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LIGETI »Concert Românesc« BARTÓK 3. Klavierkonzert »Concerto for Orchestra« HERAS-CASADO, Dirigent PERIANES, Klavier Donnerstag 29_09_2016 20 Uhr Freitag 30_09_2016 20 Uhr

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LIGETI»Concert Românesc«

BARTÓK3. Klavierkonzert »Concerto for Orchestra«

HERAS-CASADO, DirigentPERIANES, Klavier

Donnerstag29_09_2016 20 UhrFreitag30_09_2016 20 Uhr

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119. Spielzeit seit der Gründung 1893

VALERY GERGIEV, ChefdirigentPAUL MÜLLER, Intendant

GYÖRGY LIGETI»Concert Românesc« für Orchester (1951)

1. Andantino2. Allegro vivace

3. Adagio, ma non troppo4. Molto vivace

BÉLA BARTÓKKonzert für Klavier und Orchester Nr. 3

1. Allegretto2. Adagio religioso3. Allegro vivace

BÉLA BARTÓK»Concerto for Orchestra«

1. Introduzione: Andante non troppo – Allegro vivace

2. Giuoco delle coppie: Allegro scherzando3. Elegia: Andante non troppo

4. Intermezzo interrotto: Allegretto5. Finale: Pesante – Presto

PABLO HERAS-CASADO, DirigentJAVIER PERIANES, Klavier

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To Romania with love

MICHAEL KUBE

György Ligeti: »Concert Românesc«

GYÖRGY LIGETI(1923–2006)

»Concert Românesc« für Orchester (1951)

1. Andantino2. Allegro vivace3. Adagio, ma non troppo4. Molto vivace

LEBENSDATEN DES KOMPONISTEN

Geboren am 28. Mai 1923 in Dicsőszent-márton (heute: Tîrnăveni) im ungarischen Teil Siebenbürgens (heute: Rumänien); ge-storben am 12. Juni 2006 in Wien.

ENTSTEHUNG

György Ligeti vollendete sein »Concert Românesc« im Juni 1951 – zu einer Zeit, in der er bereits an der Musikhochschule in Budapest die Fächer Harmonielehre, Kon-trapunkt und Analyse unterrichtete. Das stilistisch bald wie aus einer anderen Epo-che anmutende Werk blieb nach Ligetis Flucht in den Westen für mehr als vier Jahrzehnte liegen, bevor sich der Kompo-nist Mitte der 1990er Jahre die Partitur nochmals vornahm, sie revidierte und 1996 zum Druck beförderte.

URAUFFÜHRUNG

Am 21. August 1971 in Fish Creek / Wis-consin (USA) im Rahmen des Peninsula Mu-sic Festival (Peninsula Music Festival Or-chestra unter Leitung von Thor Johnson). Zum tatsächlich ersten Mal erklang das »Concert Românesc« jedoch bereits wäh-rend der frühen 1950er Jahre in Budapest bei einer Orchesterprobe; eine Aufführung vor Publikum wurde allerdings verboten.

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György Ligeti: »Concert Românesc«

György Ligeti (um 1955)

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György Ligeti: »Concert Românesc«

György Ligeti zählt zu den bedeutendsten Komponisten der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts – wohl auch, weil er sich schon früh den engen Ideologien der Avant-garde verweigerte und seine zu jedem Zeitpunkt originelle musikalische Sprache fortwährend weiter entwickelte und neu formte. Zurück zu führen ist dies auch auf eine besondere Konstellation, in der sich unterschiedliche Traditionen aus Ost- und Westeuropa wiederfinden: Geboren in der transsylvanischen Provinz, studierte Lige-ti nach 1945 zunächst an der Musikhoch-schule in Budapest Komposition, um dann im Anschluss an das Diplom auf einer Reise durch Rumänien (gleichsam auf den Spuren von Bartók und Kodály) Volksmusik zu sam-meln und zu analysieren. Die hier empfan-genen Anregungen, kombiniert mit dem Studium der Partituren von Bartók und Stra winsky, spiegeln sich in den bis 1956 entstandenen Kompositionen wider, in de-ren Zentrum das 1951 entstandene »Con-cert Românesc« steht.

AUFBRUCH IN EINE UNGEWISSE ZUKUNFT

Motiviert durch die allmählich sämtliche ge-sellschaftlichen Bereiche durchdringende Grund haltung des Misstrauens und den blutig niedergeschlagenen Volksaufstand im Oktober 1956, vollzog Ligeti mit seiner Flucht über die Grenze nach Österreich den entscheidenden Schritt für seine weitere innere wie äußere Biographie: Er tauschte dabei zwar seine sichere Anstellung an der Hochschule gegen eine ungewisse Zukunft – eine Zukunft, die jedoch eine vollkommen freie, politisch nicht reglementierte kom-positorische Entwicklung versprach. Von Wien aus führte ihn der Weg rasch nach Köln in das Studio für Elektronische Musik des Westdeutschen Rundfunks, in dem zu

jener Zeit junge Komponisten (unter ihnen auch Karlheinz Stockhausen) mittels künstlich erzeugten Tönen, Mixturen und Resonanzen das Tor zu einer neuen Klang-welt aufstießen. Doch im Gegensatz zu vielen Vertretern dieser als innovativ emp-fundenen experimentellen Strömung west-europäischer Musik reichten Ligeti die zur Verfügung stehenden technischen Mög-lichkeiten bald nicht mehr aus: Eine erste elektronische Komposition sah er noch als Versuch an; eine zweite ließ er gelten, die dritte blieb bereits Fragment.

KALEIDOSKOPARTIGE FARBENSPIELE

Auf der Suche nach einem Verfahren, die eigenen Klangvorstellungen in geeigneter Weise zu fixieren und zu realisieren, kris-tallisierte sich dann binnen kürzester Zeit eine Kompositionstechnik heraus, in der so genannte Mikrointervalle in einem dichten polyphonen Stimmengeflecht ein kontinu-ierliches, sich kaleidoskopartig auffächern-des und veränderndes Farbenspiel ergeben – eine höchst individuelle, unverkennbare Klangsprache, die für Ligetis weiteres Schaffen trotz vielfältiger Entwicklungen maßgeblich bleiben sollte, ohne zum bloßen Muster zu erstarren – er selbst sprach von »Mikropolyphonie«. Bereits mit der Parti-tur der »Apparitions« von 1958/59 gelang Ligeti auf dem Musikfest der Internationa-len Gesellschaft für Neue Musik (IGNM) in Köln 1960 ein unerwarteter Erfolg, der dann im folgenden Jahr mit der Urauffüh-rung der »Atmosphères« (1961) in Donau-eschingen zum Durchbruch führte. Eine breite Öffentlichkeit erreichte seine Musik schließlich durch das bis heute Kultstatus beanspruchende »Science Fiction«-Epos »2001 – Odyssee im Weltraum« von Stan-ley Kubrick, in dem einzelne Abschnitte aus

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György Ligeti: »Concert Românesc«

dem »Requiem« (1963/65) und dem für 16-stimmigen Chor geschriebenen »Lux aeterna« (1966) akustisch im Zentrum stehen.

SAMMELN UND ERNTEN

So wie schon zu Beginn des 20. Jahrhun-derts bei Bartók und Kodály die Berührung mit noch gänzlich unverfälschter Volksmu-sik zu einem eigenen kompositorischem Idiom führte, so hat die zunächst mehr im Sinne der Dokumentation und Forschung ausgerichtete Begegnung mit originären Skalen, Rhythmen und Harmonien auch in Ligetis musikalischer Sprache ihre Spuren hinterlassen. Sie finden sich nicht nur in den Werken der 1950er Jahre, sondern auch noch in Kompositionen wie dem »Hun-garian Rock« für Cembalo (1978) oder dem späten »Hamburgischen Konzert« für Horn, Kammerorchester und vier obligate Natur-hörner (1998–2003) – die früheren musi-kalischen Erfahrungen blieben für Ligeti ebenso prägend wie die Begegnung mit der Tonsprache der klassischen Moderne. Gleichwohl wird man aus heutiger Perspek-tive das eher traditionell wirkende »Con-cert Românesc« zu den Juvenilia zählen, wobei es nach wie vor eine ungebrochene Frische ausstrahlt. Sie resultiert aus den volksmusikalischen Topoi, die mit virtuoser Feder abgerufen werden: von einstimmigen Melodien, versweisem Wechsel der Instru-mentation und archaischer Harmonik (im ersten Satz) bis hin zum unbekümmerten Tanz mit Piccolo, Klarinette, Solo-Violine (im zweiten Satz). Der unmittelbar an-schließende dritte Satz verweist mit den beiden Hörnern und den damit ausgespiel-ten Naturtönen auf entlegene Bergregio-nen, die am Ende des mehrteiligen, ver-gleichsweise avancierten Finales wieder-kehren.

»LIEBE ZUR RUMÄNISCHEN VOLKSMUSIK«

Viele dieser Aspekte spielen auch eine Rol-le in einem knapp formulierten, vor allem aber sehr persönlich gehaltenen Text, den Ligeti am 6. September 2000 – aus der zeit-lichen Distanz von einem halben Jahrhun-dert – für eine Aufführung seines »Con-cert Românesc« verfasst hat: »1949/50 hielt ich mich in Rumänien auf. Ich studier-te am Folklore-Institut in Bukarest, und nahm teil an mehreren Forschungsreisen zur Sammlung teils rumänischer, teil un-garischer Volksmusik (in Covasint bei Arad und in Inaktelke im Kalotaszeg- Gebiet nahe Klausenburg). Das vorliegende viersätzige Orchesterkonzert (mit Streicher- und Blä-sersoli) basiert auf einer Vielzahl rumäni-scher Volksmelodien. Sie wurden von mir aufgezeichnet, doch stammen sie überwie-gend von Wachsrollen und Schallplatten aus dem Bukarester Folklore- Institut. In Covasint habe ich dagegen die gängigen harmonischen Wendungen der rumänischen Bauernmusik kennengelernt, die ich stili-siert im ›Concert Românesc‹ verwendet habe. Diese Orchesterkomposition war eines der ›Camouflage-Stücke‹, mit denen ich mich der aufoktroyierten ›Sozrel‹- Diktatur zu entziehen versuchte. Obwohl einigermaßen konform, entpuppte sich das Stück als ›politically incorrect‹ infolge ei-niger verbotener Dissonanzen (zum Bei-spiel fis im Rahmen von F-Dur). Für den heutigen Hörer ist es kaum nachvollzieh-bar, dass solche milden tonalen Scherze als ›staatsgefährdend‹ deklariert wurden. Das ›Rumänische Konzert‹ spiegelt meine tiefe Liebe zur rumänischen Volksmusik (und zur rumänischsprachigen Kultur schlechthin) wider. Es wurde damals sofort verboten und erst viele Jahrzehnte später aufge-führt.«

