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Wundauflagen
Christian Moosmann Universitätsklinik Freiburg
Wundsprechstunde Allgemein- & Viszeralchirurgie
Hugstetterstrasse 5579106 Freiburg im Breisgau
www.uniklinik-freiburg.dechristian.moosmann@uniklinik-freiburg.de
Skript 8. Freiburger Wundsymposium
21. März 2015
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Inhaltsverzeichnis
1 Historie von Wundverbänden.............................................................. 3
....................................................................2 Wunde und Wundheilung 4
.......................................................................................3 Wundauflagen 6..........................................................3.1 Morphologie von Verbandsstoffen 6
...................................................................3.2 Funktion von Wundauflagen 8..........................................................3.3 Kenndaten von Verbandsstoffen 10
...........................................................................3.4 Verbandsstoffgruppen 11
..............................................................................4 Wundmanagement 16.........................................................................4.1 Gesetzliche Richtlinien 16
.........................................................4.2 Leitlinien der Fachgesellschaften 16............................4.3 Auswahl eines Verbandes bei chronischen Wunden 17
................................................................................................ Literatur 20
Das Skript ist urheberrechtlich geschützt. Nachdruck, Entnahme von Abbildungen oder Wiedergabe auf photomechanischem oder ähnlichem Weg, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, bedürfen der schriftlichen Genehmigung des Autors. Der Autor dieses Werkes hat große Sorgfalt darauf verwendet, dass die gemachten Angaben dem derzeitigen Wissensstand entsprechen. Das entbindet den Benutzer aber nicht von seiner Verpflichtung, seine Diagnostik, Therapie und Handlungen in eigener Verantwortung zu bestimmen. Ein Anspruch auf Haftung und Vollständigkeit besteht nicht.Für die Inhalte der Links sind ausschließlich deren Betreiber verantwortlich.Geschützte Waren/Handelsbezeichnungen, Namen etc. wurden nicht extra kenntlich gemacht. Alle Bilder und Grafiken: Christian Moosmann
Christian Moosmann Stand 03/2015
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1. Historie von Wundverbänden
ca. 1550 v.Chr. Papyrus Edwin-Smith: Praktisch gehaltene, medizinische Anwendungsdokumentation. Die Lokaltherapie von Wunden wird im „Wundenbuch“ beschrieben. Der Aufbau ist bereits als klassischer medizinischer Lehrtext in Untersuchung, Diagnose, Prognose und Therapie unterteilt und es wird bereits zwischen heilbaren und nichtheilbaren Krankheiten/Wunden unterschieden. Feuchte Wundbehandlung wird u.a. mit öl- oder honiggetränkten Leinenbinden, Ton, frischem Fleisch und Schmalz durchgeführt, trockene Wundbehandlung wird mit Leinwandfaserbäuschen oder trockenen Leinenbinden beschrieben (Westendorf 1992).
ca. 600 v. Chr. Hippokrates von Kos: Unterscheidung zwischen kausaler und symptomatischer Therapie sowie septischen und aseptischen Wunden. Aseptische Lokaltherapie mit rotweingetränkten Leinenbinden (Lyons 1963).
1747 n. Chr. Wissenschaftliche Untersuchung über Wundheilungs-geschwindigkeit bei Seefahrern mit und ohne Skorbut ( Lind 1753).
ca. 1750 Hunter: Einführung der Begriffe primäre und sekundäre Wundheilung sowie der Wundheilungsphasen (Kobler 1960)
19.Jahrhundert Pasteur: Empfehlung und Umsetzung von Sterilisation von Verbänden (Schmitt 1979)
1958 Nachweis, dass die Wundheilung einer kutanen Blase bei intaktem belassenem Blasendach deutlich schneller abläuft als bei offener trockener Behandlung (Odland 1958)
1962 Nachweis im Tierversuch, dass feucht behandelte Wunden schneller Abheilen als trocken behandelte Wunden (Winter 1962)
1982 Markteinführung des Hydrokolloidverbandes
ca. 1985 Entwicklung des Vakuumverbandes (Fleischmann et al. 1992)
nach 1990 Entwicklung und Markteinführung von bioaktiven Verbandsstoffen zur Proteasenregulation
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2. Wunde & Wundheilung
Definition Wunde:
Eine Wunde ist ein pathologischer Zustand, bei dem Gewebe getrennt oder zerstört
wird, der mit oder ohne Substanzverlust einhergehen kann.
