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12 Mass Customization Printspiration: Mass Customization und Personalisierung gelten als weltweite Mega-Trends. Wie sind diese Trends eigentlich zu verstehen? Bernd Zipper: Man muss dazu schon einige Zeit zurückblicken. Ausgangspunkt waren die industrielle Revolution, das Fließband, das die Massenproduktion möglich machte und wodurch Waren für jedermann erschwinglich wurden. Das ist bis heute so, hat aber mit immer preiswerteren Produkten auch zu der absurden „Geiz-ist-geil“-Mentalität geführt. Hersteller von Massenware möchten einen breiten Markt bedienen und den Durchschnitts- kunden erreichen. Aber die Strategie „One size fits for all“ trifft die Wünsche vieler Kunden nicht mehr. So lief der Markt irgend- wann „aus dem Ruder“, weil die Konsumenten unberechenbar wurden. Sie interessierten sich nicht mehr für das Nötige, sie wollten den Kick der Abwechslung, sie wollen nicht mit dem Strom schwimmen, sondern genau das machen, was andere nicht tun – eben individuell sein. Aber wenn es um Individualität geht, warum dann Mass Customization? Customizing ist das Anpassen eines Produktes an individuelle Wünsche der Kunden und wird auch als Personalisierung oder Individualisierung bezeichnet. Häuser werden seit jeher so ge- baut. Customizing kann sich auf ein einzelnes Produkt beziehen, wird inzwischen jedoch auch auf industrielle Erzeugnisse ange- wendet. Wird das individualisierte Produkt mit Techniken der Massenproduktion hergestellt, spricht man von Mass Customi- zation. Ein gutes Bespiel sind hier auch Standardverpackungen, die für den Massenmarkt dann mit Namen versehen werden – wie dies etwa Coca Cola vor zwei Jahren gemacht hat. MEIN HAUS, MEIN AUTO, MEIN MÜSLI Maßgeschneidertes vom Fließband Bernd Zipper ist Geschäftsführer des Essener Beratungsunternehmens zipcon consulting GmbH und schon seit Jahren ein ausgewiesener Spezialist für Online-Print. Doch das ist nur eine Facette seiner vielfältigen Aktivitäten. Er war und ist der Branche und der Zeit immer einen Schritt voraus. Nicht umsonst gilt er als einer der Vordenker und Innovatoren in der Druckbranche. Wer also sollte die Themen Mass Customization und Personalisierung besser erläutern können als er?

MEIN HAUS, MEIN AUT, OMEIN MÜSLI · Ausgangspunkt waren die industrielle Revolution, das Fließband, das die Massenproduktion möglich machte und wodurch Waren für jedermann erschwinglich

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Page 1: MEIN HAUS, MEIN AUT, OMEIN MÜSLI · Ausgangspunkt waren die industrielle Revolution, das Fließband, das die Massenproduktion möglich machte und wodurch Waren für jedermann erschwinglich

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Printspiration: Mass Customization und Personalisierung

gelten als weltweite Mega-Trends. Wie sind diese Trends

eigentlich zu verstehen?

Bernd Zipper: Man muss dazu schon einige Zeit zurückblicken.

Ausgangspunkt waren die industrielle Revolution, das Fließband,

das die Massenproduktion möglich machte und wodurch Waren

für jedermann erschwinglich wurden. Das ist bis heute so, hat

aber mit immer preiswerteren Produkten auch zu der absurden

„Geiz-ist-geil“-Mentalität geführt. Hersteller von Massenware

möchten einen breiten Markt bedienen und den Durchschnitts-

kunden erreichen. Aber die Strategie „One size fits for all“ trifft

die Wünsche vieler Kunden nicht mehr. So lief der Markt irgend-

wann „aus dem Ruder“, weil die Konsumenten unberechenbar

wurden. Sie interessierten sich nicht mehr für das Nötige, sie

wollten den Kick der Abwechslung, sie wollen nicht mit dem Strom

schwimmen, sondern genau das machen, was andere nicht tun –

eben individuell sein.

Aber wenn es um Individualität geht, warum dann Mass

Customization?

Customizing ist das Anpassen eines Produktes an individuelle

Wünsche der Kunden und wird auch als Personalisierung oder

Individualisierung bezeichnet. Häuser werden seit jeher so ge-

baut. Customizing kann sich auf ein einzelnes Produkt beziehen,

wird inzwischen jedoch auch auf industrielle Erzeugnisse ange-

wendet. Wird das individualisierte Produkt mit Techniken der

Massenproduktion hergestellt, spricht man von Mass Customi-

zation. Ein gutes Bespiel sind hier auch Standardverpackungen,

die für den Massenmarkt dann mit Namen versehen werden –

wie dies etwa Coca Cola vor zwei Jahren gemacht hat.

