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Leseprobe Die Sauerkraut-Verschwörung

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Im Leben von Ann-Kathleen Müller ist schon lange nichts Aufregendes mehr passiert. Seit 14 Jahren ist sie mit ihrer Schulhofliebe Andreas zusammen, ihr Job als Anwaltsgehilfin ist von Nervenkitzel weit entfernt und wenn sie etwas Außergewöhnliches erleben will, geht sie mit ihrer besten Freundin Jule in eine Apfelweinkneipe. Um endlich wieder mehr Schwung in ihren Alltag zu bekommen und die Leidenschaft ihres Freundes neu zu entfachen, beginnt Anka mit einer Diät. Dumm nur, dass Anka es schon nach einem Tag Fasten nicht mehr aushält und kurzerhand eine Portion Sauerkraut verspeist. Woher hätte sie auch wissen sollen, dass es sich hier um kein gewöhnliches Sauerkraut handelt? Nach einem ziemlich ungewöhnlichen Abend kommt ihr die Erkenntnis: Sie hat Superkräfte und schuld daran muss das Sauerkraut sein! Aber wie geht man damit um, wenn man auf einmal mit dem Schnippen seines kleinen Fingers eine Wand zum Einsturz bringen kann? Es gibt schließlich kein Handbuch für Superhelden. Und wieso

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Emily van Hill

Die

Sauerkraut-Verschwörung

Leserhinweis: Alle Charaktere sind frei erfunden. – Schade eigentlich ...

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van Hill, Emily: Die Sauerkraut-Verschwörung

© 2013 Emily van Hill Alle Rechte vorbehalten.Nachdruck, auch auszugsweise, verboten.Kein Teil dieses Werkes darf ohne schriftliche Einwilligung der Autorin in irgendei-ner Form (Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

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Kapitel 1

Mittwoch, 12. August: Den Tag heute könnte man als typischen Ann-Kathleen Müller Tag bezeich-nen. Pünktlich um sieben klingelt mein Wecker

und reißt mich aus einem ziemlich realitätsfernen Traum, in dem Brad Pitt, eine Ananas, ein Baströckchen und ich vorkamen. Die Details behalte ich lieber für mich, aber ich verrate zumindest, dass weder die Ananas noch ich das Baströckchen anhatten. Schlaftrunken torkele ich ins Bad und entdecke einen riesengroßen Pickel auf meiner Stirn. Ausgesprochen symmetriebewusst hat sich dieses Ungetüm direkt zwischen meinen Augenbrauen angesiedelt. Beschö-nigend ausgedrückt (das meine ich als Redewendung, auch wenn dem Pickel einige Sekunden später das gleiche Schick-sal drohte) könnte man sagen, habe ich Ähnlichkeit mit ei-nem hässlichen Einhorn. Normalerweise kann ich mit mei-nem absolut durchschnittlichen Aussehen gut leben, aber so ein bis zum Bersten gefüllter Eiterpickel würde sogar Bar Rafaeli verschandeln. Bewaffnet mit einer ausreichenden Anzahl Kosmetiktücher mache ich mich daran, die Mutter aller Furunkel ins Jenseits zu befördern.

Nach einem ungleichen Kampf (das Ding war meinen routinierten Ausquetsch-Händen einfach nicht gewachsen) ziert das Innenleben des Gesichtsvulkans meinen Badezim-merspiegel und mir läuft ein nicht zu verachtendes, rot-gel-bes Rinnsal die Stirn herab.

Möglichst leise und mit der mir ganz eigenen Anmut schleiche ich zurück ins Schlafzimmer. In der Hoffnung mein untrügliches Gespür für Mode würde mich auch an diesem Morgen nicht im Stich lassen, wühle ich im Dunklen nach meinen Klamotten.

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Warum ich kein Licht angemacht habe? Selbstverständ-lich um meinen Freund Andreas nicht zu wecken.

Ist mir schon klar, dass Sie nach der kleinen Episode mit dem Pickel zu dem Schluss gekommen sind, dass ich mein Leben als Single fristen muss, aber da muss ich Sie enttäu-schen. Mein Mulle-Wulle-Bär und ich sind schon seit der elften Klasse zusammen. Oh, das sind mittlerweile schon stolze 15 Jahre. Aber mein Mulle-Wulle-Bär ist auch ein ech-ter Glücksgriff ! Gut, er ist jetzt nicht unbedingt ein Adonis. Eher so eine Mischung aus Bilbo Beutlin und Bill Gates. Soll heißen, viele Haare an Stellen, an denen man sie nicht braucht, dafür zu wenig an denen, wo sie hingehören. Aber Sie wissen ja selbst, dass es in einer Beziehung auf mehr als nur Äußerlichkeiten ankommt und bei uns beiden stimmt die Chemie einfach.

Vor allem wenn ich meine Freundin Jule anschaue, deren längste Beziehung es auf ganze fünf Monate brachte, bin ich überglücklich, dass mich dieses ganze Balzgehabe nicht mehr betrifft. Ständig ist sie auf der Pirsch und versucht, den perfekten Mann zu finden. Dass es den nicht gibt, sollte ihr zwar mittlerweile auch klar sein, das hält sie aber nicht davon ab, ständig nach ihm zu suchen. Zugegeben, wenn ich so aussehen würde wie sie, würde ich mich bestimmt auch nicht mit irgendeinem Durchschnittstypen abgeben. Eine blonde Wallemähne, große, kornblumenblaue Augen und eine Figur, die sie als Victoria‘s Secret Engel qualifiziert. Kurz gesagt: Sie ist ein absoluter Männertraum und damit das absolute Gegenteil von mir. Wäre sie wenigstens dumm, aber nein, sie leitet erfolgreich ihre eigene Werbeagentur.