Es werden folgende Wundarten unterschieden:• traumatische Wunden• iatrogene Wunden• chronische Wunden
Traumatische Wunden: Wunden, die durch gewaltsame Einwirkung von außen
(mechanisch, thermisch, chemisch, Strahlung) entstehen.
Iatrogene Wunden: Wunden, die durch ärztliche Maßnahmen (Operation oder
Diagnostik) verursacht werden.
Chronische Wunden: Wunden, die länger als 4-6 Wochen zur Abheilung benötigen.
Die chronische Wunde heilt sekundär, die verzögerte Abheilung (Wundheilungs-
störung) wird in der Regel durch einen lokalen Faktor oder durch eine systemische
Grunderkrankung verursacht.
Wundheilung
Mit Wundheilung bezeichnet man den körpereigenen Verschluss einer Wunde durch
weitestgehende Wiederherstellung des beschädigten Körpergewebes. Es handelt sich
um einen natürlichen Prozess, der therapeutisch optimiert werden kann und bereits
wenige Minuten nach Entstehung der Wunde beginnt (Assmussen 2010)
Primäre Wundheilung (p. p. = per primam intentionem):
Die primäre Wundheilung kann bei Wunden erfolgen, deren Ränder bündig
schließen (i.d.R. Schnitt- oder Operationswunden) und keimarm/keimfrei sind.
Die Adaption der Wundränder wird durch Vernähen, Klammern, Verkleben mit
Fibrinkleber oder Pflasterstreifen unterstützt. Die Heilung erfolgt in diesen
Fällen komplikationslos innerhalb von Stunden bis Tagen ohne äußere
Unterstützung. Wundauflagen dienen bei der primären Wundheilung zur
Protektion der Wunde/Nahtstelle, um schädigende Einflüsse wie z.B. Reiben
von Kleidung an der Nahtstelle zu reduzieren oder zu vermeiden.
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Sekundäre Wundheilung (p. s. = per secundam intentionem):
Eine sekundäre Wundheilung findet in Wunden statt, bei denen ein
Gewebsdefekt (oder eine Infektion) vorliegt. Diese Wunden sind in der Regel
bakteriell besiedelt. Die Heilung dauert Wochen bis Monate und benötigt für
einen komplikationslosen Verlauf Unterstützung von außen (Wundauflagen,
Verbände, antiseptische Maßnahmen).
Wundheilungsphasen
Die Wundheilung durchläuft bis zur Vollendung verschiedene Stadien. In großen
Wunden können verschiedenen Stadien der Heilung gleichzeitig auftreten.
Reinigungssphase
Durch die initiale Verletzung der Kapillaren folgt reaktiv eine Hyperämie der Wunde
und ihrer Umgebung, durch die darauf folgende Blutung und den gesteigerten
Lymphfluß können Fremdkörper und Keime aus der Wunde herausgespült werden.
Die nachfolgend einsetzende Gerinnung (Bildung von Fibrin) führt zur Verklebung
aufeinanderliegender Wundränder oder zur Schorfbildung.
Granulationsphase
Durch Proliferation von Bindegewebe wird der Wunddefekt zunehmend mit
Granulationsgewebe aufgefüllt. Die Einsprossung von Kapillaren nimmt zu, hierunter
kommt es zur Ausbildung von Kollagenfasern.
Abbildung 1: Wundheilungsphasen
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Epithealisierungsphase/Narbenreifungsphase
Die Wunde wird an der Oberfläche durch Epithelisation/Narbenbildung geschlossen,
die Narbe reift in den nächsten 6-24 Monaten nach, d.h. sie blasst und flacht ab.
