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LAURELL K. HAMILTON Schattenkuss Nachtschwärmer 1

LAURELL K. HAMIL TON Schattenkuss Nachtschwärmer · ren Welt, »Nachtschwärmer« die erfolgreiche Fortsetzung. Laurell K. Hamilton lebt außerhalb von St. Louis mit ihrem Ehemann,

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Page 1: LAURELL K. HAMIL TON Schattenkuss Nachtschwärmer · ren Welt, »Nachtschwärmer« die erfolgreiche Fortsetzung. Laurell K. Hamilton lebt außerhalb von St. Louis mit ihrem Ehemann,

LAURELL K. HAMILTON

Schattenkuss ⋅ Nachtschwärmer

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Buch

Drei Jahre ist es her, dass Sidhe-Prinzessin Meredith vor ihrer grausa-men Tante Andais, der Königin von Luft und Finsternis, geflohen istund sich als Merry Gentry in Los Angeles niedergelassen hat. Ihreübersinnlichen Fähigkeiten leisten ihr gute Dienste in ihrem Job als

Privatdetektivin.Bei den Ermittlungen zu einem Fall entgeht sie nur knapp einem ge-fährlichen Anschlag, wird jedoch enttarnt, und Doyle, der Hauptleib-wächter und Handlanger der Königin, nimmt sie gefangen. Doch zu ih-rem Erstaunen soll Meredith offensichtlich gar nicht beseitigt werden,im Gegenteil: Die Königin ernennt sie – neben ihrem düsteren SohnCel – zur Kronprinzessin. Allerdings mit einer Bedingung: Nur wenneiner von beiden innerhalb der nächsten drei Jahre für Nachwuchssorgt, wird er den Thron besteigen. Dem Unterlegenen droht das sichere

Todesurteil.Konkurrent Cel verlässt sich in dem Wettlauf mit der Zeit nicht alleinauf seine Männlichkeit: Er versucht auf perfide Weise, Meredith ausdem Rennen zu werfen, und verübt Anschlag um Anschlag. Dann be-tritt auch noch eine untergegangen geglaubte magische Kraft die Büh-ne. Meredith bleibt nichts anderes übrig, als erneut Zuflucht in L. A. zusuchen. Mit dabei: einige der potentesten Leibwächter der Königin, die

nicht nur ihre körperliche Unversehrtheit sichern sollen …

Autorin

Bestsellerautorin Laurell K. Hamilton, Jahrgang 1963, erobert mitihren berühmten Romanen um die Vampirdetektivin Anita Blake regel-mäßig die Bestsellerlisten der USA. »Schattenkuss« ist der erste Romanum die Privatdetektivin Meredith Gentry und ihr Leben in einer ande-ren Welt, »Nachtschwärmer« die erfolgreiche Fortsetzung. Laurell K.Hamilton lebt außerhalb von St. Louis mit ihrem Ehemann, ihrer Toch-

ter, zwei angriffslustigen Möpsen, drei Vögeln und einem Rebhuhn.

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Laurell K. Hamilton

SchattenkussNachtschwärmerZwei Romane in einem Band

Aus dem Amerikanischen vonMarie-Luise Bezzenberger

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Die Originalausgaben erschienen 2000 und 2002 unter den Titeln»A Kiss of Shadows« und »A Caress of Twilight«

bei Ballantine Books, a division of Random House, Inc., New York.

Verlagsgruppe Random House FSC-DEU-0100

Das für dieses Buch verwendete FSC-zertifizierte PapierHolmen Book Cream liefert Holmen Paper, Hallstavik, Schweden.

1. AuflageTaschenbuchausgabe Dezember 2007 bei Blanvalet,

einem Unternehmen der VerlagsgruppeRandom House GmbH, München.

Copyright © der Originalausgaben 2000; 2002 by Ballantine Books,a division of Random House, Inc., New York

Copyright © der deutschsprachigen Ausgaben 2002; 2003 byVerlagsgruppe Random House GmbH, MünchenThis translation published by arrangement with

The Ballantine Publishing Group,a division of Random House, Inc.

Umschlaggestaltung: HildenDesign, MünchenUmschlagillustration: © Ben Heys /Shutterstock

lf ⋅ Herstellung: HNDruck und Einband: GGP Media GmbH, Pößneck

Printed in GermanyISBN: 978-3-442-36816-7

www.blanvalet.de

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SGS-COC-1940

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Für jeden, der die alten Geschichten amLeben erhält, in kleinen Kammern und in gro-ßen Häusern, bei Feuerschein und bei elektri-schem Licht; für jeden, der sich den Glauben be-wahrt hat, und für alle, die einfach nur guteGeschichten lieben.

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Ich befand mich im 23. Stockwerk, und alles, was ich durchdas Fenster sehen konnte, war grauer Smog. Das da draußenwurde zwar die Stadt der Engel genannt, doch wenn es indieser Stadt wirklich Engel gab, waren sie im Blindflug un-terwegs.