Während ich in unserem abgedunkelten Schafzimmer meine Garderobe für den heutigen Tag weiterhin nur an-hand meiner haptischen Fähigkeiten auswähle, frage ich mich, wie es wäre, nur mal einen Tag so auszusehen wie Jule. Bestimmt würde mich Kai dann nicht länger nur als seine persönliche Kaffeeholerin betrachten.

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Wer Kai ist? Hach, wie soll ich das nur erklären? Sehen Sie, ich bin wirklich glücklich mit meinem Andi. Gut, der Sex ist ein bisschen überarbeitungswürdig, aber das ist nach dieser Zeit wahrscheinlich ganz normal. Leidenschaft er-fasst ihn eigentlich nur noch, wenn er die Apple Entwick-lerkonferenz live im Internet anschauen kann.

Kai jedenfalls ist eine harmlose und vor allem aussichtslo-se Schwärmerei. Aussichtslos insbesondere deshalb, weil er mir jeden Tag aufs Neue vor Augen führt, wie unscheinbar ich bin. Selbst wenn ich völlig nackt ins Büro käme, würde es ihm wahrscheinlich nicht auffallen. Und falls doch, habe ich große Zweifel, dass es zu meinem Vorteil wäre. Aber lassen wir das. Kai ist das, wovon jede Frau träumen muss. Groß, dunkelhaarig, durchtrainiert und mit einem Lächeln, das Dr. Best vor Neid erblassen ließe. Es ist, als hätte eine griechische Gottheit die Erde in Gestalt eines Fachanwalts für internationales Steuerrecht betreten.

Mit meinem blind zusammengewürfelten Outfit schlei-che ich zurück ins Badezimmer. Auf dem Weg dorthin blei-be ich am Schuhschrank hängen, der im Flur steht. Eine Garantie dafür, dass ich schon wieder ein paar Kilos zuge-legt habe. Dafür brauche ich nicht einmal eine Waage. Je nachdem, wie groß der blaue Fleck ist, den ich mir bei dem Zusammenstoß geholt habe, kann ich mein aktuelles Ge-wicht abschätzen. Alles, was kleiner ist als der Durchmesser eines Tischtennisballs, ist noch im grünen Bereich. Kritisch wird es erst, wenn der blaue Fleck nicht zu sehen ist, dafür aber der Schuhschrank eine Delle hat.

Als ich das Bad eine halbe Stunde später verlasse, mache ich kurz Halt vor dem großen Spiegel, der im Flur hängt. Leider ist er mir an diesem Tag wieder alles andere als wohl-gesonnen und führt mir eindrucksvoll vor Augen, dass man seine Garderobe besser nicht im Dunkeln zusammenstellt. Der schwarze, knielange Rock bringt meine recht stämmigen Waden nicht unbedingt vorteilhaft zur Geltung. Zweifellos

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mit ein Grund, warum Andi mich liebevoll Knubbelchen nennt. Naja und über die kurzärmelige Blümchenbluse, die mich aussehen lässt wie eine Karikatur von Miss Money-penny, breite ich mal gnädig den Mantel des Schweigens. Immerhin lenkt das florale Muster von der nicht ganz so vorteilhaften Wulst ab, die sich auf Höhe meines Bauch-nabels gegen den Stoff drückt. Ernüchtert beschließe ich, heute endlich mit der Diät zu beginnen, die schon seit Sil-vester auf meiner To-do Liste steht. Bevor ich noch weite-ren Optimierungsbedarf an mir entdecke, mahnt mich der Blick auf die Uhr zur Eile. Schnell schlüpfe ich in meine abgetragenen, dafür aber wunderbar weichen Pumps, und werfe mir meine Handtasche über die Schulter, ehe ich mich auf den Weg zur Arbeit mache.

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Kapitel 2

Da meine U-Bahn wie so oft Verspätung hat, komme ich erst um Viertel nach acht im Büro an und versuche, unauffällig an meinen Arbeits-

platz zu gelangen.„Frau Müller!“Zu früh gefreut. Wie konnte ich auch annehmen, dass

die Sekretärin vom Chef sich auch nur ein einziges Mal die Gelegenheit entgehen lassen würde, mir eins rein zu würgen.

„Guten Morgen, Frau Schleicher. Gut sehen Sie aus heute. Was gibt es denn?“, unternehme ich einen Versuch, sie zu besänftigen, auch wenn ich ahne, dass mein Ge-schleime mich nicht retten wird.

„Haben Sie schon auf die Uhr gesehen? Sie wissen doch, dass der Chef heute Morgen ein wichtiges Meeting mit den Herren aus China hat und Sie die Unterlagen vor-bereiten sollten!“

Oh verdammt! Das habe ich tatsächlich ganz vergessen! Da kann ich Schleicherchens Entrüstung ausnahmsweise einmal nachvollziehen. Das wäre bestimmt nicht passiert, hätte Jule mich gestern Abend nicht dazu genötigt, ihren Frust über einen verlorenen Auftrag, mit zwei Flaschen Prosecco aus ihrer Erinnerung zu löschen. Dabei hätte der Auftrag nicht absurder sein können: Es ging um ein neues Image für Sauerkraut. So was Blödes. Als hätte Sau-erkraut ein Image. Sauerkraut ist Sauerkraut. Nicht mehr und nicht weniger und jetzt hat es mich zu allem Übel auch noch diesen wichtigen Termin verschlafen lassen. Meine liebe Jule, dafür schuldest du mir etwas!