3 Wundauflagen
Wundauflagen werden aus Biomaterial gefertigt. Als Biomaterial werden im
Allgemeinen synthetische oder nicht lebende natürliche Materialien bezeichnet, die in
der Medizin für therapeutische oder diagnostische Zwecke eingesetzt werden. Sie
treten dabei in unmittelbaren Kontakt mit dem Gewebe des Körpers und können
chemische, physikalische und biologische Wechselwirkungen erzeugen (Ratner 2004).
Gängige Biomaterialien in der Produktion von Verbandsstoffen sind: Baumwolle,
Algen, Zellulose, Polymere, Keramik, Glycerin, Pektin, Fette, Cyanacrylat und Silikon.
3.1 Morphologie von Verbandsstoffen
Aufgrund unterschiedlicher Wundgrößen und Wundtiefen werden verschiedene
Fabrikationsformen von Verbandsstoffen benötigt.
Die Wundabdeckung ist die oberste Lage eines Verbandes, die den Abschluss zur
Umwelt darstellt. Sie hat in der Regel eine saugende Unterseite und eine
flüssigkeitsundurchlässige, nichtsaugende Oberseite. Die Wundabdeckung wird bei
Einsatz eines Wundfüllers als Sekundärverband bezeichnet.
Abbildung 2: Wundabdeckung
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Bei selbstklebenden/haftenden Wundabdeckungen kommen Cyanacrylat oder Silikon
als Adhäsionsstoff zum Einsatz. Cyanacrylat hat eine hohe Kohäsion/starke
Klebewirkung, die z.B. bei Pergamenthaut zu Hautdefekten beim Entfernen des
Verbandes führen kann. Silikon hat eine vergleichsweise geringe Kohäsion mit einer
deutlich geringeren Fixierkraft aber daher auch atraumatische Eigenschaften bei der
Entfernung.
Das Trennmittel ist eine Verbandsstoffbauart, die ein Verkleben der Wunde mit der
Wundabdeckung durch Schaffung einer räumlichen Trennung verhindert. Damit das
Trennmittel mit der Wunde nicht selbst verklebt, ist es in der Regel mit einer
Beschichtung oder Imprägnierung versehen, die meist aus Fett, Silikon oder
Quellstoffen z.B. Hydrokolloidpartikeln besteht. Damit das Wundexsudat an die
Wundabdeckung gelangen kann, ist das Trennmittel mit Poren versehen.
Der Wundfüller charakterisiert sich durch Tamponierfähigkeit. Verbände, die als
Wundfüller eingesetzt werden, besitzen in der Regel keine Ober- und Unterseite, d.h.
beide Seiten sind saugend. Um gut tamponierfähig zu sein, besteht diese Klasse der
Verbände überwiegend aus weichen Biomaterialien. Die Aufgabe des Wundfüllers ist
Abbildung 3: Trennmittel
Abbildung 4: Wundfüller
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es, einen Kontakt vom Wundgrund zur Wundabdeckung herzustellen. Häufig wird
diese Art des Verbandes auch Primärverband genannt, die Wundabdeckung wird bei
Einsatz eines Wundfüllers als Sekundärverband bezeichnet.
3.2 Funktion von Wundauflagen
Ein Verband hat folgende Funktionen:
1. Protektiv
2. Physikalisch
3. Pharmakologisch
Protektive Funktion: Ein Verband übernimmt die Schutzfunktion der zerstörten Haut
und schirmt die Wunde vor äußeren Einflüssen wie zum Beispiel Bakterien und
mechanischer Belastung z.B. durch Kleidung ab. Gleichzeitig schützt ein Verband die
Umwelt vor Kontamination mit Wundexsudat oder Keimen.
Physikalische Funktion: Ein Verband reguliert durch Absorption (Saugen) und
Retention (Bindung und Abdampfen von Exsudat) den Feuchtigkeitshaushalt einer
Wunde. Die Saugwirkung entsteht durch Kapillaren im Saugkörper eines Verbandes.
Die Abdampffähigkeit und die Exsudatbindung hängen von der Beschaffenheit des
Biomaterials und dem Aufbau eines Verbandes ab.
