4
48 N° 8 | August 2020 Noch vor wenigen Jahren galt Programmatic Advertising als das heißeste Thema überhaupt in der Mediawelt. Inzwischen hat sich die Euphorie gelegt. Es herrscht Ernüchterung, wenn es um den automatischen und individualisierten Ein- und Verkauf von Werbeflächen geht. Viele Probleme sind noch nicht gelöst, und das Potenzial ist bei Weitem nicht ausgeschöpft. DA GEHT NOCH EINIGES MA KE AK AK R

MA KE DA GEHT NOCH EINIGES · Nutzer selbst. Bis wann Google mit einer funktionieren-den und datenschutzkonformen Lösung aufwartet, ist schwer absehbar. Sollte es gelingen, würde

  • Upload
    others

  • View
    1

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: MA KE DA GEHT NOCH EINIGES · Nutzer selbst. Bis wann Google mit einer funktionieren-den und datenschutzkonformen Lösung aufwartet, ist schwer absehbar. Sollte es gelingen, würde

48 N° 8 | August 2020

Noch vor wenigen Jahren galt Programmatic Advertising als das heißeste Thema überhaupt in der Mediawelt. Inzwischen hat sich die Euphorie gelegt. Es herrscht Ernüchterung, wenn es um den automatischen und individualisierten Ein- und Verkauf von Werbeflächen geht. Viele Probleme sind noch nicht gelöst, und das Potenzial ist bei Weitem nicht ausgeschöpft.

DA GEHTNOCH EINIGES

MA KEMA KEMA KER

Page 2: MA KE DA GEHT NOCH EINIGES · Nutzer selbst. Bis wann Google mit einer funktionieren-den und datenschutzkonformen Lösung aufwartet, ist schwer absehbar. Sollte es gelingen, würde

49N° 8 | August 2020

Wer immer sich in den vergange-nen Wochen mit Mediaagentu-ren und anderen Dienstleistern unterhalten hat, bekam zu hören, dass Pogrammatic Advertising trotz oder vielleicht

sogar wegen der Corona-Pandemie weiter wachsen würde. Das entspricht auch allen Forecasts zu diesem !ema. So ging die Mediaagentur Zenith Anfang des Jahres davon aus, dass in Deutschland 2020 um die 63 Prozent der Online-Display-Werbung automatisiert gehandelt werden wird. Im kommenden Jahr soll der Anteil sogar bei 84,3 Prozent liegen. Das entspräche dann einem Volumen von rund drei Milliarden Euro.

Programmatic ist nicht nur automatisierte und getargetete Display-Werbung. Inzwischen werden viele Werbeträger für andere Kanäle ebenfalls „programma-tisch“ gehandelt und ausgespielt, so TV, Audio und vor allem Digital Out-of-Home (DOoH). Wenn auch in sehr unterschiedlichem Umfang und mit durchaus di"eren-ziertem Entwicklungspotenzial. Davon abgesehen gibt es nach wie vor reichlich Kritikpunkte, die vor allem Wer-bungtreibende davon abhält, noch mehr in Programmatic Advertising zu investieren. So sind beim „programmati-schen Einkauf Premium-Werbeumfelder und -Platzierun-gen nach wie vor noch rar gesät“, sagt Maike Abel, Head of Media Communication & Content bei Nestlé Deutschland.

Das Transparenzproblem ist keineswegs gelöstEin anderer Kritikpunkt ist die mangelnde Transparenz. Immer wieder hat beispielsweise Marc Pritchard, der weltweite P&G-Markenchef, den Finger auf diese Wunde gelegt. Er war nicht der Einzige. Auch in Deutschland gab und gibt es Klagen darüber. Der Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW) hat daher im vergangenen Jahr das Whitepaper „Kosten- und Gebührentranspa-renz“ aufgesetzt. Es liefert einen Überblick über Leistun-gen und Gebührenmodelle im Programmatic Advertising und beschreibt, wie in den komplexen Prozessen Trans-parenz gescha"en werden kann. Das Whitepaper ist eine Ergänzung zum bestehenden Code of Conduct Program-matic Advertising.

Zudem: „Die berühmten Kostene#zienzen, die oftmals im Zusammenhang mit Programmatic genannt werden, findet man hauptsächlich im Open Marketplace.

Text Peter Hammer

Leider ist dieser für Werbungtreibende wie Nestlé schon allein aus Brand-Safety-Gründen nur sehr eingeschränkt nutzbar“, spricht Abel ein weiteres Problem an. Ebenfalls nicht neu ist der Ruf nach einer gemeinsamen Crossme-dia-Währung als Marktstandard.