„Ich bitte vielmals um Entschuldigung, Schleicherch... ähm ... ich meine, Frau Schleicher. Sie haben vollkommen

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recht, aber jetzt sollte ich zusehen, dass ich den Schaden begrenze, meinen Sie nicht?“

Ohne ihre Antwort abzuwarten, mache ich mich auf den Weg zum Konferenzraum und hoffe, dass Dr. Mich-alski nachsichtig mit mir sein wird.

Dort angekommen bleibe ich erst noch einmal vor der Tür stehen und atme tief durch. Soll ich mich besser gleich möglichst kriecherisch verhalten oder darauf hof-fen, dass er es einfach vergisst?

„An deiner Stelle würde ich da jetzt auf keinen Fall reingehen“, unterbricht Kai meine Überlegung, als er den Flur entlangläuft.

„Kk..ai. Ich wollte gerade ins Meeting ...“, stamme-le ich. „Huh, du siehst umwerfend aus!“ Oh verdammt! Habe ich das jetzt wirklich laut gesagt? Ich wünschte, der Erdboden würde sich auftun und mich verschlucken. Er sieht aber auch zum Anbeißen aus! An jedem anderen würde ein dunkelgrauer Maßanzug langweilig aussehen, aber ihm steht er fabelhaft.

„Danke, auch wenn ich das von dir heute leider nicht sagen kann.“ Stirnrunzelnd mustert er mich und erst jetzt merke ich, dass ein Knopf meiner Bluse aufgegangen ist und die Sicht auf mein Speckröllchen frei gibt. „Aber sag mal, bist du wahnsinnig, so spät hier aufzukreuzen? Du weißt doch ganz genau, wie wichtig dieser Kunde für die Kanzlei ist!“

Während ich den Knopf schließe, rechtfertige ich mich für mein Versäumnis. „Eigentlich kann ich gar nichts dafür. Ich war gestern Abend nämlich noch mit meiner Freundin Jule ...“

„Habe ich da gerade meinen Namen gehört? Das trifft sich aber gut!“, vernehme ich plötzlich die Stimme meiner besten Freundin.

Verblüfft drehe ich mich um. „Jule? Was machst du denn hier? Und was in aller Welt hast du da an?“ Irritiert

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mustere ich Jule von Kopf bis Fuß und muss zugeben, dass mir bei ihrem Anblick fast der Atem stockt. Jule hat ihr langes, blondgelocktes Haar zu einem lockeren Dutt zusammengesteckt, aus dem sich ein paar einzelne, fre-che Strähnen gelöst haben und ihr neckisch ins Gesicht fallen. Das feuerrote, enganliegende Etuikleid bringt ihre Figur perfekt zur Geltung und die schwarzen Pumps mit den schwindelerregend hohen Absätzen lassen ihre wohl-geformten Beine noch länger erscheinen, als sie ohnehin schon sind.

„Kai, mach den Mund zu!“, fordere ich meinen Kolle-gen auf und wünsche mir, dass er mich nur ein einziges Mal so verzückt ansehen würde.

„Pardon, wir kennen uns noch gar nicht. Ich bin Kai Lindemann, Senior Partner. Kann ich Ihnen behilflich sein?“

„Junior Partner, er ist nur Junior Partner“, grummele ich leise vor mich hin.

„Sie sind also dieser Herr Lindemann, von dem ich schon so viel gehört habe!“, kichert Jule mädchenhaft und schenkt Kai ihren berüchtigten Augenaufschlag. Der zeigt auch sofort die mir bekannte Wirkung: Der sonst so selbstsichere Kai errötet wie ein Teenager und büßt in diesem Moment jegliche Attraktivität für mich ein.

„Wenn du uns vielleicht kurz entschuldigst, Kai.“ Ich fasse nicht gerade sanft nach Jules Arm und ziehe sie hin-ter mir her in eine ruhigere Ecke.

„Wir sehen uns bestimmt noch, Herr Lindemann“, flö-tet sie.

„Was zum Teufel machst du hier? Ich muss arbeiten!“„Das weiß ich doch, meine Süße, und genau deswegen

bin ich hier! Übrigens dachte ich immer du würdest gna-denlos übertreiben, wenn du von deinem Kollegen ge-sprochen hast, aber das ist ja wirklich eine Sahneschnitte!“

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Genießerisch schließt sie die Augen. Fehlt nur noch, dass sie anfängt zu schmatzen.

„Ja, ich weiß, ich sehe ihn schließlich jeden Tag. Aber verrätst du mir jetzt bitte, warum du hier bist?“

„Schon gut, schon gut, mach‘ dir keine Sorgen. Du weißt, dass ich ihn nie anrühren würde, solange wie du ihn schon anhimmelst, oder Anka?“

Das glaube ich ihr wirklich. Unsere Freundschaft ist es sogar wert, Kai links liegen zu lassen, sollte das irgend-wann einmal zwischen uns stehen. „Natürlich, Jule“, versi-chere ich, füge aber mit einem Zwinkern hinzu: „Obwohl ich schon sagen muss, dass du ihn für meinen Geschmack zu lange angesehen hast.“

„Nie!“, wirft sie entrüstet ein. „Aber genug von den Männergeschichten, deswegen bin ich nun wirklich nicht hier. Die ganze Nacht habe ich mich geärgert, weil ich diese Sauerkraut-Kampagne nicht bekommen habe und dachte, diese Chance kommt nie wieder. Aber was erfahre ich heute Morgen? Rate!“

„Äh, keine Ahnung. Sind die Sauerkrautaktien einge-brochen?“, witzele ich.

