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Psychologische Modelle: Lernpsychologische und kognitive Grundlagen und Modelle und deren Anwendung in der Therapie Vorlesung Klinische Psychologie

Psychologische Modelle: Lernpsychologische und kognitive Grundlagen und Modelle und deren Anwendung in der Therapie Vorlesung Klinische Psychologie

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Psychologische Modelle: Lernpsychologische und kognitive Grundlagen und Modelle

und deren Anwendung in der Therapie

Vorlesung Klinische Psychologie

Wittchen, H.-U. & Hoyer, J. (2006). Klinische Psychologie & Psychotherapie. Heidelberg: Springer.

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Die wichtigsten wissenschaftliche Erklärungsmodelle für Die wichtigsten wissenschaftliche Erklärungsmodelle für psychische Störungenpsychische Störungen

ModellePsychoanalytische

Psychodynamische

Epidemiolog./soziologischeNeurobiologische

Neuroanatomische

(Infektionsmodelle)

Konditionierungs-

Kognitive Modelle

Psychophysiologische

Störungserklärungs-AnsatzFrühe Es-, Über-Ich-, Ich-Störungen

Ich-Struktur Defekte

Schicht- und Desintegrationsannahmen (Epidemiologie)

Transmitter/genetische Steuerung (z.B. HPA/Vererbung)

Neuronale Schädigung

Epidemiologie (Suizid, Schizophrenie, Depression - Bora)

Psychische Störungen werden gelernt (Trauma)

Dysfunktionale Einstellungsmuster

Gestörte Regelkreise

Wittchen, H.-U. & Hoyer, J. (2006). Klinische Psychologie & Psychotherapie. Heidelberg: Springer.

3

Wenn wir die Entstehung psychischer Störungen verstehen Wenn wir die Entstehung psychischer Störungen verstehen wollen, brauchen wir ein einfaches Messmodell wollen, brauchen wir ein einfaches Messmodell

ZeitachseFamiliengenetischer

Faktor:

z. B. Mutter

Depression

Temperaments-

Faktor:

z. B. Kind ist schüchtern,

ängstlich (BI)

Faktor

Multiple Traumata Alter 8 und

19

OutcomeBeginn einer Major Depression im Alter

von 18 (nach der Trennung vom Freund?)

Prozess??

Blackbox

Diathese = Vulnerabilitäten

Distale (entfernte Faktoren)

z.B. Stress = proximale Auslöser

und Prozesse

Wittchen, H.-U. & Hoyer, J. (2006). Klinische Psychologie & Psychotherapie. Heidelberg: Springer.

Was wissen wir über die Ätiologie von Depressionen? Aber auch einfache Heuristiken, um den Betroffenen die Entstehung einer Störung plausibel zu machen - Beispiel: Patientenmodell Depression

Distale (d.h. weit zurückliegende) Faktoren, die

eine Anfälligkeit (=Vulnerabilität) schaffen

Proximale auslösende Faktoren (z.B. Stress,

Trauma), die dem Störungsbeginn unmittelbar

voraus gehen

Konzeptueller Rahmen psychische Störungen: z.B. Konzeptueller Rahmen psychische Störungen: z.B. DepressionDepression

I. The traditionelle

Konventionelle Ansatz

Normal, adaptive

development

Dysfunctional (illness/disorder)

Conception birth

From vulnerabilities and early core process

dysfunctions in critical trajectories to the shaping

of health risk behaviors and disorders

Personalized medicine

adolescence adulthood

Public health benefit early targeted interventions

Treatment benefit

Translational hurdle 1

Clinical trials

Clinical practice

From patients to pathophysiologyDisease

Mechanisms

Translational hurdle 2

II. Der zukünftige an „frühen“ Dysfunktionen“

orientierte Ansatz

Core processes &mechanisms

Evolution &critical

trajectories

Targeted intervention for change

Novel Targeted Therapies

Adaptive & maladaptive behavior

Targeted (dysfunctional processes/trajectories) early

intervention and targeted therapies

Was für Modelle bietet die Psychologie, um über die Faktoren hinaus den

Mechanismus der Störungsentwicklung zu erklären?

