Upload
others
View
8
Download
0
Embed Size (px)
Citation preview
1
Echo der Lederhecke - 150. Ausgabe Juli – Oktober 2020
Beiträge zur Geschichte der Gemeinde Sulzdorf a. d. L. (Folge 141)
Das Kriegsende in Sulzdorf und seinen Gemeindeteilen vor 75 Jahren
Primitive Panzersperren sollten die US-Army aufhalten
Vor nunmehr genau 75 Jahren wurde unsere Heimat im Verlauf des Zweiten
Weltkriegs vom XV. Korps der 7. US-Armee erobert. Der 8. April 1945 (Weißer
Sonntag) war ein kühler Tag mit strahlendem Sonnenschein und guter Sicht. Um
14.15 Uhr war die Kreisstadt Königshofen „feindfrei“ und um 15.10 Uhr setzte die
US-Kompanie ihren Vormarsch in Richtung östliches Grabfeld fort. Um 16.25 Uhr
erreichte sie Gabolshausen, eine gute halbe Stunde später Untereßfeld und nach
Bereinigen einer Straßensperre Obereßfeld. Danach stieß sie nur noch auf
minimalen Widerstand, hatte aber um 17.40 noch mit vereinzelten Schützen in
Sulzdorf a. d. L. zu tun. Eine Panzer-Kompanie nahm nach 18 Uhr deutsche
Truppenteile in Sternberg unter Beschuss. Diese hatten sie entweder vom
Büchelberg aus auf ihrer Flucht beschossen oder sich so auffällig verhalten, dass die
Amerikaner glaubten, die deutschen Soldaten würden sie angreifen. Sie entgingen
jedoch dem Angriff, getroffen wurden aber zwei Gehöfte, eine Feldscheune sowie
die Schule.
Kurz vor Mitternacht kam es bei Sulzdorf a. d. L. noch zu einem Zwischenfall:
Deutsche Soldaten, die – zivil gekleidet – gegenüber den Amerikanern behaupteten,
Kriegsgefangene zu sein – eröffneten das Feuer. Der US-Soldat Harold G. Franklin
erlag seinen Verletzungen. Bereits in der Nacht vom 7. auf 8. April wurde US-
Leutnant Benjamin Hill in Königshofen aus dem Hinterhalt von einem SS-Soldaten,
der sich im Krankenhaus verbarg, erschossen. Er gehörte einer Schwadron an, die
Vorerkundungen über das zu besetzende Gebiet einholte.
US-Einmarsch in Königshofen, Höhe des ehemaligen Krankenhauses. Im Kreis der
in der Nacht zuvor erschossene US-Soldat Hill.
2
Echo der Lederhecke - 150. Ausgabe Juli – Oktober 2020
In einem in den USA unmittelbar nach Kriegsende aufgelegten Buch mit dem Titel
„The 106th Cavalry Group in Europe 1944-45“ sind die Namen der beiden im
Grabfeld gefallenen Soldaten Hill und Franklin in einer Aufstellung „Killed in
Action“ aufgeführt. Als Sterbeort wird jeweils Sternberg angegeben. Wie
Nachforschungen ergaben, hängt das damit zusammen, dass das Sternberger Schloss
wegen seiner prädestinierten Lage bei den Einsatzplanungen als eine sog.
Landmarke ausgewählt wurde, an der sich die US-Angreifer orientierten. Alle
Eintragungen im Logbuch über den Einsatz im Grabfeld beziehen sich auf
Sternberg, wie z.B. „We are in Irmelshausen, 19,4 km north of Sternberg“. In dem
genannten Buch sind auch die beim Einmarsch der US-Army im Grabfeld geführten
wichtigsten Funksprüche enthalten. Als Tagesziel der von Ostheim vor der Rhön
anrückenden US-Army wurde am 8. April 1945 das „very little“ (sehr kleine) Dorf
Sternberg ausgegeben. Bis zum Abend sollte die Linie Schwickershausen bei
Mellrichstadt/Sternberg im Grabfeld besetzt sein.
Nachfolgend eine Auswahl der US-Funksprüche:
8. April 1945
09.40 Uhr - Vormarsch auf Mellrichstadt
10.00 Uhr - Mellrichstadt erobert, 6 erschossene deutsche Soldaten, 7 Kriegs-
gefangene.
