111
JOHANNES KEPLER UNIVERSITÄT LINZ Altenberger Straße 69 4040 Linz, Österreich jku.at DVR 0093696 Eingereicht von Julia Holzinger, BScN Angefertigt am Institut für Gesellschafts- und Sozialpolitik Beurteilerin Dr. Angela Wegscheider März 2021 Neue Wege der Pflegeorganisation in Österreich – das „Community Nurse Concept“ (CNC) als innovative Organisationsstruktur Mit Blick auf die oö. Langzeitpflege Masterarbeit zur Erlangung des akademischen Grades Master of Science im Masterstudium Sozialwirtschaft

Neue Wege der Pflegeorganisation in Österreich

  • Upload
    others

  • View
    3

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Neue Wege der Pflegeorganisation in Österreich

JOHANNES KEPLER UNIVERSITÄT LINZ Altenberger Straße 69 4040 Linz, Österreich jku.at DVR 0093696

Eingereicht von Julia Holzinger, BScN Angefertigt am Institut für Gesellschafts- und Sozialpolitik Beurteilerin Dr. Angela Wegscheider März 2021

Neue Wege der Pflegeorganisation in Österreich –

das „Community Nurse Concept“ (CNC) als

innovative Organisationsstruktur

Mit Blick auf die oö. Langzeitpflege

Masterarbeit zur Erlangung des akademischen Grades

Master of Science im Masterstudium

Sozialwirtschaft

Page 2: Neue Wege der Pflegeorganisation in Österreich

2/111

EIDESSTATTLICHE ERKLÄRUNG

Ich erkläre an Eides statt, dass ich die vorliegende Masterarbeit selbstständig und ohne fremde

Hilfe verfasst, andere als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel nicht benutzt bzw. die

wörtlich oder sinngemäß entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht habe.

Die vorliegende Masterarbeit ist mit dem elektronisch übermittelten Textdokument identisch.

Ort, Datum

Linz, 15.03.21

Unterschrift

Page 3: Neue Wege der Pflegeorganisation in Österreich

3/111

DANKSAGUNG

There's a light that you give me,

When I'm in shadow,

There's a feeling you give me, an everglow.

(Coldplay Everglow)

Für all die Menschen, die den Beruf der Pflege ausüben und nicht den Mut verlieren aufzuhören,

da trotz all der Widrigkeiten der Dank von Pflegebedürftigen sie veranlasst weiterzumachen.

Für all die starken Frauen,

die das Herz einer Löwin besitzen und für ihre Träume kämpfen.

Für all die Menschen, die mich persönlich auf meinem Weg begleiten. Ihr seid mein Licht,

ohne das ich nicht so weit gekommen wäre.

Page 4: Neue Wege der Pflegeorganisation in Österreich

4/111

INHALTSVERZEICHNIS

1. Einleitung ............................................................................................................................... 10

1.1. Hintergrund und Problemstellung .................................................................................. 10

1.2. Forschungsfragen .......................................................................................................... 13

1.3. Gliederung der Arbeit .................................................................................................... 15

2. Care und Wohlfahrtsstaat ...................................................................................................... 16

2.1. Care und Care Work in einer neuen Stufe der Vergesellschaftung ............................... 16

2.1.1. Rationalisierung durch Vermarktlichung ............................................................. 18

2.1.2. Innere Vergesellschaftung durch äußere Rahmenbedingungen ........................ 19

2.2. Care-Regime im Vergleich ............................................................................................ 21

2.2.1. Wohlfahrtsstaatsregime nach Esping-Andersen ................................................ 22

2.2.2. Care als Schlüsselfunktion in der Wohlfahrtsstaatsforschung? ......................... 24

2.2.3. Familialismus-Konzept nach Leitner (2003) ....................................................... 26

2.3. Pflegeorganisation zwischen Staat, Markt und Familie ................................................. 28

2.3.1. Druck zu Umstrukturierungsprozessen in der Pflegeorganisation ..................... 29

2.3.2. „Ageing in Place“ und „Deinstitutionalization“ ..................................................... 30

2.4. Moderne Ansprüche an die Pflegeorganisation: Effizient, Qualität, Wahlfreiheit,

Flexibel, Dezentral und Ambulant .................................................................................. 31

3. CNC ....................................................................................................................................... 35

3.1. Definition von Community (Health) Nurses ................................................................... 35

3.2. Das „Buurtzorg Modell“ in den Niederlanden ................................................................ 37

3.2.1. Die Idee des Konzepts ....................................................................................... 37

3.2.2. Bestandteile des Konzepts ................................................................................. 38

3.2.2.1. Orientierung an den KlientInnen und ihren Bedürfnissen .................... 38

3.2.2.2. Arbeitsorganisation .............................................................................. 39

3.2.2.3. Merkmale einer modernen Arbeitsorganisation ................................... 40

3.2.3. Positive Effekte und Limitationen des Pflegekonzepts „Buurtzorg“ .................... 41

3.3. Das Konzept der PVE in Österreich .............................................................................. 43

3.4. Rollen und Aufgaben einer DGKP als CHN .................................................................. 45

3.5. CHN als attraktives Arbeitssetting? ............................................................................... 48

Page 5: Neue Wege der Pflegeorganisation in Österreich

5/111

3.5.1. Chancen und Grenzen ....................................................................................... 48

3.5.1. Internationale Etablierung von ANP und PVZ .................................................... 52

4. Pflegesystem in Österreich ................................................................................................... 55

4.1. Allgemeine Merkmale – Pflegevorsorge ........................................................................ 55

4.2. Zuständigkeiten Bund .................................................................................................... 57

4.2.1. Pflegegeld .......................................................................................................... 57

4.2.2. Pflegefonds ........................................................................................................ 60

4.2.3. Pflegedienstleistungsdatenbank und -statistik ................................................... 61

4.3. In der Zuständigkeit der Länder ..................................................................................... 61

5. Pflegeorganisation in Oberösterreich .................................................................................... 63

5.1. Demografiebedingte Nachfragesteigerung nach Pflegeleistungen ............................... 63

5.2. Die Struktur der Langzeitpflege ..................................................................................... 64

5.3. Pflegesettings ................................................................................................................ 66

5.3.1. Informelle Pflege ................................................................................................ 66

5.3.2. Mobile Dienste .................................................................................................... 67

5.3.3. Stationäre Pflege in Alten- und Pflegeheimen .................................................... 70

5.3.4. Tagesstrukturierende Pflege und alternative Wohnformen ................................ 71

5.3.5. Case- und Caremanagement ............................................................................. 72

5.3.6. Pflege- und Betreuungspersonal ........................................................................ 73

6. Diskussion, Zusammenfassung und Analyse der Ergebnisse .............................................. 74

6.1. Welche Entwicklungen lassen sich im Wesen und in der Organisation von Care und

Wohlfahrtsstaatlichkeit identifizieren? ........................................................................... 74

6.2. Nach welchem Muster ist das Pflegewesen in Österreich strukturiert bzw. welche

Platzierung hat das Pflegewesen in der oö. Langzeitpflege? ........................................ 79

6.3. Wo bzw. in welchen Bereichen in der oö. Langzeitpflege können Ansätze bzw.

Bestandteile des CNC bereits identifiziert werden? ...................................................... 83

6.3.1.1. Im Bereich der PVZ ............................................................................. 86

6.3.1.1. Im Bereich des Case- und Caremanagements ................................... 90

6.3.2. Welche Maßnahmen braucht es, um Pflegekoordination und -organisation in

Oberösterreich besser auszuführen? ................................................................. 93

7. Ausblick und Limitation der Arbeit ......................................................................................... 99

Page 6: Neue Wege der Pflegeorganisation in Österreich

6/111

8. Literaturverzeichnis ............................................................................................................. 102

9. Anhang ................................................................................................................................ 110

9.1. Leitfadeninterview ........................................................................................................ 110

9.2. Interviewpartnerinnen .................................................................................................. 111

Page 7: Neue Wege der Pflegeorganisation in Österreich

7/111

TABELLENVERZEICHNIS

Tabelle 1 „varieties of familism“ ................................................................................................... 27 Tabelle 2 Merkmale einer modernen Arbeitsorganisation ............................................................ 41 Tabelle 3 Pflegegeld .................................................................................................................... 58 Tabelle 4 Statistik mobile Betreuung und Hilfe 2019 ................................................................... 68 Tabelle 5 Statistik Hauskrankenpflege 2019 ................................................................................ 68 Tabelle 6 Mindestpflegepersonalschlüssel .................................................................................. 71 Tabelle 7 Teilstationäre Dienste ................................................................................................... 72

ABBILDUNGSVERZEICHNIS

Abbildung 1 Makro- und Mikrolevel von Care .............................................................................. 26 Abbildung 2 Bestandteile des Buurtzorg Modells ......................................................................... 39 Abbildung 3 Ausbau der Primärversorgungsstrukturen international ........................................... 44 Abbildung 4 "Intervention wheel" .................................................................................................. 46 Abbildung 5 Fachkräftequalifizierung ........................................................................................... 51 Abbildung 6 Österreichische Pflegevorsorge ............................................................................... 56 Abbildung 7 Anteil der Pflegegeldstufen in % .............................................................................. 59 Abbildung 8 Altersstrukturveränderung in OÖ ............................................................................. 63 Abbildung 9 Struktur der Langzeitpflege in Österreich ................................................................. 64 Abbildung 10 Muster der Pflegeorganisation ............................................................................... 80 Abbildung 11 Platzierung der oö. Langzeitpflege – Pflegesettings .............................................. 81 Abbildung 12 Umsetzung von PVE in Österreich, Stand Jänner 2021 ........................................ 85

Page 8: Neue Wege der Pflegeorganisation in Österreich

8/111

ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS

APN Advanced Practice Nurse

ANP Advanced Nurse Practitioner

bzw. beziehungsweise

bzgl. bezüglich

BMASGK Bundesministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und

Konsumentenschutz

BPGG Bundespflegegeldgesetz

BEP Bedarfs- und Entwicklungsplan

CN Community Nurse

CHN Community Health Nurse

CNC Community Nurse Concept

DGKP Diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegeperson

FSB-A FachsozialbetreuerIn mit Schwerpunkt Altenarbeit

GuKG Gesundheits- und Krankenpflegegesetz

HH Heimhilfe

HKP Hauskrankenpflege

KBP Koordination für Betreuung und Pflege

NP Nurse Practitioner

OÖ Oberösterreich

oö. oberösterreichisch

ö. österreichisch

PE Personaleinheiten

PVE Primärversorgungseinheit

PVZ Primärversorgungszentrum

PrimVG Primärversorgungsgesetz

RN Registered Nurse

SHV Sozialhilfeverband

Page 9: Neue Wege der Pflegeorganisation in Österreich

9/111

TITEL

Neue Wege der Pflegeorganisation in Österreich –

das „Community Nurse Concept“ (CNC) als

innovative Organisationsstruktur

Mit Blick auf die oö. Langzeitpflege

Page 10: Neue Wege der Pflegeorganisation in Österreich

10/111

1. Einleitung

1.1. Hintergrund und Problemstellung

Sich verändernde Familienstrukturen, stetiger gesellschaftlicher und demographischer Wandel

in den Wohlfahrtsstaaten führen zu immer neuen Herausforderungen für den Gesundheitssektor

und die Pflege. Das „Care-Regime“ der Wohlfahrtsstaaten, das aufgrund der Verfasstheit der

Politik und gewachsener Strukturen aus Staat, dritter Sektor, Markt und Familie bestehen kann,

versucht auf diese neuen Herausforderungen zu reagieren. Aktuell werden für Österreich die

steigende Erwerbsarbeit der Frauen und die fortschreitende Alterung der Bevölkerung, ebenso

wie veränderte pflegekulturelle Einstellungen und berufliche Mobilitätsanforderungen als zu

bewältigende Herausforderungen erkannt (vgl. Leitner 2009: 376).

Die informelle Pflegearbeit wird mehr und mehr von staatlicher-, vom Dritten Sektor- oder

marktwirtschaftlich-organisierter formeller Pflegearbeit abgelöst. Sichtbar ist es daran, dass die

stationär als auch die ambulant erbrachten Pflegeleistungen vermehrt in Anspruch genommen

werden. Zur informellen Pflege zählen Familienangehörige, Freunde oder NachbarInnen, die

unentgeltlich oder entgeltlich die Betreuung von Pflegebedürftigen übernehmen. Als formelle

Pflege wird die Pflegearbeit durch professionelle AnbieterInnen, die bezahlt werden, bezeichnet.

Pflegebedürftigkeit gilt als „soziales Risiko“, da es sich im Spannungsfeld zwischen informellen

und formellen Leistungen bewegt. 80% der Pflegeleistungen werden von Familienmitgliedern

erbracht, wobei der Großteil der Aufgaben von Frauen übernommen wird. Seit 2013 wird für

Österreich ein „care deficit“ festgestellt (vgl. Auth 2013: 412; Schmidt 2019: 16). Zusätzlich stellt

sich die Frage, wie durch die steigende Erwerbsbeteiligung der Frauen bzw. den

Fachkräftemangel der steigende Bedarf an in- und formeller Pflege zukünftig gedeckt werden

kann. Ebenso hat sich der Pflegebedarf verändert. Immer mehr Pflegebedürftige leiden an

einem komplexen Krankheitsbild und weisen vielschichtige Versorgungsbedarfe auf, was

zunehmend zu einer Herausforderung wird (vgl. Ehrentraut et al. 2019: 8).

Als pflegebedürftig gelten aktuell Menschen, die einen ständigen Betreuungs- und Hilfsbedarf

auf Grund von körperlicher, intellektueller oder psychischer Beeinträchtigung über einen

längeren Zeitraum hinweg benötigen. Der österreichische Sozialstaat unterscheidet, ob es sich

um Alten- oder Behindertenpflege bzw. -arbeit handelt. Eine wichtige Säule des Pflegesystems

ist die 1993 eingeführte Pflegevorsorge und das bedarfsorientierte Pflegegeld. Unabhängig von

der Unterscheidung, ob die Alten- oder Behindertenhilfe zuständig ist, werden pflegebedürftige

Personen in Österreich mit Geld- oder Sachleistungen aus der Pflegevorsorge und dem

Pflegegeld unterstützt (vgl. Blank 2017: 176 und Blank 2011: 16).

Page 11: Neue Wege der Pflegeorganisation in Österreich

11/111

Die Integration des Pflegewesens in die Gesundheitssysteme ist eine große Aufgabe. Die

österreichische Regierung zeigt sich bestrebt, Pflegebedürftige in effiziente

Versorgungsprozesse zu integrieren. Grund dafür ist die Erkenntnis, dass die Progression der

Pflegebedürftigkeit nicht nur die Lebensqualität einschränkt, sondern auch mit verstärkter

Inanspruchnahme des Gesundheitssystems einhergeht. Es gibt Möglichkeiten, um eine

gelungene Integration zu erreichen, indem eine altersfreundliche Gesundheitsversorgung und

„gesundes Altern“ (Fokus auf Krankheitsprävention) im Mittelpunkt stehen. Voraussetzung dafür

ist eine „moderne“ Definition von Pflege, die als feste Säule im Gesundheitssystem verankert ist

(vgl. Pichlbauer 2018: 5).

Österreich bietet auf Bundes- und Länderebene ein großes Spektrum an Unterstützungs- und

Betreuungsmöglichkeiten. Jedoch verlangen die geschilderten Herausforderungen und auch die

stetig ansteigenden Ausgaben für die Pflege in Österreich einen Blick auf die Meso- und

Mikroebene in der Pflegeorganisation. Komplexe gesundheitliche Versorgungsprozesse

verursachen im Gesundheitssystem einen hohen Grad an Kosten und der Notwendigkeit

effizienter Koordination. Die Pflegeorganisation gewinnt auf Grund der knappen finanziellen

Ressourcen, dem steigenden Effizienzdruck und der veränderten Bedarfe und Bedürfnisse der

Pflegebedürftigen und deren Angehörigen immer mehr an Bedeutung (vgl. Bretbacher 2020:

37).

In diesem Zusammenhang kommt es durch die Komplexität des Gesundheitswesens oft zu

Überforderung von Pflegebedürftigen beim Zugang zu gesundheitlichen Leistungen. Trotz des

Versuchs den Pflegebedürftigen große Wahlfreiheit bei der Auswahl der Versorgung zu

ermöglichen, fühlen sich die Betroffenen im Angebotsspektrum vom Staat und von den

Sozialversicherungen alleine gelassen (vgl. Laimböck 2009: 3ff). Ein weiteres Problem dabei ist,

dass die nötige Pflege oft nicht im entsprechenden Bedarf bei den Pflegebedürftigen ankommt.

Dies äußert sich in Unter- oder Überversorgung von pflegerischen und gesundheitlichen

Leistungen, die nicht den Anforderungen einer qualitativ hochwertigen Versorgung entsprechen

(vgl. Josuks 2008: 15). Besonders das Problem der Überdiagnostik und Überversorgung wird

zunehmend diskutiert. Deren Vermeidung führt nicht nur zu einer verbesserten

Patientensicherheit und Versorgungsqualität, sondern setzt zudem Ressourcen frei, um

Unterversorgung entgegenwirken zu können. Eine Überversorgung wird als „eine Versorgung

über die Bedarfsdeckung hinaus, das heißt, eine Versorgung mit nicht indizierten Leistungen

oder mit Leistungen ohne hinreichend gesicherten Nettonutzen“ definiert (vgl. Westrick et al.

2019: 10).

Page 12: Neue Wege der Pflegeorganisation in Österreich

12/111

Gründe für eine Überversorgung können aus Ängsten, tief verwurzelten Glaubensätzen auf

Patienten- und Ärzteseite, veralteten Rollenverständnissen oder einer ineffizienten Ausrichtung

von Versorgungsprozessen sein. Oft ist die Folge: Medizinische Leistungen ersetzen das

ausführliche Arzt-Patienten-Gespräch aus Gründen von mangelnden Ressourcen und Zeitnot.

Überdiagnostik kann Gesunde zu PatientInnen machen bzw. PatientInnen schaden. Hier können

Strahlenbelastungen durch Röntgenuntersuchungen, Resistenzen durch Antibiotika,

Komplikationen bei Operationen oder Infektionen durch Krankenhausaufenthalte als Beispiele

genannt werden. Zusammenfassend kann eine Überversorgung Schäden für die Gesellschaft

(Ressourcenverschwendung, Belastung der Sozialsysteme oder Vertrauensverlust), für

Krankenhäuser bzw. Ärzte (falscher Zeit- und Personaleinsatz, Gewissenskonflikte oder

Demotivation) und für PatientInnen (unnötige Nebenwirkungen, Komplikationen,

Folgebehandlungen, Beeinträchtigung der Lebensqualität, Verunsicherung und Angst, längere

Wartezeiten oder höhere Ausgaben) verursachen. Die Rahmenbedingungen der

Gesundheitsversorgung fördern diese Entwicklungen und können somit als Probleme

ineffizienter Koordination und Organisation von Gesundheitssystemen identifiziert werden. Diese

Gegebenheiten und der Qualitätsdruck drängen zu neuen Organisationskonzepten, die den

österreichischen Rahmenbedingungen angepasst sind (vgl. Westrick et al. 2019: 8).

Um die Herausforderungen einer besseren Pflegeorganisation zu bewältigen, wird in der

Literatur das Konzept der „Community Nurse“ (CN) oder „Community Health Nurse“ (CHN)

beschrieben. Neuere Studien über die Wirkungsfaktoren in der gemeindenahen Pflege zeigen,

dass neben Krankheitsprävention und Gesundheitsförderung auch koordinierende

Pflegekonzepte die Effektivität der Pflege beeinflussen. Ziel dieses Ansatzes ist es,

niederschwellige Angebote der Gesundheitsförderung und Betreuung im gesamten

Pflegeprozess von Pflegebedürftigen und deren Angehörigen aufzuzeigen und umzusetzen. Es

soll eine Sorge- und Verantwortungskultur in den Gemeinden und Nachbarschaften gelebt

werden (vgl. Richter 2020: 152).

Es geht dabei nicht darum, Verantwortung auf die Einzelnen „abzuwälzen“ und einen Rückzug der Kommunen zu befördern. Vielmehr sollen sich diese aktiv einbringen, um Engagement zu unterstützen, bereits existierende Angebote sichtbar zu machen und Generationen zusammenzubringen, aber auch, um die Annahme von Hilfe und Unterstützung zu entstigmatisieren und damit einfacher zu machen. (Richter 2020: 153)

Schwerpunkte dieses Ansatzes sind somit, Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Sorgearbeit

zu fördern, bessere Koordination von informellen und professionellen Angeboten, attraktiver

Arbeitsplatz für Pflegepersonal und die Stärkung von Pflege- und Unterstützungsnetzwerken,

um eine qualitätsvolle Pflege zu gewährleisten. Es kann als „Brückenkopf zwischen Pflege- und

Gesundheitsbereich“ gesehen werden. Es geht um ein Versorgungssystem, das auf die

Page 13: Neue Wege der Pflegeorganisation in Österreich

13/111

Notwendigkeit einer wohnortnahen, evidenzbasierten und menschenwürdigen Versorgung von

Pflegebedürftigen reagiert (vgl. Richter 2020: 154).

„Pflege findet vor Ort statt.“ Das Konzept der dezentralen, ambulanten und/oder mobilen

Pflegevorsorge spiegelt dies im Kern wider. Der Blick allein in die Zukunft reicht nicht, um den

Handlungsbedarf in der Pflege zu thematisieren. Bereits heute gibt es Berichte zu

Qualitätsmängel in der Pflege, langfristig unbesetzten Stellen sowie Angaben zur

Unzufriedenheit des pflegerischen Personals. Dies macht deutlich, dass es immer wichtiger

wird, die begrenzten pflegerischen Ressourcen effizient zu nutzen, um den Bedürfnissen von

Pflegebedürftigen und Angehörigen gerecht zu werden. Ebenso ist ein Diskurs über die

Attraktivierung der Pflege, Entlastung der Angehörigen und eine generelle verbesserte

Versorgung von Pflegebedürftigen wichtig (vgl. Hackmann et al. 2016: 6-7). Der quantitative und

qualitative Wandel der Gesundheitssysteme, speziell im Bereich der Pflege, wirft die Frage auf,

wie die Rahmenbedingungen weiterentwickelt werden müssen, um eine sowohl in quantitativer

als auch qualitativer Hinsicht bedarfsgerechte pflegerische Versorgung gewährleisten zu

können. Der Bedeutungszuwachs von Koordination, Beratung und Edukation sowie

Selbstmanagementförderung stellt Österreich, besonders das Pflegepersonal, vor neue

Herausforderungen (vgl. Blank 2017: 176 und Blank 2011: 16; Ehrentraut et al. 2019: 12).

1.2. Forschungsfragen

Ausgehend von der geschilderten Problemstellung ergeben sich folgende Forschungsfragen:

• Welche Entwicklungen lassen sich im Wesen und in der Organisation von Care und

Wohlfahrtsstaatlichkeit identifizieren?

• Nach welchem Muster ist das Pflegewesen in Österreich strukturiert?

o Welche Platzierung hat das Pflegewesen in der oö. Langzeitpflege?

• Wo bzw. in welchen Bereichen in der oö. Langzeitpflege können Ansätze bzw.

Bestandteile des CNC bereits identifiziert werden?

• Welche Maßnahmen braucht es, um Pflegekoordination und -organisation in

Oberösterreich besser auszuführen?

Page 14: Neue Wege der Pflegeorganisation in Österreich

14/111

Diese Arbeit untersucht im Rahmen einer konzeptionellen Studie die Pflegekoordinations- und

Organisationsstrukturen der Altenarbeit in Österreich und aufgrund der Länderkompetenz durch

die Vereinbarung §15a B-VG (BGBI. Nr. 866/1993) deren Umsetzung in Oberösterreich. Der

Gesetzgeber sah in der Vereinbarung §15a B-VG (BGBI. Nr. 866/1993) vor, „die Vorsorge für

pflegebedürftige Personen bundesweit nach gleichen Zielsetzungen und Grundsätzen zu

regeln“. Damit wurden österreichweit Mindeststandards für Geld- und Sachleistungen im

stationären und ambulanten Bereich sichergestellt. Darüber hinaus sind die Länder dazu

verpflichtet, einen Mindeststandard an Dienstleistungen und Einrichtungen zur Verfügung zu

stellen und „dafür Sorge zu tragen, dass die sozialen Dienste, aufbauend auf den bestehenden

Strukturen, dezentral und flächendeckend angeboten werden“ (siehe §4 Organisation in Art. 15a

B-VG (BGBI. Nr. 866/1993). Im Zuge dessen wird als innovative Organisationsstruktur das

„Community Nurse Concept“ ausgewählt und vorgestellt. Grund für die Auswahl zur

Untersuchung des CNC ist, dass es international bereits in einigen Ländern erfolgreich

umgesetzt wird bzw. in der Literatur positive Effekte bei der Pflegekoordination und –

organisation beschrieben werden. Es werden die Bestandteile des Konzepts mit starkem Blick

auf die Rolle des Pflegepersonals untersucht. Ziel ist es herauszufinden, ob und wo Ansätze des

CNC in der oö. Langzeitpflege bereits Anwendung finden. Abschließend wird als Ziel definiert,

zu untersuchen, welche Maßnahmen gebraucht werden, um Pflegekoordination und -

organisation in Oberösterreich zielführender und konsequenter realisieren und implementieren

zu können.

Zur Beantwortung der Forschungsfragen wird das Hauptaugenmerk auf die umfassende

Analyse der Sekundärliteratur gelegt. Zusätzlich wurden drei Interviews mit Pflegefachkräften

durchgeführt, die zur Beantwortung der Forschungsfragen in Zusammenhang mit CNC

unterstützen und beitragen. Die Interviews wurden transkribiert, anonymisiert und nummeriert.

Wenn Erkenntnisse aus den Interviews in die vorliegende Arbeit einfließen, wird dies mit der

Quellenangabe kenntlich gemacht (IP und eine Nummer, siehe 9.2). Aus den gewonnenen

Erkenntnissen der Literaturarbeit und den Interviews aus der Praxis werden im Anschluss die

(möglichen) Maßnahmen zu einer verbesserten Pflegekoordination und –organisation in

Oberösterreich abgeleitet. Mit Hilfe empirischer Befunde sollen Argumentationen untermauert

und anhand praktischer Bezüge die Relevanz des Themas nochmals verdeutlicht werden. Eine

ausschließliche Primärerhebung wäre aus Sicht der Verfasserin wenig zielführend gewesen.

Zum einen ist das Thema Care und Pflegekoordination und –organisation in Österreich bzw. OÖ

sehr komplex, zum anderen wäre im Rahmen der Masterarbeit nur die Untersuchung einer

relativ kleinen Stichprobe möglich, wodurch es schwierig ist, aus diesen Ergebnissen

gesamtgesellschaftliche Auswirkungen abzuleiten. Die durchgeführten Interviews dienen

lediglich zur Untermauerung der Sekundärliteratur und aus diesen Gründen wird hauptsächlich

auf sekundärstatistische Daten zurückgegriffen.

Page 15: Neue Wege der Pflegeorganisation in Österreich

15/111

1.3. Gliederung der Arbeit

Die vorliegende Arbeit setzt sich aus acht Blöcken zusammen. Sie beginnt im Kapitel 1 mit der

bereits erörterten Einleitung und Problemstellung. In Kapitel 2 wird der theoretische Rahmen

rund um das Thema Care und Carework in den Wohlfahrtsstaaten dargelegt. Zur Verortung und

Einordnung werden die Organisationsprinzipien der Pflege in der heutigen Zeit und in den

Wohlfahrtsstaatsregimen erarbeitet. Im Anschluss wird in Kapitel 3 das Organisationskonzept

„Community Nurse Concept“, mit starkem Blick auf die Rolle des Pflegepersonals darin,

dargestellt. Darauf folgend wird in den Kapiteln 4 und 5 das Pflegewesen in Österreich und die

Pflegeorganisation in der oö. Langzeitpflege beschrieben. Dem Bundesland Oberösterreich

kommt, auf Grund der Länderkompetenz, eine wesentliche Bedeutung zu. Nach der

Aufbereitung des theoretischen Rahmens erfolgt in Kapitel 6 die Zusammenfassung und

Analyse der Erkenntnisse und die daraus folgende Ergebnisdarstellung. Dadurch werden

abschließend die Forschungsfragen beantwortet, welche gleichzeitig die Grundlage für das Fazit

darstellen. Kapitel 7 beinhaltet abschließend das Literaturverzeichnis und Kapitel 8 stellt den

Anhang dar.

Page 16: Neue Wege der Pflegeorganisation in Österreich

16/111

2. Care und Wohlfahrtsstaat

2.1. Care und Care Work in einer neuen Stufe der Vergesellschaftung

Care und Care-Forschung werden zunehmend präsenter im Zusammenhang mit

Wohlfahrtsstaaten und der Sicherstellung der Versorgung Pflegebedürftiger. Es ist Ausdruck der

Veränderung, die die gesellschaftliche Organisation des Sorgens erfährt. Durch den Verdienst

der Geschlechterforschung konnten mit dem Begriff „Care“ bzw. Sorgearbeit neue Perspektiven

eröffnet werden. „Who cares?“ und „Wie ist Pflegearbeit organisiert?“ sind wichtige

Fragestellungen, um in einem Wohlfahrtsstaat die gegenwärtige Ausgestaltung und Verfasstheit

von Care darzulegen (vgl. Von Alemann 2015: 160).

Die Care-Forschung unterscheidet zwischen den Begriffen „Care“ und „soziale Reproduktion“.

Beide stehen in enger Verbindung, unterscheiden sich jedoch aus Forschungsperspektive

voneinander. Care impliziert, sich um jemanden oder etwas zu kümmern, aber auch umsichtig

zu handeln und Verantwortung zu übernehmen. Es stellt ein ganzheitliches Konzept der Selbst-

und Fürsorge dar, das auf zwischenmenschlichen Beziehungen beruht. Durch dieses

Verständnis von Care wird in der Gesellschaft ein Spannungsverhältnis sichtbar.

Angewiesenheit und Abhängigkeit im Falle von Alter oder Krankheit bringt die Verletzlichkeit und

das „Umsorgt werden“ eines Menschen zum Ausdruck. Care bezieht auch die institutionelle,

normative und praktische Ausgestaltung des Sorgens mit ein. Aulenbacher und Dammayr (2014:

159) sehen den Care Bereich als Ort für Macht und Ausbeutungsmöglichkeiten und sozialer

Ungleichheit nach Geschlecht und Klasse. Sie schlagen dadurch den Begriff „Sorgsamkeit“

anstatt „Care“ vor, der ebenso Selbst- und Fürsorge beinhaltet.

Der Begriff der sozialen Reproduktion beinhaltet eine feministische Begriffsgeschichte, die eng

mit der Auffassung von Arbeit verbunden ist. Es geht um Prokreation, Generativität und

Regeneration und ist stark an die Reproduktion der Arbeitskraft gekoppelt. Ähnlich wie bei Care

versucht die Forschung eine Brücke zur Erforschung von Institutionen, Praxen und Normen zu

schlagen, um zu zeigen, dass in einem strukturell sorglosen Kapitalismus dennoch gesorgt wird.

Deshalb wird auch soziale Reproduktion auf mesosoziologischer Ebene erforscht und

gesellschaftliche Institutionsgefüge in den Blick genommen. Die Vernachlässigung sozialer und

reproduktiver Belange kann zur Entstehung neuer Krisenherde führen (vgl. Aulenbacher 2020:

131). Laut Nancy Fraser (2018: 45) ist der Kapitalismus eine institutionalisierte

Gesellschaftsordnung, in der diese Krisenherde als Grenzkämpfe geführt werden. Fraser

verortet die Grenzkrämpfe in den gesellschaftlichen Zuständigkeiten der Sorgearbeit und führt

an, dass diese Grenzkämpfe dafür verantwortlich sind, dass von den Zuständigkeiten für Sorge-

Page 17: Neue Wege der Pflegeorganisation in Österreich

17/111

und Reproduktionsarbeit abgesehen und keine Verantwortung übernommen wird. Es schlägt

sich in der gesellschaftlichen Funktions- und Arbeitsteilung nieder, zum Beispiel was in der

Verantwortung des Einzelnen oder in Institutionen, die Sorgearbeit übernehmen, liegt. Dies ist

mit sozialen Ungleichheiten und Herrschaft zwischen Klassen, Geschlecht und Ethnie

verbunden.

Aufmerksamkeit erlangte Care, weil sich in zahlreichen Ländern Europas, auch in Österreich,

Sorgegefährdungen und –lücken herausgebildet haben. Dies wird in dem Begriff der Care-,

Sorge- und Reproduktionskrise zusammengefasst. Entwicklungen, die schon länger von statten

gingen, haben dadurch verstärkte Beachtung gefunden und sind sichtbar geworden: die

wachsende Erwerbsbeteiligung der Erwerbsgesellschaft, der Sozialstaatsumbau von Welfare zu

Workfare im neoliberalen Kontext und der Wandel von Arbeitsteilungen von Geschlecht, Klasse

und Ethnie. Die gestiegene Aufmerksamkeit von Care ist ein Spiegelbild ihrer gegenwärtigen

krisenhaften Gefährdung. Dies ist auch in wohlhabenden Gesellschaften und

Bevölkerungsgruppen wiederzufinden (vgl. Aulenbacher 2020: 125). Die Care-, Sorge- und

Reproduktionskrisen sind laut Aulenbacher (2018: 81) die Spitze des Eisberges, die durch das

Aufbrechen Teile einer neuen Stufe der Vergesellschaftung von Care und Care Work verursacht

hat. Aulenbacher (2018: 84) spricht davon, dass Care und Carework „hochgradig funktions- und

arbeitsteilig“ organisiert sind. Dies bedeutet Versorgungsleistungen werden in allen Sektoren

(privat, dritter Sektor, soziale Netze) in Form von bezahlter und unbezahlter Arbeit erbracht. Es

gibt drei Tendenzen, die die gesellschaftliche Organisation des Sorgens prägen:

Vermarktlichung bzw. Kommodifizierung, Transnationalisierung von Arbeit und Politik und der

Wandel von Sozialstaatlichkeit. Wie zum Beispiel im Feld der Altenarbeit verbinden sich

Prozesse der Vermarktlichung mit Prozessen der Rationalisierung, Akademisierung,

Managerialisierung, Professionalisierung und der Deprofessionalisierung von Tätigkeiten. Diese

Faktoren veränderten das bisherige Care-Regime der Wohlfahrtsstaaten. Historisch betrachtet,

hat sich die Organisiertheit des Sorgens von Familie und Staat als primäre Sorgeinstanzen zu

einem finanzkapitalistischen Care-Regime als neue Stufe der Vergesellschaftung entwickelt. Es

kommt zu einer Verschiebung von Sorgezuständigkeiten, die mit Grenzkämpfen (siehe Fraser)

und Neuverteilungen von Sorgearbeit und –leistungen verbunden sind. Der Begriff der

Vergesellschaftung dient als Überbegriff, in dem mehreren theoretischen Interpretationen Raum

gegeben wird. Aulenbacher (2020: 133) nimmt die These einer neuen Stufe der

Vergesellschaftung von Care und Carearbeit in den Blickwinkel, in der sie beschreibt, wie die

Organisation des Sorgens, unter Berücksichtigung von Wirtschaft und Gesellschaft, sich auf

neue Weise auf die gesellschaftliche Ordnung erstreckt.

Page 18: Neue Wege der Pflegeorganisation in Österreich

18/111

2.1.1. Rationalisierung durch Vermarktlichung

Eine neue Stufe davon ist die Kommodifizierung bzw. Vermarktlichung des Sorgens. Dies hängt

stark mit Rationalisierung und Technologisierung zusammen, da Care industrialisiert wurde. In

den 1980iger Jahren kamen zunehmend Forderungen auf privater und feministischer Seite auf,

die zu einer Transformation des Pflegeparadigmas führten. Frauen waren nicht mehr bereit, die

Pflege in einem derartigen Ausmaß als unbezahlte Arbeit zu machen, das zeigte sich auch

durch die gestiegene Eingliederung der Frauen in den bezahlten Arbeitsmarkt. Weiters forderten

Menschen mit Beeinträchtigungen bzw. Behinderungen das Recht, ihre eigenen

Pflegebedürfnisse organisieren zu können. Voraussetzung für die Veränderung des

Pflegeparadigmas war, dass Pflegebedürftige nicht mehr als EmpfängerInnen von

Sozialleistungen angesehen werden, sondern als VerbraucherInnen. So entstand die

Vermarktung von Pflege, das als Konzept „von der Familie zur Ware“ neue Herausforderungen

bereit hielt. Care wird hier als fiktive Ware angesehen, die im Widerspruch zu Sorgen als

Beziehungsgeschehen steht. Durch die zunehmende Vermarktung von Care, wird die Idee der

Pflege als Pflegedienst in Frage gestellt, die immer kodifizierter, weniger personalisiert, schlecht

bezahlt und weniger sensibel für die Bedürfnisse von Pflegebedürftigen ist (vgl. Farris und

Marchetti 2017: 126).

Durch den Prozess der Rationalisierung und Technologisierung werden Aspekte wie Social

Freezing (das vorsorgliche Einfrieren von unbefruchteten Eizellen ohne medizinischen Grund),

Leihmutterschaft, Pflegeroboter und Ambient Assisted Living (altersgerechte Assistenzsysteme)

bedeutender. Solche Technologien stehen in Zusammenhang mit Beherrschung und reagieren

auf die Vulnerabilität und Angewiesenheit des Menschen. Im technologischen,

wissenschaftlichen Entwicklungsfeld von Care geht es um Effizienzsteigerung, technische

Lösungen für soziale Probleme und das Verdrängen von Abhängigkeiten des Lebens (vgl.

Aulenbacher 2018: 85).