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György Ligeti: KomponistenportraitGyörgy Ligeti: Komponistenportrait

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György Ligeti: Komponistenportrait

Ein »Jahrhundertkomponist« sei er gewe-sen, ein »Klassiker der Moderne«, ein »Magier«, eine Art »Gesamtkunstwerk«, konnte man nahezu gleichlautend in den Nachrufen lesen, als György Ligeti am 12. Juni 2006 in Wien gestorben war. Die Bewunderung galt nicht allein dem Œuvre, das, im Umfang eher schmal, fast nur aus Meisterwerken besteht. Auch der Mensch Ligeti, der unkonventionelle Denker und kluge Analytiker, fand breite Würdigung: seine einzigartige Begabung, über Musik zu sprechen, seine Schlagfertigkeit, sein skur-riler Humor, seine Neugierde und Weltoffen-heit, seine Unbestechlichkeit, die ihn vor jeder Vereinnahmung schützte. Ligeti war ein Außenseiter, kritisch gegen den Zeit-geist und sich selbst. Er stand nicht unter dem manischen Zwang, gefallen zu wollen, geliebt werden zu müssen. Unbeirrbar ging er seinen Weg, blieb niemals stehen: ein Suchender bis zuletzt.

Es waren die existenziellen Erfahrungen seiner ersten Lebensjahrzehnte, die ihn, den 1923 in Siebenbürgen geborenen Sohn einer ungarisch-jüdischen Familie, geprägt und gewappnet hatten. Seine frühe Neigung galt den Naturwissenschaften: Mathe matik

und Physik wollte er 1941 – nach dem Abi-tur – studieren, doch als Jude blieb ihm die Universität verschlossen. Deshalb schrieb er sich am Klausenburger Konservatorium ein, belegte Harmonielehre und Kontra-punkt, erlernte das Cello- und das Orgel-spiel. Und nahm privaten Kompositions-unterricht bei Pál Kadosa in Budapest. Als er im Winter 1941/42 erstmals Werke von Béla Bartók hörte, hatte er sein Erweckungs-erlebnis: Der Musik allein galt fortan seine Bestimmung. Doch die Zeitläufte durch-kreuzten zunächst seine Pläne. Im Januar 1944 wurde György Ligeti als Mitglied einer missliebigen Minorität zum Arbeitsdienst einberufen, musste zentnerschwere Salz-säcke schleppen, Munitionsnachschub auf offenem Feld verladen. Mehrfach ist er dem Tod von der Schippe gesprungen. Einmal, als er während eines Angriffs fl ach auf dem Boden liegt, donnert ein sowjetischer Pan-zer nur 30 cm neben ihm vorbei. Und als er in sowjetische Kriegs gefangenschaft gerät, gelingt es ihm zu entkommen, weil seine Gefangenenkolonne im Chaos der Truppen-bewegungen von einer zweiten Kolonne durchschnitten wird und die Wachleute für einen Moment den Überblick verlieren… Fünf Tage lang schlägt er sich zu Fuß nach

Das Zauberreich des Neinsagers

SUSANNE STÄHR

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György Ligeti: Komponistenportrait

György Ligeti (um 1990)

György Ligeti: Komponistenportrait

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György Ligeti: Komponistenportrait

Ein »Jahrhundertkomponist« sei er gewe-sen, ein »Klassiker der Moderne«, ein »Magier«, eine Art »Gesamtkunstwerk«, konnte man nahezu gleichlautend in den Nachrufen lesen, als György Ligeti am 12. Juni 2006 in Wien gestorben war. Die Bewunderung galt nicht allein dem Œuvre, das, im Umfang eher schmal, fast nur aus Meisterwerken besteht. Auch der Mensch Ligeti, der unkonventionelle Denker und kluge Analytiker, fand breite Würdigung: seine einzigartige Begabung, über Musik zu sprechen, seine Schlagfertigkeit, sein skur-riler Humor, seine Neugierde und Weltoffen-heit, seine Unbestechlichkeit, die ihn vor jeder Vereinnahmung schützte. Ligeti war ein Außenseiter, kritisch gegen den Zeit-geist und sich selbst. Er stand nicht unter dem manischen Zwang, gefallen zu wollen, geliebt werden zu müssen. Unbeirrbar ging er seinen Weg, blieb niemals stehen: ein Suchender bis zuletzt.

Es waren die existenziellen Erfahrungen seiner ersten Lebensjahrzehnte, die ihn, den 1923 in Siebenbürgen geborenen Sohn einer ungarisch-jüdischen Familie, geprägt und gewappnet hatten. Seine frühe Neigung galt den Naturwissenschaften: Mathe matik

und Physik wollte er 1941 – nach dem Abi-tur – studieren, doch als Jude blieb ihm die Universität verschlossen. Deshalb schrieb er sich am Klausenburger Konservatorium ein, belegte Harmonielehre und Kontra-punkt, erlernte das Cello- und das Orgel-spiel. Und nahm privaten Kompositions-unterricht bei Pál Kadosa in Budapest. Als er im Winter 1941/42 erstmals Werke von Béla Bartók hörte, hatte er sein Erweckungs-erlebnis: Der Musik allein galt fortan seine Bestimmung. Doch die Zeitläufte durch-kreuzten zunächst seine Pläne. Im Januar 1944 wurde György Ligeti als Mitglied einer missliebigen Minorität zum Arbeitsdienst einberufen, musste zentnerschwere Salz-säcke schleppen, Munitionsnachschub auf offenem Feld verladen. Mehrfach ist er dem Tod von der Schippe gesprungen. Einmal, als er während eines Angriffs fl ach auf dem Boden liegt, donnert ein sowjetischer Pan-zer nur 30 cm neben ihm vorbei. Und als er in sowjetische Kriegs gefangenschaft gerät, gelingt es ihm zu entkommen, weil seine Gefangenenkolonne im Chaos der Truppen-bewegungen von einer zweiten Kolonne durchschnitten wird und die Wachleute für einen Moment den Überblick verlieren… Fünf Tage lang schlägt er sich zu Fuß nach

Das Zauberreich des Neinsagers

SUSANNE STÄHR

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György Ligeti: Komponistenportrait

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György Ligeti: Komponistenportrait

Klausenburg durch, 150 quälende Kilome-ter, um endlich die bittere Wahrheit zu er-fahren: Sein Vater und sein jüngerer Bruder sind von den Nazis ermordet worden, und die Mutter ist von der KZ -Inhaftierung ge-zeichnet. Und es quält ihn die Frage: »Wa-rum habe gerade ich überlebt, mit welchem Recht ?«

»Meine Muttersprache ist Ungarisch, ich bin aber kein ganz echter Ungar, denn ich bin Jude. Doch bin ich kein Mitglied einer jüdischen Religionsgemeinde, also bin ich assimilierter Jude. So völlig assimiliert bin ich indessen auch nicht, denn ich bin nicht getauft. Heute, als Erwachsener, lebe ich in Österreich und in Deutschland und bin seit langem österreichischer Staatsbürger. Echter Österreicher bin ich aber auch nicht, nur ein ›Zugereister‹, und mein Deutsch bleibt lebenslang ungarisch gefärbt.« Wie-wohl Ligeti immer Sehnsucht danach emp-funden haben dürfte, eine klare Identität zu entwickeln, hat er seine Position, keiner Gruppe eindeutig anzugehören, im Verlaufe seines Lebens als Vorteil und Luxus erlebt. Sie gewährte ihm Unabhängigkeit und gab ihm die Kraft, nein zu sagen. Das war schon 1950 so: Zoltán Kodály, der große Kom-ponist und Weggefährte Bela Bartóks bei der Erforschung der originären ungarischen Volksmusik, hatte ihm angeboten, eine Sammlung rumänischer Volkslieder zu er-stellen und herauszugeben – und Ligeti hatte den Mut, ihm abzusagen: Diese Arbeit sei nichts für ihn – das sei ja wie Käfersam-meln. Kodály sah es ihm nach und vermit-telte ihm einen Lehrauftrag für Harmonie-lehre und Kontrapunkt. Doch Ligeti erkann-te rasch, dass es ihm in Ungarn verwehrt bleiben würde, seiner eigentlichen Beru-fung, dem Komponieren, zu folgen. Selbst Debussy und Ravel waren hier verboten, von der Zweiten Wiener Schule ganz zu

schweigen: »Totalitäre Systeme mögen kei-ne Dissonanzen.«

Als die sowjetischen Truppen 1956 den Auf-stand auf den Straßen Budapests blutig niederschlugen, saß Ligeti am Radio und lauschte heimlich einer Übertragung von Stockhausens »Gesang der Jünglinge«. Nach Köln, wo Stockhausen wirkte, zog es ihn längst, und er wagte den Schritt ins Exil. Am 10. Dezember bestieg er einen Zug gen Westen, gelangte noch in der Nacht illegal über die Grenze nach Österreich und wurde wenige Monate später Mitarbeiter im Studio für Elektronische Musik des WDR. Vom Experimentieren mit Generatoren, Mo-dulatoren und Zuspielbändern verabschie-dete er sich aber schon nach kurzer Zeit: Unzulänglich erschienen ihm die Apparatu-ren, und auch vom Serialismus, an den vie-le seiner Kollegen glaubten, wandte er sich ab. Ligeti nahm andere klangliche Ideale ins Visier, die er bald darauf mit seinen Orches-terwerken »Apparitions« und vor allem »At-mosphères« verwirklichte: eine unfassliche Klangfl ächenmusik, die auf die herkömmli-chen Parameter – Rhythmik, Intervalle, mo-tivische Floskeln – völlig verzichtet.