Vorlesung Klinische Psychologie

Die Entstehung psychischer Störungen hat etwas mit gestörter Informationsverarbeitung und gestörten

Lernprozessen zu tun

Dr. Spock

Involviert scheinen auch Mechanismen der Stressregulation: Das HPA- Achsen System

Anticipation of action effects

… und vielfältige grundlegende psychische Funktionen und Prozesse einfacher (z.B. Konzentration, Gedächtnis) und höherer

Ordnung

Inhibition of prepotent or habitual responses

Emotion regulationSelf-control and delay of gratification

Volition•Future-directedness•Flexibility•Persistence

Rapid reconfiguration of behavioral dispositions

based on verbal instructions

Maintenance and shielding of intentions

Funktional anatomy of cognitive control processes/interaction with

affect

Computational Modeling

Experimental behavioral assessments

Impressive achievements of our knowledge about processes and interactions between psychological and neural systems

Ein tiefergehendes Verständnis dieser Mechanismen erfordert eine integrative neurobiologische, Kognitiv-affektive und behaviorale Forschungsstrategie

Basale Mechanismen des Lernens

1. Die Behavioristische Perspektive Klassisches Konditionieren Extinktion: die Neurowissenschaftliche Perspektive Operantes Konditionieren

Mowrers 2-Faktorentheorie Anwendungen in der Klinischen Psychologie und Psychotherapie

2. Die Kognitive Perspektive Das kognitive Modell in Abgrenzung zum Lernmodell Das allgemeine kognitive Modell im klinisch-therapeutischen

Setting, Bsp.: Modell der Panikstörung, Clark Weitere kognitive Ansätze und Befunde Verzerrungen in der Informationsverarbeitung: experimentelle

Befunde

[Interaktion von Individuum und Umwelt: Stress-Vulnerabilitäts-Modelle: siehe nächste Termine]

-> Siehe auch Kap. 1.4 Lehrbuch

Die Lerngesetze sind substanzwissenschaftlich gut untersuchte

Mechanismen, die für alle körperlichen Funktionen, wie auch unsere Kognition, die Emotion und das offene Verhalten

gelten

Vorlesung Klinische Psychologie

Parallel und in der Folge zu Freuds vorwissenschaftlichen „hydraulischen triebtheoretischen“ Annahmen, entwickelten

sich in Russland und den USA zwei neue Ansätze:

1. Der verhaltensphysiologische Ansatz von Pawlow mit der Entdeckung des Prinzips des klassischen Konditionierens

2. Der verhaltenstheoretische (Behaviorismus) Ansatz von Skinner (operantes Konditionieren)

Dies war die Geburtsstunde der modernen Psychologie:

Prinzipien: Experiment + Verhalten

Klassische Konditionierung

Iwan B. Pawlow, russischer Psychologe und Nobelpreisträger, war für die umfangreichen Untersuchungen und Theorien der klassischen

Konditionierung verantwortlich. Sein Einfluss auf die russische Psychologie ist immer noch stark.

Der Vorgang der klassischen Konditionierung. (a) Vor dem Lernvorgang löst das Fleischpulver (UCS) die Speichelsekretion (UCR) aus, der

Glockenton (CS) aber nicht. (b) Die Lernversuche bestehen aus Vorgaben von CS, denen UCS unmittelbar folgt. (c) Die klassische Konditionierung

ist erfolgt, wenn der vorher neutrale Glockenton die Speichelsekretion (CR) auslöst.

Wer konditioniert wen?

Ivan Pavlov (1849 – 1936)

Aufbau von Verhaltensexperimenten zur Klassischen Konditionierung

Habituation Akquisition Extinktion

CS+ CS- CS+ CS- CS+ CS-

Reduktion der Orientierungsreaktion

(OR)

Enkodierung CS/US Abruf der CS/USEnkodierung CS/~US

Extinction occurs when a CS is presented alone, without the US, for a number of trials and eventually the CR is diminished or eliminated.

Behavioral studies of extinction suggest that it is not a process of “unlearning” but rather is a process of new learning of inhibition.This view of extinction as an active learning process is supported by studies showing that after extinction the CR can return in a number of situations, such as the passage of time (spontaneous recovery), the presentation of the US alone (reinstatement), or if the animal is placed in the context of initial learning (renewal).

Was bedeutet Extinktion?

Was bedeutet Extinktion?

(Quirk et al., 2006)

Expositionstherapie ermöglicht den Prozess des Extinktions-lernens:Wiederholte Darbierung des CS [Kaufhaus], ohne das der UCS [Befürchtung zu sterben] eintritt.

Während die klassischen Konditionierung möglicherweise erklären kann, wie Angstreaktionen entstehen, hilft uns das Lernmodell der Extinktion zu verstehen, wie Angstreaktionen modifiziert werden können.