In diesem Sinne, so meine These mit Blick auf die neue Stufe der Vergesellschaftung von Care, verselbständigt sich mit der wissenschaftlich-technologischen Rationalisierung eine Form der gesellschaftlichen Organisation des Sorgens, indem sie im relationalen und interdependenten funktions- und arbeitsteiligen Sorgegefüge steigende Bedeutung erlangt. Das verhilft auch den Beherrschbarkeitsfiktionen des modernen und kapitalistischen Fortschrittsdenkens und der damit verbundenen Verdrängung der Kontingenz des Lebens zu neuer und weiterer Geltung. In diesem Sinne wird die »Verselbständigung« der wissenschaftlich-technologischen Rationalisierung des Sorgens daraufhin zu betrachten sein, inwiefern sie in der gegenwärtigen und zukünftigen gesellschaftlichen Auseinandersetzung um Care und Care Work andere »soziale Ziele«, (...) an den Rand drängt und vergessen macht. (Aulenbacher 2018: 86)

Page 19: Neue Wege der Pflegeorganisation in Österreich

19/111

Care im Zusammenhang mit Rationalisierung stellt ein Vergesellschaftungsprinzip dar, das

versucht, mit weniger Aufwand mehr Effizienz zu erlangen. Dies lässt sich auch unter dem

Begriff der „sozialen Rationalisierung“ zusammenfassen. Es ist auf alle Bereiche der

Gesellschaft übertragbar, in denen die Organisation des Sorgens thematisiert, analysiert, in

Einzelschritte zerlegt wird, Aufwände reduziert und Effizienz gesteigert wird, um wiederum auf

neue Weise zusammengeführt zu werden (vgl. Siegel 1993: 372).

2.1.2. Innere Vergesellschaftung durch äußere Rahmenbedingungen

Aulenbachers These über die Rationalisierung von Care gibt jedoch keine Auskunft über die

Qualität und die Ausgestaltung des Sorgens. Es kann auf qualitativ höchstem Niveau erfolgen

oder mit Vernachlässigungen einhergehen. Dafür verwendet Aulenbacher den Begriff der

„inneren Vergesellschaftung“. Hier ist die psychische und mentale Entwicklung von Individuen

gemeint, die sich durch die Vergesellschaftung in einem sozialen Austauschprozess befinden.

Diese Begriffe nähern sich an den Begriff der Sozialisation an, jedoch geht er darüber hinaus.

Es wird die Übermacht einer Gesellschaft bezeichnet, die Einfluss auf einzelne Individuen oder

Sozialisationsstrukturen hat. Mit Blick auf Care und Carework sagt diese These aus, dass der

zunehmenden Vermarktlichung von Versorgungsleistungen in allen Sektoren die Auswirkungen

auf Menschen positiv oder negativ sein können. Zum Nachteil wird es für die Pflegebedürftigen,

wenn zusehends Marktmechanismen darüber entscheiden, wie viel oder wenig sorgende

Aufmerksamkeit Menschen zu teil wird oder wenn anstelle der menschlichen, eine technische

Berührung tritt (vgl. Aulenbacher 2018: 88).

In diesem Zusammenhang definiert Tronto (vgl. ebd. 2000; 2013; 2017) Care anhand von fünf

Dimensionen („moral dimensions of care“), die gegeben sein müssen, damit Menschen für sich

oder andere sorgen können:

• „attentivness – caring about“ : Sorgeerfordernisse müssen erkannt werden

• „responsability – caring for“ : Verantwortung übernehmen

• „competence – caregiving“ : Erbringung der Sorgeleistung

• „responsiveness – care receiving“ : Antwort darauf, dass tatsächlich eine Sorgeleistung

erfolgt

• „solidarity – caring with“ : Kontinuität des Sorgens, Menschen übernehmen kollektive

Verantwortung und denken ernsthaft über die Pflegebedürfnisse in der Gesellschaft nach

Page 20: Neue Wege der Pflegeorganisation in Österreich

20/111

Diese Perspektive mit „humans are not only social animals, but also caring animals“ wird die

historisch gegebene Ausgestaltung von Care und Carework konfrontiert, die den gegenwärtigen

Herausforderungen von Care nicht gerecht wird. Dieses Sorgeverständnis ist als Kritik an dem

modernen Streben von Care (Rationalisierung, Technologisierung) zu verstehen. An dessen

Stelle tritt die Vorstellung, die Verletzlichkeit und Angewiesenheit des Menschen (Kontingenz

des Lebens) anzuerkennen und die Gesellschaft darauf auszurichten (vgl. Tronto 2000; 2013;

2017; Ostner 2011: 466). Sorgeleistungen sind Gegenstände sozialer Aushandlungen. Darin ist

zu erläutern, wie die institutionelle, praktische und normative Ausgestaltung des Sorgens den

Sorgeerfordernissen begegnet. „Can markets be caring? Can institutions be caring?“ Diese

Fragestellungen gewinnen hier an Bedeutung. In diesem Sinne wird Care als Ziel

demokratischen Sorgens gesehen. Trontos Ansatz der „caring democracy“ bringt dies auf den

Punkt. Es wird die Vorstellung der Demokratie („democracy“) mit Verantwortung

(„responsability“) verknüpft (siehe fünf Dimensionen von Tronto). Tronto sagt, das Ziel eines

Individuums während eines demokratischen Lebens ist es nicht alleine für Sorgeleistungen

aufzukommen, sondern die demokratische Politik muss Verantwortung übernehmen,

Versorgungsleistungen sicherstellen und dafür Sorge tragen, dass BürgerInnen in der Lage sind,

diese in Anspruch zu nehmen. Die Politik soll verstärkt auf die Verantwortlichkeit der Pflege

ausgerichtet werden (vgl. Tronto 2000; 2013; 2017).

Das Konzept „Care“ in all seinen Facetten ist charakterisiert durch eine breite Definition und

Debatte. Die konzeptionelle und empirische Auseinandersetzung ist geprägt durch

unterschiedliche Care Tätigkeiten, die Einbettung alltäglicher Care Aktivitäten in der Gesellschaft

und Auswirkungen von Ungleichheiten innerhalb Klassen, Geschlecht und Ethnie. Trotz der

Breite und Vielschichtigkeit der Care-Forschung bleiben Forschungslücken. Ein verstärkter

Fokus sollte auf der Entwicklung der Pflegeorganisation liegen, die für den professionellen

Bereich eine wichtige Vermittlungsebene zwischen Mikro- und Makroebene darstellt (vgl.

Theobald 2019: 780). Die Thematisierung von Care ist keineswegs zufällig, sondern darin

spiegeln sich die Herausforderungen, Anforderungen und Ansprüche an Sorgeleistungen wider,

die vor allem im Zusammenhang mit dem demographischen und sozialstrukturellen Wandel

betrachtet werden können. Darin werden die „Krisen des Sorgens“ sichtbar, die die Frage

aufwerfen, wer wie und unter welchen Bedingungen für wen sorgt, die aber auch die

Finanzierbarkeit künftiger Care Tätigkeiten betreffen (vgl. Dammayr 2015: 316). Gleichzeitig

können die Krisen des Sorgens als Chance gesehen werden, über neue Formen des

Zusammenlebens nachzudenken. Die unterschiedliche Ausgestaltung von Care führt zu einem

Wandel der Organisation von Sorgearbeit (vgl. Von Alemann 2015: 160).

Page 21: Neue Wege der Pflegeorganisation in Österreich

21/111

2.2. Care-Regime im Vergleich

Vor diesem Hintergrund zeigt Care die Länderspezifik der gesellschaftlichen Organisation von

Sorgearbeit, deren Einbettung in verschiedene Politiksysteme und kulturelle Wertvorstellungen

erfolgte. Ziel des Konzepts des Care-Regimes in der international vergleichenden Forschung

war es, eine an mehrheitlich Frauen delegierte Aufgabe vor den Vorhang zu holen und ihre

gesellschaftliche Relevanz zu analysieren. Erstmals in den 1980er Jahren entwickelte sich eine

wissenschaftliche Debatte in Großbritannien. Studien ergaben, dass Care Tätigkeiten bei

Frauen zwar eine weibliche Identität schaffen, jedoch auf Grund der unbezahlten Arbeit zu

Abhängigkeiten gegenüber Ehepartnern führt (vgl. Theobald 2019: 774). In diesem

Zusammenhang entstand der Begriff „compulsory altruism“, der besagt, dass die

wahrgenommene Verpflichtung von Care Aufgaben zu einer Leugnung eigener Bedürfnisse

führen kann. Dies ist auch gegenwärtig ersichtlich, wenn pflegende Angehörige von

Erschöpfung und Hilflosigkeit sprechen (vgl. Land und Hilary 1985: 80). In den 1990er Jahren

wurde in der Care-Forschung auch die Dichotomie zwischen formeller und informeller Arbeit

hinterfragt. Care wird hier als vielschichtige Aktivität gesehen und in drei Dimensionen eingeteilt,

die Politik auf Mikro- und Makroebene mit Infrastruktur miteinander verknüpfen.

• Dimension Care als Arbeit: Analyse von Care Arbeit im familiären und öffentlichen Kontext

eingebettet in die Politik

• Dimension Care als Verpflichtung und Verantwortung auf Mikro- und Makroebene

• Dimension Care als Kosten und Finanzierungsmöglichkeiten und Regulierung (vgl. Geissler

und Pfau-Effinger 2005: 17).

Die Entwicklungen von Care verursachten in der Care-Forschung die Auseinandersetzung mit

der vergleichenden Wohlstaatsforschung. Einen zentralen Punkt bildete der Ansatz der

Typologie von Wohlfahrtstaatsregimen nach Esping-Andersen, der die Konsequenzen von

Sozialpolitiken für die Entwicklung sozio-ökonomischer Ungleichheiten in den Fokus stellte.

Basierend auf Esping-Andersen haben sich Care-Regime Typologien herauskristallisiert. Die

erste Care-Regime Typologie schufen Anneli Anttonen und Jorma Sipilä (1996) (vgl. Theobald

2019: 777). Anttonen und Sipilä fassten auf Basis mehrerer Dimensionen die Care-Regime in

verschiedenen Ländern zu einer Typologie zusammen. Zentrale Punkte waren das

Zusammenspiel staatlicher und familiärer Verantwortlichkeiten bzgl. Finanzierung und

Ausführung von Care Tätigkeiten, Zugänglichkeit zu öffentlichen Leistungen sowie Höhe und

Umfang öffentlicher Unterstützung (vgl. Anttonen und Sipliä 1996: 90). Andere Care-Regime

Typologien erweiterten die Perspektive staatliche Unterstützung, indem neben Dienstleistungen

auch informelle Versorgungsleistungen einbezogen wurden. Zusätzlich wird die Betrachtung von

Page 22: Neue Wege der Pflegeorganisation in Österreich

22/111

Care-Rechten („Recht zu pflegen“ und „Recht, Pflege zu erhalten“) in die Analyse

miteinbezogen. Diese Erweiterung führten Knijn und Kremer (1997) und Bettio und Plantenga

(2004) durch. Charakteristisch für diese drei Typologien (Anttonen und Sipilär; Knijn und

Kremer; Bettio und Plantenga) ist, dass die Muster der Ungleichheit in Geschlecht und Klasse

hinsichtlich Abhängigkeiten von Staat, Markt und Familie beleuchtet werden (vgl. Theobald

2019: 778). Im nächsten Kapitel wird der Typologie-Ansatz nach Esping-Andersen genauer

betrachtet, da dieser als Ausgangspunkt für zahlreiche weitere Wohlfahrtsstaatstypologien,

insbesondere mit Blick auf Pflege- und Betreuungsarbeit, gilt. Da der Fokus der Masterarbeit auf

der Pflege liegt, werden Ansätze von Care-Regimen, die durch Reformen von Pflegepolitiken

beeinflusst wurden, ebenso dargelegt.

2.2.1. Wohlfahrtsstaatsregime nach Esping-Andersen

Mit Blick auf die Organisation und Regulierung der bezahlten und unbezahlten Sorgearbeit wird

in der vergleichenden Wohlfahrtsstaatsforschung der Regimetypologie-Ansatz nach Esping-

Andersen am häufigsten zitiert und diskutiert. Grundlegend ist zu definieren, was der Begriff

Wohlfahrtsstaat bedeutet. Bekannte begriffliche Alternativen sind „Sozialpolitik“, „soziale

Sicherung“, „Sozialstaat“ bzw. „welfare state“. Grundsätzlich ist der Wohlfahrtsstaat für eine

staatliche, über eine private Vorsorge und gemeinschaftliche Fürsorge hinausgehende

Verpflichtung zur sozialen Sicherung und Förderung aller Bürger verantwortlich. Um dies zu

gewährleisten, muss der Wohlfahrtsstaat Ressourcen in Form von monetären Transfers,

sozialen Diensten und Infrastruktur zur Verfügung stellen. Dadurch kommt es zu einer

gesellschaftlichen Entwicklung, die als sozialer Fortschritt gesehen werden kann und Werte wie

Sicherheit, Wohlfahrt, Freiheit und Gerechtigkeit widerspiegelt (vgl. Schmid 2010: 42 f). Die

Frage der Absicherung von sozialen Risiken wie Krankheit, Unfall, Arbeitslosigkeit, Alter und

Pflegebedürftigkeit zählt zu den zentralen Punkten, die eine Gesellschaft beantworten muss.

Herausforderungen bestehen darin, die gesellschaftlichen Ziele eines Wohlfahrtsstaates zu

verfolgen aber auch die politischen und organisatorischen Defizite zu überwinden, um einen

Staat zukunftsfähig gestalten zu können (vgl. Raza et al. 2004: 3).

Nach Esping-Andersen (2002: 15f) lassen sich drei Typen von Wohlfahrtsstaaten unterscheiden:

liberal, konservativ und sozialdemokratisch. Esping-Andersen identifiziert in allen Typologien

Säulen eines Wohlfahrtsstaates, die in Staat, Markt und Familie unterteilt werden. Die Familie

und der Staat kompensieren Marktversagen. Im Gegenzug erfolgt dies, indem Markt und Staat

ein Versagen der familiären Strukturen ausgleichen. In den drei Typologien sind diese Säulen

des Wohlfahrtsstaates unterschiedlich ausgeprägt. Liberale Wohlfahrtsstaaten weisen als Basis

„social assistence“ bzw. die Fürsorge auf. Die Rolle des freien Marktes und der Familie nehmen

einen hohen Stellenwert ein (vgl. Schmid 2010: 100).

Page 23: Neue Wege der Pflegeorganisation in Österreich

23/111

Soziale Anspruchsrechte und Leistungen sind niedrig angesiedelt, mit individuellen

Bedürftigkeitsprüfungen verbunden und ihr Bezug mit Stigmatisierung behaftet. Liberale

Wohlfahrtsstaaten begünstigen vor allem die Wohlhabenden durch Subventionen

(Steuervergünstigungen) und individuelle Sicherungspläne (private Altersvorsorge und

Lebensversicherungen), dadurch können sich diese relativ gut absichern. Die Armen werden

lediglich den bescheidenen öffentlichen Sozialleistungen zugeordnet (vgl. Ullrich 2005: 44).

Konservative Wohlfahrtsstaaten kennzeichnen als Grundlage „social insurance“ bzw.

Sozialversicherung. Anspruch und Leistungen hängen vielfach mit der Erwerbsarbeit

zusammen, das heißt, er ist stark lohn-, arbeits- und sozialversicherungszentriert. Mittelpunkt

sind die hohen Fürsorgeleistungen gemessen an der Gesamtheit der Sozialausgaben. Jedoch

ist der Anteil an privaten Ausgaben für Alter und Gesundheit gegenüber den Gesamtausgaben

sehr gering. Österreich zählt zum konservativen Regime (vgl. Benz et al. 2015: 122). Basis

sozialdemokratischer Wohlfahrtsstaaten ist die Versorgung bzw. „universalistic“. Der Staat hat

höchste Priorität und ist für das Wohlergehen seiner BürgerInnen verantwortlich. Dies führt zu

einem Zurückdrängen des Marktes zugunsten einer universellen Solidarität. Es gibt ähnliche

Rechte für alle und einheitliche Leistungen. Demnach wird Gleichheit auf dem höchsten Niveau

angestrebt und die Anspruchsgrundlage bilden soziale Bürgerrechte. Art und Höhe der

Sozialleistungen sind so definiert, dass sie auch der Mittelschicht genügen (vgl. Schmid 2010:

102).

Zusätzlich zur Einteilung von Staaten in drei Regime hat Esping-Andersen zentrale Dimensionen

definiert, die seinen ursprünglichen Ansatz erweitert haben. Diese lauten „Dekommodifizierung,

Stratifizierung und Familisierung“. „Mit Dekommodifizierung ist das Ausmaß gemeint, in dem der

Wohlfahrtsstaat dem Einzelnem ein Leben unabhängig vom Markt (in erster Linie unabhängig

von Erwerbsarbeit) ermöglicht“ (Ullrich 2005: 44). Dies bedeutet, die Wohlfahrt der BürgerInnen

soll durch Dekommodifizierung weniger von der Arbeitsnachfrage am Markt abhängig sein,

sondern der Staat übernimmt die Fürsorgepflicht, wenn die Arbeitskraft der Erwerbstätigen

durch beispielsweise Alter oder Krankheit beeinträchtig ist. Somit schützt Dekommodifizierung

die BürgerInnen vor den Kräften des Marktes. Im liberalen Typ herrscht eine schwache

Dekommodifizierung, demnach reichen soziale Leistungen nicht aus, um unabhängig vom Markt

ein auskömmliches Leben zu führen. Der konservative Typ zeigt eine mittlere

Dekommodifizierung, für Erwerbstätige besteht jedoch eine hohe Dekommodifizierung. Zu einer

deutlichen Verringerung von sozialer Ungleichheit kommt es im sozialdemokratischen

Wohlfahrtsstaat, wenn die Sozialausgaben hoch ausfallen und die Dekommodifizierung ebenso

hoch ist (vgl. Schmid 2005: 101).

Page 24: Neue Wege der Pflegeorganisation in Österreich

24/111

Das zentrale Element der Stratifizierung ist die Überwindung von Statusunterschieden. Ebenso

beschreibt der Begriff die Wirkung der wohlfahrtsstaatlichen Sicherung auf die soziale

Ungleichheit. Die Stratifizierung wirkt im liberalen Typ auf eine Verschärfung der sozialen

Ungleichheit, da der Markt die zentrale Rolle spielt und Anspruch und Leistungen auf einem

niedrigen Niveau ausfallen. Im konservativen Staat kommt es durch Stratifizierung zu einer

Verfestigung von Statusdifferenzen und im sozialdemokratischen Staat wirkt Stratifizierung

egalisierend (vgl. Ullrich 2005: 47). Ein weiterer zentraler Begriff beschreibt die (De-

Familisierung. Das ist der Grad der Abhängigkeit bzw. Unabhängigkeit von sozialer Versorgung

und der Rolle der Familie. Inwieweit sind Individuen in der Lage, unabhängig ihrer familiären

Situation, ein gesellschaftlich akzeptiertes Leben zu führen. Der Staat versucht, die Haushalte

zu entlasten und Abhängigkeiten der Verwandten zu verringern (Defamilisierung). Auf der

anderen Seite nimmt der Staat bzw. die Öffentlichkeit an, dass die Familie Verantwortung für die

Wohlfahrt der eigenen Mitglieder trägt. Der Staat greift nur ein, wenn die Familie versagt

(Familisierung). Im konservativen Wohlfahrtsstaat stellt die Familie eine zentrale Rolle dar, im

liberalen und im sozialdemokratischen Typ hat die familiäre Situation eine marginale Bedeutung.

Hauptkritikpunkte an diesem Typologie-Ansatz richten sich auf das analytische und methodische

Vorgehen, die unklare Trennung zwischen Real- und Idealtypen sowie die normative Aufladung

und Rangordnung (der sozialdemokratische Typ als Positivbeispiel) (vgl. Wehr 2009: 169).

2.2.2. Care als Schlüsselfunktion in der Wohlfahrtsstaatsforschung?

Die Elemente „the three welfare pillars“ von Esping-Andersen gelten in der vergleichenden

Wohlfahrtsstaatsforschung als konstitutiv. Die Einbindung von Care konnte durch die

zunehmende Bedeutung nicht mehr außer Acht gelassen werden. Trotz Esping-Andersens

Erweiterung der Dimensionen sahen sich Alber und Evers als Pioniere dazu verpflichtet, eine

Berücksichtigung von „care services“ verknüpft mit Wohlfahrtsstaatlichkeit einzufordern und

einen Bezugsrahmen für deren Erforschung zu entwickeln. So entstand das Konzept

„Wohlfahrtsmix“ und im Unterschied zu Esping-Andersen zählt hier der dritte Sektor dazu.

Dieser Bereich beschreibt die Interaktion zwischen Staat, Markt und Gemeinschaft (informelle

und formelle Netzwerke).

Ziele dieses Ansatzes waren:

• die Rolle von Staat, Markt und Familie in eine wohlfahrtstheoretische Betrachtung

einzubeziehen und aufzuwerten

• Kritik an der Typologie von Esping-Andersen zu äußern, da bis heute soziale Dienste und

Dritte-Sektor-Organisationen keine Rolle spielen (vgl. Evers 2011: 264).

Page 25: Neue Wege der Pflegeorganisation in Österreich

25/111

Der analytische Rahmen bewegt sich auf drei Ebenen: Mikro-, Meso- und Makroebene. Die

Mikroebene schließt die individuellen Akteure mit ein. Welche Wohlfahrtsmixturen entstehen,

wenn Personen zum Beispiel informelle Ressourcen und Marktangebote kombinieren müssen?

Die Mesoebene umfasst die jeweiligen Organisationsformen. Problematisch ist, dass zwischen

Wohlfahrtsmix und drittem Sektor von Anfang an Grauzonen bestehen und sich nicht klar

abgrenzen lassen. Es entstanden Mischformen von Sorgearbeit, die nicht eindeutig einem

formellen oder informellen Netzwerk zuordenbar sind. Als Beispiel wird hier angeführt, dass

Pflegeheime am Markt unternehmerisch agieren, gleichzeitig die Unterstützung von Freiwilligen

und Fördervereinen nutzen. Die Makroebene bezieht das Gesamtsystem mit ein. Dies beinhaltet

die generelle Frage, welche Angebote in den einzelnen Bereichen von Staat, Markt, Familie und

drittem Sektor zur Verfügung stehen. Ebenso spielt die Gewichtung dieser Angebote in den

jeweiligen Wohlfahrtsstaatstypen eine Rolle (vgl. Evers 2011: 265).

Die Forschung von Care hat den Blick verstärkt auf die Makroebene gerichtet und sich von der

Mikroebene entfernt. Als makrosoziale Entwicklungen können hier der Pflegenotstand (care

deficit) oder die sinkende Anzahl an Frauen, die unbezahlt auf Grund von steigender

Erwerbsbeteiligung Pflegende betreut, genannt werden. Gleichzeitig entwickelte sich ein

mikrosozialer Trend, der die Sorgearbeit veränderte. Sie war weniger familienverbunden und

geschlechterspezifisch, da Männer vermehrt in diese Thematik eingebunden wurden. Durch die

Verknüpfung auf makro- und mikrosozialer Ebene gewann Care einen unmittelbaren Bezug zu

Wohlfahrtsstaatlichkeit eines Landes und es ließen sich „care regimes“ unterscheiden. „Die

vergleichende Wohlfahrtsstaatsforschung fragte nun danach, inwieweit und auf welche Art und

Weise ein Land beide Rechte „the right to care; the right to receive care“ gewährte“ (Ostner

2011: 465).

Daly und Lewis versuchten daher zur Analyse der Wohlfahrtsstaatlichkeit Care als „social care“

zu nutzen. In diesem Sinne wird Social Care als Aktivität gesehen, die zur Erfüllung von

physischen und emotionalen Anforderungen beiträgt und in einem Abhängigkeitsverhältnis steht.

Die Sorgearbeit ist somit in einem normativen, kostenabhängigen und sozialen

Rahmenkonstrukt eingebettet (vgl. Daly und Lewis 1998: 100). Daly und Lewis sind dadurch in

der Lage Indikatoren, die ausschlaggebend für die Identifizierung unterschiedlicher care regimes

sind, herauszufiltern. Dieser Bezugsrahmen ermöglicht einen Vergleich und Aussagen über die

Richtung des Wandels im jeweiligen Regime. Bei näherer Betrachtung der Indikatoren und

konsequenter Unterscheidung bei der Betreuung von Kindern oder alten Menschen, kommt man

zu dem Schluss, dass von einem einheitlichen nordeuropäischen care regime nicht die Rede

sein kann. Ein Beispiel: Großbritannien hat eine lange Tradition staatlicher Fürsorge für alte

Menschen, jedoch ist die Betreuung kleiner Kinder Privatsache. In Frankreich ist es genau

umgekehrt (siehe Abb1) (vgl. Daly und Lewis 1998: 99; Ostner 2011: 472).

Page 26: Neue Wege der Pflegeorganisation in Österreich

26/111

Abbildung 1 Makro- und Mikrolevel von Care

(vgl. Ostner 2011: 472)

Leitner orientiert sich an Daly und Lewis und unterscheidet zwischen stark und schwach

familisierenden und defamilisierenden Politiken in Bezug auf Kinder- und Altenbetreuung. Dies

wird im nächsten Kapitel im Detail dargelegt.

2.2.3. Familialismus-Konzept nach Leitner (2003)

Es zeigen sich länderübergreifende Gemeinsamkeiten, wie zum Beispiel die Refamilisierung von

Care als Folge rückläufiger staatlicher Leistungen verursacht durch die Wirtschaftskrise oder die

zunehmende Technisierung und einhergehende Ungleichheitsdynamiken (vgl. Von Alemann

2015: 160). Angelehnt und abgeleitet vom Typologie-Ansatz nach Esping-Andersen hat Sigrid

Leitner das Familialismus-Konzept („varieties of familialism“) entwickelt, mit dem Ziel die

unterschiedliche Entwicklung der Familien- und Pflegepolitik in den Wohlfahrtsstaaten zu

erklären. Leitners Ansatz bezieht sich stark auf die informelle Pflegearbeit, jedoch kann davon

ausgegangen werden, dass vor allem Länder, die vermehrt Familien mit Pflegeleistungen

unterstützen, ebenso einen ausgebauten Arbeitsmarkt für formelle Pflege aufweisen. Leitner

versteht ihr Konzept als kritische Auseinandersetzung mit dem von Esping-Andersen

Page 27: Neue Wege der Pflegeorganisation in Österreich

27/111

entwickelten Ansatz der (De-)Familisierung. Esping-Andersen hat später eine Unterscheidung in

„familiaristische“ bzw. „de-familiaristische“ Wohlfahrtsstaatsregime vollzogen. Erstere beschreibt

eine maximale Übertragung von sozialen Aufgaben an die Familie und letztere eine

Verringerung der familiären Abhängigkeit der Individuen (vgl. Keck 2014: 169). Dieselbe

Trennung ist bei Leitner zu finden, indem sie sagt, es kann zwischen Wohlfahrtsstaaten

unterschieden werden, die entweder auf die Familie als Hauptquelle der Versorgung

angewiesen sind und diese aktiv unterstützen bzw. Sozialsysteme, die versuchen, die Familie

als primäre Versorgungsinstanz zu entbinden. Da sich die Systeme hinsichtlich Familisierung

nicht eindeutig ähneln, untersucht Leitner einzelne Maßnahmen in der Familien- und

Pflegepolitik. Leitner setzt den Fokus auf die Optionalität des Sorgens, dies bedeutet Leitner

beschreibt das etablierte Recht sorgen zu können, ohne sorgen zu müssen und generelle

Geschlechteregalität (vgl. Leitner 2003: 359).

Generell kategorisiert Leitner in vier ideale Arten des Familialismus (siehe Tab1):

Familization De-Familization

Strong Weak

Strong Optional familialism Explicit familialism

Weak De-familialism Implicit familialism

Tabelle 1 „varieties of familism“

(vgl. Leitner 2003: 358)

Der optionale Familialismus steht für eine Entlastung durch soziale Dienste und

Betreuungsangebote. Diese Kategorie ist das normative Leitbild von Leitner und stellt ein care

regime dar, das Familien Zeit- und Betreuungsrechte einräumt. Dem gegenüber steht der De-

Familialismus, der durch eine starke staatliche und marktorientierte Bereitstellung von

Pflegediensten gekennzeichnet ist. Dieses care regime gewährt Personen keine Zeitrechte, da

sie auf Grund einer Vollzeitbeschäftigung nicht in der Lage sind, die Betreuung selbst zu

übernehmen. Der implizite Familialismus bietet keine De-Familisierung und aktive Unterstützung

durch sozialpolitische Maßnahmen. Der Wohlfahrtsstaat sorgt für keine Alternativen, somit ist

die Familie implizit für die Versorgung Pflegebedürftiger verantwortlich. Marktzwänge führen

dazu, dass vor allem Frauen den Hauptteil des Sorgens übernehmen und die Folgekosten. Der

explizite Familialismus versucht, Familien für die Kosten des Sorgens zu entschädigen und es

werden zeitgleich Anreize gesetzt, auf solche Bedingungen einzugehen (vgl. Ostner 2011: 472).

Page 28: Neue Wege der Pflegeorganisation in Österreich

28/111

Diese Kategorisierungen können dazu verwendet werden, um einerseits Absichten der

Pflegepolitik zu identifizieren und andererseits strukturelle und empirische Auswirkungen zu

untersuchen. In ihrem Ansatz erforscht Leitner die sozialpolitischen Leistungen für die Pflege

und Betreuung älterer Menschen und von Kindern in 15 europäischen Ländern. Leitner zieht

zwei Indikatoren heran: finanzielle Transfers und ambulante Dienstleistungen für Menschen ab

65 Jahre. Leitner zeigt auf, dass im Bereich der Sorgearbeit von alten Menschen eine starke

(bzw. schwache) Familisierung durch die Verfügbarkeit (bzw. das Fehlen) direkter Transfers

gegeben ist. Die Stärke bzw. Schwäche könnte durch den Prozentsatz der pflegebedürftigen,

alten Menschen beurteilt werden, die in institutionellen Einrichtungen leben. Jedoch ist es

schwierig, diesen zu erfassen. Generell ist ein allgemeiner Trend in der Pflegepolitik ersichtlich:

die vermehrte Inanspruchnahme von mobilen Diensten, damit Pflegebedürftige solange wie

möglich in der vertrauten Umgebung bleiben können. Resultierend aus der Analyse der Länder

und vergleichend mit den Clustern von Esping-Andersen kommt Leitner zu dem Ergebnis, dass

die skandinavischen Länder dem optionalen Famialismus und die konservativen Staaten dem

expliziten bzw. impliziten Famialismus zugeordnet werden können. Österreich zählt zum

expliziten Famialismus. Keines der von Leitner ausgewählten 15 europäischen Länder wird als

de-familisierendes Wohlfahrtsstaatsregime eingruppiert (vgl. Leitner 2003: 362; Keck 2014:

170).

2.3. Pflegeorganisation zwischen Staat, Markt und Familie

Wie Leitner im Famialismus Konzept aufgezeigt hat, ist ein allgemeiner Trend in den

Wohlfahrtsstaaten sichtbar, der Pflege vor Ort mit Unterstützung von sozialen Diensten,

befürwortet. Soziale Dienste, vor allem öffentlich finanzierte, haben in Europa einen langen Weg

zurückgelegt. Sie wurden mehrheitlich vom Staat übernommen und sind im Prinzip zu einem

Recht geworden, das allen BürgerInnen gewährt wird. Dieser Fortschritt war ein Bestandteil des

Aufbaus nationaler Wohlfahrtsstaaten, obwohl er in den Ländern zu unterschiedlichen

Zeitpunkten und Intensitäten erfolgte. Soziale Dienste zu definieren oder abzugrenzen gestaltet

sich als schwierig, da sich viele Dimensionen darin widerspiegeln. Grundsätzlich umfassen

soziale Dienste Dienstleistungen für die Betreuung, den Schutz und die Einbeziehung von

Minderjährigen, älteren Menschen und Personen mit intellektuellen und/oder körperlichen

Beeinträchtigungen. Eine Schlüsseldimension ist der öffentliche Charakter. In der zweiten Hälfte

des 20. Jahrhunderts war in allen europäischen Ländern ein großes Wachstum ersichtlich.

Durch die staatliche Übernahme vieler solcher Dienstleistungen kam es zu einer De-

Familisierung (siehe Esping-Andersen) von Tätigkeiten, die zuvor Familienangehörige erbracht

haben (vgl. Martinelli et al. 2017: 9f).

Page 29: Neue Wege der Pflegeorganisation in Österreich

29/111

Grundlegend ist es wichtig, soziale Dienste gegenüber Wohlfahrtsstaat und Sozialpolitik zu

positionieren, da sie bei beiden wiederzufinden sind. Die meisten Sozialsysteme, insbesondere

Österreich, bestehen aus zwei Hauptkomponenten: erstens ein Sozialversicherungssystem, das

sich aus den Beiträgen von ArbeitgeberInnen und ArbeitnehmerInnen finanziert, und zweitens

einem nachgereihten sozialen Sicherungssystem, das sich großteils aus Steuern finanziert und

ein weites Spektrum sozialer Bedürfnisse abdeckt. Beide Systeme kennen Geldtransfers und

Sachleistungen oder Dienstleistungen. In der Praxis verschwimmen häufig die Grenzen

zwischen Geld- und Sachleistungen. Es herrschte eine weitverbreitete Überzeugung, dass

soziale Dienste als Umverteilungsinstrument zur Gewährung sozialer Gerechtigkeit fungieren

und untragbare Kosten für den Einzelnen verursachen. Gegenargument ist, dass soziale

Dienstleistungen eine enorme wirtschaftliche Rolle spielen, indem sie einen Beitrag zur

Reduktion der Kosten für die Reproduktion von Arbeit leisten. Durch deren Bereitstellung erhöht

der Staat zusätzlich die Kaufkraft der Menschen und subventioniert indirekt die Wirtschaft.

Ebenso stellen sie eine soziale Investition dar, dies bedeutet, die Sozialpolitik wird nicht als

Kostenverursacher gesehen, sondern als Investition, die dazu beiträgt, die zukünftigen Kosten

zu senken, da die Menschen besser qualifiziert und produktiver sind. Diese doppelte Rolle von

sozialen Diensten, die zur Akkumulation und sozialen Gerechtigkeit beitragen, bewirken Trends

in Wohlfahrtsstaaten, die sich in einem Kreislauf aus Staat, Markt und Familie, widerspiegeln

(vgl. Martinelli et al. 2017: 11f).

Die Sozialversicherungsträger als auch der Staat vergeben häufig die Erbringung von Sozialen

Diensten an Dritte, dem sogenannten Dritten Sektor, der nach marktwirtschaftlichen

Gesichtspunktion agiert, aber von der öffentlichen Hand die Vorgaben erhält und auch von ihm

kontrolliert wird. Soziale Dienste können der Prävention, Intervention oder Nachsorge dienen.

Sie können stationär, teilstationär, ambulant und/oder mobil erbracht werden. Professionelle

Pflege wird durch Gesundheits- und Krankenpflegepersonal, AltenpflegerInnen, häufig in

Kooperation mit anderen ProfessionistInnen wie TherapeutInnen erbracht. Zu den

Schlüsselaufgaben der Pflege gehören die Wahrnehmung der Interessen und Bedürfnisse

(advocay), die Förderung einer sozialverträglichen Umgebung sowie Schmerzvermeidung (vgl.

Dimmel und Schmid 2013).

2.3.1. Druck zu Umstrukturierungsprozessen in der Pflegeorganisation

Nach dem Ende des goldenen Zeitalters und der Expansion von Wohlfahrtsstaaten kam es in

den 1980iger Jahren zu Umstrukturierungen, so verschiedenen Bereichen in der Sozialpolitik.

Durch das Bestehen von transformativen Drücken wie „Bottom-up“ Druck (Forderung nach

qualitativen und individuelleren Diensten gegenüber den standardisierten, öffentlichen Diensten)

und „Top-down“ Druck (Versuch öffentliche Ausgaben effizienter zu gestalten) wurde die

Page 30: Neue Wege der Pflegeorganisation in Österreich

30/111

Umgestaltung weiter vorangetrieben. Vor allem die Top-down Strategien haben die

Umstrukturierung von sozialen Diensten stark beeinflusst. Dies hatte zur Folge, dass es zu einer

Liberalisierung des Marktes für soziale Dienste kam und neue Lieferanten anstelle staatlicher

Dienstleistungen für Aufsehen sorgten. Die Finanzkrise 2008 trug dazu bei, dass die Staaten

Kürzungen bei den öffentlichen, sozialen Diensten vollzogen und die Gemeinden verstärkt in die

Bereitstellung sozialer Dienstleistungen integriert wurden. Das zuvor beschriebene Konzept der

Umstrukturierung ist eines von vielen, das in der Literatur beschrieben ist, um die

Veränderungen in der Sozialpolitik von Wohlfahrtsstaaten und in der Organisation sozialer

Dienste zu erklären. Reform und Neukalibrierung sind ebenfalls Begriffe, die als Reaktion auf

strukturelle Veränderungen und Entstehung neuer Risiken verwendet werden. Prozesse der

Modernisierung (effiziente und innovative Erbringung von Dienstleistungen) und Konzept der

Kürzung (Verringerung staatlicher Unterstützung für soziale Maßnahmen) werden ebenso

erwähnt. Auch Privatisierungen nahmen zu, die sich durch die Zunahme privater Beteiligungen

von AnbieterInnen und Vermarktung kennzeichneten (vgl. Martinelli et al. 2017: 13f).