Wenn man sich fragt, warum es gerade ihm gelungen ist, weit über die Kreise der ein-geweihten Kenner Neuer Musik hinaus Po-pularität zu erlangen, liegt hier der Schlüs-sel zur Antwort. Man kann Ligetis Werke analytisch hören und staunen über ihre musikalische Architektur, ihre Kunst der Konstruktion. Oder aber man lässt sich von ihm einfach an die Hand nehmen und folgt ihm in sein Zauberreich der Klänge. Ligeti wusste es selbst: »Man kann meine Musik sowohl sehr naiv als auch sehr gebildet hö-ren. Der Zugang ist eigentlich offen.«

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Béla Bartók: 3. KlavierkonzertBéla Bartók: 3. Klavierkonzert

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Béla Bartók: 3. Klavierkonzert

BÉLA BARTÓK(1881–1945)

Konzert für Klavier und Orchester Nr. 3

1. Allegretto2. Adagio religioso3. Allegro vivace

LEBENSDATEN DES KOMPONISTEN

Geboren am 25. März 1881 in Nagyszent-miklós (heute: Sînnicolau Mare) im ungari-schen Teil Siebenbürgens (heute: Rumäni-en); gestorben am 26. September 1945 in New York.

ENTSTEHUNG

Sein drittes und letztes Klavierkonzert komponierte Bartók von Juni bis September 1945 in Saranac Lake im US-Bundesstaat New York. In New York City, wo er es be-enden wollte, nahm ihm der Tod die Feder aus der Hand. Bartóks Schüler Tibor Serly (1901–1978), der auch das (ebenfalls Frag-ment gebliebene) Bratschenkonzert seines Lehrers vollendete, instrumentierte die letzten 17 Takte des Finales.

WIDMUNG

Bartók wollte das Werk seiner Schülerin und zweiten Ehefrau Ditta Pásztory (1903–1982) zueignen; sein Tod verhinderte die schriftliche Fixierung der Widmung.

URAUFFÜHRUNG

Am 8. Februar 1946 in Philadelphia / USA (Philadelphia Orchestra unter Leitung von Eugene Ormandy; Solist: György Sándor).

Béla Bartók: 3. Klavierkonzert

»Apotheose der Natur«

SUSANNE SCHMERDA

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Béla Bartók: 3. Klavierkonzert

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Béla Bartók: 3. Klavierkonzert

FAMILIENINTERNE AUFTRAGSARBEIT

Wohl im Bewusstsein, dass ihm nur noch eine kurze Lebensspanne blieb, plante Béla Bartók sein drittes Klavierkonzert im Früh-jahr 1945 für seine Frau, die Pianistin Ditta Pásztory, eine frühere Schülerin von ihm. Die exklusiven Aufführungsrechte sollten sie mit einem dringend benötigten Einkommen versehen. An seinen jüngsten Sohn Péter schrieb Bartók: »Ich möchte für Mutter ein Klavierkonzert schreiben, dieser Plan be-schäftigt mich schon seit geraumer Zeit. Wenn sie es an 3–4 Orten spielen könnte, das würde soviel Geld einbringen wie eine der zurückgewiesenen Bestellungen...« Bartók, durch den Krieg aus Ungarn in die USA vertrieben, wo er sich verzweifelt nach seiner Heimat zurücksehnte, fristete im New Yorker Exil lange Zeit ein klägliches Dasein: an Leukämie erkrankt und verarmt, als Komponist vom amerikanischen Musik-leben ignoriert, wurde er zudem von Depres-sionen geplagt.

Seine Laufbahn als Konzertpianist hatte er unmittelbar vor seiner Emigration mit einem gemeinsamen Abschiedskonzert zusammen mit seiner Frau am 8. Oktober 1940 in Buda-pest beendet. Dennoch schlug ihm sein Ver-leger Hawkes noch im selben Jahr die Kom-position eines dritten Klavierkonzerts vor für die Zentenarfeier der New Yorker Phil-harmoniker. Bartók aber sah sich wegen seines depressiven Zustands weder imstan-de, dieses Werk zu schreiben noch den Solo-part selbst zu spielen. Als ihn Anfang 1945 dann zwei Privatpersonen um die Komposi-tion eines Klavierkonzerts ersuchten, eines davon sollte für zwei Klaviere sein, lehnte Bartók wiederum ab. Er verfolgte statt-dessen den Plan eines Klavierkonzerts nicht für einen fremden Auftraggeber, sondern

für seine Frau Ditta. Er begann es im Juni/Juli 1945 während eines erneuten Sanato-riumsaufenthalts in Saranac Lake, N.Y., um es im August/September 1945 in New York zu beenden.

ABSCHIED VOM »STILE BARBARO«

Anders als seine beiden früheren Klavier-konzerte – das motorisch ausgerichtete »Erste« von 1926, uraufgeführt 1927 in Frankfurt unter Wilhelm Furtwängler, und das kraftvolle »Zweite«, 1933 ebenfalls in Frankfurt uraufgeführt unter Hans Ros-baud – ist dieses Konzert von sanftem, lyrischem Charakter. Es besticht mit einer ergreifenden Mischung aus Erhabenheit und Leichtigkeit, Nostalgie und Gelassen-heit, ist milde und pastoral und frei von scharfen Kontrasten. Der frühere »stile barbaro« ist überwunden zugunsten einer Schlichtheit der Faktur. Das Soloinstru-ment wartet nicht mehr auf mit aggressi-ven Schlagzeug- Effekten, die hämmernde, dissonanzenreiche Akkordik ist weichen Legato-Linien und Klangtupfern gewichen. Der Klavierpart ist melodiöser, fi ligraner und lichter; selbst die komplexen, oft asym-metrischen Taktarten und Rhythmen sind aufgegeben zugunsten klar strukturierter Bewegungsabläufe.

»Auch hierin trat gegen das Lebensende Bartóks eine gewisse Vereinfachung ein«, kommentierte diesen Vorgang Bence Sza-bolcsi, »als ob der immer mehr in den Vor-dergrund tretende zusammenfassende und humane Wesenszug seiner Kunst auch hier nur die triumphierende Kraft zurückgelas-sen hätte, ohne die aufwühlende, wilde Gewalt der orgiastischen Rhythmen.« Der Hang zur Vereinfachung betrifft auch die Harmonik, an die Stelle chromatischer Dichte sind eine harmonische Glättung und

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Béla Bartók: 3. Klavierkonzert

Brief Bartóks vom Dezember 1944 mit ausführlicher Beschreibung seines kritischen Gesundheitszustands

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Béla Bartók: 3. Klavierkonzert

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Béla Bartók: 3. Klavierkonzert

FAMILIENINTERNE AUFTRAGSARBEIT

Wohl im Bewusstsein, dass ihm nur noch eine kurze Lebensspanne blieb, plante Béla Bartók sein drittes Klavierkonzert im Früh-jahr 1945 für seine Frau, die Pianistin Ditta Pásztory, eine frühere Schülerin von ihm. Die exklusiven Aufführungsrechte sollten sie mit einem dringend benötigten Einkommen versehen. An seinen jüngsten Sohn Péter schrieb Bartók: »Ich möchte für Mutter ein Klavierkonzert schreiben, dieser Plan be-schäftigt mich schon seit geraumer Zeit. Wenn sie es an 3–4 Orten spielen könnte, das würde soviel Geld einbringen wie eine der zurückgewiesenen Bestellungen...« Bartók, durch den Krieg aus Ungarn in die USA vertrieben, wo er sich verzweifelt nach seiner Heimat zurücksehnte, fristete im New Yorker Exil lange Zeit ein klägliches Dasein: an Leukämie erkrankt und verarmt, als Komponist vom amerikanischen Musik-leben ignoriert, wurde er zudem von Depres-sionen geplagt.

Seine Laufbahn als Konzertpianist hatte er unmittelbar vor seiner Emigration mit einem gemeinsamen Abschiedskonzert zusammen mit seiner Frau am 8. Oktober 1940 in Buda-pest beendet. Dennoch schlug ihm sein Ver-leger Hawkes noch im selben Jahr die Kom-position eines dritten Klavierkonzerts vor für die Zentenarfeier der New Yorker Phil-harmoniker. Bartók aber sah sich wegen seines depressiven Zustands weder imstan-de, dieses Werk zu schreiben noch den Solo-part selbst zu spielen. Als ihn Anfang 1945 dann zwei Privatpersonen um die Komposi-tion eines Klavierkonzerts ersuchten, eines davon sollte für zwei Klaviere sein, lehnte Bartók wiederum ab. Er verfolgte statt-dessen den Plan eines Klavierkonzerts nicht für einen fremden Auftraggeber, sondern

für seine Frau Ditta. Er begann es im Juni/Juli 1945 während eines erneuten Sanato-riumsaufenthalts in Saranac Lake, N.Y., um es im August/September 1945 in New York zu beenden.

ABSCHIED VOM »STILE BARBARO«

Anders als seine beiden früheren Klavier-konzerte – das motorisch ausgerichtete »Erste« von 1926, uraufgeführt 1927 in Frankfurt unter Wilhelm Furtwängler, und das kraftvolle »Zweite«, 1933 ebenfalls in Frankfurt uraufgeführt unter Hans Ros-baud – ist dieses Konzert von sanftem, lyrischem Charakter. Es besticht mit einer ergreifenden Mischung aus Erhabenheit und Leichtigkeit, Nostalgie und Gelassen-heit, ist milde und pastoral und frei von scharfen Kontrasten. Der frühere »stile barbaro« ist überwunden zugunsten einer Schlichtheit der Faktur. Das Soloinstru-ment wartet nicht mehr auf mit aggressi-ven Schlagzeug- Effekten, die hämmernde, dissonanzenreiche Akkordik ist weichen Legato-Linien und Klangtupfern gewichen. Der Klavierpart ist melodiöser, fi ligraner und lichter; selbst die komplexen, oft asym-metrischen Taktarten und Rhythmen sind aufgegeben zugunsten klar strukturierter Bewegungsabläufe.

