlossene Ermittlung des Sicherheitsbeiwertes und der kritischen Gleitfl¨ ache wird eine Entscheidung ¨ uber eine hinreichende Stabilit ¨ at erm¨ oglicht. 1 Einleitung Die spontane Verfl¨ ussigung von Lockergesteinen ist eine sehr gef¨ ahrliche Versagens- art, weil bei einem dadurch ausgel¨ osten Setzungfließen bedrohliche Massenbewe- gungen ohne wahrnehmbare Vorzeichen eintreten und sich durch einen fortschreiten- den Bruchmechanismus auf sehr große Fl¨ achen ausdehnen k ¨ onnen. Zu einem Ver- fl¨ ussigungsversagen eines Lockergesteins ist das gleichzeitige Vorliegen einer Reihe von bodenmechanischen Bedingungen notwendig. Verfl¨ ussigungsgef ¨ ahrdete Locker-

Standsicherheitsuntersuchungen fu¨r verflu ... · Die Fragestellungen zur Formulierung eines Stabilitatsnachweises fu¨r verflu¨ssigungs-¨ ... Energie δΠ(u) verschwinden, wodurch

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Standsicherheitsuntersuchungen fur

verflussigungsgefahrdete Standorte nach der

Theorie zweiter Ordnung mithilfe von

Phi-C-Reduktion

Nandor Tamaskovics

TU Bergakademie Freiberg, Institut fur Geotechnik

Lehrstuhl fur Bodenmechanik, Grundbau und bergbauliche Geotechnik

Gustav-Zeuner-Straße 1, D-09599 Freiberg

Die spontane Verflussigung von Lockergesteinen ist eine sehr gefahrliche Versagens-

art, weil bei einem dadurch ausgelosten Setzungfließen bedrohliche Massenbewegun-

gen ohne wahrnehmbare Vorzeichen eintreten und sich durch einen fortschreitenden

Bruchmechanismus auf sehr große Flachen ausdehnen konnen. Zu einem moglichen

Verflussigungsversagen eines Lockergesteins ist das gleichzeitige Vorliegen einer Rei-

he von bodenmechanischen Bedingungen notwendig. Neben einer speziellen Korn-

verteilung und bevorzugt runder Kornform bilden eine hinreichend lockere Lagerung

und hohe Wassersattigung die Grundvoraussetzungen fur die Verflussigungsneigung

eines Lockergesteins. Zum Auslosen des Versagensvorganges ist weiterhin eine hin-

reichend große Storung des Spannungszustandes in Form einer außeren oder inne-

ren Einwirkung erforderlich. Zur Durchfuhrung des Stabilitatsnachweises an dem zu

bewertenden Standort aus verflussigungsgefahrdeten Lockergesteinen wird unter den

geometrischen, hydrologischen und geotechnischen Bedingungen sowie unter den po-

tenziell einwirkenden Initialen ein dynamisch oder statisch zulassiges Spannungsfeld

berechnet, das die Bewertung der Tragfahigkeit von Bodenelementen bei einem un-

drainierten Belastungsvorgang mit der Theorie zweiter Ordnung ermoglicht. Durch die

angeschlossene Ermittlung des Sicherheitsbeiwertes und der kritischen Gleitflache

wird eine Entscheidung uber eine hinreichende Stabilitat ermoglicht.

1 Einleitung

Die spontane Verflussigung von Lockergesteinen ist eine sehr gefahrliche Versagens-

art, weil bei einem dadurch ausgelosten Setzungfließen bedrohliche Massenbewe-

gungen ohne wahrnehmbare Vorzeichen eintreten und sich durch einen fortschreiten-

den Bruchmechanismus auf sehr große Flachen ausdehnen konnen. Zu einem Ver-

flussigungsversagen eines Lockergesteins ist das gleichzeitige Vorliegen einer Reihe

von bodenmechanischen Bedingungen notwendig. Verflussigungsgefahrdete Locker-

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gesteine haben eine spezielle Kornverteilung mit einem geringen Feinkornanteil, wo-

durch ihre Scherfestigkeit uberwiegend durch Reibungswirkung ohne eine wirksame

Kohasion gepragt wird. Eine Kornbeschaffenheit (Textur) mit einer runden Kornung so-

wie eine spezielle Ausrichtung der Korner zueinander (Struktur) im Korngerust erhohen

die Verflussigungsgefahrdung. Zur Verflussigung eines Lockergesteins ist weiterhin

eine niedrige Dichte durch eine sehr lockere Lagerung des Korngerustes bei einem

hinreichend hohen Grad der Wassersattigung des Porenraumes notwendig. Die Ver-

flussigungsneigung wird durch niedrige wirksame Spannungen im Korngerust im Aus-

gangszustand weiter begunstigt. Zum Auslosen einer Verflussigung ist eine hinreichen-

de Storung des wirksamen Spannungsfeldes infolge einer außeren oder inneren Ein-

wirkung (Initial) erforderlich.

Besondere Schwierigkeiten liegen vor, wenn locker gelagerte, wassergesattigte und

verflussigungsgefahrdete Lockergesteine im Baugrund unmittelbar unterhalb der Ge-

landeoberflache infolge einer sehr hohen Lage des Grundwasserspiegels anstehen.

Wegen des Auftriebs im Grundwasser entstehen sehr niedrige wirksame Spannungen

im Korngerust und in oberflachennahen Lockergesteinsgebieten ist ein Stabilitatsverlust

schon infolge kleinster Initiale moglich.