10.05 Uhr - Einmarsch in Hendungen
11.35 Uhr - Einmarsch in Irmelshausen.
12.00 Uhr - 5 km nordwestlich Königshofen, haben zerstörten deutschen
Schützenpanzer abgeschleppt.
12.30 Uhr - Beginn der Einnahme Königshofens.
12.45 Uhr - Kleinere Gefechte in Königshofen
13.05 Uhr - Leutnant Hill, der aus dem Krankenhaus heraus erschossen wurde, wird
auf dem Bürgersteig aufgefunden.
17.12 Uhr - Bei Trappstadt wird die US-Army mit 10 Raketen beschossen.
18.41 Uhr - Führende Elemente feuern auf Deutsche in Sternberg.
3
Echo der Lederhecke - 150. Ausgabe Juli – Oktober 2020
Gefangennahme deutscher Soldaten im Grabfeld (Überblendung).
9. April 1945
00.40 Uhr - Nähe Sternberg (gemeint ist Sulzdorf) wird eine Granate auf uns
geworfen, schießen zurück, haben aber nicht getroffen. Harold G. Franklin erliegt
seinen Verletzungen.
08.00 Uhr - Übergabe der in der Nacht gemachten deutschen Kriegsgefangenen.
09.10 Uhr - Wir sind in Rieth.
19.05 Uhr - Einmarsch in Heldburg. Vormarsch durch das Heldburger Land nach
Rodach und Coburg.
Am 9. April 1945 setzte das Regiment seinen Vormarsch in Richtung Süden fort,
nachdem mit Schwanhausen und Serrfeld die letzten Dörfer im Königshöfer
Grabfeld eingenommen waren. Am 30. April überquerte das Regiment die Isar bei
München und begann seinen Vorstoß auf Salzburg. Bei Kriegsende am 8.5.1945
stand das Regiment am Wolfgangsee.
Der Einmarsch in Obereßfeld
Auf einer Anhöhe Richtung Alsleben hatte eine deutsche Flakbatterie Stellung
bezogen, um feindliche Tiefflieger abzuschießen. Was schon lange zuvor erwartet
wurde, war am Weißen Sonntag 1945 soweit. Pfarrer Carl Bonaventura Hofmann,
Oskar Harth und Rudolf Seim bewiesen Mut und liefen den anrückenden Truppen
mit weißen Fahnen (Betttüchern) entgegen, um den Ort vor Schaden zu bewahren.
Die Amerikaner nahmen Obereßfeld kampflos ein. Kein Schuss fiel. Die Menschen
atmeten auf, endlich war für sie der Krieg vorbei. Sämtliche Haushaltungen wurden
von den Amerikanern nach evtl. verborgenen deutschen Soldaten sowie Waffen und
Munition durchsucht. Jede wurde mit amerikanischen Posten besetzt, um flüchtende
deutsche Soldaten zu ergreifen.
4
Echo der Lederhecke - 150. Ausgabe Juli – Oktober 2020
So war eine Panzersperre aufgebaut.
Die Zeichnung fertigte 1995 der
ehemalige Rektor der Verbandsschule
Untereßfeld, Walter Häusler, der den
Aufbau einer solchen Sperre in seinem
Heimatort Saal an der Saale
miterlebte.
Wie unsinnig oft Maßnahmen gegen die mit aller Macht anrückenden US-Truppen
waren, unterstreicht die Anordnung, dass am Ostersonntag 1945 45 Mann
„Volkssturm“ aus Obereßfeld ausrücken mussten, um an der Straße nach Sulzdorf
eine Panzersperre zu errichten. Auf Höhe des Judenpfades, an der Gemeindegrenze
zu Sulzdorf, wurde an beiden Straßenrändern eine ca. zwei Meter tiefe quadratische
Grube ausgehoben und innen und außen mit Baumstämmen senkrecht verstärkt.
Zwischen diesen etwa zwei Meter über den Grund ragenden Stämmen wurden
wiederum, außen und innen die ganze Straßenseite blockierende Baumstämme
gelegt. Die Zwischenräume wurden mit Erde und Steinen verfüllt. Die eine Woche
später anrückenden mächtigen Panzer umgingen die Sperre, indem sie schlicht und
einfach an der Seite vorbeifuhren!!!