Pharmakologische Funktion: Da Verbände direkten Kontakt zur Wunde und dadurch direkten Zugang zum Stoffwechselsystem der Haut haben, eignen sie sich als Medikamententräger, um ein heilungshemmenden Zustand (Ungleichgewicht von Wundheilungsfaktoren, Bakterienbesiedelung etc.) zu bessern oder zu beheben. Als Pharmakon kommen antiseptische Mittel wie Silberionen, Polyhexanid, Jod, Lavanid oder wundmillieustabilisierende Mittel wie Kollagen, Hyaluronsäure, Natriumbicarbonat oder Honig zum Einsatz. Da die Beschaffenheit von Wunden stark unterschiedlich ist und die Resorption eines Pharmakons damit schwer steuerbar, sind die Wirkstoffdosierungen in den Verbänden gering. Bislang gibt es keinen evidenzbasierten Nachweis, dass Wunden, die mit wirkstoffhaltigen Verbänden behandelt wurden, schneller heilen (Palfreyman et al. 2007).
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Wichtige Aufgaben eines Verbandes sind die Schutzfunktion und die
Reinigungswirkung/Detoxikation der Wunde, die durch die Saugwirkung des
Verbandes durch Kapillaren erreicht wird. Exsudat, Zelltrümmer, Bakterien etc. werden
aktiv in den Verband aufgenommen.
Eine reinigende Wirkung durch den Verband kann nur dann suffizient funktionieren,
wenn ein vollständiger Kontakt zum Wundgrund besteht. Wenn mit der saugenden
Seite der Wundabdeckung kein vollflächiger Kontakt zum Wundgrund möglich ist,
muss zusätzlich ein Wundfüller (Tamponade) eingesetzt werden.
Abbildung 5: Verbandsstofffunktion im Modell
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3.3 Kenndaten von Verbandsstoffen
Die Verbände unterscheiden sich hauptsächlich in der Quantität und Qualität der
physikalischen Eigenschaften und in der pharmakologischen Wirkung
Absorption: Exsudatsaufnahmefähigkeit, Unterscheidung in:
Qualität: Sauggeschwindigkeit+Saugrichtung:
- horizontal (verteilt Exsudat im gesamten Verband) oder
- vertikal (der Verband wird nur dort nass, wo Exsudat entsteht)
Quantität: Saugmenge (in ml)
Retention: Bindung und Abdampfen von Exsudat
Abdampfrate: Wasserdampftransmissionswert (mvtr in ml (24h/1m2))
Abbildung 6: Horizontale Absorption (Alginat, links), vertikale Absorption (Hydrofaser, rechts)
11
Jedes Biomaterial hat spezifische Eigenschaften in den genannten Punkten. Bei
geringer Retention und hoher Abdampfrate trocknet eine Wunde unter dem Verband
aus (Bsp.: Mullkompresse). Bei hoher Exsudatbindung und geringer Abdampfrate
(Bsp.: Hydrogel) wird eine Wunde feucht gehalten. Verbände können grundsätzlich in
zwei Kategorien eingeteilt werden:
• Verbände die eine Wunde austrocknen/trocken halten (trockene Wundbehandlung)
• Verbände die eine Wunde anfeuchten/feucht halten (feuchte Wundbehandlung)
Besteht nur ein Teil des Verbandes (Wundfüller oder Wundabdeckung) aus einem
Verbandsstoff der feuchten Wundbehandlung, zählt der gesamte Verband als feuchte
Wundbehandlung (Bsp. Mullkompresse (trocken) + Folie (feucht)= feuchte
Wundbehandlung).
Labor- und Leistungsdaten von Biomaterialien können in der Fachliteratur zu
Biomaterialien oder bei den Fachgesellschaften von Biomaterial (z.B.
www.biomaterials.org) eingesehen werden.