Der rechnerische Nachweis der Standsicherheit fur verflussigungsgefahrdete Stand-

orte muss anhand eines mathematischen Modells den Versagensabstand zu einem

Verflussigungsversagen ausgehend von den bodenmechanischen Bedingungen so-

wie wichtigsten bodenphysikalischen Zustandsvariablen ermitteln konnen und an die

gultige geotechnische Normung angelehnt sein. Der rechnerische Nachweis der Stand-

sicherheit muss weiterhin die Moglichkeit eroffnen, ein erforderliches Niveau der Stand-

sicherheit auf verflussigungsgefahrdeten Standorten mit gezielten notwendigen und

hinreichenden Sanierungsmassnahmen herzustellen.

Die Fragestellungen zur Formulierung eines Stabilitatsnachweises fur verflussigungs-

gefahrdete Standorte bilden ein hochaktuelles Forschungsgebiet der Bodenmechanik.

Bedeutende Forschungsergebnisse unter fokussierter Anwendung von numerischen

Untersuchungsmethoden wurden von ANDRADE ET.AL. (Andrade,2009), BUSCARNE-

RA ET.AL. (Buscarnera,2012), (Buscarnera,2013), DESAI ET.AL. (Desai,1998), GUDE-

HUS und FORSTER (Gudehus,1998), LADE (Lade,1992), (Lade,1993), LADE ET.AL. (La-

de,1997) und YAMAMURO ET.AL. (Yamamuro,1997) vorgestellt. Das Erbringen eines

rechnerischen Nachweises mit dem Ausweisen eines Versagensabstandes durch Auf-

finden einer kritischen Gleitflache und eines zugehorigen Sicherheitsbeiwertes gilt bis-

her jedoch als nicht zufriedenstellend gelost.

2 Dualer Stabilitatsnachweis

Zur quantitativen Ermittlung des Versagensabstandes auf verflussigungsgefahrdeten

Standorten ist ein dualer Nachweis aus einer notwendigen und einer hinreichenden

Bedingung der Stabilitat erforderlich. Der duale Nachweis muss sich auf ein kontinu-

umsmechanisches Konzept stutzen, dessen Mittelpunkt ein materialtheoretisches Mo-

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dell fur das undrainierte Belastungsverhalten des verflussigungsgefahrdeten rolligen

Lockergesteins bildet. Aus der notwendigen Bedingung der Stabilitat kann der statisch

oder dynamisch zulassige Spannungszustand ermittelt werden, worin auch konkrete

Einwirkungen aus bekannten, außeren Initialen sowie hypothetische Einwirkungen aus

unbekannten, inneren Initialen berucksichtigt werden konnen. Mit der Untersuchung

der hinreichenden Bedingung der Stabilitat kann eine grundlegende Entscheidung uber

das mogliche Tragfahigkeitsverhalten von Bodenelementen getroffen werden.

Die kontinuumsmechanische Grundlage des dualen Stabilitatsnachweises bildet das

Variationsprinzip von LAGRANGE

δΠ(u) + δ2Π(u) � 0 .

Als notwendige Bedingung der Stabilitat muss die erste Variation der potenziellen

Energie δΠ(u) verschwinden, wodurch die potenzielle Energie einen Extremwert an-

nimmt

δΠ(u) =

V

σ · · δε dV −∫

V

q · δu dV −∫

q · δu dA = 0 .

In dem betrachteten Gebiet V liegt ein dynamisch oder statisch zulassiges totales

Spannungsfeld σ vor, das unter den vorgegebenen außeren Einwirkungen q sowohl

die Impulserhaltungsgleichung, die Drallerhaltungsgleichung als auch die vorgeschrie-

benen kinetischen Randbedingungen fur die totale Spannung q auf der Flache Aσ

erfullt

nA· σ = q , r ∈ Aσ .

In dem betrachteten Gebiet V liegt weiterhin eine kleine Veranderung (Variation) des

Deformationsfeldes δε sowie des Verschiebungsfeldes δu vor, die auf der Flache mit

vorgeschriebenen kinematischen Randbedingungen fur die Verschiebungen Au

ver-

schwindet

δu = 0 , r ∈ Au.

Die hinreichende Bedingung der Stabilitat ist dann erfullt, wenn die zweite Variation der

potenziellen Energie positiv ist

δ2Π(u) =

V

1

2δσ · · δε dV � 0

und damit die potenzielle Energie einen Minimum einnimmt. Die Einfuhrung des Prin-

zips effektiver Spannungen

σ = σ′ + u 1

in die zweite Variation der potenziellen Energie fuhrt zu der Schlussfolgerung, dass

sich die rechnerischen Betrachtungen auf die Variation der wirksamen Spannungen

eingeschranken lassen. Die Variation der wirksamen Spannung δσ′ und die Variation

der Deformation δε lassen sich in Form einer Zeitableitung innerhalb eines Zeitinter-

valles δt formulieren

δσ′ =•

σ′ δt , δε =

ε δt ,

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woraus die zweite Variation der potenziellen Energie durch Fallenlassen der Integration

uber das Volumen V des betrachteten Gebietes und weitere Vereinfachungen in eine

lokale Form uberfuhren lasst

δ2 e =•

σ′ · ·

ε � 0 .