Der Einmarsch in Sulzdorf
Kurz vor dem 8. April 1945 hatten die Sulzdorfer ebenfalls eine Panzersperre an der
Lederhecke Richtung Ermershausen zu errichten, die selbstverständlich die US-
Army ebenfalls nicht aufhalten konnte. Als die Amerikaner ins Dorf einrückten und
das Schulhaus umstellten, befanden sich alle Bewohner Sulzdorfs in ihren Kellern.
Es lag eine beklemmende Stille über dem Dorf.
In der Lebersgasse leisteten zwei SS-
Soldaten Widerstand, einer von ihnen
wurde erschossen, der andere flüchtete
mit einem Fahrrad in Richtung
Schwanhausen. Der französische
Kriegsgefangene Andrè Lavet (im
Bild), der etwa vier Jahre bei der
Familie Schäftlein arbeitete, berichtete
den US-Soldaten, dass die Besatzer
nichts von den Sulzdorfern zu
befürchten hätten.
5
Echo der Lederhecke - 150. Ausgabe Juli – Oktober 2020
Es seien „anständige Leute“, die die Gefangenen und Zwangsarbeiter gut behandelt
hätten. Die Dorfbewohner wurden schließlich aufgefordert mit erhobenen Händen
ihre Verstecke zu verlassen.
Im Haus der Familie Schäftlein (später Fischer) gegenüber der Kirche wurde die
US-Kommandantur eingerichtet. Ende Juni 1945 verließen die US-Soldaten
Sulzdorf und kündigten an, dass die Russen fortan den Ort besetzten. Sie waren der
Auffassung, Sulzdorf liege in Thüringen, das ja im Juli 1945 von der Roten Armee
besetzt wurde, nachdem sich die Amerikaner vereinbarungsgemäß auf die
bayerisch/thüringische Grenze zurückgezogen hatten.
Die Beschießung Sternbergs
Die Sternberger waren in den Stunden vor dem Einmarsch „völlig durcheinander“,
erinnerte sich Rudolf Werner. Dazu trug nicht zuletzt auch der Auftritt eines
unverbesserlichen Nazis aus der Kreisstadt am frühen Sonntagmorgen bei. Er war
mit seinem „Sachsla“ nach Sternberg gekommen und befahl dem „Wirts Karl“ (Karl
Lettau), dass die vorbereiteten Panzersperren sofort geschlossen werden müssten.
Dieser weigerte sich und versuchte seinen Gegenüber von der Unsinnigkeit einer
solchen Anordnung zu überzeugen. Daraufhin bedrohte der Beauftragte der
Kreisleitung den Gastwirt mit der Waffe.
Gegen 16 Uhr ging Rudolf Werner mit einigen Schulkameraden auf den
Büchelberg, von dem man eine weite Sicht in das Grabfeld hat. Die Buben
beobachten, wie die US-Armee von Königshofen kommend in Gabolshausen und
Untereßfeld einfuhr. Es dauerte dann aber immer noch eine Weile bis die
anrückenden Streitkräfte in Richtung Obereßfeld weiterzogen. Ein Teil der
anrückenden US-Armee bog in Richtung Sulzdorf ab, andere bewegten sich in
Richtung Sternberg/Zimmerau. Jetzt wurde es den Kindern doch zu brenzlig und sie
rannten nach Hause.
Doch es herrschte zunächst eine ungewöhnlich langanhaltende quälende Stille. US-
Flugzeuge überflogen ständig in niedriger Höhe das Dörfchen. Mancher Einwohner
wagte sich aus dem Keller und lugte hinter dem Hoftor hervor. Im nächsten
Augenblick zerrissen Panzergranaten die Stille. Nicht lange darauf galoppierten die
Pferde vom „Lamperts Augstin“ (August Albert) durch das Dorf in Richtung
Zimmerau. In dessen Hof, im Nachbarhof von Max Bühler und in die Feldscheune
des Bürgermeisters Balthasar Albert unterhalb des Schlosses hatten die Granaten
eingeschlagen und setzten diese in Brand. Auch das Pfarrhaus und das Dach der
neben der Kirche befindlichen Schule wurden getroffen. Die dort konfiszierten
abgelieferten Zentrifugen und Rührfässer für die Butterherstellung (damit wollten
die Nazis verhindern, dass die Leute „schwarz“ Butter herstellten) wurden zerstört.
