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267 Birgit Burchartz Problemloseverhalten von Schulern beim Bearbeiten unlosbarer Probleme Dissertation zur Erlangung des akademischen Grades eines Doktors der ErziehungswissenschaJten (Dr. paed.), vorgelegt am Institut for Didaktik der Mathematik der Westfiilischen Wilhelms-Universitiit Munster Gutachter: Prof Dr. Martin Stein Prof Dr. Jorg Voigt Tag der miindlichen Priifung: 18.07.2002 Ein wesentliches Ziel des Mathematikunterrichts ist es, SchUler zu befahigen, Problemlosestrategien zu entwickeln. Damit dies gelingt, ist es notwendig, sowohl die Strukturen des Problemlosens zu kennen, als auch zu wissen, welche Problemlosekompetenzen SchUler besitzen. Hier setzt die vorliegende Arbeit an, in deren Mittelpunkt die Untersuchung von Problemlose- und Begriindungsf:ihigkeiten von SchUlem der Primar- und Sekundarstufe steht. Ausgangspunkt der Untersuchung sind einfache unlosbare Probleme aus dem Bereich der Geometrie und der Arithmetik. Die Losung des Problems besteht somit in der Erkenntnis, dass die Zielsetzung nicht erreichbar ist. Eine Losung kann demnach nicht zuf:illig gefunden werden. Dies gewahrleistet, dass tatsachlich Problemloseprozesse auftreten und deren Strukturen untersucht werden konnen. Hauptziel der Untersuchung ist die Beantwortung folgender Fragen: Wie sieht der Prozess des Problemlosens aus? Welche Problemlosestrategien verwenden SchUler? Wie begriinden SchUler die Unlosbarkeit eines Problems? Welcher Zusammenhang besteht zwischen dem Prozess des Problemlosens und der Begriindung der Unlosbarkeit? Die Untersuehung griindet sich auf ca. 280 vollstandig verschriftlichte Interviews, die mittels quantitativer und qualitativer Methoden ausgewertet werden. 1m einzelnen werden - die Herangehensweisen an die Probleme untersucht, - die Unlosbarkeitsbegriindungen kategorisiert, - die Einfltisse der Aufgabenkomplextitat auf den Problemloseprozess ermittelt, - die Leistungen der SchUler hinsichtlich des Problemloseprozesses und der Argumentationsfahigkeit miteinander verglichen. Damit bietet sich die Moglichkeit, genaueren AufschluB tiber Fragen zu erhalten, die sich in der Praxis des Unterriehts immer wieder stellen, die aber in der Mathematikdidaktik bisher nieht zufriedenstellend untersucht wurden: * Kann aus wenig zufriedenstellenden Antworten gesehlossen werden, dass der SchUler den Sachverhalt nieht verstanden hat? * Welche Mechanismen ftihren wahrend des Problemlosens ggf. dazu, dass ein "verstandener" Sachverhalt nicht angemessen in eine Begriindung umgesetzt wird? (JMD 24 (2003) H. 3/4, S. 267-268)

Problemlöseverhalten von Schülern beim Bearbeiten unlösbarer Probleme

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Page 1: Problemlöseverhalten von Schülern beim Bearbeiten unlösbarer Probleme

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Birgit Burchartz

Problemloseverhalten von Schulern beim Bearbeiten unlosbarer Probleme

Dissertation zur Erlangung des akademischen Grades eines Doktors der ErziehungswissenschaJten (Dr. paed.), vorgelegt am Institut for Didaktik der Mathematik der Westfiilischen Wilhelms-Universitiit Munster

Gutachter: Prof Dr. Martin Stein Prof Dr. Jorg Voigt

Tag der miindlichen Priifung: 18.07.2002

Ein wesentliches Ziel des Mathematikunterrichts ist es, SchUler zu befahigen, Problemlosestrategien zu entwickeln. Damit dies gelingt, ist es notwendig, sowohl die Strukturen des Problemlosens zu kennen, als auch zu wissen, welche Problemlosekompetenzen SchUler besitzen. Hier setzt die vorliegende Arbeit an, in deren Mittelpunkt die Untersuchung von Problemlose- und Begriindungsf:ihigkeiten von SchUlem der Primar- und Sekundarstufe steht. Ausgangspunkt der Untersuchung sind einfache unlosbare Probleme aus dem Bereich der Geometrie und der Arithmetik. Die Losung des Problems besteht somit in der Erkenntnis, dass die Zielsetzung nicht erreichbar ist. Eine Losung kann demnach nicht zuf:illig gefunden werden. Dies gewahrleistet, dass tatsachlich Problemloseprozesse auftreten und deren Strukturen untersucht werden konnen. Hauptziel der Untersuchung ist die Beantwortung folgender Fragen: • Wie sieht der Prozess des Problemlosens aus? • Welche Problemlosestrategien verwenden SchUler? • Wie begriinden SchUler die Unlosbarkeit eines Problems? • Welcher Zusammenhang besteht zwischen dem Prozess des Problemlosens und der

