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Vorlesung „Einführung in die Schulpädagogik“ WS 2010/11
(Boenicke/Popp)
Leistungsbeurteilung und Diagnostik
• Objektivität der Notengebung: Empirische
Untersuchungen
• Kriterien und Fehlerquellen der
Leistungsbewertung
• Alternative Formen der Leistungsbewertung
• Aufgaben der pädagogischen Diagnostik
2
Empirische Untersuchung zur Notengebung
Schriftliche Prüfung
• Schüleraufsatz mit zwei verschiedenen Voronformationen
• Beurteilung durch 92 Grundschullehrer.
• Unterschiedliche Angaben zum soziokulturellen Status der
Familie (Journalist/Arbeiter) und Schulleistung
• Lektüre/Bewertung jeweils mit unterschiedlicher Vorinformation
K. Ingenkamp/U. Lissmann (2005), Lehrbuch der pädagogischen Diagnostik, Weinheim,
Basel, 5. Aufl., S. 144
3
Stil
Quelle: K. Ingenkamp 1995, Die Fragwürdigkeit der Zensurengebung, Weinheim, 9. Aufl.
0%
5%
10%
15%
20%
25%
30%
35%
40%
45%
50%
positiv beeinflußt 38% 46% 13% 3% 0%
negativ beeinflußt 9% 47% 21% 21% 20%
Note 1 Note 2 Note 3 Note 4 Note 5
4
Inhalt
0%
5%
10%
15%
20%
25%
30%
35%
40%
45%
50%
positiv beeinflußt 46% 46% 8% 0% 0%
negativ beeinflußt 21% 46% 22% 11% 0%
Note 1 Note 2 Note 3 Note 4 Note 5
5
Rechtschreibung
0%
5%
10%
15%
20%
25%
30%
35%
40%
45%
50%
positiv beeinflußt 16% 40% 36% 8% 0%
negativ beeinflußt 0% 7% 44% 38% 11%
Note 1 Note 2 Note 3 Note 4 Note 5
6
Gesamtnote
0%
10%
20%
30%
40%
50%
60%
70%
positiv beeinflußt 18% 60% 19% 3% 0%
negativ beeinflußt 0% 30% 57% 13% 0%
Note 1 Note 2 Note 3 Note 4 Note 5
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Objektivität der Notengebung:
Mündliche Prüfungen (1)
• Video-Aufnahme: Zwei Deutsch-Prüfungen Abitur
• Probanden: 156 Lehrer aus 39 Gymnasien
• Unterschiedliche Vorinformation: vorangegangene
Leistung im Abituraufsatz eher gut/eher schwach
• Beurteilung der mündlichen Prüfung:
bei Vorinformation „eher gut“: 1 - 5,
bei Vorinformation „eher schwach“: 2 - 5,5.
8
Objektivität der Notengebung: Mündliche
Prüfungen (2)
• Vorführung der Aufnahmen in wechselnder
Reihenfolge
• Schlechtere Kandidatin: Beurteilung noch schlechter,
wenn die bessere zuerst zu sehen war
• Bessere Kandidatin: Beurteilung noch besser, wenn
die schlechtere zuerst zu sehen war
K. Ingenkamp/U. Lissmann (2005), Lehrbuch der
pädagogischen Diagnostik, Weinheim, Basel, 5. Aufl., S. 139
9
Subjektivität der Notengebung – Ein
Problem der geistes- und sozial-
wissenschaftlichen Fächer?
• Weitere Untersuchungen bezogen sich auf einen
Vergleich der Bewertungen von Arbeiten in
sprachlichen Fächern, Mathematik und Geschichte.
• „Die Mathematikarbeit wies im Gegensatz zur
Erwartung die höchsten Beurteilungs-
unterschiede auf.“
K. Ingenkamp/U. Lissmann (2005), Lehrbuch der
pädagogischen Diagnostik, Weinheim, Basel, 5. Aufl., S. 143
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Alternative Formen der Leistungsmessung:
• Transparente Beurteilungskriterien
• Portfolios, Lernberichte und Lernjournale
• Diagnose- und Beobachtungsbögen
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3 2 1 0
Vortrags-
form
Freie Rede,
formvollendet
Flüssiger Vortrag,
aber
manuskriptabhängig
Durchgehend
manuskriptab-
hängig
Völliges, z.T.