Nimmt man diese und andere Kritikpunkte zusam-men, auch wenn es um Datenerhebung oder Datenquali-tät geht, so ergibt sich ein durchwachsenes Bild. Zumal der Aufwand weiter hoch und die Automatisierung vielleicht nicht immer so weit fortgeschritten ist, wie es suggeriert wird. Jedenfalls ist die einstige Euphorie einer gewissen Ernüchterung gewichen, bestätigt Julian Simons, Geschäftsführer bei Mediascale und Vorsitzen-der der Fokusgruppe Programmatic Advertising im BVDW. Für manche Aufgaben und Kanäle ist Program-matic schon heute die Methode der Wahl. Bei anderen gibt es noch viel Luft nach oben. Das Ziel indes ist klar: Irgendwann wird es ein ganzheitlichen Media-Ökosys-tem geben, in dem alle Medienkanäle integriert gebucht und ausgewertet werden können und Werbung individu-alisiert, touchpointunabhängig und e#zient die Ziel-gruppen erreicht.

DIGITAL DAS ENDE DER COOKIES BEREITET MEHR

ALS NUR BAUCHSCHMERZEN

Gut möglich, dass der Haus-und-Hof-Kanal Digital für Programmatic Advertising in diesem Jahr

schwächelt. Nicht weil Corona zeitweise auch auf digitale Werbung durchgeschlagen hat – der TKP-Preis ist zumindest gesunken. Das bevorstehende Ende der !ird-Party-Cookies könnte sich schmerzhaft auf den Programmatic-Einsatz gerade bei Display auswirken. Schließlich sind Cookies die Informationsträger, die für e"ektives Targeting benötigt werden. Pessimisten befürchten sogar das Aus für Programmatic-Plattformen und Addressable Ads. So schwarz will Julian Simons die Zukunft nicht malen. Es sei aber durchaus Verunsiche-

Page 3: MA KE DA GEHT NOCH EINIGES · Nutzer selbst. Bis wann Google mit einer funktionieren-den und datenschutzkonformen Lösung aufwartet, ist schwer absehbar. Sollte es gelingen, würde

50 N° 8 | August 2020

rung bei den Akteuren zu verspüren. Vielleicht komme es in den kommenden zwölf bis 24 Monaten sogar zu einem Rückgang bei den Spendings. Entsprechend gespannt blicken er und seine Kollegen auf Google.

Mit dem Projekt „Turtledove“ (Turteltaube) will der Internet-Riese das Retargeting ins neue Zeitalter hinüber-retten. Was Google vorhat, ist einschneidend – und eine Bedrohung für die gesamte bisherige Infrastruktur rund um Programmatic Advertising. Schließlich will Google Realtime-Bidding-Auktionen künftig von den existieren-den Handelsplattformen (SSP, DSP) weg verlagern, und zwar direkt in den Browser hinein, auf die Rechner der Nutzer selbst. Bis wann Google mit einer funktionieren-den und datenschutzkonformen Lösung aufwartet, ist schwer absehbar. Sollte es gelingen, würde es die Machtver-hältnisse im Markt verschieben. Denn der Marktanteil von Google Chrome liegt in Deutschland aktuell bei 80 Prozent und damit ist Chrome der zentrale Zugang ins Web.

ADDRESSABLE TV DIE BUDGETS SIND NOCH GERING,

NICHT ALLE GERÄTE SMART GENUG

Addressable TV (ATV) ist ein !ema, das in Deutsch-land seit Langem diskutiert und auch realisiert wird

und für das sich Sender wie Vermarkter in den vergange-nen Monaten stark eingesetzt haben. So begann Sevenone Media vergangenen Sommer damit, seine Addressable- TV-Spots breit auszurollen und verfügbar zu machen für alle Sender und Programm-Umfelder von Pro Sieben Sat 1. Erst vor Kurzem hat die RTL-Technologietochter Smartclip ein Whitepaper verö"entlicht, das die Technik und die Einsatzmöglichkeiten von Addressable TV (ATV) aufzeigt. „!e State of Addressable TV Advertising Across Europe“ gibt einen Überblick über den aktuellen Entwicklungs-stand von ATV in verschiedenen europäischen Märkten, erklärt die Technik und zeigt außerdem, wie Addressable TV von Fernsehsendern und Streamingdiensten genutzt werden kann. „Die Möglichkeit der gezielten Werbeaus-spielung auf Haushaltsbasis, die Interaktivität oder die Möglichkeit des Dialogs gepaart mit der TV-Reichweite ist einzigartig“, wird Paul Mudter, COO der Ad Alliance, im Branchenblatt Horizont zitiert.

Das Volumen ist nach wie vor überschaubarAllerdings: Bei aller Begeisterung darf nicht übersehen werden, dass aktuell nur vergleichsweise wenig Budget in Addressable TV wandert. Simons schätzt den Anteil bei sich im Haus auf weit unter zehn Prozent. Verglichen mit den Spendings, die für klassisches TV ausgegeben werden, ist das wenig. An diesem Verhältnis werde sich erst mittelfristig etwas ändern, vermutet der Mediascale-Chef.