Durch die hohen Bäume des Schlossparks gedeckt, war der größte Teil des Dorfes
nicht zu sehen, was sich als Glücksfall erwies. Das Schloss wurde nicht beschossen,
da man dieses ja als Hauptquartier nach der Einnahme zu nutzen gedachte.
Rudolf Werner erinnerte sich 1995 weiter: „Die Dorfbewohner eilten zu den
Brandplätzen, alles war kopflos. Die Panzer fuhren durch's Dorf und stellten sich
am Weinberg auf!“ Am Abend war Ausgangssperre und die Dorfstraße war mit US-
Militärfahrzeugen zugeparkt. Der Sternberger Pfarrer Karl Pfaab hielt fest: „Der
6
Echo der Lederhecke - 150. Ausgabe Juli – Oktober 2020
Weiße Sonntag 1945 wird allen Teilnehmern unvergesslich bleiben. Schon nach der
Mittagsstunde sahen wir vom hochgelegenen Sternberg aus die heranrückenden
Amerikaner. Gegen 14 Uhr suchten die Tiefflieger alle ringsherum gelegenen
Wälder planmäßig ab. Immer bedrohlicher war das Rattern ihrer Motoren und ihrer
Maschinengewehre. Nach 17 Uhr sahen wir die ersten Amerikaner-Panzer von
Obereßfeld herauffahren. Hier im Dorf waren noch Reste deutschen Militärs, die
natürlich von den Tieffliegern beobachtet wurden. Plötzlich eröffneten die
Amerikaner-Panzer aus den Feldern unten am Steinkreuz die Beschießung von
Sternberg. Gegen 18.30 Uhr waren die Amerikaner in Sternberg eingerückt. Das
ganze Dorf bis zum Schlosshof hinein wimmelte von Amerikanern.“
Eingekreist von unten nach oben die
betroffenen Anwesen Albert, Bühler
und die Schule.
Irmgard Silbersack, geborene Albert,
aus Sternberg erinnert sich an den
Einmarsch der Amerikaner:
„Wochenlang vor dem Einmarsch der
Amerikaner hörte man in unserer
Gegend die Front und sah den
Feuerschein der brennenden Städte.
Am Spätnachmittag des Weißen
Sonntags war es dann soweit. Etwa
sechs bis acht Panzer rollten aus
Obereßfeld kommend in Richtung
Sternberg. Am „Birkig“ stellten sie
sich in einer Reihe auf. Dies kam uns
nicht geheuer vor. Mein Vater sagte:
„Kommt, wir gehen in den Keller!“
Kaum hatten wir uns dort verborgen,
krachte es auch schon furchtbar. Nach
einer weiteren Salve sagte Papa, der
ins Freie spitzte, voller Entsetzen:
„Guckt, bei uns brennt's scho!“ Offensichtlich traf eine Panzergranate unsere
Scheune. Trotz der weiteren Beschießung durch amerikanische Panzer stürzten wir
aus dem Keller. Unser Vater ließ als erstes die drei Ackergäule springen, die
zwischen den anrückenden Panzern hindurch in Richtung Zimmerau
davongaloppierten. Die Schweine wurden ebenso herausgetrieben wie Gänse und
Hühner. Diese flogen aus unerfindlichen Gründen in die Flammen hinein. Ich
erinnere mich, dass die Panzer acht Salven auf Sternberg abfeuerten. Das Feuer
breitete sich rasend schnell aus und drohte, ebenfalls unser erst 1930 errichtetes
Wohnhaus in Brand zu setzen.
7
Echo der Lederhecke - 150. Ausgabe Juli – Oktober 2020
Nach einiger Zeit stellten wir fest, dass im Nachbaranwesen, bei den
„Leinawabersch“, ebenfalls eine Scheune in Flammen stand. Als die US-Panzer ins
Dorf fuhren, haben wir trotz der Ausräumarbeiten noch schnell eine weiße Fahne
zum Fenster hinausgehängt.
Die niedergebrannte Scheune im
Anwesen Balthasar Albert im
Unterdorf.