Die lokale Formulierung der zweiten Variation der potenziellen Energie als hinreichen-

de Bedingung der Stabilitat bildet die Grundlage zur Untersuchung der hinreichenden

Bedingung der Stabilitat im dualen Stabilitatsnachweis (Tamaskovics,2013), (Tamas-

kovics,2014). Zur Erfassung der Spannungsrate•

σ infolge der Einwirkung einer Defor-

mationsrate•

ε mussen materialtheoretische Betrachtungen herangezogen werden.

3 Materialtheorie

Als materialtheoretische Grundlage des dualen Stabilitatsnachweises fur verflussigungs-

gefahrdete Standorte bietet sich die Anwendung der Theorie der Hypoplastizitat an, die

von GUDEHUS (Gudehus,2011), KOLYMBAS ET.AL. (Kolymbas,1995) und VON WOLF-

FERSDORFF (von Wolffersdorff,1996) zunachst fur monotone Belastungspfade entwi-

ckelt wurde. Umfassende Betrachtungen von GUDEHUS und WEGENER zeigen wei-

terhin, dass durch die Erweiterung des hypoplastischen Materialgesetzes mit dem

Konzept der intergranularen Dehnung moglich ist, auch zyklische Belastungspfade zu-

verlassig zu erfassen (Gudehus,2011), (Wegener,2013).

Das hypoplastische Materialgesetz formuliert die physikalisch objektive Zeitableitung

der wirksamen Spannungen△

T fur monotone Belastungspfade als Funktion der wirk-

samen Spannung T, der Deformationsrate D sowie der Dichte mit der Porenzahl e in

einer geschlossenen tensoriellen Gleichung aus einem in der Deformationsrate linea-

ren L(T,D) und einem in der Deformationsrate nichtlinearen N(T) ||D|| Term

T (T , D , e ) = fb fe ( L(T,D) + fdN(T) ||D|| ) .

Mit dem Operator ||D|| wird die EUKLID’sche Norm der Deformationsrate (Betrag) ge-

kennzeichnet. Die skalarwertigen Funktionen fb, fe und fd erfassen den Einfluss der

Spannung sowie der Porenzahl auf die inkrementelle Steifigkeit.

Die Theorie der Hypoplastizitat nach VON WOLFFERSDORFF (von Wolffersdorff,1996)

formuliert die Annahme, dass volumenkonstantes stationares Fließen beim Erreichen

einer kritischen Porenzahl ec eintritt, deren Spannungsabhangigkeit mit einem expo-

nentiellen Kompressionsgesetz abgebildet wird

ec(T) = ec0 exp

[

−(

− I1(T)

hs

)n ]

. (1)

Die Funktion I1(T) = trT kennzeichnet die erste Skalarinvariante des wirskamen

Spannungstensors T. Das Verhaltnis der Porenzahl e zur kritischen Porenzahl ec un-

terscheidet zwischen einem kontraktilen und dilatanten Volumendeformationsverhalten

bei einer eingetragenen Scherbelastung.

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Die nahere mathematische Untersuchung der Eignung des hypoplastischen Materi-

algesetzes zur Beschreibung von undrainierten Belastungspfaden zeigt das Problem

auf, dass der Dichteeinfluss auf die wirksame Bruchscherfestigkeit mit der skalarwerti-

gen Pyknotropiefunktion fd in der unsprunglichen Form nach VON WOLFFERSDORFF

(von Wolffersdorff,1996) uberschatzt wird. Dieses Problem lasst sich mit einer ge-

ringfugigen Modifikation der Skalarfunktion fd in der Form

fd =

(

e − edec − ed

)α e

ec

uberwinden. Im unterkritischen Porezahlbereich e < ec wird der Exponent α herabge-

mindert und im uberkritischen Porezahlbereich e > ec vergroßert. Diese Anpassung

ermoglicht die realistische Abbildung der Abhangigkeit der wirksamen Scherfestigkeit

von der Porenzahl insbesondere im uberkritischen Porezahlbereich e > ec. Die vorge-

stellte Modifikation der Skalarfunktion fd erschwert die Ermittlung des materialspezi-

fischen Parameters α bei der Kalibration des hypoplastischen Materialgesetzes nach

dem von HERLE vorgeschlagenen Konzept nicht (Herle,1999). Die Modifikation in der

Pyknotropiefunktion fd erfordert zugleich eine entsprechende geringfugige Anpassung

der Barotropiefunktion fb mit

fb =hs

n

(

1 + eiei

)(

ei0ec0

)β (

− trTs

hs

)1−n[

3 + a2 −√3 a

(

ei0 − ed0ec0 − ed0

)αei0

ec0

]

−1

.

Mit dem hypoplastischen Materialgesetz kann in jedem Punkt des Kontinuums die lo-

kale Form der zweiten Variation der potenziellen Energie fur einen beliebigen Wert der

Deformationsrate D berechnet werden, wenn der dynamisch oder statisch zulassige

Spannungszustand T und die Porenzahl e bekannt sind

δ2 e =△

T (T , D , e ) · · D � 0 .

Zur Entscheidung uber eine vorliegende hinreichende Stabilitat muss mit Hilfe einer

Optimierung die ungunstigste Deformationsrate Dmin ermittelt werden, bei derer Ein-

wirkung die lokale Form der zweiten Variation der potenziellen Energie ein Minimum

δ2 emin annimmt

δ2 emin =△

T (T , Dmin , e ) · · Dmin � 0 , ||Dmin|| = 1 .