Therapeutisches Prinzip

Extinktion: Terminologie

EXTINKTION

Experimentelle Prozedur:

„Extinction Training“

Behavioraler Effekt:

„Within-session Extinction“„Extinction Retention“

Neuronaler Prozess:

„Extinction“

Extinktionsparadigmen

Enkodierung CS/US

Enkodierung CS/~US

Abruf CS/US Abruf CS/~US

Extinction-Training

Within-Session Extinction

Extinction Retention

Extinktion ist nicht gleich Löschung! Ein Beweis:

Protection from Extinction (Rescorla-Wagner-Model, 1972):„Adding an inhibitory stimulus during extinction blocks extinction of the excitatory CS.“

Praxis: „Safety Cues“ (k=Therapeut, Medikamente) während der Exposition verhindern das Extinktionslernen, die konditionierte Reaktion erscheint wieder.

Acquisitions-Training

Extinctions-Training

A A +B B -C C + C + KD D + D

Extinction Retention

Lovibond et al., (2000)

Zelluläre Grundlagen neuronaler Plastizität

Glutamaterge Signaltransmission durch AMPA und NMDA-Rezeptoren

Verschiedene Phasen der neuronalen Plastizität: early vs. late LTP

Funktionelle vs. strukturelle Veränderungen: Second-Messenger-Kaskaden und der cAMP-PKA-CREB-Pathway

Aplysia California

Hippocampus

Die neurowissenschaftliche Perspektive:Zelluläre Grundlagen neuronaler Plastizität

Rezeptortypen und ihre Funktionen

AMPA-Rezeptoren:- Funktion: Fortleitung des EPSP (schnelle Erregungs-

übertragung in ms)

NMDA-Rezeptoren:- Sind bei hyperpolarisierter Membran durch ein Magnesium-Ion

verschlossen- Nur bei hochfrequent wiederholter bzw. gleichzeitiger

Depolarisation durch mehrere Präsynapsen [koinzidierende Synapsen]: Ladungsabstossung Mg-Ion und Calcium-Influx

- Calcium aktiviert versch. Second-Messenger-Kaskaden, die zur funktionellen und strukturellen Modulation der synaptischen Aktivität beitragen (s. early & late LTP)

Die neurowissenschaftliche Perspektive:Zelluläre Grundlagen neuronaler Plastizität

Die neurowissenschaftliche Perspektive:Zelluläre Grundlagen neuronaler Plastizität

Drei zentrale Komponenten

1. Amygdala2. vmPFC3. Hippocampus

Die neurowissenschaftliche Perspektive:„The Brain‘s Extinction Circuity“

Die Rolle der Amygdala

Traditionell: Funktion der Amygdala beim Erwerb der Furchtreaktion (LeDoux, 1994)

Extinktion: Infusion von NMDA-Antagonisten vor Extinktions-Training blockiert Extinktion (Falls et al., 1992)

Bildgebung (Humanstudien): Aktivierung der Amygdala während Akquisitionsphase und (früher) Extinktion (LaBar et al., 1998; Phelbs et al., 2004):

Die neurowissenschaftliche Perspektive:„The Brain‘s Extinction Circuity“

Die Rolle des vmPFC: Tierexperimentelle Befunde

A: Läsionen des IL (homologen Region beim Menschen: vmPFC) unterbinden nicht das Extinktionslernen, aber den Abruf (Quirk et al., 2000).

B: Infusion von Anisomycin (Proteinsynthese-Inhibitor) unterbindet nicht das Extinktionslernen, aber den Abruf (Santini et al., 2004).

C: Einzelzellableitungen im IL zeigen keine Reaktionen während es Extinktionslernens, aber während des Abrufs (Milad & Quirk, 2002).

Quirk et al., 2006

Die neurowissenschaftliche Perspektive:„The Brain‘s Extinction Circuity“

Die Rolle des Hippocampus

Traditionell: deklaratives Gedächtnis (semantisch, episodisch, autobiographisch)

Furchtkonditionierung: „Double dissociation of conditioning and declarative knowledge relative to the amygdala and hippocampus in humans“ (Bechara et al., Science 1995)

Extinktion: Kontextmodulation des Abrufs (Corcoran & Maren, 2001), vermittelt durch bidirektionale Bahnen zwischen Hippocampus und vmPFC, Gating-Funktion des Hippocampus?