2.3.2. „Ageing in Place“ und „Deinstitutionalization“

Wie bereits erwähnt, sind in den europäischen Wohlfahrtsstaaten Prozesse wie

Deinstitutionalisierung und Privatisierung stark präsent. Dies hat die Folge, dass Vermarktung,

spezifisch im Bereich der Altenpflege, vermehrt auf Auslagerung öffentlicher Ausschreibungen,

Wettbewerb und der freien Wahl der AnbieterInnen basiert. In Bezug auf Deinstitutionalisierung

wird institutionelle Pflege als paternalistisch angesehen. Grund dafür ist, dass sie nicht in der

Lage ist Lebensqualität, Selbstbestimmung oder Qualität der Pflege umzusetzen. Zusätzlich hat

sich der Drang verstärkt, kostengünstigere Formen der Pflege zu institutionellen Bestimmungen

zu finden. „Altern an Ort und Stelle“ bzw. „Ageing in place“ hat sich als neue

Versorgungsmöglichkeit herauskristallisiert. Durch die Etablierung des Prinzips „Ageing in place“

in vielen europäischen Wohlfahrtsstaaten, hatte dies eine Kürzung der institutionellen

Pflegeeinrichtungen zur Folge. In Finnland zum Beispiel ist die Zahl der Pflegeheime

zurückgegangen, stattdessen werden Pflegebedürftige vermehrt zu Hause oder in

Wohneinheiten in Zusammenarbeit mit sozialen Diensten individuell betreut. Das Schrumpfen

von institutionellen Einrichtungen ist auch mit Problemen behaftet. Da die Bevölkerung immer

älter wird, ist der Bedarf an institutioneller Pflege nicht verschwunden, sondern es scheint eine

zunehmende Kluft zwischen Bedarf und tatsächlicher Versorgung zu bestehen. Die Konsequenz

sind lange Wartelisten für Institutionen. Sie zeigen, dass „die Erwartungen bzgl. Versorgung und

Qualität von Ageing in place“ nicht zur Genüge gerecht wurden. Besonders bei multiplen

Erkrankungen und hohem Pflegedarf scheint eine institutionelle Betreuung erforderlich zu sein.

Gründe für das Scheitern von „Ageing in place“ können sein, dass die Ressourcen für eine

häusliche Pflege nicht ausreichen. Die Länder waren nicht in der Lage zu erkennen, diese

Page 31: Neue Wege der Pflegeorganisation in Österreich

31/111

Ressourcen im Einklang mit wachsenden Bedürfnissen zu erhöhen, um „Aging in place“ als

Resultat von Deinstitutionalisierungsprozessen zu fördern. Anstelle der notwenigen Investitionen

war das Prinzip „Ageing in place“ durch Kürzungen und strengerer Zugangskriterien

gekennzeichnet (vgl. Kröger und Bagnato 2017: 208).

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass der derzeitige Prozess der Deinstitutionalisierung

in europäischen Ländern unabhängig von den Pflegediensten durchgeführt wird. Die

„Priorisierung des Zuhauses“ in politischen Diskursen verschiebt implizit die Verantwortung

älterer Erwachsener für ihre eigenen Pflegebedürfnisse. Die Privatisierung von Pflegediensten

hilft auch bei diesem Bestreben der Deinstitutionalisierung nicht. Darüber hinaus ist der Prozess

der Deinstitutionalisierung durch Vermarktung keine Garantie für eine gute Qualität der Pflege

und der Zugang zu solchen Diensten ist aufgrund der Erschwinglichkeit nicht immer garantiert.

In Verbindung mit der Wirtschaftskrise 2008 haben Wohlfahrtsstaaten Kürzungen und

Sparmaßnahmen genützt, um eine marktorientierte Tendenz zu rechtfertigen (vgl. Deusdad et

al. 2016: 148).

2.4. Moderne Ansprüche an die Pflegeorganisation: Effizient, Qualität, Wahlfreiheit, Flexibel, Dezentral und Ambulant

Bis in die 1990er Jahre wurde die Betreuung älterer Menschen zum Großteil als unbezahlte

Familienarbeit organisiert. Esping-Andersen stufte den österreichischen und deutschen

Wohlfahrtsstaat als konservatives Wohlfahrtsstaatsregime ein und als ein Regime, das stark auf

den männlichen Ernährer ausgerichtet ist. Stationäre und ambulante Pflege spielten eine

untergeordnete Rolle. Diese Erkenntnis veranlasste die Staaten dazu, Altenpflege als zentrale,

staatliche Aufgabe zu sehen. Daher wurde in Deutschland 1995 die Pflegeversicherung bzw. in

Österreich 1993 das bedarfsorientierte Pflegegeld eingeführt, mit dem Ziel eine universelle

Grundversorgung für alle BürgerInnen zu gewährleisten. Diese Gesetzesgrundlage hatte ebenso

das Ziel, Pflegebedürftigen ein selbstbestimmtes Leben und mehr Wahlfreiheit bei der Auswahl

von Versorgungsleistungen zu ermöglichen. BürgerInnen waren nun in der Lage zu entscheiden,

ob das Geld der Pflegeversicherung bzw. Pflegegeld für informelle Pflege oder mobile,

ambulante Pflegedienste ausgegeben wird. Die Finanzierung der professionellen Pflege auf

Grundlage der Pflegeversicherung bzw. Pflegegeld führte zur Entstehung eines breiten Sektors

öffentlich und privater AnbieterInnen und der Einrichtung marktähnlicher Wohlfahrtsmärkte, die

gegenseitig konkurrieren. Die Rolle des Marktes bei der Bereitstellung von Pflegediensten

bekommt eine zunehmende Bedeutung gemeinsam mit den einhergehenden

Wahlmöglichkeiten. Der Trend der Individualisierung in Bezug auf mehr Teilhabe und Autonomie

bei der Wahl von Versorgungsleistungen führte bei den Pflegebedürftigen und deren

Page 32: Neue Wege der Pflegeorganisation in Österreich

32/111

Angehörigen zu mehr Selbstbestimmung. Durch die Elemente des Marktes, gemeinsam mit der

Wahl des Verbrauchers, bekam die Organisation und Koordination von Pflege in den

Wohlfahrtsstaaten zwischen Markt, Staat und Familie einen neuen Stellenwert (vgl. Olk 2011:

482).

Eichler und Pfau-Effinger (2009: 617f) konnten jedoch in ihrer Studie zeigen, dass die Mehrheit

der Pflegebedürftigen und deren Familien die Möglichkeiten der ambulanten, dezentralen und

mobilen Pflege nicht nutzten. Eichler und Pfau-Effinger fragten in ihrer Studie nach den

Ursachen dafür und konnten feststellen, dass ältere Menschen häufig nicht als autonome

Akteure agieren. Viele Entscheidungen werden in einem komplexen Familienverband getroffen

und können oft nicht auf eine rationale Wahl zurückgeführt werden. Zusätzlich tragen auch

kulturelle Prägungen, moralische Verantwortung und familiäre Solidarität zu einem erheblichen

Maß bei. Zum Beispiel konnte in Deutschland aufgezeigt werden, dass trotz der Einführung der

Pflegeversicherung sich die Pflegestrukturen nur leicht verändert haben. Die Pflegeversicherung

wäre dafür dagewesen, die Barriere für die Inanspruchnahme von mobilen Diensten zu senken,

damit Pflegebedürftige effizienter und individueller betreut werden können. Resultierend kann für

Deutschland festgehalten werden, dass trotz der Pflegeversicherung nach wie vor zum größten

Teil die Familienmitglieder die Pflege übernehmen. Eine mögliche Erklärung ist, dass Defizite in

der Pflegeinfrastruktur dafür verantwortlich sind. Für Deutschland ist dies nicht zutreffend, da

eine große Vielfalt an AnbieterInnen am Markt ist. Ebenso kann davon ausgegangen werden,

dass alle Cash-for-Care Leistungen zu niedrig bemessen sind, um sich professionelle Pflege

leisten zu können (vgl. Eichler, Pfau-Effinger 2009: 621).

Als ein weiterer Grund kann der Ansatz der „rationalen Wahl“ angeführt werden. Becker führt in

seinem „household economy“ Ansatz an, dass in einem Familienverband Entscheidungen auf

der Grundlage von wirtschaftlichen Kosten-Nutzen-Überlegungen fallen. Ziel ist es, den Nutzen

für den Einzelnen bzw. die Familie zu maximieren. Die erhaltenen Geldleistungen für die

Betreuung zu Hause stellten für den Familienverband mehr finanziellen Reiz dar, anstatt diese

für soziale Dienste auszugeben. Familienverbände vollziehen eine rationale Entscheidung, bei

der Geldleistungen mehr gewichtet werden als die Last der zu leistenden Pflege. Bei dieser

Vorgehensweise wird der Nutzen für die Pflegebedürftigen mehrheitlich nicht erfüllt, da diese

dadurch oft unterversorgt sind (vgl. Becker 1993: 395).

Page 33: Neue Wege der Pflegeorganisation in Österreich

33/111

Oft besteht ein Missverständnis zwischen Pflegebedürftigen und deren Familien einerseits und

professionellen AnbieterInnen andererseits, bzgl. der Einstellung, was qualitativ hochwertige

Pflege ausmacht. Dieses Missverhältnis wird zusätzlich verschärft, da soziale Dienste

verpflichtet sind, die Pflegeleistungen auf der Grundlage von Wettbewerb und wirtschaftlicher

Effizienz durchzuführen. PflegeempfängerInnen sehen eine gute Pflege als garantiert, wenn sie

auf einer vertrauensvollen Basis erfolgt. Pflegedienste können nach deren Ansicht dies oft nicht

gewährleisten (vgl. Eichler und Pfau-Effinger 2009: 628).

Österreich verzeichnet ebenso eine markt- und wettbewerbsorientierte Reorganisation des

Sorgens. Dies wird von zunehmenden Professionalisierungs- und Qualitätsansprüchen in der

Leistungserbringung im stationären und ambulanten Pflege- und Betreuungsbereich begleitet.

Stark sichtbar ist dies an Institutionen, die sich zusehends an New-Public-Management

Strategien wie Effizienzkriterien, betriebswirtschaftlicher Nutzenoptimierung und

Kosteneinsparungen orientieren müssen. Diese Veränderungen betreffen besonders die

Pflegepolitiken sowie die Leistungspolitiken der Organisationen. Leistungspolitiken können als

Set an Praktiken beschrieben werden, die bestimmen, was als Leistung gilt. Beschäftigte in

Altenpflegeeinrichtungen müssen mit den veränderten Leistungsanforderungen umgehen lernen

und diese in den Pflegealltag integrieren, um den Ansprüchen gerecht zu werden. Für die

Pflegenden verdichtet sich nicht nur der Leistungsumfang, sondern daraus können auch

widersprüchliche Erwartungen resultieren. Es können Wertekonflikte entstehen, wenn zum

Beispiel ökonomisch bezifferte Zeitkontingente einem langsamen Vorankommen in der Arbeit

mit älteren Menschen gegenüber stehen. In diesem Zusammenhang wird das Verständnis, was

als Leistung gilt, und die Frage nach „guter Pflege“ neu herausgefordert. Dammayr führt an,

dass „gute Pflege als legitime Leistung ein bestimmtes Verhältnis zwischen Leistung und

Gerechtigkeit“ umfasst. Leistung ist demnach ein zentrales Prinzip, das subjektive

Gerechtigkeitserfahrungen widerspiegelt. Ebenso sind mit dem Leistungsprinzip Fragen der

Verteilung von Bedeutung und daran messen sich Fragen der Gerechtigkeit. Die Definition von

Leistung in der Pflege gestaltet sich allzeit als schwierig, da sich vor dem Hintergrund der

aktuellen Umstrukturierungen in den Wohlfahrtsstaaten die Leistungsansprüche verändert

haben (vgl. Dammayr 2019: 11f).

Zusammenfassend können drei Tendenzen festgehalten werden, die die modernen Ansprüche

an Pflegeorganisationen betreffen: Familisierung, Aktivierung bzw. Subjektivierung und

Privatisierung. Im Zuge der Familisierung wird der informelle Pflegebereich durch „Cash for

Care“ Politiken gestärkt. Wie beim Ansatz von Leitner bereits aufgezeigt, kommt es in Österreich

zu einem Wandel von einem impliziten zu einem expliziten Familialismus der eine Abschöpfung

eines informellen und kostengünstigeren Pflegepotenzials zur Folge hat. Die

Umstrukturierungen bewirken einen Rückbau sozialstaatlicher Prinzipien und gleichzeitig die

Page 34: Neue Wege der Pflegeorganisation in Österreich

34/111

Einführung von Aktivierungspotenzialen in Form von mehr Eigenmanagement und

Selbstbestimmung der BürgerInnen. Die Bevölkerung wird als autonome und souverän

handelnde Instanz gesehen, die individuelle Bedürfnisse selbst regelt. Dies kann zu

Überforderungen führen und Familien holen sich bei der Übernahme der Pflege von

Familienangehörigen Hilfe von osteuropäischen Migrantinnen. Diese entlastende Variante, auch

für den Staat, wurde in Österreich durch eine Gesetzgebung 2007 und im Rahmen von „live in

Arrangements“ (24-Stunden Betreuung) legalisiert. Der Pflege- und Sorgemarkt gilt mittlerweile

als gewinnträchtiger Zukunftsmarkt, der durch zahlreiche privatwirtschaftlich-gewinnorientierter

Einrichtungen seinen Ausdruck findet. Diese Privatisierungstendenzen bringen international

agierende Care-Unternehmen erfolgreich dazu Care-Service und –Produkte zu verkaufen (vgl.

Bachinger 2016: 39f; Dammayr 2015: 316).

Die Vielfalt der Ausrichtungen bezüglich des Begriffs „Care“ verdeutlicht, wie sich Care in

Zusammenhang mit Gleichberechtigung der Geschlechter, Organisation und Ökonomisierung

der Pflegearbeit in den Wohlfahrtsstaaten verändert hat. Gleichzeitig zeichnen sich Tendenzen

der Vermarktlichung von Care ab, die Wahlfreiheit, Flexibilität, Effizienz und Qualität von

Pflegearbeit in ein neues Licht rücken und in der gegenwärtigen Verfasstheit verschiedene

Auswirkungen nach sich ziehen (Von Alemann 2015: 160).

Page 35: Neue Wege der Pflegeorganisation in Österreich

35/111

3. CNC

Durch den Wandel der Pflegearbeit in den Wohlfahrtstaaten und der Ansprüche an die

Organisation von Care wird der Ruf nach innovativen Organisationsstrukturen immer lauter (vgl.

Schaeffer 2017: 20). Im österreichischen Sozialsystem dienen jedoch traditionell als erste

Kontaktstelle für gesundheitliche Herausforderungen hausärztliche Praxen oder Ambulanzen in

Spitälern. Um Hospitalisierung und vermehrte Kosten zu vermeiden, müsste auf der

Primärversorgungsebene, die ohnehin in Österreich unzureichend entwickelt ist, das

Pflegesystem in das Gesundheitssystem integriert werden. Der Ausbau der Primärversorgung

ist international betrachtet weiter fortgeschritten, jedoch österreichweit ebenso Zielsetzung

politischer Reformbestrebungen. Als innovatives Organisationskonzept kann hier der

Community Nurse Ansatz genannt werden (vgl. Huter 2020: 58). Vor allem international nimmt

das Pflegepersonal im Kontext der Primärversorgung seit vielen Jahren eine bedeutende Rolle

ein. Diese Handlungsfelder der Pflege werden je nach Aufgabenbereich als Public, Family oder

Community (Health) Nurses (C(H)N) bezeichnet. Die Implementierung dieser Berufsgruppen

erfolgte in Österreich kaum bzw. nur zum Teil (vgl. Pichlbauer 2018: 9; Haubitzer et al. 2020:

37).

3.1. Definition von Community (Health) Nurses

Community Nurses (CN) oder Community Health Nurses (CHN), beide Begriffe werden in der

Literatur synonym verwendet, sind Pflegepersonen mit public-health-bezogenen,

pflegespezifischen Aufgabenfeldern und Tätigkeitsbereichen. Eine klare Abgrenzung zu Public

oder Family Health Nurses gestaltet sich als schwierig, da die Tätigkeitsprofile ineinander

greifen und sich überschneiden. Im Rahmen der Masterarbeit wird nur auf CHN eingegangen.

Durch die CHN haben Pflegebedürftige eine Ansprechperson, jedoch nicht nur für die, die

bereits einen Pflegebedarf aufweisen, sondern auch für jene, die nicht pflegebedürftig sind.

Krankheitsprävention und Gesundheitsförderung, Gesundheitsinformation und –bildung nehmen

hier einen wichtigen Tätigkeitsbereich ein, mit dem Ziel die Gesundheits- und

Selbstmanagementkompetenz der Bevölkerung zu stärken (vgl. Vasak 2020: 11).

Eine CHN ist in der Lage, die Bedürfnisse der Bevölkerung zu erheben und dementsprechend

erste pflegespezifische, präventive und gesundheitsförderliche Maßnahmen zu setzen. CHN

kann auch mit „Gemeindeschwester“ übersetzt werden und steht für eine gemeindenahe

Versorgung. Sie nimmt eine Gatekeeper Funktion ein. Dies bedeutet, Konzepte einer

gemeindenahen Versorgung, auch CNC genannt, stehen für einen niederschwelligen Zugang zu

Versorgungsleistungen, indem die CHN die wichtigste Funktion als VermittlerIn inne hat. Sie

ersetzen nicht die ärztliche Komponente, sondern werden als tragender ergänzender Part

Page 36: Neue Wege der Pflegeorganisation in Österreich

36/111

angesehen. Die Idee von CNC ist in ländlichen Gegenden die Versorgungsstrukturen zu

verbessern und Ambulanzen in Spitälern in urbanen Zentren zu entlasten (vgl. Haubitzer et al.

2020: 39).

CNC werden auch in Zusammenhang mit Primärversorgungseinrichtungen gebracht. Das

bedeutet, CHN sind in Primärversorgungszentren bzw. –einheiten zu finden und bilden eine

tragende Rolle bei der Zusammenarbeit und Versorgung Pflegebedürftiger. International werden

solche multiprofessionellen Primärversorgungsmodelle auch als Community Health Centres

bezeichnet. Hauptklientel sind vulnerable Gruppen, die ein komplexes Krankheitsbild aufweisen.

Vor allem chronisch Kranke und ältere Personen zählen dazu. Um auf die verschiedenen

Bedarfslagen entsprechend zu reagieren, wird eine teambasierte, umfassende Versorgung

ermöglicht. Zum Team gehören ÄrztInnen, TherapeutInnen und zu einem überwiegenden Teil

Pflegepersonen, bestehend aus „Registered Nurses“ und „Nurse Practitioner“ oder APN

(Adavanced Practice Nurses).

Dem International Council of Nurses (ICN) zufolge ist eine APN eine „Pflegefachperson, welche Expertenwissen, Fähigkeiten zur Entscheidungsfindung bei komplexen Sachverhalten und klinische Kompetenzen für eine erweiterte pflegerische Praxis erworben hat, wobei die Ausprägungen der Kompetenzen vom jeweiligen Kontext und/oder Land, in welchem sie für die Ausübung ihres Berufs zugelassen ist, geprägt werden. (Ehrentraut et al. 2019: 47)

Der Unterschied zwischen „Registered Nurses“ und „Nurse Practitioner“ oder APN besteht in der

Ausbildung und den Kompetenzen. Erstere schließen mit einem Bachelor-Abschluss ab und

letztere mit einem Master-Abschluss. In den Ländern Australien, Kanada, Irland, Niederlande,

Neuseeland und den USA ist ein Master-Abschluss obligatorisch. Zusätzlich wird den Nurse

Practitioners oder APN mehr Autonomie gewährt und arbeiten somit mehr eigenverantwortlich.

Sie verfügen über die Fähigkeit, eigenständig zu diagnostizieren, Diagnostik zu veranlassen und

zu interpretieren, Medikamente und Behandlungen zu verschreiben. Im Gegenzug müssen

diese alle fünf Jahre eine erneute Zertifizierungsprüfung ablegen. Dadurch arbeiten Registered

Nurses vermehrt in Krankenhäusern und Nurse Practitioner oder APN in

Primärversorgungseinheiten (vgl. Ehrentraut et al. 2019: 49; Schaeffer 2016: 22).

Das Konzept der Community Nurse und deren Bestandteile wird anhand des „Buurtzorg

Modells“ in den Niederlanden und dem Konzept der PVE in den nächsten Kapiteln detailliert

dargestellt. Buurtzorg bedeutet „Betreuung in der Nachbarschaft“ (Hauer 2016: 1). Diese

Modelle wurden ausgewählt, da es das CNC am besten beschreibt und auf Grund

evidenzbasierter Daten am vielversprechendsten erscheint.

Page 37: Neue Wege der Pflegeorganisation in Österreich

37/111

3.2. Das „Buurtzorg Modell“ in den Niederlanden

3.2.1. Die Idee des Konzepts

Die Organisation Buurtzorg in den Niederlanden hat auf unterschiedlichen Ebenen hohe

Aufmerksamkeit erlangt. Es gilt als Vorreiter bei der Umsetzung des Konzepts der Community

Nurse und scheint somit die ambulante Pflege in den Niederlanden revolutioniert zu haben.

„Community Nurses spielen eine zentrale Rolle. Schließlich wissen Sie am besten, wie man

KlientInnen in ihrer jeweiligen Situation am besten unterstützen kann“ sagt Jos de Blok, einer

der Gründer von Buurtzorg (vgl. Leichsenring, Staflinger 2017: 52).

Das Buurtzorg Modell steht für ein Erfolgsmodell, das innerhalb eines Jahrzehnts großes Wachstum und Beliebtheit erlangt hat. Vor allem steht es für eine gemeindenahe Pflege mit

hohem Innovationsgrad, das nicht nur Angebote für ältere Menschen, sondern auch die Felder

der Geburtsnachsorge, Jugendhilfe und der psychiatrischen Angebote ausgebaut hat (vgl. Wasel und Haas 2018: 596). Buurtzorg schreibt selbst auf der Homepage, es ist eine

wegweisende Gesundheitsorganisation, die im Jahr 2006 durch vier CHN gegründet wurde (vgl.

www.buurtzorg.com).

Diese GründerInnen waren mit der vorherrschenden Hauskrankenpflege unzufrieden, die durch

eine tayloristische Pflege, starke Bürokratie und unzureichende Kommunikation zwischen den

Leistungserbringern charakterisiert war. Diese Entwicklungen sind ebenfalls in Österreich

ersichtlich. Das Pflegepersonal äußerte Unzufriedenheit über eine fehlende Wertschätzung und

die Erbringung einer ganzheitlichen Pflege. Ein Dilemma ist die Folge: Pflegekräfte wird eine

ganzheitliche Pflege gelehrt und vermittelt, jedoch stoßen sie in der Praxis wegen derzeitiger

Rahmenbedingungen und Arbeitsorganisationen an ihre Grenzen. Die Zersplitterung der

Pflegetätigkeit führte zur Entwertung der Fachqualifikationen und die Qualität der Pflege litt

darunter. Viel qualifiziertes Pflegepersonal verließ die Berufssparte und schlussfolgernd kam es

zu einer Verlagerung vieler Pflegeaufgaben an unqualifiziertes Personal. Das Resultat zeigte

sich in einem starken Kostenanstieg und Wettbewerb zwischen den AnbieterInnen. Das

Gegenteil eines neoliberal geprägten und marktorientierten Pflegewesens wurde somit erzielt.

Ziel dieses niederländischen Konzepts ist es, die ganzheitliche Arbeit an Pflegebedürftigen in

den Vordergrund der Langzeitpflege zu rücken. Wie funktioniert das Erfolgsmodell Buurtzorg?

(vgl. Hauer 2016: 2; Leichsenring 2015: 20; Leichsenring, Staflinger 2017: 53).

Page 38: Neue Wege der Pflegeorganisation in Österreich

38/111

3.2.2. Bestandteile des Konzepts

3.2.2.1. Orientierung an den KlientInnen und ihren Bedürfnissen

Das Pflegekonzept stellt die Bedarfslagen der KlientInnen in den Mittelpunkt. Die Mängel der

Langzeitpflege beschreibt Buurtzorg anhand drei Ebenen: Die individuellen Bedarfslagen von

Personen werden in der ambulanten Versorgung nicht ausreichend wahrgenommen (forcierte

Arbeitsteilung, wenig geschultes Personal), Bestehen einer Lücke zwischen den Kompetenzen

der Pflegefachkraft und der realen Organisation von Pflegeleistungen (Ganzheitlichkeit) und das

Fehlen der Kommunikation zwischen den Berufsgruppen. Um diese Mängel zu beheben,

braucht es ein Zusammenspiel von sozialen und gesundheitlichen Komponenten. Ziel ist es, ein

möglichst langes und selbstständiges Leben zu Hause zu ermöglichen. Eine wichtige Frage ist:

Was kann die Person noch selbst bzw. wo ist Unterstützung notwendig? Buurtzorg ermöglicht

DGKP die gesamte Versorgung für KlientInnen sicherzustellen. Dadurch soll eine Verbesserung

der Betreuungsqualität der KlientInnen und eine steigende Mitarbeiterzufriedenheit erzielt

werden. Dafür wird die Selbstständigkeit der zu Betreuenden gestärkt und informelle Netzwerke

wie Angehörige oder NachbarInnen werden aktiviert und organisiert. Versorgungsleistungen, die

dadurch nicht abgedeckt werden können, werden durch PVZ oder Buurtzorg Mitarbeiter

übernommen. Um die Bedarfslagen der KlientInnen zu erheben, ist es notwendig viel Zeit zu

investieren (vgl. Leichsenring, Staflinger 2017: 53).

Der erste Kaffee. Pflegekräfte können sich ehrlich für Leben, Vergangenheit, Umstände, Umfeld, geistliche und soziale Bedürfnisse der KlientInnen interessieren. Es wird versucht, in Gesprächen den bestmöglichen Weg für den Klienten und die Förderung der Eigenständigkeit zu finden, die Bedarfslage ganzheitlich zu erheben und anschließend einen individuellen Pflegeplan zu erstellen. (Leichsenring, Staflinger 2017: 54)

Das Pflegekonzept wurde von erfahrenen CHN entwickelt und umfasst folgende Kernaspekte

(siehe Abb2):

Page 39: Neue Wege der Pflegeorganisation in Österreich

39/111

Abbildung 2 Bestandteile des Buurtzorg Modells

(vgl. Leichsenring 2015: 22)

3.2.2.2. Arbeitsorganisation

Buurtzorg ist ständig auf der Suche nach einer Zusammenarbeit im In- und Ausland, um das

Modell weiterzuentwickeln und als globales Lernnetzwerk zu fungieren. Aktuell ist die

Organisation in 24 Ländern aktiv, beschäftigt über 10.000 DGKP und AssistentInnen in 850

selbstverwalteten Teams mit der Unterstützung von 15 regionalen TrainerInnen (vgl.

www.buurtzorg.com).

Sie geben an, den Grundsatz „Menschlichkeit statt Bürokratie“ zu verfolgen. Das Hauptziel ist,

dass MitarbeiterInnen entsprechend ihrer Berufung selbstständig, ganzheitlich und zielorientiert

(qualitativ und quantitativ) Pflegeleistungen durchführen. Die Teams bestehen aus zwölf

Mitgliedern mit verschiedenen Funktionen. Pflegefachkräfte müssen einen dreijährigen

Bachelorabschluss vorweisen, AssistentInnen eine zweijährige Ausbildung. In jedem Team

befinden sich mindestens 50% mit einem Bachelor Abschluss. Jedes Team für sich ist dafür verantwortlich, den Gesamtprozess zu steuern. Dazu zählt das Personalmanagement

(Personalaufnahme, flexible Arbeitszeiten, Kündigungen), Organisationsstruktur (Besprechungen, Funktionen), Arbeitsorganisation- und Management, Fortbildungsbesuche,

Bezahlung und Wirtschaftlichkeit. Die Grundsätze dieser Teams lauten:

Page 40: Neue Wege der Pflegeorganisation in Österreich

40/111

• pro Team maximal 12 Personen

• Produktivität muss bei 60% liegen

• Personal besteht ausschließlich aus ausgebildeten Pflegefachkräften

• alle Entscheidungen werden im Team getroffen

• keine feste Leitung, nur verschiedene Funktionen, die rotierend von den Mitgliedern wahrgenommen werden

• TrainerInnen (Pflegefachkräfte mit Zusatzausbildung Konfliktmanagement) wirken im Hintergrund unterstützend mit, hierarchisch nicht übergeordnet (vgl. Wasel und Haas 2018: 600)

Im Regelfall ist ein Team für rund 50 KlientInnen in der Nachbarschaft zuständig. Dies entspricht einer Pflegeperson von fünf bis sieben zu betreuende Personen. Die Beschäftigten sind direkt

aus der Region, in der sie auch arbeiten. Für die Kommunikation und den Austausch mit anderen Teams steht ein IT-System zur Verfügung. Das Dokumentations- und

Abrechnungssystem ist zentral organisiert und wird von einem extra Office Management betreut (vgl. Ehrentraut et al. 2019: 30; Wasel und Haas 2018: 602).

3.2.2.3. Merkmale einer modernen Arbeitsorganisation

Die Prinzipien der Arbeitsorganisation nach Buurtzorg sind Teile einer modernen

Organisationsform, die Frederic Laloux (2014: 34) in unterschiedlichen Branchen (IT, Automobil,

Dienstleistungssektor, Nahrungsmittelproduktion) identifiziert hat. Laloux bezeichnet das

Organisationsparadigma als „neue Stufe des menschlichen Bewusstseins“ und es beinhaltet

einen klar definierten Organisationszweck, Einsatz kleiner, flexibler Teams und eine

ganzheitliche Herangehensweise. Laloux definierte folgende Kategorien:

Page 41: Neue Wege der Pflegeorganisation in Österreich

41/111

Strukturelle Aspekte

Organisationsstruktur Autonome Teams, unterstützt durch Coaches

Koordination Keine Hierarchie

Funktionsbeschreibung Gleichberechtige Aufgabenverteilung im Team

Personalmanagement

Personalaufnahme Durch KollegInnen im Team

Personaleinführung/Weiterbildung Je nach individuellen Fähigkeiten

Flexible Arbeitszeit Individuelle Gestaltung

Beförderungen Nicht vorgesehen

Entlassungen Als letzter Schritt

Arbeitsorganisation und Management

Teamrollen Intern vergeben, gleichwertig

Entscheidungsfindung Dezentralisiert

Strategieentwicklung Gemeinsam als Team

Rolle der Führung

Führungsverständnis Sichtweise als Coach

Grundqualifikation Fachbereich Pflege

Aufgabenfeld der Verwaltung Einschreiten nur bei Bedarf

Tabelle 2 Merkmale einer modernen Arbeitsorganisation

(vgl. Laloux 2017: 77, eig. Darstellung)

Alle diese Merkmale werden bei Buurtzorg gelebt. Laloux beschreibt Organisationen als

lebendige Systeme, die auf den Fähigkeiten der MitarbeiterInnen beruhen. Ziel ist es nicht als

Management die Richtung vorzugeben und zu kontrollieren, sondern die MitarbeiterInnen dazu

zu motivieren an der Entwicklung der Organisation mitzuarbeiten (vgl. Laloux 2014: 55 und

2017: 100).

3.2.3. Positive Effekte und Limitationen des Pflegekonzepts „Buurtzorg“

Grundlage für die positiven Kennzahlen ist das sehr gut ausgebildete Pflegepersonal und die

Orientierung an ganzheitlicher Pflege. Die Förderung der Autonomie der KlientInnen und die

Involvierung informeller Netzwerke sind zentrale Bestandteile davon. Dies führte zu einer

veränderten Wahrnehmung der Pflege und den Versorgungsleistungen in der Gemeinde. Am

meisten sticht als positiver Effekt die große Zufriedenheit auf Seiten der Pflegefachkräfte und

KlientInnen hervor. Ebenso sprechen sich die PVZ und die Gemeinden anerkennend über die

Zusammenarbeit mit den Buurtzorg Teams aus. Die Zufriedenheit wird als ein Indikator für

Qualität gewertet und gemessen. Seit der Einführung von Buurtzorg wird die Organisation durch

Page 42: Neue Wege der Pflegeorganisation in Österreich

42/111

mehrere Evaluationsstudien und von einem Qualitätsmanagement begleitet. Ebenso sind sie

dazu verpflichtet, regelmäßig Kundenbefragungen durchzuführen (vgl. Leichsenring 2015: 23).

Für Buurtzorg und die Qualität der Pflege spricht, dass Buurtzorg 30% bessere Werte als vergleichbare Einrichtungen erzielt. In den Niederlanden wurde dafür ein einheitliches,

nationales Bewertungssystem (CQ = Client Quality) eingeführt (vgl. Alders 2015: 57; Wasel und Haas 2019: 32).

Buurtzorg selbst sagt, dass es für eine teilautonome Organisation ohne Hierarchie, Macht,

Kontrolle und Eingriffe stehe. Dieser Eindruck stimmt nicht ganz, da viele Entscheidungen durch strukturelle Festlegungen im Vorhinein geklärt wurden. Das Pflegemodell nach Buurtzorg zeigt

die Wiederbelebung und Weiterentwicklung des Community Nurse Ansatzes. Hier werden

Pflegebedürftige als selbstbestimmte Personen gesehen, die eingebunden in ein Unterstützungsnetzwerk leben. MitarbeiterInnen erfassen ganzheitlich das soziale Umfeld und

leiten davon individuelle Pflegeleistungen ab. Gleichzeitig arbeitet das Pflegepersonal mit anderen Berufsgruppen zusammen (vgl. Ehrentraut et al. 2019: 31; Wasel und Haas 2018: 601).

Für andere Länder stellt sich die Frage, ob sich diese Form der Pflegeversorgung wirtschaftlich

lohnt. Wasel und Haas (2019: 31) stellen Leistungen und deren Kosten anderen niederländischen, vergleichbaren Pflegediensten gegenüber und kommen zu dem Ergebnis,

dass Buurtzorg weniger direkte Pflege leistet bzw. Buurtzorg in der Gesamtbetrachtung der Kosten gleich teuer ist. Aus einer kritischen Perspektive heraus, kann die These vertreten

werden, dass die Qualität der Leistung hoch, jedoch die direkte Pflege bei Buurtzorg weniger

und teurer ist. Gegenargument liefert die Organisation, indem sie vertritt, dass sich weniger direkte Pflege aus dem Pflegekonzept ergibt und nur ausgebildete Pflegefachkräfte beschäftigt

sind. Dies sorge für mehr Kundenzufriedenheit und Versorgungsqualität. Das Argument, dass bei Buurtzorg weniger direkte Pflege herrscht, wird auch in den Zusammenhang gebracht, dass

bei größerer Produktivität die Leistungen schneller erbracht werden. Buurtzorg erbringt die Leistung in der Hälfte der Zeit gegenüber anderen Pflegediensten, sie rechtfertigen dies mit

höherer Motivation, Fachkompetenz und besserer Infrastruktur. Kritisch hinterfragt wird ebenso, dass Buurtzorg im Durchschnitt Pflegebedürftige 5,5 Monate begleitet. Andere Pflegedienste

betreuen ihre KlientInnen im Schnitt 7,5 Monate. Buurtzorg argumentiert hier, dass die Teams von Buurtzorg effektiver arbeiten und die Selbstständigkeit der KundInnen mehr fördert bzw.

wiederherstellt (vgl. Alders 2015: 58; Wasel und Haas 2019: 33).

Obwohl das kein ursprüngliches Ziel von Buurtzorg war, wird immer wieder hervorgehoben, dass

durch dieses Versorgungskonzept es zu einem Kostenrückgang und Einsparungen kommt. Wie

Page 43: Neue Wege der Pflegeorganisation in Österreich

43/111

bereits erwähnt ist die durchschnittliche Dauer der Inanspruchnahme von Pflegeleistungen

kürzer und somit durchschnittlich 40% weniger Zeit nötig, um den Pflegebedarf zu befriedigen.

Daraus folgt, dass die Gemeinkosten bei Buurtzorg um 8% niedriger sind als bei vergleichbaren AnbieterInnen, bei denen sie sich auf rund 25% belaufen. In diesem Zusammenhang wird auch

Kritik geübt, indem vorgebracht wird, dass Buurtzorg „profitablere“ KlientInnen betreut, das bedeutet weniger pflegebedürftige Personen aufnimmt. Buurtzorg argumentiert, dass die

Leistungsfähigkeit nicht auf einer vordefinierten Klientenstruktur beruht (vgl. Leichsenring 2015: 23).

3.3. Das Konzept der PVE in Österreich

Angelehnt an internationale Modelle (siehe CNC und Buurtzorg) und die beschriebenen

positiven Effekte wurden in Österreich Primärversorgungseinheiten (PVE) geplant und bereits

implementiert. Reformprozesse des öffentlichen Gesundheitswesens beinhalten als

strategisches Ziel den Ausbau der Primärversorgung und die ambulante Fachversorgung zu

forcieren bzw. umzusetzen (vgl. Bachner et al. 2020: 20). Mit der Implementierung von PVE

wurde dies ebenfalls in einem Gesetz geregelt, dem sogenannten Primärversorgungsgesetz

(PrimVG).

Laut §2 PrimVG (BGBI. Nr. 131/2017) ist eine PVE eine verbindliche und strukturierte Zusammenarbeit gemäß dem Versorgungskonzept (§ 6) nach außen, vor allem gegenüber der Bevölkerung im Einzugsgebiet, als Einheit auftretende Erstanlaufstelle im Gesundheitsversorgungssystem und hat als solche Angebote zur Förderung von Gesundheit und Prävention vor Krankheiten und für eine umfassende Behandlung von Akuterkrankungen und chronischen Erkrankungen zur Verfügung zu stellen, sowie die für eine gesamtheitliche und kontinuierliche Gesundheitsvorsorge und Krankenversorgung erforderlichen Maßnahmen zu koordinieren.

Der Gesetzgeber hat zudem gesetzlich festgehalten, dass zu dem Kernteam ÄrztInnen für

Allgemeinmedizin und DGKP zählen, ebenso Angehörige anderer Gesundheits- und

Sozialberufe (siehe §2 Abs. 2 und 3 PrimVG (BGBI. Nr. 131/2017)). Wie in Abb3. ersichtlich,

liegt Österreich beim Ausbau der PVE international im niedrigen Sektor.

Page 44: Neue Wege der Pflegeorganisation in Österreich

44/111

Abbildung 3 Ausbau der Primärversorgungsstrukturen international

(vgl. Pichlbauer 2018: 9)

Aktuell gibt es österreichweit 16 PVE, die sich auf fünf Bundesländer beschränken. Dazu zählen

Burgenland, Niederösterreich, Steiermark, Wien und OÖ. In OÖ sind laut PrimVG (BGBI. Nr.

