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Segmentierung
Anfang des Segmentierungssegments
Klaus FrielerSymbole&Signale Hamburg WS 04/05, 14.1.2005
Aufbau
1. Einleitung2. Lerdahl & Jackendoffs GTTM3. D.Temperleys Modell (Grouper)4. E. Cambouropoulos LBDM5. Was noch?6. Zusammenfassung/Ausblick
1. EinleitungBegriff der Gruppierung
Vorbemerkung: Wir reden im Folgenden ausschließlich über monophone Melodien
Musiktheorie, eigene Hörererfahrung und perzeptive Studien machen klar, dass Melodien i.A. als Abfolge von einzelnen Gruppen gehört wird.
Die Zerlegung einer Melodien in einzelne Gruppen heißt Segmentierung.
Segmentierung wird heutzutage als unabhängig von Metrik angenommen.
1. EinleitungBegriff der Gruppierung
Segmentierung ist i.A. hierarchisch Klassische Musiktheorie spricht von
Motiven, Untermotiven, Phrasen, Satzperioden, Abschnitten bis hin zu großen Formteilen wie Exposition, Durchführung, Reprise etc.
Aber: Inter- und intrasubjektive Varianz: „Richtige“ Gruppierung schwer zu definieren. Oft mehrdeutig.
1. Einleitung Gestaltpsychologie
Die Gruppierung von Einzelementen zu Gestalten ist allgemeines Wahrnehmungsphänomen
In dieser Form erforscht von den Gestaltpsychologen Anfang des 20.Jhd.
Wichtige Gestaltpsychologen: Wertheimer, Koffka, Köhler
Direkte Linie zu Stumpf, Wundt, von Ehrenfels Gestalttheorie schon immer stark musikalisch
orientiert.
1. Einleitung Gestaltpsychologie
Was ist eine Gestalt?! Ein unscharfer aber intuitiv klarer Begriff Ein zusammenhängendes Ganzes Mehr als die „Summe“ seiner Teile Eine (quasi) autonome Leistung des
Wahrnehmungsapparates Gestalten kann man anhand von
Gestaltregeln aus den Einzelkomponenten deduzieren.
1. Einleitung Gestaltregeln
Prinzip der Nähe• Objekte in der Nähe werden eher gruppiert
Prinzip der Ähnlichkeit/Gleichheit• Ähnliche Objekte werden eher gruppiert
Prinzip des gemeinsamen Schicksals• Objekte mit gleichartigen Dynamik werden eher gruppiert
Prinzip der guten Fortsetzung• Die einfachste Fortsetzung ist die Beste
Prinzip der Geschlossenheit• ??
Prinzip der guten Gestalt/Prägnanz• Bevorzuge prägnante Gestalten (Kombination obiger
Prinzipien)
2. GTTM Lerdahl&Jackendoff veröffentlichen 1983
einflussreiches Buch: A Generative Theory of Tonal Music (GTTM)
Kombination von Musiktheorie, Linguistik, Kognitions/Gestaltpsychologie zu einem formalen Regelsystem der Musikanalyse
Gegenstand: Gruppierung, Metrik, Zeitspannenreduktion, Prolongation
Zwei Regeltypen: Wohlgeformheitsregeln (well-formedness) Vorzugsregeln (preference rules)
2. GTTM Wohlgeformtheitsregeln
GWFR 1: Eine Gruppe ist eine zusammenhängende Folge von musikalischen Ereignissen.
GWFR 2: Die ganze Melodie bildet eine Gruppe. GWFR 3: Eine Gruppe kann kleinere Gruppen
enthalten. GWFR 4: Wenn eine Gruppe einen Teil einer
anderen Gruppe enthält, so muss sie die Gruppe als Ganzes enthalten.
GWFR 5: Untergruppen müssen eine Gruppe erschöpfen.