3.4 Verbandsstoffgruppen
Trennmittel / Fettgaze
Biomaterial: Baumwolle, Polyurethan und Polyamid
Saugleistung: 0- 15ml (bei beigemengten Quellstoffen z.B. Hydrokolloidpartikel)*
Qualität: Trocken/ feucht (bei beigemengten Quellstoffen z.B. Hydrokolloidpartikel)
Beschreibung: Dient der räumlichen Trennung von Wunde und Verbandsstoff. Sie soll
eine Traumatisierung der Wunde beim Verbandswechsel vermeiden. Als Trennmaterial
wird Vaseline, Paraffin, Hydrokolloidpartikel, Silikon, Lanolin oder Hydrogel verwendet.
Folie
Biomaterial: Polyurethan (fest), Cyanacrylat (flüssig)
Saugleistung: -*
Qualität: Feuchte Wundbehandlung
Beschreibung: Semipermeabler, nicht saugender Verband, zur Fixierung von
Primärverbänden oder als Mazerationsschutz auf gesunder Haut, auch in flüssiger
Form als Spray erhältlich
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Hydrogel
Biomaterial: Zellulose, Alginat, Wasser, Pektin
Saugleistung (10x10cm): 9ml/24h*
Qualität: Feuchte Wundbehandlung
Beschreibung: Semipermeabler, feuchter Verband zur Rehydrierung von trockenen
Wunden, als Kompresse oder als loses Gel erhältlich
Alginat
Biomaterial: Braun-/Rotalge
Saugleistung (10x10cm): 16 ml/24h*
Qualität: Feuchte Wundbehandlung
Beschreibung: Faseriger Verband, der bei Kontakt mit Wundexsudat ein Gel bildet. Ist
als wattige Tamponade oder Kompresse erhältlich. Aufgrund des hohen
Calciumanteils leicht hämostyptische Wirkung
Hydrokolloid
Biomaterial: Alginat, Zellulose, Pektin, Polyurethan
Saugleistung (10x10cm): 24 ml/24h*
Qualität: Feuchte Wundbehandlung
Beschreibung: Semiokklusiver Verband, der bei Kontakt mit Wundexsudat ein Gel
bildet. Langsames Saugverhalten. Wird in anderen Verbänden als Gelbildner
eingesetzt (z.B. Gaze)
Mull
Biomaterial: Baumwolle
Saugleistung (10x10cm): 25 ml/24h*
Qualität: Trockene Wundbehandlung
Beschreibung: Wird als Kugeltupfer, Kompresse oder Schnellverband angeboten.
Dient als Trägermaterial bei verschiedenen Gazeverbänden. Kann angefeuchtet als
Verband der feuchten Wundbehandlung eingesetzt werden. Häufig schmerzhafte
Verbandswechsel durch antrocknende/einwachsende Mullfäden
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Hydrofaser
Biomaterial: Carboxy-Methylcellulose
Saugleistung (10x10cm): 36 ml/24h*
Qualität: Feuchte Wundbehandlung
Beschreibung: Wird als Kompresse oder Wundabdeckung angeboten. Geliert sofort,
dadurch sehr atraumatische Verbandswechsel möglich. Ausgeprägte vertikale
Absorption.
Glycerin
Biomaterial: Glycerin
Saugleistung (10x10cm): 46 ml/24h*
Qualität: Feuchte Wundbehandlung
Beschreibung: Wird als Wundabdeckung angeboten. Bindet Keime und zählt zu den
antiinfektiösen Verbänden.
Saugkompresse
Biomaterial: Baumwolle, Wattefleece, Zellulose
Saugleistung (10x10cm): 55 ml/24h*
Qualität: Trockene Wundbehandlung
Beschreibung: Wird als Wundabdeckung angeboten. Gehört mit der Mullkompresse
zum Standardrepertoire der trockenen Wundbehandlung.
Schaumstoffe
Biomaterial: Polyurethan (Polymere)
Saugleistung (10x10cm): 65 ml/24h*
Qualität: Feuchte Wundbehandlung
Beschreibung: Wird als Wundfüller oder Wundabdeckung angeboten.
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Keramik
Biomaterial: Keramik
Maximalsaugleistung (10x10cm): 70 ml/24h*
Qualität: Feuchte Wundbehandlung
Beschreibung: Wird als Wundfüller und Wundabdeckung angeboten. Aufgrund der
Druckbeständigkeit kann der Verband unter Kompression pelottenartig eingesetzt
werden. Kaum messbare Größenausdehnung bei der Absorption.