Corcoran & Maren, 2001

Die neurowissenschaftliche Perspektive:„The Brain‘s Extinction Circuity“

Fazit: „The Brain‘s Extinction Circuitry“

3 Komponenten der Extinktion:

1. Within-session extinction: Amygdala2. Konsolidierung der Gedächtnisspur: vmPFC3a. Abruf von Extinktionsinhalten: vmPFC3b. Kontextuelle Modulation der

neuronalen Aktivität vmPFC/Amygdala:

Hippocampus

Sotres-Bayon et al., 2006

Die neurowissenschaftliche Perspektive:„The Brain‘s Extinction Circuity“

Modulation der NMDA-Rezeptoren (Walker et al., 2002; Santini et al., 2001; Ledgerwood et al.,

2005)

Erprobung des partiellen NMDA-Agonisten D-Cycloserine

Die neurowissenschaftliche Perspektive:Pharmakologische Beeinflussung der neuronalen Plastizität

Modulation der NMDA-Rezeptoren: Tierexperimentelle Untersuchungen

A: Gabe von AP5 (NMDA-Antagonist) unmittelbar vor Extinction Training führt zu dosisabhängiger Blockade der Extinktion (Falls et al. 1992).

B: Gabe von DCS (NMDA-Agonist) unmittelbar vor Extinction Training führt zu dosisabhängiger Verbesserung der Extinktion (Walker et al., 2002).

Die neurowissenschaftliche Perspektive:Pharmakologische Beeinflussung der neuronalen Plastizität

Randomisierte, placebo-kontrollierte klinische Studie

Behandlung: 2 Expositionssitzungen mittels Virtueller Realität (VRE)

Pat. mit Höhen-angst (N=27)

Placebo & VRE(N=10)

50mg DCS &VRE(N=8)

500mg DCS &VRE(N=9)

Die translationale Perspektive:Von Mäusen zu Menschen (mit Angst)…

Keine differentiellen Effekte in der 1. VRE-Sitzung (kein Hinweis auf anxiolytische Wirkungen DCS)

Prä-Post: stärkere Angstreduktion (SUDS) in DCS-Gruppe

3M Follow-up: stärkere Angstreduktion (SUDS) in DCS-Gruppe

Die translationale Perspektive:Von Mäusen zu Menschen (mit Angst)…

Psychophysiologische Marker (SCR): stärkere Arousalreduktion in DCS-Gruppe (prä-post)

Transfer in den Alltag: mehr selbstberichtete „real-world“ Expositionen während 3M Follow-up in DCS-Gruppe.

Die translationale Perspektive:Von Mäusen zu Menschen (mit Angst)…

Gültigkeit der tierexperimentellen Befunde zum „Extinction Circuitry“ für den Humanbereich?

Klinische Forschung: Neurale Korrelate des „Extinction Circuitry“ als (Früh-) Indikatoren, zur Identifikation von Respondern, Evaluation des Therapieverlaufs?

Neues Paradigma in der pharmakologischen Therapie von Angststörungen: NICHT: Anxiolytikum, SONDERN: Unterstützung des psychotherapeutisch eingeleiteten lernprozesses?

Extinktion: Ausblick

Klassisches Konditionieren: Zusammenfassung

Die klassische Konditionierung ist ein umfassend gültiges Modell für viele Verhaltensweisen – von der molekularen, über die neurophysiologische bis hin zur kognitiv-affektiven und Verhaltensebene (Merke! Auch Zellen sind konditionierbar!)

Das Modell passt auf viele Beispiele normalen und abnormen Verhaltens und ist in der klinischen Psychologie und bei psychischen Störungen einsetzbar

Bsp. 1: Erlebnis Panikattacke wird mit der Umgebung (Kaufhaus) assoziiert: UCS + NS = CS Bsp. 2: Stress am Arbeitsplatz und Bluthochdruck

Aber: Nicht ausreichend befriedigend zur Erklärung komplexer höherer Lernprozesse!

Die auf ein Verhalten folgende Konsequenz (Belohnung oder Bestrafung) + Kontingenz (Verstärkungsverhältnis: kontinuierlich, nicht kontinuierlich, fest, variabel), bestimmt die Auftretenswahrscheinlichkeit des Verhaltens.

Darüber hinaus bestimmt sie die Funktion vorausgehender Reize

B. F. Skinner war verantwortlich für die Untersuchung des operanten Verhaltens und die

Erweiterung dieses Ansatzes auf Erziehung, Psychotherapie und die gesamte Gesellschaft.