„Du brauchst gar nicht so unschuldig zu tun!“, herrscht mich Jule an. „Mit keinem Wort hast du erwähnt, dass der Chef von Misi-Chu seit Jahren einer eurer wichtigs-ten Mandanten ist und zusammen mit seinen chinesischen Partnern ausgerechnet heute einen Termin hier hat!“

„Was?“, entgeistert schaue ich sie einen Moment lang an, ehe mir der Sinn ihrer Worte bewusst wird. „Entschul-dige mal, aber was redest du denn da? Wie kommst du darauf, dass Misi-Chu irgendetwas mit deinem Sauerkraut zu tun hat? Die machen irgendetwas mit Forschung, so-weit ich weiß.

„Misi-Chu ist der Mutterkonzern. Die machen eine ganze Menge, unter anderem Agrarforschung, aber auch Sauerkraut. Und da das gestrige Treffen mit der

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Marketingabteilung nicht so optimal gelaufen ist, dachte ich, ich wende mich einfach an die wirklichen Entschei-der. Und wie es der Zufall so will, sitzt der Vorstand von Misi-Chu gerade jetzt bei deinem Chef!“

„Darf ich fragen, woher du das alles weißt?“ Ich habe gar kein gutes Gefühl bei dieser Sache. „Hast du etwa heimlich meine E-Mails gelesen? Der Chef bringt mich um, wenn das rauskommt!“

Na, das hätte mir gerade noch gefehlt. Meine Schusse-ligkeit kann man ja vielleicht noch übersehen, aber dass ich Firmendaten verschludere, das wird er auf keinen Fall tolerieren.

„Blödsinn“, wischt Jule meine Bedenken beiseite. „Man muss einfach die richtigen Kontakte haben, dann ergibt sich das alles von selbst.“

„Ich hoffe, du hast nicht mit dem dicken Kerl aus der Buchhaltung geschlafen, um an diese Informationen zu kommen?“

„Als hätte ich das nötig, meine Liebe. Der würde mir schon für einen tiefen Blick in seine Glubschaugen aus der Hand fressen. Außerdem ist es nicht verboten, sein erotisches Kapital einzusetzen, wie man so schön sagt. Würde dir auch nicht schaden, Anka.“

Als ob es da irgendetwas gäbe, das ich einsetzen könn-te. „Trotzdem musst du jetzt verschwinden. Ob du es glaubst oder nicht, ich würde meinen Job gerne noch eine Weile behalten! Also los jetzt.“

„Ich hab dir schon immer gesagt, dass du hier total un-ter deinen Möglichkeiten bleibst“, entgegnet sie und wirft mir dabei einen Blick zu, der mich nichts Gutes erahnen lässt.

„Jule, was hast du vor?“Ehe ich richtig begreife, was geschieht, ist sie auch

schon an mir vorbeigefegt und eilt mit großen Schritten auf den Konferenzraum zu.

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„Untersteh‘ dich!“, rufe ich ihr hinterher und setze zum Spurt an. In letzter Sekunde überhole ich Jule und werfe mich mit einem stuntreifen Sprung vor die Tür. „Wenn du hier rein willst, musst du zuerst an mir vorbei!“

„Ich bitte dich, Anka. Erspare uns beiden die Szene und lass mich vorbei. Du weißt, du hast auch in unserem Capoeira-Kurs immer den Kürzeren gezogen.“ Selbstsi-cher grinst sie mich an und bringt mich damit nur noch mehr auf die Palme.

„Kann ich vielleicht etwas dafür, dass ich meine einzel-nen Körperteile nicht so gut koordinieren kann? Das war ein Tanzkurs! Von wegen Selbstverteidigung. Hätte ich das gewusst, wäre ich nie mitge...“, bleiben mir die Worte im Hals stecken, als ich begreife, dass Jule mein verletztes Ego geschickt als Ablenkungsmanöver genutzt hat, um sich an mir vorbeizuschlängeln.

„Jule, nein!“, rufe ich, als ich gemeinsam mit ihr in den Konferenzraum stolpere. Wie ein verirrter Wellensittich schaue ich in die überraschten Gesichter der Konferenz-teilnehmer. Außer einem wenig geistreichen Öhm gebe ich nichts von mir, das zur Erklärung der peinlichen Situa-tion beitragen könnte. Jule dagegen ist schon voll in Fahrt: „Entschuldigen Sie bitte vielmals, dass ich zu spät komme, aber meine Sekretärin hat vergessen, mir den Termin zu bestätigen. Ich hoffe, Sie haben die Kampagne noch nicht anderweitig vergeben? Nein? Na, dann fange ich doch am besten gleich mit meiner Präsentation an. Ich denke, ich kann Sie davon überzeugen, dass wir die richtige Agentur für Sie sind! Und Sie wollen sich doch nicht wirklich auf das Urteil Ihrer in Europa noch völlig unerfahrenen Mar-ketingabteilung verlassen, oder?“

„Frau Müller, was bitte ist hier los und wer ist diese Dame?“, poltert mein Chef und wieder gebe ich ein nur ein sinnfreies Öhm von mir.

„Bitte sehen Sie es Frau Müller nach, dass sie Sie nicht

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über meine kurzfristige Zusage zu diesem Meeting infor-miert hat“, lügt Jule ohne rot zu werden.