Superabsorber
Biomaterial: Polyacrylat
Maximalsaugleistung (10x10cm): 170 ml/24h*
Qualität: Feuchte Wundbehandlung
Beschreibung: Wird als Wundfüller und Wundabdeckung angeboten. Höchste
Absorption aller passiv saugenden Verbände. Schnelle Exsudataufnahme.
Ausgeprägte Größenzunahme bei Absorption.
Vakuumtherapie (Negative Pressure Wound Therapie)
Biomaterial: Baumwolle, Polyurethan, Polyvinylalkohol
Maximalsaugleistung: Unbegrenzt*
Qualität: Feuchte Wundbehandlung
Beschreibung: Ein Wundfüller (Baumwolle, Polyurethan, Polyvinylalkohol) wird mit
Folie versiegelt und mit einer Vakuumquelle ein Unterdruck über eine Drainage
erzeugt. Die Vakuumtherapie ist eine dynamische Okklusion, die zur
Wundkonditionierung eingesetzt wird.
*Anmerkung: Die Werte der Maximalsaugleistung wurde in einem Laborversuch mit Leitungswasser 20 °C (+/- 0,1°C) in der UKL Freiburg im Mai 2009 ermittelt. Es wurden pro Test von jeder
Verbandsstoffgruppe Wundauflagen von 5-7 Hersteller (Außnahme: Hydrofaser: 2 Hersteller, Keramik: 1 Hersteller, Glycerin: 1 Hersteller) mit der Saugkörpergrösse von 10x10cm in Standarddicke verwendet.
Das angegebene Ergebnis stellt den Durchschnittswert der getesteten Auflagen dar.
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Wirkstoffhaltige Verbände
(Antiinfektiöse Verbände, analgesierende Verbände, geruchsreduzierende Verbände,
bioaktive Verbände): Verbände, die einen aktiven stofflichen Einfluss auf das
Wundmilieu nehmen sollen, oder durch Zusätze additive Eigenschaften haben (Bsp.
Geruchsbindung). Silber, Polyhexanid, Octenidin, Jod, Glycerin, Tannenharz oder
Honig werden zur Keimreduktion den entsprechenden Verbänden zugesetzt, Kollagen,
Hyaluronsäure, Chitosan, gereinigtes Fremdhämoglobin oder Eichenrindenextrakt zur
Granulationsförderung oder Wundheilungsbeschleunigung. Zur lokalen
Schmerzbehandlung wird einem Verband Ibuprofen zugesetzt. Als Binder für Gerüche
wird Aktivkohle eingesetzt.
Die Studienlage zu Verbandsstoffen lässt momentan keinen evidenzbasierten
Nachweis zu, ob bestimmte Biomaterialien zur Behandlung von Wunden besser
geeignet sind als andere (Palfreyman et al. 2007). Durch den gezielten Einsatz eines
entsprechenden Materials kann ein physiologisches, ideal-feuchtes Wundmilieu erzielt
werden, das die Heilung bei nicht-ischämischen Wunden nachweislich beschleunigt.
16
4 Wundmanagement
Modernes Wundmanagement befasst sich mit der Behandlung der Wunde selbst und
der Therapie der Wundursache. Um die Sicherheit der Patienten zu gewährleisten, hat
der Gesetzgeber gesetzliche Richtlinien erlassen. Als therapeutische Unterstützung
und Entscheidungshilfe wurden von den medizinischen Fachgesellschaften Leitlinien
entworfen.
4.1 Gesetzliche Richtlinien
Als wichtige gesetzliche Richtlinie ist das Medizinproduktegesetz (MPG) zu nennen.
§ 1 beschreibt den Zweck dieses Gesetzes: „Zweck dieses Gesetzes ist es, den
Verkehr mit Medizinprodukten zu regeln und dadurch für die Sicherheit, Eignung und
Leistung der Medizinprodukte sowie die Gesundheit und den erforderlichen Schutz der
Patienten, Anwender und Dritter zu sorgen.“
Das MPG ist unter: www.gesetze-im-internet.de/bundesrecht/mpg/gesamt.pdf
einzusehen.
