26

Kairos Edition 2013 - Birgit Zotz · 2016. 10. 11. · kannten Lama Ngawang Kalzang (ngag-dbang skal-bzang; 1866-1936) begegne-te, fand er vom Theravāda zum Vajrayāna. 1932 und

  • Upload
    others

  • View
    1

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Kairos Edition 2013 - Birgit Zotz · 2016. 10. 11. · kannten Lama Ngawang Kalzang (ngag-dbang skal-bzang; 1866-1936) begegne-te, fand er vom Theravāda zum Vajrayāna. 1932 und

1

Page 2: Kairos Edition 2013 - Birgit Zotz · 2016. 10. 11. · kannten Lama Ngawang Kalzang (ngag-dbang skal-bzang; 1866-1936) begegne-te, fand er vom Theravāda zum Vajrayāna. 1932 und

3

FestschriFt Für Armin GottmAnn zum 70. GeburtstAG

Volker Zotz (Hg.)

SchnittstellenBuddhistische Begegnungen mit

Schamanismus und westlicher Kultur

Page 3: Kairos Edition 2013 - Birgit Zotz · 2016. 10. 11. · kannten Lama Ngawang Kalzang (ngag-dbang skal-bzang; 1866-1936) begegne-te, fand er vom Theravāda zum Vajrayāna. 1932 und

4

Kairos Edition 2013© 2013 Kairos a.s.b.l. – Luxembourg

www.kairos.lu | [email protected]

Herstellung: BoD - Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN 978-2-919771-04-2

Page 4: Kairos Edition 2013 - Birgit Zotz · 2016. 10. 11. · kannten Lama Ngawang Kalzang (ngag-dbang skal-bzang; 1866-1936) begegne-te, fand er vom Theravāda zum Vajrayāna. 1932 und

5

Inhalt

einFührunG des herAusGebers 7

I. Zum 70. GeburtstaG armIn Gottmanns

bIrGIt ZotZ

„Du stehst unter Dem Zeichen Śivas.” Zur Biografie armin gottmanns 17

renate huf

Armin GottmAnn - eine kommentierte AuswAhlbiblioGrAFie 35

II. buddhIsmus und schamanIsmus

robert Janssen schAmAnismus, YoGA und buddhismus 47

VeronIca futterknecht „alle Devas sinD Da unD lauschen ...” - geisterglauBe, alchemie unD heilung im Kontext von BuDDhismus und trAditioneller medizin in burmA 63

bIrGIt ZotZ „zwielicht Frühester menschheitserFAhrunG“ - lama anagariKa govinDa unD Die oraKel tiBets 83

III. buddhIsmus und WestlIche kultur

YukIo kotanI

Bashō, goethe unD Das symBolische DenKen 105

heInZ PusItZ Wenn ich einmal, WanDerer, nach... ÜBer Das falsche im richtigen 121

karl neumann

vexations anD variations. BuDDhismus Bei JacK Kerouac 131

Volker ZotZ „bleibt PhilosoPhen, solAnGe ihr es wollt!“Die anfänge Des Ārya maitreya manDala in europa 153

autorenverZeichnis 179

Page 5: Kairos Edition 2013 - Birgit Zotz · 2016. 10. 11. · kannten Lama Ngawang Kalzang (ngag-dbang skal-bzang; 1866-1936) begegne-te, fand er vom Theravāda zum Vajrayāna. 1932 und

83

BIrGIt ZotZ

„Zwielicht frühester menschheitserfahrung“ - lama anaGarIka GoVInda und dIe orakel tIbets

Das tibetische Klosterwesen der Gelugpa kennt einen ausgeprägten orakel-kult, bei dem ein Priester in willentlich herbeigeführte trance fällt. Er stellt seinen Körper einer Gottheit (lha) zur Verfügung, die durch ihn spricht und agiert. In diesem Zustand der Besessenheit werden physische Beschränkun-gen überschritten. Der orakelpriester trägt schwere Kronen und verknotet Schwerter (siehe Abb. 1).

Darüber hinaus gibt es Berichte über Verletzungen wie abgeschnittene Zun-gen, die nach dem ritual wieder verheilten. Nebesky-Wojkowitz schrieb 1955, dass tibeter ihm erzählten, wie sich ein orakelpriester „in seiner raserei selbst den Bauch aufschlitzte und mit den herausgerissenen Eingeweiden die Götterbilder schmückte.“1 Geschichten wie diese weckten bei lokalen Beob-achtern wie bei tibetreisenden einige Faszination.

Ein wichtiges orakel im tibet vor 1959 war das Staatsorakel im Kloster Ne-chung. Es war am Auffinden der Dalai Lamas beteiligt und wurde in vie-len politischen Angelegenheiten befragt. Neben solchen institutionalisierten Klosterorakeln fungieren in Dörfern Personen (lha pa) als Sprachrohre meist hierarchisch niedriger lokaler Gottheiten, um zu heilen und zu weissagen. Dachte mancher Forscher vor Jahrzehnten, er würde die „letzten tibetischen orakelpriester“2 untersuchen, zeigte sich inzwischen, wie die Institution trotz kommunistischer regierung in tibet und den Problemen der Exilsituation Be-stand hat. 1 Nebesky-Wojkowitz 1955, 2312 Vgl. Schüttler 1971

Page 6: Kairos Edition 2013 - Birgit Zotz · 2016. 10. 11. · kannten Lama Ngawang Kalzang (ngag-dbang skal-bzang; 1866-1936) begegne-te, fand er vom Theravāda zum Vajrayāna. 1932 und

84

Dieser Beitrag widmet sich der Wahrnehmung des orakelwesens durch ei-nen europäischen Buddhisten und Künstler. Lama Anagarika Govinda (1898-1985), der ursprünglich Ernst Lothar Hoffmann hieß, war ab 1932 bis Ende der vierziger Jahre wiederholt als Pilger, Maler und Forscher in Ladakh und tibet. Dort wurde er Zeuge des klösterlichen orakels und spontaner Beses-senheit. Nachfolgend wird mit einem Fokus auf das Klosterorakel gefragt, wie Govinda diese Phänomene interpretierte. Weiter wird seine Perspektive mit jenen anderer europäischer Beobachter seiner Epoche verglichen.

„Macht des Geistes über die Materie“

Govinda, der sich bereits als Jugendlicher für den Buddhismus interessier-te, übersiedelte 1928 nach Britisch-Indien. Er wurde zum Anagarika, einem „hauslosen“ Asketen. Als er 1931 dem als tomo Geshe (gro-mo dge-bshes) be-kannten Lama Ngawang Kalzang (ngag-dbang skal-bzang; 1866-1936) begegne-te, fand er vom Theravāda zum Vajrayāna. 1932 und 1933 reiste Govinda nach Südtibet und Ladakh. 1947 heiratete er die indische Malerin und Fotografin Li Gotami3 (1906-1988), mit der er zwei Expeditionen nach Süd- und Westtibet unternahm.

3 Vgl. Li Gotami Govinda 1979a und 1979b;

Abb. 1: Verknotetes Schwert; Museum Stok, Ladakh 2012 (© Birgit Zotz)

Page 7: Kairos Edition 2013 - Birgit Zotz · 2016. 10. 11. · kannten Lama Ngawang Kalzang (ngag-dbang skal-bzang; 1866-1936) begegne-te, fand er vom Theravāda zum Vajrayāna. 1932 und

85

Um Govindas Wahrnehmung und Deutung der Orakel einzuordnen, folgt zunächst ein Blick auf seine Einstellung zu paranormalen Erscheinungen vor den reisen in den tibetischen Kulturraum.