MEIN HAUS, MEIN AUTO, MEIN MÜSLI

Maßgeschneidertes vom Fließband

Bernd Zipper ist Geschäftsführer des Essener Beratungsunternehmens zipcon consulting GmbH und

schon seit Jahren ein ausgewiesener Spezialist für Online-Print. Doch das ist nur eine Facette seiner

vielfältigen Aktivitäten. Er war und ist der Branche und der Zeit immer einen Schritt voraus.

Nicht umsonst gilt er als einer der Vordenker und Innovatoren in der Druckbranche. Wer also sollte

die Themen Mass Customization und Personalisierung besser erläutern können als er?

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Ist das nur ein vorübergehendes Phänomen?

Die Frage ist durchaus berechtigt, denn in Zeiten der Digitalisie-

rung verschwinden Trends oft schneller als sie entstehen. Doch

Mass Customization ist nicht plötzlich hochgepoppt, sondern

hat sich in den letzten rund 20 Jahren relativ behutsam entwi-

ckelt. Und wird sich noch verstärken, weil viele Märkte gesättigt

sind, Qualität kein Alleinstellungsmerkmal mehr ist, die Ange-

bote der Anbieter immer austauschbarer werden und eine Dif-

ferenzierung vom Wettbewerb immer schwieriger wird. Daher

werden noch mehr Unternehmen gezwungen sein, sich diesem

Trend anzuschließen.

In Deutschland gibt es laut dem Online-Magazin www.egoo.de

bereits mehr als 550 Shops, die sich ausschließlich mit indivi-

duell personalisierbaren Produkten

beschäftigen. Dazu gehören Mode-

und Sportartikel genauso wie Scho-

kolade, Interieur, Schmuck und vieles

andere mehr.

Allerdings wird das heute gigantische

Wachstum endlich sein. Studien ge-

hen davon aus, dass sich das Markt-

potenzial für Mass Customization

selbst in Ländern, in denen individu-

elle Produkte prinzipiell gefragt sind,

bei etwa 30% des Gesamtmarktes

einpendeln wird. Wirtschaftlich at-

traktiv ist es dennoch, da die Produk-

te den Kunden einen Zusatznutzen bieten, was zur Bereitschaft

führt, einen höheren Preis zu zahlen. Produkte aus diesem Seg-

ment sind im Schnitt um 20 bis 50 % teurer als Massenware.

Gibt es Beispiele oder ist das alles noch Theorie?

Es ist gelebte Praxis! Nehmen wir die Bekleidungsindustrie, von

der große Teile nach Asien ausgelagert sind. Diese Produkte

kaufe ich von der Stange. Will ich aber einen individuellen An-

zug, muss ich zum Schneider mit der klassischen und teuren

Maßanfertigung gehen. Oder zum Internet-Schneider, der mit-

tels Konfigurator nach meinen Vorstellungen günstig fertigt.

Ähnliches gibt es auch für Möbel und andere Dinge, von denen

wir glaubten, sie seien unwiederbringlich in Billiglohnländer

abgewandert. Unternehmer, die den

Weg der kundenindividuellen Produk-

tion gehen, zeigen jedoch, dass auch

in Europa nah am Kunden und güns-

tig hergestellt werden kann.

Und warum sollte es solche Angebote

nicht auch bei Nahrungsmitteln ge-

ben? Bei mymuesli.com zum Beispiel

kann sich der Kunde im Internet sein

persönliches Müsli nach eigenem Ge-

schmack und unter Berücksichtigung

von Vorlieben oder Allergien zusam-

menstellen. Das so kreierte Müsli

wird exakt nach den Kundenvorgaben

„DIE STRATEGIE

‚ONE SIZE FITS FOR ALL‘

TRIFFT DIE WÜNSCHE

VIELER KUNDEN

NICHT MEHR.“

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„DIE KUNDEN WERDEN

DAZU ANIMIERT,

IHRE EIGENEN WÜNSCHE

ZU DEFINIEREN UND

HERSTELLEN ZU LASSEN.“

gemischt und in einer Dose geliefert. Und mymuesli setzt jetzt

noch einen drauf. Nicht nur das Müsli, auch die Dose kann indi-

vidualisiert werden. Der Kunde wählt dabei eigene Bilder, Texte

und Farben – und die Dose wird direkt und individuell bedruckt.

mymuesli ist ein fantastisches Beispiel dafür, wie verschiede-

ne Partner mit unterschiedlichen Kompetenzen zusammenar-

beiten. Das Müsli-Mischen ist eine Sache. Doch um den Inter-

net-Shop herum, der das persönliche Einkaufserlebnis möglich

macht, arbeiten Designer, Software-Profis, Logistiker und auch

Druck-Experten am weiteren Erfolg des Shops.

Das sind Beispiele für den Consumer-Markt.

Wie sieht es im Business-to-Business-Bereich aus?