Operantes Lernen

Terminologie der Verhaltenskonsequenzen

VerstärkerartenKontinuierlichIntermittierend

Fixiert vs variabel Quote vs Intervall

Little Albert

Ein ethisch problematisches Experiment

Für den amerikanischen Psychologen John B. Watson war die Etablierung der Psychologie als Wissenschaft

vom beobachtbaren Verhalten und nicht zur Untersuchung subjektiver Erfahrungen von Bedeutung

Entstehen Ängste ausschließlich durch

Klassische Konditionierung?

Mowrer & Mowrer: Die 2-Phasen-Theorie der Angst (klassische Konditionierung) und Vermeidung (operante Konditionierung)

Mowrer & Mowrer: Die 2-Phasentheorie der Angst (klassische Konditionierung) und Vermeidung (operant)

Initiale klassische KonditionierungCS (konditionaler Stimulus- Bus fahren)

UCS (unkonditionaler Stimulus-Panikattacke -Schreckreiz)

UCR (unkonkond. Angstreaktion)

CR (kond. R.: Bus = Angstreaktion)

Operante KonditionierungDie UCR und CR sind unangenehm und damit negative Konsequenzen (C-) des CS und UCS – Vermeidung des CS wird durch Ausbleiben der CR (= Ausbleiben C-) belohnt!

Antizipation des CS

R (Vermeidung)

C+ (Ausbleiben der CR-)

Je variabler und unregelmäßiger dies erfolgt, umso stabiler wird das Vermeiden konditioniert!

Beispiel: Ätiologische Mechanismen der Agoraphobie

Kritisches Ereignis/situativer Kontext/Auslöser (=UCS oder CS)

GeneralisierungCSspez.– CSgen.

Keine Löschung, Abnahme Verstärker

Auftreten (UCR-CR)

Angstreaktion

Zunehmende Vermeidungentsprechender Situationen (C-)/

Verfestigung

Klassisches und operantes Konditionieren: Therapeutische Beispiele

Gegenkonditionierung (Wolpe,1958): Sua (bellender Hund) ---- R1 (Angstreaktion) gekoppelt mit Sa (Spiel+Bonbon) ---

R2 (Freudiges Spiel) löscht den Sua: Die systematische Koppelung nach Schweregrad mit angenehmen

inkompatiblen Situationen (Entspannung) = Systematische DesensibilisierungSelbstsicherheitstraining (Lazarus, 1971):

Die Erfahrung von lautem freien Sprechen und offenem Ausdruck in der Übungssituation löscht/hemmt die angstauslösende Bedeutung (Verhaltensübung)

Aversives Konditionieren: S (Alkohol) --- R (Konsum) gekoppelt mit S2 (Aversivum) löst die initiale

VerbindungToken economy (chip, chip... Therapie)

Für die Einhaltung bestimmter Regeln oder das Zeigen erwünschten Verhaltens gibt es Verstärker

Stimuluskontrolle

Verhaltensanalyse

„Bitte erinnern Sie sich an eine Situation aus der letzten Zeit, in der das Problem auftrat“

Ziel:Erfassung problematischen Verhaltens zur

Identifikation aufrechterhaltender Faktoren Fokus: Therapieentscheidung & Behandlungsplan

Analyse des Verhaltens: Individuelles Störungsmodell

S CRSituation Reaktion Consequenz

OOrganismus

S CRExternale Situation Reaktion

Consequenz

… die Realität

α,β,γα

R γ

R ββ (psych.)

γ (bio.)

Feedforward Feedback

SS

SSS

SS

SS

SS

SSS

SS SS

S

β β β β

β

β β β

β β γ

γ γ γγ

γγ γ

R βR β

R β

R γR γR γ

R γ

αα αα α,β,γ

α,β,γα,β,γO

Fallbeispiel

Situation Herr M. spürt Schmerz im Bereich seiner Operationsnarbe

Organismus Bypass-Operation vor 1 Jahr; hohe Leistungsorientierung; eingeschränkter Gesundheitsbegriff; „Ich darf nach außen keine Schwäche zeigen“

R – kognitiv „Das sind wieder die Herzbeschwerden! Jetzt habe ich meinen 3. Herzinfarkt!“

R – emotional Angst und Verzweiflung

R – physiologisch Innere Erregung, Sympatikusaktivierung => Herzschmerz ↑

R – Verhalten Vermehrte Arztbesuche, Selbstmedikation mit Nitrospray, Verzicht auf geplante Aktivitäten, körperliche Schonung, Gespräche mit Frau