In der Jugend vertrat Hoffmann einen rationalistischen Buddhismus im Kont-rast zum Christentum.4 Wie „kann ein Glaube befriedigen, der nicht mit unse-rem Verstand zu vereinbaren ist oder ihm gar widerspricht?“5 Diese Haltung änderte sich, als er ab 1920 intensiv meditierte. Er erkannte, wie der Bud-dhismus über vernünftiges Denken hinaus Dimensionen inneren Erfahrens umfasst, wenn „die Unendlichkeit des Raumes unmittelbar erlebt wird, in der der Meditierende sich emporgehoben und schwebend fühlt. Die anfängliche Gelöstheit erweitert sich so zum Bewusstsein ungehemmter Freiheit.“6

Der einstige rationalist sah nach solchen Erlebnissen nicht mehr den Verstand als alleinigen Maßstab des Urteilens. Der Gedanke, nüchtern denkende Euro-päer könnten nicht mehr an Übernatürliches glauben, wich der offenheit für Unerklärliches. Hoffmann nahm in den 1920er Jahren an einer spiritistischen Séance teil. Die Theorie und Praxis des Spiritismus nannte er im Nachhinein zwar „primitiv und unbefriedigend,“ doch leugnete er „die Wirklichkeit ok-kulter Kräfte“ nicht.7

Bei der Sitzung wurde nach früheren Existenzen der Anwesenden gefragt, wobei Hoffman den Hinweis bekam, die Wiedergeburt von Novalis, dem Dichter Georg Friedrich Philipp Freiherr von Hardenberg (1772-1801) zu sein, der ihm bis dahin unbekannt war. Bei dessen anschließender Lektüre fand er seine „eigenen innersten Gedanken“ wieder „und zwar genau in den Worten und Bildern, die ich selbst zu brauchen pflegte.“8 Seither galt ihm die Idee der Wiedergeburt nicht als Glaube, sondern als erwiesene realität.

In Nordafrika kam Hoffmann in dieser Zeit mit der Sufi-Bruderschaft der Aïs-sâwa, in Berührung.9 Er beobachtete riten, deren teilnehmern man in selbst induzierter trance lange Spieße durch den Körper trieb, ohne dass Schmerzen oder Blutungen auftraten. Von der „Macht des Geistes über die Materie“ be-eindruckt, interpretierte er dies im Sinn einer Besessenheit, indem nach Ein-treten der trance „eine andere Macht die Führung zu übernehmen“ schien.4 Vgl. Govinda 19585 Hoffmann 1920, 196 Hoffmann 2010, 7. [MS von 1920]7 Govinda 1969, 231-2328 Govinda 1969, 2349 Vgl. Govinda 1969, 418-421

Page 8: Kairos Edition 2013 - Birgit Zotz · 2016. 10. 11. · kannten Lama Ngawang Kalzang (ngag-dbang skal-bzang; 1866-1936) begegne-te, fand er vom Theravāda zum Vajrayāna. 1932 und

86

Da ihm also Gegebenheiten wie reinkarnation und Besessenheit schon zuvor als selbstverständlich galten, konnte er später in tibet Gesehenes als Bestäti-gung des bereits Erlebten erfahren.

erlebnIsse In tIbet

Das im Zusammenhang unserer Untersuchung interessante Spektrum des von Govinda in tibet Erlebten umfasst (1.) trancelaufen, (2.) Ergriffenwerden vom Bewusstsein eines anderen, (3.) orakel und (4.) spontanes Besessensein eines Menschen durch eine Gottheit. Bei den ersten beiden Ereignissen han-delt es sich um subjektive Erfahrungen, beim dritten und vierten um Beob-achtungen Govindas. Die Geschehnisse werden nachfolgend in der Chrono-logie des Auftretens dargestellt.

(1.) Trancelaufen. Im Grenzgebiet von tibet und Ladakh hatte Govinda sich 1933 am Panggong-See ohne Nahrung und Wasser weit vom Lager entfernt. Als er in der Dunkelheit den langen Weg zurück eilte, sprang er ohne wil-lentliches Zutun plötzlich „mit nachtwandlerischer Sicherheit von Block zu Block, ohne ein einziges Mal mein Ziel zu verfehlen, auszurutschen oder mei-nen Halt zu verlieren.“10 Seine Augen waren auf einen Stern gerichtet, der ihm als richtung diente.

„Plötzlich wurde mir bewusst, daß eine seltsame Kraft sich meines Körpers bemächtigt hatte [...] Meine Glieder bewegten sich wie in ei-nem trancezustand, als ob sie mit einem ihnen innewohnenden, von mir unabhängigen Wissen handelten.“

Govinda deutete die Besitzergreifung durch ein Bewusstsein, dass nicht dem gewohnten entsprach, rückblickend als die Praxis eines Lunggompa (rlung-sgom-pa) genannten tranceläufers. Diese verstärkt „Kräfte und Fähigkeiten, die in jedem Menschen gegenwärtig sind,“ indem von „Urkräften und den universellen Eigenschaften des Bewusstseins“ Gebrauch gemacht wird.

Dieses universelle Bewusstsein übersteigt für Govinda das reflektierende und agierende Subjekt, handelten doch seine Füße, als ob sie mit „Eigenbewußt-sein“ und einem „eigenen Instinkt begabt wären.“ So fand er Halt an Stel-len, „die bei dieser Geschwindigkeit und im undurchdringlichen Dunkel der Nacht nur ein Hellseher hätte entdecken können.“ Govinda sah wieder den

10 Dieses und folgende Zitate Govinda 1969, 130-136

Page 9: Kairos Edition 2013 - Birgit Zotz · 2016. 10. 11. · kannten Lama Ngawang Kalzang (ngag-dbang skal-bzang; 1866-1936) begegne-te, fand er vom Theravāda zum Vajrayāna. 1932 und

87

Beweis, wie „Materie dem Geist unterworfen werden kann.“ Der universel-le Geist, der sich im subjektiven Bewusstsein als Ausschnitt zeigt, steht über dem Physischen und vermag es zu bewegen.

(2.) Besessenheit als Initiation. Empfand Govinda sich beim trancelauf von ei-nem alles Individuellen übersteigenden Geist gelenkt, fühlte er in einem Er-lebnis 1937 eine konkrete Entität in sein Bewusstsein und seinen Körper ein-treten. Er war auf dem Weg zu einem damals bekannten Mystiker in Sikkim, dem Gomchen (sgom-chen) von Lachen (bla-chen; 1867-1947). In der Nacht vor dem Besuch bei dem Einsiedler merkte Govinda beim Einschlafen, wie er sei-ne Identität verlor:

„Ich hatte das Gefühl, daß jemand von meinem Bewußtsein Besitz er-griff, [...] auch von meinem Körper und meinem Willen. Ich hatte keine Kontrolle mehr über meine Gedanken, und es war, als ob jemand ande-rer sie dächte und nach seinem Willen leitete, so daß ich [...] unwider-stehlich einer fremden Macht ausgeliefert war.“11

11 Dieses und folgende Zitate Govinda 1969, 164-166

Abb. 2: Anagarika Govinda 1935 (Foto: Li Gotami, © Govinda Stiftung)

Page 10: Kairos Edition 2013 - Birgit Zotz · 2016. 10. 11. · kannten Lama Ngawang Kalzang (ngag-dbang skal-bzang; 1866-1936) begegne-te, fand er vom Theravāda zum Vajrayāna. 1932 und

88

Er wollte sich dieser Kraft überlassen, als ihn Panik übermannte, weil er sich „wie ein Meteor“ fühlte, den es „in die Bahn eines größeren Himmelskörpers“ zog. In Angst vor „der völligen Vernichtung“ bei längerer Passivität, verließ er mit „dem letzten Impuls von Selbstbehauptung“ das Bett, um beim Zeich-nen eines Selbstportraits seine Identität wieder zu finden.