Das Adtech-Unternehmen Adcombi hat eine Software entwickelt, die hyperlokale und individualisierte Kampagnen möglich macht. Die Wiedererö!nung der Geschäfte nach den Lockerungen des Corona-Lockdowns liegt bereits einige Wochen zurück. Die Probleme für viele Handels-Unternehmen sind jedoch geblieben. Noch immer kehren die Konsumenten nur zögerlich in die Geschäf-te zurück. „Drive-to-Store“-Kampagnen finden wegen der Corona-Epidemie nach wie vor unter schwierigen Vorzeichen statt. Adcom-bi, das seit Kurzem mit einem Büro in München auch auf dem deutschen Markt präsent ist, hat eine Software entwickelt, um auch aufwendige „programmatische“ Kampagnen mit lokal unterschied-lichen Inhalten und Budgets zu erstellen und zu steuern. Für mehrere hundert Filialen werden dazu individuelle Banner ausge-spielt, etwa mit Informationen über lokale Preise oder Realtime-Navigationsrouten. Sie werden auf der Grundlage von GPS- und IP-Adress-Daten den Verbrauchern vor Ort in der direkten Umge-bung eines bestimmten Geschäfts ausgeliefert. Gleichzeitig reduziert die Software laut Adcombi deutlich den Aufwand gegenüber vergleichbaren „programmatischen“ Kampagnen. Dank Templates und Dashboards können auch Filialleiter vor Ort dort ihre individuellen Budgets und Bannerinhalte einplanen, heißt es. Sebastian Kraemer, Managing Director DACH: „Wir haben einen einfachen Weg gefunden, Werbebanner quasi zu ‚standort-isie-ren‘.“ So auch für den Genossenschaftsverband Bayern der Volks- und Rai!eisenbanken. Hierfür wurde ein eigenes Tool entwickelt. Jede der rund 220 Filialen konnte dort ihr Logo und ihre Landing-page hochladen. Adcombi arbeitet eigenen Angaben zufolge für rund 120 Kunden in acht Ländern. Zu ihnen zählen vor allem Handels- und Bankunter-nehmen, darunter die niederländische Supermarktkette Jumbo, Rabobank, Volksbanken Rai!eisenbanken sowie die Autohersteller Honda und Citroën.

Schneller und flexibler

JE NACH STANDORT UNTERSCHIEDLICH„Man erreicht punktgenau die Zielgruppe und kann gleichzeitig inhaltlich und zeitlich viel schneller und flexibler reagieren als in klassischen lokalen Werbe-kanälen“, skizziert Adcombi-Geschäftsführer Sebastian Kraemer die Vorteile der Software. Nach eigenen Angaben hat die Firma bereits hyperlokale Kampa-gnen für diverse Anbieter aus dem Einzelhandel und dem Bankwesen realisiert.

Fo

tos:

bes

juni

or-

sto

ck.a

do

be.

com

Page 4: MA KE DA GEHT NOCH EINIGES · Nutzer selbst. Bis wann Google mit einer funktionieren-den und datenschutzkonformen Lösung aufwartet, ist schwer absehbar. Sollte es gelingen, würde

51N° 8 | August 2020

Auch weil die Werbeinseln nach wie vor ihren Zweck erfüllen und die Sender nur wenig willens seien, größere Budgetverschiebungen zu vollziehen. Zudem: Zwar betrug der Anteil an internetfähigen TV-Geräten in den deutschen Haushalten 2019 bereits 56 Prozent, doch können nicht alle Addressable TV verarbeiten. Anderer-seits ist das Potenzial groß. Auch mit Blick auf die Vernetzung. So hat es laut Simons bereits erste Versuche für Haushaltstargeting gegeben. Dabei werden mobile Endgeräte und TV so miteinander verbunden, dass man Menschen gezielt in Haushalten ansteuern kann.