fehlerhaftes
Ablesen
Aufbau Zwingend klarer
Aufbau und
Gliederung
Aufbau und
Gliederung gut, mit
kleinen Mängeln
Gesichtspunkte
nur gereiht/ gros-
se Gliederungs-
mängel
Gesichtspunk-
te unvollstän-
dig,wesent-
liche Aspekte
fehlen
Sachliche
Richtig-
keit
In der Darstellung
und Analyse der
Zusammenhänge
überzeugend
Fakten und
Zusammenhänge
ohne Fehler
dargestellt
Fakten i.O., aber
keine
Zusammenhänge
Lücken in der
Darstellung
Selbstän-
digkeit
Sehr gutes
Hintergrundwis-
sen / sehr gute
Reaktion auf
Nachfragen und
Kontrollfragen
Deutliche eigene
Aktivität / gute
Reaktion auf
Kontrollfragen
Kaum eigen-
ständige Aktivität
erkennbar /
Kontrollfragen
unbeantwortet
Kein
eigenständig
erarbeitetes
Hintergrund-
wissen
Veran-
schau-
lichung
Überzeugend,
anschaulich
(Folien, Bilder...)
Deutliches Bemühen
um anschauliche
Gestaltung
Außer dem
Vortrag nur noch
ein weiteres
Medium
Keine
Veranschaulic
hung über den
Vortrag hinaus
Beispiel I.: SCHÜLERBEWERTUNG EINES REFERATS
12
Beispiel II: LERNBERICHT EINER SCHÜLERIN ( Portfolio)
Lernbericht
Unterrichtsgegenstand: _____________ Klasse: __ Schüler/in:
________________
1. Welche Inhalte habe ich bearbeitet? Welche Ziele habe ich dabei?
_____________________________________________________________________________________
_____________________________________________________________________________________
_____________________________________________________________________________________
Kommentar der Lehrperson:
2. Womit hatte ich Schwierigkeiten? Wie habe ich sie gelöst?
_____________________________________________________________________________________
Kommentar der Lehrperson:
13
Beispiel III: SELBSTBEOBACHTUNG UND SELBSTBEWERTUNG
Gestufte Lernzielkontrolle
Name: _______________________
Klasse: _______________________
Fragestellung Schüler
++/+/-
Begründung Lehrer
++/+/-
Begründung
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Beispiel IV: LERNJOURNAL EINER SCHÜLERIN
Lernjournal im Fach Geschichte Klasse 9
Woche vom __________________ bis zum __________
1. Was habe ich Neues gelernt?
a) In Bezug auf die Inhalte fachlicher und übergreifender Art (meine inhaltliche
Kompetenz)
- ich habe gelernt, was Versailles ist und welche Bedeutung es im absolutistischen
Frankreich hatte
- Ich habe gelernt, wie der Staat von Ludwig XIV. aufgebaut war und dass sich dieser von
unserer Demokratie völlig unterscheidet
b) In Bezug auf meine Person (meine personale und soziale Kompetenz)
- ich habe mit Mitschülern ein Referat erarbeitet und dabei gelernt, wie man in Gruppen ein
Thema erarbeitet
- Ich habe gelernt, meinen Standpunkt zu behaupten
2. Woran werde ich inhaltlich noch weiter arbeiten? Wann? Wo? Wie?
- ich will wissen, wieso der Staat in Frankreich so aufgebaut war
- Dazu werde ich am Dienstag in die Bibliothek gehen
15
Aufgaben der pädagogischen Diagnostik im
Unterricht ... :
• Selbst- und Fremdkorrektur falscher Lernergebnisse
• Erkennen von Lerndefiziten
• Bestätigung erfolgreicher Lernschritte
• Motivierung durch Hinweise auf Lernerfolge
• Planung nachfolgender Lernschritte
• Steuerung des Schwierigkeitsgrads der nächsten
Lernschritte
• Verbesserung der Lernbedingungen
K. Ingenkamp / U. Lissmann (2005): Lehrbuch der pädagogischen
Diagnostik, Weinheim, Basel, 5.Aufl., S.21
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... mit dem Ziel:
• „Klima der Angst“ und des „permanenten Leistungsdrucks“ zu
verhindern (Lernatmosphäre)
• Reflexion des eigenen Lernprozesses zu ermöglichen
(Prozessorientierung)
• den einzelnen Schüler stärker zu fördern (Individualisierung)
• den eigenen Lernprozess zu steuern und zu überwachen
(Eigenverantwortung)
• Rückmeldungen für Lehrer Schüler/Beteiligung der Schüler an
Bewertungsprozessen herzustellen (Transparenz)
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Literatur:
Beutel, S.-I. /Vollstädt, W. (2000) Leistung ermitteln und bewerten.