Da ihm der Mystiker am folgenden tag das thema der Leerheit (śūnyatā) zur Meditation empfahl, deutete Govinda die erlebte Besessenheit als Initiation. Der Weise, der ihm „nicht nur im Fleisch begegnet war, sondern im Geiste,“ vermittelte ihm dadurch eine unmittelbare Erfahrung der Leerheit.

(3.) Orakelpriester. 1948 wurden Govinda und seine Frau im Kloster Dungkar (dung-dkar-dgon-pa) im Chumbi-tal (chu ’bi) Zeugen einer orakelbefragung. Durch das von Govindas Lehrer tomo Geshe installierte orakel des Klosters sprach hauptsächlich die Gottheit Dordje Shugden (rdo-rje shugs-ldan).

In einem zeitnahen Brief spricht Govinda vom Unvermögen, das Geschehen adäquat zu beschreiben, „denn alles war wie in einem phantastischen traum verwandelt.“12 Mit einer Menschenansammlung in den tempel geschoben, standen er und Li Gotami unerwartet vor dem thron des orakels, was ihnen so „phantastisch und überraschend“ schien, dass sie „wie gebannt“ waren.13 Zur tiefe des Eindrucks trug bei, dass dieser mehrere Sinne erfüllte: „Weih-rauchschwaden“, die prächtig gekleidete Gestalt auf dem thron, Musik von „Posaunen und Klarinetten, Becken und Kesselpauken“ wie „die Baßstim-men des Mönchschors“ schufen insgesamt eine Atmosphäre, in der sie „ver-steinert im Bann dieses feierlichen Augenblicks“ standen. Govinda verglich das Erlebte einem Zeitsprung:

„Wie die Vision eines legendären Kaisers der Vorzeit, eines mächtigen Herrschers vergangener Weltreiche, strahlend in allen Attributen der Macht, erschien uns diese Gestalt von übermenschlicher Größe und Würde.“

Zu Beginn der trance vibrierte der Körper des Priesters von den Füßen auf-wärts, bis er ganz von „konvulsivischen Zuckungen“ erfasst wurde, als ob eine Macht den Leib „erfüllte und ihn zu sprengen suchte.“ Die Szene war „schauerlich anzusehen, dieser Kampf des menschlichen Körpers und des

12 Brief Govindas an Anna Habermann, 13.3.1948 (Archiv der Lama und Li Gotami Govinda Stiftung) 13 Dieses und folgende Zitate Govinda 1969, 287

Page 11: Kairos Edition 2013 - Birgit Zotz · 2016. 10. 11. · kannten Lama Ngawang Kalzang (ngag-dbang skal-bzang; 1866-1936) begegne-te, fand er vom Theravāda zum Vajrayāna. 1932 und

89

besitzergreifenden Geistes,“14 der den Priester „in ein dämonisches Wesen verwandelte.“ Die vollends veränderten Gesichtszüge „schienen die einer an-deren Person, nein, die einer furchtbaren Gottheit zu sein.“

Govindas Worte verraten Gewissheit der Manifestation einer höheren Macht, denn auf „dem throne sitzt nicht mehr der Mensch sondern die angerufene Gottheit.“ Nachdem ein Mönch, welcher der Gottheit Fragen vortrug, sich entfernte, erhob sich der Priester und nahm ein Schwert, das er in alle rich-tungen schwang. Nach wiederholten Versuchen gelang es Mönchen, den „kämpfenden riesen“15 zu setzen. Schweiß rann über sein „unnatürlich auf-geschwollenes Gesicht“, mit Schaum vor dem Mund artikulierte er „seltsame Laute“, die ein Mönch niederschrieb: Seine „Lippen bewegen sich, das orakel spricht!“16

14 Brief Govindas an Anna Habermann, 13.3.1948 (Archiv Govinda Stiftung)15 Govinda 1969, 28816 Brief Govindas an Anna Habermann, 13.3.1948 (Archiv Govinda Stiftung)

Abb. 3: orakelpriester von Dungkar Gonpa (Foto: Li Gotami, © Govinda Stiftung)

Page 12: Kairos Edition 2013 - Birgit Zotz · 2016. 10. 11. · kannten Lama Ngawang Kalzang (ngag-dbang skal-bzang; 1866-1936) begegne-te, fand er vom Theravāda zum Vajrayāna. 1932 und

90

Als die „Heftigkeit, mit der die Gottheit den orakelpriester ergriffen hatte,“17 nachließ, erlebte Govinda den raum noch von ihrer Anwesenheit erfüllt. Sie „absorbierte alles individuelle Denken und Fühlen.“ Govinda empfand sich zu solchem Grad als teil des Geschehens, dass er sich wie alle anderen vor dem orakel niederwarf:

„Nur völlige Hingabe und Selbstverleugnung konnte die unsichtbare Macht, die das Bewußtsein aller Anwesenden beherrschte, beschwich-tigen und den hypnotischen Bann brechen, der jeden einzelnen ergrif-fen hatte. So drängten die Menschen nun wieder dem thron zu und warfen sich dem orakel zu Füßen, um dem Beschützer der heiligen Lehre Verehrung zu erweisen und seinen Segen zu empfangen. Auch wir fühlten, wie wir aus unserem eigenen Bewusstsein herausgehoben und aufs tiefste ergriffen wurden, so dass wir uns gleich den ande-ren dem orakel zu Füßen warfen, alles um uns vergessend, außer der Wirklichkeit einer Macht jenseits unseres Verstehens.“

Bei der Niederschrift erinnerte sich Govinda, dass aus dem Priester „sechs Geisterkönige“ sprachen. Doch weder Dordje Shugden noch einen der fünf weiteren nannte er mit Namen. Es bleibt unklar, ob er danach fragte und ob ihn die Anliegen an die Geisterkönige sowie deren Antworten interessierten. offenbar bedurfte es für ihn keiner konkreten Prophezeiung als Echtheitsbe-weis:

„Niemand, der nicht eine solche transformation mit eigenen Augen gesehen hat, kann sich den phantastischen, geradezu unheimlichen Eindruck vorstellen, den dieser Vorgang selbst auf den objektivsten Be-obachter macht; denn was hier geschieht, scheint allen Gesetzen der Vernunft zu widersprechen: ein Mensch verwandelt sich vor unseren Augen in ein anderes Wesen, nimmt eine gänzlich verschiedene Per-sönlichkeit an, physisch sowohl wie seelisch.“18

Was immer „die Erklärung dieser Phänomene sein mag, das eine steht fest, daß hier kein Schwindel vorliegt, kein theater,“ heißt es im zeitnahen Brief.19 Für Govinda war nicht bedeutsam, was tibeter mit Geistern kommunizier-ten, sondern dass sie es taten. Die Kraft, die sich manifestierte, deutete er als

17 Dieses und folgendes Zitat Govinda 1969, 288-28918 Govinda 1969, 28319 Brief Govindas an Anna Habermann, 13.3.1948 (Archiv Govinda Stiftung)

Page 13: Kairos Edition 2013 - Birgit Zotz · 2016. 10. 11. · kannten Lama Ngawang Kalzang (ngag-dbang skal-bzang; 1866-1936) begegne-te, fand er vom Theravāda zum Vajrayāna. 1932 und

91

chthonisch20, wörtlich irdisch, stellte er doch fest, wie zuerst Füße und Beine des Priesters vibrierten, als ginge es bei der eindringenden Entität um einen „Strom unbezwingbarer Macht aus den tiefen der Erde.“

Damit sah Govinda Beziehungen des orakels zu einer von ihm vermuteten allgemeinen Urreligion, in deren Vorstellung ihn D. H. Lawrence beeinflusste. Der ursprüngliche Glaube der Menschheit gründete demnach auf dem Erle-ben, alles in der Natur wäre belebt und göttlich. Die Materie verkörperte als Mutter die geistigen Kräfte des Universums:

„Daher näherte man sich allen Elementen der Natur und allen Din-gen, die aus ihnen gebildet waren, mit Achtung und behandelte sie mit Ehrfurcht. Diese Handlung verwandelte die materielle Welt in einen belebten Kosmos, in dem jeder Stein, jeder Baum ebenso wie Wasser, Berge und Wolken von Leben erfüllt und alle Naturkräfte Emanationen göttlicher Macht waren.“21

Diese Urreligion erkannte Govinda auch in den frühen buddhistischen Quel-len, denen zufolge vielerlei Wesen raum, Erde und Gewässer bewohnen, weshalb der Buddha „Zwiesprache hielt mit Devas und Geistern, die Haine und andere orte bewohnten. Man nahm von jedem ort als sicher an, daß er seinen eigenen spiritus loci besitze.“ In diesem Sinn sah Govinda die orakel „mit gewissen Lokalitäten verbunden, in denen irdische Kräfte konzentriert zu sein scheinen,“ wobei sie „Einfluss oder zumindest eine Beziehung zu at-mosphärischen Vorgängen der Natur hätten.“22

Gerade im Himalaja-Raum fließt die „uralte universelle Religion“ als „gewal-tiger Strom durch alle verschiedenen Glaubensrichtungen und traditionen,“ weil man der Natur und den sie bewegenden geistigen Wirklichkeiten hinge-geben blieb:

„Der große rhythmus der Natur durchdringt alles, und der Mensch ist darin eingebunden. Seine Vorstellungskraft unterliegt nicht mehr der individuellen Phantasie; sie wird zu einem Instrument all der Kräfte, die die Bewegung von Sonnen und Planeten, ozeanen und Kontinen-ten, Winden und Wolken regieren.“23

20 Govinda 1969, 28921 Dieses und folgendes Zitat Govinda 1978, 13-1422 Govinda 1969, 29723 Govinda 1993, 6-7

Page 14: Kairos Edition 2013 - Birgit Zotz · 2016. 10. 11. · kannten Lama Ngawang Kalzang (ngag-dbang skal-bzang; 1866-1936) begegne-te, fand er vom Theravāda zum Vajrayāna. 1932 und

92

Lenken statt individueller Vorstellungen überpersönliche Kräfte in Über-einstimmung mit dem Ganzen lebende Menschen, klingt die Erfahrung des trancelaufs an, den Govinda aus „universellen Eigenschaften“ des Bewusst-seins erklärte. Für jeden wäre Harmonie mit den rhythmen der die Natur durchwirkenden Geistesmächte wünschenswert. Doch weil nur wenige sie verwirklichen, gibt der Priester sich stellvertretend für alle Menschen jenen Kräften hin. Er würde sich nicht „der Gefahr aussetzen, seinen Körper einer unbekannten Macht zu überlassen, wenn er nicht von der Notwendigkeit und dem Wert dieses opfers überzeugt wäre.“ Govinda spielt auf die Schmerzen während der Séance und die kurze Lebenserwartung des Priesters an.

Das Motiv des Opfers sah Govinda, wie die gewählte terminologie verdeut-licht, analog zur christlichen Vorstellung vom Leiden und Sterben Jesu: Im orakelkult vollziehe sich „die Kreuzigung eines menschlichen Wesens“ auf dem „Altar“ chthonischer Mächte. Der Priester wird „im Dienste eines höhe-ren Ideals geopfert,“ der „Wohlfahrt und Erlösung aller leidenden Wesen.“ Diesem Ideal müssen „selbst jene Mächte sich beugen,“24 die damit in den Dienst des Buddhismus gestellt werden.

Auch transformationen im Leben der orakelpriester, deren opfer die Mensch-heit mit sie tragenden Kräften verbindet, erwiesen Govinda die Authentizität des Geschehens. Wie die Götter oft Menschen ohne spirituelle Neigung zu orakeln beriefen, die dann erstaunliche Entwickelungen durchliefen, berich-tet er über den orakelpriester von Dungkar Gompa. Vom nicht alphabeti-sierten Maultiertreiber, „der oft die Zielscheibe des Spottes der andern“ war, wandelte er sich zu einer Persönlichkeit, die „sich mit der Sicherheit eines geborenen Aristokraten bewegte.“25

(4.) Spontane Besessenheit. Seine Ideen über die ursprüngliche religion ortsge-bundener Mächte sah Govinda bestätigt, als er 1949 in Poo (spu) einem bud-dhistischen ritus beiwohnte.26 Während der Kulthandlung eines Lama schlug der Schmied des orts plötzlich mit dem Kopf gegen eine Wand, bis ihn Blut überströmte. Anwesende versuchten die Selbsttötung des Mannes zu verhin-dern, der Govinda als „ohne Zweifel ‚besessen’“ galt. Er empfand dieses „Ge-schehen jenseits menschlicher Kontrolle“ als Konfrontation jenseitiger Kräfte, die gegeneinander antraten, um „ihre Kräfte zu messen. Die Spannung wurde fast unerträglich.“

24 Govinda 1969, 28925 Govinda 1969, 29526 Vgl. zum Folgenden Govinda 1969, 413-416

Page 15: Kairos Edition 2013 - Birgit Zotz · 2016. 10. 11. · kannten Lama Ngawang Kalzang (ngag-dbang skal-bzang; 1866-1936) begegne-te, fand er vom Theravāda zum Vajrayāna. 1932 und

93

Der Lama wollte die Geister durch den Schmied fragen, weshalb sie das ri-tual störten. Bevor dies möglich wurde, hatte der Mann sich die Wangen mit Eisenspießen zu durchbohren und mit den Augen auf Schwertspitzen zu leh-nen, die bei geringster Bewegung „ins Gehirn gedrungen“ wären.

Was dem Beweis authentischer Besessenheit gedient haben mag, erschien Go-vinda als Prüfung des „Glaubens“ und der „Hingabe“ des Mediums durch „torturen“ oder Zeugnisse der Immunität, worauf „die Götter befriedigt und zu sprechen bereit waren.“ Sie waren beleidigt, weil man ohne Erlaubnis ein ritual an ihrem Wohnsitz vollzog und sie nicht dazu einlud. Nachdem er sich entschuldigt hatte, konnte der Lama das ritual fortführen.

Für Govinda erweis dieser Vorfall, dass Götter, Geister und Dämonen keine „Abstraktionen oder Ausgeburten eines kranken Gehirns oder einer morbi-den Phantasie sind, sondern Wirklichkeiten, mit denen jede religion und jede Psychologie sich auseinandersetzen muß.“

WeItere ZeuGen

Neben Govinda beobachteten und beschrieben drei weitere Augenzeugen des deutschen Sprachraums Séancen tibetischer Orakel. Der Zoologe Ernst Schäfer (1910-1992) war 1930 und 1934 an amerikanischen tibet-Expeditionen beteiligt und leitete 1938 eine deutsche Expedition. (2) Der Alpinist Heinrich Harrer (1912-2006) lebte nach seiner Flucht aus britischer Internierung von 1944 bis 1950 in tibet und besuchte ab 1974 mehrfach Ladakh. (3) Der Ethno-loge René von Nebesky-Wojkowitz (1923-1959) erforschte zwischen 1950 und 1959 in kulturell tibetischen Gebieten Indiens das orakelwesen.

Mit den orakeln begegnete den vier reisenden ein Fremdes im potenzier-ten Sinn: Ihre Beobachtungen erfolgten in kulturell fremden Kontexten, was meist Schwierigkeiten der Einordnung aufwirft.

Darüber hinaus widersprach das mit eigenen Augen Gesehene dem Weltbild moderner Europäer. Unsichtbare Wesen, die vom Körper Besitz ergreifen, um sich mitzuteilen, fielen als Thema eher in die Zuständigkeit der Psychiatrie. Man erwartete es nicht in einem sozial akzeptierten oder gar staatstragenden Kontext. Wer in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts aus dem säkularen Eu-ropa kam und sich in tibet mit orakeln konfrontierte, war darum in mindes-tens gleichem Ausmaß mit seiner Reaktion wie mit Reflektionen zum Thema beschäftigt.