»Auch hierin trat gegen das Lebensende Bartóks eine gewisse Vereinfachung ein«, kommentierte diesen Vorgang Bence Sza-bolcsi, »als ob der immer mehr in den Vor-dergrund tretende zusammenfassende und humane Wesenszug seiner Kunst auch hier nur die triumphierende Kraft zurückgelas-sen hätte, ohne die aufwühlende, wilde Gewalt der orgiastischen Rhythmen.« Der Hang zur Vereinfachung betrifft auch die Harmonik, an die Stelle chromatischer Dichte sind eine harmonische Glättung und

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Béla Bartók: 3. Klavierkonzert

Brief Bartóks vom Dezember 1944 mit ausführlicher Beschreibung seines kritischen Gesundheitszustands

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Béla Bartók: 3. Klavierkonzert

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Béla Bartók: 3. Klavierkonzert

klangliche Aufhellung getreten, und die irrealen, mitunter befremdenden »Klänge der Nacht«, die noch das Adagio-Intermezzo im 2. Klavierkonzert bestimmten, sind nun ersetzt durch die Morgenrufe real notier-ter Vogelstimmen. Es ist die Stimme der Natur, die immer wieder in den luftigen Tonsatz hineinschallt und den Tonfall die-ses dritten Klavierkonzerts ausmacht. Als »Apotheose der Natur« betrachtete der Bartók-Forscher Lajos Lesznai denn auch den Klavierpart.

1. SATZ: RÜCKBLICK AUF DEN FRÜHLING DES LEBENS

Schon der Beginn des 1. Satzes erinnert mit summenden Streicherfi guren an die Klänge der Natur. Und das vom Klavier uni-sono im Abstand von zwei Oktaven gespielte Kopfthema dagegen ähnelt in seiner orna-mentalen Zeichnung dem Flattern eines Vogels. Das zweite Thema dagegen lässt mit seinen abschließenden Terzen an heitere Kinderlieder denken – die klangliche und satztechnische Schlichtheit dieser Exposi-tion gipfelt schließlich in einem idyllischen Dialog des Klaviers im Einklang mit der Kla-rinette. Denkbar reduziert ist die Harmonik der Durchführung, über elf Takte hinweg ist beispielsweise nur der As-Dur-Drei-klang zu hören.

Auch die Reprise unterstreicht die Einfach-heit des Kolorits durch Zweiklänge, in de-nen das erste Thema in beiden Händen wiederkehrt. Mit einer Flöten-Phrase, die an eine Hirtenfl öte erinnert, verklingt das Allegretto im Pianissimo. Nicht nur ein Idyll aus Kindheitserinnerungen und Naturein-drücken scheint der Komponist in diesem schwerelosen Satz beschworen zu haben, sondern auch die frühlingshafte, verklärte Stimmung einer früheren Komposition, des

ebenfalls seiner Frau Ditta zugeeigneten Klavierzyklus »Im Freien«.

2. SATZ: PANTHEISTISCHES GLAUBENSBEKENNTNIS

Für den langsamen Satz wählte der über-zeugte Atheist Bartók eine in seinem Œuvre einzig dastehende Bezeichnung: Adagio »religioso«. Eine getragene Melodie in den Streichern, hymnisch und gebetsartig zu-gleich, eröffnet den Satz, im Pianissimo anhebend und im dreifachen Piano wieder verlöschend. Mit einem akkordischen, vier-stimmigen Choral beantwortet Bartók den ätherischen Streicherbeginn im Klavier. Auch den weiteren Satzverlauf bestreitet er als Dialog aus Streicher-Kantilene und Klavier-Choral. Damit entfaltet Bartók eine entrückte Tonsprache, die vielfach mit Beethovens »Heiligem Dankgesang eines Genesenen an die Gottheit« aus seinem a-Moll-Streichquartett op. 132 verglichen wurde. »Auch dort steht ein akkordischer Choral fl ießenden, kanonischen Streicher-linien gegenüber«, bemerkte Dietmar Hol-land, »und das Choral-Thema ist in archaisch wirkende Harmonik gekleidet, die abweisend und vertraut zugleich erscheint, wie eine Tonalität auf zweiter, unwirklicher Ebene«.

In dem schnelleren Mittelteil dagegen er-hebt sich wieder die Stimme der Natur: taghell erklingen, wie in einer abermaligen Vision des Frühlings, Vogelrufe, die Bartók bei einem Erholungsaufenthalt 1944 in Asheville gehört und aufgeschrieben hat. Der Naturlaut entfaltet sich hier in einer unvorstellbaren Vielzahl klanglicher Schat-tierungen und fl uktuierender Farben, die durchaus als pantheistisches Glaubens-bekenntnis verstanden werden können. Durch eine spezifi sche Intervall-Mixtur entsteht in den Streichern ein harmonisch

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Béla Bartók: 3. Klavierkonzert

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Béla Bartók: 3. Klavierkonzert

neuartiger vibrierender Klangschleier, in den hinein immer wieder Rufe und abgeris-sene Flatterfi guren der Holzbläser sowie hohe Staccato-Klänge des Klaviers und des Xylophons dringen. Auf diesen exotisch ge-färbten Abschnitt folgt wieder der Satz-beginn – doch ist jetzt vereint, was vorher sich dialogisch gegenüberstand: der Choral wird nun vom Orchester intoniert, das Kla-vier begleitet nach Art einer zweistimmi-gen Invention von Bach – friedvoll, geheim-nisvoll und weltentrückt.

3. SATZ: DES LEBENS LETZTER WIRBELNDER TANZ

Der virtuose letzte Satz schlägt ein rasches Tanztempo an und besitzt Rondo-Form. Das rhythmisch profi lierte, temperament-volle Tanzthema trägt volkstümliche Züge und erscheint in verschiedensten harmoni-schen Varianten im Klavier und Orchester. Einen denkbar großen Kontrast bildet dazu das Zwischenspiel – eine ätherische Fugen- Episode, in der Bartók mit Themenumkeh-rungen und bravouröser Imitationstechnik ein letztes Mal sein großes kontrapunkti-sches Können beweist.

Das Konzert war das letzte Werk, das Bar-tók vor seinem frühen Leukämie-Tod am 25. September 1945 vollenden konnte – mit Ausnahme der 17 Schlusstakte des 3. Satzes, deren Orchestrierung sein frühe-rer Schüler Tibor Serly entsprechend er-gänzte. Bis zum 21. September, dem Vor-abend seiner Einlieferung ins West Side Hospital in New York, hatte Bartók an sei-nem 3. Klavierkonzert noch gearbeitet. Die Uraufführung fand posthum am 8. Februar 1946 in Philadelphia statt; Eugene Orman-dy dirigierte das Philadelphia Orchestra, Solist war der Ungar György Sandor. Das Konzert, ob von Bartók nun bewusst als

»Werk des Abschieds« oder als fi nanzielle Überlebenshilfe für seine Frau gedacht, wurde allerdings von Ditta Pásztory auch nach ihrer Rückkehr nach Ungarn lange Zeit nicht gespielt.

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Béla Bartók: 3. Klavierkonzert

klangliche Aufhellung getreten, und die irrealen, mitunter befremdenden »Klänge der Nacht«, die noch das Adagio-Intermezzo im 2. Klavierkonzert bestimmten, sind nun ersetzt durch die Morgenrufe real notier-ter Vogelstimmen. Es ist die Stimme der Natur, die immer wieder in den luftigen Tonsatz hineinschallt und den Tonfall die-ses dritten Klavierkonzerts ausmacht. Als »Apotheose der Natur« betrachtete der Bartók-Forscher Lajos Lesznai denn auch den Klavierpart.

1. SATZ: RÜCKBLICK AUF DEN FRÜHLING DES LEBENS

Schon der Beginn des 1. Satzes erinnert mit summenden Streicherfi guren an die Klänge der Natur. Und das vom Klavier uni-sono im Abstand von zwei Oktaven gespielte Kopfthema dagegen ähnelt in seiner orna-mentalen Zeichnung dem Flattern eines Vogels. Das zweite Thema dagegen lässt mit seinen abschließenden Terzen an heitere Kinderlieder denken – die klangliche und satztechnische Schlichtheit dieser Exposi-tion gipfelt schließlich in einem idyllischen Dialog des Klaviers im Einklang mit der Kla-rinette. Denkbar reduziert ist die Harmonik der Durchführung, über elf Takte hinweg ist beispielsweise nur der As-Dur-Drei-klang zu hören.

Auch die Reprise unterstreicht die Einfach-heit des Kolorits durch Zweiklänge, in de-nen das erste Thema in beiden Händen wiederkehrt. Mit einer Flöten-Phrase, die an eine Hirtenfl öte erinnert, verklingt das Allegretto im Pianissimo. Nicht nur ein Idyll aus Kindheitserinnerungen und Naturein-drücken scheint der Komponist in diesem schwerelosen Satz beschworen zu haben, sondern auch die frühlingshafte, verklärte Stimmung einer früheren Komposition, des

ebenfalls seiner Frau Ditta zugeeigneten Klavierzyklus »Im Freien«.

2. SATZ: PANTHEISTISCHES GLAUBENSBEKENNTNIS

Für den langsamen Satz wählte der über-zeugte Atheist Bartók eine in seinem Œuvre einzig dastehende Bezeichnung: Adagio »religioso«. Eine getragene Melodie in den Streichern, hymnisch und gebetsartig zu-gleich, eröffnet den Satz, im Pianissimo anhebend und im dreifachen Piano wieder verlöschend. Mit einem akkordischen, vier-stimmigen Choral beantwortet Bartók den ätherischen Streicherbeginn im Klavier. Auch den weiteren Satzverlauf bestreitet er als Dialog aus Streicher-Kantilene und Klavier-Choral. Damit entfaltet Bartók eine entrückte Tonsprache, die vielfach mit Beethovens »Heiligem Dankgesang eines Genesenen an die Gottheit« aus seinem a-Moll-Streichquartett op. 132 verglichen wurde. »Auch dort steht ein akkordischer Choral fl ießenden, kanonischen Streicher-linien gegenüber«, bemerkte Dietmar Hol-land, »und das Choral-Thema ist in archaisch wirkende Harmonik gekleidet, die abweisend und vertraut zugleich erscheint, wie eine Tonalität auf zweiter, unwirklicher Ebene«.

In dem schnelleren Mittelteil dagegen er-hebt sich wieder die Stimme der Natur: taghell erklingen, wie in einer abermaligen Vision des Frühlings, Vogelrufe, die Bartók bei einem Erholungsaufenthalt 1944 in Asheville gehört und aufgeschrieben hat. Der Naturlaut entfaltet sich hier in einer unvorstellbaren Vielzahl klanglicher Schat-tierungen und fl uktuierender Farben, die durchaus als pantheistisches Glaubens-bekenntnis verstanden werden können. Durch eine spezifi sche Intervall-Mixtur entsteht in den Streichern ein harmonisch

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Béla Bartók: »Concerto for Orchestra«

Im Wettlauf mit dem Tod

WOLFGANG STÄHR

Béla Bartók: »Concerto for Orchestra«

BÉLA BARTÓK(1881–1945)

»Concerto for Orchestra«

1. Introduzione: Andante non troppo – Allegro vivace

2. Giuoco delle coppie: Allegro scherzando3. Elegia: Andante non troppo4. Intermezzo interrotto: Allegretto5. Finale: Pesante – Presto

LEBENSDATEN DES KOMPONISTEN

Geboren am 25. März 1881 in Nagyszent-miklós (heute: Sînnicolau Mare) im ungari-schen Teil Siebenbürgens (heute: Rumäni-en); gestorben am 26. September 1945 in New York.