131/2017) welche in Enns, Marchtrenk, Haslach und Sierning-Neuzeug in Betrieb. Diese 16 PVE

versorgen zum Stand Ende 2019 1,37% der Bevölkerung, wobei sich diese Zahl in OÖ auf

2,02% beläuft. Geplant ist bis 2021 75 neue PVE zu schaffen und dafür werden 200 Mio. €

zweckgewidmet (siehe Art. 31 der 15aVereinbarung B-VG). Als Gründe für die Forcierung der

PVE werden die Entlastung des akutstationären Bereichs, Vermeidung von Hospitalisierungen

und Krankenhausaufenthalten und die Erkenntnis des Potenzials zur Optimierung bzw.

Effizienzsteigerung von PVE genannt (vgl. Bachner et al. 2020: 22). Ebenso wurde die

Wichtigkeit der Implementierung einer CHN im Regierungsprogramm 2020-2024

festgeschrieben. Gesundheitsminister Rudolf Anschober bekräftigt, dass CHN in ländlichen und

Page 45: Neue Wege der Pflegeorganisation in Österreich

45/111

urbanen Zentren unumstößlich sind, in Zusammenhang mit PVE als notwendiges Konzept und

generell als wohnortnahe Beratungs-, Kommunikations-, Unterstützungs- und

Entlastungsangebote fungieren. Die Grundidee „eingebunden in die Gemeinde, wo

Pflegebedürftige die Sozialstruktur kennen“ ermöglicht Zugang zu Menschen und deren

bestmögliche Versorgung (vgl. Golla 2020).

3.4. Rollen und Aufgaben einer DGKP als CHN

Bereits jetzt arbeitet das Pflegepersonal mit anderen Berufsgruppen in PVE zusammen. Zum

Kernteam zählen somit in österreichischen PVE Ärztinnen, TherapeutInnen aus den Bereichen

Diätologie, Physio, Ergo, Logo, Psychologie und Sozialarbeit und Pflegepersonen. Das

Pflegepersonal besteht aus DGKP, jedoch weicht die Rolle einer DGKP als CHN von der

allgemein bekannten Rolle einer DGKP in Österreich ab. CHN übernehmen vor allem public-

health-bezogene pflegespezifische Aufgaben. Doch was beinhalten diese genau? Das

Minnesota Departement of Health hat ein evidenzbasiertes Handbuch „Intervention Wheel“

(siehe Abb.4) für die Pflegepraxis im Bereich der öffentlichen Gesundheit zusammengestellt,

das die Bedeutung von Public Health Nursing im Kontext von CHN thematisiert. Das Handbuch

soll, auf der Grundlage von Fachliteratur und Expertenwissen, als Leitfaden für die Pflegepraxis

dienen und zu einer erleichterten Anwendung verhelfen. Es symbolisiert eine gemeinsame

Sprache von Pflegepersonen. Egal in welchem Bereich das Pflegepersonal tätig ist, es setzt

eine Reihe von Interventionen. Interventionen sind die Durchführung von Maßnahmen, um den

Gesundheitszustand zu verbessern oder zu schützen (vgl. Minnesota Departement of Health

2019: 9).

This framework, known as the Intervention Wheel, defines the scope of public health nursing practice by type of intervention and level of practice (individual/family, community, or systems), rather than by the site of service (...). The Intervention Wheel describes the scope of practice by what is similar across settings and describes the practice of public health nursing at the individual/family, community, or systems level. The Intervention Wheel answers the question, “What do public health nurses do?” and delineates public health nursing as a specialty practice of nursing. These interventions are not exclusive to public health nursing, as they are also used by other public health disciplines, except for delegated functions. (Minnesota Departement of Health 2019: 10)

Page 46: Neue Wege der Pflegeorganisation in Österreich

46/111

Abbildung 4 "Intervention wheel"

(vgl. Minnesota Departement of Health 2019: 11)

Grundsätzlich beschreibt das „Intervention Wheel“, dass CHN auf drei Ebenen mit 17

Interventionsmöglichkeiten arbeiten. Dazu zählen die Ebene des Individuums und der Familie,

der Gemeinde oder Gemeinschaft und die Systemebene. Die erste Ebene beinhaltet die

Aufgaben, Wissen und Verhaltenseinstellungen von Individuen und deren Familien

herauszufiltern und diese bei gesundheitsgefährdenden Aspekten in einem nachhaltigen

Prozess zu ändern. Das Ziel ist hier, längerfristig die Gesundheitskompetenz zu steigern. Auf

der zweiten Ebene gelten die selben Vorgehensweisen, jedoch fällt der Bezug auf

Gemeinschaften oder Gemeinden. Hier werden Versorgungsengpässe in Gemeinden analysiert

und entgegengewirkt. Die dritte Ebene wird als die übergeordnete Systemebene bezeichnet. Die

gesammelten Informationen aus den Gemeinden werden hier verwendet, um in den Landes-

und Bundesministerien Veränderungen voranzutreiben. Alle drei Ebenen sind miteinander

verknüpft (vgl. Minnesota Departement of Health 2019: 13).

Bezogen auf das Aufgabenfeld speziell auf Gemeindeebene sucht eine CHN nach allen

gesundheitsschädlichen und –förderlichen Aspekten, die die Gesundheit einer Bevölkerung in

einer Gemeinde betreffen können. Es wird ein Netz mit allen relevanten Berufsgruppen

organisiert und durch kontinuierliche Zusammenarbeit Beziehungsarbeit geleistet. Durch den

Page 47: Neue Wege der Pflegeorganisation in Österreich

47/111

niederschwelligen Zugang kann eine CHN Vertrauen zu allen Personen aus der Gemeinde

aufbauen und spezifische Versorgungsleistungen vermitteln. Hier wird wieder die Gatekeeper

Funktion der CHN deutlich. Einer CHN ist es möglich, eine individuelle Betreuung

durchzuführen, aber auch bei systemrelevanten Gesundheitsgefährdungen können mit allen

Verantwortlichen im Gesundheitsbereich Interventionen gesetzt werden. Dies alles kann als

Mehrwert für das Sozialsystem generiert werden (vgl. Haubitzer et al. 2020: 42).

Bei der Anwendung des „Intervention Wheels“ und dessen Interventionsbereiche einer CHN in

Österreich und bezogen auf eine DGKP, zeigt sich, dass die Voraussetzungen für diesen

Tätigkeitsbereich bereits gegeben und im GuKG verankert sind. Laut §13 Kernkompetenzen

GuKG (BGBI. Nr. 108/1997) beinhalten diese:

• pflegerische Kernkompetenzen §14

• Kompetenz bei Notfällen §14a

• Kompetenzen bei medizinischer Diagnostik und Therapie §15

• Weiterverordnung von Medizinprodukten §15a

• Kompetenzen im multiprofessionellen Versorgungsteam §16

• Spezialisierungen §17

Die wichtigsten Aufgabenfelder einer CHN sind in den §14,15 und 16 GuKG (BGBI. Nr.

108/1997) geregelt. §14 GuKG (BGBI. Nr. 108/1997) umfasst die Planung und Durchführung

von Interventionen im Pflegeprozess, Identifikation und Überwachung von

Gesundheitszuständen, Organisation, Gesundheitsförderung und Prävention. Das Mitwirken bei

medizinischer Diagnostik und Therapie beinhaltet die „eigenverantwortliche Durchführung

medizinisch-diagnostischer und medizinisch-therapeutischer Maßnahmen und Tätigkeiten nach

ärztlicher Anordnung“ und ist in §15 GuKG (BGBI. Nr. 108/1997) geregelt. Hier wird der

Unterschied zu den Tätigkeitsbereichen einer Nurse Practitioner oder ANP deutlich, die zum

Beispiel in Amerika oder Kanada arbeiten. Diese verfügen über mehr Kernkompetenzen, jedoch

ist die Ausbildung dafür auf Masterniveau und muss regelmäßig zertifiziert werden.

Seit der GuKG Novelle 2016 ist für DGKP nun laut §15 Abs. 4, Z6 (BGBI. Nr. 108/1997) das

„Verabreichung von Vollblut und/oder Blutbestandteilen erlaubt, einschließlich der

patientennahen Blutgruppenüberprüfung mittels Bedside-Tests“. Generell wird ersichtlich, dass

der Gesetzgeber mehr Kompetenzen von ärztlicher Seite auf das Pflegepersonal überträgt und

somit zu mehr Eigenverantwortlichkeit veranlasst. Ein wichtiger Teil einer CHN ist in Österreich

in §16 GuKG (BGBI. Nr. 108/1997) geregelt. Hier kommt die interdisziplinäre Zusammenarbeit

zur Sprache. DGKP haben das „Vorschlags- und Mitwirkungsrecht. Sie tragen die

Durchführungsverantwortung für alle von ihnen in diesen Bereichen gesetzten pflegerischen

Page 48: Neue Wege der Pflegeorganisation in Österreich

48/111

Maßnahmen“. Zusätzlich ist im GuKG verankert, dass der multiprofessionelle Kompetenzbereich

„Maßnahmen zur Verhütung von Krankheiten und Förderung der Gesundheit, Aufnahme- und

Entlassungsmanagement, Beratung, interprofessionelle Vernetzung, Informationstransfer,

Koordination und Organisation von Betreuungsprozessen“ beinhaltet (siehe §16 Abs. 3 GuKG

(BGBI. Nr. 108/1997).

Der österreichische Gesundheits- und Krankenpflegeverband hat im Zuge der vermehrten

Etablierung von PVE ein Leistungsprofil für die „Rollen und Aufgaben des DGKP in einer PVE“

erstellt, da die Tätigkeitsprofile in der Praxis nach wie vor unklar waren. Dieser Leitfaden dient,

ebenso wie das „Intervention Wheel“ auf internationaler Basis, in Österreich Klarheit über die

Aufgabenfelder einer DGKP in PVE zu geben (vgl. Brandstätter et al. 2018: 3f).

3.5. CHN als attraktives Arbeitssetting?

3.5.1. Chancen und Grenzen

Wie bereits beschrieben hatte die Organisation Buurtzorg nicht nur die Ermöglichung

ganzheitlicher Pflege entsprechend den Bedürfnissen der KlientInnen zum Ziel, sondern auch

die Aufwertung der beruflichen Kompetenzen des Pflegepersonals. Niederländische

MitarbeiterInnen von Buurtzorg äußern eine mehrheitliche Zufriedenheit bei der Ausübung

dieser Form der Pflege. Als Gründe dafür werden genannt, dass das gesamte Personal

ausschließlich aus ausgebildeten Fachkräften besteht und es keine Management- oder

Coachingebenen gibt. Die teilautonomen Strukturen ermöglichen den MitarbeiterInnen große

Eigenverantwortlichkeit im Wertschöpfungsprozess. Ebenso tragen die IT-Struktur und die

Möglichkeit auf eine funktionierende und vernetze Digitalisierungsstruktur zurückgreifen zu

können, zu einem guten Arbeitsumfeld bei (vgl. Wasel und Haas 2019: 36).

Das Buurtzorg Modell stellt in jeder Hinsicht ein attraktives Arbeitssetting für DGKP dar. Die

Rollen und Aufgaben einer CHN sind ein spannender Tätigkeitsbereich, der für einen

vielseitigen Job sorgt. Die österreichische Regierung versucht schon länger, das Berufsbild der

Pflege aufzuwerten und mehr Personal zu gewinnen. Das CNC und die Aufgabenfelder einer

CHN könnten als Chance gesehen werden, um die Ausübungen des Pflegeberufes attraktiver zu

gestalten (vgl. Voss 2017: 211, Vasak 2020: 10 und 50). Eine Interviewpartnerin, die bereits in

einem PVZ arbeitet und zum Teil Tätigkeiten, angelehnt an eine CHN, ausübt, meint dazu:

Page 49: Neue Wege der Pflegeorganisation in Österreich

49/111

Auf alle Fälle. Es wird immer mehr, auch durch die Medien, sehe ich wie die Bedingungen im Krankenhaus sind. Es wird immer blöder. Bei uns sind die Arbeitsbedingungen sicher super, keine Schicht am Wochenende, Feiertag oder in der Nacht. Viele junge Pflegekräfte kurz nach der Ausbildung fragen sich: warum soll ich mir das antun? Es ist erwiesen, dass Schichtarbeiter früher sterben und die Lebensqualität immer miserabler wird. Für mich war das ein Grund den Arbeitsplatz zu wechseln und somit ein Zugewinn an Lebensqualität. (IP 2)

Generell sehen die Interviewpartnerinnen das Berufsbild der CHN als attraktives Arbeitssetting.

Es sei vielseitig und es wird direkt mit Menschen gearbeitet, besonders in einem persönlichen

Umfeld. Es kann ein Vertrauensverhältnis aufgebaut werden und für eine gute Versorgung zu

Hause viel erreicht werden. Trotz den vielen Möglichkeiten des ö. Pflegewesens sind viele

BürgerInnen nicht bedarfsgerecht versorgt, teilweise ineffizient und nicht qualitätsvoll (vgl. IP 1,

2 und 3).

Ich finde auch, dass es für die Bevölkerung ein totaler Gewinn ist, weil sie an einem Ort (PVZ) ganz viel Versorgung haben. Dadurch ersparen wir vielen den Krankenhausaufenthalt. Für viele ältere Menschen ist das eine große Prozedur, wenn sie von A nach B gefahren werden müssen. (IP 1)

Pflegefachkräfte, die zu einem PVZ gewechselt haben, haben in ihrer Arbeitsbiographie vorher

zum Großteil in einem stationären Setting wie in einem Krankenhaus oder in einem Alten- oder

Pflegeheim gearbeitet. Als Gründe können für den Arbeitswechsel die Umstände, die die

Ausübung des Pflegeberufs mit sich bringt, z.B. die Schichtarbeit (Wochenende, Feiertag,

Nacht) und die Arbeitsbedingungen generell gesehen werden:

Ich habe so lange ohne Unterbrechung gearbeitet, ich habe keine Kinder. So hat man als Frau durch eine Karenz mal Pause, aber das war bei mir nicht der Fall. Ich habe für mich selbst gesagt: ich muss noch so lange arbeiten, damit ich das körperlich durchstehe muss ich etwas verändern. (IP 1)

Mir ist es dann schon ziemlich schlecht gegangen auf der Intensivstation, aus mehreren Gründen und mir hat es überhaupt nicht mehr gefallen, und ich habe dann gekündigt. (IP 2)

Eine weitere Pflegefachperson erläuterte die Arbeitsbedingungen in der Pflege in einem

Altenheim:

Ich habe gerne in der Pflege gearbeitet, aber es haben dann für mich die Rahmenbedingungen nicht mehr gepasst. Die Dienstzeiten sind ausgedehnter geworden, lange Mittagspausen, somit ist der Tag solange. Die Umstände sind auch immer schwieriger geworden. Die Zeit mit den Bewohnern ist immer kürzer geworden. Das ist vor allem die Zeit, wo man auftanken kann, indem wir uns mit den Bewohnern beschäftigen. Das hat mir sehr gefehlt. (IP 3)

Die Pflege ist der Puffer für Bereiche, wo etwas nicht funktioniert. Wir müssen das kompensieren, egal ob Arzt, Assistenten, Therapeuten, und in Ordnung bringen, weil die nicht in der Lage sind sich zu organisieren. Das ist das schwierige an unserem Beruf, dass wir uns klar abgrenzen müssen und nicht Verantwortung für andere übernehmen. Ein altes Leid der Pflege, und wir können alle nicht NEIN sagen. (IP 2)

Page 50: Neue Wege der Pflegeorganisation in Österreich

50/111

Interviewausschnitte erläutern deutlich, wie die aktuelle Stimmung in der Pflege ist.

Aktuell steht Österreich vor der Herausforderung, genügend qualifiziertes Pflegepersonal zu

beschaffen. Dies betrifft Personal im Krankenhaus und in der Langzeitpflege. Das BMASGK und

die Gesundheit Österreich GmbH schreiben im Bericht von 2019, dass unter Berücksichtigung

der demographischen Entwicklung bis 2030 ein Bedarf an Pflegefachkräften von 31.400

Personen nötig ist. Zusätzliche 41.500 Pflegepersonen sind notwendig, um bei der Abdeckung

von Pensionierungen, da ein Drittel der Pflege- und Betreuungspersonen über 50 Jahre alt ist,

2030 Pflege gewährleisten zu können. Die Personalbedarfsprognose kommt zu dem Schluss,

dass bis 2030 in Summe 75.700 Personen in den Beruf der Pflegefachkraft einsteigen müssten,

um die Versorgung der Bevölkerung zu sichern. Dies entspricht einem jährlichen Bedarf an

zusätzlichen Pflegefachkräften von 3.900 bis 6.700. Dem gegenüber stehen 4.800

AbsolventInnen von pflegerischen Ausbildungsstätten, jedoch auf Grund der sinkenden

Schülerzahlen besteht jetzt schon Handlungsbedarf (vgl. BMASK und Gesundheit Österreich

GmbH 2019: 5).

Ebenso gibt es laut Gesundheitsberuferegister Personen, die als Pflegefachkraft ausgebildet,

jedoch nicht mehr in diesem Beruf tätig sind. Hier besteht großes Potenzial, diese durch eine

Aufwertung des Pflegeberufes wieder zurückzuholen. Großer Punkt hier, ist die herausfordernde

Berufsqualität und die Bezahlung. Viele Pflegepersonen fühlen sich nicht wertgeschätzt, klagen

über zunehmende Bürokratisierung, zu wenig Zeit für PatientInnen und über die generelle

Arbeitssituation und die Arbeitsbedingungen (siehe Interviewzitate oben) (vgl. Golla 2020). Dies

gilt nicht nur für das Pflegepersonal in stationären Einrichtungen, sondern auch für die

ambulante Pflege. Die Anforderungen an eine psychosoziale, gerontopsychiatrische und

medizin-pflegerische Versorgung steigen. Die Berufsprofile sind nicht ausreichend an den

wandelnden Versorgungsbedarf angepasst worden. Es benötigt in der Pflege einen

Qualifikationsmix, der ein gestuftes Modell beinhaltet. ExpertInnen in der Literatur raten zu den

herkömmlichen Ausbildungen (DGKP, Pflegefach- bzw. PflegeassistentInnen) und welchen auf

akademisierter Ebene (Bachelor bzw. Masterabschluss) (vgl. Etgeton 2019: 4).

Dieser Personalmix und die Etablierung der CHN als neues Berufsbild in Österreich könnten

ebenso dazu beitragen, das „Image“ der Pflege aufzuwerten und für das Pflegepersonal als

attraktives Arbeitssetting in Erscheinung treten. Es wäre ein Paradigmenwechsel zu der immer

stärkeren Arbeitsverdichtung bei der Ausübung von Pflege und Betreuung. Die Einbeziehung

der Pflegefachkräfte in die Pflegeorganisation ist bedeutend, da diese vor Ort sind. Die

Implementierung von Fachhochschulen und der Abschluss einer DGKP auf Bachelor Niveau

kann als Ansatzpunkt für die Neugestaltung von Arbeit einer DGKP diskutiert werden.

Page 51: Neue Wege der Pflegeorganisation in Österreich

51/111

Spezialisierungen auf Master Niveau in der Pflege sind in Österreich bereits möglich. Österreich

befindet sich in der Entwicklung bzw. Implementierung solcher Masterstudiengänge (siehe

Abb.5) (vgl. Ehrentraut et al. 2019: 48; Haubitzer et al. 2020: 50).

In Deutschland zum Beispiel hat weniger als 1% des Pflegepersonals einen

Hochschulabschluss, in Österreich sind die Zahlen ähnlich. In den Niederlanden ist es gelungen,

in der Pflege ein attraktives Angebot an qualifizierenden Studiengängen zu etablieren, da 40%

aller Auszubildenden ein solches Angebot annehmen. Hier werden vor allem Fähigkeiten der

Reflexion und Kommunikation gefördert, die sich positiv bei Steuerungsaufgaben und bei

direkter Pflege niederschlagen. Studien belegen, dass eine höhere Qualifikation der Fachkräfte

und ein Fachkräftemix die Qualität der Pflege verbessert bzw. das Berufsbild der Pflege

aufwertet (vgl. Etgeton 2019: 5).

Abbildung 5 Fachkräftequalifizierung

(vgl. Ehrentraut et al. 2020: 50)

Bund und Länder versuchen in hohem Maße Schritte zur Förderung der Qualifizierung und

Ausbildung von Pflege- und Betreuungspersonen zu setzen. Einen großen Beitrag leistet das

Arbeitsmarktservice, das seit Jahren den Fokus auf Qualifizierungsschwerpunkte bei

Gesundheits- und Pflegeberufen legt. Dazu zählt das Fachkräftestipendium seit 01. Jänner

2019. Die österreichische Regierung führt zusätzlich Maßnahmen auf Ebenen der

Page 52: Neue Wege der Pflegeorganisation in Österreich

52/111

Personalanwerbung (Steigerung der Attraktivität), der Personalbindung (Vermeidung des

Berufsausstiegs) und Effizienzverbesserung durch. Involviert sind hier zahlreiche Akteure wie

Bund, Land, Gemeinden, Sozialpartner, Berufs- und Interessensvertretungen,

Trägereinrichtungen, Ausbildungsstätten und Forschungseinrichtungen. Die Maßnahmen

beinhalten zum Beispiel Informationsveranstaltungen, Praktika und Schnuppertage,

ausländischem Personal den Berufseinstieg zu erleichtern, Drop-out-Raten während der

Ausbildung zu senken, wertschätzende Unternehmenskultur zu fördern, lebensphasengerechtes

Arbeiten durch Kompetenz- und Karriereentwicklung zu ermöglichen, GuKG-Novellen

umzusetzen und zu evaluieren, Digitalisierung und neue Betreuungs- und

Versorgungsarrangements zu entwickeln (vgl. BMASGK und Gesundheit Österreich GmbH

2019: 7).

Ebenso sind der Ausbau hochschulischer Ausbildungsangebote, Etablierung neuer Berufsbilder

wie ANP und die dazugehörigen rechtlichen Rahmenbedingungen und die konsequente

Einbeziehung der akademisierten PflegeexpertInnen in die stationäre und ambulante

Versorgungspraxis von Bedeutung (vgl. Etgeton 2019: 6).

3.5.1. Internationale Etablierung von ANP und PVZ

Erweiterte Rollen und Spezialisierungen in der Pflege oder auch Aufgabenneuverteilungen im

Gesundheitswesen, besonders im Bereich der Primärversorgung, stehen international gesehen

schon sehr viel länger an der Tagesordnung als in Österreich oder Deutschland. Hierorts wird

erst seit rund zehn Jahren darüber diskutiert, wie man die Akademisierung der Pflege und das

Berufsbild der ANP, die Entwicklungen im Bereich der Pflege und deren Image aufgebessert

werden kann. Als Vorreiter für die Einführung von ANP Modellen, darin ist auch der CN-Ansatz

zu finden, gelten die USA (vgl. Mueller et al. 2016: 110f) und Kanada. Bereits in den 1960er

Jahren starteten diese Länder mit den entsprechenden Qualifikationen. Seit den 1990er Jahren

sind sie auch in Neuseeland, Australien, Niederlande, Schweden und Finnland zu finden (vgl.

Schaeffer 2017: 19).

Die oft beschriebenen Entwicklungstrends (demographischer Wandel, Fachkräftemangel,

Multimorbidität) haben eine Debatte über neue Wege der Versorgungsgestaltung und innovative

Versorgungsmodelle angestoßen. So entstanden multiprofessionelle Primärversorgungszentren,

die nach erweiterten, spezialisierten Pflegerollen wie ANP riefen (vgl. Schaeffer et al. 2015).

Nachfolgend werden Länder beispielhaft ausgewählt und kurz beschrieben, in denen

Pflegefachkräfte ANP Rollen übernehmen und als CHN arbeiten:

Page 53: Neue Wege der Pflegeorganisation in Österreich

53/111

In Ontario/Kanada werden solche Gesundheitszentren als „Community health centres“

bezeichnet. Neben ÄrztInnen und TherapeutInnen bildet das Pflegepersonal die größte

Berufsgruppe. Je nach Ausbildungsniveau (RN oder NP siehe Kapitel 3.1 Definition einer CHN)

übernehmen Pflegepersonen einen Großteil der Versorgung. Vor allem NP, die als CHN tätig

sind, „sind dort mittlerweile vielfach arztersetzend tätig und halten eigene Sprechstunden ab,

arbeiten aber kommunikativer und edukativer als die Ärzte“ (Schaeffer 2017: 22). Seit 2008 gibt

es in Ontario auch „nurse practitioner led clinics“ (NPLC). Dort liegt die ambulante

Primärversorgung vollständig in den Händen von hochqualifizierten, akademisch ausgebildeten

NP. Hier herrscht ein hoher Grad an Autonomie und Eigenverantwortlichkeit (vgl. Schaeffer et al.

2015; Schaeffer 2017: 25).

Der Weg der Pflege in Kanada zur Etablierung von NP mit erweiterten Rollen war ein langer mit

vielen Reformen. Erstmals in der Primärversorgung gab es NP (nurse practitioner) 1970 und

diese wurden als „Primary Health Care Nurse Practitioner“ (PHCNP) bezeichnet. Dies wurde als

Reaktion auf den Ärztemangel in ländlichen Regionen gefördert. Ab den 1990er Jahren kam es

in Kanada zur Forderung, die Pflege stärker in der Position als NP in der Primärversorgung zu

etablieren, da die Reaktionen bis dato positiv ausfielen. Dadurch gelang gesetzlich und

gesundheitspolitisch eine „zweite Etablierungswelle“ von NP. Durch die gesetzliche Absicherung

kam es 1995 an neun Universitäten zur Etablierung der ersten Masterstudiengänge von

PHCNP. Pflegepersonen gründeten im Zuge dessen ein „Canadian Nurse Practitioner Initiative“

(CNPI) unter deren Leitung Literaturanalysen und Evaluierungen zu Kompetenzen und

Ausbildungen einer NP möglich waren. Die Reformen 2012 und 2014 führten dazu, dass dem

Pflegepersonal ermöglicht wurde, sein praktisches Potenzial zu entfalten, indem eine

Aufgabenverlagerung von vormals ärztlichen zu pflegerischen Tätigkeiten erfolgte.

Infolgedessen zählte zu den Errungenschaften, dass Pflegefachkräfte ohne Anweisung des

Arztes, also autonom, Medikamente verordnen und arztersetzend tätig sein dürfen. Dadurch

sind nun beide Berufsgruppen (Arzt und Pflege) gleichermaßen für die Sicherstellung der

medizinischen Primärversorgung zuständig. Heute zählen zu den erweiterten Rollen von ANP

vier Typen: Primary Health Care (PHCNP), Acute Care Nurse Practitioners, Clinical Nurse

Specialists und Nurse Anaesthesists (vgl. Donald et al. 2010: 88f und 2014).

Dieser Prozess der Etablierung von ANP verlief nicht reibungslos. Es benötigte mehrere

Versuche, da Finanzierungsprobleme und Widerstände von ärztlicher Seite das Vorhaben

stocken ließen. Sie sahen Beschneidungen in ihrem Handlungsfeld und befürchteten

Machtverluste. Daher braucht es vor allem einen Rückhalt in der Politik und ein konsequentes

Verlangen nach Veränderung, um neuen Versorgungsmodellen Raum zur Entwicklung zu geben

(vgl. Kaasalainen et al. 2010: 40).

Page 54: Neue Wege der Pflegeorganisation in Österreich

54/111

In Finnland haben diese Entwicklungen ebenso dazu beigetragen, die Struktur der primären

Gesundheitsversorgung auf kommunale Gesundheitszentren umzustellen, wo die Betreuung

zum Großteil von CHN übernommen wird. Ein solches Zentrum versorgt je nach Region 50.000

BürgerInnen und sichert einen niederschwelligen Zugang zu Gesundheitsleistungen wie

Diagnostik, Therapie, Impfungen und Beratungen. Grundsätzlich sind CHN für alle Lebenslagen,

von den Neugeborenen bis zu den Hochbetagten, verantwortlich. In Finnland gibt es zusätzlich

sogenannte „Nurse-Call-Centres“, wo Pflegefachpersonen eine Telefonberatung durchführen.

Elektronische Patientenakten verhelfen zu einem landesweiten Zugriff und einer bestmöglichen

Versorgung (vgl. Marks 2019: 86).

Finnische Pflegekräfte, die als CHN tätig sind, müssen ein dreijähriges Bachelorstudium und ein

halbjähriges Ergänzungsstudium absolvieren und sich registrieren lassen. Somit können sie sich

als Pflegeexperten in der kommunalen Primärversorgung ausweisen und nehmen einen

angesehenen Platz in der Gesellschaft ein. Die CHN sind in einer Gewerkschaft organisiert und

es besteht Tarifautonomie. Grundsätzlich ist die medizinische Versorgung für die finnischen

BürgerInnen kostenfrei, sie wird durch die allgemeinen Steuermittel finanziert. Dies bedeutet, es

gibt keine Krankenkassen und Hausarztpraxen (vgl. Marks 2019: 85).

Und Finnland fährt gut damit: Die Kosten für das durchorganisierte Gesundheitssystem sind in den letzten 25 Jahren mit 8–9 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP) in etwa auf dem gleichen Niveau geblieben. Unter den EU-Mitgliedstaaten liegt das finnische System damit unterhalb der durchschnittlichen Ausgaben. Im europäischen Vergleich schneidet Finnland bei Indikatoren wie der Qualität des Gesundheitswesens, Lebenserwartung, Überlebensraten bei Krebserkrankung, Schlaganfall oder Diabetes seit Jahren gut bis sehr gut ab. (Marks 2019: 86)

Als Vergleich zählen die Ausgaben von Deutschland mit 11,5% des BIP zu den höchsten in der

Europäischen Union (EU). Gleichauf sind auch Frankreich, Schweden und England (vgl. Marks

2019: 88).

Page 55: Neue Wege der Pflegeorganisation in Österreich

55/111

4. Pflegesystem in Österreich

Pflege und Betreuung älterer Menschen sind eines der zentralen Themen in der

österreichischen Sozialpolitik. Die österreichische Regierung hat sich zum Ziel gesetzt,

Rahmenbedingungen für ein modernes und menschengerechtes Pflegesystem in ganz

Österreich sicherzustellen und für die Zukunft zu garantieren (vgl. BMASGK 2018: 22). In

diesem Kapitel wird das Pflegesystem von Österreich im Detail dargelegt.

4.1. Allgemeine Merkmale – Pflegevorsorge

Österreich hat im internationalen Vergleich ein relativ komplexes und schwierig zu

durchschauendes System der öffentlichen Unterstützung pflegebedürftiger Menschen. Wie in

der Einleitung beschrieben, ist das Pflegewesen Teil des Sozialsystems. Gemäß Vereinbarung

Artikel 15a B-VG (BGBI. Nr. 866/1993) sind Bund und Länder übereingekommen, eine

bundesweite Pflegevorsorge für pflegebedürftige Personen nach gleichen Zielen und

Grundsätzen zu regeln. In §1 Art. 15a B-VG (BGBI. Nr. 866/1993) wird festgehalten, dass die

Pflegeleistungen unabhängig der Ursache der Pflegebedürftigkeit gewährt werden und sie, unter

den gleichen Voraussetzungen, als gleiche Leistungen anhand eines Mindeststandards

erfolgen. Pflegeleistungen werden aus allgemeinen Steuermitteln sowie Kostenbeiträgen von

NutzerInnen finanziert (vgl. Schmidt 2014: 15). Im Pflegesystem besteht das

Geldleistungsprinzip, da die Organisation der Pflege jedem selbst obliegt. Die Idee des

Geldleistungsprinzips ist, dass der Staat lediglich einen Kostenzuschuss bezahlt und

Pflegeleistungen nicht ausfinanziert. Dem gegenüber steht das Gesundheitssystem, das dem

Sachleistungsprinzip unterliegt und relativ geringe Selbstbehalte aufweist. Hier sind Tendenzen

erkennbar, dass Anreize entstehen, PatientInnen in das Gesundheitssystem zu drängen und

dies eine Ursache für die extrem hohe Krankenhaushäufigkeit in Österreich sein kann. Andere

Gründe können zum Beispiel unkoordinierte, ambulante, ärztliche Versorgungen oder die

mangelnde Integration des Pflegesystems in das Gesundheitssystem auf der

Primärversorgungsebene sein (vgl. Pichlbauer 2018: 7f).

Grundsätzlich erfolgt die staatliche Unterstützung in Form von Geld- oder Sachleistungen. Bei

nachgewiesener Pflegebedürftigkeit erhalten Personen Geldleistungen, die entweder als

Pflegegeld oder Zuschüsse für definierte Leistungen (Pflegekarenz, Pflegeteilzeit) erbracht

werden und auf bundesstaatlicher Ebene geregelt sind (siehe Bundespflegegeldgesetz).

Sachleistungen kommen indirekt zur Anwendung, indem die Länder verpflichtend dafür Sorge

tragen flächendeckend und dezentral, aufbauend auf die bestehenden Strukturen, soziale

Dienste zu organisieren. Laut §4 Organisation in Art. 15a B-VG (BGBI. Nr. 866/1993) sind die

Länder für die Koordination und Organisation der sozialen Dienste verantwortlich. In der

Page 56: Neue Wege der Pflegeorganisation in Österreich

56/111

nachfolgenden Darstellung (Abb6) sind die Finanzierungstöpfe des Sozialministeriums von 2017

bzgl. der Pflegevorsorge in Österreich ersichtlich.

Abbildung 6 Österreichische Pflegevorsorge

(vgl. Pichlbauer 2018: 9)

Die Darstellung zeigt, dass Österreich für öffentliche Ausgaben in der Langzeitpflege in etwa 5

Milliarden Euro investiert hat. Dies kommt 1,4 Millionen Menschen zugute, die von dem Thema

Pflege und Betreuung direkt betroffen sind (pflegende Angehörige, BezieherInnen von

Pflegegeld). Wie in der Literatur beschrieben will auch Österreich das Prinzip „Pflege daheim vor

stationär“ (siehe „Ageing in place“) forcieren, da es aus familiären und finanziellen Gründen für

das Pflegesystem geboten erscheint (vgl. BMASGK 2018: 22).

Page 57: Neue Wege der Pflegeorganisation in Österreich

57/111

4.2. Zuständigkeiten Bund

Der Bund unterstützt Pflegebedürftige mit Geldleistungen (siehe Art. 15a B-VG), die in Form des

Pflegegeldes erbracht werden. Bereits 1993 führte Österreich, als eines der ersten Länder

Europas, das Pflegegeld als nicht-einkommensabhängige Geldleistung ein. Das Pflegegeld

bildet seitdem eine wichtige Säule des österreichischen Pflegesystems. Der 1. Jänner 2012 stellt

eine große Zäsur im österreichischen Pflegegeldsystem dar. Vor diesem Zeitpunkt war das

Pflegegeld in den jeweiligen Landespflegegeldgesetzen sowie im Bereich der Opferfürsorge

geregelt. Seit dem Inkrafttreten des Pflegegeldreformgesetzes am 1. Jänner 2012 liegt die

Gesetzgebung und Vollziehung beim Bund und alle Pflegebedürftigen werden nach einer

einheitlichen Rechtsgrundlage und Einstufungsverordnung eingestuft. Die Eckpunkte der

Reform waren: Aufhebung der Landespflegegeldgesetze, Reduktion der Entscheidungsträger

von 303 auf 8 und Übertragung der Zuständigkeiten und Durchführung auf die

Pensionsversicherung und die BVA (Versicherungsanstalt öffentlicher Bediensteter). Ab diesem

Zeitpunkt kommen ausschließlich die Bestimmungen des Bundespflegegeldgesetzes (BPGG)

(BGBl. Nr. 110/1993) zur Anwendung (vgl. Greifeneder 2011: 108; Schmidt 2014: 19).

4.2.1. Pflegegeld

Jede pflegebedürftige Person in Österreich hat einen Rechtsanspruch auf Bezug des

Pflegegeldes. Laut §1 BPGG (BGBI. Nr. 110/1993) hat das Pflegegeld den Zweck „in Form

eines Beitrages pflegebedingte Mehraufwendungen pauschaliert abzugelten, um

pflegebedürftigen Personen soweit wie möglich die notwendige Betreuung und Hilfe zu sichern

sowie die Möglichkeit zu verbessern, ein selbstbestimmtes, bedürfnisorientiertes Leben zu

führen“. Die Höhe des Pflegegeldes orientiert sich an sieben Bedarfsstufen. Bei Gewährung der

Stufe 1 ist ein Pflegebedarf von mindestens 65 Stunden monatlich Voraussetzung (siehe §4

Anspruchsvoraussetzung BPGG (BGBI. Nr. 110/1993) und Tab3).

Page 58: Neue Wege der Pflegeorganisation in Österreich

58/111

Stufe

Anspruchsvoraussetzung

(§4 BPGG) (Stunden pro

Monat)

Höhe in € pro Monat (§5

BPGG)

Stufe 1 65 157,30

Stufe 2 95 290,00

Stufe 3 120 451,80

Stufe 4 160 677,60

Stufe 5 180 920,30

Stufe 6 180 1.285,20

Stufe 7 180 1.688,90

Tabelle 3 Pflegegeld

(BGBI. Nr. 110/1993, Stand September 2020)

Stufe 6 wird gewährt, wenn zusätzlich „unkoordinierbare Betreuungsmaßnahmen während des

Tages und der Nacht zu erbringen sind oder die dauernde Anwesenheit einer Pflegeperson

nötig ist, weil eine wahrscheinliche Eigen- oder Fremdgefährdung gegeben ist“. Die höchste

Stufe (Stufe 7) wird gewährt, wenn „keine zielgerichteten Bewegungen der vier Extremitäten mit

funktioneller Umsetzung möglich sind“ (siehe §4 BPGG (BGBI. Nr. 110/1993)).