Los Angeles ist ein Ort, den die Leute – die mit Flügelnund die ohne – ansteuern, um sich dort zu verstecken. Voranderen Leuten, vor sich selbst. Ich war hergekommen, ummich zu verstecken, und das war mir auch gelungen. Dochals ich jetzt in die dicke, schmutzige Luft hinausstarrte,wollte ich nach Hause. Nach Hause, wo die Luft fast immerblau war und man den Boden nicht bewässern musste, da-mit Gras darauf wuchs. Zuhause, das war Cahokia in Illi-nois, doch ich konnte nicht dorthin zurückkehren, denn siewürden mich umbringen, meine Verwandten und ihre Ver-bündeten. Jedes Mädchen wünscht sich, eine Elfenprinzes-sin zu sein. Ein solches Leben wird gewaltig überschätzt.Glaubt mir.

Es klopfte an der Bürotür. Sie öffnete sich, noch ehe ichetwas sagen konnte. Mein Boss, Jeremy Grey, stand im Tür-rahmen. Er war ein kleiner, grauer Mann von einsfünfzig,zwei Zentimeter kleiner als ich. Sein dunkler Armani-An-zug, das Hemd und die Seidenkrawatte, alles an ihm wargrau. Nur seine Schuhe waren schwarz und spiegelblank.Sogar seine Haut war von einem einförmigen Blassgrau, unddas war keine Folge von Alter oder Krankheit. Er war einTrow im besten Alter, gerade mal etwas über 400 Jahre alt.Um seine Augen und den schmalen Mund herum zeigtensich ein paar Fältchen, die ihn reif aussehen ließen, doch alt

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würde er nie werden. Solange dies nicht durch das Blut einesSterblichen und einen ernst zu nehmenden Zauber verhindertwurde, könnte Jeremy ewig leben. Theoretisch jedenfalls.Wissenschaftler behaupten, dass die Sonne sich in ungefährfünf Milliarden Jahren ausdehnen und die Erde verschlingenwird. Das werden die Fey nicht überleben. Sie werden ster-ben. Zählen fünf Milliarden Jahre als Ewigkeit? Ich glaubenicht. Obwohl es dicht genug dran ist, um den Rest von unsneidisch zu machen.

Ich lehnte mich mit dem Rücken gegen das Fenster undden dichten Smog, der davor hing. Der Tag war ebenso grauwie mein Boss, doch dessen Farbe war ein kühles, frischesGrau, wie Wolken kurz vor einem Frühlingsregen. Was dadraußen vor dem Fenster lag, fühlte sich schwer und zäh an,wie etwas, das man vielleicht zu schlucken versuchen, abernie im Leben hinunterbekommen könnte. Es war einer jenerTage, an denen man ersticken konnte, oder vielleicht lag esauch nur an meiner Stimmung.

»Du siehst bedrückt aus, Merry«, stellte Jeremy fest. »Wasist denn?« Er schloss die Tür und vergewisserte sich, dass sieauch wirklich zu war. Er schützte unsere Privatsphäre, sorgtedafür, dass wir ungestört blieben. Vielleicht mir zuliebe,doch irgendwie glaubte ich das nicht. Es war etwas Verknif-fenes um seine Augen herum, irgendetwas in der Art undWeise, wie er seine schmalen Schultern in dem Maßanzughielt, das mir sagte, dass ich heute nicht die Einzige war, dieschlechte Laune hatte. Vielleicht lag es am Wetter, oder vielmehr an dem Mangel an Wetter. Ein anständiger Regengussoder auch nur ein vernünftiger Wind hätte den Smog weg-gefegt und die Stadt wieder atmen lassen.

»Heimweh«, antwortete ich. »Was ist los, Jeremy?«Er lächelte ein wenig. »Dir kann man nichts vormachen,

nicht wahr, Merry?«»Nein.«»Tolles Kostüm.«Wenn Jeremy mir ein Kompliment über meine Kleidung

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machte, musste ich wirklich toll aussehen. Es selbst sah stetsaus wie aus dem Ei gepellt, sogar in Jeans und T-Shirt, die ernur trug, wenn er unbedingt verdeckt ermitteln musste. Ein-mal hatte ich Jeremy bei der Verfolgung eines Verdächtigenin Gucci-Halbschuhen die Meile in drei Minuten sprinten se-hen. Natürlich war es dabei hilfreich, dass seine Schnellig-keit und Geschicklichkeit die eines Menschen weit übertraf.Wenn ich davon ausging, dass ich in die Verlegenheit kom-men würde, hinter jemandem herrennen zu müssen – wasselten vorkam –, zog ich Joggingschuhe an und ließ dieHochhackigen zu Hause.