K – kurzfristig Verringerung der Angst, Zusammenhalt ↑

K - langfristig Gefühl, krank und nicht mehr leistungsfähig zu sein, Schwierigkeiten in der Partnerschaft, Rückzug, Erwartungsangst bezüglich Herzbeschwerden

Klassisches und operantes Konditionieren

Ubiquitäre und allgemeingültige Modelle:Sind valide in der Physiologie und Neurobiologie, beim Mensch und Tier, selbst der Zelle.Werden therapeutisch in allen Bereichen der Medizin und Psychologie genutzt.Offensichtlich genetisch determinierte Wechselwirkungsreaktionen

Aber: Sie sind nicht ausreichend zur Erklärung komplexer höherer Lernprozesse!

Klassisches und operantes Konditionieren: Kritik

Ähnlich wie bei den neurobiologischen Modellen fällt es den lerntheoretischen Paradigmen schwer, klinische Störungen überzeugend auf spezifische Lernerfahrungen zurückzuführen (z.B. über Jahre hinweg explizite und implizite Verstärkerprozesse dokumentieren)

Auch wenn aus den Paradigmen abgeleitete Therapieverfahren erfolgreich sind, ist es kein Beweis der Richtigkeit (z.B., dass die systematische Desensibilisierung wirkt, ist kein Nachweis für die Richtigkeit einer initialen klassischen Konditionierung)

Die Modelle sind recht reduktionistisch, z. B. ermöglichen sie nur mit Mühe und vielen Zusatzannahmen (z. B. Konditionieren höherer Ordnung!), kognitive Prozesse als ein Charakteristikum psychischer Störungen zu erklären!

Übersicht über heutige Vorlesung

1. Die Behavioristische Perspektive Klassisches Konditionieren Extinktion: die Neurowissenschaftliche Perspektive Operantes Konditionieren

Mowrers 2-Faktorentheorie Weitere lerntheoretische Modelle

Modellernen (Bandura)

2. Die Kognitive Perspektive Das kognitive Modell in Abgrenzung zum Lernmodell Das allgemeine kognitive Modell im klinisch-therapeutischen

Setting, Bsp.: Modell der Panikstörung, Clark Weitere kognitive Ansätze und Befund Verzerrungen in der Informationsverarbeitung: experimentelle

Befunde

[Interaktion von Individuum und Umwelt: Stress-Vulnerabilitäts-Modelle: siehe nächste Termine]

-> Siehe auch Kap. 1.4 Lehrbuch

Das kognitive Paradigma

Beim Lernen spielt sich etwas Komplexeres ab, als der „Erwerb“ reiner Reiz-Reaktionsverknüpfungen.

Lernen (operant wie auch klassisch) kann als aktiver Prozess verstanden werden.

Wir können nicht auf alle Reize reagieren – wir filtern den überwältigenden Input – selbst bei der Wahrnehmung!

Jede Situation/Reiz wird (bewusst?) interpretiert, z.B. vor dem Hintergrund vergangener Lernerfahrungen und Bereitschaften.

Prozesse der Informationsverarbeitung (Wahrnehmung, Enkodierung, Abruf, Interpretation) sind beeinflussbar durch Verzerrungen

Evolutionäre Expansion antizipativer Leistungen

Erweiterter Zeithorizont Antizipation von beliebig weit in der Zukunft

liegenden HandlungsfolgenPlanen und mentales Probehandeln

Durchspielen neuer Handlungssequenzen Sprachliche/symbolische Repräsentation von Intentionen

Handlungsplänen Unbegrenzte Zahl von Reiz-Reaktions-

KoppelungenAntizipation zukünftiger Bedürfnisse

Ziele, die auf die Befriedigung von Bedürfnissen gerichtet sind, die aktuell noch gar nicht bestehen

Selbstkontrolle und Belohnungsaufschub Unterdrückung aktueller Bedürfnisse zugunsten

langfristiger Ziele

Situation

AngstreaktionSicherheitsverhalten/Vermeidung

provoziertverstärkt Gefahrenassoziation von R und S und verhindert

“Löschung”

Lernmodell

Physiologie, Emotion, Kognition, Verhalten

Anwendung: Intervention nach dem Lernmodell

Extinktion der Verbindung zwischen Situation und Reaktion:

Situation muss ohne Angst und ohne Sicherheitsverhalten (Vermeidung) erlebt werden

Verbleiben in der Situation bis Angst reduziert ist bei gleichzeitiger Verhinderung von Vermeidungsverhalten.