„Öhm.“ Mein Gott, fällt mir nicht langsam etwas ande-res ein? „Das ist so nicht ganz richtig, Herr Dr. Michalski. Eigentlich war das eher so ...“

„Das ist wieder so typisch für Sie, Frau Müller. Sie wür-den Ihren Kopf vergessen, wenn er nicht angewachsen wäre“, schnauzt mich mein Chef an. „Genauso wie Sie jedes Mal die Espressobohne neben dem Kaffee verges-sen.“ Wütend funkele ich Jule an, die mir ein entschuldi-gendes Lächeln zuwirft.

„Wie konnten Sie vergessen, mir zu sagen, dass diese bezaubernde Dame auch an unserer Konferenz teilneh-men wird?“, fährt er fort. „Sagen Sie, von welcher Firma waren Sie doch gleich? Gehören Sie zu Misi-Chu, Frau äh ...?“

„Schöntag, Jule Schöntag von Beautyful Day Marke-ting. Ihre Mandanten haben mich gebeten, der Einfach-heit halber unseren geplanten Termin hierher zu verlegen. Als erfolgreicher Mann wissen Sie ja, wie stressig diese ganzen Termine sind, nicht wahr? Aber ich fange einfach rasch mit meiner Präsentation an.“ Zuversichtlich strahlt sie in die Runde.

„Darauf bin ich zwar nicht vorbereitet gewesen, aber wenn es der Wunsch meiner Mandanten ist, stehe ich dem natürlich nicht im Weg. Mr. Chang, Mr. Kang and Mr. Wu, Mrs. Schöntag from Beautyful Day Marketing wants to ...“

„Danke, aber das ist nicht nötig“, wird er von Jule un-terbrochen. In perfektem Mandarin begrüßt sie die Ge-schäftsführung von Misi-Chu.

Naja, zumindest nehme ich das an. Für mich klingt es, als hätte sie eine Bestellung bei meinem Lieblingschinesen vom Goldenen Wok aufgegeben.

Alle Anwesenden schauen Sie überrascht an und der, von dem ich annehme, dass es sich um Mr. Wu handelt,

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strahlt, als hätte ihm ein Glückskeks gerade das beste Jahr seines Lebens prophezeit. Woher hätte mein Chef auch wissen sollen, dass Jule einen großen Teil ihrer Studienzeit in Peking verbracht hat?

„Es scheint noch mehr in Ihnen zu stecken, als man beim ersten Anblick Ihrer bezaubernden Person vermu-tet“, schleimt er und ich muss an mich halten, um nicht zu würgen.

„Frau Müller, was stehen Sie denn immer noch hier he-rum und gucken Löcher in die Luft? Gehen Sie raus und bereiten Sie die Snacks vor. Und nicht wieder die Hälfte davon alleine verputzen.“

Für einen Moment hatte ich doch glatt vergessen, dass ich auch als der persönliche Fußabtreter vom Chef fun-giere. „Natürlich, ganz wie Sie wünschen, Herr Dr. Mich-alski“, grummele ich und werfe Jule einen eisigen Blick zu. Mit einem Seufzen ziehe ich mich zurück und schließe die Tür hinter mir. Wenigstens Jule hatte mal wieder Er-folg mit ihrer Überrumpelungstaktik. Ich möchte wetten, dass sie die Kampagne nach diesem Auftritt sicher hat. Ich dagegen werde mich für den Rest des Tages besser unsichtbar machen.

****

Als ich abends auf dem Nachhauseweg in der U-Bahn

sitze, bin ich so erschöpft wie schon lange nicht mehr. Mein Plan, mich unsichtbar zu machen, ist leider geschei-tert, aber wenigsten Jule bin ich nicht mehr begegnet. Ich koche noch immer, wenn ich daran denke, wie sie mich vor dem Chef bloß gestellt hat.

Wie es nicht anders zu erwarten war, bestellte mich Dr. Michalski nach dem Meeting in sein Büro und putzte mich

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ordentlich herunter: Ich wäre zu dumm zum Milch holen und welch ein Glück es sei, dass er seinen Kaffee schwarz trinke. Und warum ich eigentlich jedes Mal, seine gelieb-ten Espressoböhnchen vergessen würde. Zwar fand er es ausgesprochen bereichernd, die bezaubernde Frau Schön-tag kennenzulernen, aber ich soll es mir ja nicht noch einmal einfallen lassen, Geschäft und Privatleben zu ver-mischen. Nach dieser motivationsstärkenden Ansprache durfte ich dann den ganzen restlichen Tag schuften. Ich habe also ununterbrochen Kaffee gekocht (ohne Milch wohlgemerkt und mit Böhnchen), kiloschwere Aktenber-ge von A nach B getragen und auch sonst alle niederen Aufgaben erledigt, für die normalerweise die Praktikanten zuständig sind. Zum Dank musste ich dann noch Über-stunden machen und auch meine heute begonnene Diät trägt nicht gerade zu meiner Erheiterung bei. Bin ich froh, wenn ich Zuhause bin und die Füße hochlegen kann.

Kurze Zeit später schleppe ich mich die Treppen zu unserer Wohnung herauf und falle müde hinein.

„Schatz, ich bin daheim! Du glaubst nicht, was heute im Büro los war.“

„Hi, Knubbelchen“, bekomme ich missmutig Antwort aus Richtung unseres Wohnzimmers.