In dem Opmtimierungsprozess, der sich wegen lokaler Minima schwierig gestaltet, wird

die zweite Variation der potenziellen Energie systematisch mit unterschiedlichen De-

formationsraten mit einem EUKLID’schen Norm (Betrag) von Eins untersucht ||D|| = 1.

Zur erheblichen Reduktion des mathematischen Aufwandes ist es vorteilhaft, die Pro-

blemstellung auf Hauptspannungen und Hauptdeformationsraten fur den Spannungs-

zustand eines vereinfachten Triaxialversuches zuruckzufuhren. Die damit erbrachten

Stabilitatsaussagen liegen auf der sicheren Seite.

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4 Modellierung des Fluidsattigungsgrades

Die Grosse des Fluidsattigungsgrades ist fur die rechnerische Bewertung der Stand-

sicherheit von verflussigungsgefahrdeten Kippenstandorten von ausschlaggebender

Bedeutung. Mit experimentellen Methoden der geotechnischen Feldmesstechnik ge-

lingt meistens lediglich eine uberschlagige Ermittlung der raumlichen Verteilung des

Fluidsattigungsgrades.

Unter Annahme einer isothermen Kompression einer nicht mobilen Gasphase un-

terhalb des Grundwasserspiegels sowie Berucksichtigung eines materialspezifischen

Fluidsattigungsgrades s0, der sich bei der Flutung wahrend des Grundwasserwiederan-

stieges auf einem Referenzdruckniveau pref einstellt, lasst sich der tatsachliche Wert

des Fluidsattigungsgrades s infolge der Entwicklung eines statischen Porendruckes ust

sowie eines Porenuberdruckes ux rechnerisch abschatzen

(ust + ux + pref) (1− s) e = pref (1− s0) e0 .

In diesem Ansatz wird der Sattigungsgrad s in Abhangigkeit von der Entwicklung des

absoluten Porendruckes u = ust + ux ermittelt. Die Kontinuitatsgleichung wird bei der

notwendigen Fluidstromung, die zur Veranderung des Fluidsattigungsgrades erforder-

lich ist, als erfullt vorausgesetzt.

5 Modellierung des Anfangsspannungszustandes

Bei der rechnerischen Bewertung der Standsicherheit von verflussigungsgefahrdeten

Kippenstandorten spielt der Anfangsspannungszustand vor einem moglichen Versa-

gen eine entscheidende Rolle aber der diesbezugliche bodenmechanische Kenntnis-

stand gilt haufig als mangelhaft. Die tatsachliche Entwicklung des Anfangsspannungs-

zustandes in Kippen ist in Anbetracht der Vielzahl von Einflussfaktoren und Umstande

bei der Kippenentstehung nachtraglich diffizil reproduzierbar. Auch eine versuchstech-

nische Ermittlung des Anfangsspannungszustandes mit geotechnischer Feldmesstech-

nik ist problematisch. Erschwerend kommt weiterhin noch hinzu, dass fur den Anfangs-

spannungszustand unter identischen Randbedingungen theoretisch unendlich viele

Losungen existieren. Im Rahmen eines rechnerischen Stabilitatsnachweises sind plau-

sible theoretische Uberlegungen zur generellen Entwicklung des Anfangsspannungs-

zustandes auf verflussigungsgefahrdeten Kippenstandorten erforderlich.

Zur Abschatzung des Anfangsspannungszustandes wird ein materialspezifischer Er-

druhedruckbeiwert bei Normalkonsolidation KNC0

als das Verhaltnis der wirksamen Ho-

rizontalspannung σ′

h,0 und der wirksamen Vertikalspannung σ′

v,0 im Ausgangszustand

nach der Aufschuttung der Kippe mit einem naturlichen Wassergehalt eingefuhrt

KNC0 =

σ′

h,0

σ′

v,0

.

Infolge der Flutung der Kippe beim Grundwasserwiederanstieg tritt eine bevorzugte

Anderung der wirksamen Vertikalspannungen σ′

v ein. Das Verhaltnis der Anderung der

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wirksamen Horizontalspannung ∆σ′

h und der wirksamen Vertikalspannung ∆σ′

v in dem

betrachteten Entlastungsvorgang wird mit einem materialspezifischen Erdruhedruck-

beiwert fur Entlastung und Wiederbelastung KUR0

erfasst

KUR0 =

∆σ′

h

∆σ′

v

.

Nach der Entlastung stellt sich ein wirksamer Erdruhedruckspannungszustand ein, in

dem das Verhaltnis der wirksamen Horizontalspannung σ′

h und der wirksamen Vertikal-

spannung σ′

v mit einem materialspezifischen resultierenden Erdruhedruckbeiwert KU0

beschrieben wird

KU0

=σ′

h

σ′

v

=σ′

h,0 + ∆σ′

h

σ′

v,0 + ∆σ′

v

.

Durch Einfuhrung einer Große ξU fur das Verhaltnis der Anderung der wirksamen

Spannung ∆σ′

v und der wirksamen Vertikalspannung σ′

v,0 im Ausgangszustand nach

der Kippenentstehung sowie einer Große ζU fur das Verhaltnis des Erdruhedruckbei-

wertes bei Normalkonsolidation KNC0

und des Erdruhedruckbeiwertes bei Entlastung

und Wiederbelastung KUR0 mit

ξU =∆σ′

v

σ′

v,0

, ζU =KUR

0

KNC0

lasst sich eine Gleichung fur die Ermittlung des resultierenden Erdruhedruckbeiwertes

KU0

formulieren

KU0 = KNC

0

1 + ζU ξU1 + ξU

.