Kognitionen können sich ggf dabei verändern, Interpretationen sind allerdings nicht im Fokus der Intervention

“exposure with response prevention”, Exposition mit Reaktionsverhinderung

Situation

AngstreaktionSicherheitsverhalten/Vermeidung

provoziert

Bewertung verstärkt Gefahrenassoziation von R

und S und verhindert “Löschung”

Kognitives Modell

Bewertung

provoziert

Physiologie, Emotion, Kognition, Verhalten

Reiz Situation

Interpretation Bewertung

Reaktion Konsequenz

Physiologie, Emotion, Kognition, Verhalten

Situation

AngstreaktionSicherheitsverhalten/Vermeidung

provoziert

Bewertung verstärkt Gefahrenassoziation von R

und S und verhindert “Löschung”

Intervention nach dem Kognitiven Modell

Bewertung

provoziert

Intervention nach dem kognitiven Modell

Irrationale Bewertungen in bezug auf die Situation müssen verändert werden

Kognitive Umstrukturierung

Direkt auf die Befürchtung zugeschnittene Verhaltensexperimente bei gleichzeitiger Unterbindung von Sicherheitsverhalten/Vermeidung

Kognitive Umstrukturierung, Verhaltensexperimente mit response prevention

Kognitive Verfahren: Grundannahmen

Es gibt kritische, d.h. dysfunktionale (übertriebene, „falsche“, nicht hilfreiche) kognitive Schemata, die über sog. kognitive Fehler zu einer bleibenden Veränderung von

Wahrnehmung Denken und Fühlen (kognitiv-affektiv) und Interpretation

führen. Diese können psychische Störungen auslösen und aufrechterhalten.

Typische Kognitive Fehler unter Angst

Negative Schlüsse ohne tatsächliche Belege:„Wenn ich nicht rausgegangen wäre, hätte ich einen

Herzanfall erlitten“ Gefühle als Beweis behandeln:

„Die Angst war so schlimm, da muss doch etwas nicht in Ordnung sein bei mir“ Übergeneralisieren:

„Ich kann nicht in ein Flugzeug steigen, ich halte es ja nicht mal im Zug aus“

Katastrophisieren:„Ich werde aufgrund der Symptome sterben“

Typische Fehlinterpretationen bei Panikstörungen

S-situativ

Ich renne zum Bus

S-kognitiv

Oh je mein Herz schlägt so schnell (Herzrasen)

Ich habe doch nichts am Herzen?

R1-physio-logisch/affektiv

Schreck, Unruhe

R3-verstärkt

Verstärktes Herzrasen

Gesteigerte Unruhe/Angst

= Beweis für Hypothese, ich hab was am Herz!

R2-kognitiv

Wenn das nicht aufhört werde ich sterben

Teufelskreis-ModellAuslösender kritischer interner

oder externer Reiz (z.B. Herzstolpern)

Wahrnehmung

Gedanke “Gefahr”Physiologische Veränderungen

“Angst”

KörperlicheEmpfindungen

(Clark, 1985)

Veränderung desVerhaltens

Typische Fehlinterpretationen von Panikpatienten

Herzasen, -stolpern

Schwindel, Schwäche

Atemnot

Derealisation/ Depersonalisation

Ich bekomme einen Herzinfarkt, ich muss sterben

Ich falle in Ohnmacht, ich habe einen Hirntumor

Ich ersticke

Ich werde verrückt, ich verliere die Kontrolle

Beck Schemamodell (1985, 1996, 1997)3 Stufen der kognitiven Informationsverarbeitung:

von automatisch bis strategisch

1. Automatische Reaktion, reizbezogen, Warnung: initial registrationOrienting modeEffortless, braucht wenig Verarbeitungskapazität, outside conscious awareness, parallele Verarbeitungsabläufe, hochstereotype Verhaltensweisen, low level of cognitive processingGefahr: ja? Nein?