Jeremy ließ den Blick eines Mannes in seinen Augen auf-leuchten, dem gefällt, was er sieht. Es war nichts Persön-liches; unter den Fey gilt es als unhöflich, jemanden nicht zubeachten, der sich ganz offensichtlich Mühe gegeben hat zugefallen. Das käme einer Ohrfeige gleich, würde dem ande-ren zeigen, dass seine Bemühungen vergebens gewesen wa-ren. Anscheinend hatte ich mich nicht umsonst bemüht. Alsich beim Aufwachen den Smog erblickt hatte, hatte ich michin leuchtendere Farben gekleidet als sonst, um mich aufzu-heitern: Eine blaue, zweireihige Kostümjacke mit Silberknöp-fen und ein dazu passender blauer Faltenrock, der so kurzwar, dass er nur eine Handbreit unter der Jacke hervor-schaute. Das ganze Kostüm war so kurz, dass die oberenRänder meiner schwarzen halterlosen Strümpfe zu sehenwaren, wenn ich die Beine achtlos übereinander schlug.Lackschuhe mit fünf Zentimeter hohen Absätzen brachtenmeine Beine wunderbar zur Geltung. Wenn man so klein istwie ich, muss man etwas tun, damit die Beine lang wirken.Meistens trug ich acht Zentimeter hohe Absätze.

Mein Haar zeigte sich im Spiegel in einem tiefen Rot.Mehr Rot als Rotbraun, eine Farbe, die eher zu schwarzenGlanzlichtern neigt als zu den braunen, die man bei den meis-ten Rothaarigen findet. Es sah aus, als hätte jemand dunkel-rote Rubine in mein Haar gesponnen. Blutbraun hieß dieseFarbe an den Hohen Königshöfen der Fey. In exklusiven Fri-

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seurgeschäften nannte man sie Elfenrot oder Sidhe-Schar-lach. Es war meine Naturfarbe. Ehe Elfenrot dieses Jahr inMode gekommen war und sie es endlich geschafft hatten,Tönungen im richtigen Farbton herzustellen, hatte ich mirdie Haare färben müssen. Ich hatte mich für Schwarz ent-schieden, weil das bei meinem Teint natürlicher aussah alsdas normale Rot eines Menschen. Viele Menschen, die sichdie Haare tönen lassen, glauben irrtümlich, dass Sidhe-Schar-lach den natürlichen Farben eines Rothaarigen schmeichelt.Das stimmt nicht. Es ist das einzige Rot, das ich kenne, wel-ches zu blasser, wirklich weißer Haut passt. Jene Sorte rotesHaar, die zu Leuten passt, die gut Schwarz, klares Rot undleuchtendes Blau tragen können.

Das Einzige, was ich noch verstecken musste, waren dasfunkelnde Grün-Gold meiner Augen und das Strahlen mei-ner Haut. Für die Augen benutzte ich braun getönte Kon-taktlinsen. Meine Haut – die musste ich mit einem Blend-zauber abdämpfen. Eine leichte Dauerkonzentration, wieMusik, die in meinem Hinterkopf ertönte, damit ich michniemals vergaß und plötzlich zu leuchten begann. Menschenleuchten nicht wirklich, egal, wie brillant und strahlend siesind. Leuchten war nicht erlaubt, deshalb auch die Kontakt-linsen, die meine Augen verbargen. Außerdem wob ich einenZauber um mich herum, eine Illusion, die mich einhüllte wieein seit langem vertrauter Mantel, dass ich nichts weiter seials ein Mensch mit ein wenig minderem Feyblut, jemand,der ein paar hellseherische und mystische Fähigkeiten hatteund deshalb eine ausgezeichnete Detektivin abgab, ansons-ten jedoch nichts Besonderes.

Jeremy wusste nicht, was ich war. Niemand in der Detek-tei wusste es. Ich war eins der schwächsten Mitglieder desHofes, doch ein Sidhe zu sein, bedeutet auch am schwäche-ren Ende der Skala noch eine ganze Menge. Es bedeutete,dass es mir gelungen war, mein wahres Selbst, meine wah-ren Kräfte vor einer Hand voll der besten Magier der gan-zen Stadt zu verbergen. Vielleicht sogar des ganzen Landes.

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Keine Kleinigkeit, doch die Sorte Blendzauber, die ich ambesten beherrschte, würde kein Messer davon abhalten,meinen Rücken zu durchbohren, keinen Zauberbann daranhindern, mein Herz zu zermalmen. Dafür brauchte ich Fä-higkeiten, die ich nicht besaß, was einer der Gründe war,warum ich untergetaucht war. Ich konnte nicht gegen dieSidhe kämpfen, nicht, wenn ich am Leben bleiben wollte.Das Beste, was ich tun konnte, war, mich zu verstecken. Ichvertraute Jeremy und den anderen, sie waren meine Freunde.Was mir Sorgen machte, war, was die Sidhe ihnen antunkönnten, wenn man mich entdeckte und meine Verwandtenherausfänden, dass meine Freunde über mich Bescheid ge-wusst hatten. Wenn sie wirklich keine Ahnung hatten, wür-den die Sidhe sie in Ruhe lassen und nur mir wehtun. Ah-nungslosigkeit war in diesem Fall ein Segen. Obgleich ichglaubte, dass einige meiner besten Freunde es als eine ArtVerrat betrachten würden. Doch wenn ich mir aussuchenkonnte, sie lieber lebendig, mit intakten Gliedmaßen und an-deren Körperteilen, dafür aber wütend auf mich zu sehen,oder zu Tode gefoltert und nicht wütend auf mich, dann warmir wütend doch lieber. Mit ihrem Zorn könnte ich leben.Ich war mir nicht sicher, ob ich mit ihrem Tod würde lebenkönnen.