In einem allgemeinen Entlastungsvorgang kann das Verhaltnis ζU des Erdruhedruck-

beiwertes bei Normalkonsolidation KNC0

und des Erdruhedruckbeiwertes bei Entlas-

tung und Wiederbelastung KUR0 selbst als eine Funktion des Spannungsverhaltnisses

ξU formuliert werden

ζU = ζ [ 1 − (− ξU) ]η .

In diesem Ansatz wurde zusatzlich berucksichtigt, dass das Spannungsverhaltnis ξUbei einer Entlastung immer negative Werte annimmt. Die materialspezifischen Kenn-

werte ζ und η sowie KNC0

und KUR0

konnen aus einem Soft-Odometerversuch (mit Mes-

sung der Horizontalspannung) oder aus einem speziellen K0-Triaxialversuch ermittelt

werden, wenn die genannten Versuche sowohl eine K0-Belastungsphase als auch eine

K0-Entlastungsphase beinhalten.

6 Versagensmechanismus und Scherfestigkeitsansatz

Die zuverlassige Erfassung der Scherfestigkeit von annahernd wassergesattigten lo-

cker gelagerten Granulaten bei undrainierter Belastung bildet die entscheidende Ker-

naussage eines rechnerischen Stabilitatsnachweises.

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Die Grundlage zum Scherfestigkeitsansatz in dem dualen rechnerischen Stabilitats-

nachweis bildet ein hypothetischer Versagensmechanismus, der zu einem Grenzzu-

stand der Verflussigung (LQF) fuhrt und voraussetzt, dass in jedem Punkt des betrach-

teten verflussigungsgefahrdeten Bodengebietes infolge einer versagensauslosenden

Initialeinwirkung (Globalinitial) die Mobilisierung der in Abhangigkeit von der Porenzahl,

vom Wassersattigungsgrad und von dem Spannungszustand momentan verfugbaren

maximalen Scherfestigkeit eintritt.

Fur die rechnerische Modellierung der Scherfestigkeit verflussigungsgefahrdeter Lo-

ckergesteine ergeben sich zwei grundlegende Situationen:

• Undrainierte Bruchscherfestigkeiten: Die experimentelle Erfahrung aus un-

drainierten Versuchen zeigt, dass die Porenuberdrucke, die sich bei einer Scher-

belastung unter undrainierten Bedingungen in Abhangigkeit von dem Wassersat-

tigungsgrad aufbauen, die Verdichtung des locker gelagerten kontraktilen Korn-

gerustes bei Scherbelastung beeinflussen. Damit kann der Bruch unter undrai-

nierten Belastungsbedingungen bei einem weitaus niedrigeren wirksamen Bruch-

reibungswinkel ϕ′

f eintreten, als der wirksame Restreibungswinkel bei drainierter

Belastung und hohen Deformationen ϕ′

c (Reibungswinkel im kritischen Zustand).

Im Bruchzustand tritt ein Porenuberdruck uf auf. In dem vorliegenden dualen

rechnerischen Nachweis wird die wirksame Bruchscherfestigkeit ϕ′

f und der Po-

renuberdruck uf im Bruchzustand aus der Simmulation eines volumenkonstanten

Standard-Triaxialversuches mit dem hypoplastischen Materialgesetz berechnet

(trD = 0).

• Undrainierte Restscherfestigkeiten: Die experimentelle Erfahrung aus undrai-

nierten Versuchen zeigt weiterhin, dass der Aufbau von Porenuberdrucken solan-

ge andauert, bis sich die Porenzahl auf die kritische Porenzahl ec reduziert hat.

In dem Restzustand erreicht die wirksame Restscherfestigkeit den wirksamen

Restreibungswinkel bei drainierter Belastung und hohen Deformationen ϕ′

c. Im

Restzustand tritt ein Porenuberdruck uc auf. In dem vorliegenden dualen rechneri-

schen Nachweis wird die wirksame Restscherfestigkeit ϕ′

c und der Porenuberdruck

uc im Restzustand aus der adiabatischen Kompression der Porengasphase bis

zum Erreichen der kritischen Porenzahl ec berechnet. Zur Ermittlung der Rest-

scherfestigkeit ist die iterative Losung eines nichtlinearen Gleichungssystems er-

forderlich.

Zum Ansatz der Scherfestigkeiten fur den verflussigungsgefahrdeten Boden wird das

Konzept der aquivalenten Scherfestigkeiten als eine Variante des Konzeptes der modi-

fizierten Scherfestigkeiten genutzt. Die rechnerisch prognostizierten Großen der Bruch-

scherfestigkeit ϕ′

f und des Porenuberdruckes beim Bruch uf sowie der Restscherfes-

tigkeit ϕ′

c und des Porenuberdruckes im Restzustand uc werden auf den Anfangsspan-

nungszustand zum Beginn der undrainierten Belastung in einen aquivalenten Rei-

bungswinkel beim Bruch ϕ′

eq,f mit einer aquivalenten Kohasion beim Bruch c′eq,f so-

wie in einen aquivalenten Reibungswinkel im Restzustand ϕ′

eq,r mit einer aquivalenten

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Kohasion im Restzustand c′eq,r umgerechnet (Tamaskovics,2013). Dieses Vorgehen

bietet bei den Stabilitatsberechnungen den Vorteil, dass trotz Betrachtungen basierend

auf wirksame Spannungen auf den expliziten Ansatz eines Porenuberdruckes beim

Bruch uf sowie im Restzustand uc verzichtet werden kann. In den Nachweisberechnun-

gen mussen statische Porendrucke sowie Porenuberdrucke infolge außerer Initiale in

dem Moment der Einwirkung des hypothetischen Generalinitials jedoch berucksichtigt

werden.