ENTSTEHUNG

Auf Vermittlung des Dirigenten Fritz Reiner und des Geigers Joseph Szigeti, erhielt Béla Bartók 1943 im (freiwilligen) amerika-nischen Exil einen Kompositionsauftrag der »Koussevitzky Music Foundation«. Obwohl bereits schwer erkrankt, komponierte er während eines Sanatoriumsaufenthalts in Saranac Lake, New York, vom 15. August bis zum 8. Oktober 1943 das »Concerto for Orchestra«, in das vermutlich Bartóks Plä-ne zu einem »Ballet symphonique« aus dem Jahr 1939 und Anregungen seines Verle-gers Ralph Hawkes zu Instrumentalwerken in der Art der »Brandenburgischen Konzer-te« vom April 1942 eingeflossen sind; auch existierten schon seit Sommer 1942 Skiz-zen zum späteren 2. Satz. Nach der Urauf-führung verlängerte Bartók im Februar oder Anfang März 1945 auf Bitten Serge

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Béla Bartók: »Concerto for Orchestra«

Koussevitzkys den etwas abrupt wirken-den Schluss des Finales um einige Takte.

WIDMUNG

»Written for the Koussevitzky Music Foun-dation in memory of Mrs. Natalia Kousse-vitzky« (Geschrieben für die Koussevitzky- Musikstiftung zum Andenken an Frau Na-talia Koussevitzky); die Stiftung hatte der russisch-amerikanische Dirigent Serge Koussevitzky (1874–1951) ins Leben ge-rufen, um mit Kompositionen zeitgenössi-scher Komponisten das Andenken an seine verstorbene Gattin zu ehren.

URAUFFÜHRUNG

Am 1. Dezember 1944 in Boston / USA in der Symphony Hall (Boston Symphony Or-chestra unter Leitung von Serge Kousse-vitzky).

»SYMBOL DES MUTS UND DER FREIHEIT«

»In Bartóks Musik«, so urteilte der Geiger und Dirigent Sándor Végh, einer der weg-weisenden Interpreten des ungarischen Komponisten, »ist das überwältigendste Merkmal sein eigener Charakter, seine Ge-radheit, Sauberkeit, Konzessionslosigkeit, Unbestechlichkeit und sein Mut. Alle diese Eigenschaften wurden immer ausgepräg-ter, je erschreckender die Zeiten wurden. Als in Deutschland die Nationalsozialisten die ›Entartete Kunst‹ proklamierten, und es verboten wurde, in Konzertsälen Men-delssohn, Debussy, Ravel, Schönberg, aber auch politische Gegner wie Hindemith zu spielen, schrieb Bartók einen Offenen Brief an alle Zeitungen, in dem er erklärte, er verbiete, seine Kompositionen in Deutsch-land aufzuführen. Nur zwei Zeitungen hat-ten den Mut, diesen Brief zu veröffentli-chen. Wir alle, die Bartók liebten und ver-ehrten, fühlten, dass es ihm sowohl mora-lisch wie physisch unmöglich wurde, in Ungarn zu bleiben.«

1938, nach dem »Anschluss« Österreichs an das nationalsozialistische Deutschland, begann Bartók in der Tat ernsthaft über eine Emigration nachzudenken, zu bedrü-ckend war für ihn die Gefahr, »dass sich auch Ungarn diesem Räuber- und Mörder-system ergibt. Die Frage ist nur, wann und wie ! Wie ich dann in so einem Lande wei-terleben oder – was dasselbe bedeutet – weiterarbeiten kann, ist gar nicht vorstell-bar. Ich hätte eigentlich die Pflicht auszu-wandern, so lange es noch möglich ist.« Bartók brachte in jenen Monaten seine Manuskripte in Sicherheit: Zuerst schickte er sie nach Basel, dann schien es ihm bes-ser, sie in London bei seinem neuen Verle-ger Boosey & Hawkes zu deponieren. Als im

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Béla Bartók: »Concerto for Orchestra«

Dezember 1939 seine Mutter starb, war die Frage der Emigration für Bartók ent-schieden. Nichts hielt ihn jetzt noch in Un-garn. Im Herbst 1940 bereitete er unter dem Vorwand einer Tournee seine Ausreise in die Vereinigten Staaten vor. »Wir Musi-ker und sein Freundeskreis wussten, dass seine Reise nach Amerika keine Konzertrei-se war, wie offiziell behauptet wurde«, erinnerte sich Sándor Végh. »Viele Künst-ler, Musiker, Maler, Bildhauer, Wissen-schaftler, Schriftsteller, die Elite des Kul-turlebens von Ungarn, [pilgerten] zu Bar -tók Béla und Ditta, um Abschied zu neh-men. Es war eine Stimmung wie bei einer Beerdigung, einem Kondolenzbesuch, von Angst erfüllt – denn ein Begräbnis stand uns ja allen bevor: Wir begruben die Frei-heit, die Menschlichkeit, und derjenige, der für uns das Symbol des Muts, der Stand-haftigkeit und der humanmoralischen Frei-heit darstellte, Bartók, musste uns verlas-sen.«

IM FREUDLOSEN NEW YORK

Am 30. Oktober 1940 erreichte Béla Bartók zusammen mit seiner Frau Ditta Bartók- Pásztory New York, sein selbstgewähltes Exil. Und schon die Widrigkeiten der An-kunft waren bezeichnend für den insge-samt schwierigen und oft genug demorali-sierenden Verlauf der Jahre, die Bartók bevorstanden. Das Gepäck des Ehepaares war an der spanischen Grenze nicht durch den Zoll gekommen und sollte deshalb in ein bis zwei Wochen nachgeschickt werden. Tatsächlich jedoch traf es erst am 11. Fe-bruar 1941, mit einer Verspätung von drei-einhalb Monaten, in den Staaten ein. In der Zwischenzeit mussten sich die Bartóks mit abgelegter Kleidung von Freunden und Be-kannten behelfen. Als nächstes Problem in

einer nicht abreißenden Kette von Sorgen und Belastungen stellte sich die Suche nach einer geeigneten – und das hieß in Bartóks Fall: ungestört ruhigen – Woh-nung. Selbst im stillsten Domizil in Ungarn hatte Bartók, dessen Gehörsinn in einem unvorstellbaren Maße verfeinert und über-empfindlich war, mit verstopften Ohren gearbeitet. Die Großstadthektik von New York musste ihn nun schier zur Verzweif-lung treiben. Nach einem von mehreren Wohnungswechseln berichtete Bartók sei-nem jüngeren Sohn Péter, der erst im April 1942 in die Staaten kam, von den akusti-schen Qualen eines ruhelosen Mietshauses: »Rechts und links Klavierspiel, Radio, auf der Straße bei Tag und Nacht großer Lärm, alle 5 Minuten ließ die Untergrundbahn die Wohnung erdröhnen und erbeben.«

Überhaupt war New York für Bartók der »starke, unbezwingbare Feind«: So hat es der ebenfalls im Exil lebende Hans W. Heinsheimer geschildert, der von der Uni-versal Edition in Wien zu Boosey & Hawkes nach New York gewechselt war. »Der hek-tische Straßenverkehr erschreckte ihn zu-tiefst. Er ging nie bei Rot über die Straße und selbst bei Grün blieb er verwirrt und in Alarmbereitschaft – wie ein Tier, das den schützenden Wald verlassen hat und nun mit weit aufgerissenen Augen dem brüllen-den Ungeheuer von Großstadt gegenüber-tritt.« Seelisch zutiefst verletzt und ge-sundheitlich schwer angegriffen, mag Bar-tók das Lebensbedrohliche und Naturferne der gigantischen Metropole besonders ge -fühlt haben. Yehudi Menuhin, für den Béla Bartók 1944 eine seiner letzten Komposi-tionen, die Sonate für Solovioline, schrieb, bestätigte diese Beobachtung: »Was er brauchte und in den Straßen New Yorks schmerzlich vermisste, war der Kontakt

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Béla Bartók: 3. Klavierkonzert

Béla Bartók kurz nach seiner Flucht vor Faschismus und Diktatur in die USA (1940)

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Béla Bartók: »Concerto for Orchestra«

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Béla Bartók: 3. Klavierkonzert

Béla Bartók kurz nach seiner Flucht vor Faschismus und Diktatur in die USA (1940)

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Béla Bartók: »Concerto for Orchestra«

zur Natur. Manchmal blieb er mitten in den Benzindünsten stehen, schnupperte und rief aus: ›Ich rieche es, irgendwo ist hier ein Pferd !‹ Seine Sinne waren unendlich scharf. Seiner Nase folgend, kam er tat-sächlich zu einem kleinen Stall, in dem man für’s Reiten im Central Park Pferde miete-te, und er füllte seine Lungen mit dem nos-talgischen Duft. Alle Tiere kamen ihm im-mer vertrauensvoll entgegen, und er hatte für sie die gleiche Sympathie wie für natur-verbundene Menschen. Seine große Sehn-sucht nach solchen natürlichen Gemein-schaften zeigt sich für mich in der immer stärkeren Schlichtheit seiner letzten Wer-ke, die er im Wettlauf mit dem Tod im freud-losen New York geschrieben hat.«

NOT, MISSACHTUNG UND LEID

Doch alle Schwierigkeiten des Alltags über-schattete noch die wachsende materielle Not, die Bartók zu ertragen hatte. Seine Kompositionen wurden in den Vereinigten Staaten so selten aufgeführt, dass Bartók verbittert von einer »Quasi-Boykottierung [s]einer Werke« sprach. Und als Pianist – solistisch oder als Duopartner seiner Frau – erhielt er nur wenige Engagements, so dass auch diese karge Einnahmequelle bald versiegte. »Unsere Lage verschlechtert sich von Tag zu Tag«, klagte Bartók im März 1942. »Ich kann nur sagen, dass ich noch nie in meinem Leben, seitdem ich mir meinen Unterhalt verdiene – das ist seit meinem 20. Lebensjahr ! – , in einer so ent-setzlichen Lage war, wie ich wahrscheinlich bald sein werde. ›Entsetzlich‹ ist vielleicht etwas übertrieben, aber nicht sehr.«