Ich weiß, ich weiß. Warum ging ich nicht einfach zumAmt für Beziehungen zwischen Menschen und Fey und be-antragte Asyl? Meine Verwandten würden mich wahrschein-lich töten, wenn sie mich fanden, wenn ich mich jedoch of-fenbarte und in den Medien öffentlich unsere schmutzigeWäsche wusch, würden sie mich mit absoluter Sicherheitumbringen. Allerdings langsamer. Also – keine Polizei, keineFlucht in die Botschaft, nur das ultimative Versteckspiel.

Ich lächelte Jeremy an und gab ihm, was er sich wünschte:jenen Blick, der ihn wissen ließ, dass ich seinen sehnigenKörper unter dem perfekt geschnittenen Anzug durchaus zuwürdigen wusste. Für einen Menschen hätte es so ausgese-hen, als flirteten wir miteinander, für die Fey dagegen – für

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jeden Fey – kam es einem Flirt nicht einmal nahe. »Danke,Jeremy, aber du bist doch nicht hier, um mir Komplimentewegen meiner Garderobe zu machen.«

Er trat weiter ins Zimmer hinein und fuhr mit seinen sorg-fältig manikürten Fingern über die Kante meines Schreib-tischs. »Ich habe zwei Frauen in meinem Büro sitzen«, sagteer. »Sie möchten, dass wir ihren Fall übernehmen.«

»Möchten?«, fragte ich.Er drehte sich um, lehnte sich an den Schreibtisch und ver-

schränkte die Arme vor der Brust. Absichtlich oder unbe-wusst imitierte er dabei meine eigene Körperhaltung, obwohlich nicht wusste, warum. »Eigentlich machen wir keineScheidungssachen.«

Ich riss die Augen weit auf und stieß mich vom Fenster ab.»Regel Nummer eins, Jeremy: Die Grey-Detektei über-nimmt niemals, niemals Scheidungsfälle.«

»Ich weiß, ich weiß«, erwiderte er. Er löste sich vomSchreibtisch, trat neben mich und starrte in den Nebel hi-naus. Er sah auch nicht glücklicher aus, als ich mich fühlte.

»Wieso brichst du deine eigenen Regeln, Jeremy?«Ohne mich anzusehen schüttelte er den Kopf. »Komm

und schau sie dir an, Merry. Ich vertraue deinem Urteil.Wenn du sagst, wir sollen uns da raushalten, dann werdenwir das tun. Aber ich glaube, es wird dir genauso gehen wiemir.«

Ich berührte seine Schulter. »Und wie geht’s dir, Boss? Ab-gesehen davon, dass du dir Sorgen machst?« Ich ließ meineHand an seinem Arm hinabgleiten, was ihn dazu brachte,mich anzublicken.

Seine Augen waren vor Zorn dunkel wie Graphit. »Kommund sieh sie dir an, Merry. Wenn du danach genauso wütendbist wie ich, machen wir dieses Schwein fertig.«

Ich packte seinen Arm. »Jeremy, reg dich ab. Es ist dochnur eine Scheidungssache.«

»Und wenn ich dir sage, dass es hier um einen Mordver-such geht?« Seine Stimme war ruhig und sachlich, sie passte

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nicht zu der Intensität seins Blicks, zu der vibrierenden Span-nung in seinem Arm.

Ich trat einen Schritt zurück. »Mordversuch? Wovon re-dest du eigentlich?«

»Von dem übelsten Todesbann, der je in mein Büro mar-schiert ist.«

»Der Ehemann versucht, sie umzubringen?« Ich machteeine Frage daraus.

»Irgendjemand versucht es jedenfalls, und die Frau sagt,es ist ihr Mann. Die Geliebte ist derselben Meinung.«

Ich blinzelte. »Willst du damit sagen, die Ehefrau und dieGeliebte sitzen beide in deinem Büro?«

Er nickte und musste aller Empörung zum Trotz lächeln.Ich erwiderte das Lächeln. »Na, das ist ja ganz was

Neues.«Er nahm meine Hand. »Es wäre vielleicht sogar dann was

Neues, wenn wir öfter Scheidungssachen machen würden.«Sein Daumen glitt hin und her über meine Knöchel. Er warnervös, sonst hätte er mich nicht so häufig berührt. Ein Ver-such, sich Sicherheit zu verschaffen, wie an einen Hand-schmeichler. Er hob meine Hand an die Lippen und drückteeinen raschen Kuss auf die Knöchel. Ich glaube, er bemerkte,was er da tat, merkte, dass seine Nerven blank lagen. Miteinem strahlend weißen Lächeln – die besten Jacketkronen,die für Geld zu bekommen waren – wandte er sich zur Tür.