2. Primäre Bewertungen, automatisiert, “automatische Gedanken” in bezug auf Situation und Reaktion: immediate preparation Primal mode Minimizing danger, maximizing safety Prozess selbst nicht bewusst aber Ergebnis, Informationen nicht vollständig

3. Elaborierte Bewertungsprozesse, Metakognitionen: secondary elaboration Metacognitive mode Thinking about thinking Intentional, braucht viel Verarbeitungskapazität, langsam und steuerbar, serielle

Verarbeitung, komplexe Aufgaben, high levels of cognitive processing Worry, Search for safety signals (Rachman (1984))

-> Aaron T. Beck and David A. Clark, 1997. An information processing model of anxiety: Automatic and strategic processes. Behav. Res. Ther. Vol. 35, No. I, pp. 49-58,

Verzerrungen in der Informationsverarbeitunginformation processing biases

Bei der kognitiven Verarbeitung von Reizen können auf verschiedenen Ebenen Verzerrungen auftreten, die typisch für das jeweilige klinisch psychologische Störungsbild sind

(experimentell erfassbare) Veränderungen in solchen Grundlagenprozessen bilden die Basis für die jeweilige Modellbildung (Ätiologie/Aufrechterhaltung) in der KVT

Die kognitiv-experimentelle Herangehensweise ermöglicht dabei neben der Untersuchung von veränderten Prozessen auch eine von der Selbstbeschreibung unabhängige Erfassung von Therapieerfolg.

Experimentelle Befunde gibt es u.a. in den folgenden Bereichen:

AufmerksamkeitGedächtnisInterpretationen/Bewertungen

Beispiele: Paradigmen und Befunde Aufmerksamkeit

Annahme: Störungsrelevantes Material “zieht” Aufmerksamkeit ab

Emotional Stroop Farbnennung von Wörtern Allgemein: Verlängerte Reaktionszeit bei Benennung der Farbe von

störungsbezogenen Wörtern (Williams, Mathews & McLeod, 1996)

Dot-probe Verkürzte Reaktionszeit bei Erkennen eines Stimulus (Punkt) bei vorheriger

gleicher Lokalisation eines störungs- (angst-)spezifischen Reizes (Bar-Haim et al. 2007; Mogg & Bradley, 2004)

Verlängerte Reaktionszeit bei Erkennen eines Stimulus bei vorheriger nicht gleicher Lokalisation eines störungsspezifischen Reizes (disengagement, Mogg, Holmes, Garner & Bradley, 2008)

Modifizierter Stroop-Test

Blau

Rot

Grün

Rot

Blau

Grün

Blau

Grün

Rot

Blau

Rot

Grün

Rot

Blau

Grün

Blau

Rot

Grün

Rot

Blau

Grün

Blau

Grün

Rot

Rot

Grün

Rot

Blau

Grün

Blau

Schwindel

Herzinfarkt

Tod

Verrückt

Schwitzen

Zittern

Ohnmacht

Verrückt

Zittern

Tod

Schwindel

Herzinfarkt

Ohnmacht

Schwitzen

Tod

Dot-Probe

Aus Mogg, Holmes, Garner & Bradley, 2008

Weitere experimentelle Befunde:Nicht-inhaltsspezifische kognitive Veränderungen

Reduzierte exekutive Kontrolle/kognitive Fähigkeiten Z.B. reduzierte Leistungen im trail-making test in Panik Disorder, OCD (Airaksinen

et al., 2005) Z.B. Reduzierte Arbeitsgedächtnisleistung und Aufmerksamkeit in PTSD

(Vasterling, 1998) Z.B. längere Reaktionszeiten im Stroop-Test, niedrigere verbal fluency bei

Depression (Nakano et al., 2008)

Allgemein reduzierte Emotionsregulationsfähigkeit Z.B. bei GAS, und PTSD (Mennin et al., 2002, Roemer et al., 2001)

Overgeneral memory, Schwierigkeiten bei Schlüsselreizen spezifische Lebensereignisse zu erinnern Z.B. bei Depression, PTSD (für Überblick siehe Williams et al.,2007)

Zusammenfassung: Was sollten Sie mitnehmen?

Lernmodelle (klassisches und operantes Konditionieren, Modell-Lernen) stellen eine wichtige Grundlage zur Erklärung und Modifikation dysfunktionaler Verhaltenweisen dar.

Die neurowissenschaftliche Forschung beschäftigt sich mit den neuralen Grundlagen: was können wir “Kliniker” daraus lernen?

Lernmodelle als Grundlage, sie können aber nicht ALLES erklären!

Kognitive Prozesse (Wahrnehmen, Filtern, Interpretieren) spielen eine ebenso große Rolle bei der Entstehung/Aufrechterhaltung dysfunktionaler Verhaltensweisen.

In experimentellen Versuchanordnungen können diese Verzerrungen objektiviert werden.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

Vorlesung Klinische Psychologie