Furchtbar schockiert waren wir nicht nur, weil es bei uns fürchterlich brannte,
sondern auch durch die Tatsache, dass uns die Amerikaner beschossen. Durch das
Hören von Schwarzsendern glaubten wir, die Amerikaner benähmen sich bei ihrem
Einmarsch freundlich, wenn sich alle ruhig verhielten.
Wir hatten uns doch ruhig verhalten, und jetzt plötzlich das? Die Panzer rollten
langsam an unserem Anwesen vorbei, ohne dass deren Insassen von dem Brand
Notiz nahmen. Jetzt hatten wir wenigstens ein klein wenig die Angst verloren, auch
noch erschossen zu werden. Erschwert wurde die Brandbekämpfung durch die ab 21
Uhr verhängte Ausgangssperre. Die Helfer mussten nach Hause, obwohl der Brand
noch lange nicht gelöscht war. Nur die Nachbarn durften weiter helfen.
Nur unter erschwerten Bedingungen konnten die Scheunen vom Bühlers Max und
unsere wieder aufgebaut werden. Welche Folgen diese Materialnot hatte, wurde
1956 deutlich, als unter lautem Krachen Scheune und Stallung der Bühlers in sich
zusammensanken. Eine Kommission stellte als Einsturzursache den Panzerbeschuss
von 1945 fest.
Die Einnahme Zimmeraus
Unter dem 3. April 1945 ist in der Zimmerauer Schulchronik vermerkt:
„Osterdienstag. Die Kriegsmaschine der Amerikaner im Anrollen. Fast
ununterbrochen ziehen hier versprengte deutsche Truppenteile, einzelne Soldaten,
Arbeitsdienstler, Volkssturmmänner durch, meist führerlos, größtenteils ohne
Waffen, nur mit dem einen Ziel, sich vor der Gefangenschaft zu retten. Auch
gefangene Ausländer sind auf dem Durchmarsch. Alles ein Bild der Auflösung. Für
Stunden und Nächte wechselt die Einquartierung bei den Bauersleuten ohne
Unterbrechung. Auch für die Verpflegung müssen diese aufkommen.“
Bei Anrücken der US-Army am 8. April 1945 wurden die deutschen Soldaten von
den Einheimischen aufgefordert, sich im Wald zu verstecken. Marianne Woxa
berichtete, ihre Mutter Olga Bauer hatte für die Soldaten zuvor extra in einem
Kessel Wasser erwärmt, damit sie sich waschen konnten. Anschließend durften sie
ihren Hunger stillen. Dies geschah alles „gedeckt“, damit US-Tiefflieger, die ständig
8
Echo der Lederhecke - 150. Ausgabe Juli – Oktober 2020
das Dorf überflogen, die deutschen Soldaten nicht bemerken sollten. Sie flüchteten
schließlich in Richtung Thüringen und versteckten sich. Die Amerikaner rückten an,
nahmen Zimmerau kampflos ein, zogen weiter und nahmen im nahen Wald die
deutschen Soldaten fest, die sich freiwillig stellten. Die Kampftruppen rückten
weiter in Richtung Thüringen vor.
Nun löste eine Besatzungstruppe die Kampftruppe der USA ab und Soldaten
durchsuchten das Dorf. Marianne Woxa erinnert sich, dass sie in einem
Nebengebäude ihres Vaters im Backofen Gewehre deutscher Soldaten fanden. Ihr
Vater Albert Bauer wurde herbei geholt. Er wusste von nichts. Trotzdem wurde er
festgenommen und abgeführt. Einen Tag später kam er aber wieder nach Hause. Ein
US-Soldat zerstörte die Gewehre, die teilweise noch geladen waren. Ein Schuss
löste sich und traf ihn um ein Haar.
Kurz vor Kriegsende passierten
deutsche Panzer auf ihrer Flucht vor
der immer näher kommenden US-
Army Serrfeld.
Die Einnahme Serrfelds
Als letzte Gemeinden im Königshöfer Grabfeld wurden Schwanhausen und Serrfeld
von der US-Armee eingenommen. Am Montag, 9. April 1945, war es auch hier so
weit. Um 09.30 Uhr marschierten US-Soldaten in Serrfeld ein, ohne dass ein Schuss
fiel, nachdem es zuvor an der Sulzdorfer Mühle noch zu einem kurzen Gefecht
gekommen war, wobei zumindest ein deutscher Soldat fiel, erinnerte sich Armin
Unger Mitte der 1990er Jahre. Bürgermeister Oskar Matz war den anrückenden
Streitkräften mit einer weißen Fahne entgegen gelaufen. Er wurde begleitet von
einigen der acht französischen Kriegsgefangenen, die seit 1940 im Dorf lebten. Sie
waren in einem Haus direkt unterhalb der Kirchenburg untergebracht und halfen den
Bauern in der Landwirtschaft. Die US-Truppe zog nach kurzem Aufenthalt weiter in
Richtung Neuses.