Hamburg
Bohl, Th. (2006), Prüfen und Bewerten im offenen Unterricht. Weinheim,
Basel
K. Ingenkamp/U. Lissmann (2005), Lehrbuch der pädagogischen
Diagnostik, Weinheim, Basel, 5. Aufl.
Paradies, L. / Wester, F. / Greving, J. (2006), Leistungsmessung und
Beurteilung. Berlin
Ziegenspeck, Jörg W. u.a. (2009), Bildungspolitik ohne Fortschritt,
Bildungsreform ohne Effekt. Zum Problem der Zeugniszensuren im 4.
und 5. Schuljahr. Baltmannsweiler
Leistungsbeurteilung
1. Funktionen
2. Gütekriterien
3. Bezugsnormen
4. Fehlerquellen
1. Funktionen
• Berechtigungs-, Zuteilungs- und
Selektionsfunktion
• Sozialisierungsfunktion
• Rückmeldefunktion (für Schüler und Lehrer)
• Berichtsfunktion (für Eltern)
• Anreiz- und Disziplinierungsfunktion
2. Gütekriterien - Diagnostischer Wert
1. Objektivität:
Ein Test ist dann objektiv, wenn das Testergebnis vom
Beurteiler unabhängig ist.
2. Reliabilität (Zuverlässigkeit):
Identische Messergebnisse zu verschiedenen Zeitpunkten
(frei von Zufallsfehlern – möglichst hohe Messgenauigkeit)
2. Gütekriterien - Diagnostischer Wert
3. Validität (Gültigkeit):
Ein Test ist dann valide, wenn er das, was er zu messen
vorgibt, auch tatsächlich misst.
4. Differenziertheit:
Aufschluss über Stärken und Schwächen der
Schülerinnen und Schüler
3. Bezugsnormen
1. Soziale Bezugsnorm:
Bewertung der Leistung des Einzelnen im Vergleich mit den
Leistungen der Referenzgruppe (in der Schule zumeist die
Schulklasse)
2. Individuelle Bezugsnorm:
Bewertung der Leistung eines Schülers im Vergleich mit seinem
Leistungsstand zu einem früheren Zeitpunkt
3. Kriteriumsorientierte Bezugsnorm:
Bewertung der Leistung eines Schülers auf dem Hintergrund
des angestrebten Lernzieles
4.1 Systembedingte Fehlerquellen
1. Skalenqualität:
Da die Noten lediglich eine Rang- und nicht eine
Intervallskala bilden, sind die Abstände zwischen den
Noten nicht interpretierbar.
2. Der klassenbezogene Maßstab:
Der Lehrkraft steht für die Beurteilung der Schülerleistung
meist nur seine eigene Klasse als Referenzgruppe zur
Verfügung. Diese ist zu klein, um repräsentativ zu sein.
4.2 Subjektive Fehlerquellen
1. Einfluss von negativen/positiven Vor- und
Zusatzinformationen über einzelne Schüler
(Weiss in Ingenkamp 1971 S. 90-102)
2. Einfluss von Sympathie und Geschlecht
(Hadley in Ingenkamp 1971 S. 134-141)
4.2 Subjektive Fehlerquellen
3. Einfluss von subjektiven Theoriebeständen
(subjektive Überzeugungen eines Lehrers:
„Lateinklassen sind gut“)
4. Halo-Effekt
(Von einem hervorstechenden Merkmal oder vom
Gesamteindruck wird auf andere, nicht direkt
beobachtbare Merkmale geschlossen)
5. logischer Fehler
(Wer gut in Mathematik ist, ist das auch in Latein)
4.2 Subjektive Fehlerquellen
6. Stabile Urteilstendenzen
(Tendenz zu besonders guten / schlechten / mittleren
Noten)
7. Reihenfolge-Effekte
(Korrektur Klassenarbeiten / mdl. Prüfung)
Literatur
l Ingenkamp, K. (Hrsg.), Die Fragwürdigkeit der
Zensurengebung. Weinheim u.a.: 9. Aufl. 1995.
l Ders., / U. Lissmann, Lehrbuch der pädagogischen Diagnostik,
Weinheim u.a.: 6. Aufl. 2008.
l Lüders, M., Dispositionsspielräume im Bereich der
Schülerbeurteilung. In: Zeitschrift für Pädagogik, Heft 2 (2001),
S.217-234
l Paradies, L. u.a., Leistungsmessung und -bewertung. Berlin:
2005.
l Wengert, H. G., Leistungsbeurteilung in der Schule, in: Bovet,
G. / Huwendiek, V. (Hrsg.), Leitfaden Schulpraxis. Pädagogik
und Psychologie für den Lehrerberuf. Berlin: 5. Aufl. 2008,
S.324-349.