Trotz all dieser Ernüchterungen und Krän-kungen hat Bartók seine Emigration keinen einzigen Augenblick bereut. Vor seiner Ab-

reise in die Staaten hatte er noch in seinem Testament mit unmissverständlicher Klar-heit festgelegt: »Sollte es gewünscht wer-den, nach meinem Tode eine Straße nach mir zu benennen oder eine Gedenktafel, die irgendeine Beziehung zu mir beinhaltet, an einer öffentlichen Stelle anzubringen, ist es mein Wunsch, dass, solange der frühere Oktogon Tér [der damals Mussolini-Platz hieß] und der Körönd Tér [der in Hitler-Platz umbenannt war] in Budapest nach den Männern benannt sind, deren Namen sie zur Zeit tragen, [...] kein Platz, keine Stra-ße, kein öffentliches Gebäude in diesem Lande nach mir benannt werden soll.«

VON DER STRENGE ZUR LEBENSBEJAHUNG

Einem Auftrag der Koussevitzky Music Foundation – einer Stiftung, die der rus-sisch-amerikanische Dirigent Serge Kous-sevitzky zum Andenken an seine verstor-bene Frau Natalia gegründet hatte – , ver-dankte Bartók den Impuls und die finanzi-elle Möglichkeit zur Komposition seines »Concerto for Orchestra«. Im Januar 1943 war Bartók zum letzten Mal öffentlich als Pianist aufgetreten; im Februar hatte er nach einem akuten Schwächeanfall eine Vorlesungsreihe an der Harvard University abbrechen müssen. Unausweichlich und kräftezehrend kündigte sich mit zahlrei-chen Fieberschüben und Erschöpfungs-zuständen die todbringende Leukämie an. Die immensen Kosten seiner Kranken-haus- und Kuraufenthalte übernahm für ihn die »American Society of Composers, Authors and Publishers« (ASCAP). Wäh-rend einer Phase der Erholung, der wieder-gewonnenen Kraft konnte Bartók den will-kommenen Kompositionsauftrag in Angriff nehmen: Im Sommer und Herbst 1943 ar-

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Béla Bartók: »Concerto for Orchestra«

Bartóks letzte Wohnung in New York: 309 West, 57th Street (s. Pfeil)

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Béla Bartók: »Concerto for Orchestra«

beitete er am »Konzert für Orchester«, dessen Uraufführung am 1. Dezember 1944 mit dem Boston Symphony Orchestra unter Leitung seines Chefdirigenten Serge Koussevitzky stattfand.

»Der Titel dieses symphonischen Orches-terwerks«, erläuterte Bartók im Pro-grammheft, »findet in der konzertieren-den oder solistischen Behandlung einzel-ner Instrumente oder/und Instrumenten-gruppen seine Erklärung. Die ›virtuose‹ Behandlung erscheint z. B. in den Fugato- Abschnitten der Durchführung des 1. Sat-zes (Blech bläser) oder etwa in den ›per-petuum mobile‹- artigen Passagen des Hauptthemas des letzten Satzes (Strei-cher), insbesondere aber im 2. Satz, in dem die Instrumente jeweils paarweise nacheinander mit brillanten Passagen ein-setzen.« In überlieferter symphonischer Tradition folgt das fünfsätzige »Concer-to« einer »per aspera ad astra«-Drama-turgie. In Bartóks Worten: »Die Grund-stimmung des Werkes stellt – vom heite-ren 2. Satz abgesehen – einen allmähli-chen Übergang von der Strenge des 1. und der schwermütigen Totenklage des 3. Satzes zur Lebensbejahung des Finales dar.« Zugleich entspricht die Abfolge der Sätze einem symmetrischen Ordnungsge-füge: Die zentrale »Elegia«, die »Totenkla-ge«, wie Bartók sie nannte, wird von einem doppelten Rahmen umgeben – von zwei Sätzen in der Art eines »Scherzos« und darüber hinaus zwei (Eck-) Sätzen in ra-schem Tempo. Dem einleitenden »Allegro vivace« geht – als neuerlicher Hinweis auf die symphonische Tradition – eine langsa-me Introduktion voraus, in der zuerst von der Soloflöte, dann von den Trompeten, endlich vom ganzen Orchester bereits je-nes Thema exponiert wird, das später in der »Elegia« eine Schlüsselrolle spielt.

»UNTERBROCHENES INTERMEZZO«

Eine erstaunliche Vielfalt musikalischer Profile vereint der 4. Satz des Konzerts, das »Intermezzo interrotto«. Das anfäng-liche Oboen-Thema zeigt Merkmale – die metrische Asymmetrie, die häufigen Takt-wechsel, die Tonrepetitionen – , wie sie typisch sind für die osteuropäische Volks-musik verschiedenster Regionen. Mit der folgenden melancholischen Bratschen-melodie hingegen zitiert Bartók eine unga-rische »Operette« (Zsigmond Vincze: »A Hamburgi Menyasszony«, 1926). Der be-wusste Einschub »volkstümlicher Kunst-musik« – um einen Begriff Béla Bartóks zu verwenden – erhält eine geradezu pro-grammatische Bedeutung, wenn man den Text dieser Melodie kennt – »Schön und lieblich bist du, Ungarland« – , und wenn man bedenkt, dass sie in Ungarn zu einem nationalen »Symbol« avanciert war. Und abermals ändert sich der Tonfall des Sat-zes grundlegend, um diesmal den Charak-ter einer aggressiven Satire anzunehmen, einer grellen Persiflage mit Anklängen an Militär- und Zirkus musik.

In einem Gespräch mit seinem Landsmann und früheren Schüler, dem ungarischen Dirigenten Antal Doráti, stellte Béla Bartók die Frage: »Wissen Sie, was das für eine Unterbrechung im ›Intermezzo interrotto‹ ist ?« Doráti antwortete ihm: »Es ist ein Zitat aus der ›Lustigen Witwe‹... !« Doch Bartók schüttelte den Kopf: »Keineswegs !« »So war es also«, fährt Doráti in seinem Bericht fort, »offensichtlich doch kein Lehár-Zitat. Was war es dann ? Ich musste ihm feierlich versprechen, es niemandem weiter zu erzählen, solange ich lebe [...], und dann vertraute er mir an, dass er da-mit eine Melodie aus der 7. Symphonie, der

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Béla Bartók: »Concerto for Orchestra«

Koussevitzkys Brief vom 4. Mai 1943, mit dem er Bartók gegen ein Honorar von 1.000 US-Dollar den Auftrag zum »Concerto for Orchestra« erteilte

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Béla Bartók: »Concerto for Orchestra«

sog. ›Leningrader Symphonie‹, von Schos-takowitsch karikiert habe, die sich damals in Amerika großer Beliebtheit erfreute – und das, nach Ansicht von Bartók, weit mehr als sie verdient hatte. ›So habe ich meinem Ärger Luft gemacht‹, sagte er. Sei-ne mündliche Beschreibung jenes ›unter-brochenen Intermezzos‹ ist sehr treffend und sollte nicht der Vergessenheit anheim-fallen: ›Die Melodie nimmt ihren ruhigen Verlauf und wird dann plötzlich von bruta-ler Kapellmusik unterbrochen, die vom Or-chester verspottet und der Lächerlichkeit preisgegeben wird. Nach Abzug der Kapel-le nimmt die Melodie ihren Walzer wieder auf – diesmal nur ein wenig trauriger als vorher...‹«

UNBEZWINGBARER WILLE

Wenige Monate nach der Uraufführung des »Concerto for Orchestra« erlag Béla Bar-tók seiner schweren Krankheit. Am 26. September 1945 starb er 64-jährig im New Yorker West Side Hospital. »Als ich das letzte Mal einen Blick auf ihn werfen konn-te, bevor sein Sarg geschlossen wurde«, berichtet Hans W. Heinsheimer, »hatte ich stärker als jemals zuvor den Eindruck, dass dieses schmale Gesicht – so schön, so groß in seinem Ewigen Frieden und sogar jetzt noch die Leiden eines nicht enden wollenden Kampfes reflektierend – nicht nur das unvergessliche Gesicht eines gro-ßen Musikers war. Es war das leuchtende Ebenbild eines mutigen, wahrheitslieben-den, unbezwingbaren Willens, der auch dann noch weiterleben würde, wenn die sterbliche Hülle längst zu Staub zerfallen wäre.«

Béla Bartók, von der Krankheit gezeichnet, im Sommer 1943 in Saranac Lake, N.Y.

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Béla Bartók: Der Komponist hat das Wort

»Rassenreinheit in der Musik«

BÉLA BARTÓK

Béla Bartók: Der Komponist hat das Wort

Heutzutage wird – zumeist aus politischen Gründen – viel über die Reinheit und Un-reinheit der menschlichen Rasse geredet, wobei gewöhnlich angenommen wird, daß die Reinheit der Rasse bewahrt werden sollte, sogar mit Hilfe gesetzlicher Verbo-te. Diejenigen, die sich mit der einen oder mit der anderen Seite des Problems be-schäftigen, haben wahrscheinlich den Ge-genstand gründlich studiert (oder sollten es wenigstens getan haben), indem sie viele Jahre damit zubrachten, das vorhan-dene Material zu überprüfen oder in eige-nen Forschungen neue Daten zu sammeln. Da ich dies nicht getan habe, kann ich we-der die eine noch die andere Seite unter-stützen, ich würde überhaupt nicht dazu berechtigt sein. Ich habe aber viele Jahre damit zugebracht, eine Erscheinung des menschlichen Lebens zu studieren, die von einigen Träumern, die man gewöhnlich Volksmusikforscher nennt, für mehr oder weniger lebenswichtig gehalten wird. Diese Erscheinung ist die urtümliche Musik des Volkes, besonders der Bauern. Im gegen-wärtigen Stadium des Streites über Ras-senfragen mag es an der Zeit sein, die Fra-ge zu untersuchen: Ist rassische Unrein-heit der Volksmusik (zum Beispiel der Bau-

ernmusik) günstig oder nicht ? (Ich wende das Wort »rassisch« hier auf die Musik selbst an und nicht auf die Menschen, die die Musik schaffen, überliefern oder auf-führen.)