Page 16: Kairos Edition 2013 - Birgit Zotz · 2016. 10. 11. · kannten Lama Ngawang Kalzang (ngag-dbang skal-bzang; 1866-1936) begegne-te, fand er vom Theravāda zum Vajrayāna. 1932 und

94

C. G. Jung, der von eigenen Fernreisen keine Erkenntnis über andere Kultu-ren erwartete, sondern darüber, was mit ihm in anderer Atmosphäre geschah, schrieb, dass er in Indien „keinen einzigen Europäer“ traf, „der wirklich dort“ gewesen wäre. Alle lebten „in einer Flasche, gefüllt mit europäischer Luft.“27 Mag dieses Urteil extrem scheinen, ist kaum bestreitbar, dass man den eigenen kulturell bedingten Dispositionen auch in der Ferne nie vollständig entflieht.

trotzdem gibt es die europäische Luft nicht. obwohl alle reisenden Zeitgenos-sen eines Sprach- und Kulturraumes waren, hatten sie dort Luft unterschied-licher Qualität geatmet. Govinda hielt sich unter Künstlern und mit spirituell interessierten Menschen auf. Schäfer war Naturwissenschaftler, Jäger und als SS-Mitglied im Freundeskreis Heinrich Himmlers. Harrer war Lehrer für Geographie und Sport sowie begeisterter Alpinist. Nebesky-Wojkowitz fühl-te sich als Ethnologe einem Ideal objektiver Wissenschaftlichkeit verpflichtet. Entsprechend hatte jeder unterschiedliche Motive in Bezug auf tibet.

Wie die mitgebrachte europäische war die tibetische Luft nicht einheitlich. Zeff Bjerken kritisierte platt verstandene Ideen von orientalismus damit, dass Abendländer ihre Bilder fremder Welten nie unabhängig von lokalen reprä-sentationen konstruieren. Es kommt darauf an, wem man begegnet und wel-che spezifische Perspektive so zur Basis der Rezeption wird.28 Govinda suchte die Nähe buddhistischer Meister, Schäfer ging mit tibetischen Jagdkameraden auf die Pirsch. Harrer bewegte sich in der aristokratischen oberschicht von Lhasa, Nebesky-Wojkowitz verkehrte mit westlich gebildeten tibetern. Die abweichenden Perspektiven werden nachfolgend kurz dargestellt.29

Schäfer fühlte sich in tibet generell von zivilisatorischem Zwang befreit: „Der Urmensch ist wieder zum Vorschein gekommen. Unsere Instinkte sind wach, und die ständige [...] Gefahr erhöht den reiz der großen, ungebundenen Freiheit.“30 Seine Sehnsucht, im „Kampf ums Dasein“ nicht von Moral und Kultur gebremst zu werden, erfüllte sich in „reinster Urjägerfreude.“31 Schä-fers Ideal spiegelt die „nach Beute und Sieg lüstern schweifende blonde Bes-tie“, ein von Nationalsozialisten oft aufgenommenes Motiv Nietzsches: „das thier muss wieder heraus, muss wieder in die Wildniss zurück.“32

27 Jung 1981, 56728 Vgl. Bjerken 2004, besonders 55-5929 Eine ausführliche Darstellung in Zotz 201030 Schäfer 1952, 38-3931 Schäfer 1933, 14832 Nietzsche 1999 [1887], 275

Page 17: Kairos Edition 2013 - Birgit Zotz · 2016. 10. 11. · kannten Lama Ngawang Kalzang (ngag-dbang skal-bzang; 1866-1936) begegne-te, fand er vom Theravāda zum Vajrayāna. 1932 und

95

Vor diesem Hintergrund wollte Schäfer in tibet den Gegenpol eines durch Zivilisation verarmten Europas finden. Tibeter hätten sich „einen Zugang zur Welt bewahrt, der für uns Menschen des Abendlandes heute verschlossen“ scheint.33 In der Beschreibung seiner Beobachtung einer orakelbefragung in Nechung gebrauchte Schäfer Formulierungen über den Priester, die jenen Go-vindas vergleichbar sind:

„Als wenn zuckende Blitze seinen Körper durchrasten, richtet er sich in gespannter Konzentration auf und wird mit schmerzverzerrten Zü-gen plötzlich von heftigen Anfällen geschüttelt. In gefolterter Überan-strengung laufen ihm Schweißperlen wie funkelnde Diamanten über die gemarterte Stirn.“

Doch gelangte Schäfer durch seine Perspektive zu einer von Govinda abwei-chenden Deutung des Gesehenen. Keine geistige oder chthonische Entität er-greift Besitz vom Priester, sondern es „quillt das Leben hier aus sich selbst.“ Eine von der Zivilisation unterdrückte biologische Kraft bricht im orakelritus durch und verschafft sich Achtung. ohne geistige Wirklichkeiten und Wesen zu akzeptieren, sah Ernst Schäfer den orakelpriester strukturell ähnlich zu

33 Dieses und folgende Zitate Schäfer 1950, 162-165

Abb. 4: Lobsang Namgyal (1894-1945), orakel in Nechung während E. Schäfers Aufenthalt

(Foto: Ernst Schäfer, © Deutsches BundesarchivBild 135-S-16-22-17)

Page 18: Kairos Edition 2013 - Birgit Zotz · 2016. 10. 11. · kannten Lama Ngawang Kalzang (ngag-dbang skal-bzang; 1866-1936) begegne-te, fand er vom Theravāda zum Vajrayāna. 1932 und

96

Govindas Position als jemanden, der den Einklang mit dem Ganzen des Le-bens herstellt: „Alle Disharmonien von Erkennen, Wollen und Handeln schei-nen ihm gelöst.“

Die Metaphorik, mit der Schäfer die Ereignisse erläuterte, trifft zwar den bud-dhistischen Kontext nicht, verrät aber Berührtsein und Bewunderung: Der Priester „wird zur Sternenwelt entführt, so belauscht er das Leben und den Gang der Geschichte, [...] vom Körper gelöst verbindet sich seine Seele dem Alleinen und versinkt in die strahlende Leere.“

Hier offenbart sich eine Haltung, die als empathische Attraktion charakterisiert werden kann. Im Bann des Geschehens bekannte Schäfer Ergriffenheit und glaubte im teilnehmen dem ursprünglichen Leben oder urmenschlichen Er-fahren nahe zu kommen. Zu welchem Grad sein subjektives Mitvollziehen tatsächlich mit den Vorgängen im tibetischen Umfeld korrespondierte, bleibt offen.