Die Einführung von Geldleistungen hatte vordergründig die Funktion, Pflegebedürftigen mehr

Entscheidungsfreiheit bei der Wahl der am besten geeigneten Pflegeleistung zu bieten. Sie

sollen ermöglichen, Betreuungspersonen im familiären Umfeld oder durch formale

DienstleisterInnen finanziell zu entlohnen oder für die Verwendung von Sachleistungen zu

dienen. EmpfängerInnen des Pflegegeldes können somit frei entscheiden, auf welche Art die

Geldleistung genutzt wird. Somit zählt es in Europa zu den Pflegegeldern mit dem geringsten

Regulierungsgrad. Jedoch können durch solch wenig regulierte Zahlungsleistungen Grauzonen

entstehen. Wie in der Literatur bereits beschrieben, kann eine starke monetäre Ausrichtung zur

Folge haben, dass sozioökonomisch schlechter gestellte Bevölkerungsgruppen dazu neigen,

Geldleistungen für die Bezahlung von Familienangehörigen als für den Erwerb sozialer Dienste

zu verwenden (vgl. Schmidt 2014: 23). Oft ist das Pflegegeld nicht ausreichend, um

professionelle Pflege damit zu finanzieren. Es baut auf die Verfügbarkeit von Angehörigen bzw.

auf die kostengünstigere Pflege durch Familienmitglieder auf. Mit dem Pflegegeldbezug bzw. mit

der Einstufung des Pflegegeldes gehen auch andere Sozialleistungen für pflegebedürftige

Personen einher. Wie zum Beispiel die Aufnahme in eine stationäre Einrichtung, wie hoch der

finanzielle Eigenanteil im Fall der Beanspruchung von stationären, teilstationären und mobilen

Diensten ist oder ob Pflegekarenz/-teilzeit in Anspruch genommen werden kann (vgl. Mairhuber

und Sardadvar 2018: 38).

Page 59: Neue Wege der Pflegeorganisation in Österreich

59/111

An den Kosten (2,2 Milliarden € 2018) für das Pflegegeld wird ersichtlich, dass viele BürgerInnen

in Österreich diese Geldleistung in Anspruch nehmen. Seit der Pflegegeldreform 2012 haben im

Jahr 2018 462.179 Personen Pflegegeld bezogen (Stand 2012: 440.896 BezieherInnen). Die

Hälfte der BezieherInnen 2018 befindet sich in den Stufen 1 und 2. Der Anteil 2018 in Stufe 1

beträgt 27,6% und in Stufe 2 21,9% (Stand 2012: 22,5% bzw. 29,9%).

Die Entwicklungen von 2012 bis 2018 (siehe Abb7) zeigen, dass der Anteil der BezieherInnen in

Stufe 1 gestiegen bzw. in Stufe 2 gesunken ist. Als Grund dafür kann die Neudefinition der

Zugangskriterien der Pflegegeldstufen 1 und 2 mit Wirkung vom 1. Jänner 2015 gesehen

werden. Die Anspruchsvoraussetzungen haben sich durch diese Novelle erhöht. Vor 1. Jänner

2015 waren in Stufe 1 Pflegebedarfe mit durchschnittlich mehr als 60 Stunden pro Monat bzw. in

Stufe 2 mit 85 Stunden pro Monat erforderlich. Die Stufen 3-7 machen die andere Hälfte der

gesamten BezieherInnen aus, wobei sich nur 2% in der höchsten Stufe (7) befinden. Die

Einstufung erfolgt durch medizinische Gutachter der Pensionsversicherungsträger (vgl.

BMASGK 2018: 16).

Abbildung 7 Anteil der Pflegegeldstufen in %

(vgl. BMASGK 2018: 16)

Page 60: Neue Wege der Pflegeorganisation in Österreich

60/111

4.2.2. Pflegefonds

Die österreichische Regierung hat 2011 einen Verwaltungsfonds eingerichtet, der die

Bezeichnung „Pflegefonds“ trägt. Rechtlich geregelt ist dies im Pflegefondsgesetz (PFG) (BGBI.

Nr. 57/2011). Aus diesem Fonds werden Leistungen in Form von Zweckzuschüssen gewährt,

mit dem Ziel, die Länder und Gemeinden im Bereich der Langzeitpflege zu unterstützen. Ziel

dieses Pflegefonds (siehe §1 Errichtung und Ziele des Pflegefonds PFG BGBI. Nr. 57/2011) ist

es gleichzeitig, „eine Sicherung und Verbesserung der bedarfsgerechten Versorgung

pflegebedürftiger Menschen und ihrer Angehörigen mit bedürfnisorientierten und leistbaren

Betreuungs- und Pflegedienstleistungen, eine österreichweite Harmonisierung im Bereich der

Dienstleistungen der Langzeitpflege und einen bedarfsgerechten Aus- und Aufbau des

Betreuungs- und Pflegedienstleistungsangebotes“ zu erreichen. Die Aufbringung der Mittel

erfolgt nach dem Finanzausgleichsgesetz 2017 zu 2/3 Bund und 1/3 Länder. Die Aufteilung der

Pflegefondsmittel an die Länder erfolgt nach dem Bevölkerungsschlüssel. Der Pflegefonds bleibt

vorerst bis 2021 bestehen und 2020 wird insgesamt ein Zweckzuschuss von 399 Millionen Euro

und 2021 von 417 Millionen Euro bereitgestellt (vgl. §2 Mittelbereitstellung PFG BGBI. Nr.

57/2011).

Im §2a PFG (BGBI. Nr. 57/2011) ist der Versorgungsgrad und Richtversorgungsgrad geregelt.

Der Richtversorgungsgrad ist ein Zielwert und wird für die Jahre 2017 bis 2021 mit 60vH

festgelegt. Der Versorgungsgrad ergibt sich aus dem „Verhältnis der Anzahl der im Kalenderjahr

betreuten Personen im Land zuzüglich der Personen, denen bzw. deren Angehörigen

Zuschüsse zum Zweck der Unterstützung der 24-Stunden-Betreuung gewährt wurden und der

Anzahl der Personen mit Anspruch auf Pflegegeld gemäß dem Bundespflegegeldgesetz im

Jahresdurchschnitt“. Somit spiegelt der Versorgungsgrad den Anteil betreuter Personen an den

pflegebedürftigen Menschen im Bundesland wider. Für Oberösterreich ergibt sich ein Wert von

70,8% (vgl. BMASGK 2018: 30).

Laut §3 Widmung des Zweckzuschusses PFG (BGBI. Nr. 57/2011) sind die Länder verpflichtet,

die bereitgestellten Mittel in den Auf- und Ausbau sowie Sicherung der Angebote im Bereich der

Langzeitpflege einzusetzen. Diese sind Angebote der mobilen und stationären Betreuungs- und

Pflegedienste, teilstationäre Tagesbetreuung, Kurzzeitpflege in stationären Einrichtungen, Case-

und Caremanagement, alternative Wohnformen, mehrstündige Alltagsbegleitungen und

Entlastungsdienste (ab 2017), qualitätssichernde Maßnahmen und innovative Projekte.

Für das Jahr 2018 wurden insgesamt 365.928.201,00 € Pflegefondsmittel zur Verfügung

gestellt, wobei davon 61.139.854,01 € für Oberösterreich veranschlagt wurden (vgl. BMASGK

2018: 31).

Page 61: Neue Wege der Pflegeorganisation in Österreich

61/111

4.2.3. Pflegedienstleistungsdatenbank und -statistik

Im Zuge der Einführung des PFG ist gleichzeitig die Erstellung einer

Pflegedienstleistungsdatenbank und -statistik erfolgt. Nach den Bestimmungen des PFG (siehe

§5 Pflegedienstleistungsdatenbank und –statistik PFG (BGBI. Nr. 57/2011)) sind die Länder

dazu verpflichtet, jährlich die erforderlichen Daten bzgl. der erbrachten Pflegedienstleistungen

des jeweiligen Bundeslandes an das BMASGK zu übermitteln. Dies ermöglicht einen

österreichweiten statistischen Vergleich im Bereich der Pflegedienstleistungen und eine genaue

Aufschlüsselung der jeweiligen Bundesländer hinsichtlich der betreuten Personen,

Leistungseinheiten, Kostenarten und Anzahl der Betreuungs- und Pflegepersonen.

4.3. In der Zuständigkeit der Länder

Einen Großteil der österreichischen Pflegevorsorge ist zwar durch die 15a Vereinbarung auf

bundesstaatlicher Ebene geregelt, jedoch die Erbringung von Pflegesachleistungen ist noch

immer Ländersache. Die Pflege ist in der Kompetenzverteilung der Bundesverfassung (siehe B-

VG Art. 10-15) den Bundesländern zugeordnet. Gestützt werden die Bundesländer durch die

Mittel des Pflegefonds des Bundes. Die Sachleistungen sind in den Sozialhilfe-,

Mindestsicherungs- und Heimgesetzen der jeweiligen Bundesländer geregelt. Die Länder

betreiben im unterschiedlichen Ausmaß selbst Pflegeeinrichtungen und vergeben Teile der

Aufgaben an nachgereihte Einheiten, wie Sozialhilfeverbände, eigens geschaffene Fonds oder

Gemeinden. 2017 kam es zur Abschaffung des Pflegeregresses und somit griff der Bund in die

Finanzierung der Sachleistungen ein. Durch das Verbot des Pflegeregresses legte der

Bundesgesetzgeber fest, dass ein Zugriff auf das Vermögen von Personen in stationären

Einrichtungen und deren Angehörigen im Rahmen der Sozialhilfe zur Deckung der Pflegekosten

unzulässig war. Steigende Sozialhilfeausgaben betreffen vor allem die Länder. Das Verbot des

Pflegeregresses hat dies verstärkt. Ebenso sind die Gemeinden durch Regelungen dazu

verpflichtet, sich an der Finanzierung der Nettoausgaben der Länder zu beteiligen. Je nach

Bundesland variiert die Verteilung, jedoch kann davon ausgegangen werden, dass ein

Verhältnis von 50:50 der zu tragenden Pflegekosten jeweils von Land und Gemeinde besteht

(vgl. Köfel 2012: 4).

Trotz der genau geregelten Zuständigkeiten im Pflegewesen bestehen regionale Unterschiede in

der österreichischen Versorgung. Der Rechnungshof hob hervor, dass ein koordiniertes und

zentrales Vorgehen zur Steuerung erforderlich sei. Jedoch zeigen die zahlreichen Versuche (Art.

15a Vereinbarung, Zweckzuschüsse), dass die koordinierte Vorgehensweise des Pflegewesen

Page 62: Neue Wege der Pflegeorganisation in Österreich

62/111

nur eingeschränkt umgesetzt wird, da sowohl Bund als auch Länder einseitige wesentliche

Veränderungen vornahmen. Die Abschaffung des Pflegeregresses, ohne Übergangsregelungen

für die Länder zu erlassen, dient als Beispiel. Der Rechnungshof kritisiert, dass die

Verantwortung für die Finanzierung zwischen Bund und Länder unklar aufgeteilt ist. Hilfe sollen

Instrumente und Gremien bieten, die Finanzpläne und Bedarfs- und Entwicklungspläne (BEP)

sicherstellen. Auf deren Basis kann für Österreich eine abgestimmte Bedarfsprognose für

Pflegeleistungen und darauf aufbauend eine Gesamtstrategie, unter Berücksichtigung der

Schnittstellen zwischen Gesundheit und Pflege, erstellt werden. Für die Länder kam erstmals mit

der Art. 15a Vereinbarung und später mit dem PFG die Verpflichtung BEP zu verfassen. Für den

BEP von OÖ wurde ein Prognosezeitraum von 2015 bis 2021 festgelegt (vgl. Schmidt 2014: 23;

Rechnungshof Österreich 2020: 27 und 67).

Page 63: Neue Wege der Pflegeorganisation in Österreich

63/111

5. Pflegeorganisation in Oberösterreich

Auf Grund der Länderkompetenz wird das Bundesland OÖ herausgenommen und genauer

betrachtet, mit dem Blick auf die Pflege und deren Organisation und Koordination.

5.1. Demografiebedingte Nachfragesteigerung nach Pflegeleistungen

Bevölkerungsprognosen sind gekennzeichnet durch drei Variablen: Fertilitätsraten, Zu- und

Abwanderung und Sterblichkeitsraten (vgl. Famira-Mühlberger und Firgo 2018: 16). Das

Generationenverhältnis zwischen Jung und Alt, so prognostiziert die Statistikabteilung des

Landes Oberösterreich, wird sich bis 2040 weiter verändern: Der Anteil der Jungen wird sinken

und der Anteil der Alten weiter steigen (Personen über 65 Jahre). Vor allem der Anteil der

Hochbetagten (Personen über 85 Jahre) wird stetig mehr (siehe. Abb8) (vgl. Schöfecker 2019:

9). Anhand der Prognose für den Zuwachs an 80+Jährigen wird deutlich, welche Auswirkungen

das Ausmaß der demographischen Entwicklungen auf Pflegekapazitäten darstellt. Der relative

Zuwachs in OÖ der 80+Jährigen zwischen 2017 und 2030 wird voraussichtlich +36,6%

betragen. Mit Blick auf Prognosen zwischen 2017 und 2050 wird sich der voraussichtliche Wert

auf +150% beziffern (vgl. Famira-Mühlberger und Firgo 2018: 18).

Abbildung 8 Altersstrukturveränderung in OÖ

(vgl. Schöfecker 2019: 9)

Page 64: Neue Wege der Pflegeorganisation in Österreich

64/111

5.2. Die Struktur der Langzeitpflege

Die Langzeitpflege wird in Österreich als Teilsystem zwischen Gesundheit- und Sozialsystem

gesehen. Es gliedert sich in einen stationären (Alten- und Pflegeheime), teilstationären

(Tagesstätten, Kurzzeitpflege) und mobilen Sektor (Hauskrankenpflege, Heimhilfe) sowie einer

Reihe unterstützender Maßnahmen wie Case- und Caremanagement (Sozialberatungsstellen)

oder spezialisierte Dienste (Palliativbetreuung). Durch die Ansiedelung an den Schnittstellen

zwischen System- und Lebenswelt von Menschen, stellt die Langzeitpflege ein soziales Risiko

dar, das es zu regulieren gilt. Personen, die Pflegeleistungen der Langzeitpflege in Anspruch

nehmen, sind diesem sozialen Risiko am stärksten ausgesetzt. Dies kann von finanziellen und

rechtlichen Unsicherheiten, Informationslücken, fehlender professioneller Unterstützung über

widersprüchliche Anreizsysteme und Schuldzuweisungen reichen. Deutlich wird dies durch die

Schwachstellen der österreichischen Pflegevorsorge, besonders durch mangelnde Koordination

zwischen Sozial- und Gesundheitsresorts auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene (vgl.

Leichsenring et al. 2016: 2).

Abbildung 9 Struktur der Langzeitpflege in Österreich

(vgl. Leichsenring et al. 2016: 2)

Page 65: Neue Wege der Pflegeorganisation in Österreich

65/111

Wie wird das Pflegewesen in OÖ strukturiert?

In Oberösterreich übernahmen die Steuerungsverantwortung im Bereich der stationären Pflege

und mobilen Dienste das Land, der Sozialhilfeverband und Statutarstädte (Städte mit eigenem

Stadtrecht). Die Leistungserbringung erfolgt privat bzw. öffentlich, dies betraf 2018 133

Pflegeheime (davon 85 von Sozialhilfeverband und Statutarstädten, 21 von Gemeinden und 27

privat). In Oberösterreich spielen die Sozialhilfeverbände eine bedeutende Rolle, die auch für

die Planung und Steuerung zuständig sind (vgl. Rechnungshof Österreich 2020: 59).

Oberösterreich hat im Zuge des PFG Maßnahmen zum Ausbau und zur Sicherstellung von

Pflegeleistungen gesetzt. Mit 01. Jänner 2019 wurde gemäß §16 Abs. 5 Z. 2 Oö. Alten- und

Pflegeheimverordnung festgelegt, dass außerhalb der Tagdienstbesetzung täglich zumindest

eine der Berufsgruppen, Diplomiertes Krankenpflegepersonal oder Pflegefachassistenz,

rufbereit oder vor Ort anwesend sein muss. Des weiteren haben die Sozialhilfeverbände und

Statutarstädte diese Rufbereitschaft bereitzustellen und zu koordinieren. Ebenso wurde ein

Wegweiser für den Neu- oder Zubau von stationären Einrichtungen in Oberösterreich

ausgearbeitet, der helfen soll, Projektplanungen effizienter umzusetzen. Die

Ausbildungsoffensive zeigt neue Möglichkeiten in den Beruf der Pflege einzusteigen. Mit dem

Lehrgang „Junge Pflege“, Vorbereitungslehrgänge oder Kombimodellen will das Bundesland

verstärkt dem Personalmangel entgegenwirken (vgl. BMASGK 2018: 65).

Im BEP von OÖ sind weitere Maßnahmen beschrieben, die dazu beitragen, das Bundesland im

Bereich der Pflegeleistungen zu stützen und auszubauen. In Bezug auf Organisation gibt es

zentrale Punkte wie das Bekenntnis zur Sozialraumorientierung, Implementierung des Care

Aspekts in die Gemeinde (um ein Leben zu Hause zu ermöglichen), mehr Partizipation und

Information in der Öffentlichkeit, Förderung der Kooperation zwischen den sozialen

AnbieterInnen und Herstellen von harmonischen Angeboten (für alle gleich) (vgl. BEP OÖ 2019:

12).

Page 66: Neue Wege der Pflegeorganisation in Österreich

66/111

5.3. Pflegesettings

5.3.1. Informelle Pflege

Österreich setzt primär auf informelle Pflege. Informelle Pflege bedeutet die Betreuung und

Pflege von Pflegebedürftigen durch Angehörige, auch Angehörigenpflege genannt. In Österreich

wird ein Großteil der Pflegeleistungen dadurch abgedeckt. Pflegende Angehörige sind somit

gegenwärtig die zentrale Säule bei der Erfüllung von Pflegeaufgaben. Charakteristika dieser

Form der Pflege sind: zum Großteil durch Frauen (73%), im Alter zwischen 50 und 64 Jahren,

30% sind erwerbstätig und über die Hälfte der pflegenden Angehörigen sind sehr stark bzw.

stark belastet und überfordert (vgl. BMASGK 2018: 11; Neuwirth 2020: 2).

Im Jahr 2020 liegt das Verhältnis von Personen dieser Altersgruppe (Alter der pflegenden Angehörigen) zu Personen ab 80 Jahren bei vier zu eins. Das heißt, eine Person über 80 kann potenziell auf vier pflegende Angehörige zählen. Bis zum Jahr 2060 wird sich dieses Verhältnis drastisch verändern. Eine Person über 80 Jahre wird dann nur mehr auf rund 1,6 potenziell Pflegende kommen. (Neuwirth 2020: 3)

Als Ursache dafür kann die steigende Erwerbsbeteiligung der Frauen und strukturelle und

gesellschaftliche Veränderungen in Wohlfahrtsstaaten genannt werden. Die Doppelbelastung

von Erwerbstätigkeit und Pflege und Betreuung führt zu Forderungen von pflegenden

Angehörigen, die gegenwärtig von Österreich teilweise umgesetzt werden. Dazu zählen

Valorisierung des Pflegegeldes, bessere Unterstützung bei der Bewältigung des Pflegealltages

und die Möglichkeit von Auszeiten (Pflegekarenz und –teilzeit). Pflege nimmt viel Zeit in

Anspruch. Dies wird ersichtlich, da ein Drittel der pflegenden Angehörigen berichten, die zu

Pflegenden, die nicht im selben Haushalt leben, mehrmals täglich aufzusuchen bzw. 22% einmal

täglich vorbei schauen. Ein Großteil der pflegenden Angehörigen übernimmt die Pflege aus

einem Verantwortungsgefühl heraus, indem „etwas zurückgegeben werden kann“. Die

geschätzte Zahl der Personen in Österreich, die informelle Pflege ausführt, liegt bei 801.000

Personen (vgl. BMASGK 2018: 10; Mairhuber und Sardadvar 2018: 40).

Viele der pflegenden Angehörigen sind durch die intensive Betreuung teilzeitbeschäftigt oder

geben die Berufstätigkeit ganz auf und werden in späterer Folge in die Langzeitarbeitslosigkeit

gedrängt. Deswegen hat sich früh (seit den 1990er Jahren) das Konzept der 24h-Betreuung

etabliert, um den Wunsch zu Hause zu altern zu erfüllen und pflegende Angehörige zu entlasten

(vgl. Pichlbauer 2018: 14). Die 24h-Betreuung wird überwiegend von Migrantinnen durchgeführt,

diese decken die Lücken der unbezahlten Arbeit ab. 2007 wird die 24h-Betreuung in Österreich

legalisiert, in das öffentliche Pflegesystem integriert und mit öffentlichen Mitteln subventioniert.

Fast alle Beschäftigungsverhältnisse werden als selbstständige Arbeit im Rahmen des

Personenbetreuungsgewerbes ausgeübt. Es ist ein freies Gewerbe und bedarf keines

Page 67: Neue Wege der Pflegeorganisation in Österreich

67/111

Befähigungsnachweises. Kritisiert wird, dass mit der Regulierung der 24h-Betreuung in

Österreich ein Arbeitssektor mit prekären Arbeitsverhältnissen und –bedingungen gefördert wird,

der vor allem auf Ungleichheiten bzgl. Geschlecht, Ethnie, Migrantisierung und Klasse basiert.

Trotz der Hinweise auf die Arbeitsbedingungen gibt dies keinen Aufschluss über die Qualität der

Pflege. 2013 hat das Sozialministerium 3600 Hausbesuche durchgeführt. In 99% der Fälle

wurde eine ordnungsgemäße bzw. gute Betreuungsqualität festgestellt. Dies spricht für die

starke Verbreitung der 24h-Betreuung (vgl. Bachinger 2016: 39f). Zusammenfassend kann

festgehalten werden, dass pflegende Angehörige, vor allem weibliche, ein zentrales Element

des österreichischen Langzeitpflegeregimes abbilden (vgl. Mairhuber und Sardadvar 2018: 40).

Auch das Bundesland OÖ beteiligt sich an den Ausgaben für 24h Betreuung, die im Rahmen der

Förderung vom Sozialministeriumservice geleistet werden. Die Zahlen zeigen, dass 2016 4.093

Personen eine 24h Betreuung in Anspruch genommen haben. Das sind 5,04% Anteil an den

Pflegebedürftigen. Im Laufe der Jahre bis 2019 nahm die Anzahl der Inanspruchnahme der 24h

Betreuung ab (3.885 Personen bzw. 4,58%) (vgl. Sozialbericht 2019: 49).

5.3.2. Mobile Dienste

Informelle Pflege ist eng mit der Unterstützung durch mobile Dienste verknüpft. Der

Betreuungsbedarf wird nur etwa mit 10% durch professionelle Dienste abgedeckt, der Rest

durch Angehörigenpflege. Zu den mobilen Diensten zählen die Hauskrankenpflege, Heimhilfe,

Familienhilfe, Essen auf Rädern und Besuchs- und Beratungsdienste (vgl. Pichlbauer 2018: 14-

15). Im Speziellen beinhaltet dies Angebote der sozialen Betreuung, Pflege, Unterstützung bei

der Haushaltsführung und Hospiz- und Palliativbetreuung. In OÖ gliedern sich die mobilen

Dienste in die Hauskrankenpflege, die ausschließlich durch DGKP erbracht wird, und die mobile

Betreuung und Hilfe, die von FachsozialbetreuerInnen mit Schwerpunkt Altenarbeit (FSB-A) und

Heimhilfen (HH) durchgeführt wird (vgl. Sozialbericht 2019: 34).

Page 68: Neue Wege der Pflegeorganisation in Österreich

68/111

Mobile Betreuung und Hilfe – FSB -A

2016 2019

Anteil betreuter Personen 13.363 14.119

Leistungsstunden gesamt 840.311,2 819.433,5

Anteil der FSB-A 1.142 1.195

Mobile Betreuung und Hilfe – HH

Anteil betreuter Personen 7.323 7.861

Leistungsstunden gesamt 398.465,6 406.115,8 Anteil der HH 542 593

Tabelle 4 Statistik mobile Betreuung und Hilfe 2019

(vgl. Sozialbericht 2019: 34, eig. Darstellung)

Wie Tab 4 deutlich macht, ist die Anzahl der betreuten Personen von 2016 auf 2019 um rund

5,7% gestiegen. Ebenso ist die Anzahl der FSB-A um rund 4,6% gestiegen. Dasselbe zeichnet

sich bei den HH ab. Die mobile Betreuung und Hilfe in OÖ hat insgesamt 1.225.549,3 Leistungsstunden (Netto-Pflegezeit) generiert (vgl. Sozialbericht 2019: 34).

Hauskrankenpflege

2016 2019

Anzahl betreuter Personen 14.112 17.664

Leistungsstunden gesamt 369.394,8 362.650,8 Anteil der DGKP 645 692

Tabelle 5 Statistik Hauskrankenpflege 2019

(vgl. Sozialbericht 2019: 35, eig. Darstellung)

Hier ist ein deutlicher Anstieg bei der Anzahl betreuter Personen von 2016 bis 2019 durch die

Hauskrankenpflege zu verzeichnen: rund 25% (siehe Tab 5). Bei allen drei Formen der mobilen

Dienste nehmen über 50% der Pflegebedürftigen Leistungen im Ausmaß von 0-5 Stunden pro

Monat in Anspruch. Vereinzelte Personen benötigen Hilfe von 30 Stunden oder mehr pro Monat

(weniger als 2,3%). Durchschnittlich beträgt der Stundenumfang mobiler Dienste pro betreute

Personen und Woche 2016 1,7 Stunden. Oberösterreich ist hier im Ländervergleich niedrig

angesiedelt, da sich der Durchschnitt in Österreich auf 2,3 Stunden pro Woche beläuft (Wien

4,0h/Woche). Bei der Betrachtung nach Bundesländern lassen sich die Unterschiede damit

erklären, dass den erfassten Leistungsstunden keine österreichweit einheitliche Definition

zugrunde liegt (unterschiedliche Leistungskomponenten und Abrechnungseinheiten). Die Kosten

Page 69: Neue Wege der Pflegeorganisation in Österreich

69/111

pro Stunde mobiler Dienste 2016 lagen gesamt für Österreich bei 44,18€, für Oberösterreich bei

42,75€ (Vorarlberg 29,78€; Steiermark 59,52€). Die Differenzen der Kosten bei den Ländern

ergeben sich aus den selben Gründen wie oben genannt (vgl. Rechnungshof 2020: 129f;

BMASGK 2018: 175; Pratscher 2020: 118).

Die mobilen Dienste werden nach Sprengel eingeteilt, das bedeutet auf der Landkarte in OÖ

ergibt sich ein buntes Bild an verschiedene AnbieterInnen. AnbieterInnen in OÖ sind:

• Arbeiter und Samariterbund

• Rotes Kreuz

• Volkshilfe

• Caritas

• Hilfswerk

• ARCUS

• MAH/Seniorenbetreuung

• Miteinander GmbH

• Sozialmedizinischer Betreuungsring Freistadt

• Diakonie

• Sozialhilfeverband Linz-Land

• Vita Mobile

• RIFA

• Sprengelgrenzen MD (vgl. Sozialbericht 2019: 36)

In Bezug auf Sterbebegleitung zu Hause gibt es seit 1994 die Hospizbewegung OÖ. Alle

Hospiz- und Palliativeinrichtungen sind seit 2000 durch den Landesverband Hospiz OÖ vereint.

Die Hospizteams bestehen aus ehrenamtlichen HospizbegleiterInnen und einer hauptamtlich

koordinierenden Fachkraft. Sie sind im stationären Setting wie Krankenhäuser oder Heimen und

im familiären Kreis zu Hause im Einsatz. In allen oö. Bezirken und drei Statutarstädten sind

Hospizteams vorhanden. Zusätzlich gibt es Angebote wie Trauergruppen und Trauercafes (vgl.

Sozialbericht 2019: 36).

Page 70: Neue Wege der Pflegeorganisation in Österreich

70/111

5.3.3. Stationäre Pflege in Alten- und Pflegeheimen

Die Unterbringungskapazitäten mit den meisten Wohn- und Pflegeheimplätzen werden von den

Bundesländern Wien (24%), Steiermark (20%) und Oberösterreich (16%) abgedeckt. Die

Erbringung von Hotelleistungen in Form von Wohnen und Verpflegung sowie Pflege- und

Betreuungsleistungen für pflegebedürftige Personen in eigens dafür errichteten Einrichtungen

wird als stationäre Pflege und Betreuung bezeichnet. Ebenso ist eine durchgehende Präsenz

von Pflegepersonal erforderlich. Die Anzahl der Heimplätze ist die Anzahl aller verfügbaren

Plätze in Heimen, die zur Verfügung stehen. Es wird kein Unterschied zwischen Langzeit- und

Kurzzeitpflegeplatz gemacht. Ein Kurzzeitpflegeplatz ist ein zeitlich begrenztes Angebot bis zu

drei Monate, das vor allem für Personen gedacht ist, welche nach einem Krankenhausaufenthalt

erhöhten Pflegebedarf aufweisen bzw. zur Entlastung pflegender Angehörige. Zum Stichtag 31.

Dezember 2019 stehen in OÖ 12.703 Plätze in 132 Alten- und Pflegeheimen zur Verfügung. Die

Trägergruppen der Heime gliedern sich in Städte (Sozialhilfeverband), Gemeinden und Vereine.

Mehr als die Hälfte der Heime in OÖ gehören zum SHV (70,8%), der Rest mit 11,7% den

Gemeinden und Vereinen mit 17,4% (Stand 2019). Zum Stichtag 31. Dezember 2019 werden

11.781 Personen in stationären Einrichtungen betreut (vgl. Sozialbericht 2019: 37f).

Die Altersstruktur der HeimbewohnerInnen spricht ein klares Bild: Es sind mehrheitlich Frauen

(70%) und weisen ein Alter ab 80 Jahren und älter auf (76,2%). Vor allem ein großer Anteil an

Hochbetagten (90 Jahre und älter) ist vorzufinden (31,2%). Mehr als zwei Drittel der stationär

betreuten Personen wiesen einen erhöhten Pflegebedarf auf und bezogen Pflegegeld der Stufen

4-7 (79,1%). Im Gegenzug dominieren in den mobilen Diensten überwiegend Personen mit den

Stufen 1-3 (vgl. Pratscher 2020: 125). Im Vergleich zu Stand 2016 ist der Anteil der

HeimbewohnerInnen in der Pflegegeldstufe 5 am stärksten angestiegen (33,0% auf 37,8%) und

der Anteil der HeimbewohnerInnen in den niedrigen Pflegegeldstufen (1-3) zurückgegangen.

Dies ist in den Vorgaben des Bundes begründet, da eine Aufnahme in eine stationäre

Einrichtung nur mit einer Pflegegeldstufe 4 oder höher Voraussetzung ist (siehe Kapitel

Pflegegeld) (vgl. Sozialbericht 2019: 40).

Der arbeitsintensivere stationäre Bereich beschäftigt somit die meisten Personen. Hier wird die

Kennzahl Pflegeintensität ermittelt, die in Zusammenhang mit den Bestimmungen über den

Mindestpflegepersonalschlüssel nach oö. Alten- und Pflegeheimverordnung (LGBI. Nr. 82/1998)

steht. „Die Pflegeintensität stellt jene Anzahl von betreuten Personen dar, für die ein/e mit 40

Wochenstunden vollbeschäftigte PflegemitarbeiterIn vorzusehen ist. Je kleiner diese Kennzahl,

desto höher ist der durchschnittliche Pflegebedarf und damit auch der objektive Bedarf nach

einer stationären Versorgung“ (Pratscher 2020: 120).

Page 71: Neue Wege der Pflegeorganisation in Österreich

71/111

Laut §16 Betreuungs- und Pflegepersonal oö. Alten- und Pflegeheimverordnung (LGBI. Nr.

82/1998) darf der Mindestpflegepersonalschlüssel folgenden Stand nicht unterschreiten (siehe

Tab 6):

Pflegegeldstufe Personaleinheit HeimbewohnerInnen

Kein Pflegegeld 1: 24

Stufe 1 1: 12

Stufe 2 1: 7,5

Stufe 3 1: 4

Stufe 4 1: 2,5

Stufe 5 1: 2

Stufe 6 1: 1,5

Stufe 7 1: 1,5

Tabelle 6 Mindestpflegepersonalschlüssel

(eig. Darstellung)

2019 lag diese Kennzahl bei 2,26 (2016: 2,37), dies bedeutet, für die Betreuung von 2,26

Personen wird eine vollzeitbeschäftigte Pflegeperson gerechnet. Der

Mindestpflegepersonalschlüssel ist verbindlich und dient für jedes Heim als Grundlage zur

Berechnung eines Mindestbedarfs an Pflegepersonal mit entsprechender Ausbildung. Ein

Fehlbedarf entsteht, wenn der Mindestbedarf an Personal nicht gedeckt werden kann. Laut

Statistik fehlten 2019 sieben Personaleinheiten (PE) in OÖ, um den

Mindestpflegepersonalbedarf zu erfüllen (vgl. Sozialbericht 2019: 41).

5.3.4. Tagesstrukturierende Pflege und alternative Wohnformen

Tagesstrukturierende Pflegeeinrichtungen und alternative Wohnformen sind grundsätzlich in

Österreich nur zum Teil ausgebaut. Die erstere Form stellt halb- oder ganztägige Angebote für

Betreuung und Pflege zur Verfügung, in deren Rahmen Aktivierungs- und

Beschäftigungsangebote eine bedeutende Rolle spielen. Alternative Wohnformen sind

Einrichtungen für Personen, die zwar nicht mehr alleine wohnen können, aber keiner ständigen

stationären Betreuung bedürfen. Beide Pflegesettings sind international sehr anerkannt, jedoch

sind die Länder in Österreich nur dazu verpflichtet, für den Ausbau der stationären Einrichtungen

zu sorgen und hinken somit hinterher. Oberösterreich will laut BEP 2019 die Plätze für

Tagesbetreuungen und alternative Wohnformen bis 2025 (siehe Tab 7) ausbauen (vgl. BEP

2019: 22).

Page 72: Neue Wege der Pflegeorganisation in Österreich

72/111

Setting

2018 Plätze 2025 Plätze

Tagesbetreuung 661 895

Alternative Wohnformen 38 1.197

2018 Besuchstage 2025 Besuchstage

Tagesbetreuung 68.922 95.972

Tabelle 7 Teilstationäre Dienste

(vgl. BEP 2019: 22)

5.3.5. Case- und Caremanagement

Case- und Caremanagement gliedert sich in zwei Bereiche:

• Koordination für Betreuung und Pflege (KBP)

• Sozialberatungsstellen für Pflege- und Betreuungsbedarfe

Beides sind Instrumente der Sozialhilfe und stellen die Beratungsfunktion in den Vordergrund.

Die KBP hat regionale Funktionen inne, um die Steuerung in den Bezirken zu erleichtern. Die

Hauptaufgaben der KBP sind Casemanagement im Einzelfall wie zum Beispiel Bedarfsanalyse,

Erstellen eines Versorgungsplans oder Überprüfung der Notwendigkeit einer Aufnahme in eine

stationäre Einrichtung. Ebenso das Mitwirken an der Sozialplanung, wie Entwicklung und

Steuerung von Leistungsangeboten oder die Koordination und Vernetzung mit anderen

Einrichtungen wie Sozialberatungsstellen. Hier herrscht eine enge Zusammenarbeit. Der

Unterschied zwischen KBP und Sozialberatungsstellen ist, dass letztere eine Anlaufstelle für alle

Menschen darstellt, die in Notlagen geraten sind, um Zugang zu Unterstützungsleistungen zu

erleichtern. Es ist gesetzlich verankert, dass die regionalen Träger sozialer Hilfe (SHV,

Statutarstädte) für die Errichtung dezentraler Sozialberatungsstellen verantwortlich sind (siehe

oö. Sozialhilfegesetz 1998). Die Anzahl der KundInnen von Sozialberatungsstellen belief sich

2019 auf 33.406 Personen mit 86.961 Beratungsbedarfen. Die Beratungsbedarfe gliedern sich in

die Bereiche: finanzielle Angelegenheiten, Pflege und Betreuung, sonstige Beratungsthemen,

Antragsstellung, Wohnen, Arbeit, Sucht und Gewalt. Hauptsächlich waren Beratungen bei

finanziellen Belangen, Pflege und Betreuung notwendig. Die Delogierungsprävention nimmt

ebenso eine bedeutende Rolle ein. Durch die Beratungen konnte bei 47,3% der KundInnen eine

drohende Delogierung verhindert und der Wohnungserhalt gesichert werden (vgl. Sozialbericht

2019: 48).

Page 73: Neue Wege der Pflegeorganisation in Österreich

73/111

5.3.6. Pflege- und Betreuungspersonal

In der Langzeitpflege in OÖ kommen die Berufsgruppen der DGKP, Diplom- und

Fachsozialbetreuung und HeimhelferInnen zum Einsatz. Im Vergleich zu 2016 kann in allen

Bereichen ein Zuwachs an Fachkräften verzeichnet werden. Als Beispiel bei den DGKP ist ein

Anstieg von 1.377 PE auf 1.430 PE ersichtlich. In Summe beläuft sich das Pflegepersonal in den

oö. Alten- und Pflegeheimen auf 5.860 PE, wobei mehr als die Hälfte der Beschäftigten die

Ausbildung der FSB-A inne hat (64,2%). 24,1% werden als DGKP und 7,7% als Heimhilfe

geführt. Die meisten Beschäftigten sind in den Zentralräumen Linz, Steyr, Linz-Land und Wels-

Land eingesetzt, dies entspricht einem Anteil von 36,6% oder 2.143 PE. Zum Stichtag

31.12.2019 sind in der oö. Langzeitpflege gesamt 6.989 PE beschäftigt. Der erzielte Wert

umfasst alle Pflegefachkräfte mit Ausbildung auf Basis einer Vollzeitbeschäftigung (vgl.

Sozialbericht 2019: 42).

Page 74: Neue Wege der Pflegeorganisation in Österreich

74/111

6. Diskussion, Zusammenfassung und Analyse der Ergebnisse

Mit Hilfe der gewonnenen Erkenntnisse sollen die zu Beginn aufgestellten Forschungsfragen

zusammenfassend beantwortet werden.