Genervt kicke ich meine Schuhe in die Ecke, gehe rü-ber und drücke meinem Andi einen Kuss auf die Wange.

„Du kannst dir nicht vorstellen, was sich Jule heute ge-leistet hat“, beginne ich meine Erzählung und schwelge bereits in Vorfreude darauf, wie mich Andi gleich trös-tend in die Arme nimmt und wir Jule für ihren Egois-mus gemeinsam verfluchen. „Da denke ich heute Morgen an nichts Böses und wer taucht plötzlich bei mir in der Kanzlei auf ? – Jule!“

„Das hält man doch im Kopf nicht aus. Ist denn das zu glauben?“

„Ja, genau das dachte ich auch“, werte ich die Antwort

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meines Mulle-Wulle Bärs als Zustimmung, ehe mir der starre Blick auffällt, den er auf den Monitor gerichtet hat.

„Äh, hörst du mir auch zu?“„Aber sicher doch. Nur dieser verfluchte Java Skript

Code macht mich wahnsinnig. Irgendwo hier muss der Fehler sein! Aber erzähl‘ ruhig weiter.“

„Ach vergiss es doch! Natürlich ist dein blöder Lava Dingsda wichtiger! Entschuldige, dass ich dich gestört habe!“, schnauze ich zurück und knalle wutentbrannt die Tür hinter mir zu, als ich mich ins Schlafzimmer flüchte. Und bei wem soll ich mich ausheulen? Jule scheidet ja definitiv aus. Betrübt werfe ich mich aufs Bett und igno-riere meinen vehement nach Nahrung rufenden Magen. Ich schließe meinen alten, einarmigen Stoffbären Ole in die Arme. Wenigstens einer, der immer für mich da ist.

****

Ich wache auf, als Andi mir zärtlich mit der Hand über

die Wange streicht.„Es tut mir wirklich leid, mein Knubbelchen, dass ich

dir nicht besser zugehört habe. Ich war zu sehr mit mir selbst beschäftigt.“

„Wasch isch losch? Muss eingeschlafen sein.“ Müde reibe ich mir etwas Sand aus den Augen.

„Kannst du mir noch mal verzeihen? Du weißt, ich er-trage es nicht, wenn du böse auf mich bist.“ Treuherzig schaut er mich an und ich weiß gar nicht mehr, warum ich eigentlich sauer war. Er ist schon ein Süßer, mein Mulle-Wulle Bär.

„Schon vergessen. Ich war ja auch gar nicht wegen dir wütend, sondern wegen Jule.“

„Komm doch mit rüber in die Küche, dann machen wir

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uns etwas zu Essen und du erzählst mir noch einmal alles in Ruhe, ja? Dem Java Skript habe ich übrigens gezeigt, wo es lang geht!“, triumphiert er und ich lächele ihm zu.

„Ich bin stolz auf dich. Bald wird man dich in einem Atemzug mit Larry Page und Stephen Hawking nennen“, streichele ich seine Nerd-Ehre. „Aber den Abwasch über-nimmst du. Ich habe heute schon so viele Tassen gespült, dass nicht einmal mehr Palmolive meinen geschundenen Händen helfen könnte“, stöhne ich bei der Erinnerung an meine heutige Sklavenarbeit.

Andi dreht sich um, sinkt vor mir auf die Knie und nimmt meine Hände in seine. „Liebste Anka, Eure Hän-de sind noch genauso zart und glatt wie an jenem Tag, an dem ich Euch zum ersten Mal erblickte und ihr mein Herz gefangen nahmt. Und sollte ich je den Schurken er-wischen, der Euch den heutigen Tag verleidet hat, so for-dere ich alsdann zum Kampfe ihn heraus!“

„Du Spinner!“, erwidere ich prustend. Der Gedanke wie mein nicht gerade mit einer hünenhaften Reckenge-stalt gesegneter Andi und mein adipöser Chef Michalski mit Schwertern aufeinander losgehen, ist aber auch zu komisch.

„Auf zu Speis und Trank, Weib!“Folgsam trotte ich meinem Ritter hinterher in die Kü-

che und lehne mich wenig motiviert an den Kühlschrank. „Eigentlich möchte ich gar nicht unbedingt etwas essen. Ich habe heute eine Diät anfangen, weißt du? Naja, ein Salat wäre vielleicht in Ordnung.“

Verständnislos schaut Andi mich an. „Muss das denn schon wieder sein? Du weißt doch, dass das nichts bringt.“

„Ach, du glaubst wohl, dass ich das eh nicht durchhal-te, ja?“, keife ich. Nicht, dass Andi damit Unrecht hätte. Bisher habe ich alle Diäten nach kurzer Zeit wieder ab-gebrochen, aber ein bisschen mehr Unterstützung kann man von seinem Partner wohl erwarten.

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„Nein, so habe ich das doch gar nicht gemeint. Ich wollte nur sagen, dass du mir auch mit ein paar Kilos mehr gefällst. Also nicht, dass da irgendwo etwas zu viel wäre, du äh ... hast doch schon immer diese Figur gehabt und öhm ... das kommt gerade völlig falsch rüber, oder?“ Bedröppelt steht er da und zieht die Schultern hoch.

„Diese Figur?“, schluchze ich aufgebracht. „Na, das ist ja gut zu wissen, dass ich schon immer fett war. Jetzt verstehe ich auch, warum wir in letzter Zeit nicht mehr miteinander schlafen!“

Oh mein Gott, ich muss unbedingt etwas unterneh-men! Wenn sogar mein Mulle-Wulle Bär mich nicht mehr attraktiv findet, muss ich wirklich ganz schön aus dem Leim gegangen sein.