Weiter ist im Sozialgesetzbuch, Fünftes Buch unter § 135a verankert: „Die
Leistungserbringer sind zur Sicherung und Weiterentwicklung der Qualität der von
ihnen erbrachten Leistungen verpflichtet. Die Leistungen müssen dem jeweiligen
Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse entsprechen und in der fachlich gebotenen
Qualität erbracht werden.“
Die gesetzlichen Richtlinien legen die Rahmenbedingungen für das therapeutische
Handeln fest.
4.2 Leitlinien der Fachgesellschaften
Medizinische Leitlinien sind systematisch entwickelte Feststellungen, um die
Entscheidungen von Ärzten, Angehörigen anderer Gesundheitsberufe und Patienten
über angemessene Gesundheitsversorgung für spezifische klinische Umstände zu
unterstützen. Evidenzbasierte, konsentierte Leitlinien, die regelmäßig aktualisiert
werden, können als aktueller Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse betrachtet
werden. Die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen
Fachgesellschaften e.v. (Abkürzung: AWMF; Dachverband der medizinischen
Fachgesellschaften) stellt medizinische Leitlinien im Internet kostenfrei einsehbar
unter http://awmf.org/ zur Verfügung.
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Für die Lokalbehandlung von Patienten mit Ulcus cruris und Diabetischem Fuß wurde
von der DGfW eine S3-Leitlinie „Lokaltherapie chronischer Wunden bei Patienten mit
den Risiken periphere arterielle Verschlusskrankheit, Diabetes mellitus, chronisch
venöse Insuffizienz“ entwickelt. Für seltene Erkrankungen existieren meist keine
Leitlinien oder solche mit geringem Evidenzgrad.
4.3 Auswahl eines Verbandes bei chronischen Wunden
Wundheilung ist Zellteilung. Um diese ungehindert erreichen zu können, benötigen die
Zellen in einer Wunde eine ausreichende Durchblutung (>50mmHg Verschlussdruck)
(Marston et al. 2006) und ein feuchtes Milieu. Der Verschlussdruck ist an den
Gliedmaßen einfach mit einer Blutdruckmanschette zu messen, bei Wunden am Bein
sollte der Knöchel-Arm-Index (ABI) gemessen werden. Der Tierversuch von G. Winter
zeigte, dass die Wundheilung/Zellteilung bei ausreichend perfundierten Wunden
begünstigt wird und unter trockener Therapie verlangsamt abläuft oder stagniert.
Für die Praxis bedeutet dies:
Zellteilung möglich (Verschlussdruck >50mmHg oder Knöchel-Arm-Index 0,6 - 1,4) +
Zellteilung erwünscht (keine malignen Zellen in der Wunde)! feuchte
Wundbehandlung
Diese Wunden sind in der Regel heilbar. Die Lokaltherapie bei feuchter
Wundbehandlung soll phasengerecht sein und kann nach den bekannten Schemata/
Kriterien (TIME etc.) erfolgen.
Liegt eine kritische Ischämie vor (Verschlussdruck <50mmHg) ist eine Zellteilung kaum
bis nicht mehr möglich. Es liegt keine Evidenz zu feuchter Wundbehandlung bei
Abbildung 7: Modell für den Aufbau therapeutischen Handelns
18
kritischer Ischämie vor. Klinische Erfahrungswerte zeigen, dass es bei kritischer
Ischämie und feuchter Wundbehandlung aufgrund der reduzierten lokalen
Immunabwehr das Infektionsrisiko ansteigen kann, weiter kann sich die Wunde durch
Andauen von vitalem Gewebe vergrößern.