Heinrich Harrer begegnete tibet mit einer Haltung skeptischer Faszination. Der Lehrer hatte nicht den Eindruck, selber etwas zu lernen in einem rückständi-gen Land, in dem sich sogar Medizinschulen „jedem Fortschritt verschließen,“ weil die „Lehre Buddhas und seiner Apostel“ hier als das oberste Gebot gilt, „das nicht angetastet werden darf.“34 Mit dem Selbstverständnis des aufge-klärten Abendländers wertete er ihm begegnende religiöse Anschauungen als „Aberglauben der tibeter,“ den man allerdings nicht zerstören könnte, ohne „ihnen etwas vom Leben [zu] nehmen.“35 Ein „taktgefühl und die rücksicht auf die Gastfreundschaft, die ich genoß,“36 hielten Harrer ab, die Unrichtigkeit der Überzeugungen seiner tibetischen Bekannten zu beweisen.

religiöse Feste und orakelbefragungen erscheinen in Harrers Berichten als faszinierende Szenen, als eindrucksvolle Zeugnisse des Brauchtums von äs-thetischem Wert, gegenüber deren vorgeblichen inhaltlichen Bedeutungen jedoch Skepsis angebracht ist. Mehrfach wohnte er in Nechung Befragungen des Staatsorakels bei, die ihn als Schauspiel beeindruckten. Doch im Unter-schied zu Govinda, Schäfer und Nebesky-Wojkowitz interessierte Harrer die physische transformation des Priesters nicht in dem Ausmaß, das er sie be-schrieben hätte. Vielmehr betonte er seine eigene rolle als distanzierter und genauer Betrachter:

34 Harrer 2002, 89-9035 Harrer 2002, 37836 Harrer 2002, 256

Page 19: Kairos Edition 2013 - Birgit Zotz · 2016. 10. 11. · kannten Lama Ngawang Kalzang (ngag-dbang skal-bzang; 1866-1936) begegne-te, fand er vom Theravāda zum Vajrayāna. 1932 und

97

„Ich beobachte es scharf, wende kein Auge von seinen Zügen. Nicht das leiseste Zucken seiner Mienen entgeht mir. Mehr und mehr scheint das Leben aus ihm zu weichen. Jetzt ist es völlig reglos, das Gesicht eine starre Maske.“37

Anders als Govinda, der an Manifestationen einer Gottheit glaubte, und Schä-fer, der sich mit der Urkraft des Lebens konfrontiert sah, empfand sich Harrer nicht als teilnehmer eines bedeutsamen Ereignisses. Für das faszinierende Spektakel, musste es letztlich eine simple Erklärung geben:

„Ich habe mir oft den Kopf darüber zerbrochen, ob es nur seine unerhör-te Konzentrationsfähigkeit war, durch die er sich vor vielen Menschen in kürzester Zeit in einen lang andauernden trancezustand versetzen konnte, oder ob er Drogen und andere Hilfsmittel verwendete.“38

An anderer Stelle mutmaßte er, das orakel hätte sich durch „Haschisch oder räucherwerk in einen rauschzustand versetzt.“39

René von Nebesky-Wojkowitz, der sich aus akademischem Interesse mit tibe-tischen orakeln beschäftigte, wollte bewusst einen neutralen Standpunkt ein-nehmen. Er war um eine objektivierende Deskription bemüht. Phänomene und Gegebenheiten sollten lediglich beschrieben werden und Zusammenhänge aufgezeigt, ohne Wertungen und Deutungen anzubieten.

Blieb er in den Darstellungen seiner wissenschaftlichen Arbeiten diesem Prin-zip weitgehend treu, verrät ein populäres Buch über seine Forschungen etwas von der Bestürzung, die ihn im ritual der orakelbefragung bei den Verwand-lungen des Priesters überkam:

„Sein Gesicht hatte sich in den letzten Minuten in erschreckender Weise verändert. Es hatte keine Ähnlichkeit mehr mit der mir so vertrauten Miene Lhagpa töndups. Der ganze Kopf schien angeschwollen, die Gesichtshaut war dunkelrot verfärbt, weißlichgrauer Schaum bedeckte die dicken blauen Lippen, und aus den grausam-verächtlich nach un-ten gezogenen Mundwinkeln troff Speichel.“40

Nebesky-Wojkowitz sah sich zwar nicht wie Govinda und Schäfer im Bann ei-nes Ehrfurcht gebietenden Geschehens gezogen, war aber von der Authenti-

37 Harrer 2002, 26038 Harrer 2002, 25839 Harrer 1969, 18440 Dieses und folgende Zitate Nebesky-Wojkowitz 1955, 230-231

Page 20: Kairos Edition 2013 - Birgit Zotz · 2016. 10. 11. · kannten Lama Ngawang Kalzang (ngag-dbang skal-bzang; 1866-1936) begegne-te, fand er vom Theravāda zum Vajrayāna. 1932 und

98

zität des Ereignisses überzeugt: „Kein Zweifel, das Medium simulierte nicht, sondern war wirklich in voller trance.“ Entsprechend galt es ihm im Bereich des Möglichen, dass „das tibetische Medium in seinem Unterbewußtsein“ spürte, wie mit seiner Gegenwart „eine skeptische, genau beobachtende Kraft sich jetzt in seiner unmittelbaren Nähe“ aufhielt.

Govindas Erleben der orakelsitzung unterscheidet sich von jedem der ande-ren Beobachter. Die Präsenz der Gottheit „absorbierte alles individuelle Den-ken und Fühlen.“ Er empfand sich direkt ins Geschehen gezogen, als er – aus seinem „eigenen Bewusstsein herausgehoben und aufs tiefste ergriffen“41 – sich spontan vor dem Priester niederwarf. Auf Basis langjähriger buddhisti-scher Studien, meditativer Erfahrung und seinen Erlebnissen mit trance und Besessenheit war er offensichtlich von der objektiven realität der göttlichen Manifestation nicht nur rational überzeugt, sondern erlebte diese in existenti-eller Weise. Dies lässt sich als eine Haltung der Absorbtion charakterisieren.

Govinda näherte sich damit einem teilnehmenden, zirkulären Vorgang, wie ihn der Ethnologe Manfred Kremser als besten Fall der Konfrontation mit Anderem wertete. Der zunächst „einseitigen und asymmetrischen Wahrneh-mung des Fremden“ folgt dabei in „einem selbstreflexiven und zirkulären“ Prozess der Aufbau eines „Beziehungsverhältnisses.“42

Derartiges dürfte Govinda im Hinblick auf das orakel in tibet vollzogen ha-ben. Er blieb kein Beobachter objektiver Geschehnisse, sondern ließ vielfälti-ge Beziehungen zwischen Phänomenen und Personen zu, wodurch sich sein Bewusstseins veränderte. Im Unterschied zu Schäfer, der gleichfalls tief vom Geschehen ergriffen war, teilte Govinda durch seine buddhistischen Überzeu-gungen zumindest teilweise die Perspektive der anderen Anwesenden und nahm so eine emische Position ein.

das unheImlIche und das banale

trotz der unterschiedlichen Perspektiven stimmen die vier reisenden in ei-nem Punkt überein: Jeden beeindruckte die physische Veränderung des Pries-ters. Unabhängig voneinander beschrieben der Pilger und Künstler Govinda, der Zoologe und Abenteurer Schäfer sowie der wissenschaftliche Beobachter Nebesky-Wojkowitz die Metamorphosen in ähnlichen Phrasen mit oft iden-

41 Govinda 1969, 288-28942 Kremser 2001, 143

Page 21: Kairos Edition 2013 - Birgit Zotz · 2016. 10. 11. · kannten Lama Ngawang Kalzang (ngag-dbang skal-bzang; 1866-1936) begegne-te, fand er vom Theravāda zum Vajrayāna. 1932 und

99

tischen Begriffen. Sogar den auf seinem aufgeklärten Standort beharrenden Harrer, der von einer genaueren Beschreibung der transformation des Pries-ters absah, ließ diese in ihrer Spannung zur Normalität nicht unbeeindruckt:

„Ich konnte mich nie ganz daran gewöhnen, mit ihm an einem tisch zu sitzen und ihn genau wie alle übrigen Adeligen seine Nudelsuppe schlürfen zu hören. Wenn wir einander auf der Straße begegneten, zog ich den Hut, und er lächelte mir mit höflichem Nicken zu. Sein Gesicht war dann das eines netten jungen Mannes seiner Alterstufe und erin-nerte in nichts an die rote, aufgedunsene Fratze der Ekstase.“43

Govinda glaubte, dass die sich materialisierenden Mächte „von allen, die den riten beiwohnen, gesehen und gefühlt werden können. Die ganze Atmosphä-re im Inneren des tempels scheint mit einer unwiderstehlichen Kraft geladen zu sein, die sich selbst dem kühlsten Beobachter mitteilt.“44 Sogar das Verhal-ten Harrers, der doch von der Möglichkeit einer plausiblen Erklärung über-zeugt war, dürfte diese Annahme Govindas bestätigen:

„Ganz benommen verlasse ich den tempel und stehe geblendet im Sonnenlicht. Mein nüchterner Europäerverstand weiß nicht, wohin mit dem eben geschauten.“45

Für jeden der vier Beobachter war der „nüchterne Europäerverstand“ her-ausgefordert. Govinda schien das Gesehene „allen Gesetzen der Vernunft zu widersprechen: ein Mensch verwandelt sich vor unseren Augen in ein ande-res Wesen.“46 Der Biologe Schäfer sah in den „aufgedunsenen, akromegalen47

Zügen“ des Priesters, als „ob alles Menschliche aus ihm entwichen wäre“ und „ein anderer aus ihm spräche“, einen „wahrhaft Besessenen.“48 Wie Nebesky-Wojkowitz fürchtete, der Orakelpriester könnte ihn als Ungläubigen entde-cken49, beschlich Harrer die Angst vor dem unberechenbaren Medium: „Alles duckt sich, ich fürchte schon, als Eindringling aufzufallen. [...] Störe ich bei der Götterbefragung?“50

43 Vgl. Harrer 2002, 260-26344 Govinda 1969, 283-28445 Vgl. Harrer 2002, 260-26346 Govinda 1969, 28347 Akromegalie bezeichnet die extreme Vergrößerung vorspringender teile des Körpers wie des Unterkiefers durch Überproduktion des Wachstumshormons.48 Schäfer 1950, 190-19149 Nebesky-Wojkowitz 1955, 23550 Harrer 2002, 259

Page 22: Kairos Edition 2013 - Birgit Zotz · 2016. 10. 11. · kannten Lama Ngawang Kalzang (ngag-dbang skal-bzang; 1866-1936) begegne-te, fand er vom Theravāda zum Vajrayāna. 1932 und

100

Was sich bei Nebesky-Wojkowitz und Harrer als Furcht vor dem Erkannt-werden, bei Schäfer als Schauer vor dem entweichenden Menschlichen und bei Govinda als zur Niederwerfung animierenden Ehrfurcht zeigte, erweist die orakelbefragung für alle vier als wirksames religiöses ritual. Zu diesem gehört, wie thomas Vollmer es formulierte, „stets der Charakter des Ernsten: Gefahr wird signalisiert, mitunter auch Angst ausgelöst, was die Aufmerk-samkeit anspannt und den Vorgang aus dem Strom des Alltagslebens her-vortreten lässt, damit der Lernvorgang eine irreversible Verhaltensprägung erzielt. Einprägsam ist vor allem das Erschreckende.“51

Nebesky-Wojkowitz empfand die physische transformation beim ritual als „erschreckend“52, Harrer spürte beim Erscheinen des Priesters eine „unheim-liche Atmosphäre,“53 nachdem ihm schon die „unheimliche Musik“54 auffiel, die Schäfer gleichfalls „unheimlich“55 anmutete. Von einem „geradezu un-heimlichen Eindruck“56 berichtete auch Govinda.

Nach Sigmund Freud ist „das Unheimliche“ kein Fremdes, „sondern etwas dem Seelenleben von alters her Vertrautes, das ihm durch den Prozeß der Ver-drängung entfremdet worden ist.“57 Geht man von dieser Hypothese aus, be-gegnete den reisenden beim orakel etwas, das unmittelbar zu ihrem Wesen gehörte, jedoch abgespalten wurde. Nicht der Gott, Geist oder Dämon, der vom Priester Besitz ergriff, wäre für das Empfinden des Unheimlichen verant-wortlich, sondern jene Dämonen, die – wiederum nach Freud –„verworfene Wünsche, Abkömmlinge abgewiesener, verdrängter triebregungen“ sind.58

Dass tibet sie nicht zuletzt mit eigenem Verdrängtem konfrontierte, scheinen die reisenden auf die eine oder andere Weise geahnt zu haben. Schäfer emp-fand in tibet „noch vereint in einem Glauben – einem Menschen,“ was man in Europa als „Spuk“ bezeichnete und aus der Sphäre der religion verbannte, obwohl es doch untergründig weiterwirkte.59 Govinda meinte, die Mächte, die sich beim Orakel verkörpern, müssten beachtet werden, weil ihr Unter-

51 Vollmer 2009, 61-6252 Vgl. Nebesky-Wojkowitz 1955, 230-23153 Harrer 1969, 18354 Harrer 2002, 25855 Schäfer 1950, 17156 Govinda 1969, 28357 Freud 1955a, 25458 Freud 1955b, 31859 Schäfer 1950, 165

Page 23: Kairos Edition 2013 - Birgit Zotz · 2016. 10. 11. · kannten Lama Ngawang Kalzang (ngag-dbang skal-bzang; 1866-1936) begegne-te, fand er vom Theravāda zum Vajrayāna. 1932 und

101

drücken zum „Absinken in eine unkontrollierbare Dämonologie“ führte: „Probleme dieser Art können nicht durch Negation gelöst werden, sondern nur dadurch, daß wir uns bewusst mit ihnen auseinandersetzen.“ 60

Den konkreten Weissagungen des orakels brachten die reisenden kaum In-teresse entgegen. Harrer hegte den Verdacht, dass der mitschreibende Sekre-tär „das eigentliche orakel war und nicht der medial veranlagte Mönch.“61 Nebesky-Wojkowitz hielt die Inhalte für „sehr vage und verschleiert.“ Sogar nach einer Deutung „konnte man die Antworten oft noch in dieser oder jener Weise auffassen.“62 Einzig Schäfer führt exakte Inhalte von Prophezeiungen an, allerdings erst in der Neubearbeitung seines Materials nach dem Zweiten Weltkrieg.63 Da das orakel dabei angeblich vor einer englischen Kriegserklä-rung gegenüber Deutschland warnte, handelt es sich wohl um eine nachträg-liche Stilistisierung.64

Dass nicht Inhalte der Prophezeiungen die Faszination europäischer Beob-achter auslösten, mag an der Banalität vieler Antworten liegen. Ein deutscher Forscher richtete 1977 über denselben Priester Fragen an die Götter, den ein Viertel Jahrhundert zuvor Nebesky-Wojkowitz erlebte. Nacheinander nah-men vier Entitäten vom Priester Besitz, darunter Dorje Shugden. Auf die Fra-ge, ob Deutschland wiedervereinigt würde, hieß es: „Das ist schwierig.“ Auf jene, ob sich die Zentralasienforschung der Universität Bonn gut entwickelte, sagte der Gott: „Ja, falls man harmonisch zusammenarbeitet.“ ob eine Expe-dition nach Nepal erfolgreich verliefe, kommentierte er: „Ja, aber hütet euch vor reisen in der Nacht und vor Speisen aus der Hand von Frauen.“65

Dass die Offenbarungen häufig banal scheinen, minderte nicht das Wahrneh-men des Unheimlichen der physischen transformation. Dasselbe gilt sogar bei Angehörigen des tibetischen Kulturraumes, für die der Eindruck des Spre-chens einer Gottheit durch einen Menschen derart intensiv sein kann, dass die Antwort des orakels keine rolle mehr spielt.66

Auch Govinda genügte ungeachtet der Inhalte die wunderbare tatsache durch Menschen sprechender Götter. Er sah sich mit einer tradition konfrontiert,

60 Govinda 1969, 28461 Harrer 1969, 18562 Nebesky-Wojkowitz 1955, 23263 Schäfer 1950, 16464 Vgl. Zotz 2010, 63-6565 Schuh 1979, 52166 Vgl. rösing 2006, 212-225

Page 24: Kairos Edition 2013 - Birgit Zotz · 2016. 10. 11. · kannten Lama Ngawang Kalzang (ngag-dbang skal-bzang; 1866-1936) begegne-te, fand er vom Theravāda zum Vajrayāna. 1932 und