6.1. Welche Entwicklungen lassen sich im Wesen und in der Organisation von Care und Wohlfahrtsstaatlichkeit identifizieren?

Care und Carework

Wie aus der Literaturanalyse hervorgeht, ist das Konzept „Care“ charakterisiert durch eine breite

Definition und Debatte. Sie ist geprägt durch die Einbettung in allen Gesellschaftsschichten. Die

Thematisierung von Care durch die Forschung spiegelt die Herausforderungen, Anforderungen

und Ansprüche des Sorgens wider, die vor allem durch den demographischen und

sozialstrukturellen Wandel der Wohlfahrtsstaaten aufgezeigt werden. Dadurch werden die

Krisen des Sorgens sichtbar, die im starken Zusammenhang mit zunehmender Flexibilität,

Wahlfreiheit, Qualität, Effizienz und Vermarktlichung von Pflegeleistungen gesehen werden (vgl.

von Alemann 2015: 159).

Grundsätzlich wird in der Care Forschung zwischen zwei Begriffen unterschieden, die eng

miteinander verbunden sind: Care bzw. soziale Reproduktion. Care impliziert „sich um sich

selbst oder jemand anderen zu sorgen“ und Verantwortung zu übernehmen. Hingegen ist die

soziale Reproduktion stark an die Reproduktion der Arbeitskraft gekoppelt. Letztere bezieht

auch die Übernahme der Verantwortung von Sorgearbeit durch institutionelle Gefüge mit ein.

Dies geht oft mit Spannungen einher, da in der Gesellschaft nicht klar definiert ist, wer für die

Versorgung von Pflegebedürftigen grundsätzlich verantwortlich ist (Staat, Familie oder

Eigenverantwortung) (vgl. Aulenbacher und Dammayr 2014: 158; Aulenbacher 2020: 130).

Dieses Spannungsverhältnis (wer für die Sorgearbeit zur Verantwortung gezogen werden kann)

führte in den Länder Europas, und speziell in Österreich, zur Entstehung von Sorgelücken, auch

Care-, Sorge- oder Reproduktionskrisen genannt. Als Auslöser für diese Entwicklungen, der

Krise und die Reorganisation von Care können grundsätzlich die wachsende Erwerbsbeteiligung

der Gesellschaft, der Sozialstaatsumbau von Welfare zu Workfare, die Transnationalisierung

von Arbeit und Politik, die Vermarktlichung von Care und der Wandel von Arbeitsteilungen in

Geschlecht und Klasse genannt werden. Aulenbacher bezeichnete diese Care-, Sorgen und

Reproduktionskrisen als „Spitze des Eisberges“, die durch das Aufbrechen Teile einer neuen

Page 75: Neue Wege der Pflegeorganisation in Österreich

75/111

Stufe der Vergesellschaftung von Care und Carework verursacht hat (vgl. Aulenbacher 2018:

80f und 2020: 124).

Durch die Industrialisierung von Care in den 1980iger Jahren, konnte die Vermarktlichung und

Rationalisierung von Care als solch eine neue Stufe der Vergesellschaftung identifiziert werden.

Deutlich wurde dies durch einen Wandel des Pflegeparadigmas: Pflegebedürftige wollten nicht

mehr als EmpfängerInnen von Sorgeleistungen gesehen werden, sondern als

VerbraucherInnen. In diesem Zusammenhang erfolgte auch die Technologisierung von Care.

Dies äußerte sich dadurch, dass Effizienzsteigerung und neue technische Lösungen für soziale

Probleme („Social freezing“) in den Mittelpunkt gerieten. Zum Nachteil kann es gelangen, wenn

vermehrt Marktmechanismen darüber entscheiden, wie viel oder wenig sorgende

Aufmerksamkeit Menschen zu teil wird (siehe „innere Vergesellschaftung“) (vgl. Siegel 1993:

370; Farris und Marchetti 2017: 125; Aulenbacher 2018: 80f; Tronto 2000, 2013 und 2017;

Ostner 2011: 466).

Beschriebene Prozesse wie Rationalisierung, Akademisierung, Technologisierung und (De)-

Professionalisierung von Care-Tätigkeiten führten zu Veränderungen des bisherigen Care-

Regimes in den Wohlfahrtsstaaten. Das bisherige Care-Regime, gekennzeichnet durch die

primäre Sorgeinstanz von Familie und Staat, ist durch ein finanzkapitalistisches Care-Regime

abgelöst worden. Verdeutlicht wird dies durch eine Verschiebung der Sorgezuständigkeiten, die

mit neuen Ansprüchen und Neuverteilungen von Sorgearbeit und –leistungen einhergehen (vgl.

Theobald 2019: 780; Dammmayr 2015: 316).

Care-Regime in Wohlfahrtsstaaten

Die Entwicklungen von Care verursachten die Auseinandersetzung mit der vergleichenden

Wohlfahrtsstaatsforschung. Sie zeigt die Länderspezifik der gesellschaftlichen Organisation von

Sorgearbeit, und die Einbettung in verschiedene Politiksysteme und kulturelle

Wertvorstellungen. Das ursprüngliche Ziel der international vergleichenden Forschung war es,

die gesellschaftliche Relevanz und ihre Herausforderungen von Sorgearbeit der verschiedenen

Länder in den Vordergrund zu stellen. Als bekanntester, in der Literatur erwähnter, Forscher

bzgl. Typologien von Wohlfahrtsstaaten ist Esping-Andersen. Neben Esping-Andersen sind

Anttonen und Sipilä (1996), Knijn und Kremer (1997) oder Bettio und Plantenga (2004) für

weitere Care-Regime Typologien bekannt. Ein gemeinsames Merkmal dieser Typologie Ansätze

ist, dass die Muster der Ungleichheit in Geschlecht und Klasse bzgl. Staat, Markt und Familie

beleuchtet werden (vgl. Theobald 2019: 774; Land und Hilary 1985: 80; Geissler und Pfau-

Effinger 2005: 17).

Page 76: Neue Wege der Pflegeorganisation in Österreich

76/111

Esping-Andersen definierte drei Typen von Wohlfahrtsstaaten, die in liberal, konservativ oder

sozialdemokratisch eingeteilt werden. In allen Typen sind die Säulen der Familie, des Staates

und des Marktes wiederzufinden, die durch unterschiedliche Merkmale geprägt sind (siehe

Kapitel 2.2.1. Wohlfahrtsstaatsregime nach Esping-Andersen). Esping-Andersen hat seinen

ursprünglichen Ansatz durch drei weitere Dimensionen (Dekommodifizierung, Stratifizierung,

Familisierung) erweitert. So gelang dem Forscher eine genauere Untersuchung und Analyse der

Wohlfahrtsstaaten (vgl. Schmid 2010: 43; Raza et al. 2004: 3; Esping-Andersen 2002: 15f;

Ullrich 2005: 44; Benz et al. 2015: 122:).

Die verstärkte Einbindung von Care in die Wohlfahrtsstaatsforschung konnte nicht mehr außer

Acht gelassen werden. Ein Bezugsrahmen für die Berücksichtigung von „care services“

verknüpft mit Wohlfahrtsstaatlichkeit wurde geschaffen (siehe Evers 2011: 265). Neu war, dass

sich die Forschung auf drei Ebenen (Mikro-, Meso- und Makroebene) bezog und diese

miteinander verknüpfte. Verstärkt wurde der Blick auf makrosoziale Entwicklungen wie den

Pflegenotstand gelegt, jedoch wurde ebenso ein mikrosozialer Trend sichtbar, der weniger

familienverbunden und geschlechtsspezifisch war. Care wurde auch unter dem Aspekt „social

care“ untersucht und als Aktivität gesehen, die zur Erfüllung von physischen und psychischen

Anforderungen beiträgt. Es wurde gezeigt, dass auf Grund der unterschiedlichen Indikatoren für

ein Care-Regime, nicht von einem einheitlichen europäischen Care-Regime gesprochen werden

kann (vgl. Ostner 2011: 465; Daly und Lewis 1998: 100).

Ebenso hat Leitner (2003: 358) versucht, mit dem Konzept „varieties of familism“ die

unterschiedlichen Familien- und Pflegepolitiken in Wohlfahrtsstaaten zu erklären. Es setzt sich

kritisch mit dem von Esping-Andersen entwickelten Ansatz der (De-)Familisierung auseinander.

Das Hauptaugenmerk bei Leitner liegt auf den Unterscheidungen, entweder dass

Wohlfahrtsstaaten auf die Familie als Hauptquelle der Versorgung angewiesen sind und diese

aktiv unterstützen oder Staaten, die versuchen, die Familie als primäre Versorgungsinstanz zu

entbinden. Dazu untersuchte Leitner einzelne Maßnahmen in der Familien- und Pflegepolitik.

Ein Ergebnis der Forschung besagt, dass Österreich zum expliziten Familialismus zählt (der

Staat versucht, Familien finanziell für die Sorgearbeit zu entschädigen) (vgl. Keck 2014: 169;

Ostner 2011: 472; Leitner 2003: 360).

Pflegeorganisation zwischen Staat, Markt und Familie

In den 1980iger Jahren vollzog sich in den Wohlfahrtsstaaten und deren Sozialpolitik ein

Wandel. Carework wurde zunehmend professionalisiert, das bedeutet, professionelle

Dienstleister wie die sozialen Dienste bekamen mehr Bedeutung. Obwohl noch ein Großteil der

Versorgungsleistungen durch informelle Netzwerke wie Familie, Freunde oder Nachbarn

Page 77: Neue Wege der Pflegeorganisation in Österreich

77/111

erbracht wurden, nahmen immer mehr Pflegebedürftige und deren Angehörigen soziale Dienste

in Anspruch. Ein Trend in den Wohlfahrtsstaaten, der Pflege vor Ort bzw. zu Hause („Ageing in

place“) befürwortete, war und ist erkennbar. Organisationen, die soziale Dienste bereitstellten,

wurden mehrheitlich vom Staat zur Verfügung gestellt und zu einem Recht erklärt, das allen

BürgerInnen zustehen soll. Die Etablierung sozialer Dienste wurde als Fortschritt des Ausbaus

von Wohlfahrtsstaaten gesehen und zog eine De-Familisierung von Tätigkeiten (Sorgearbeit)

nach sich, die zuvor durch Familien übernommen wurden (vgl. Martinelli et al. 2017: 9f).

Neben dem Aufkommen vermehrter Inanspruchnahme sozialer Dienste übten gesellschaftliche

Forderungen nach einem veränderten Bild von Sorgearbeit einen zusätzlichen Druck auf die

Sozialpolitik der Länder aus. Umstrukturierungsprozesse in der Pflegeorganisation in den

Wohlfahrtsstaaten waren die Folge. Zum einen wurde der Wunsch nach qualitativen und

individuelleren gegenüber standardisierten Diensten gestellt („Button up“), zum anderen

entstand immer mehr das staatliche Verlangen, öffentliche Ausgaben effizienter

(kostengünstiger) zu gestalten („Top down“). Vor allem die effizientere Gestaltung öffentlicher,

sozialer Dienste hat die sozialpolitischen Umstrukturierungsprozesse stark beeinflusst und

vorangetrieben. Die Folge war die Liberalisierung des Marktes und die Entstehung von

Wettbewerb. Durch die Kürzungen der Staaten bei der Finanzierung sozialer Dienste, wurden

vermehrt die Gemeinden in die Pflicht genommen, Versorgungsleistungen bereitzustellen (vgl.

Martinelli et al. 2017: 11f).

Das beschriebene Konzept der Umstrukturierung von Wohlfahrtsstaaten war auch

gekennzeichnet durch Prozesse der Modernisierung, Privatisierung und Deinstitutionalisierung.

Deinstitutionalisierung beschreibt die Pflege in Institutionen als paternalistisch. Ein Mangel an

Selbstbestimmung und Bevormundung von Pflegebedürftigen kennzeichnet eine Pflege als

solche. Um dem entgegenzuwirken, hat sich das Konzept „Ageing in place“ bzw. „Altern an Ort

und Stelle“ herausgebildet. Wohlfahrtsstaaten befürworteten den Prozess der

Deinstitutionalisierung, um den gesellschaftlichen Ansprüchen nach mehr Individualität bei der

Auswahl von Versorgungsleistungen gerecht zu werden. Privatisierungen und die Liberalisierung

des Marktes unterstützten den Prozess der Deinstitutionalisierung und die Förderung der

Etablierung verschiedenster AnbieterInnen von sozialen Diensten. Privatisierungen sind somit

aus der zunehmenden Vermarktung der Altenpflege hervorgegangen, wodurch BürgerInnen

mehr Wahlfreiheit bei der Auswahl von Sorgeleistungen ermöglicht wurde. Soziale Dienste

wurden somit vermehrt in die Pflicht genommen, um Pflege zu Hause zu ermöglichen. Jedoch

kann es vorkommen, dass bei Personen mit hohem Pflegeaufwand die sozialen Dienste nicht

ausreichen und die Menschen zu Hause unterversorgt sind. Die Befürwortung der

Wohlfahrtsstaaten des Konzepts „Ageing in place“ ist dafür verantwortlich, dass institutionelle

Einrichtungen einen negativen Beigeschmack in der Bevölkerung hinterlassen haben. Durch die

Page 78: Neue Wege der Pflegeorganisation in Österreich

78/111

Zunahme an älteren Personen in der Bevölkerung ist der Bedarf an institutioneller Pflege nicht

verschwunden, viel mehr scheint eine Kluft zwischen Bedarf und tatsächlicher Versorgung zu

bestehen. Das Argument der Vermarktung von Care für mehr Wahlfreiheit und die Förderung

von Deinstitutionalisierung ist keine Garantie für eine qualitative Pflege, ebenso ist der Zugang

zu solchen Diensten aufgrund der Erschwinglichkeit nicht immer garantiert. In Verbindung mit

der Wirtschaftskrise 2008 haben Wohlfahrtsstaaten Kürzungen und Sparmaßnahmen genützt,

um eine marktorientierte Tendenz zu rechtfertigen (vgl. Kröger und Bagnato 2017: 208;

Deusdad et al. 2016: 148).

Moderne Ansprüche an die Pflegeorganisation

Wie zuvor beschrieben, hat die Rolle des Marktes und die Einrichtung marktähnlicher

Wohlfahrtsmärkte bei der Bereitstellung von Pflegediensten eine wichtige Funktion inne. Die

vielen Wahlmöglichkeiten bei der Auswahl von professionellen Dienstleistern führte bei den

BürgerInnen zu mehr Teilhabe und Autonomie. Ebenso wollte der österreichische Staat 1993 mit

der Einführung des Pflegegeldes der Bevölkerung zu mehr Wahlfreiheit verhelfen.

Es konnte gezeigt werden, dass sich viele Pflegebedürftige trotz staatlicher Unterstützung nicht

für eine ambulante, dezentrale und mobile Pflege entschieden. Vielmehr wurde das Geld für

informelle Netzwerke ausgegeben. Gründe können zum einen sein, dass vor allem ältere

Menschen in einem Familienverband nicht als autonome Entscheidungsträger agieren. Zum

anderen können Entscheidungen oft in einem komplexen Konstrukt wie in einer Familie nicht auf

eine rationale Wahl zurückgeführt werden. Wirtschaftliche Kosten-Nutzen-Überlegungen (siehe

„household economy“ Ansatz von Becker) tragen dazu bei, den Nutzen für Einzelpersonen oder

Familien zu maximieren, somit werden Geldleistungen mehr gewichtet als die Last der zu

leistenden Pflege. Kulturelle Prägungen und familiäre Solidarität weisen zusätzlich einen starken

Einfluss auf. Trotz der Vielfalt an Leistungen kann ebenso ein Grund für eine verminderte

Inanspruchnahme sozialer Dienste sein, dass die Cash-for-Care Leistungen zu niedrig

bemessen sind, um sich professionelle Pflege überhaupt leisten zu können (vgl. Olk 2011: 480;

Eichler und Pfau-Effinger 2009: 617f; Becker 1993: 395).

Moderne Ansprüche in der Pflegeorganisation zeigen auch, dass Professionalisierungs- und

Qualitätsansprüche in der Leistungserbringung im stationären und ambulanten Pflegesetting als

bedeutende Faktoren gelten. Dies wird sichtbar, da sich Institutionen zunehmend an New-

Publicmanagement Strategien orientieren. Veränderte Pflege- und Leistungspolitiken sind dafür

verantwortlich, dass Beschäftigte in einem Pflegeberuf mit den neuen Leistungsanforderungen

umgehen müssen (vgl. Dammayr 2019: 11f).

Page 79: Neue Wege der Pflegeorganisation in Österreich

79/111

Wie die Analyse der Literatur beschreibt, können folgenden Tendenzen identifiziert werden, die

die modernen Ansprüche an die Pflegeorganisation widerspiegeln:

• Familisierung: Stärkung der informellen Pflege durch Cash-for-Care Politiken

• Aktivierung und Subjektivierung: Durch die Umstrukturierungsprozesse im Wohlfahrtsstaat

kam es zu einem Rückbau sozialstaatlicher Prinzipien und gleichzeitig zur Einführung von

Aktivierungspotenzialen wie mehr Eigenverantwortung und Selbstbestimmung bei Care.

• Privatisierung: Care-Services werden durch gewinnorientierte Einrichtungen vermehrt am

Markt zur Verfügung stehen (vgl. Dammayr 2015: 316; Bachinger 2016: 39f; von Alemann

2015: 160).

6.2. Nach welchem Muster ist das Pflegewesen in Österreich strukturiert bzw. welche Platzierung hat das Pflegewesen in der oö. Langzeitpflege?

Durch die Vereinbarung Artikel 15a B-VG (BGBI. Nr. 866/1993) sind Bund und Länder

übereingekommen, Personen, die einen Pflegebedarf aufweisen, durch eine allgemeine

bundesweite Pflegevorsorge zu unterstützen. Kritisiert wird, dass das Pflegewesen, im

Gegensatz zum Gesundheitswesen (Sachleistungsprinzip) auf einem Geldleistungsprinzip

basiert und demnach der Staat und Pflegebedürftige gleichermaßen für die Pflegeleistungen

aufkommen müssen (vgl. BMASGK 2018; Pichlbauer 2018: 8f).

Das Muster der Pflegeorganisation ist klar strukturiert und jeweils Bund und Länder werden in

ihren jeweiligen Zuständigkeiten zur Verantwortung gezogen. Personen, die einen

nachgewiesenen Pflegebedarf aufzeigen, können grundsätzlich staatliche Hilfe in Form von

Geld- oder Sachleistungen in Anspruch nehmen (siehe Abb.10). Zu den Geldleistungen zählt,

als wichtigste Säule im Pflegesystem, das bedarfsorientierte Pflegegeld, das auf

bundesstaatlicher Ebene geregelt wird (siehe BPGG). Die Bundesländer sind dazu verpflichtet,

Sachleistungen wie soziale Dienste flächendeckend zur Verfügung zu stellen und deren

Organisation zu gewährleisten. Als Unterstützung für die Länder werden ihnen Leistungen in

Form von Zweckzuschüssen aus dem bundesstaatlichen Pflegefonds (vgl. PFG (BGBI. Nr.

57/2011) gewährt, die in die Langzeitpflege investiert werden müssen. Der Staat forciert für die

Bevölkerung die „Pflege daheim vor stationär“, da es aus finanziellen (siehe Gesundheitswesen)

und familiären (Betreuung durch informelle Netzwerke) Gründen geboten erscheint (vgl.

Greifeneder 2011: 108; Schmidt 2014: 18).

Page 80: Neue Wege der Pflegeorganisation in Österreich

80/111

Abbildung 10 Muster der Pflegeorganisation

(eig. Darstellung)

Die wichtigsten Charakteristika des bedarfsorientierten Pflegegeldes sind, dass es eine

einkommensunabhängige Geldleistungen ist, jede/r StaatsbürgerIn darauf einen

Rechtsanspruch hat, solange ein Bedarf nachgewiesen wird, und es je nach Bedarf

verschiedene Stufen gewährt werden (siehe Kapitel 4.2.1 Pflegegeld). Die Einführung des

Pflegegeldes hatte vordergründig das Ziel, den EmpfängerInnen mehr Entscheidungsfreiheit bei

der Wahl von Pflegeleistungen zu bieten. Die Idee des Staates war es, dass der Zugang zu

soziale Dienste durch die Einführung von Geldleistungen erleichtert werden soll. Der niedrige

Regulierungsgrad von staatlichen Geldleistungen gibt dazu jedoch Anlass, dass eine stark

monetäre Ausrichtung die Folge sein kann. Dies bedeutet, vor allem sozioökonomisch

schlechter gestellte Gesellschaftsschichten neigen dazu, Geldleistungen nicht nur für den

Erwerb sozialer Dienstleistungen zu verwenden, sondern informelle Netzwerke damit zu

bezahlen (siehe Kapitel 1 Care). Vor allem für Personen mit hohem Pflegeaufwand sind die

Geldleistungen zu knapp bemessen, um sich überhaupt professionelle Dienstleister leisten zu

können (siehe Cash-für-Care Leistungen). Resultierend daraus wird gezeigt, dass großteils

ohne die zusätzliche Unterstützung von Angehörigen eine Versorgung von Pflegebedürftigen zu

Hause nicht gewährleistet werden kann bzw. bei einer ausschließlichen Betreuung durch

Angehörige, Personen nicht ausreichend versorgt werden (vgl. Schmidt 2014: 23; Mairhuber und

Sardadvar 2018: 38; BMASGK 2018).Zusätzlich gehen mit der Einstufung des Pflegegeldes

andere Sozialleistungen einher, wie die Aufnahme in eine stationäre Einrichtung (ab Stufe 4

Österreich

Geldleistungen

Bund

Pflegegeld Pflegefonds

Sachleistungen

Länder

Soziale Dienste

Page 81: Neue Wege der Pflegeorganisation in Österreich

81/111

möglich). Dieses Kriterium für den Einzug in ein Alten- oder Pflegeheim kann für jene Personen

problematisch werden, die unbedingt in eine institutionelle Einrichtung wollen, da keine

Angehörigen mehr vorhanden sind oder sie in Einsamkeit leben (vgl. BMASGK 2018).

Trotz der klar geregelten Zuständigkeiten im Pflegewesen zwischen Bund und Länder, ist ein

koordiniertes und zentrales Vorgehen nicht immer gegeben. Die Abschaffung des

Pflegeregresses kann hier angeführt werden. Der Rechnungshof betont, dass ein gemeinsames

zentrales Vorgehen im Bereich Pflege und Betreuung in all ihren Facetten unumstößlich ist.

Abhilfe soll der BEP schaffen (vgl. Köfel 2012: 4; Schmidt 2014: 23; Rechnungshof Österreich

2020).

Die Struktur der oö. Langzeitpflege erfolgt auf mehreren Ebenen (siehe Abb.11). Federführend

bei der Bereitstellung von Pflegeleistungen sind der SHV, Statutarstädte und Gemeinden (privat

und öffentlich) (vgl. Famira-Mühlberger und Firgo 2018: 18; Leichsenring 2016: 2; Rechnungshof

Österreich 2020; BMASGK 2018; BEP OÖ 2019).

Abbildung 11 Platzierung der oö. Langzeitpflege – Pflegesettings

(eig. Darstellung)

oö. Langzeitpflege

Angehörige

informelle Pflege

SHV, Statutarstädte, Gemeinde

mobile Dienste

HKP, mobile Betreuung und Hilfe

stationäre Pflege

Alten- und Pflegeheime

Tagesstrukturierende Pflege, alternative

Wohnformen

Case- und Caremanagement

KBP, Sozialberatungsstellen

Page 82: Neue Wege der Pflegeorganisation in Österreich

82/111

Trotz der Organisation der Pflege durch das Land übernehmen einen Großteil der

Versorgungsleistungen die Angehörigen (informelle Pflege). In diesem Zusammenhang stehen

die strukturellen und gesellschaftlichen Veränderungen in den Wohlfahrtsstaaten, die dazu

führen, dass pflegende Angehörige unter starken Belastungen wie Überforderung und

Erschöpfung leiden. Der Staat versucht hier, den pflegenden Angehörigen unterstützend zu

helfen, indem Valorisierungen des Pflegegeldes oder Gewährungen von Auszeiten erwirkt

werden. Ebenso hat die Etablierung der 24h-Betreuung, die hauptsächlich von Migrantinnen

durchgeführt wird, zu einer Entlastung der Angehörigen geführt. Mit Blick auf die 24h-Betreuung

geht ein zweischneidiges Schwert einher. Auf der einen Seite wird pflegebedürftigen Personen

eine Betreuung zu Hause ermöglicht (in OÖ 5,04% Anteil an den Pflegebedürftigen), auf der

anderen Seite werden die prekären Arbeitsverhältnisse und –bedingungen kritisiert (vgl.

Neuwirth 2020: 3; BMASGK 2018; Mairhuber und Sardadvar 2018: 40; Pichlbauer 2018: 14;

Sozialbericht 2019).

Neben der informellen Pflege gibt es auch noch die mobilen Dienste wie HKP und mobile

Betreuung und Hilfe, das stationäre Setting, die tagesstrukturierende Pflege und alternative

Wohnformen und das Case- und Caremanagement. Das Zusammenspiel der Pflegesettings ist

dafür verantwortlich zu zeigen, wo überall Pflegeleistungen generiert werden können. Hier kann

die Platzierung der oö. Langzeitpflege verortet werden (vgl. Sozialbericht 2019; BMASGK 2018;

Rechnungshof Österreich 2020; Pratscher 2020: 18).

Bei der Betreuung von Personen durch die mobilen Dienste konnte, anhand der statistischen

Zahlen (siehe Sozialbereicht 2019), bei deren Inanspruchnahme ein Anstieg von rund 25% zum

Jahr 2016 verzeichnet werden. Das wiederum gibt Aufschlüsse darüber, dass vermehrt

pflegende Angehörige bereit sind, Pflegeaufgaben abzugeben und staatliche Hilfe in Anspruch

zu nehmen. Es wurde bzw. wird immer wieder kritisiert, dass das Pflegegeld nicht für

Sachleistungen verwendet wird bzw. ein niederschwelliger Zugang zu Sachleistungen nicht

ausreichend gefördert wird (vgl. Sozialbericht 2019; BMASGK 2018; Rechnungshof Österreich

2020; Pratscher 2020: 18).

Bei den Unterbringungskapazitäten von Pflegeheimplätzen rangiert OÖ unter den besten drei

Bundesländern. Im stationären Setting werden, im Gegenteil zu Personen, die mit mobilen

Diensten betreut werden, vor allem alte bzw. hochbetagte weibliche Personen mit erhöhtem

Pflegebedarf (Stufe 4-7) betreut. Hier ist die Pflegeintensität besonders hoch und

dementsprechend wird mehr pflegerisches Personal im stationären Setting benötigt. Das Case-

und Caremanagement hat eine regionale Funktion inne und trägt dazu bei, die Steuerung und

Koordination in den Bezirken zu erleichtern (siehe Aufgaben der jeweiligen Pflegesettings im

Kapitel 5.3 Pflegesettings) (vgl. Sozialbericht 2019; BEP 2019).

Page 83: Neue Wege der Pflegeorganisation in Österreich

83/111

Ohne die Sicherstellung des Pflege- und Betreuungspersonals können die zahlreichen Formen

der Pflege und Betreuung von Personen nicht möglich sein. Besonders die unterschiedlichen

Berufsgruppen mit spezifischen Ausbildungsgraden und Fachkenntnissen führen zu einer

qualitativ hochwertigen Pflege. Das Bundesland OÖ versucht, durch gezielte Strategien den

dringend benötigten Zuwachs an Fachkräften zu fördern. Seit dem Jahr 2016 kann ein Anstieg

an Fachkräften verzeichnet werden. 2019 beläuft sich die Zahl der Beschäftigten in der oö.

Langzeitpflege auf knapp 7.000 PE (auf Basis einer Vollzeitbeschäftigung) (vgl. Sozialbericht

2019).

6.3. Wo bzw. in welchen Bereichen in der oö. Langzeitpflege können Ansätze bzw. Bestandteile des CNC bereits identifiziert werden?

Die durchgeführte Literaturanalyse zeigt, in Betrachtung der zahlreich genannten

Herausforderungen, Veränderungen und Ansprüche an ein Pflegesystem, dass eine gut

funktionierende Pflegeorganisation und -koordination unumstößlich sind. Die ö. Regierung ist

bestrebt, den Problemen ineffizienter Pflegeorganisation (Komplexität des Gesundheitssystems,

Überforderung beim Zugang zu Pflegeleistungen, Behördengängen, gesetzlichen

Rahmenbedingungen, Überdiagnostik, Über- und Unterversorgung bei Pflegebedürftigen,

demographischer Wandel, sinkendes Image von Pflegekräften usw.) entgegenzuwirken und vor

allem, als einen Weg von vielen, das Feld der Primärversorgung auszubauen und zu forcieren

(vgl. Schaeffer 2017: 20; Huter 2020: 58; Pichlbauer 2018: 9; Haubitzer et al. 2020: 37).

Dazu zählt, als politische Reformbestrebung und Zielsetzung, die PVZ in Österreich vermehrt zu

implementieren und das Konzept der „Community Nurse“ (CNC) Fuß fassen zu lassen. Hier

kommt den Beschäftigten in der Pflege eine zunehmende Bedeutung zu, da sie den Mittelpunkt

des CNC darstellen. Grundsätzlich stellt das CNC ein koordinierendes Pflegekonzept dar, das

durch CN bzw. CHN lebt. Ziel dieses Ansatzes ist es, vor allem der Bevölkerung in ländlichen

Regionen durch Gesundheitszentren (PVE) einen niederschwelligen Zugang zu Gesundheits-

und Pflegeleistungen zu bieten, und nicht nur bei vorherrschender Krankheit zu intervenieren,

sondern auch präventiv tätig zu sein. Das bedeutet, das CNC steht für Krankheitsprävention und

Gesundheitsförderung und impliziert alle Personen jeden Alters (gesamter Pflegeprozess). Wie

Studien berichten, ist das CNC bereits in einigen Ländern verbreitet und beschreibt positive

Auswirkungen auf das Gesundheitssystem, Pflegebedürftige und das Pflegepersonal (siehe

Kanada, USA, Niederlande „Buurtzorg Modell“ und Finnland) (vgl. Vasak 2020: 11; Haubitzer et

al. 2020: 39; Ehrentraut et al. 2019: 47; Schaeffer 2016: 22; Hauer 2016: 22).

Page 84: Neue Wege der Pflegeorganisation in Österreich

84/111

Eine CHN ist eine Pflegeperson mit public-health bezogenen Aufgaben und Tätigkeitsbereichen.

Diese Definition unterscheidet sich von einer herkömmlichen DGKP, die in Österreich tätig ist.

Eine CHN ist auf mehreren Ebenen tätig und übt die Praxis der Krankenpflege auf der Stufe des

Einzelnen, der Familie, der Gemeinde oder des Systems aus (siehe Kapitel 3.4 Rolle und

Aufgaben einer DGKP als CHN – „Intervention Wheel“). Da eine CHN auch als

„Gemeindeschwester“ übersetzt werden kann, kommt der Ebene einer Gemeinde eine größere

Bedeutung zu. Durch den erweiterten Blick und der Verantwortung einer CHN ist es ihr möglich,

Interventionen, mit allen Verantwortlichen im Gesundheitsbereich, zu setzen (vgl. Minnesota

Departement of Health 2019; Haubitzer et al. 2020: 42; Brandstätter et al. 2018: 3f).

Um das CNC und seine Idee und Umsetzung anhand eines Beispiels bestmöglich zu

beschreiben, wurde das „Buurtzorg Modell“ in den Niederlanden ausgewählt (siehe Kapitel 3.2

„Buurtzorg Modell“ in den Niederlanden). Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die

Bestandteile des Konzepts zwei wichtige Punkte enthalten:

• Orientierung an den KlientInnen und ihren Bedürfnissen

• spezielle Arbeitsorganisation

Zu Punkt eins: Das Buurtzorg Modell steht für klienten-zentriert, ressourcen-orientiert,

netzwerkend und autonomiefördernd. Die Pflegeleistungen werden ganzheitlich erbracht, was zu

einer großen Zufriedenheit auf Seiten des Pflegebedürftigen und des Pflegepersonals führt. Zu

Punkt zwei: Die Teams bestehen aus kleinen Gruppen, bei denen ausgebildete Pflegefachkräfte

eine Voraussetzung sind. Das Team agiert autonom und selbstbestimmend, unterstützt durch

ein IT-System. Die Merkmale der Arbeitsorganisation von Buurtzorg sind an das Konzept von

Laloux angelehnt, das das Personal auffordert, an der Entwicklung der Organisation bewusst

teilzunehmen (vgl. Leichsenring und Staflinger 2017: 52; Wasel und Haas 2018: 596 und 2019:

32; Leichsenring 2015: 20; Laloux 2014: 34 und 2017:100; Alders 2015; 58).

In Österreich ist ein Pflegekonzept wie das „Buurtzorg Modell“ in solch einer Form nicht

vorhanden. Jedoch hat die Literaturanalyse ergeben, dass das CNC oft in Zusammenhang mit

PVZ steht. PVZ sind mittlerweile im österreichischen Gesundheits- und Pflegesystem im

Entstehen. Derzeit gibt es in Österreich 24 PVE (siehe Abb. 12, Stand 2021), die sich auf fünf

Bundesländer beschränken. Durch die Implementierung der ersten PVE erfolgte auch eine

gesetzliche Regelung (siehe PrimVG BGBI. Nr 131/2017). Die PVE sollen als Erstanlaufstelle

fungieren und Maßnahmen der kontinuierlichen Gesundheitsvorsorge und Krankenversorgung

gewährleisten. Zum Kernteam zählen ÄrztInnen, TherapeutInnen und Pflegefachkräfte. Im Zuge

dessen will die österreichische Regierung die Implementierung von CHN forcieren, jedoch ist

dies zum jetzigen Stand noch nicht erfolgt (vgl. Bachner et al. 2020: 20; Golla 2020).

Page 85: Neue Wege der Pflegeorganisation in Österreich

85/111

Abbildung 12 Umsetzung von PVE in Österreich, Stand Jänner 2021

(vgl. www.sv-primaerversorgung.at)

Durch die zunehmende Etablierung von PVE, besonders in OÖ, liegt die Annahme nahe, dass in

OÖ Ansätze eines CNC zu finden sind. Auf Grund dessen hat die Verfasserin dieser Arbeit das

PVZ in Enns (OÖ) anhand einer Literaturanalyse und einschlägiger Interviews mit DGKP des

PVZ untersucht, um mögliche Ansätze eines CNC zu identifizieren. Zusätzlich wurde das oö.

Case- und Caremanagement herangezogen, stellvertretend die Sozialberatungsstelle in

Grieskirchen, um dort ebenfalls mögliche Ansätze eines CNC ausfindig zu machen. Die Wahl fiel

auf das Case- und Caremanagement, da es laut Literaturanalyse ebenfalls Potenzial für ein

CNC enthält. Zu diesem Zwecke wurden unterstützend drei Interviews mit Pflegeexperten

durchgeführt, die Einblicke in die Praxis dieser oö. Pflegesettings gewährten. Die Ergebnisse

werden anhand von drei Dimensionen dargestellt:

1. Dimension: Tätigkeitsfeld einer CHN

2. Dimension: Bestandteile eines CNC

3. Dimension: KlientInnen- und PatientInnenstruktur

Page 86: Neue Wege der Pflegeorganisation in Österreich

86/111

6.3.1.1. Im Bereich der PVZ

1. Dimension: Tätigkeitsfeld einer CHN

Basierend auf der Definition einer CHN durch das Minnesota Department of Health 2019 (siehe

„Interventin Wheel“) zeigt sich, dass die Voraussetzungen für den Tätigkeitsbereich einer CHN

in Österreich im GuKG (BGBI. Nr. 108/1997) bereits verankert sind. Gesetzliche Regelungen

ermöglichen es DGKP, public-health bezogene Aufgaben zu übernehmen. Die wichtigsten

Aufgabenfelder sind in den § 14, 15 und 16 GuKG (BGBI. Nr. 108/1997) geregelt.

Der Tätigkeitsbereich einer DGKP im PVZ Enns ist gekennzeichnet durch eine strukturierte

Arbeitsweise. Es besteht aus einem Team von sieben DGKP, teilweise mit einem

akademisierten Hintergrund (Bachelor Ausbildung). Ihre Aufgabenfelder sind geprägt von starker

Eigenverantwortlichkeit und Autonomie, guter Zusammenarbeit mit anderen Berufsgruppen

(TherapeutInnen und ÄrztInnen) und einem abwechslungsreichen Tagesablauf. Zu ihrem

Tätigkeitsprofil zählt:

• Durchführung einer physikalischen Therapie (Ultraschall, Stromtherapie)

• Infusions- und Injektionstherapie nach ärztlicher Anordnung

• Impfungen

• Durchführung von Gesundheitschecks im Rahmen des Therapieaktivprogramms der

Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK)

o engmaschige Überwachung von Personen mit Diabetes

• Durchführung von Voruntersuchungen für die Vorsorgeuntersuchung

• Wundbehandlung und Wundversorgung: eigenständig oder gemeinsam mit ÄrztInnen

o chronische Wunden

o akute Wunden wie Schnittwunden, Quetschungen, Verbrennungen

• Mutter-Kind-Pass Untersuchungen

• Mitbetreuung des Labors

• „Visiten“: im Alten- und Pflegeheim oder private Hausbesuche

• „Infektordination“ für Covid-19 PatientInnen (IP 1)

Der Tagesablauf in einem PVZ zeigt, dass die Pflegefachkräfte zum Großteil an präventiven

Tätigkeiten teilhaben. Das CNC und das Tätigkeitsfeld einer CHN stehen für

Gesundheitsförderung und Krankheitsprävention. Tätigkeiten wie die Durchführung von

Gesundheitschecks, Voruntersuchungen für Vorsorgeuntersuchungen, präventive Hausbesuche

usw. können als Ansätze eines CNC im Rahmen eines PVZ gewertet werden. Ebenso die

Betreuung und Versorgung von Personen in einer Region und die Funktion des PVZ als

Erstanlaufstelle sprechen für die Charakteristika eines CNC.