Genauso vielfältig. Zum Beispiel beim

Fahrzeugbau und -kauf. Es stehen

möglichst viele Varianten bei der Mo-

torisierung, Farbe und Ausstattung

zur Verfügung, aus denen der Kunde

sein Auto zusammenstellt. Ähnlich

auch bei PCs, Büromöbeln, Tapeten

etc. Komplizierter wird es, wenn der

Kunde aktiv eine Veränderung oder

die Gestaltung des Produktes vor-

nimmt.

Drucksachen sind in diesem Zusam-

menhang eine typische B2B-Anwen-

dung – wobei Drucksachen ja grund-

sätzlich individuell sind. Es gibt nicht die Massen-Visitenkarte,

sondern immer nur die vom Herrn Zipper, Müller, Meier etc. Es

gibt auch nicht die eine Einladung, sondern immer nur die vom

Unternehmen XY zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem

bestimmten Ort. Druckprodukte werden also – von Büchern

und Magazinen vielleicht einmal abgesehen – nie auf Vorrat

hergestellt. Druckereien stellen Produktionskapazitäten bereit

und erst wenn der Kunde einen Inhalt liefert, kann daraus eine

Drucksache werden. Diesen Weg, der schon immer Merkmal der

grafischen Industrie war, gehen jetzt auch andere Industrien, in-

dem sie ihre Kunden dazu animieren, ihre eigenen Wünsche zu

definieren und herstellen zu lassen.

Welche Folgen hat das für eine Un-

ternehmens-, Vertriebs- und Mar-

keting-Strategie?

Kundenindividuelle Massenprodukti-

on ist über alles betrachtet ein strate-

gisches Unternehmens- und Produk-

tionskonzept, bei dem herkömmliche

Denkweisen nicht mehr greifen. Es

müssen die Vorteile der Massenpro-

duktion wie Skaleneffekte und Auto-

matisierung genutzt werden, um den

Wunsch der Kunden nach auf seine

Bedürfnisse zugeschnittene individu-

elle Produkte zu erfüllen.

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„NICHT MEHR GRUPPEN,

SONDERN DER EINZELNE

MUSS ANGESPROCHEN

WERDEN.“

Im Klartext: Massenmedien mit gleichen Inhalten für alle Emp-

fänger setzen identische Interessen, identische Bedürfnisse und

ein identisches Verhalten der Menschen voraus. Genau das ist

aber nicht mehr der Fall. Die Definition von Zielgruppen läuft

ins Leere, weil nicht mehr Gruppen, sondern der Einzelne ange-

sprochen werden muss. Folglich kann auch einheitliche Werbung

nicht mehr funktionieren. Vertrieb und Marketing müssen seg-

mentiert denken und handeln und den Kunden situationsrele-

vant ansprechen. Das geht nicht mit Massendrucksachen. Wenn

wir heute von Mass Customization sprechen, ist auch eine völlig

andere Art von Marketing, Werbung und Vertrieb notwendig.

Für das Unternehmen selbst bedeutet es: Wer Erfolg hat, muss

plötzlich 500 statt 20 Aufträge pro Tag abarbeiten. Das sollte in

den Griff zu bekommen sein. Das eigentliche Problem ist es, die

Prozesse zu beherrschen und zu optimieren. Vor allem aber ist

es ein Kraftakt, die Kultur des Unter-

nehmens auf die individuelle Bedie-

nung der Kunden abzustimmen.

So betrachtet, ist es traumhaft,

was Technik zu leisten vermag.

Technik sollte aber kein Selbst-

zweck sein, sondern auch Nutzen

stiften. Welche wären das zum Bei-

spiel?

Bleiben wir beim Drucken. „Je

mehr, desto preiswerter“ war über

Jahrzehnte auch hier die Devise. Einkäufer machten davon

bis zur Absurdität Gebrauch, so dass gut und gerne ein Drit-

tel der Drucksachen letztlich ungelesen im Müll landeten, weil

das Verbrauchen einer Massenauflage länger dauert, als ein

Inhalt aktuell bleiben kann. Also werden die Auflagen kleiner,

die Aktualisierungszyklen nehmen zu und die Anzahl kleinerer

Druckaufträge wächst, weil bedarfsorientiert gedruckt wird. So

werden Ressourcen wie Papier, Energie etc. geschont – und das

passt wiederum zur kundenindividuellen Produktion.

Also weg mit Massendrucksachen und der Massenproduk-

tion?

Ja – aber nur vordergründig. Denn ein individualisiertes Mailing

mit 100.000 mal einem Exemplar ist auch eine Großproduktion.

Mit dem Unterschied, dass es keine 100.000 gleichen, sondern

100.000 unterschiedliche Drucksa-

chen sind.

Also machen wir jetzt wieder ge-

nau das, was vor der industriellen

Revolution selbstverständlich war.

Allerdings mit anderen Techniken,

unterstützt von Computern und dem

Internet sowie einem deutlich breiter

gefächerten Angebot. Durchsetzen

werden sich dabei allerdings nur die

Angebote, die dem Kunden auch ei-

nen Zusatznutzen bieten.