Der fur den rechnerischen Stabilitatsnachweis genutzte konkrete Wert der Scherfestig-

keit des verflussigungsgefahrdeten Bodens wird in Abhangigkeit von der hinreichenden

Bedingung der Stabilitat in jedem untersuchten Punkt des betrachteten Bodengebie-

tes ausgewahlt. In allen Punkten, in denen die hinreichende Bedingung der Stabilitat

erfullt ist, wird die aquivalente Bruchscherfestigkeit in die Standsicherheitsberechnung

eingefuhrt. In allen Punkten, in denen die hinreichende Bedingung der Stabilitat nicht

erfullt ist, wird die aquivalente Restscherfestigkeit in die Standsicherheitsberechnung

eingefuhrt

ϕ′ , c′ =

δ2emin � 0 : ϕ′

eq,f , c′eq,f ,

δ2emin ≺ 0 : ϕ′

eq,r , c′

eq,r .

Die Grundlage zum Ansatz der Scherfestigkeiten in jedem Punkt des untersuchten

Bodengebietes bilden die vorausgesetzten bodenphysikalischen und bodenmechani-

schen Bedingungen.

7 Untersuchung der Standsicherheit

Zur Untersuchung der Standsicherheit auf verflussigungsgefahrdeten Standorten mit

dem dualen rechnerischen Stabilitatsnachweis mit dem Ziel, den Versagensabstand

zu einem Verflussigungsversagen eines Bodengebietes mit einer Maßzahl der Stand-

sicherheit zu belegen und die zugehorige ungunstigste Versagenskinematik auszuwei-

sen, sind die folgeden Arbeitsschritte erforderlich:

1. Ermittlung von vorsichtigen Schatzwerten fur die materialspezifischen Kennwerte

des hypoplastischen Materialgesetzes

2. Ermittlung von vorsichtigen Schatzwerten fur die raumliche Verteilung der Dichte

und des Wassersattigungsgrades

3. Berechnung des wirksamen und neutralen Spannungszustandes unter den ge-

gebenen kinematischen und kinetischen Randbedingungen außerer und innerer

Initiale mit dem hypoplastischen Materialgesetz als notwendige Bedingung der

Stabilitat δΠ(u) = 0

4. Berechnung der lokalen Form der zweiten Variation der potenziellen Energie zur

Untersuchung der hinreichenden Bedingung der Stabilitat δ2Π(u) � 0

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5. Ermittlung der aquivalenten Scherfestigkeit in jedem Untersuchunspunkt in Ab-

hangigkeit von der hinreichenden Bedingung der Stabilitat

6. Berechnung des Sicherheitsbeiwertes und Ausweisen des zugehorigen unguns-

tigsten Versagensmechanismus durch eine Phi-C-Reduktion

Das numerische Verfahren der Phi-C-Reduktion ist eine Optimierungsstrategie, die auf

die FELLENIUS-Regel aufbaut und die Losung des statischen Randwertproblems

maxη

KepMC

(

tanϕ

η,c

η

)

· u = f ,

erfordert. Das Verfahren der Phi-C-Reduktion nutzt das ideal-elasto-plastische Mate-

rialgesetz des Typs MOHR-COULOMB und modifiziert die daraus abgeleitete Steifig-

keitsmatrix KepMC bis zum Erreichen einer maximal vertretbaren Reduktion der Scher-

festigkeit. Unter den außeren Einwirkungen f werden dabei Verschiebungsbetrage u

als Losung berechnet, die keine quantitative Bedeutung haben sondern nur eine stark

plastizifierte Zone mit konzentriert hohen Verschiebungswerten als die ungunstigste

Versagenskinematik ausweisen sollen. Zur Durchfuhrung der Phi-C-Reduktion mussen

die Parameter des hypoplastischen Materialgesetzes in die aquivalenten Parameter ei-

nes Materialgesetzes vom Typ MOHR-COULOMB uberfuhrt werden. Fur die Scherfes-

tigkeit werden die in jedem Punkt ermittelten aquivalenten Scherfestigkeitskennwerte

eingefuhrt.

Die Untersuchung der Standsicherheit fur verflussigungsgefahrdete Standorte mit dem

dualen rechnerischen Stabilitatsnachweis kann an die Norm Eurocode-7 (EC-7) ange-

lehnt werden. Die Untersuchung des Versagensabstandes fur den Versagensfall der

spontanen Verflussigung LQF (static liquefaction) mit dem dualen rechnerischen Nach-

weis, der auf einen speziellen Kennwertansatz und eine angeschlossene Phi-C-Re-

duktion basiert, gehort zu den Verfahren der Grenzgleichgewichtsbetrachtungen zum

Nachweis der Gesamtstandsicherheit in der Nachweisgruppe GEO-3 mit dem Lastfall

einer außergewohnlichen Belastung in der Bemessungssituation (BS-A).