Page 87: Neue Wege der Pflegeorganisation in Österreich

87/111

Die dominante Rolle der Pflegefachkräfte in einem Gesundheitszentrum und die

Zusammenarbeit zwischen den Berufsgruppen stehen für ein CNC. Im Anlassfall arbeiten die

DGKP vom PVZ auch mit Berufsgruppen außerhalb der eigenen vier Wände zusammen. Dazu

zählen zum Beispiel die mobilen Dienste wie die HKP. Diese Zusammenarbeit ist jedoch sehr

fallbezogen und eher selten.

Ja. Es kommt auch vor, dass wir mit der HKP kommunizieren. Hauptsächlich bei den PatientInnen, die regelmäßig zum Verbandswechsel und zur Kontrolle ins PVZ kommen. Das betrifft die, die von der HKP zu Hause weiterversorgt werden und zusätzlich 1x pro Woche zu uns kommen. Hier spricht man sich im Bedarfsfall zusammen, vor allem bei Therapieänderungen oder wenn die HKP nicht mehr weiter weiß. (IP 1)

Eine Zusammenarbeit des PVZ mit dem Entlassungsmanagement eines Krankenhauses gibt es

derzeit nicht.

Das wollte ich mir zum Ziel setzen, dass wir uns mit dem Entlassungsmanagement von Krankenhäusern mehr absprechen. Mir fehlt das total, weil wir überhaupt keinen Überblick haben, wer von unseren Patienten im KH ist, wer wann nach Hause kommt oder ob etwas benötigt wird. Da könnte man viel mehr herausholen. (IP 2)

Ein Vorschlag könnte sein, dass sich die PVZ im regionalen Spitalsbereich mehr präsentieren

(Werbung in den Medien), Kontakte knüpfen und Ansprechpersonen etablieren, um im

Gegenzug mehr Informationen über die Patienten und deren Versorgung zu erhalten.

Hervorgehoben wird die Zusammenarbeit mit den ÄrztInnen, die sehr gut funktioniert, da eine

klare Arbeitsteilung vorliegt. Pflegekräfte profitieren von einem hohen eigenverantwortlichen

Tätigkeitsbereich und einem selbstständigen Arbeiten (alles mit ärztlicher Rücksprache).

Beim Wundmanagement wird das total uns überlassen, bei Akutverletzung oder wenn ich mir denke, es wäre besser, wenn ein Arzt hinzugezogen wird, dann muss ich als DGKP für mich selbst entscheiden, wann ich selbstständig entscheiden oder lieber mit Arztrücksprache Entscheidungen treffen will. Das funktioniert sehr gut. Wir machen, vor allem in der Wundbehandlung, regelmäßige Kontrollen mit dem Arzt. Damit dieser auch sieht, wie der aktuelle Fortschritt ist. Bei einer stagnierenden Wunde, kann ich selbst als DGKP entscheiden, ob ich einen Abstrich mache oder nicht. Wir sind alle per Du, auch mit den Ärzten. Das ist auch sehr angenehm, damit die Hierarchien nicht so präsent sind. Das macht das Zusammenarbeiten viel einfacher. Bei außernatürlichen Ereignissen herrscht immer Absprache mit dem Arzt. (IP 1)

Ein weiterer Bereich ist auch die Durchführung von Impfungen oder Injektions- und

Infusionstherapie.

Page 88: Neue Wege der Pflegeorganisation in Österreich

88/111

2. Dimension: Bestandteile eines CNC

Stufe des Individuums und der Familie

Laut Literaturanalyse nimmt eine CHN eine Gatekeeper-Funktion ein, das bedeutet, CHN

funktionieren wie ein Brückenkopf zwischen zwei Schnittstellen. Auf der Stufe des Einzelnen

sind CHN für die Ganzheitlichkeit (siehe Buurtzorg Modell) einer Person verantwortlich. DGKP

im PVZ verfügen nicht über die Ressourcen, den Patienten als Ganzes zu versorgen. Beide

Interviewpartnerinnen (IP 1 und 2) haben klar verneint, dass sie sich, durch ihre Tätigkeit als

DGKP in einem PVZ, nicht oder nur teilweise als CHN fühlen, da die ganzheitliche Betreuung

nicht gewährleistet wird. Beide betonen, dass die ganzheitliche Sichtweise auf den Patienten

fehlt (IP 1 und IP 2). Trotzdem werden im Rahmen ihrer Tätigkeit Funktionen und Rollen

übernommen, die einer CHN entsprechen. Zum einen die Vermittler- und zum anderem die

Organisationsfunktion. Dies zeichnet sich dadurch aus, dass, wenn Pflegefachkräfte einen

notwendigen Pflegebedarf feststellen, zu einer richtigen Stelle wie die Sozialarbeit verweisen

und eine Verbindung herstellen. Die Sozialarbeit übernimmt die weitere Versorgung und stellt

einen Kontakt zu den Behörden her.

Ziel dieser Stufe ist es, Verhaltenseinstellungen und den Wissenstand bzgl. der persönlichen

Gesundheit herauszufiltern und diese bei gesundheitsgefährdenden Aspekten längerfristig zu

ändern. Dazu zählt, die Selbstmanagementkompetenz der Individuen zu fördern und Wissen

und Aufklärung transparent zu vermitteln (vgl. Minnesota Departement of Health 2019). Im PVZ

stehen DGKP dieser Aufgabe tagtäglich gegenüber, die sich in ihrem Tätigkeitsprofil

widerspiegelt.

Auf die Frage, ob es durch eine Tätigkeit einer DGKP im PVZ weitere Überschneidungen zum

CNC gibt, antwortete eine Interviewpartnerin: „Auf alle Fälle ja, aber es kommt bei uns viel zu

kurz“ (IP 2). Dies steht im Zusammenhang mit den Hausbesuchen (private Visiten vor Ort), die

im Bedarfsfall durch das Pflegepersonal gemacht werden. Der Patient und dessen Angehörige

werden beratend und pflegerisch unterstützt (Kontrolle der Medikamente, Vitalzeichenkontrolle,

Blutabnahmen). Jedoch wird bemängelt, dass für solche zusätzlichen Tätigkeiten nicht immer

Ressourcen zur Verfügung stehen.

Gerade ein Arzt war da sehr dahinter, dass wir nicht nur nach Bedarf vorbeischauen, sondern dass wir bei gewissen PatientInnen von ihm den Kontakt halten (präventiv). Vor allem bei PatientInnen, die keinen mehr zu Hause haben. (IP 2)

Das Pflegepersonal möchte solche Visiten zuhause in seinem Tätigkeitsbereich verstärkt

etablieren und fordert eine Planstelle dafür.

Page 89: Neue Wege der Pflegeorganisation in Österreich

89/111

Wir haben uns aufgeteilt, dass jeder Visite fährt, das war dann wie ein Rad. Es hat total die Struktur dahinter gefehlt, auch von ärztlicher Seiter her, dass wir auch ausreichend Rückhalt haben, damit wir das machen können. Die Person, die auf Visite fährt, fehlt im Team vor Ort. Wir haben uns immer Zeiten blockieren müssen, damit Ressourcen dafür frei gemacht werden können. (IP 2)

Solch eine neue Planstelle, angesiedelt an einem PVZ, könnte eine CHN ausfüllen (siehe

Maßnahmen für eine bessere Pflegeorganisation).

Stufe der Gemeinde

Die Stufe der Gemeinde oder Gemeinschaft ist geprägt von einer ähnlichen Vorgehensweise

wie auf der vorherigen Stufe des Einzelnen, nur dass der Blickwinkel (policy development and

enforcement, community organization, collaboration, etc) größer gefasst ist. Ziel dieser Stufe ist

es, Versorgungsengpässe zu analysieren und diesem entgegenzuwirken (vgl. Minnesota

Departement of Health 2019).

In diesem Sinne können ebenfalls Ansätze des CNC identifiziert werden. Das PVZ Enns hilft

dem Altenheim der Region Versorgungsengpässen entgegenzuwirken, indem die DGKP des

PVZ BewohnerInnen mitbetreuen. Entweder die Laborassistentin oder die Pflegefachkräfte

fahren 1x pro Woche ins Altenheim und führen Blutabnahmen nach Arztanordnung durch (IP 1).

Stufe des Systems

Diese übergeordnete Stufe ist dafür verantwortlich, dass Informationen in der Gemeinde

gesammelt werden, um unterstützend bei Veränderungen auf Landes- oder Bundesebene

mitwirken zu können (vgl. Minnesota Departement of Health 2019). Dies hat sich als nützlich

erwiesen, als die Pandemie ausgebrochen ist. Das PVZ Enns und seine MitarbeiterInnen haben

gemeinsam mit der Gemeinde eine „Infektordination“ etabliert. Durch das Mitwirken bei der

Organisation solcher „Infektordis“ haben Pflegefachkräfte public health bezogene Aufgaben

übernommen und einen wichtigen Beitrag bei deren Implementierung geleistet (IP 1).

3. Dimension: KlientInnen- und PatientInnenstruktur

Die Literaturanalyse zeigt, dass CHN Personen jedes Alters bzw. in allen Lebensphasen

versorgen. PVZ sollen Erstanlaufstellen für Menschen mit allen möglichen Beschwerdebildern

sein und die Versorgung sicherstellen können. Akute Versorgungsmöglichkeiten und präventive

Untersuchungen sollen damit gleichwertig abgedeckt werden (vgl. Haubitzer et al. 2020). Im

PVZ Enns werden multimorbide Personen, chronisch Kranke oder Personen von Jung bis Alt

betreut. Diese Vielfältigkeit spricht für ein CNC. Der demographische Wandel trägt dazu bei,

dass das Patientenklientel vermehrt älteren Personen mit chronischen Erkrankungen entspricht.

Obwohl die Versorgung von Personen jedes Alters gewährleistet ist, stellen beide DGKP des

Page 90: Neue Wege der Pflegeorganisation in Österreich

90/111

PVZ Enns klar fest, dass dadurch nicht die Ganzheitlichkeit der Versorgung erfolgt, sondern

immer nur auf bestimmte Bedarfe eines Patienten eingegangen wird. Es herrschen auch ein

schneller Durchlauf und Abwicklung an PatientInnen.

Ich würde auch sagen, wir haben eine Brückenfunktion inne, dass wir schauen, dass Bedarfe organisiert werden, die fehlen. Aber dass wir die Zeit hätten, die Gesamtsituation von Patienten zu Hause zu evaluieren, das ist bei uns nicht der Fall. (IP 1)

Zur Ansprech- und Vertrauensperson werden DGKP im PVZ noch eher durch die

Wundversorgung. Hier kommen PatientInnen regelmäßig zu Kontrollen. Sonst sehen sie sich in

der Rolle der direkten Ansprechperson nicht. In der Funktion des Organisators oder

Koordinators, wie bereits erwähnt, auch nur zum Teil. Falls Beobachtungen einer

Unterversorgung von Personen gemacht werden, werden diese an die Sozialarbeit

weitergeleitet. Die Rolle als Vermittler zwischen zwei Schnittstellen wird auch nur zum Teil und

im Bedarfsfall erfüllt (IP 1 und 2). Hier könnte das Potenzial mehr genutzt werden, um als CHN

tätig zu sein. Es sind Tendenzen eines CNC erkennbar. Wie bereits erwähnt, könnte eine eigene

Planstelle CHN dafür eingesetzt werden, diese wichtigen Rollen einer Pflegeperson im

alltäglichen Prozess verstärkt wahrzunehmen.

6.3.1.1. Im Bereich des Case- und Caremanagements

1. Dimension: Tätigkeitsfeld einer CHN

Die oö. Sozialberatungsstelle in Grieskirchen besteht aus vier MitarbeiterInnen, die alle eine

Pflegeausbildung (FSB-A, DGKP) vorweisen und auf vier Standorte verteilt sind (Gaspoltshofen,

Peuerbach, Kallham, Grieskirchen). Die Sozialberatungsstelle bildet eine Drehscheibe für alle

Informationen zu Leistungen des Landes OÖ. Sie wird vom Sozial-Ressort des Landes OÖ mit

dem SHV oder der Statutarstadt finanziert und stellt für die BürgerInnen eine kostenlose und

vertrauliche Hilfestellung dar (vgl. Folder, Land OÖ). Die Tätigkeitsfelder beinhalten zum

Großteil Beratungen im Bereich der Pflege, der finanziellen Notlagen oder Delogierungen. Sie

bieten ebenfalls Hilfestellung bei Sucht-, Familien- und Eheproblemen und Behördengängen.

Die Pflegeberatungen umfassen ein Konzept. Was steht einem zu? Was gibt es für Unterstützungen? Ich höre mir die Situation an, dann entscheiden wir, was das Beste für alle ist. Wenn zum Beispiel kein Heimplatz zur Verfügung steht, dann suchen wir nach Alternativen. Das Wichtigste ist, dass die Menschen versorgt sind. (...) Damit die optimale Versorgung gefunden wird. (IP 3)

Das oö. Case- und Caremanagement besteht aus den bereits erwähnten Sozialberatungsstellen

und der Koordination für Betreuung und Pflege (KBP). Hier herrscht eine enge Zusammenarbeit.

Die Aufgaben sind klar aufgeteilt und es gibt keine Überschneidungen zu den jeweiligen

Page 91: Neue Wege der Pflegeorganisation in Österreich

91/111

Tätigkeitsprofilen: „Das ist gut abgestimmt. Die KBP übernimmt, wenn es um soziale

Indikationen geht wie zum Beispiel einer Heimaufnahme“ (IP 3). MitarbeiterInnen der

Sozialberatungsstelle arbeiten viel mit den Institutionen und Organisationen im Sozial- und

Gesundheitsbereich zusammen und können eine rasche Vermittlung herstellen. Dies funktioniert

sehr gut. Hier kann ein Unterschied zu den Pflegefachkräften in Enns aufgezeigt werden. Das

PVZ klagt über die mangelnde Zusammenarbeit mit der Überleitungspflege, dem

Entlassungsmanagement von Krankenhäusern oder dem Informationsaustausch mit den

mobilen Diensten:

Das ist ein ganz wichtiger Ansprechpartner für uns. Wir bekommen Infos vom Krankenhaus bzw. wir holen uns Infos ein, wenn sich Angehörige melden. Wir haben auch viel Kontakt mit den Heimleitern und Pflegedienstleitern in unserem Bezirk (sieben Heime). Das funktioniert sehr gut. Ich versuche je nach Situation die Kontakte herzustellen, so eine Mitarbeiterin der Sozialberatungsstelle in Grieskirchen (IP 3).

Der Folder des Landes OÖ gibt vor: „Beraten ist unser Auftrag; Unterstützen ist unser Angebot;

Informieren ist unsere Aufgabe; Vermitteln ist unser Service und Vorbeugen ist unser Anliegen“.

Die erarbeiteten Erkenntnisse zeigen, dass die Sozialberatungsstellen vor allem Wissen

vermitteln und präventiv tätig sind. Hier können Ansätze eines CNC aufgezeigt werden.

2. Dimension: Bestandteile eines CNC

Stufe des Individuums und der Familie

Wie beim PVZ werden auch im Rahmen der Sozialberatungsstelle bei Bedarf Hausbesuche

durchgeführt. Diese erfolgen meist in Abstimmung mit der KBP. Eine Interviewpartnerin erläutert

aus ihrer Praxis: „Wir fahren ins Haus, wenn die Personen nicht die Möglichkeit haben zu

kommen oder wenn es Verwahrlosungsmeldungen gibt, dann sehen wir uns die Situationen vor

Ort an“ (IP 3). Vor allem bei der Pflegeberatung werden die Angehörigen stark miteinbezogen

und im Versorgungszyklus integriert.

Wenn es zu Hause nicht mehr geht, dann muss man schauen, dass auch die Angehörigen entlastet werden. Wir vermitteln zum Beispiel für Angehörige eine Demenzberatung, damit sie besser damit umgehen können und lernen Hilfe anzunehmen. Oder sie werden weitervermittelt an andere Beratungsstellen, wo sie psychosoziale Unterstützung bekommen. Damit sie sich selbst wieder stärken können. (IP 3)

CHN sehen nicht nur das Individuum, sondern auch die gesamte Lebenssituation einer Person.

Dazu gehört ebenso das familiäre Setting und zu evaluieren, wie viel Betreuung durch die

Familienmitglieder noch erfolgen kann. Falls dies nicht der Fall ist, werden Kontakte zur

Entlastung hergestellt (siehe Buurtzorg Modell). Entweder durch mobile Dienste oder die

Aufnahme in eine stationäre Einrichtung. Sozialberatungsstellen stellen den notwendigen

Page 92: Neue Wege der Pflegeorganisation in Österreich

92/111

Kontakt her und gehen auf individuelle Bedarfe ein. Hier können Überschneidungen zu einem

CNC festgehalten werden.

Durch die Beratung von Personen mit Blick auf individuelle Bedürfnisse (Bedarfe), den Einbezug

des familiären Umfelds oder der Nachbarschaft und das Suchen nach persönlichen Alternativen,

um gut zu Hause versorgt zu sein, kann daher ansatzweise von einer ganzheitlichen

Betrachtung (siehe Ganzheitlichkeit von Buurtzorg) gesprochen werden. Die Zusammenarbeit

mit zahlreichen Organisationen, die Pflegebedarfe übernehmen, tragen ebenso einen

wesentlichen Beitrag dazu bei.

Stufe der Gemeinde oder des Systems

Erwähnenswert ist hier die Zusammenarbeit der Gemeinden, der jeweiligen Organisationen je

nach Sprengelzuteilung und dem Case- und Caremanagement, welches für die Koordination

und Organisation von großer Bedeutung ist. BürgerInnen nehmen persönlich oder telefonisch,

veranlasst durch eine schwierige Lebensphase, Kontakt mit den Sozialberatungsstellen auf und

bekommen Hilfestellungen. Die Gewährleistung eines niederschwelligen Zugangs zu regionalen

Pflege- und Gesundheitsleistungen ist notwendig, um Personen mit einem Pflegebedarf

bestmöglich versorgen zu können. Überschneidungen zu einem übergeordneten System

konnten nicht identifiziert werden.

3. Dimension: KlientInnen- und PatientInnenstruktur

Die KlientInnenstruktur umfasst Personen jedes Alters. Hauptklientel sind jedoch pflegende

Angehörige, die auf der Suche nach möglichen Versorgungsmöglichkeiten sind.

Interviewpartnerin 3 führt dazu aus:

Es gibt Personen, die durch Eigenverschulden, aber auch unverschuldet in Notlagen geraten. Bei Selbstverschulden vermitteln wir an die Schuldnerberatung. Wir sehen uns nur als Beratungsstelle und vermitteln bei Bedarf weiter. Bei Delogierungen suchen wir Kontakte mit Vermieter oder Gläubiger und versuchen zu vermitteln, indem zum Beispiel Ratenzahlungen gemacht werden. Bei unverschuldeten Notlagen wie plötzliche Todesfälle gibt es Töpfe, für finanzielle Unterstützung. Und das sind viele Anträge, die viel Zeit brauchen.

Dafür wird die gesamte Situation der KlientInnen erhoben.

Eine CHN übernimmt wichtige Rollen und Funktionen, die MitarbeiterInnen einer

Sozialberatungsstelle ganz oder teilweise ausüben. Die Interviewpartnerin fühlt sich als direkte

Ansprechperson, als eine erste Anlaufstelle, die das Umfeld einer Person evaluiert und bei

Fällen, die nicht in ihrem Zuständigkeitsbereich liegen, weitervermittelt. Somit sieht sie sich auch

in der Rolle der Vermittlerin und als Vertrauensperson.

Page 93: Neue Wege der Pflegeorganisation in Österreich

93/111

„Auf alle Fälle. Es kommen viele Personen mit vertraulichen Belangen. Die Menschen sind oft

sehr dankbar, dass sie es erzählen können“ (IP 3). Die Funktion des Koordinators und

Organisators wird nur teilweise übernommen, wenn es zur Antragstellung kommt.

Die erarbeiteten Erkenntnisse zeigen, dass immer wieder Überschneidungen zu dem

Tätigkeitsfeld einer CHN oder Bestandteile des CNC festgestellt werden können, die das Bild

der oö. Langzeitpflege prägen.

6.3.2. Welche Maßnahmen braucht es, um Pflegekoordination und -organisation in Oberösterreich besser auszuführen?

Es ist festzuhalten, dass die Situation in den Niederlanden in der Langzeitpflege vor der

Einführung des Buurtzorg Modells sich ähnlich darstellte wie in Österreich. Durch die

zunehmende Ökonomisierung, Spezialisierung, Taktung und Arbeitsteilung nahm die gelebte

Ganzheitlichkeit ab und die Abrechnung von Leistung nach Minuten rückte vermehrt in den

Vordergrund. Die Forderung nach entsprechenden Organisationskonzepten und die Umsetzung

von Maßnahmen ist groß, um den genannten Gründen entgegenwirken zu können (vgl.

Leichsenring und Staflinger 2017: 61).

Das CNC (Buurtzorg Modell) und die vermehrte Etablierung von PVZ bieten Lösungsansätze für

zentrale Problemfelder, die auch in Österreich herrschen. Jedoch gestaltet sich die

Umsetzbarkeit wegen der österreichischen Rahmenbedingungen schwierig. Hemmnisse werden

in der föderalen Struktur, den niedrigen staatlichen Ausgaben für professionelle Pflegedienste

und der Abrechnung von Pflegeleistungen gesehen (vgl. Hauer 2016: 4).

Die Strukturen des PVZ Enns und der Sozialberatungsstelle in Grieskirchen haben gezeigt, dass

in deren Rahmen das Tätigkeitsprofil und das Aufgabenfeld einer DGKP teilweise

Überschneidungen zu dem Tätigkeitsbereich einer CHN, wie sie in der Literatur beschrieben

wird, gegeben sind. Es konnten mehrere Ansätze eines CNC identifiziert werden, die sich durch

die pflegerischen Interventionen einer DGKP im alltäglichen Arbeitsprozess in einem PVZ oder

im Case- und Caremanagement widerspiegeln. Diese Parallelen wurden im vorherigen Kapitel

aufgezeigt. Ebenso begünstigt ein Gesundheitszentrum, wie eine PVE, die Etablierung einer

CHN, und könnte dort angesiedelt werden. Eine Interviewpartnerin fragt und gibt gleich dazu

eine Antwort:

Was hätte die CHN für Tätigkeiten in Österreich bzw. OÖ? Viele präventive Hausbesuche, also nicht direkt die Pflege an einem einzelnen Patienten, sondern viel mehr das System Familie, Gemeinde oder einer Kohorte von Gemeinde, um hier als beratende und schulende Person tätig zu sein. Dass ein niederschwelliger Zugang zum Gesundheitswesen geboten wird und die CHN die Verbindung zu anderen Gesundheitsdienstleistern darstellt. (IP 2)

Page 94: Neue Wege der Pflegeorganisation in Österreich

94/111

Das PVZ Enns arbeitet bereits daran, wie eine mögliche Implementierung einer CHN aussehen

könnte. Angepasst an die oö. Rahmenbedingungen kann die Planstelle einer CHN in einem PVZ

wie folgt aussehen: Eine Mitarbeiterin des Pflegepersonals würde sich bereit erklären, diese

Funktion zu übernehmen (Ausbildung im Masterstudiengang ANP). Sie bietet die besten

Voraussetzungen dafür auf Grund ihres Ausbildungsniveaus, ihrer Kontakte in der Region und

der Unterstützung eines Arztes. Sie plädiert für eine klare Aufgabenbeschreibung, rechtliche

Absicherung und Finanzierung.

Darum ist es wichtig, die CHN über das PVZ zu implementieren. Ich glaube, dass CHN sich sonst schwer tun würden, weil sie keiner Organisation angehören. Mit dem PVZ hat man viel mehr Möglichkeiten. Die Ärzte schicken dich weiter, wenn sie das Gefühl haben, da besteht ein Bedarf. Wir möchten auch die Überschneidungen mit der Sozialarbeit ausarbeiten. Damit klar definiert ist, wer für was zuständig ist. (IP 2)

Das Berufsbild einer CHN hätte große Chancen, das Bild der oö. Langzeitpflege nachhaltig zu

verbessern. Durch die public health bezogenen Interventionen gelingt ihr ein Rundumblick, der

alle Lebenslagen einer Person einschließt. Durch die getaktete Arbeitsweise der mobilen

Dienste ist dies aktuell nicht zur Genüge gewährleistet. Eine ö. CHN würde als Bindeglied

zwischen den zahlreichen Schnittstellen und als direkte Ansprechperson bei den Menschen zu

Hause fungieren (IP 1).

Durch die geringe Anzahl an PVZ in OÖ bzw. Österreich ist der Bevölkerung oft nicht bewusst

oder bekannt, wie PVZ funktionieren. Maßnahmen zur verstärkten Bekanntmachung durch die

Medien können helfen, den BürgerInnen die Angst vor präventiver Abklärung zu nehmen und

Wissen vermitteln. „Sie planen bis Ende 2021 75 neue PVZ, das ist eine utopische Vorstellung“

(IP 2).

Ebenso benötigen die Sozialberatungsstellen mehr Werbung, um aufzuklären, dass es eine

vertrauliche Anlaufstelle gibt. MitarbeiterInnen betonen, dass der Bedarf bei den KlientInnen

sicherlich größer wäre, jedoch viele über solche Einrichtungen nicht Bescheid wissen. Sinnvoll

wäre, die bereits vorhandenen Sozialberatungsstellen in den Bezirken auszubauen, damit kein

Wildwuchs an vielen verschiedenen Beratungsstellen entsteht. Eine Möglichkeit wäre,

Sozialberatungsstellen in ein PVZ zu integrieren und Schnittstellen zu einer CHN herzustellen.

Ob eine CHN, angesiedelt bei den Sozialberatungsstellen, eine Hilfe ist, müsste noch genauer

geklärt werden.

Die Einschätzung vor Ort macht die KBP, die viel Grundwissen hat. Aber die sind nur für die Bedarfserhebung da, und nicht für die Übernahme der Pflegetätigkeiten. Man müsste für die Praxis klären, wer welche Tätigkeiten übernimmt, damit man sich gegenseitig unterstützt und nicht Wettbewerb entsteht. (IP 3)

Page 95: Neue Wege der Pflegeorganisation in Österreich

95/111

Die Struktur des Pflegewesens in Österreich bzw. die Organisation der oö. Pflegesettings ist

gekennzeichnet durch viele AnbieterInnen und Komplexität (siehe Kapitel Pflegewesen). Wenn

Personen auf Grund einer Pflegebedürftigkeit Versorgungsleistungen benötigen, sind sie auf die

jeweilige Gemeinde angewiesen und sie können AnbieterInnen nach der Sprengelzuteilung

auswählen. Kritisiert wird hier, dass die Netzwerkarbeit unter den verschiedenen AnbieterInnen

bzw. Berufsgruppen nicht gut funktioniert. Der Ausbau von PVZ könnte Abhilfe schaffen.

Ich glaube, es ist schon die Zukunft, dass es mehr PVZ oder PVE gibt. Man muss sich mehr mit der mobilen Pflege abstimmen, das machen wir auch zu wenig. Jeder kocht sein eigenes Süppchen. Wir hören immer nur, dass die HKP sehr überlastet ist und keine Ressourcen hat. (IP 2)

Ebenso könnte das Berufsbild der CHN als Zugewinn und Unterstützung für

AllgemeinmedizinerInnen in Hausarztpraxen gesehen werden. Besonders in ländlichen

Gebieten, wo PVZ noch nicht weit verbreitet sind, können CHN unterstützend und beratend tätig

sein.

Trotz der utopischen Vorstellung würde das Berufsbild der CHN längerfristig zu einer

verbesserten Koordination in der oö. Langzeitpflege beitragen.

Dies äußert sich darin, dass man als CHN schon viel früher im gesamten Versorgungszyklus eingreifen und die Pflegebedürftigkeit von Personen hinauszögern kann. Dadurch kann ein leichterer Übergang zur Langzeitpflege (Aufnahme ins Altenheim) gestaltet werden. Dass das nicht von heute auf morgen passiert, wie es oft der Fall ist. Vor allem in einer Pandemie wie Corona hätte eine CHN viel früher eingreifen können. Wie zum Beispiel mit pflegerischen Maßnahmen, dass man in einem Heim beratend tätig ist. Dass man wissenschaftlich arbeitet, Daten erhebt und daraus Konsequenzen ziehen kann. CHN hätten dazu einen großen Beitrag leisten können, dass die Situation in den Heimen nicht so ist, wie sie ist. Wie zum Beispiel, dass ein absolutes Besuchsverbot besteht. (IP 2).

Als generelles Problem wird geäußert, dass der aktuelle Pflegenotstand ein Grundproblem

darstellt. „Wir haben so viele Betten in den Altenheimen in den Bezirken leer, die nicht belegt

werden können, weil kein Personal da ist“ (IP 3). Als Gründe werden die Umstände genannt, die

ein Pflegeberuf mitsichbringt. Dazu zählen die Arbeitsbedingungen, keine angemessene

Bezahlung, Zeitdruck bei Pflegetätigkeiten, Image usw. „Und vor allem die knappe Zeit für die

Bewohner (Altenheim). Gerade die Zeit für Gespräche mit Bewohnern lässt dich als

Pflegeperson auftanken und das gibt dir selber wieder Kraft“ (IP 3).

Auf die Frage, ob eine bessere Bezahlung das Image der Pflege aufwerten würde, äußerte eine

Interviewpartnerin:

Page 96: Neue Wege der Pflegeorganisation in Österreich

96/111

Mir hätte gut gefallen: weniger Stunden bei gleichem Gehalt. Das wäre für mich Qualität. Eine Vollzeitbeschäftigung ist nicht sinnvoll, weil viele Pflegekräfte ausgelaugt sind. Ich bin immer teilzeitbeschäftigt gewesen und es hat für mich gereicht. Wenn du wieder mal einen Tag frei hast, bist du belastbarer. Aber über kurz oder lang sind Pflegekräfte ausgepowert. Man muss auf das Pflegepersonal schauen, dass diese auch bei Kräften bleiben. (IP 3)

Und eine weitere Pflegefachkraft sagte dazu:

Ja auf alle Fälle. Niemand macht den Beruf nur aus Barmherzigkeit und Nächstenliebe. Wir müssen auch von etwas leben können. Wenn wir mehr verdienen würden, würden sicher mehr Menschen sich dafür entscheiden. (IP 2)

Auf die Frage, ob das Image der Pflege durch das Berufsbild der CHN aufgewertet wird,

antwortete eine Interviewpartnerin: „Die CHN kann einen großen Teil dazu beitragen, weil wir

sind ein Bindeglied und es entsteht Vertrauen“ (IP 2). Das Bindeglied zwischen Institutionen,

Behörden, Angehörigen, Pflegebedürftigen, anderen medizinischen Berufsgruppen und viele

mehr.

Die genannten Maßnahmen sind eine von vielen Möglichkeiten, um die Pflegeorganisation in der

oö. Langzeitpflege zu verbessern bzw. die Versorgung von Pflegebedürftigen bestmöglich zu

gewährleisten. Grundsätzlich benötigt es einen fundamentalen Umdenkprozess, der die

Leitprinzipien der Langzeitpflege integriert (Leichsenring 2015: 24). Um dies erreichen zu können, wird empfohlen, folgende Aspekte der Langzeitpflege zu verbessern:

1. Ganzheitlichkeit

Zurzeit werden die Pflegetätigkeiten, wie bereits mehrfach erwähnt, nach einer tayloristischen

Denkweise erbracht. Dies bedeutet, dass einfache Aufgaben an gering bzw. niedrig bezahlte

Pflegekräfte delegiert werden. So kommt es vor, dass Pflegebedürftige von mehreren

Pflegekräften besucht werden, die je nach Qualifikation Pflegeleistungen vornehmen. Sehr

knappe Taktungen sind die Folge und die ganzheitliche Orientierung an den Bedarfslagen geht

verloren. Im Mittelpunkt stehen die Defizite der Personen, für die schnelle Lösungen gesucht

werden. Beziehungsarbeit ist auf Grund des beschränkten Zeitkontingents nicht möglich. Die

Vernetzung und Koordination von Schnittstellen ist von zentraler Bedeutung, die in Österreich

kaum gegeben ist. Als positives Beispiel kann hier jedoch die nationale Demenzstrategie

genannt werden (vgl. Leichsenring und Staflinger 2017: 61; Juraszovich et al. 2015). Wie bereits

aufgezeigt, kann eine ganzheitliche Denkweise wie bei einem CNC einen wesentlichen Beitrag

dazu leisten, um eine bessere Versorgung der BürgerInnen zu gewährleisten. Ansätze eines

CNC konnten bei oö. Pflegesettings (PVZ, Case- und Caremanagement) bereits identifiziert

werden.

Page 97: Neue Wege der Pflegeorganisation in Österreich

97/111

2. Stärkung der Teams

Hier ist eine völlig neue und andere Sichtweise auf die Langzeitpflege von Bedeutung. Ziel soll

sein, autonome Teams zu stärken, indem ein Qualifikationsmix, gezielte Fortbildungen in Case-

und Caremanagement und CHN gesetzt werden. Das Regierungsprogramm von 2020-2024

spricht davon, dass 500 CHN in Österreich implementiert werden sollen. Begünstigt kann diese

Implementierung über die PVZ erfolgen, die bereits weiter ausgebaut werden. Es müssen

Kompetenzen vermittelt werden, wie die Zusammenarbeit in autonomen, kleinen Teams

organisiert wird und funktioniert. Bei Buurtzorg sind 2% des Gesamtbudgets für Weiterbildungen

reserviert. Beschäftigte in der Langzeitpflege in Österreich beklagen, dass Fort- und

Weiterbildungen nebensächlich behandelt werden. Hier besteht Handlungsbedarf, damit

Mitglieder in autonomen Teams selbst entscheiden können, was gerade gebraucht wird

(Leichsenring et al. 2016: 1f).

In der Literatur wird immer wieder betont, dass CHN auf Masterniveau angesiedelt sind. In

Österreich wird dies nicht möglich sein, 500 CHN mit einem akademisierten Ausbildungsstand

zu generieren, da die Akademisierung sehr langsam voranschreitet. „Es wäre angemessen, aber

wenn man viel Berufserfahrung hat, denke ich, dass man sich das erlernen kann. Jedoch die

wissenschaftliche Komponente zum evidenzbasierten Arbeiten fehlt“ (IP 2).

3. Starke Vernetzung und berufsgruppenspezifische Zusammenarbeit

Lokale Netzwerke müssen besser genützt werden. PVZ zählen in den Niederlanden zur

Regelversorgung, in Österreich wird aktuell der Ausbau von PVZ weiter vorangetrieben (siehe

Kapitel PVZ). Zunehmende Versorgungsangebote wie zum Beispiel der Ausbau der mobilen

Hospiz- und Palliativversorgung und die Sozialberatungsstellen (Case- und Caremanagement)

werden gefördert. Ebenso muss eine stärkere Einbeziehung der Pflegebedürftigen und

Angehörigen passieren (vgl. Hauer 2016: 3).

4. Pflegeassessment und Finanzierung

Dafür braucht es insgesamt weitgehende Überlegungen über die österreichische

Pflegefinanzierung, zur Erhebung individueller Bedarfslagen (Assessment) und der Messung

von Outcomes sowie der Abrechnung von Pflegeleistungen in der Langzeitpflege. Das

Pflegewesen in Österreich wird in einem extra Kapitel behandelt. Die Finanzierung stellt sich als

sehr komplex dar und wird in der vorliegenden Arbeit nicht näher beleuchtet (vgl. Riedel et al.

2019: 5).

Diese vier Aspekte sind Ansatzpunkte, die verändert werden müssen, damit es generell in der

österreichischen Langzeitpflege längerfristig zu einem Umdenkprozess kommt. Die Versorgung

von Pflegebedürftigen wird in Österreich zu einem hohen Prozentsatz von Angehörigen

Page 98: Neue Wege der Pflegeorganisation in Österreich

98/111

durchgeführt. Es braucht ein klares, politisches Bekenntnis, dass „nicht jede/r pflegen kann“. Es

ist von höchster Dringlichkeit festzuhalten, dass professionelle Dienste ihre Kompetenzen in die

Langzeitpflege einbringen müssen, um informelle Netzwerke zu entlasten. Das CNC wäre eine

Option dafür. Bereits jetzt sind schon Ansätze des CNC in OÖ erkennbar. Dies bietet eine gute

Basis, damit das Berufsbild der CHN angepasst an die ö. bzw. oö Rahmenbedingungen Fuß

fassen kann. Es bedarf eines starken Umdenkens in vielen Trägerorganisationen, bei denen

hierarchische Entscheidungsstrukturen, funktionsspezifische Arbeitsteilung und zentrale

Kontrollmechanismen an oberster Stelle stehen (vgl. Leichsenring und Staflinger 2017: 68).

Page 99: Neue Wege der Pflegeorganisation in Österreich

99/111

7. Ausblick und Limitation der Arbeit

Die letzten Jahre haben gezeigt, dass sich der Pflegeberuf und die damit einhergehenden

erweiterten Aufgaben und Rollen des Pflegepersonals stark weiterentwickelt haben. McKenna et

al. (2015: 183f) sprechen auch von einer dynamischen Bewegung, die sich als Zuwachs an

Autonomie und Handlungsspielräumen von Pflegefachkräften kennzeichnet und als wichtig und

vorantreibend eingeschätzt wird.

Es ist wichtig, bei diesen Entwicklungen von Anfang an die Vielfalt an Bereichen im Blick zu

haben, vor allem den ambulanten Sektor (Primärversorgung) und die Langzeitpflege. Hier

warten zahlreiche Herausforderungen auf neue Lösungen, da es durch den demographischen

und epidemiologischen Wandel zu weitreichenden Veränderungen gekommen ist. Dadurch

haben die Primärversorgung und die Langzeitpflege an Bedeutung gewonnen und die an sie

gestellten Anforderungen sind gestiegen. Daher sind eine rasche und größere Reaktions-,

Anpassungs- und Veränderungsbereitschaft gefordert (vgl. Frenk et al. 2010: 1923f; Schaeffer

2017: 32).