Wenige Stunden vor dem Einmarsch der Amerikaner hatten Alfred Wagner,
Nikolaus Jäckel und Richard Unger noch deutsche Soldaten mit ihren
Pferdefuhrwerken in Richtung Staffelstein zu transportieren. Als nach dem
Einmarsch der Amerikaner im Frühjahr 1945 einige versprengte, einsame deutsche
Landser in arge Bedrängnis gerieten, verbargen die Serrfelder diese, obwohl
schwerste Strafen seitens der amerikanischen Militärregierung drohten. Trauten sich
die Soldaten nicht ins Dorf, wurde ihnen das Essen in den Wald gebracht.
9
Echo der Lederhecke - 150. Ausgabe Juli – Oktober 2020
Der Einmarsch in Schwanhausen
Anna Holzmann berichtete vor einigen Jahren, am Weißen Sonntag 1945
beschossen Tiefflieger wiederholt Schwanhausen. Verletzte oder gar Tote gab es
nicht. Am Weißen Sonntag 1945 war Schwanhausen von deutschem Militär, das
sich in heilloser Flucht befand, überfüllt. Ein junger Offizier, zur Gegenwehr wild
entschlossen, verkündete dies lauthals und wurde von seinem Vorgesetzten
zurechtgewiesen. Dieser höhere Offizier bat, die aussichtslose Lage richtig
einschätzend, bei ihrer Familie um ein weißes Tuch. Er erwog nach Sulzdorf zu
gehen und seine Gruppe den Amerikanern zu übergeben.
Es wurde Abend und die Amerikaner waren immer noch nicht da. Von Sternberg
her, wo drei Gebäude brannten, hatte sich der Himmel blutrot gefärbt. Dies
vergrößerte zusätzlich die Angst. Mit einem Eintreffen der US-Army wurde
stündlich gerechnet, weshalb die Schwanhäuser die Nacht in Felsenkellern
verbrachten. Die deutschen Soldaten zogen in dieser Nacht weiter in Richtung
Schweickershausen und Ermershausen. Ein Soldat mit Namen Gaida setzte sich von
seiner Einheit ab und verbarg sich in Schwanhausen. Er wurde nach dem Einmarsch
nicht von den Amerikanern gefangen genommen und war noch lange in der
Gemeinde ansässig.
Am Montag, 9. April hörte Anna Holzmann plötzlich ein eigenartiges Brummen,
schreckte hoch, rannte ans Fenster und erkannte einen amerikanischen Panzer. Sie
sagte zu ihrem Vater: „Ach Gott Vater. Geh naus, die sind da!“ Jakob Wachtel trat
nun mit einer weißen Fahne vor das Haus und näherte sich einem Panzer. In
perfektem Deutsch fragte der Panzerkommandant Anna Holzmanns Vater: „Wo ist
der Feind?“ Dieser bedeutete ihm, dass keine deutschen Soldaten mehr im Dorf
seien. Bei der Einnahme Schwanhausens fiel ebenfalls kein Schuss.
Manfred Mendel Zeilberger (Fred Berger), ein amerikanischer Offizier jüdischer
Abstammung, aus Ermershausen gebürtig, marschierte vor 75 Jahre mit der US-
Army im Grabfeld ein. Seine Mutter Sophie, Vater Leopold (links im Bild) und sein
jüngster Bruder Gert (Bildmitte) wurden von den Nazis im KZ Izbica ermordet.
Manfred wurde von seinen Eltern 1937, seine Schwester Ilse (rechts im Bild) 1939
in die USA geschickt, damit sie dem Nazi-Terror entgingen. Ilse tat aus Verbitterung
nie wieder einen Schritt auf deutschem Boden.