„Du siehst auch nicht gerade aus wie der Zwillingsbru-der von Jake Gyllenhaal!“, brülle ich, ehe ich zum takti-schen Rückzug aufbreche und mich erneut im Schlafzim-mer verbarrikadiere. „Ich wünsche dir eine schöne Nacht auf der Couch! Da hast du endlich genug Platz, wenn ich fette Kuh nicht neben dir liege.“

„Aber Anka, was ist denn los? Ich habe das doch gar nicht so gemeint!“, erklingt es hinter der geschlossenen Tür, aber da ich auch nach fünf weiteren Entschuldigun-gen keinen Ton von mir gebe und mein Möglichstes tue, um den Störenfried auf der anderen Seite zu ignorieren, gibt er bald auf.

„Versteh‘ einer die Frauen“, murmelt er, bevor er sich zurückzieht.

Missmutig stelle ich mich vor den Spiegel und betrach-te mich von allen Seiten. Ich habe jetzt vielleicht nicht die richtige Figur, um das nächste Topmodel von irgend-wo zu werden, aber wer will das schon? Die möchte man doch alle an einen Stuhl fesseln und mit Buttercremetor-te zwangsernähren. Zugegeben, wenn man nur meinen Bauch betrachtet, könnte man auch eine Schwangerschaft

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vermuten. Aber ich weiß ja, dass als Vater nur der Ritter Sport oder ein gewisser Mr. Pringles in Frage kommen.

Verärgert über meine mangelnde Selbstdisziplin quä-le ich mich selbst noch ein bisschen, indem ich vor dem Spiegel posiere. Vielleicht hat der Anblick ja eine ähnlich abschreckende Wirkung, wie die Bilder von schwarzver-färbten Raucherlungen auf Zigarettenpackungen.

Es hilft nichts, es muss gefastet werden. Und da Jule mir jetzt mehr als einen Gefallen schuldet, kann sie gleich morgen anfangen, mit mir zu trainieren. Als hätte sie mei-ne Gedanken gelesen, läutet das Telefon und ich sehe Ju-les Nummer im Display stehen.

Du kannst jetzt erst einmal ein bisschen schmoren, glaube ja nicht, dass ich dir sofort alles verzeihe. Demons-trativ stelle ich mich vor das Telefon und starre es böse an, als es plötzlich aufhört zu klingeln. Komisch, das sieht ihr gar nicht ähnlich. Normalerweise, vorzugsweise nachts, lässt Jule es immer mindestens zwanzigmal klingeln.

Bestimmt ist Andi rangegangen, um sich bei meiner besten Freundin Rat zu holen. Aber das kann er verges-sen. Soll er sich schön selbst etwas einfallen lassen.

Ich räume meine Schlafzimmertrutzburg und schlei-che vorsichtig in Richtung Wohnzimmer, damit der Feind mich nicht bemerkt.

„Jule, ich sage dir doch, dass ich keine Ahnung habe, was mit ihr los ist. Von einer Sekunde auf die andere ist sie völlig ausgeflippt, hat mich angeschnauzt und sich im Schlafzimmer eingesperrt“, höre ich Andis Stimme. „Ihr Frauen seid doch alle ...“

„Was sind wir alle? Fett?“, fauche ich und nutze seine Überraschung, um ihm das Telefon zu entreißen. „Jule, hörst du mich? Du kannst dir nicht vorstellen, was er zu mir gesagt hat!“ Ich werfe Andi einen vernichtenden Blick zu und mache auf dem Absatz kehrt. „Ich sei von Natur aus fett und würde ohnehin keine Diät durchhalten!“

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„Äh, glaub‘ ihr kein Wort, Jule, das habe ich so nie gesagt!“, unternimmt Andi den Versuch, seine Haut zu retten, ehe ich ihm auch dieses Mal wieder die Schlafzim-mertür vor der Nase zuschlage.

„Dieses Schwein!“, stimmt sie mir zu und schon ist sie wieder meine beste Freundin. „Ich sage es doch immer: Männer sind alle gleich. Und glaub dem bloß kein Wort, du bist nicht dick“. Sie macht eine kurze Pause. „Trotz-dem hole ich dich morgen Abend zum Joggen ab, ja?“

Verdammt, wie bekomme ich da jetzt noch die Kur-ve? Ich habe zwar gesagt, dass ich etwas abspecken will, aber von Joggen war dabei keine Rede. Ich dachte eher an gemütliches Sitz-Yoga und Atemübungen, die den Stoff-wechsel ankurbeln.

„Ach, eigentlich reicht es doch, wenn ich ein bisschen weniger esse. Man muss ja nicht gleich übertreiben und außerdem hört man doch immer wieder, wie schlecht Jog-gen für die Gelenke ist.“

„Anka“, seufzt Jule. „Wie oft hast du das denn schon versucht? An Sport führt einfach kein Weg vorbei, wenn du abnehmen willst.“

„Willst du mir jetzt etwa auch noch sagen, dass ich fett bin?“, schmolle ich und plötzlich fällt mir auch wieder ein, dass ich immer noch allen Grund habe, böse auf meine Freundin zu sein. „Und überhaupt, was gibt ausgerechnet dir das Recht, mich zu kritisieren? Nach dem, was du dir heute geleistet hast?“

„Bist du etwa immer noch sauer auf mich, wegen dieser kleinen Sache vorhin?“

Kleine Sache? Die tickt ja wohl nicht mehr ganz richtig! Ich habe mich schon beim Arbeitsamt in der Schlange stehen sehen, so nah war ich dem Rausschmiss.