»Beantworte mir zuerst eine Frage, Jeremy.«Er zog seinen Anzug zurecht, ordnete seine Garderobe mit

winzigen Bewegungen, als ob es notwendig gewesen wäre.»Nur zu.«

»Warum hast du Angst vor dieser Geschichte?«Das Lächeln verblasste, bis sein Gesicht ganz ernst war.

»Ich habe ein ungutes Gefühl dabei, Merry. Weissagungengehören nicht zu meinen Stärken, aber an dieser Sache istwas faul.«

»Dann nimm sie nicht an. Wir sind nicht die Polizei. Wirmachen das für einen hübschen fetten Scheck, nicht weil

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wir geschworen haben, dem Gesetz Geltung zu verschaffen,Jeremy.«

»Wenn du wirklich noch genauso denkst, nachdem du diebeiden kennen gelernt hast, dann lehnen wir den Auftragab.«

»Wieso ist meine Entscheidung plötzlich ein präsidialesVeto? An der Tür steht Grey, nicht Gentry.«

»Weil Teresa so mitfühlend ist, dass sie niemanden ableh-nen würde. Roane ist viel zu weichherzig, um zu einer inTränen aufgelösten Frau Nein zu sagen.« Er rückte seinetaubengraue Krawatte gerade, seine Finger glitten über dieKrawattennadel mit dem Diamanten. »Die anderen sindgut, wenn es um die Basisarbeit geht, aber sie sind keineEntscheidungsträger. Bleibst also nur du.«

Ich hielt seinem Blick stand, versuchte, hinter den Zornund die Besorgnis zu sehen, zu erkennen, was wirklich in sei-nem Kopf vorging. »Du bist weder extrem mitfühlend nochweichherzig und kannst sehr gut alleine Entscheidungentreffen. Warum nicht diese?«

»Weil die beiden niemand anderen haben, an den sie sichwenden können, wenn wir sie ablehnen. Wenn sie dieses Ge-bäude verlassen, ohne dass wir ihnen helfen, sind sie tot.«

Ich starrte ihn an und begriff endlich. »Du weißt, dass wirdie Finger davon lassen sollten, aber du bringst es nicht überdich, ein Urteil über sie zu fällen. Du bringst es nicht übersHerz, sie zum Tode zu verurteilen.«

Er nickte. »Ja.«»Warum glaubst du, dass ich es kann, wenn du es nicht

schaffst?«»Ich hoffe, dass einer von uns klar genug im Kopf ist, um

nicht so blöd zu sein.«»Ich werde nicht zulassen, dass ihr alle wegen ein paar

Leuten getötet werdet, die wir gar nicht kennen, Jeremy, alsostell dich darauf ein, diese Sache abzuschmettern.« Selbst inmeinen eigenen Ohren klang meine Stimme hart und kalt.

Er lächelte erneut. »Mein kleines, kaltherziges Luder.«

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Ich schüttelte den Kopf und schritt auf die Tür zu. »Dasist einer der Gründe, warum du mich liebst, Jeremy. Dukannst darauf zählen, dass ich keine kalten Füße kriege.«

Ich trat in den Flur hinaus, der unsere Büros voneinandertrennte, überzeugt, dass ich diese beiden Frauen fortschi-cken würde. Dass ich der Wall sein würde, der uns alle vorJeremys guten Absichten schützen würde. Die Göttin weiß,ich habe mich schon früher geirrt. Aber selten so sehr, wieich mich dieses Mal irren sollte.

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Aus irgendeinem Grunde hatte ich geglaubt, mit einem Blickerkennen zu können, welche der beiden Frauen die Geliebteund welche die Ehefrau war. Doch auf den ersten Blick wa-ren die beiden lediglich zwei attraktive, leger gekleideteFrauen, wie zwei Freundinnen, die zusammen zum Einkau-fen und zum Lunch unterwegs waren. Eine der Frauen warklein, obwohl sie Jeremy und mich um ein paar Zentimeterüberragte. Ihr blondes Haar war knapp schulterlang, mitlockeren, natürlichen Wellen, denen man ansah, dass sieheute Morgen nichts Besonderes damit angestellt hatte. Siewar auf eine ›Mädchen von nebenan‹-Art hübsch, mit außer-gewöhnlichen blauen Augen, die den größten Teil ihres Ge-sichts einzunehmen schienen. Ihre Augenbrauen wölbtensich dicht und schwarz darüber und bildeten einen interes-santen Kontrast zu den dicken schwarzen Wimpern, diediese Augen auf höchst dramatische Weise umrahmten – ob-gleich ich mich angesichts der dunklen Brauen insgeheimfragte, ob das Blond ihres Haares wohl echt war. Sie war un-geschminkt und schaffte es trotzdem, auf ätherische, natür-liche Weise hübsch auszusehen. Mit etwas Make-up und einbisschen Aufwand wäre sie umwerfend gewesen. Doch beigenauerer Betrachtung wäre dazu mehr nötig gewesen alsRouge, Wimperntusche und besser sitzende Kleider.

