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LEBENSZEICHEN September 2016 Liebe Freundinnen und Freunde des Schwarzen Kreuzes! G Hat er Angst vor seiner eige- nen Courage bekommen? erade eben erhielt ich diesen Brief von M. H. aus der JVA Wittlich: „Zunächst ein Dankeschön für Ihre Bemühungen ‚Soziale Briefkontakte‘. Ihre Ar- beit war fruchtbar!!! Schon Anfang des Monats erhielt ich einen freundlichen Erstbrief von Ihrem ehrenamt- lichen Mitarbeiter. Ich habe sofort geantwortet. Mein Dank an das Schwarze Kreuz. Weiterhin alles Liebe und Gute für Ihre Arbeit…Ach, wenn doch viel mehr der Briefkontaktvermittlun- gen so glücken würden! Aber da ist der Inhaftierte, der dann doch nicht schreibt, und der Ehrenamtliche war- tet vergebens und vor allem: Weder er noch ich kennen den Grund. Selbst, wenn ich bei dem Inhaftierten nach- frage, was ihn hindert oder was ihm nicht gefällt, er- halte auch ich keine Antwort. Über seine Beweggründe kann ich nur spekulieren: Hat er Angst vor seiner eige- nen Courage bekommen? Wollte er doch lieber Kontakt zu einer Frau, weil er von dem Wunsch nach einer Part- nerin nicht loskommt, trotz gegenteiliger Beteuerung? Fehlt ihm die Briefmarke, die er für seine Post braucht? Oder die neue Ehrenamtliche, die mit viel Enthus- iasmus den Briefwechsel mit einem Inhaftierten beginnt und dann ziemlich schnell frustriert ist, weil sich ihr Briefpartner auf Oberfläch- lichkeiten beschränkt und sie mit ihren Mög- lichkeiten nicht an ihn „herankommt“. Irgendwann werden die Abstände, in denen sie ihm schreibt, länger und länger und schlafen dann ganz ein. Oder der Ehrenamtliche, der nicht nachfragt, warum sein inhaftierter Briefpartner schon monatelang nicht geschrieben hat. Oder der andere Ehrenamtliche, der nicht weiß, wie er auf den ersten, 16-seitigen Brief des Inhaf- tierten reagieren soll und gar nicht darauf eingeht. Oder der Inhaftierte, der nicht weiß, wie er mit den übermäßigen, christlichen „Überzeugungsver- suchen“ umgehen soll und lieber schweigt... Die Briefkontaktvermittlung ist ja schon lange nicht nur „Geschäft“ des Schwarzen Kreuzes, sondern ei- ner der wichtigsten Arbeitsschwerpunkte. Wir machen aber immer mehr die Erfahrung, dass es trotz allem guten Willen sowohl für Inhaftierte als auch für Ehren- amtliche schwierig ist, aufeinander zuzugehen. Zu un- terschiedlich sind die Lebenswelten, die Erwartungen und die Fähigkeiten. Viele scheitern schon in der ers- ten Phase des Kennenlernens und brechen den Kon- takt kommentarlos ab. Schade, denn zu den persön- lichen Enttäuschungen kommt hinzu, dass Chancen vertan werden, die einerseits Inhaftierten bei den Re- sozialisierungsbemühungen fehlen und andererseits zu weiteren Vorurteilen in der Gesellschaft beitragen.

September 2016 LEBENSZEICHEN...Fehlt ihm die Briefmarke, die er für seine Post braucht? Oder die neue Ehrenamtliche, die mit viel Enthus-iasmus den Briefwechsel mit einem Inhaftierten

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LEBENSZEICHENSeptember 2016

Liebe Freundinnen und Freunde des Schwarzen Kreuzes!

G

Hat er Angst vor seiner eige-nen Courage bekommen?

erade eben erhielt ich diesen Brief von M. H. aus der JVA Wittlich: „Zunächst ein Dankeschön für Ihre Bemühungen ‚Soziale Briefkontakte‘. Ihre Ar-

beit war fruchtbar!!! Schon Anfang des Monats erhielt ich einen freundlichen Erstbrief von Ihrem ehrenamt-lichen Mitarbeiter. Ich habe sofort geantwortet. Mein Dank an das Schwarze Kreuz. Weiterhin alles Liebe und Gute für Ihre Arbeit…“

Ach, wenn doch viel mehr der Briefkontaktvermittlun-gen so glücken würden! Aber da ist der Inhaftierte, der dann doch nicht schreibt, und der Ehrenamtliche war-tet vergebens und vor allem: Weder er noch ich kennen den Grund. Selbst, wenn ich bei dem Inhaftierten nach-frage, was ihn hindert oder was ihm nicht gefällt, er-halte auch ich keine Antwort. Über seine Beweggründe kann ich nur spekulieren: Hat er Angst vor seiner eige-nen Courage bekommen? Wollte er doch lieber Kontakt zu einer Frau, weil er von dem Wunsch nach einer Part-nerin nicht loskommt, trotz gegenteiliger Beteuerung? Fehlt ihm die Briefmarke, die er für seine Post braucht?