2. GTTM Wohlgeformtheitsregeln
Anderes gesagt: Eine Melodie zerfällt in eine erschöpfende, nicht-überlappende Hierarchie von Gruppen.
In einer Zusatzregeln lassen L&J Gruppenüberlapp von einem Ton zu (motiviert durch zahlreiche Beispiele aus der Musikliteratur)
Die Wohlgeformtheitsregeln sind notwendig, aber nicht hinreichend
Vorzugsregeln
2. GTTM Vorzugsregeln
GPR 1: Vermeide sehr kleine Gruppen, insbeondere einelementige.
Sei n1n2n3n4 eine Folge von Noten. GPR 2:(Zeitliche Nähe) Zwischen n2 und
n3 kann eine Gruppengrenze liegen , falls:a)(Bindebogen/Pause) zwischen n2n3 das größte
OOI oderb)(Einsatzpunkt) zwischen n2n3 das größte IOI
liegt
2. GTTM Vorzugsregeln
GPR 3: (Veränderung) Zwischen n2 und
n3 kann eine Gruppengrenze liegen , falls:a)(Register) zwischen n2n3 das größte Intervall
liegt, oderb)(Dynamik) zwischen n2n3 ein
Lautstärkewechsel stattfindet, oderc)(Artikulation) ein Artikulationswechsel, oderd)(Dauern) ein Dauernwechsel
2. GTTM Vorzugsregeln
GPR 4: (Intensivierung) Lege Großgruppengrenzen an den Stellen, wo die Effekte von GPR 2&3 am deutlichsten sind.
GPR 5: (Symmetrie) Bevorzuge Gruppierungen mit Untergruppen möglichst gleicher Länge.
GPR 6: (Parallelität) Wenn 2 oder mehr Segmente als parallel (sprich: ähnlich) angesehen werden können, formen sie vorzugsweise parallele Teile einer Gruppe.
2. GTTM Beispiel
Anfangsthema von W.A. Mozarts Sinfonie Nr.40 (g-Moll, KV 550), Regeln und mögliche Gruppierung
2. GTTM Diskussion
Nicht quantifiziert bzw. operationalisierbar, d.h. schwer testbar und nicht rechnertauglich.
Sehr vage Parallelitätsregel. Per definition gebunden an westlicher
tonale Musik.
3. Temperleys Modell Beschrieben in The Cognition of Basic
Musical Structures (2001) Basiert auf vereinfachten/modifizierten
GTTM-Regeln Modell ist operationalisiert und
implementiert in der Software Grouper, Teil des frei erhältlichen Softwarepakets Melisma (s. Link auf Webseite)
Modell ist recht erfolgreich.
3. Temperleys Modell Vermeidet Probleme nichteindeutiger
oder polyphoner Gruppierung durch explizite Beschränkung auf einstimmige Volkslieder als Evaluationsmaterial
Beschränkt sich auf nur eine Ebene der Segmentierung, die Phrasenebene.
Sehr einfaches Modell mit nur 3 Vorzugsregeln (Phrase Structure Preference Rules)
3. Temperleys Modell PSR 1:(Lückenregel) Setze Phrasengrenzen bevorzugt an
Stellen mit großem IOI oder großem OOI
Bewertung (gap score): IOI+OOI (normalisiert durch mittleres IOI bis dahin)
3. Temperleys Modell PSR 2:(Längenregel) Bevorzuge Phrasen mit ungefähr 8
Noten.
Bewertung: -|log2(N/8)| (Bestrafung)
3. Temperleys Modell PSR 3:(Metrische Parallelität) Bevorzuge aueinanderfolgende Phrasen,
die auf derselben Taktzeit beginnen.
Bewertung: Bestrafung bei nicht Parallelität auf Halbtakt- und Taktlevel (genaue Werte nicht bekannt...)
3. Temperleys Modell Alle drei Regeln werden gegeneinander
gewichtet (Gewichte durch trial-and-error ermittelt, nicht dokumentiert)
Die optimale Lösung wird aus den Gesamtwerten an jeder Stelle durch Dynamische Programmierung ermittelt.