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Mit hochgezogenen Schultern kauerte sie im Besucherses-sel, als erwarte sie jeden Moment einen niederschmettern-den Schlag. Ihre wunderschönen Augen blinzelten mich anwie die eines Rehs, das gebannt im Scheinwerferlicht steht;als wäre sie machtlos, das aufzuhalten, was hier geschah, alssei das, was hier geschah, etwas Fürchterliches.

Die andere Frau war groß, einsfünfundsiebzig oder mehr,schlank, mit langem, hellbraunem Haar, das glatt und glän-zend bis zur Taille herabfiel. Auf den ersten Blick schien sieungefähr Anfang 20 zu sein. Dann begegnete mein Blickdem ihren, und in den braunen Tiefen ihrer Augen lag eineIntensität, die mich im Geiste zehn Jahre hinzufügen ließ.Diesen Ausdruck findet man nicht oft bei Leuten unter 30.Ihr Gesichtsausdruck war selbstbewusster als der der Blon-den, doch ihre Augen hatten etwas Unsicheres, ihre Schul-tern waren verspannt, als schmerze irgendetwas tief in ihremInneren. Außerdem war sie eigentümlich zart gebaut, alsseien das, was sich da unter ihrer Haut abzeichnete, keinegewöhnlichen Knochen, sondern etwas Erleseneres. Es gibtnur eine Erklärung dafür, dass ein hoch gewachsener Menschvon eindrucksvollem Äußeren diese Zartheit des Knochen-baus aufweist: Sie hatte Sidhe-Vorfahren. Oh, es war schonein paar Generationen her, nichts derart Intimes wie meineVerbindungen zum Königshof. Doch irgendwann einmalhatte sich eine ihrer Ur-ur-und-so-weiter-Großmütter mit et-was eingelassen, was nicht menschlich gewesen war, undwar bei dieser Gelegenheit schwanger geworden. Jede Artvon Feyblut hinterlässt Spuren in einer Familie, Sidheblut je-doch bleibt anscheinend für immer in den Genen haften, alssei es unmöglich, es wieder aus einem Stammbaum heraus-zuzüchten, wenn es einmal drin ist.

Ich hätte gewettet, dass die Blonde die Ehefrau und dieBrünette die Geliebte war. Die Blonde schien gründlicher be-siegt zu sein als die andere, was bei gewalttätigen Ehemän-nern meistens der Fall ist. Solche Typen behandeln vielleichtalle Frauen in ihrem Leben wie den letzten Dreck, das

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Schlimmste jedoch heben sie sich meist für ihre Familie auf.Mein Großvater hatte es auch immer so gemacht.

Lächelnd betrat ich das Zimmer und streckte die Handzum Gruß aus, als wären sie Klienten wie alle anderen. Je-remy stellte uns einander vor. Die kleine Blonde war die Ehe-frau, Frances Norton; die große Dunkle war die Geliebte,Naomi Phelps.

Naomis Händedruck war fest, ihre Hand fühlte sich kühlan und ich spürte, wie sich jene außergewöhnlichen Kno-chen unter der Haut bewegten. Ich hielt ihre Hand einen Au-genblick zu lange fest und genoss ihre Berührung. Seit dreiJahren war ich niemandem mehr begegnet, der auch nur an-nähernd so sehr Sidhe gewesen war. Auch die Berührungeines anderen Fey ist einfach nicht dasselbe. Irgendetwas ander königlichen Blutlinie ist wie eine Droge. Wenn man daseinmal erlebt hat, vermisst man es.

Sie sah mich verwirrt an; und es war eine sehr menschli-che Verwirrung. Ich ließ ihre Hand los und versuchte, so zutun, als sei ich ein Mensch. An manchen Tagen konnte ichdas besser als heute. An anderen gelang es mir noch schlech-ter. Ich hätte versuchen können, sie mit meinen seherischenFähigkeiten zu überprüfen, um herauszufinden, ob sie außerihrem Knochenbau noch mehr zu bieten hatte, doch es warunhöflich, die magischen Gaben eines anderen gleich bei derersten Begegnung erkennen zu wollen. Unter den Sidhe giltdas als offene Herausforderung, als Kränkung: Man bringtdamit zum Ausdruck, dass man es dem anderen nicht zu-traut, sich gegen den simpelsten, beiläufigsten Zauber seinesGegenübers abzuschirmen. Naomi hätte es wahrscheinlichnicht als Beleidigung aufgefasst, doch ihre Unwissenheit warkein Grund für mich, unhöflich zu sein.