Bei malignen Zellen in der Wunde z.B. bei exulcerierenden Tumoren ist eine Zellteilung
nicht erwünscht. Tumorzellen teilen sich im feuchten Milieu besser als im trockenen,
eine feuchte Wundbehandlung von Tumorgewebe hat ein rascheres Wachstum der
malignen Zellen mit meist ausgeprägter Geruchsbildung zur Folge. Wunden, in denen
eine Zellteilung aufgrund einer nicht ausreichenden Durchblutung nicht möglich ist oder
maligne Zellen vorliegen, sind durch eine konservative Lokaltherapie nicht heilbar. Das
Behandlungsziel ist deshalb eine gute Lebensqualität, es wird versucht, den
Wundbefund konstant zu halten bis die kausale Ursache (z.B. Revaskularisation durch
Stent oder Bypass oder bei lokalen Tumoren eine operative Tumorentfernung im
gesunden Gewebe) wieder eine Heilung zulässt. Für die Praxis bedeutet dies:
Zellteilung nicht möglich (Verschlussdruck <50mmHg oder Knöchel-Arm-Index <0,6
oder >1,4) oder Zellteilung nicht erwünscht (maligne Zellen in der Wunde) ! trockene
Wundbehandlung.
Abbildung 8: Kurativer und palliativer Behandlungspfad
19
Eine Wunde ist das Ergebnis eines äußeren Einflusses oder einer zugrundeliegenden
Erkrankung. Die „chronische Wunde“ an sich ist daher keine Diagnose sondern ein
Symptom. Die erfolgreiche Behandlung einer Wunde besteht aus:
1. Kausaltherapie
2. Lokaltherapie
Ohne Kausaltherapie wird die Wunde selbst unter bester Lokaltherapie keine oder
eine deutlich verlangsamte Heilungstendenz aufweisen. Außerdem kann bei
fortbestehender Grunderkrankung nach Abheilung wieder ein Rezidiv der Wunde
auftreten. Es gilt daher:
Keine Wundbehandlung ohne Diagnose!
Die Diagnosestellung obliegt dem Arzt. Ist die Diagnose bekannt, wird die
Kausaltherapie festgelegt. Nach der Ursache entsprechend (kurativ/palliativ) richtet
sich die Lokaltherapie (trocken/feucht).
Abbildung 9: Wundmanagement = Kausaltherapie + Lokaltherapie
20
Literatur
Asmussen et al.: Die Prinzipien der Wundheilung: Wundtypen, Wundheilungsvorgänge und Wundheilungsstörungen; Cm Medienverlag, unveränderte Neuauflage, Sonderausgabe, 2010
DGfW e.V. : S3-Leitlinie Lokaltherapie chronischer Wunden bei Patienten mit den Risiken periphere arterielle Verschlusskrankheit, Diabetes mellitus, chronisch venöse Insuffizienz; AWMF, 12.06.2012
Fleischmann W, Suger G, Kinzl L: Treatment of bone and soft tissue defects in infected nonunion. Acta Orthop Belg. 1992;58 Suppl 1:227-35.
Kobler J: The Reluctant Surgeon. A Biography of John Hunter, New York, 1960.
Lind J: A treatise of the scurvy. Sands, Murray and Cochran, Edinburgh 1753.
Lyons M: Galeni in Hippocratis de officina medici commentariorum. Akademie-Verlag Berlin 1963.
Marston WA et al.: Natural history of limbs with arterial insufficiency and chronic ulceration treated without revascularization. J Vasc Surg. 2006 Jul;44(1):108-114.
Odland GF: The fine structure of the interrelationship of cells in the human epidermis. J.BiophysBiochem Cytol, 1958, 4: 529-538.
Palfreyman et al.: Dressing for venous leg ulcers: systematic review and meta-analysis. BMJ 2007; 335-244.
Ratner BD, Hoffmann AS, Schoen FJ: Biomaterials Science. An Introduction to Materials in Medicine. Elsevier LTD, Oxford 2004
Schmitt W: Anti- und Aseptik im Wandel der Zeiten. Zentalbl Chir ,1979, 104: 625-630.
Westendorf W: Erwachen der Heilkunst. Die Medizin im Alten Ägypten. Artemis & Winkler, Zürich 1992.
Winter GD: Formation of the scab and the rate of epithelization of superficial wounds in the skin of the young domestic pig, Nature. 1962, 193:293-294.