Meine Forschungen wurden vorwiegend in Osteuropa angestellt. Als Ungar begann ich meine Arbeit natürlich mit ungarischer Volksmusik, dehnte sie aber bald auf die benachbarten Gebiete – Slowakei, Ukraine, Rumänien – aus. Gelegentlich machte ich sogar Abstecher in entlegenere Gegenden (Nordafrika, Kleinasien), um einen weiteren Ausblick zu gewinnen. Außer dieser »akti-ven« Forschungsarbeit, die die Dinge an Ort und Stelle untersuchte, leistete ich auch »passive« Arbeit, indem ich das von anderen gesammelte und veröffentlichte Material studierte.

Seit dem allerersten Anfang war ich höchst erstaunt über den ungewöhnlichen Reich-tum an Melodietypen, der in den bearbei-teten osteuropäischen Gebieten vorhanden war. Als ich meine Untersuchungen fort-setzte, wuchs dieses Erstaunen. In Anbe-tracht der verhältnismäßig geringen Aus-dehnung jener Länder mit einer Gesamtbe-

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Béla Bartók: Der Komponist hat das Wort

völkerung von etwa 40 bis 50 Millionen Menschen ist diese Mannigfaltigkeit der Volksmusik wahrhaft bewundernswert. Das Vergleichen der Volksmusik der einzelnen Völker ließ klar erkennen, daß da ein stän-diges Geben und Nehmen von Melodien vor sich ging, ein ständiges Kreuzen und Wie-derkreuzen, das seit Jahrhunderten an-hält.

Ich muß nun eine sehr wichtige Tatsache hervorheben. Dieses Geben und Nehmen ist nicht so einfach, wie manche glauben könnten ! Denn wenn eine Volksmelodie die Sprachgrenze eines Volkes überschreitet, wird sie – früher oder später – gewissen Veränderungen unterworfen werden, die durch die andere Umgebung und insbeson-dere durch die Sprachunterschiede be-dingt sind. Je größer die Unähnlichkeit in bezug auf die Aussprache, den Tonfall, die metrischen Verhältnisse, den Silbenbau usw. zweier Sprachen ist, desto größer

sind die Veränderungen, denen die »emigrierten« Melodien glücklicherweise unterworfen sein können. Ich sage »glück-licherweise«, denn diese Erscheinung selbst erzeugt und erhöht weiter die An-zahl der Typen und Untertypen. Ich habe den Ausdruck »Kreuzen und Wiederkreu-zen« gebraucht. Dieses »Wiederkreuzen« vollzieht sich im allgemeinen in der folgen-den Art: Eine ungarische Melodie wird zum Beispiel von den Slowaken übernommen und »slowakisiert«. Diese slowakisierte Form kann dann von den Ungarn rücküber-nommen und so »re- magyarisiert« wer-den. Aber – und wieder sage ich glückli-cherweise – diese re-magyarisierte Form wird von der ursprünglichen ungarischen Form verschieden sein.

Zahlreiche Faktoren erklären den fast un-unterbrochenen Austausch von Melodien: soziale Bindungen, freiwillige oder zwangs-weise Auswanderung und Kolonisierung

Béla Bartók auf seiner letzten Volkslied-Sammelfahrt (Anatolische Hochebene, 1936)

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Béla Bartók: Der Komponist hat das Wort

von Einzelnen oder Völkern. Wie jedermann weiß, ist Osteuropa (Russen, Polen und Uk-rainer ausgenommen) hauptsächlich von kleinen Völkern bewohnt, von denen jedes ungefähr 10 Millionen oder weniger Men-schen zählt, ohne daß an den Grenzen un-überwindliche geographische Hindernisse bestünden. Einige Gebiete haben eine völlig gemischte Bevölkerung, Resultate von Kriegsverwüstungen, denen zur Besied-lung der unbewohnten Landstriche Koloni-sation folgte. Der ständige Kontakt zwi-schen diesen Völkern mochte leicht gewe-sen sein. Auch haben Eroberungen statt-gefunden (zum Beispiel die Eroberung des Balkans durch die Türken). Eroberer und Unterworfene haben sich vermischt und ihre Sprachen und ihre Volksmusik gegen-seitig beeinflußt.

Kontakt zwischen fremden Völkern bewirkt nicht nur einen Austausch von Melodien, sondern – und dies ist noch wichtiger – regt auch zur Ausbildung neuer Stilarten an. Gleichzeitig werden aber auch die mehr oder weniger alten Stilarten gut am Leben erhalten, und dies zieht eine weitere Be-reicherung der Volksmusik nach sich. Die Tendenz, die fremden Melodien umzuän-dern, verhindert die Internationalisierung der Musik jener Völker. Das Material jeder solcher Musik, wie heterogen es auch ur-sprünglich sein mag, erhält so eine ausge-prägte Individualität. Der Stand der Volks-musik in Osteuropa kann folgendermaßen zusammengefaßt werden: Als das Resultat einer ununterbrochenen gegenseitigen Be-einflussung zwischen der Voksmusik der verschiedenen Völker ergeben sich eine gewaltige Mannigfaltigkeit und ein riesiger Reichtum an Melodien und Melodietypen. Die »rassische Unreinheit« ist entschieden zuträglich.

Und nun sehen wir uns einmal das entgegen-gesetzte Bild an ! Wenn man eine nordafri-kanische Oase, zum Beispiel Biskra oder eines der benachbarten Dörfer, besucht, hört man Volksmusik von ziemlich einheit-lichem und einfachem Aufbau, die aber dennoch sehr interessant ist. Wenn man dann, sagen wir, 1500 Meilen weiter nach Osten geht und sich die Volksmusik in Kairo und seiner Umgebung anhört, trifft man auf genau dieselben Musiktypen. Ich weiß nicht sehr viel über die Wanderungen und die Geschichte der Arabisch sprechenden Bewohner Nordafrikas, aber ich glaube be-haupten zu dürfen, eine derartige Einheit-lichkeit in einem so großen Gebiet zeigt an, daß hier verhältnismäßig wenig Wande-rungen und Bevölkerungsveränderungen stattgefunden haben. Auch spielt da noch ein anderer Faktor eine Rolle: die Araber mögen zahlreicher sein als jene kleinen osteuropäischen Völker; sie leben aber in einem weit größeren Gebiet und sind nicht durchsetzt mit Völkern verschiedener Ras-se und Sprache.

Wenn für die nähere oder fernere Zukunft ein Überleben der Volksmusik erhofft wer-den darf (eine ziemlich zweifelhafte Aus-sicht, angesichts des rapiden Eindringens höherer Kultur in die entferntesten Weltge-genden), dann ist offensichtlich die künst-liche Errichtung von chinesischen Mauern zur Trennung eines Volkes vom andern für die Entwicklung der Volksmusik sehr un-günstig. Eine vollkommene Absperrung ge-gen fremde Einflüsse bedeutet Niedergang; gut assimilierte fremde Anregungen bieten Bereicherungsmöglichkeiten.

(1942)

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Die KünstlerDie Künstler

DIRIGENT

Pablo Heras-Casado

Der 1977 im spanischen Granada geborene Dirigent studierte ausführlich Kunstge-schichte und Schauspiel in seiner Heimat-stadt, bevor er in Madrid ein Dirigierstudi-um aufnahm, das er durch Meisterkurse u. a. bei Christopher Hogwood ergänzte. Sein Repertoire reicht von der Alten Musik bis zur zeitgenössischen Moderne und zeichnet sich durch eine ungewöhnliche Vielfalt aus. Bereits im Studium gründete Pablo Heras-Casado das Ensemble für Alte Musik »Cappella Exaudi« sowie die experi-mentelle Formation »Sonóora«.

Gastkonzerte führten Pablo Heras-Casado zu den Berliner Philharmonikern, zur Staats-kapelle Berlin, zum Mahler Chamber Orche-stra, zum Orchestre Philharmonique de Radio France, zum Boston Symphony und zum Cle-veland Orchestra; außerdem trat er bei den Salzburger Festspielen sowie beim New Yor-ker Orchestra of St. Luke’s auf, das ihn in der Folge zum ständigen Gastdirigenten ernann-te. Gerne kehrt Heras-Casado auch immer wieder auf die Podien des Los Angeles Phil-harmonic, des San Francisco und Chicago Symphony Orchestra zurück und gastiert regelmäßig beim Tonhalle-Orchester Zürich und beim Symphonieorchester des Bayeri-schen Rundfunks.

Im Opernfach leitete Pablo Heras-Casado u. a. Neuinszenierungen von »Rigoletto« an der Deutschen Oper in Berlin und von »Les Vêp-res siciliennes« an der Alten Oper in Frank-furt. Erfolgreich setzte er sich für das neue Violinkonzert von Peter Eötvös »DoReMi« ein, das er mit Midori als Solistin beim Los Angeles Philharmonic Orchestra zur Auffüh-rung brachte. Darüber hinaus steht Pablo Heras-Casado am Pult des Ensemble inter-contemporain und des Klangforum Wien.

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Die Künstler

KLAVIER

Javier Perianes

Javier Perianes wurde in Spanien geboren und gilt als einer der führenden spanischen Pianisten. Er konzertierte in den wichtigs-ten internationalen Konzerthäusern, dar-unter in der New Yorker Carnegie Hall, im Concertgebouw Amsterdam, in der Royal Festival und Wigmore Hall in London sowie im Théâtre des Champs-Élysées in Paris. Javier Perianes arbeitete in der Vergan-genheit mit Dirigenten wie Rafael Frühbeck de Burgos und Lorin Maazel zusammen, heute tritt er mit Dirigenten wie Zubin Mehta und Daniel Barenboim auf.

In den Jahren 2012/13 war Javier Perianes Artist-in-Residence beim Real Orquesta Sinfónica de Sevilla im Teatro de la Mae-stranza sowie beim renommierten Granada Festival. Er gastierte bei den Wiener Phil-harmonikern, bei den Symphonieorches-tern von San Francisco, Chicago und Bos-ton, beim Orchestre de Paris sowie beim London Philharmonic Orchestra und absol-vierte weitläufige Tour neen, u. a. nach Australien, Singapur und Neuseeland.