Frances Norton streckte mir die Hand hin, als fürchte siesich vor jeder Berührung: den Arm leicht abgewinkelt, sodass sie die Hand sofort zurückziehen konnte, sobald ich siewieder losließe. Ich hätte sie genauso höflich behandelt wiedie andere Frau, doch als meine Finger dicht über ihrer Haut

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schwebten, spürte ich den Bann. Jenes kleine Energiefeld,das jeden von uns umgibt, ihre Aura, stemmte sich gegenmeine Haut, als wollte es mich daran hindern, sie zu berüh-ren. Irgendjemandes Magie hatte ihren Körper so sehr durch-drungen, dass sie ihre Aura gefüllt hatte wie schmutzigesWasser ein sauberes Glas. In gewisser Weise war diese Fraunicht mehr sie selbst. Sie war nicht besessen, doch das hierwar nicht weit davon entfernt. Auf jeden Fall war hier gegeneine ganze Reihe menschlicher Gesetze verstoßen worden,die alle in den Bereich des Strafrechts gehörten.

Ich drängte meine Hand mit Gewalt durch diese aufge-wühlte Energie und ergriff die ihre. Der Bann versuchte,meine Haut zu durchdringen und meinen Arm hinaufzuwan-dern. Mit bloßem Auge war nichts zu erkennen, doch ge-nauso, wie man manche Dinge im Traum sehen kann, nahmich eine schwache Dunkelheit wahr, die sich anschickte, mei-nen Arm hinaufzukriechen. Direkt unterhalb des Ellenbo-gens gebot ich ihr Einhalt und musste mich sehr darauf kon-zentrieren, sie wieder abzustreifen wie einen Handschuh. DerBann hatte meine Schutzschilde durchbrochen, als wären siegar nicht da gewesen. Es gibt nicht viele Dinge, die das kön-nen. Und keins davon ist menschlichen Ursprungs.

Sie starrte mich mit weit aufgerissenen Augen an. »Was…was tun Sie denn da?«

»Ich tue gar nichts, Mrs. Norton.« Meine Stimme klangein wenig abwesend, weil ich meine gesamte Aufmerksam-keit darauf gerichtet hatte, den Bann von mir zu lösen.Nichts davon sollte an mir haften bleiben, wenn ich sie wie-der losließ.

Sie versuchte ihre Hand wegzuziehen, aber ich ließ esnicht zu. Sie begann, sich schwach und verzweifelt gegenmeinen Griff zu wehren.

»Lassen Sie Frances sofort los!«, herrschte mich die an-dere Frau an.

Ich war fast frei, beinahe soweit, dass ich loslassenkonnte, als die andere Frau mich an der Schulter packte.

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Meine Nackenhaare stellten sich auf und ich konnte michnicht mehr auf meine Hand konzentrieren, denn jetzt spürteich Naomi Phelps. Der Bann strömte über meine Hand undhatte schon fast meine Schulter erreicht, als es mir endlichgelang, ihn aufzuhalten. Doch das war alles, was ich tunkonnte. Ich konnte ihn nicht zurückdrängen, weil meineAufmerksamkeit nun zu sehr von der anderen Frau in An-spruch genommen wurde.

Man fasst jemanden, der gerade einen Zauber wirkt oderübernatürliche Dinge tut, niemals an, wenn man nicht will,dass etwas passiert. Dass sie es doch getan hatte, zeigte mirdeutlicher als alles andere, dass keine dieser beiden FrauenErfahrung mit Magie oder übernatürlichen Kräften hatte.Niemand, der je auch nur die geringste Anleitung in solchenDingen erfahren hatte, hätte das getan. Ich spürte die Rück-stände irgendeines Rituals an Naomis Körper. Etwas Selbst-süchtiges. Ungebeten schoss mir das Wort ›Völlerei‹ durchden Kopf. Irgendetwas hatte sich an ihrer Energie gütlich ge-tan und dabei Narben zurückgelassen.

Sie zuckte zurück und presste die Hand gegen ihre Brust.Sie hatte meine Energie gespürt, also hatte sie magisches Ta-lent. Das war keine große Überraschung. Was überraschte,war, dass sie derart ungeübt war, vielleicht sogar völlig un-geschult. Heutzutage werden die Kinder schon im Kinder-garten auf magische und übernatürliche Fähigkeiten und Be-gabungen getestet, in den Sechzigerjahren war das jedochnoch etwas völlig Neues gewesen. Naomi war nicht entdecktworden; jetzt war sie über 30 und hatte sich ihre Fähigkei-ten noch immer nicht eingestanden. Die meisten unausgebil-deten Magier und Seher sind mit 30 entweder verrückt, kri-minell oder haben sich bereits umgebracht. Sie musste sehrstark sein, um sich so gut gehalten zu haben, wie es den An-schein hatte. Doch diese sehr starke Frau sah mich mit Trä-nen in den Augen an. »Wir sind nicht hier, um uns mies be-handeln zu lassen.«