Der duale rechnerische Stabilitatsnachweis ist ein kontiuumsmechanischer Ansatz und

erfordert in allen Untersuchungsphasen die Anwendung von modernen numerischen

Methoden mit einer praktikablen softwaretechnischen Umsetzung. Das Nachweisver-

fahren kann als nutzerspezifisches Materialgesetz in jede beliebige numerische An-

wendung der zeitgemaßen Bodenmechanik fur 2D- und 3D-Probleme flexibel imple-

mentiert werden.

8 Beispielproblem

Zur Darstellung der praktischen Anwendung des dualen rechnerischen Nachweisver-

fahrens der Stabilitat auf verflussigungsgefahrdeten Standorten wurde die Standsi-

cherheit einer locker gelagerten und teilweise gefluteten Boschung mit einer Hohe

von h = 20 [m] und einem Neigungswinkel von β = 11, 31 [o] (Steigung 1:5) unter-

sucht. Die hydrologischen Verhaltnisse wurden mit einem Grundwasserflurabstand von

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h = 2 [m] vor dem Boschugsfuß und mit einem Grundwasserflurabstand von h = 10 [m]

im Boschungshinterland, ab einer Entfernung der siebenfachen Boschungshohe vom

Boschugsfuß angenommen (Vogt,1991). Im Hinterland der Boschung wirkt eine B =

20 [m] breite Flachenlast mit einer Sohlspannung von q = 25 [kPa]. Die Flachenlast

steht oberhalb einer lockeren Linse an, deren extrem hohe Anfangsporenzahl mit e0=

1, 1 [1] gewahlt wurde. Das Beispielproblem richtet sich nicht nach einem existierenden

Objekt sondern wurde als synthetische und typische Aufgabenstellung entworfen.

Tabelle 1: Eingangsgroßen des Beispielproblems

Bodenmechanische Kennwerte

emin [1] 0, 45

emax [1] 0, 95

s [1] 0, 95

B [1] 0, 90

KNC0

[1] 0, 45

Kennwerte der Hypoplastizitat

ed0 [1] 0, 45

ec0 [1] 0, 80

ei0 = ec0 [1] 0, 80

hs [MPa] 100, 00

n [1] 0, 50

α [1] 0, 25

β [1] 1, 00

ϕc [o] 30, 00

tn [kPa] 5, 00

Kennwerte des Erdruhedruckzustandes

ζ [1] 1, 00

η [1] 0, 50

Die bodenphysikalischen Kennwerte wurden mit typischen Werten fur verflussigungs-

gefahrdete Sande angesetzt und in der Tabelle 1 zusammengestellt. Der Referenzwert

der kritischen Porenzahl ec0 wurde ausgehend von einschlagiger experimenteller Er-

fahrung an verflussigungsgefahrdeten Kippensanden bei einer bezogenen Lagerungs-

dichte von ID = 0, 30 [1] angenommen. Der Fluidsattigungsgrad wurde unterhalb des

Grundwasserspiegels mit einem Anfangswert von s0 = 0, 95 [1] vorausgesetzt und in

Abhangigkeit von den wirkenden statischen Porenwasserdrucken entsprechend einer

isothermen Kompression der Gasphase tiefenabhangig eingestellt. Mit dem SKEMP-

TON’schen Faktor B = 0, 90 [1] wurde der Anteil der totalen isotropen Spannungen, der

sich bei einer undrainierten Belastung auf die Porenuberdrucke uberlagert, mit 90 [%]

vorgegeben. Die in der Tabelle 1 unten genannten Kennwerte des hypoplastischen Ma-

terialgesetzes stellen ebenso Erfahrungswerte fur typische verflussigungsgefahrdete

Sande dar.

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Abbildung 1: Beispielproblem - e = 0, 95 [1] - Berechnungsmodell mit Porenzahlvertei-

lung (oben) und Porenuberdruck infolge außerer Last (unten)

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Abbildung 2: Beispielproblem - e = 0, 95 [1] - Fluidsattigungsgrad (oben) und Erdruhe-

druckbeiwert (unten)

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Abbildung 3: Beispielproblem - e = 0, 95 [1] - Minimalwert der lokalen Form der zwei-

ten Variation der potenziellen Energie (oben) und ungunstigste Versagenskinematik

(unten)

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Zur Losung des Beispielproblems als ebenes Deformationsproblem wurde der dua-

le rechnerische Stabilitatsnachweis in das Programmsystem PLAXIS-2D als nutzer-

spezifisches Materialgesetz eingefuhrt. Das Beispielproblem wurde mit den Anfangs-

porenzahlen e0= 0, 75; 0, 80; 0, 85; 0, 90; 0, 95; 1, 00 [1] berechnet, wobei zu beach-

ten ist, dass die vorgegebene Anfangsporenzahl e0

mit dem Kompressionsgesetz (1)

in Abhangigkeit vom isotropen wirksamen Spannungsanteil tiefenabhangig eingestellt

wird. Vereinfachend und auf der sicheren Seite wurde die Dichte oberhalb sowie un-

terhalb des Grundwasserspiegels mit jeweils n = 1700 [kg/m3] und r = 2000 [kg/m3]

angesetzt.