Das gilt auch für Österreich. Es hat zwar zahlreiche Anpassungsbemühungen gegeben, um eine

bedarfsgerechte Gesundheitsversorgung im Alter zu gewährleisten. Doch werden nötige

Reformen (siehe die Etablierung der PVZ, Akademisierung der Pflege) meist mit großer

Zeitverzögerung in Angriff genommen und die Veränderungsbereitschaft ist oft eher bescheiden

(Machtverluste, Überschneidungen von Zuständigkeiten). Es wird immer wieder übersehen,

dass die kontinuierlich steigende Anzahl an älteren Personen (Veränderung des

Krankheitsspektrums) nicht nur einen höheren Bedarf an Pflege nach sich zieht, sondern auch

neue Konzepte und Kompetenzen erfordert. Der Entwicklungsrückstand gegenüber

internationalen Modellen (siehe USA, Kanada, Niederlande) ist besonders groß, speziell im

Bereich von ANP (vgl. Hämel und Schaeffer 2013: 413f).

Ziel dieser Arbeit war es, die Pflege in all ihren Facetten zu beleuchten und zentrale

Problemfelder in Österreich bzw. OÖ aufzuzeigen. Hierfür wurde der Blick auf die Rolle des

Pflegepersonals gerichtet und wie das ö. bzw. oö Pflegewesen organisiert ist. Es ist eindeutig

ersichtlich, dass trotz der zahlreichen Versorgungsangebote (siehe Pflegesettings) teilweise

keine bedarfsgerechte Pflege stattfindet. Personen sind entweder unter- oder überversorgt,

geschuldet einer ineffizienten Koordination und Organisation des ö. Pflegewesens. Einen

großen Anteil daran hat sicherlich die große Komplexität (Zugang zu Leistungen) des

Gesundheits- und Pflegewesens.

Page 100: Neue Wege der Pflegeorganisation in Österreich

100/111

Die Sichtung der Literatur und deren Analyse hat ergeben, dass ein innovatives

Organisationskonzept dabei helfen kann, Menschen besser (angepasst an die individuellen

Bedürfnisse) zu versorgen und im Pflegealltag (Angehörige) zu unterstützen. Es ist ein

koordinierendes Pflegekonzept genannt das „Community Nurse Concept“. Die Vor- und

Nachteile dieses CNC wurden ausführlich beschrieben. Resultierend kann gesagt werden, dass

eine Etablierung und Forcierung dieses Konzepts überwiegend positive Auswirkungen nach sich

zieht (siehe Buurtzorg Modell). Es stellt eine vollkommen andere Sichtweise auf die

Langzeitpflege dar. In diesem Zusammenhang wurde auch das Konzept der PVZ beleuchtet.

Dieses Modell hat international ebenso große Resonanz nach sich gezogen. In Österreich wird

die Implementierung von PVZ bereits stetig vorangetrieben und ist eine Reformbestrebung und

Zielsetzung der ö. Regierung.

Die Verfasserin dieser Arbeit hat die Literatur zu diesen zwei Konzepten (CNC, PVZ) gesichtet

und versucht mögliche Überschneidungen zur oö. Langzeitpflege herauszufiltern. Auf Grund der

vielen Bereiche in der Langzeitpflege wurde zum einen das Land OÖ genauer untersucht und

zum anderen nur zwei Bereiche herausgesucht, die Potenziale dieser Konzepte beinhalten

könnten. Daher wurden die Ebene der Primärversorgung (PVZ Enns) und das oö. Case- und

Caremanagement (Sozialberatungsstelle in Grieskirchen) ausgewählt.

Limitiert kann hier werden, dass nur zwei Bereiche untersucht wurden und für diese zwei

Bereiche stellvertretend nur jeweils eine Einrichtung herangezogen wurde. Zusätzlich kann

limitiert werden, dass nur das Bundesland OÖ herangezogen wurde und die restlichen

Bundesländer außer Acht gelassen wurden. Zusätzlich ist eine Limitation, dass nur die Struktur

der Langzeitpflege beleuchtet wurde und stationären Einrichtungen wie Krankenhäuser keine

Bedeutung finden. Die Gründe dafür wurden laufend in der Arbeit beschrieben.

Trotzdem geben die Umsetzung und praktischen Herangehensweisen der ausgewählten

Bereiche Aufschlüsse über Ansätze eines CNC. Weitere Studien in anderen ö. bzw. oö.

Pflegesettings können helfen, weitere mögliche Ansätze eines CNC zu identifizieren und sind

sicher notwendig, um das ö. Gesamtbild der Langzeitpflege und deren Problemfelder besser zu

verstehen und Lösungsansätze zu finden.

Zusammenfassend zeigen die Ergebnisse dieser Arbeit, dass bereits in der oö. Langzeitpflege in

beiden Bereichen (PVZ, Case- und Caremanagement) Ansätze eines CNC identifiziert wurden

und Rollen und Aufgaben einer CHN übernommen werden. Vor allem im Bereich der

Primärversorgung konnte aufgezeigt werden, dass im täglichen Arbeitsablauf einer DGKP viele

Überschneidungen zu einer CHN auftreten. Die Kompetenzen für die Ausübung des

Berufsbildes einer CHN sind im GuKG (BGBI. Nr. 108/1997) bereits verankert und lassen die

Ausübung des Berufes einer CHN zu. Hervorgestochen ist, dass die ganzheitliche Sichtweise

auf den Patienten nicht gegeben ist, dies jedoch im CNC von großer Bedeutung ist. Es wurden

Page 101: Neue Wege der Pflegeorganisation in Österreich

101/111

Maßnahmen herausgearbeitet, die helfen, das Bild der oö. bzw. ö. Langzeitpflege und deren

Koordination und Organisation zu verbessern (siehe Ergebnisse Maßnahmen).

Diese Arbeit soll helfen, die Beweggründe aus Sicht der PflegemitarbeiterInnen besser zu

verstehen und dazu beitragen, dass es von höchster Notwendigkeit ist, zu erkennen,

Pflegepersonal im Beruf zu halten bzw. junge Menschen für den vielseitigen Beruf zu gewinnen.

In den letzten Jahren ist das Image des Pflegeberufes stark in Mitleidenschaft gezogen worden.

Vor allem die Arbeitsbedingungen und die Umstände haben dazu beigetragen, diese

Entwicklungen stark voranzutreiben. Der Tenor ist einstimmig, dass MitarbeiterInnen eines CNC

(siehe Umsetzung in anderen Ländern) oder eines PVZ im Arbeitsumfeld zufriedener sind als im

herkömmlichen Setting (Alten- und Pflegeheim, mobile Dienste, Krankenhäuser). Eine mögliche

Ursache kann sein, dass diesen MitarbeiterInnen mehr Autonomie und eigenverantwortliches

Arbeiten gewährt wird und dies zu mehr Zufriedenheit und Anerkennung führt. Diese Bereiche

sind nicht so stark von einer festgelegten Hierarchie geprägt und das Pflegepersonal wird zum

Großteil als gleichwertig gewichtet. Diese Anerkennung und Wertschätzung ist notwendig, um in

Zukunft ausreichend Pflegepersonal zu generieren (vgl. Schaeffer 2017: 28).

In diesem Sinne ist unumstößlich, die Qualifizierung der Pflegefachkräfte stetig voranzutreiben

und die Akademisierung zu fördern. In der internationalen Literatur besteht Einigkeit darüber,

dass ANP eine hochschulische Qualifizierung auf Masterniveau verlangt, jedoch finden sich in

zahlreichen Ländern unterschiedliche Entwicklungen dazu. Empfehlungen sprechen davon, zu

einer einheitlichen Definition von ANP Rollen und Qualifizierungsstandards zu gelangen. In

Österreich ist festzuhalten, dass die hochschulische Ausbildung der Pflege sehr langsam

voranschreitet und hier dringend Handlungsbedarf besteht. Damit zugleich die Attraktivität der

Pflege steigt. Zum anderen, damit eine an die internationalen Entwicklungen kompatible

Aufgabenneuverteilung gelingt und diese ausreichend qualifikatorisch abgesichert ist. Ziel der ö.

Regierung sollte es sein, sich noch stärker für die Pflege einzusetzen, einen wertschätzenden

Umgang zu pflegen und für die Zukunft konsequent neue Reformbestrebungen zu verfolgen,

damit die BürgerInnen bedarfsgerecht und in Würde altern können (vgl. Ewers et al. 2012: 29f).

Page 102: Neue Wege der Pflegeorganisation in Österreich

102/111

8. Literaturverzeichnis

Alders Peter (2015): Self-managed care teams to improve community care for frail older adults

in the Netherlands. In: International Journal of Care Coordination, 18(2–3)/2015, S. 57–61. Auth Diana (2013): Ökonomisierung der Pflege – Formalisierung und Prekarisierung von

Pflegearbeit. In: WSI Mitteilungen 06/2013, S. 412-422, Gießen.

Anttonen Anneli und Jorma Sipilä (1996): European social care services: Is it possible to

identify models. In: Journal of European Social Policy, 6 (2), pp. 87–100.

Aulenbacher Brigitte, Riegraf Birgit, Theobald Hildegard (Hg.) (2014): Sorge: Arbeit,

Verhältnisse, Regime. Soziale Welt, Sonderband 20. Baden-Baden: Nomos.

Aulenbacher Brigitte (2018): Care und Care-Arbeit – Eine neue Stufe ihrer Vergesellschaftung.

In: Feministische Studien 36 (1), S. 78–91. Aulenbacher Brigitte (2020): Auf neuer Stufe vergesellschaftet: Care und soziale Reproduktion

im Gegenwartskapitalismus. In: Becker et al. (Hrsg.), Gespannte Arbeits- und

Geschlechterverhältnisse im Marktkapitalismus, Geschlecht und Gesellschaft 72, 2020, S. 125-

147, Springer Verlag.

Bachinger Almut (2016): 24-Stunden-Betreuung in Österreich. Die Nutzung migrantisierter

Arbeitskraft. Vorzeigemodell oder Arbeitsausbeutung? In: Femina Politica 25 (1), S. 39–51.

Becker S. Gary (1993): Nobel Lecture: The Economic Way of Looking at Behavior. In: Journal

of Political Economy, Vol. 101, No. 3 (Jun., 1993), pp. 385-409, Published by: The University of

Chicago Press !, unter JSTOR.

Bachner Florian, Bobek Julia, Haindl Anita, Rainer Lukas, Zuba Martin (2020):

Monitoringbericht Zielsteuerung-Gesundheit. Monitoring nach Vereinbarung gemäß Art. 15a B-

VG Zielsteuerung-Gesundheit und Zielsteuerungsvertrag. Gesundheit Österreich GmbH, Wien.

Brandstätter Eveline, Klampfl-Kenny Monika, Mircic Eva, Pesl-Ulm Karin, Raiger

Marianne, Rappold Elisabeth, Riedler Karoline (2018): Leistungsprofil, Rolle und Aufgaben

des gehobenen Dienstes für Gesundheits- und Krankenpflege (DGKP) in einer

Primärversorgungseinheit (PVE), Fachliche Expertise durch die Arbeitsgruppe des ÖGKV

Landesverbandes Steiermark, 2018.

BEP OÖ (2019): Bedarfs- und Entwicklungsplan 2015. Pflegevorsorge für ältere Menschen in

Oberösterreich. Projekt “Sozialressort 2021+” Anpassung, Amt der oö. Landesregierung,

Direktion Soziales und Gesundheit, 2019, Linz.

Die Organisation Buurtzorg, abgerufen unter: www.buurtzorg.com, am 01.10.20

BGBI. Nr. 866/1993: Gesamte Rechtsvorschrift für Vereinbarung 15a B-VG über gemeinsame

Maßnahmen des Bundes und der Länder für pflegebedürftige Personen, abgerufen unter:

https://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=LrNO&Gesetzesnummer=20000957,

am 14.05.20

Page 103: Neue Wege der Pflegeorganisation in Österreich

103/111

BGBl. Nr. 110/1993: Bundesgesetz, mit dem ein Pflegegeld eingeführt wird

(Bundespflegegeldgesetz: BPGG), abgerufen unter:

https://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=10

008859, am 04.09.20

BGBI. Nr. 108/1997: Bundesgesetz über Gesundheits- und Krankenpflegeberufe (Gesundheits-

und Krankenpflegegesetz – GuKG), abgerufen unter:

https://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=10

011026, am 29.09.20

BGBI. Nr. 131/2017: Bundesgesetz über die Primärversorgung in Primärversorgungseinheiten

(Primärversorgungsgesetz – PrimVG), abgerufen unter:

https://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=20

009948, am 29.09.20

Benz Benjamin und Rieger Günter. (2015): Politikwissenschaft für die soziale Arbeit: eine

Einführung, 2015, Wiesbaden.

Blank Florian (2011): Wohlfahrtsmärkte in Deutschland – eine voraussetzungsvolle Form der

Sozialpolitik. In: WSI Mitteilungen 01/2011, S. 11-18, Hans Böckler Stiftung.

Blank Florian (2017): Aufschwung mit Hindernissen – professionelle Sorgearbeit in

Deutschland. In: WSI Mitteilungen 03/2017, S. 173-179, Hans Böckler Stiftung.

BMASGK (2018): Österreichische Pflegevorsorgebericht 2018, Wien.

BMASGK, Gesundheit Österreich GmbH (2019): Pflegepersonal-Bedarfsprognose für

Österreich. Eine Studie der Gesundheit Österreich GmbH im Auftrag des Bundesministeriums

für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz, Wien.

Bretbacher Christine (2020): Pflegeorganisation neu entdecken: Entwicklung Praxisstandard

Primary Nursing ambulante Pflege. In: ProCare, 2020, 25, S. 37-41.

Daly Mary, Lewis Jane (1998): Introduction: conceptualising social care in the context of

welfare state restructuring. In: Jane Lewis (Hg): Gender, social care and welfare state

restructuring, Aldershot: Ashgate, pp. 86-103.

Dammayr Maria (2015): „Menschlichkeit pflegen“ – Legitimität und Gerechtigkeit in den

Leistungsanforderungen der Altenpflege aus Sicht der Beschäftigten. In: Legitimität.

Gesellschaftliche, politische und wissenschaftliche Bruchlinien der Rechtfertigung, Hsg.

Dammayr Maria, Grass Doris, Rothmüller Barbara, transcript Verlag, Bielefeld, verfügbar unter

JSTOR.

Dammayr Maria (2019): Legitime Leistungspolitiken? Leistung, Gerechtigkeit und Kritik in der

Altenpflege, 2019, Beltz Juventa.

Deusdad Blanca A., Pace Charles, Anttonen Anneli (2016): Facing the Challenges in the

Development of Long-Term Care for Older People in Europe in the Context of an Economic

Crisis . In: Journal of Social Service Research, 42:2, pp. 144-150.

Page 104: Neue Wege der Pflegeorganisation in Österreich

104/111

Eichler Melanie, Pfau-Effinger Birgit (2009): The ‘Consumer Principle’ in the Care of Elderly

People: Free Choice and Actual Choice in the German Welfare State. In: Social Policy &

Administration, Vol. 43, No.6, December 2009, pp. 617–633.

Dimmel Nikolaus, Schmid Tom (2013): Soziale Dienste in Österreich, Studien Verlag.

Donald Faith, Martin-Misener Ruth, Bryant-Lukosius Denise, Kilpatrick Kelley,

Kaasalainen Sharon, Carter Nancy, Harbman Patricia,Bourgeault Ivy, DiCenso Alba

(2010): The primary healthcare nurse practitioner role in Canada. In: Nursing Leadership (Tor

Ont), 23 Spec, No 2010, pp. 88-113.

Donald Faith, Kilpatrick Kelley, Reid Kim, Carter Nancy, Martin-Misener Ruth, Bryant-

Lukosius Denise, Harbman Patricia, Kaasalainen Sharon, Marshall Deborah .A.,

Charbonneau-Smith Renee, Donald Erin .E., Lloyd Monique, Wickson-Griffiths Abigail,

Yost Jennifer, Baxter Pamela, Sangster-Gormley Esther, Hubley Pamela, Laflamme,

Celyne, Campbell-Yeo Marsha, Price Sheri, Boyko Jennifer, DiCenso Alba (2014): A

systematic review of the cost-effectiveness of nurse practitioners and clinical nurse specialists:

what is the quality of the evidence? In: Nursing Research Practice, 2014.

Ehrentraut Oliver, Huschick Gwendolyn, Moog Stefan, Sulzer Laura (2019): Langzeitpflege

im Wandel. Pflegebedarfe, Pflegeberufe, Pflegefinanzierung, Bertelsmann Stiftung, S. 1-85,

Gütersloh.

Etgeton Stefan (2019): Zukunft Langzeitpflege. Aufwertung der Pflegeberufe und

generationengerechte Lastenverteilung. In: Spotlight Gesundheit, 6/2019, Bertelsmann Stiftung.

Esping-Andersen Gosta (2002): Why we need a welfare state, 2002, Oxford University Press.

Evers Adalbert (2011): Wohlfahrtsmix und soziale Dienste. In: Evers Adalbert; Heinze Rolf G.;

Olk Thomas (Hg.): Handbuch Soziale Dienste. Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften, S.

265-283.

Ewers Michael, Grewe Tanja, Höppner Heidi, Huber W., Sayn-Wittgenstein Friederike,

Stemmer Renate, Voigt-Radloff Sebastian, Walkenhorst Ursula (2012): Forschung in den

Gesundheitsfachberufen. Potenziale für eine bedarfsgerechte Gesundheitsversorgung in

Deutschland. In: Deutsche medizinische Wochenschrift 137 (Suppl 2), S. 29-76.

Famira-Mühlberger Ulkrike, Firgo Matthias (2018): Aktuelle und künftige Versorgungsfunktion

der mobilen Pflege- und Betreuungsdienste in Österreich. Österreichisches Institut für

Wirtschaftsforschung Im Auftrag des Hilfswerks Österreich, Dezember 2018, Wien.

Farris Sara, Marchetti Sabrina (2017): From the Commodification to the Corporatization of

Care: European Perspectives and Debates. In: Social Politics: International Studies in Gender,

State & Society 24 (2), pp. 109–131. Fraser Nancy (2018): Krise, Kritik und Kapitalismus: Eine Orientierungshilfe für das 21.

Jahrhundert. In: Feminismus und Marxismus, Hrsg. A. Scheele und S. Wöhl, S. 40–58,

Weinheim, Basel: Beltz Juventa.

Page 105: Neue Wege der Pflegeorganisation in Österreich

105/111

Frenk Julio, Chen Lincoln, Bhutta Zulfiquar A., Cohen Jordan, Crisp Nigel, Evans

Timothy, Fineberg Harvey, Garcia Patricia, Ke Yang, Kelley Patrick, Kistnasamy Barry,

Meleis Afaf, Naylor David, Pablos-Mendez Ariel, Reddy Srinath, Scrimshaw Susan,

Sepulveda Jaime, Serwadda David, Zurayk Huda (2010): Health professionals for a new

century: transforming education to strengthen health systems in an interdependent world. In:

Lancet 376, Nr. 9756, pp. 1923-1958.

Geissler Birgit und Pfau-Effinger Birgit (2005): Change in European care arrangements. In:

Care and Social Integration in European Societies, Hrsg. Birgit Pfau-Effinger und Birgit Geissler,

pp. 3–19, Bristol: Policy Press.

Greifeneder Martin (2011): Pflegegeldreformgesetz 2012. In: ÖZPR 2011/90, S. 108-112.

Haubitzer Sonja, Horak Melitta, Riedler Karoline (2020): Community Health Nursing. In: Wir

denken Gesundheit neu! Corona als Chance für eine Zeitenwende im Gesundheitswesen, 2020,

S. 37-51, Rümmele Martin, Sprenger Martin (Hg.), Ampuls Verlag.

Golla Markus (2020): Interview mit Bundesminister Rudolf Anschober. In: Pflege professionell,

abgerufen unter: https://pflege-professionell.at/interview-mit-bundesminister-rudolf-anschober,

am 28.09.20

Hauer Gerlinde (2016): Buurtzorg – Vom Pilotprojekt zum größten Non-Profit-Unternehmen in

der mobilen Pflege. In: A&W Blog, abgerufen unter: awblog.at/buurtzorg-vom-notstand-in-der-

pflege-zur-sozialen-innovation, am 20.11. 20

Hämel Kerstin, Schaeffer Doris (2013): Who cares? Fachkräftemangel in der Pflege. In:

Zeitschrift für Sozialreform 59, Nr. 4, S. 413-431.

Hurrelmann Klaus, Klotz Theodor, Haisch Jochen (2010): Einführung. Krankheitsprävention

und Gesundheitsförderung, 2010, S. 13-22.

Hackmann Tobias, Klein Ronny, Schneidenbach Tina, Anders Markus, Vollmer Janko

(2016): Pflegeinfrastruktur. Die pflegerische Versorgung im Regionalvergleich, Bertelsmann

Stifung, S. 1-47, Gütersloh.

Huter Sebastian (2020): Schlagworte ohne Substanz aber mit Projektionsfläche. In: Das

österreichische Gesundheitswesen – ÖKZ, 61 Jg. 01-02, 2020, Schaffler Verlag.

Josuks Hannelore (2008): Primary Nursing: Ein Konzept für die ambulante Pflege. Ein

Leitfaden zur Implementierung eines neuen Pflegesystems, 2008, 2. Auflage, Hamburg.

Juraszovich Brigitte, Sax Gabriele, Rappold Elisabeth, Pfabigan Doris, Stewig Friedericke

(2015): Demenzstrategie, Gut leben mit Demenz, Bundesministerium für Gesundheit und

Sozialministerium Wien, abgerufen unter: https://www.demenzstrategie.at, am 24.11.20

Kaasalainen Sharon, Martin-Misener Ruth, Kilpatrick Kelley, Harbman Patricia, Bryant-

Lukosius, Denise, Donald Faith, Carter Nancy, DiCenso Alba (2010): A historical overview of

the development of advanced practice nursing roles in Canada. In: Nursing Leadership (Tor Ont)

23 Spec, No 2010, pp. 35-60.

Page 106: Neue Wege der Pflegeorganisation in Österreich

106/111

Keck Wolfgang (2014): Rezension des Buches Varianten von Familialismus: eine historisch

vergleichende Analyse der Kinderbetreuungs- und Altenpflegepolitiken in

kontinentaleuropäischen Wohlfahrtsstaaten, von S. Leitner. In: FeminaPolitica - Zeitschrift für

feministische Politikwissenschaft, 23(1), S. 169-171.

Köfel Manuel (2012): Wer finanziert die Pflege? Pflegefinanzierung in Österreich aus

kommunaler Perspektive. In: KDZ Forum Public Management, Nr. 2/2012, S. 4-7.

Kröger Teppo, Bagnato Angela (2017): Care for older people in early twenty-first-century

Europe: dimensions and directions of change. In: social services disrupted, 2017, pp. 201-218. Land Hilary und Hilary Rose (1985): Compulsory altruism for some or an altruistic society for

all. In: In defence of welfare, Hrsg. Philip Bean, John Ferris und David Whynes, London, pp. 74–

96.

Laimböck Max (2009): Die Zukunft des österreichischen Gesundheitssystems.

Wettbewerbsorientierte Patientenversorgung im internationalen Vergleich, Springer Verlag,

Salzburg.

Laloux Frederic (2014): Reinventing Organizations: A Guide to creating Organizations inspired

by the next stage in human consciousness, Brüssel.

Laloux Frederic, Appert Etienne (2017): Reinventing Organizations visuell. Ein illustrierter

Leitfaden sinnstiftender Formen der Zusammenarbeit, München.

Folder „Sozialberatungsstellen in Oberösterreich“, Land OÖ, unter: https://www.land-

oberoesterreich.gv.at/25569.htm, am 15.02.21

Leitner Sigrid (2009): Von den Nachbarn lernen? Care-Regime in Deutschland, Österreich und

Frankreich. In: WSI-Mitteilungen 7/2009, S. 376-382, Köln.

Leichsenring Kai (2015): „Buurtzorg Nederlend“ – ein innovatives Modell der Langzeitpflege

revolutioniert die Hauskrankenpflege. In: ProCare, 20(8), S. 20-24.

Leichsenring Kai, Staflinger Heidemarie (2017): Die Buurztorg-Idee als Evolution in der

mobilen Landzeitpflege in Österreich: Chancen und Gestaltungsoptionen eines niederländischen

Versorgungsmodells. In: WISO, 40. Jg , 3/2017, S. 49-70, Linz.

Leichsenring Kai, Staflinger Heidemarie (2017): Das Buurtzorg-Modell: Ein neues Paradigma

für die Organisation von Arbeit. In: A&W Blog, abgerufen unter: https://awblog.at/das-buurtzorg-

modell/, 20.11.20

Leichsenring Kai, Schulmann Katharine, Gasior Katrin, Fuchs Michael (2016): Gute Pflege

aus Sicht der Beschäftigten. Bedingungen, Ziele und Perspektiven der Qualitätsverbesserung in

der Langzeitpflege, Wien.

Leitner Sigrid (2003): Varieties of familialism: The caring function of the family in comparative

perspective. In: European Societies, 5:4, pp. 353-375. Leitner Sigrid (2013): Varianten von Familialismus. Eine historisch vergleichende Analyse der

Kinderbetreuungs- und Altenpflegepolitiken in kontinentaleuropäischen Wohlfahrtsstaaten.

Berlin, Duncker & Humblot.

Page 107: Neue Wege der Pflegeorganisation in Österreich

107/111

LGBI. Nr. 82/1998: Verordnung der Oö. Landesregierung über die Errichtung, den Betrieb sowie

über die zur Sicherung einer fachgerechten Sozialhilfe in Alten- und Pflegeheimen erforderlichen

sonstigen Voraussetzungen (Oö. Alten- und Pflegeheimverordnung 2020 - Oö. HVO 2020),

abgerufen unter:

https://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=LrOO&Gesetzesnummer=20001101,

am 13.03.21

Marks Frank (2019): Kompetenzen für die Primärversorgung. Finnlands Steilvorlage.

Gesundheitssystem. Skandinavische Länder gelten als Vorreiter in puncto pflegerischer

Versorgung der Bevölkerung. Was haben sie, was wir nicht haben? In: Die Schwester, der

Pfleger, 09/2019, S. 86-88.

Martinelli Flavia, Anttonen Annelli, Mätzke Margitta (2017): Social services interrupted.

Changes, Challenges and Policy Implications for Europe in Times of Austerity, Published

by Edward Elgar Publishing Limited, UK.

Mairhuber Ingrid, Sardadvar Karin (2018): Die Gleichzeitigkeit von Erwerbsarbeit und

Angehörigenpflege als Herausforderung für die österreichische Pflegevorsorge. In: Filipic Ursula,

Schönauer Annika (Hg.): Zur Zukunft von Arbeit und Wohlfahrtsstaat. Perspektiven aus der

Sozialforschung. Sozialpolitik in Diskussion. Arbeiterkammer Wien, S. 37-46.

McKenna Lisa, Halcomb Elisabeth, Lane Ricki, Zwar Nicholas, Russell Grant (2015): An

investigation of barriers and enablers to advanced nursing roles in Australian general practice.

In: Collegian 22, Nr. 2, pp. 183-189.

Minnesota Department of Health (2019): Public health interventions: Applications for public

health nursing practice (2nd ed.). Mueller Christine, Misiorski Susan und Ortigara Anna (2016): The role of the nurse in

person-directed care. What have we learned after twenty years of „culture change“? In: Journal

of American Society on Aging, Vol. 40, No. 1, America´s Eldercare Worfkforce: Who will be there

to care? Spring 2016, pp. 106-114, verfügbar unter JSTOR.

Neumann-Ponesch Silvia, Müller Dalibor (2016): Zu Hause wird man besser alt. In: Das

österreichische Gesundheitswesen – ÖKZ, Nr. 10/2016, S. 42-44.

Neuwirth Christian (2020): Presseinformation zum Bericht „Pflege in Österreich“,

Rechnungshof Österreich, Wien.

Ostner Ilona (2011): Care – eine Schlüsselkategorie sozialwissenschaftlicher Forschung. In:

Evers Adalbert; Heinze Rolf G.; Olk Thomas (Hg.): Handbuch Soziale Dienste. Wiesbaden:

Verlag für Sozialwissenschaften, S. 461-481.

Olk Thomas (2011): Dienstleistungsbeziehungen: Bürger, Nutzer, Konsumenten und

Koproduzenten. In: Evers Adalbert; Heinze Rolf G.; Olk Thomas (Hg.): Handbuch Soziale

Dienste. Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften, S. 482-498.

Pichlbauer G. Ernest (2018): Das österreichische Pflegesystem: ein europäischer Sonderfall,

2018, S. 1-26, Bertelsmann Stiftung, Gütersloh.

Page 108: Neue Wege der Pflegeorganisation in Österreich

108/111

Pratscher Kurt (2020): Betreuungs- und Pflegedienste der Bundesländer im Jahr 2018. In:

Statistische Nachrichten 2/20, S. 114-128.

Raza Werner, Wedl Valentin, Angelo Silvia (2004): Liberalisierung öffentlicher

Dienstleistungen: eine konzeptuelle, begriffliche und rechtliche Einführung ins Thema, 2004,

Wien.

Rechnungshof Österreich (2020): Pflege in Österreich. Bericht des Rechnungshofes. Wien,

abgerufen unter: www.rechnungshof.gv.at, am 10.09.20

Richter Anna Sarah (2020): Zur Situation pflegender und betreuender Angehörige in

Deutschland, Österreich und Schweiz. Bericht über ein Expertentreffen in Eisenstadt im

Burgenland. In: NDV, April 2020, S. 152-155, Berlin.

Riedel Monika, Kraus Markus, Fößleitner Sophie (2019): Finanzierung der Langzeitpflege

unter Berücksichtigung europäischer Finanzierungsmodelle und die Rolle der Prävention. Eine

Studie des „IHS – Institut für Höhere Studien“ im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit,

Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz, Wien.

Schaeffer Doris, Hämel Kerstin, Ewers Michael (2015): Versorgungsmodelle für ländliche und

strukturschwache Regionen. Anregungen aus Finnland und Kanada. Weinheim: Beltz Juventa.

Schaeffer Doris (2017): Advanced Nursing Practice – Erweiterte Rollen und Aufgaben der

Pflege in der Primärversorgung in Ontario/Kanada. In: Beltz Juventa, Pflege & Gesellschaft, 22.

Jhg, 2017, H1, S. 18-35, Bielefeld.

Siegel Tilla (1993): Das ist nur rational. Ein Essay zur Logik der sozialen Rationalisierung. In:

Rationale Beziehungen? Geschlechterverhältnisse im Rationalisierungsprozess, Hrsg. D.

Reese, E. Rosenhaft, C. Sachse und T. Siegel, S. 363–396, Frankfurt a. M.: Suhrkamp. Schmid Josef (2010): Wohlfahrtsstaaten im Vergleich : Soziale Sicherung in Europa:

Organisation, Finanzierung, Leistungen und Probleme, 3. Auflage, 2010, Wiesbaden.

Ullrich Carsten (2005): Soziologie des Wohlfahrtsstaates: eine Einführung, 2005, Frankfurt am

Main.

Schmidt Andrea E. (2014): Kampf der Generationen oder Solidarität zwischen Jung und Alt?

Das österreichische Pflegesystem im europäischen Vergleich. In: Monumentum Zeitschrift für

Sozialen Fortschritt, Vol. 3, No. 1, S. 15-26, Wien.

Schöfecker Michael (2019): Bevölkerungsprognose 2019. Landes-, Bezirks- und

Gemeindeergebnisse. In: STAT Statistik OÖ, 29/2019, Linz.

Teambasierte Primärversorgung, abgerufen unter: www.sv-primaerversorgung.at, am

09.02.21

Theobald Hildegard (2019): Care: Ansätze und Perspektiven der international vergleichenden

Geschlechterforschung. In: Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer

Nature 201, B. Kortendiek et al. (Hrsg.), Handbuch Interdisziplinäre

Geschlechterforschung, Geschlecht und Gesellschaft, S. 773-782.

Page 109: Neue Wege der Pflegeorganisation in Österreich

109/111

Tronto Joan (2000): Demokratie als fürsorgliche Praxis. In: Feministische Studien 18 (1), S.

25–42. Tronto Joan (2013): Caring democracy: Markets, equality, and justice. New York. Tronto Joan (2017): There is an alternative: homines curans and the limits of neoliberalism. In:

International Journal of Care and Caring 1 (1), pp. 27–43. Vasak Gabriele (2020): Gute Ansätze mit Entwicklungsbedarf. In: Das österreichische

Gesundheitswesen – ÖKZ, 61. Jg, 2020 01-02, S. 10-12, Schaffler Verlag.

Vasak Gabriele (2020): Geringe Gesundheitskompetenz und die Folgen. In: Das

österreichische Gesundheitswesen – ÖKZ, 61. Jg. 2020 03-04, S. 49-50, Schaffler Verlag.

Von Alemann, A. (2015): Rezension des Buches Sorge: Arbeit, Verhältnisse, Regime, hrsg.

von B. Aulenbacher, B.Riegraf, & H. Theobald. In: Femina Politica - Zeitschrift für feministische

Politikwissenschaft, 24(2), S. 158-160.

Voss Dorothea (2017): Strategien zur Sicherung der Facharbeit in der Altenpflege und

frühkindlichen Pflege. In: WSI Mitteilungen 03/2017, S. 211-217, Hans Böckler Stiftung.

Wasel Wolfgang und Haas Hanns-Stephan (2018): Buurtzorg: eine agile Organisation – der

Versuch eines sozialwirtschaftlichen Reviews. Teil 1. In: NDV, Dezember 2018, S. 595-602,

Hamburg.

Wasel Wolfgang und Haas Hanns-Stephan (2019): Buurtzorg: eine agile Organisation – der

Versuch eines sozialwirtschaftlichen Reviews. Teil 2. In: NDV, Jänner 2019, S. 31-37, Hamburg.

Wehr Ingrid (2009): Esping-Andersen travels South: einige kritische Anmerkungen zur

vergleichenden Wohlfahrtsregimeforschung. In: Peripherie, 2009, S. 168-193.

Westrick Marion G., Volbracht Eckhard, Nolting Hans-Dieter, Deckenbach Bernd, Zich

Karsten (2019): Überversorgung – eine Spurensuche., S. 1-107, Bertelsmann Stiftung,

Gütersloh.

Page 110: Neue Wege der Pflegeorganisation in Österreich

110/111

9. Anhang

9.1. Leitfadeninterview

Folgender Leitfaden diente als Orientierung zur Befragung der Zielgruppe:

1. Dimension: Arbeitsbiographie

• Wie sind Sie zur jetzigen Arbeitsstätte gekommen?

• Seit wann arbeiten Sie dort?

• Wie verlief Ihr beruflicher Werdegang?

• Warum haben Sie gewechselt?

2. Dimension: Tätigkeitsfeld einer Community Nurse und Bestandteile eines CNC

• Wie sieht Ihr Tagesablauf/Tagesstruktur aus?

• Was sind Ihre Tätigkeiten als DGKP?

• Kennen Sie das CNC?

• Wie würden Sie die Tätigkeitsfelder einer CHN beschreiben?

• Gibt es von Ihrem Tätigkeitsprofil als DGKP in einer PVE/Case- und Caremanagement

Überschneidungen zu einer CHN?

o Wenn ja, welche?

• Welche Rolle übernehmen Sie als DGKP im Zusammenspiel mit anderen Berufsgruppen in

der Primärversorgung und in der Langzeitpflege, wie z. B. mit Mobilen Diensten,

Sozialberatungsstellen, Koordinationsstellen für Pflege und Betreuung etc.?

• Fühlen Sie sich in Ihrer Tätigkeit als CHN?

• Welche Kompetenzen benötigt es, diesen Beruf auszuüben?

3. Dimension: KlientInnen- und PatientInnenstruktur

• Welche Patientenstruktur wird betreut?

• Sehen Sie sich als direkte Ansprechperson für Patienten?

• Üben Sie die Rolle des Koordinators/Organisators aus?

• Sehen Sie diese Rollen als Bestandteil eines CNC oder als CHN?

Page 111: Neue Wege der Pflegeorganisation in Österreich

111/111

4. Dimension: Maßnahmen für eine verbesserte Pflegeorganisation

• Kann das neue Berufsbild CHN dazu beitragen, integrierte Versorgung in der Langzeitpflege

und -betreuung voranzutreiben? • Welche Maßnahmen braucht es, um Pflegekoordination und -organisation in Oberösterreich

besser auszuführen?

• Wie soll das Pflegewesen in Oberösterreich strukturiert sein, um eine bessere

Pflegekoordination- und organisation gewährleisten zu können?

o Braucht es mehr PVZ?

5. Dimension: Chancen und Grenzen für das Pflegepersonal

• Sehen Sie das Berufsbild einer DGKP in einer PVE als attraktives Arbeitssetting?

• Sehen Sie das Berufsbild der CHN als attraktives Arbeitssetting?

• Was braucht es, um Pflegepersonal für die Tätigkeiten einer CHN zu gewinnen?

(Kompetenzen, Bezahlung)

• Wie zufrieden sind Sie mit Ihrem Aufgabenbereich in einer PVE?

• Haben Sie Verbesserungsvorschläge für die Zusammenarbeit der Berufsgruppen?

(Eigenverantwortlichkeit)

• Sehen Sie persönliche Entwicklungschancen?

• Wie sehen Sie das Image der Pflege?

9.2. Interviewpartnerinnen

Interview 1

Interviewpartnerin: Frau K.

Biographie: 37 Jahre, Arbeitsstätte PVZ Enns, DGKP und Bachelor in Pflegewissenschaft

Interview 2

Interviewpartnerin: Frau L.

Biographie: Arbeitsstätte PVZ Enns, DGKP und Bachelor in Pflegewissenschaft (gerade im

Masterstudiengang ANP)

Interview 3

Interviewpartnerin: Frau H.

Biographie: 52 Jahre, Arbeitsstätte Sozialberatungsstelle in Grieskirchen (OÖ), FSB-A +

Ausbildung für Sozialberatungsstelle (1 Jahr)