10
Echo der Lederhecke - 150. Ausgabe Juli – Oktober 2020
Der deutsch sprechende US-Soldat war Manfred Mendel Zeilberger. Er stellte sich
vor: „Ich bin der Sohn vom Mendel!“ Mendel, sein richtiger Name war Leopold
Zeilberger, war Viehhändler und Metzger im benachbarten Ermershausen. Er
pflegte intensive Geschäftsbeziehungen mit den Schwanhäusern. Anna Holzmann
erinnerte sich, dass der Mendel - er nahm als Kriegsfreiwilliger am Ersten Weltkrieg
beim 5. Infanterie-Regiment Bamberg teil - ihrem Vater Ende der 1930er Jahre beim
Kauf eines Rinds voller Kummer berichtete, er habe jetzt das Geld zusammen, um
zweien seiner Kinder, Manfred und Ilse, die Reise nach Amerika zu finanzieren. Für
die ganze Familie reiche das Geld jedoch nicht.
Leopold Mendel und Sophie Zeilberger hatten drei Kinder: Manfred Mendel, *1920,
Ilse Jettchen, *1922 und Gert Gerson, *1924. Manfred emigrierte am 26.12.1937 in
die USA, Ilse folgte am 29.7.1939. Die übrigen Familienmitglieder Leopold, Sophie
und Gert Zeilberger wurden am 25. April 1942 nach Izbica bei Luplin deportiert und
in den fahrbaren Gaskammern von Belzèc von den Nazis ermordet.
Nachdem die amerikanische Einheit Ermershausen eingenommen hatte, begab sich
Manfred Mendel Zeilberger, der sich in den USA Fred Berger nannte, zu
Bürgermeister Bornkessel und fragte: „Wo sind meine Eltern?“ Anschließend suchte
er sein Elternhaus auf. Manfred Zeilberger suchte verzweifelt nach dem Grab seiner
Eltern und seines Bruders. Er konnte einfach nicht begreifen, was geschehen war,
was ihm und seiner Familie die Nazis angetan hatten. Ilse Zeilberger setzte nach
ihrer Emigration in die Vereinigten Staaten aus tiefer Verbitterung nie wieder einen
Fuß auf deutschen Boden. Lediglich ihr Mann besuchte vor einigen Jahren einmal
Ermershausen.
Ein weiteres überraschendes Zusammentreffen gab es mit US-Offizier Fred Berger
für die damals 17jährigen Hans Albert aus Sternberg und Hugo Kriegsmann aus
Serrfeld. Sie wurden im Juni 1945 in einem Kriegsgefangenenlager in der Pfalz von
ihm verhört. Sie erinnerten sich, dass sich dieser überaus anständig verhalten habe
und anordnete: „Das sind doch noch Kinder. Sie sind zu entlassen!“
Reinhold Albert Quellen und Literatur:
Reinhold Albert: Zeitzeugen berichten: Kriegsende 1945 und Nachkriegszeit im Königshöfer
Grabfeld, Bad Königshofen 1995; Reinhold Albert: Chronik der Gemeinde Sulzdorf in drei
Teilen, Hildburghausen/Mellrichstadt 1994/2020; Reinhold Albert: Beeindruckendes Zeitzeugnis:
Briefe an und von Hans Albert aus seiner Reichsarbeitsdienst- und Militärzeit sowie sein
Notizbuch aus Krieg und Gefangenschaft 1944/45, Sternberg 2015; Angaben von Frau Cordula
Kappner (Haßfurt) über die Familie Zeilberger.
Ergänzug zu den Fotos: Die beim Einmarsch entstandenen Fotos sind von Glenn Kappelman. Er
gehörte der US-Einheit ab Februar 1944 an und nahm beim Einmarsch etwa 750 Bilder auf.
Befehlswidrig hatte Kappelman während der Einschiffungsinspektion in New York eine Kodak
616-Kamera in seiner Gasmaske versteckt. Da er ein gewöhnlicher Soldat und kein professioneller
Fotograf war und Kameras und Filme bei Kampftruppen selten waren, zeigen die Fotografien die
Alltagserfahrung eines Soldaten und sind in der Kriegsfotografie relativ einzigartig. Kappelman
war in einem M8-Panzerwagen eingesetzt und versteckte den Film in leeren Munitionskisten. Erst
nach Rückkehr in die USA ließ er die Filme entwickeln.