„Entschuldige, aber das war alles andere als eine klei-ne Sache! Michalski hatte einen so puterroten Kopf, als er mich runtergeputzt hat, dass ich schon fürchtete, er

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würde einen Herzinfarkt bekommen. Und den Verlust meines Arbeitsplatzes finde ich durchaus beunruhigend!“, antworte ich bissig.

„Ach komm schon. Erstens ist es soweit gar nicht ge-kommen, zweitens habe ich dir schon lange gesagt, du sollst dir einen Job suchen, bei dem man dich nicht be-handelt wie einen Fußabtreter und drittens darf man sei-ner besten Freundin gar nicht so lange böse sein.“

„Hast du den Auftrag wenigstens bekommen oder hat sich dieses ganze Affentheater am Ende nicht einmal gelohnt?“

„Hast du etwa daran gezweifelt? Jedenfalls hatte ich ei-gentlich angerufen, um mich bei dir zu bedanken. Dafür, dass du so toll mitgespielt hast, obwohl ich dich nicht in meinen Plan eingeweiht hatte.“

„Von Mitspielen kann wohl kaum die Rede sein. Ich weiß bis jetzt noch nicht, was da eigentlich passiert ist“, brumme ich. Keine Ahnung, wie sie das immer hinbe-kommt, aber ich kann unmöglich lange böse auf Jule sein. Dafür kenne ich sie zu lange und weiß, dass sie trotz ihrer ganzen Macken das Herz am rechten Fleck hat. Wann im-mer ich eine wirkliche Freundin gebraucht habe, war Jule für mich da und das bedeutet mir eine ganze Menge.

„Ich mache es wieder gut, Anka, versprochen. Was hältst du davon, wenn wir uns morgen Abend mal wie-der unters Volk mischen und ein bisschen feiern? Ich lade dich ein.“

„Schon gut, du musst mich nicht einladen, obwohl ich natürlich nichts dagegen habe,“ antworte ich grinsend. „Aber wolltest du nicht gerade eben noch morgen Abend mit mir durch Wald und Wiese rennen?“

„Joggen können wir auch übermorgen. Viel wichti-ger ist es, dass wir mal wieder auf unsere Freundschaft anstoßen.“

„Da bin ich dabei. Auch wenn ich mich natürlich etwas

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zurückhalten muss, ich habe doch heute meine Diät angefangen.“

„Anka, du weißt doch ganz genau, dass das nicht ... also, ich meine, du hast natürlich meine volle Unterstüt-zung bei deinem Vorhaben. Wenn es sein muss, trinke ich einfach für dich mit, da kenne ich nichts“, verspricht mir Jule.

„Das glaube ich dir aufs Wort, meine Liebe! Wo und wann treffen wir uns morgen?“

„Ich würde sagen, ich sammele dich nach der Arbeit im Büro ein und dann machen wir uns auf den Weg ins schö-ne Sachsenhausen. Benni hat mir erzählt, dass da neulich so eine richtig schön urige Kneipe aufgemacht hat, die noch nicht von den ganzen Touris entdeckt worden ist. Und am Wochenende legt nach elf ein richtig guter DJ auf. Handkäs‘ meets Musik sozusagen.“

„Klingt gut, dann machen wir das so. Aber Jule, du musst mir etwas versprechen.“

„Alles, was du möchtest, beste Freundin“, zwitschert sie.

„Warte morgen ja in deinem Auto und setze bloß kei-nen Fuß mehr in mein Büro!“

„Oh, wenn es weiter nichts ist“, lacht sie. „Das ver-spreche ich dir gerne. Obwohl, wenn ich an deinen Kol-legen denke ... Vielleicht könnte ich doch ganz kurz reinkommen?“

„Jule!“„Nur Spaß, nur Spaß! Keine Angst, deinen Kai kannst

du ganz für dich haben, solange Andi nichts dagegen hat. Apropos Andi, lass‘ den Armen nicht die ganze Nacht auf dem Sofa schlafen. Das hat er nicht verdient, auch wenn er manchmal ein echter Trampel ist. Du kannst wirklich glücklich sein, dass du so jemanden gefunden hast.“

„Du hast ja recht“, gebe ich zu. „Aber ein bisschen

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kann er schon noch schmoren. Ich freu mich auf mor-gen, bis dann!“

„Ja, bis morgen. Ciaoi!“Ich schlüpfe in mein lilafarbenes Baumwollnachthemd,

kuschele mich in das große, leere Bett und schmökere noch eine Weile in einem Islandkrimi. Erst einer weitere Stunde und etliche bestialische Morde später, öffne ich leise die Schlafzimmertür und tapse ins Wohnzimmer. Andi ruht mit dem Kopf auf der Tastatur, seine Brille ist ihm halb von der Nase gerutscht und er schnarcht zufrie-den. Mir wird plötzlich ganz warm ums Herz. Vorsichtig, um ihn nicht zu erschrecken, hauche ich ihm einen Kuss auf die Wange und flüstere: „Komm ins Bett, Schatz. Es ist schon spät.“

„Anka, bist du‘s?“, murmelt er schlaftrunken. „Nicht mehr böse sein, ich liebe dich doch.“

Jule hat recht. Ich habe wirklich keinen Grund, mich zu ärgern. Eigentlich habe ich alles, was man sich wünschen kann, oder?