Begriindung der Unlosbarkeit? Die Untersuehung griindet sich auf ca. 280 vollstandig verschriftlichte Interviews, die mittels quantitativer und qualitativer Methoden ausgewertet werden. 1m einzelnen werden - die Herangehensweisen an die Probleme untersucht, - die Unlosbarkeitsbegriindungen kategorisiert, - die Einfltisse der Aufgabenkomplextitat auf den Problemloseprozess ermittelt, - die Leistungen der SchUler hinsichtlich des Problemloseprozesses und der

Argumentationsfahigkeit miteinander verglichen. Damit bietet sich die Moglichkeit, genaueren AufschluB tiber Fragen zu erhalten, die sich in der Praxis des Unterriehts immer wieder stellen, die aber in der Mathematikdidaktik bisher nieht zufriedenstellend untersucht wurden: * Kann aus wenig zufriedenstellenden Antworten gesehlossen werden, dass der SchUler den Sachverhalt nieht verstanden hat? * Welche Mechanismen ftihren wahrend des Problemlosens ggf. dazu, dass ein "verstandener" Sachverhalt nicht angemessen in eine Begriindung umgesetzt wird?

(JMD 24 (2003) H. 3/4, S. 267-268)

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Die Untersuchung zum Probleml6severhalten von SchUlem zeigt insbesondere folgendes: • Die Fahigkeit ein Problem zu 16sen bzw. dieses als ein unl6sbares zu erkennen, zeigt

sich flir den AuBenstehenden nicht ausschlieBlich in den verbal en Antworten der SchUler. Vielmehr ist es oft so, dass gerade viele jungere SchUler urn die Unlosbarkeit wissen, dann aber Antworten geben, die weniger vollstandig und schwerer zu verstehen sind als die der alteren SchUler.

• Viele jiingere SchUler neigen zudem dazu, Handlungen als Teil ihrer Begriindung zu nutzen. Lassen wir dies als Beweis zu, wird deutlich, dass sehr viel mehr SchUler eine Begriindungsflihigkeit besitzen, als sich zuniichst vermuten lieB.

• Desweiteren gibt es eine Gruppe von SchUlem, die bei der Beweisflihrung versteckte Argumente und angenommene Offensichtlichkeiten voraussetzt. Die SchUler gehen oft davon aus, dass ihre kurze Argumentation flir eine Unlosbarkeitsbegriindung ausreicht, zumal der Interviewer ja den gesamten ProblemloseprozeB verfolgt hat.

• Ein wesentlicher Unterschied zwischen den SchUlem zeigt sich in einem Alters­vergleich. Die jungeren SchUler durchlaufen zwar diesel ben Problemlosesequenzen wie die iilteren, insgesamt benotigen sie jedoch mehr Problemloseversuche, bis sie von der Unlosbarkeit uberzeugt sind. Sind sie schlieBlich aufgrund ihrer Handlungen zu der Oberzeugung der Un16sbarkeit gelangt, verwundert es nicht, dass sie auch eine auf Handlung basierende Beweisfiihrung vorstellen.

• Vergleicht man den Problemloseprozess der SchUler mit deren Unlosbarkeits­begriindung, so zeigen sich Aufflilligkeiten sowohl bei den Sekundar- als auch bei den PrimarstufenschUlem. Bei den den SekundarstufenschUlem flihrt ein flir sie einfaches Problem zu einem kurzen ProblemloseprozeB und in vielen Fallen auch zu einer logischen, argumentativen Unlosbarkeitsbegriindung. Fur PrimarstufenschUler flihrt ein langer und komplexer ProblemloseprozeB oft zu dem Gefiihl, dass das Problem nicht ge16st werden kann. Die Tendenz, wiihrend des Prozesses zu handeln, flihrt sie schlieBlich auch bei der Begriindung dazu, die Unlosbarket handelnd zu beweisen.

Festhalten liiBt sich demnach: Bei der Bewertung der Unlosbarkeitsbegriindung durfen wir nicht nur auf die verbalen und letztendlich gegebenen Antworten schauen. Damit werden wir den jungeren SchUlem nicht gerecht. Dies werden wir erst, wenn wir ihre Handlungen als Teil ihrer Argumentation zulassen. Wollen wir die Problemloseflihigkeit tatsiichlich an sich begreifen, mussen wir die Schuler wiihrend des Prozesses der Problemlosung beobachten. Dann wird auch deutlich, dass besonders viele jungere SchUler ein "verborgenes Leistungspotential" besitzen. Hier hat das nichtverbale Verhalten oft auch dann einen deutlich begriindenden Charakter, wenn die SchUler nicht in der Lage sind, das "Vorgemachte" angemessen zu verbalisieren. Beide Altersgruppen scheinen trotz aller Unterschiede demnach zu denselben Argumentationen flihig zu sein, die nach strengen Kriterien Beweischarakter haben.

Die Arbeit ist irn Verlag Franzbecker erschienen unter "Probleml6severhalten von Schiilem beirn Bearbeiten unlosbarer Problerne", Texte zur rnathernatischen Forschung und Lehre, Band 20, ISBN: 3-88120-355-9

Anschrift der Verfasserin: Birgit Burchartz Brandstrornstr. 3 47533 Kleve