Oder die neue Ehrenamtliche, die mit viel Enthus-iasmus den Briefwechsel mit einem Inhaftiertenbeginnt und dann ziemlich schnell frustriertist, weil sich ihr Briefpartner auf Oberfläch-lichkeiten beschränkt und sie mit ihren Mög-lichkeiten nicht an ihn „herankommt“.Irgendwann werden die Abstände, in denensie ihm schreibt, länger und länger und schlafendann ganz ein. Oder der Ehrenamtliche, der nichtnachfragt, warum sein inhaftierter Briefpartnerschon monatelang nicht geschrieben hat. Oderder andere Ehrenamtliche, der nicht weiß, wieer auf den ersten, 16-seitigen Brief des Inhaf-tierten reagieren soll und gar nicht darauf

eingeht. Oder der Inhaftierte, der nicht weiß, wie er mit den übermäßigen, christlichen „Überzeugungsver-suchen“ umgehen soll und lieber schweigt...

Die Briefkontaktvermittlung ist ja schon lange nicht nur „Geschäft“ des Schwarzen Kreuzes, sondern ei-ner der wichtigsten Arbeitsschwerpunkte. Wir machen aber immer mehr die Erfahrung, dass es trotz allem guten Willen sowohl für Inhaftierte als auch für Ehren-amtliche schwierig ist, aufeinander zuzugehen. Zu un-terschiedlich sind die Lebenswelten, die Erwartungen und die Fähigkeiten. Viele scheitern schon in der ers-ten Phase des Kennenlernens und brechen den Kon-takt kommentarlos ab. Schade, denn zu den persön-lichen Enttäuschungen kommt hinzu, dass Chancen vertan werden, die einerseits Inhaftierten bei den Re-sozialisierungsbemühungen fehlen und andererseits zu weiteren Vorurteilen in der Gesellschaft beitragen.

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Konto 60 02 02 · BLZ 52060410Evangelische Bank eG

IBAN: DE83 5206 0410 0000 6002 02BIC: GENODEF1EK1

Bild Vorderseite: p-snap / pixelio.de. Bild Rückseite: iStock.com / AnnettVauteck

Schwarzes KreuzChristliche Straffälligenhilfe e.V.Jägerstraße 25a · 29221 CelleTelefon 05141 94616-0 · Fax [email protected]

Irmtraud Meifert

M auch neue Werte für das Leben in unserer Gesellschaft vermitteln möchten. Möchten Sie beim TAPETENWECHSEL in Essen dabei sein? Sie können sich jetzt schon bei mir anmelden.

Aber es gibt auch andere Möglichkeiten mitzumachen. Zum Beispiel so: Alle TeilnehmerInnen am TAPETENWECHSEL erhalten zu Beginn ein „Starterset“ mit allem, was für ei-nen Briefwechsel notwendig ist: Briefpapier, Briefmarken für die Inhaftierten, Kugelschreiber, eine Sammelmappe für die erhaltenen Briefe und Impulse. Beratung, Unter-stützung, der Versand der monatlichen Impulse, die Ver-anstaltungen in der Justizvollzugsanstalt…

Ihr finanzieller Beistand könnte dabei sehr viel bewirken.

Bleiben Sie behütet! Viele liebe Grüße schickt Ihnen

Die Sehnsucht, das Glück zu finden

Kreative Methoden des Bibliodramaserfahren und anwenden

Seminar in Osnabrück am 22. Oktober 2016

Herzliche Einladung!

Anmeldung und weitere Informationen erhal-ten Sie unter www.naechstenliebe-befreit.de

it unserem neuen Projekt TAPETENWECHSEL wollen wir nun die Barrieren des Kennenlernens und des wei-teren Kontaktes minimieren. TAPETENWECHSEL verbin-

det jeweils einen Menschen von „drinnen“ mit einem von „draußen“ zu einem Briefwechsel. Soweit nichts Neues. Aber jetzt kommt der Clou: Wir überlassen das Kennen-lernen nicht allein den Briefpartnern, sondern beginnen den Kontakt mit einem persönlichen Kennenlernen in ei-ner Einführungsveranstaltung für alle Interessierten.

Konkret geplant ist TAPETENWECHSEL zunächst ab November in der Justizvollzugsanstalt Essen. Mit dem evangelischen Gefängnisseelsorger hat es die ersten Absprachen be-reits gegeben, und er unterstützt das Projekt sehr. Nach der Einführungsveranstaltung erhalten alle Projektteil-nehmerInnen von uns aus der Geschäftsstelle monatlich Impulse, die den Austausch fördern und einladen, Mei-nungen auszutauschen und ins Gespräch zu kommen.

Einige Beispiele sind: ein Steckbrief, Fragen über „Gott und die Welt“, eine Klagemauer, eine Bestandsaufnah-me in Sachen Glauben. Wir in der Geschäftsstelle stehen natürlich parat, um bei Schwierigkeiten oder Fragen wei-terzuhelfen. Nach einem halben Jahr des Briefwechsels treffen sich alle TeilnehmerInnen wieder in der Justiz-vollzugsanstalt, in der wir dann unser Kennenlernen aus-giebig feiern und neue Pläne für die Zukunft schmieden werden. Bei allen Planungen und Überlehungen steht für uns im Mittelpunkt, dass wir straffällig gewordene Men-schen zum christlichen Glauben einladen und ihnen so