Inzwischen hat Javier Perianes auch einige Einspielungen vorgelegt, darunter 2015 einen Mitschnitt des Klavierkonzerts von Edvard Grieg mit dem BBC Symphony Or-chestra. Des weiteren hat er »Lieder ohne Worte« von Mendelssohn, Solostücke von Schubert, Debussy und Chopin sowie Kla-viersonaten von Ludwig van Beethoven aufgenommen. Seine Aufnahme von de Fal-las »Nächte in spanischen Gärten« wurde für einen Grammy nominiert. Javier Peria-nes gibt heute sein Debüt mit den Münch-ner Philharmonikern.

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Alina Katharina BenickeAlina Katharina Benicke

Münchner Klangbilder

TITELGESTALTUNG ZUM HEUTIGENKONZERTPROGRAMM

»Mein Konzertplakat besteht aus einem re-duzierten Design und orientiert sich dabei an dem klassischen Bauhaus-stil. Ich möchte mit meiner Darstellung auf die ikonogra-phische und assoziative Be-deutung des Musikstückes hinweisen. Béla Bartók kom-ponierte sein 3. Klavierkon-zert 1945 als Geburtstags-geschenk für seine Frau, die Pianistin Ditta Pásztory.

In dem Logo der Münchner Philharmoniker findet sich deshalb eine mit Acrylfarbe gemalte Klaviatur wieder. Das Schwarz und Weiß der Klaviertasten schafft eine Dreidimensiona-lität wohingegen die unregelmäßigen Pin-selstriche die musikalische Vielfalt des Stückes veranschaulichen. Die hellrote Plakatfläche interpretiert die Emotionen der Liebe und stellt einen ruhigen Kontrast zur Grafik dar.« (Alina Katharina Benicke, 2016)

DIE KÜNSTLERINIch heiße Alina Katharina Benicke und bin 20 Jahre alt. Obwohl ich im Fünfseenland gebo-ren wurde und lebe, fühle ich mich schon seit

meiner Kindheit als ein Münchner Kindl. Seit März 2015 studiere ich an der Akademie U5

Kommunikationsdesign mit dem Schwerpunkt Werbung und ver-wirkliche damit meinen langer-sehnten Lebensweg.

Für mich bedeutet München mit seiner reichhaltigen Kul-tur und bajuwarischen Le-bensart eine unerschöpfliche Inspiration meiner Kreativi-tät. Hier finde ich tagtäglich die unzähligen Möglichkeiten, mich künstlerisch und persön-lich neu zu entdecken und zu entfalten.

Mehr meiner Projekte finden Sie unter www.behance.net/AlinaKBenicke

Die Akademie U5 an der Einsteinstraße in München bildet seit mehr als 40 Jahren junge Kreative zu gestandenen Kommuni-kations-Designern aus. Die älteste deut-sche Hochschule für werbliches Gestalten hegt das Motto: ›Unsere Studenten sollen Wirklichkeit studieren.‹ Im Laufe von sechs Semestern erlernt man alles um nach dem Diplom-Abschluss in der Gestaltungsbran-che Fuß zu fassen.

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Vorschau

Sonntag09_10_2016 11 Uhr

1. KAMMERKONZERTMünchner Künstlerhaus am Lenbachplatz

»MINIMAL MUSIC« Steve Reich zum 80. Geburtstag

STEVE REICH»Music for Pieces of Wood« (1973)»Clapping Music« (1972)»Drumming«, Part 1 (1970/71)»Mallet Quartet« (2009)»Marimba Phase« (1967)»Pendulum Music« (1968)

DIE SCHLAGZEUGER DER MÜNCHNER PHILHARMONIKER

Montag10_10_2016 20 Uhr a Dienstag11_10_2016 20 Uhr f

FRANZ LISZT»Mazeppa«, Symphonische DichtungBENJAMIN BRITTENSerenade für Tenor, Horn und Streichorchester op. 31MAX REGER»Eine romantische Suite« op. 125

CONSTANTINOS CARYDISDirigentANDREW STAPLESTenorJÖRG BRÜCKNERHorn

Mittwoch26_10_2016 20 Uhr a Donnerstag27_10_2016 20 Uhr b Freitag28_10_2016 20 Uhr g4Mittwoch26_10_2016 10 Uhr Öffentliche Generalprobe

LUDWIG VAN BEETHOVENKonzert für Klavier und Orchester Nr. 1 C-Dur op. 15DMITRIJ SCHOSTAKOWITSCHSymphonie Nr. 10 e-Moll op. 93 DAVID AFKHAM, DirigentRADU LUPU, Klavier

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Das Orchester

1. VIOLINENSreten Krstič, KonzertmeisterLorenz Nasturica-Herschcowici, KonzertmeisterJulian Shevlin, KonzertmeisterOdette Couch, stv. KonzertmeisterinClaudia SutilPhilip MiddlemanNenad DaleorePeter BecherRegina MatthesWolfram LohschützMartin ManzCéline VaudéYusi ChenIason KeramidisFlorentine LenzVladimir Tolpygo

2. VIOLINENSimon Fordham, StimmführerAlexander Möck, StimmführerIIona Cudek, stv. StimmführerinMatthias Löhlein, VorspielerKatharina ReichstallerNils SchadClara Bergius-BühlEsther MerzKatharina SchmitzAna Vladanovic-LebedinskiBernhard MetzNamiko Fuse

Die MünchnerPhilharmoniker

Qi ZhouClément CourtinTraudel ReichAsami Yamada

BRATSCHENJano Lisboa, SoloBurkhard Sigl, stv. SoloMax SpengerHerbert StoiberWolfgang StinglGunter PretzelWolfgang BergBeate SpringorumKonstantin SellheimJulio LópezValentin Eichler

VIOLONCELLIMichael Hell, KonzertmeisterFloris Mijnders, SoloStephan Haack, stv. SoloThomas Ruge, stv. SoloHerbert HeimVeit Wenk-WolffSissy SchmidhuberElke Funk-HoeverManuel von der NahmerIsolde HayerSven FaulianDavid HausdorfJoachim Wohlgemuth

Das Orchester

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Das Orchester Das Orchester

KONTRABÄSSESławomir Grenda, SoloFora Baltacigil, SoloAlexander Preuß, stv. SoloHolger HerrmannStepan KratochvilShengni GuoEmilio Yepes Martinez Ulrich Zeller

FLÖTENMichael Martin Kofler, SoloHerman van Kogelenberg, SoloBurkhard Jäckle, stv. SoloMartin BeličGabriele Krötz, Piccoloflöte

OBOENUlrich Becker, SoloMarie-Luise Modersohn, SoloLisa OutredBernhard BerwangerKai Rapsch, Englischhorn

KLARINETTENAlexandra Gruber, SoloLászló Kuti, SoloAnnette Maucher, stv. SoloMatthias AmbrosiusAlbert Osterhammer, Bassklarinette

FAGOTTEJürgen PoppJohannes HofbauerJörg Urbach, Kontrafagott

HÖRNERJörg Brückner, SoloMatias Piñeira, SoloUlrich Haider, stv. SoloMaria Teiwes, stv. SoloRobert Ross

Alois SchlemerHubert PilstlMia Aselmeyer

TROMPETENGuido Segers, SoloBernhard Peschl, stv. SoloFranz UnterrainerMarkus RainerFlorian Klingler

POSAUNENDany Bonvin, SoloMatthias Fischer, stv. SoloQuirin Willert Benjamin Appel, Bassposaune

PAUKENStefan Gagelmann, SoloGuido Rückel, Solo

SCHLAGZEUGSebastian Förschl, 1. SchlagzeugerJörg HannabachMichael Leopold

HARFETeresa Zimmermann, Solo

CHEFDIRIGENT Valery Gergiev

EHRENDIRIGENTZubin Mehta

INTENDANTPaul Müller

ORCHESTERVORSTANDStephan HaackMatthias AmbrosiusKonstantin Sellheim

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Impressum

IMPRESSUM

Herausgeber:Direktion der MünchnerPhilharmonikerPaul Müller, IntendantKellerstraße 481667 MünchenLektorat: Stephan KohlerCorporate Design:HEYE GmbHMünchenGraphik: dm druckmedien gmbhMünchenDruck: Gebr. Geiselberger GmbHMartin-Moser-Straße 23 84503 Altötting

TEXTNACHWEISE

Michael Kube, Susanne Stähr, Susanne Schmerda und Wolfgang Stähr schrie-ben ihre Texte als Original-beiträge für die Pro-grammhefte der Münchner Philharmoniker. Stephan Kohler redigierte bzw. ver-fasste die lexikalischen Werkangaben und Kurz-kommentare zu den aufge-führten Werken. Den Text Béla Bartóks über »Ras-senreinheit in der Musik« zitieren wir nach Bence Szabolcsi, Béla Bartók – Weg und Werk / Schriften und Briefe, Budapest 1957. Künstlerbiographien (Heras-Casado; Perianes): Nach Agenturvorlagen. Alle Rechte bei den Auto-rinnen und Autoren; jeder Nachdruck ist seitens der Urheber genehmigungs- und kostenpflichtig.

BILDNACHWEISE

Abbildungen zu György Li-geti: Wolfgang Burde, György Ligeti – Eine Mono-graphie, Zürich 1993; Ul-rich Dibelius, György Lige-ti - Eine Monographie in Essays, Mainz 1994. Abbil-dungen zu Bèla Bartók: Bence Szabolcsi (Hrsg.), Béla Bartók – Weg und Werk / Schriften und Brie-fe, Budapest 1957; Ferenc Bónis, Béla Bartók – Sein Leben in Bilddokumenten, Budapest 1981. Abbil-dung zu Max Reger: Musik-sammlung der Bayerischen Staatsbibliothek, Mün-chen. Künstlerphotogra-phien: Fernando Sancho (Heras-Casado), Daniel Garcia Bruno (Perianes).

Gedruckt auf holzfreiem und FSC-Mix zertifiziertem Papier der Sorte LuxoArt Samt

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DAS FESTIVAL FÜR FAMILIEN

BIS 18 JAHRE

GRATIS

FAMILIEN-KONZERT»Peter und der Wolf«

EDUCATIONTANZPROJEKT»Romeo & Julia«

COMMUNITYMUSICPerformances für Groß und Klein

Samstag12_11_2016

— GASTEIGmphil.de

In freundschaftlicherZusammenarbeit mit

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DAS ORCHESTER DER STADT

’16’17