102

„die in das Zwielicht frühester Menschheitserfahrung zurückgeht,“ in eine Zeit als man „Physisches und Psychisches, Menschen und Götter, Innenwelt und Außenwelt“ noch nicht unterschied.67 In tibet glaubte er nicht nur den letzten Abglanz dieser von ihm unter Einfluss von D. H. Lawrence angenom-menen Urreligion zu erkennen, sondern zudem einen im Verglich zu Europa seriösen Umgang mit dieser Materie:

„Was uns besonders beeindruckte, war die objektive Haltung und die fast wissenschaftliche Präzision, mit der die tibeter okkulte Dinge und psychische Phänomene behandeln, die in westlichen Ländern Produkte der Sentimentalität, morbider Neugier oder abergläubischer Vorstellun-gen sind, wie dies die meisten spiritistischen Séancen demonstrieren, die vorwiegend von Neurotikern oder ‚psychischen’ Frauen veranstal-tet werden, deren anormale Sensitivität sie allen Arten unterbewusster Einflüsse und Illusionen zugänglich macht.“68

Die hier artikulierte Spannung zwischen tibet und Govindas Herkunftskultur kann als Exotismus erscheinen, der Fernes über Vertrautes stellt. Doch wäre diese Deutung problematisch. Als Govinda seine Gedanken in den 1960er Jahren veröffentlichte, lebte er schon vier Jahrzehnte in Asien, was zur Frage führt, worin für ihn das jeweils Eigene und Fremde bestand. Zudem kontras-tiert zitierte Passage nicht ost und West sondern eine institutionelle Differenz. Lag in tibet das orakel in Händen des staatstragenden Gelug-ordens, der für die Prüfung und Ausbildung der Priester sorgte, sah Govinda dieses Feld in Europa – aus den Sphären von Hochreligion und Wissenschaft verbannt – als Domäne Unqualifizierter.

Dass gerade der Gelug-orden im 17. Jahrhundert den alten orakelkult ins-titutionalisierte, galt Govinda als beachtlich. Aus einer reformation im 15. Jahrhundert hervorgegangen, betont der orden am stärksten unter den rich-tungen des tibetischen Buddhismus die rolle von Denken, Vernunft und Lo-gik. Aus dieser Position eine Brücke zu chthonischen Kräften zu schlagen, „um die dunklen, ungezähmten Mächte der Vorwelt zu versöhnen,“69 schien Govinda als wesentlicher Schritt aus der Verdrängung des Unheimlichen zur Bejahung der Ganzheit. Im rehabilitieren alter Götter und Geister durch eine gesellschaftliche Bewegung der Vernunft und reformation konnte er auch ein Vorbild für Europa erkennen. Nachdem es hier in der Folge von Aufklärung

67 Govinda 1969, 28468 Govinda 1969, 29669 Govinda 1969, 282-283

Page 25: Kairos Edition 2013 - Birgit Zotz · 2016. 10. 11. · kannten Lama Ngawang Kalzang (ngag-dbang skal-bzang; 1866-1936) begegne-te, fand er vom Theravāda zum Vajrayāna. 1932 und

103

und Säkularisierung zu einer Abwertung der Natur und Abspaltung sie tra-gender geistiger Mächte in kulturelle Grauzonen kam, wäre ihnen Govinda zufolge erneut ein angemessener Platz im Geistesleben zu gewähren.

lIteratur

Bjerken, Zeff. 2004. Exorcising the Illusion of Bon „Shamans“: A Critical Genealogy of Shamanism in tibetan religions. Revue d’Études Tibetaines 6, 4-59.

Freud, Sigmund. 1955a. Das Unheimliche. In: Werke aus den Jahren 1917-1920. [Gesam-melte Werke Bd. 12.] Frankfurt am Main, 229-268

Freud, Sigmund. 1955b. Eine teufelsneurose im 17. Jahrhundert. In: Jenseits des Lust-prinzips, Massenpsychologie und Ich-Analyse: Das Ich und das Es. [Gesammelte Werke Bd. 13.] Frankfurt am Main, 317-353.

Govinda, Anagarika Brahmacari. 21958. Why I am a Buddhist. Varanasi.

Govinda, Lama Anagarika. 1969. Der Weg der weißen Wolken. Erlebnisse eines buddhisti-schen Pilgers in Tibet. Zürich.

Govinda, Lama Anagarika. 1978. Der Stupa: Psychokosmisches Lebens- und Todessymbol. Freiburg im Breisgau.

Govinda, Lama Anagarika. 1993. Einsichten eines Pilgers im Himalaya. Münster.

Govinda, Li Gotami. 1979a: Tibet in Pictures: Expedition to Central Tibet. [Volume 1], Berkeley; 1979b. Tibet in Pictures: Expedition to Western Tibet. [Volume 2], Berkeley.

Harrer, Heinrich. 1969. Geister und Dämonen: Magische Erlebnisse in fernen Ländern. Frankfurt am Main und Berlin.

Harrer, Heinrich. 272002. Sieben Jahre in Tibet: Mein Leben am Hofe des Dalai Lama. München. [1. Auflage Wien 1952]

Hoffmann, Ernst. 1920. Die Grundgedanken des Buddhismus und ihr Verhältnis zur Gotte-sidee. Leipzig.

Hoffmann, Ernst Lothar. 2010. Die Praxis der Meditation. Der Kreis, 266, 4-8. [MS von 1920]

Jung, Carl Gustav. 21981. Zivilisation im Übergang. [Gesammelte Werke. Zehnter Band]. olten und Freiburg im Breisgau.

Kremser, Manfred. 2001. Von der Feldforschung zur Felder-Forschung. In: Karl r. Wernhard und Werner Zips (Hg): Ethnohistorie: Rekonstruktion und Kulturkritik: Eine Einführung. Wien, 135-144.

Nebesky-Wojkowitz, René. 1955. Wo Berge Götter sind: Drei Jahre bei unerforschten Völkern des Himalaya. Stuttgart.

Page 26: Kairos Edition 2013 - Birgit Zotz · 2016. 10. 11. · kannten Lama Ngawang Kalzang (ngag-dbang skal-bzang; 1866-1936) begegne-te, fand er vom Theravāda zum Vajrayāna. 1932 und

104

Nietzsche, Friedrich. 1999 [1887]. Zur Genealogie der Moral. In: Giorgio Colli, Mazzino Montinari: Kritische Studienausgabe. Band 5. Berlin.

rösing, Ina. 2006. Shamanic Trance and Amnesia: With the Shamans of the Changpa No-mads in Ladakhi Changthang. New Delhi, 212-225.

Schäfer, Ernst. 1933. Berge, Buddhas und Bären: Forschung und Jagd im geheimnisvollen Tibet. Berlin.

Schäfer, Ernst. 1950. Fest der weißen Schleier: Eine Forscherfahrt durch Tibet nach Lhasa, der heiligen Stadt des Gottkönigtums. Braunschweig.

Schäfer, Ernst. 1952. Unter Räubern in Tibet: Gefahren und Freuden eines Forscherlebens. Braunschweig.

Schuh, Dieter. 1979. Bericht über die filmische Dokumentation einer tibetischen Orakel-Séance. Zentralasiatische Studien, 13, 511-533

Schüttler, Günther. 1971. Die letzten tibetischen Orakelpriester: Psychiatrisch-neurologi-sche Aspekte. Wiesbaden.

Vollmer, thomas. 2009. Das Heilige und das Opfer: Zur Soziologie religiöser Heilslehre, (Gewalt)losigkeit und Gemeinschaftsbildung. Wiesbaden.

Zotz, Birgit. 2010. Zur europäischen Wahrnehmung von Besessenheitsphänomenen und Orakelwesen in Tibet. Universität Wien.