Jeremy trat zu uns, wobei er sorgfältig darauf achtete,

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keine von uns zu berühren. Er wusste Bescheid. »Niemandbehandelt Sie schlecht, Miss Phelps. Der Bann, mit dem Mrs.Norton belegt ist, hat versucht, auf meine Kollegin… über-zuspringen. Sie hat sich lediglich bemüht, ihn abzuschütteln,als Sie sie angefasst haben. Sie sollten niemals jemanden be-rühren, der gerade mit Magie umgeht, Miss Phelps. Daskann unabsehbare Folgen haben.«

Die Frau schaute erst ihn und dann mich an. In ihremGesicht war deutlich zu lesen, dass sie uns nicht glaubte.»Komm, Frances. Hauen wir ab.«

»Ich kann nicht«, antwortete Frances mit leiser, gebroche-ner Stimme. Sie starrte mich an. In ihren Augen lag Furchtund diese Furcht galt mir.

Sie fühlte die Energie, die sich um unsere Hände geschlun-gen hatte und uns aneinander fesselte, aber sie dachte, ich seiihre Quelle. »Ich schwöre Ihnen, Mrs. Norton, das hier istnicht mein Werk. Was für eine Art Magie auch immer gegenSie eingesetzt worden ist, der Bann findet offensichtlich Ge-fallen an mir. Ich muss ihn abstreifen und auf Sie zurückflie-ßen lassen.«

»Ich will das loswerden«, sagte sie mit hoher Stimme, inder erste Anzeichen von Hysterie mitschwangen.

»Wenn ich den Bann nicht abstreifen kann, wird mir der-jenige, der Ihnen das angetan hat, nachspüren können. Erwird mich finden und erfahren, dass ich in einer Detektei ar-beite, die auf übernatürliche Probleme und magische Lösun-gen spezialisiert ist.« Das war unser Slogan. »Ich glaubenicht, dass Sie das wollen, Mrs. Norton.«

Ein leises Zittern machte sich in ihrer Hand bemerkbarund breitete sich über ihre Arme auf, bis sie schlotternd da-stand, als wäre ihr kalt. Vielleicht fror sie wirklich, doch dieswar eine Art Kälte, gegen die kein dicker Pullover helfenkonnte. Keine noch so große äußere Wärme konnte diese in-nere Kälte vertreiben. Man würde sie von innen wärmenmüssen, aus dem beschädigten Kern ihrer Seele heraus bis indie Fingerspitzen hinein. Irgendjemand musste Macht in sie

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UNVERKÄUFLICHE LESEPROBE

Laurell K. Hamilton

Schattenkuss / NachtschwärmerZwei Romane in einem Band

Taschenbuch, Broschur, 1024 Seiten, 12,5 x 18,3 cmISBN: 978-3-442-36816-7

Blanvalet

Erscheinungstermin: November 2007

Die gefährliche, magische, knisternd erotische Welt der Merry Gentry … Ihre übersinnlichen Kräfte sind Merry Gentry als Privatdetektivin in L.A. überaus hilfreich. Alssie jedoch enttarnt wird und ihre Tante, die Königin von Luft und Finsternis, sie an ihren Hofzurückholt, beginnt ein teuflisch sinnlicher Tanz um Liebe, Leidenschaft und Tod. Vor den mörderischen Intrigen ihrer Tante, der Königin von Luft und Finsternis, nach LosAngeles geflohen, deckt die Privatdetektivin Meredith Gentry einen skandalösen Fall in derDrogenszene auf. Dabei entgeht sie zwar mit knapper Not einem gefährlichen Anschlag aufihr Leben, doch ihre Tarnung ist dahin: Sie wird als die seit Jahren vermisste Sidhe-Prinzessinerkannt. Sidhe, das sind Wesen aus einer jenseitigen Welt, die Seite an Seite mit den Menschenleben. Die Handlanger ihrer mächtigen Tante lassen nicht lange auf sich warten. Doch zuihrem Erstaunen stellt Meredith fest, dass sie offensichtlich nicht beseitigt werden soll. Vorallem einer der Leibwächter ihrer Tante schenkt ihr eine intensive und eigentlich strengstensverbotene Liebesnacht. Am Hof der Königin erwartet Meredith dann eine zweite Überraschung.Die Königin ernennt sie - neben ihrem düsteren Sohn Cel - zur Kronprinzessin. Allerdings miteiner Bedingung: Nur wenn einer von beiden innerhalb der nächsten drei Jahre für Nachwuchssorgt, wird er oder sie den Thron besteigen. Dafür stehen Meredith nun die tapfersten Männerdes Universums zur Verfügung. Doch gegen Cels Anschläge und zerstörende, magische Ritualekann ihr nur einer helfen ...