Ausgewahlte Berechnungsergebnisse des Beispielproblems mit der Anfangsporenzahl

e0= 0, 95 [1] sind in den Abbildungen 1, 2 und 3 dargestellt. In der Abbildung 1 ist

im Bild oben die Geometrie des Modells mit der Sickerlinie sowie der raumlichen Po-

renzahlverteilung e und im Bild unten der Porenuberdruck ux infolge der einwirkenden

außeren Last ersichtlich. In der Abbildung 2 ist im Bild oben die raumliche Verteilung

des Fluidsattigungsgrades s und im Bild unten die raumliche Verteilung des resultie-

renden Erdruhedruckbeiwertes KU0

dargestellt. In der Abbildung 3 im Bild oben ist die

raumliche Verteilung des Minimalwertes der lokalen Form der zweiten Variation der

potenziellen Energie δ2emin und im Bild unten das Verschiebungsfeld der ausgewiese-

nen ungunstigsten Versagenskinematik abgebildet. In der raumlichen Verteilung des

Minimalwertes der lokalen Form der zweiten Variation der potenziellen Energie δ2emin

ist der Einfluss der Porenuberdrucke infolge der außeren Flachenlast q als ”außeres

Initial” deutlich erkennbar.

Aus den Darstellungen in den Abbildungen 1, 2 und 3 geht deutlich hervor, dass der Mi-

nimalwert der lokalen Form der zweiten Variation der potenziellen Energie δ2emin und

damit die mobilisierbare Scherfestigkeit infolge der außeren Belastung und durch die

Boschung beeinflusst wird. Die resultierende ungunstigste Versagenskinematik greift

tief nach unten und deutet auf eine Kombination aus einem Gelandebruch und einem

Grundbruchversagen hin. Dieser typische Versagensmechanismus erscheint in Verbin-

dung mit dem spontanen Verflussigungsversagen von locker gelagerten und nahezu

wassergesattigten rolligen Lockergesteinen bei Feldbeobachtungen systematisch.

Tabelle 2: Berechnungsergebnisse des Beispielproblems

Berechnungsergebnisse

e0

ηLQF

[1] [1]

0,75 2,876

0,80 2,725

0,85 1,307

0,90 0,646

0,95 0,488

1,00 0,387

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In der Tabelle 2 sind die berechneten globalen Sicherheitsbeiwerte ηLQF fur unter-

schiedliche Großen der eingefuhrten Anfangsporenzahl e0

zusammengestellt und zei-

gen, dass die Standsicherheit unter den modellierten Bedingungen des Beispielpro-

blems nicht mehr hinreichend wird, wenn Porenzahlwerte die Großenordnung der Po-

renzahl bei lockerster Lagerung emax = 0, 95 [1] annahern.

9 Zusammenfassung

Die spontane Verflussigung von Lockergesteinen ist eine sehr gefahrliche Versagens-

art, weil bei einem dadurch ausgelosten Setzungfließen bedrohliche Massenbewegun-

gen ohne wahrnehmbare Vorzeichen eintreten und sich durch einen fortschreitenden

Bruchmechanismus auf sehr große Flachen ausdehnen konnen. Zu einem moglichen

Verflussigungsversagen eines Lockergesteins ist das gleichzeitige Vorliegen einer Rei-

he von bodenmechanischen Bedingungen notwendig. Neben einer speziellen Korn-

verteilung und bevorzugt runder Kornform bilden eine hinreichend lockere Lagerung

und hohe Wassersattigung die Grundvoraussetzungen fur die Verflussigungsneigung

eines Lockergesteins. Zum Auslosen des Versagensvorganges ist weiterhin eine hin-

reichend große Storung des Spannungszustandes in Form einer außeren oder inneren

Einwirkung erforderlich.

Der rechnerische Nachweis der Standsicherheit fur verflussigungsgefahrdete Stand-

orte muss anhand eines mathematischen Modells den Versagensabstand zu einem

Verflussigungsversagen ausgehend von den bodenmechanischen Bedingungen so-

wie wichtigsten bodenphysikalischen Zustandsvariablen ermitteln konnen und an die

gultige geotechnische Normung angelehnt sein. Der rechnerische Nachweis der Stand-

sicherheit muss weiterhin die Moglichkeit eroffnen, ein erforderliches Niveau der Stand-

sicherheit auf verflussigungsgefahrdeten Standorten mit gezielten, notwendigen und

hinreichenden Sanierungsmassnahmen herzustellen.

Zur Durchfuhrung des Stabilitatsnachweises an dem zu bewertenden Standort aus

verflussigungsgefahrdeten Lockergesteinen wird unter den geometrischen, hydrolo-

gischen und geotechnischen Bedingungen sowie unter den potenziell einwirkenden

Initialen ein dynamisch oder statisch zulassiges Spannungsfeld berechnet, das die Be-

wertung der Tragfahigkeit von Bodenelementen bei einem undrainierten Belastungs-

vorgang mit der Theorie zweiter Ordnung ermoglicht. Durch die angeschlossene Er-

mittlung des Sicherheitsbeiwertes und der kritischen Gleitflache wird eine Entschei-

dung uber eine hinreichende Stabilitat ermoglicht.

Danksagung

Fur die forderlichen Diskussionen zum Problem der rechnerischen Nachweise fur ver-

flussigungsgefahrdete Standorte sei an dieser Stelle Prof. G. Gudehus, Prof. W. Forster,

Prof. W. Kudla, Prof. P.-A. von Wolffersdorff, Dr. A. Vogt, Dr. J. Keßler, Herrn U. Warm-

bold und Herrn S. Breier ganz herzlich gedankt.

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