3. Temperleys ModellBeispiel
Lückenwerte (gap score)
4. Cambouropoulos‘ LBDM Beschrieben in „Towards a General
Computational Theory of Musical Structure.“ (Diss., 1998)
LBDM = Local Boundary Detection Model („Lokales Grenzerkennungs Modell“)
Basiert im Prinzip auf Gestaltregeln. Jedem Zwischenraum zwischen zwei
Noten wird eine Grenzstärke zugeordnet. Umfasst die meisten GTTM Regeln (GPR
2&3)
4. Cambouropoulos‘ LBDM LBDM beruht auf dem verallgemeinerten
Prinzip von Gleichheit/Verschiedenheit, dass die Gestaltprinzipien Ähnlichkeit und Nähe (im Prinzip) ersetzen kann.
LBDM hat 3 Regeln die Differenzen musikalischer Parameter nach Gleichheit/Verschiedenheit werten.
Gruppengrenze an lokalen Maxima der Grenzstärken
4. Cambouropoulos‘ LBDM
G-ICR: (general identity-change rule) Gruppengrenzen können nur zwischen verschiedenen Entitäten liegen.
Bewertung: 2 Punkte (für intrinsischer nicht-abgleiteter Eigenschaften, z.B. Dauer)
4. Cambouropoulos‘ LBDM ICR: (identity-change rule) Jedes Intervall zwischen 3 benachbarten
Objekten kann ein Gruppengrenze sein, falls die Intervalle verschieden sind.
Bewertung: 1 Punkt für jedes Intervall.
4. Cambouropoulos‘ LBDM PR: (proximity rule) Bilden drei Objekte zwei Intervalle die
verschieden sind, dann wähle das größere Intervall als Gruppengrenze.
Bewertung: 1 Punkt für‘s größere Intervall.
4. Cambouropoulos‘ LBDMBeispiel
Seien drei Töne zu den Zeitpunkten t1, t2, t3 mit Intervallen 1 = t2-t1 und 2 = t3-t2 gegeben. Dann kann gelten:
1 = 2 (0): P1 = P2 = 0
1 > 2 (+): P1 =1(ICR)+1(PR)+2(G-ICR) = 4
P2 =1(ICR)+0(PR) = 1
1 < 2 (-): P1 =1(ICR)+0(PR)+2(G-ICR)= 3
P2 =1(ICR)+1(PR) = 2
4. Cambouropoulos‘ LBDMBeispiel
Grenzstärken aus 4 Dimensionen für Anfang g-Moll Sinfonie (WAM)
5. Was noch? Tenney&Polansky (1980), Erstes computationelles Modell Sven Ahlbäck (2004): Komplexes Regelsystem (vereinigt
viele Ideen aus GTTM, Temperley, Cambouropoulos etc.) Rens Bod (~1999): Data-Oriented Parsing (DOP)
Gedächtnisbasiertes Lernen von Phrasengrammatiken. Weyde/Dahlingshaus(~2001): Neuro-fuzzy System. (Lernt
Gewichte für Fuzzy-Gruppierungsregeln mit Hilfe von neuronalen Netzen)
Vergleichende Studie von Höthker/Spevak/Thom ergab leicht bessere Performance für Temperley über LBDM.
Was gibt unser Experiment?
6. Zusammenfassung Segmentierung von Melodien ist wichtiger
und integraler Bestandteil der Melodiewahrnehmung.
Segmentierung nicht eindeutig. Automatische Segmentierung wichtig für
viele Anwendungen. Fast alle Segmentierungsalgorithmen
basieren in irgendeiner Form auf Quantifizierung von Gestaltregeln.
Segmentierungs
Ende des Segmentierungssegments
Klaus FrielerSymbole&Signale Hamburg WS 04/05, 14.1.2005