AUDIOVIEL POTENZIAL IM BOOM-MARKT,

ABER DIE REALITÄT IST ERNÜCHTERND

Audio ist en vogue. Das hat viel, aber nicht nur mit den Podcasts zu tun, die seit einiger Zeit regelrecht

durch die Decke gehen. Auch Streamingdienste wie Sound cloud oder auch Spotify haben den Markt massiv gepusht. Entsprechend gewinnt auch Audio-Advertising an Relevanz. Zumal sich die Umgebungs- und Nutzungs-situation deutlich von der des Video- oder Display-Ad-vertising unterscheiden. So positiv diese Entwicklung ist, so überschaubar ist aktuell noch der Einsatz von „pro-grammatischer“ Werbung. Das hat mehrere Gründe. So mangelt es an entsprechendem Inventar und den entsprechenden Anbietern, sagt Julian Simons. Aber auch die Vermarktersituation sei noch ausbaufähig. Nicht nur in Deutschland. Laut dem European Program-matic Audio Survey von IAB und Xaxis nutzten 2019 zwar 59 Prozent die Möglichkeiten programmatischer Ausspielung, aber die Spendings waren sehr gering. 41 Prozent verzichteten zudem komplett darauf. Es ist ein noch kleiner Markt, aber die Gestaltungsmöglichkeiten sind groß, heißt es. Zumal die Gestaltung vielfältig ist. So lassen sich bei personalisierten Audio-Ads Details wie die Verwertung von Geolocation, Wetter, Tageszeit oder die aktuelle Playlist integrieren. Auch die Kombination mit Digital Out-of-Home (DOoH)-Angebot bietet neue Möglichkeiten.

Das Interesse ist groß, die Budgets aber noch kleinDer Out-of-Home-Spezialist Kinetic bietet beispielsweise seit Kurzem Digital-Out-of-Home-Kampagnen in Verknüpfung mit Audio-Werbung auf dem Smartphone an. Damit sollen Werbekunden erstmals Zielgruppen ihrer DOoH-Kampagnen über individualisierbare Audio-Ads auf beliebten Musik- und Radio-Plattformen ansprechen können. Die programmatische Ausspielung erfolge dabei auf Basis von Mobilitätsdaten an den

Hotspots der jeweiligen Kernzielgruppe. Es ist viel in Bewegung. So haben AS&S Radio (ARD-Sender) und RMS (private Radiosender) unlängst eine Betreiber-gesellschaft für ihre gemeinsame Online-Buchungsplatt-form gegründet. AudioXChange soll Ende 2020 starten. Sie soll den automatisierten Mediahandel von Radio-werbezeiten ermöglichen.

DIGITAL OUT!OF!HOMEDER PROGRAMMATISCHE ANSATZ

BRINGT MEHR FLEXIBILITÄT

Natürlich hat die Corona-Pandemie der Außenwer-bung, auch der digitalen, zunächst einen kleinen

Dämpfer versetzt. Dennoch ist Digital Out-of-Home ein Wachstumsmarkt, der bei Weitem noch nicht ausgereizt ist. Entsprechend interessant ist der Bereich auch für neue, oft kleine Anbieter, sagt Mediascale-Geschäftsfüh-rer Julian Simons. Auch technisch sei man inzwischen so weit, dass nicht nur Netze, sondern einzelne Stellen angesteuert werden können. Laut dem Digital Media Institute (DMI) lagen die Nettoausgaben 2018 bei der programmatischen digitalen Außenwerbung in Deutsch-land bei insgesamt sechs Millionen Euro (gesamt: 295 Millionen Euro). 2023 soll programmatic DOoH nicht-programmatischen Anteil bereits übertre! en. Die großen Marktplayer sind längst auf den Programmatic-Zug aufgesprungen. So vermarktet Ströer alle digitalen Flächen seit Frühjahr 2019 „programmatisch“. Wettbe-werber Wall Decaux hat Anfang 2020 nachgezogen. Werbungtreibende schätzen die neue Flexibilität, die so entstanden ist.

TUI Cruises und die programmatische Kampagne #machmalblauBeispiel Tui Cruises und die Kampagne #machmalblau. Beworben wurde im vergangenen Herbst das Kreuzfahr-ten-Geschäft. Der Außenwerbespezialist Kinetic verlängerte die Kampagne mit Programmatic DOoH. Die Motive wurden in deutschen Großstädten über das digitale Inventar von Ströer ausgespielt. Eingesetzt wurden Infoscreens und Stations-Video an Bahnhöfen sowie Mall-Video in Einkaufszentren. Dabei setzte der Reiseveranstalter auf eine datenbasierte Aussteuerung und nutzte die Interessens- und Verhaltensdaten der Otto Group Media .

Damit standen Kinetic rund 32 Millionen User-Profi le zur Verfügung. Auf Basis dieser Daten spielte Kinetic die Tui-Cruises-Kampagne nur zu den Zeiten und an den Orten aus, die in den Zielgruppensegmenten eine über-durchschnittliche Nutzung zeigen. Für eine zusätzliche Emotionalisierung sorgte ein dynamisch angepasster Con-tent mit einem individuellen Bezug zur jeweiligen Stadt. ¶

13. Oktober, München

Personalisierung und programmati-

sche Werbung bringen Marken so

nah an Ihre Kunden wie noch nie. Alles über die Digitalstrategien

2025!shop.wuv.de/future-driven

Future Driven Marketing Day

2020