5
9 format magazine n o 8 mung sowie des Denkens, Fühlens und Handelns er- fasst und begreift. Frühere Erfahrungen werden frei von Vorurteilen miteinbezogen und erweitert. Auch ist die Bereitschaft zum Dazulernen sehr ausgeprägt. Dabei geht es nicht allein um den Umgang mit der fremden, sondern auch um den Umgang mit der eigenen Kultur. Ein differenziertes Verständnis von Kulturen bezieht sich auch auf das Bewusstsein, dass die eigene eben nur eine unter vielen ist und die ei- genen Normen und Werte nicht der einzig richtige Weg sind, sich mit seiner Umwelt auseinanderzu- setzen. Interkulturelle Kompetenz ist demnach nicht eine Fähigkeit, sondern ein ganzes Bündel an Kom- petenzen (s. Tabelle 1), die es einem ermöglichen, adäquat und flexibel auf Situationen zu reagieren, in denen die eigene mit einer anderen Kultur kon- frontiert wird. Bedeutung der interkulturellen Kompetenz für die Polizeiarbeit Im Rahmen einer Forschungsarbeit an der Zür- cher Hochschule für angewandte Wissenschaf- ten (ZHAW) wurde eine Online-Umfrage zu die- sem Thema durchgeführt, welche von über 500 Polizisten/-innen aus der ganzen deutschsprachigen Schweiz vollständig ausgefüllt wurde (Hirt, 2012). Mehr als die Hälfte antwortete, dass 50–70 % aller Personen, mit welchen sie beruflich regelmässig zu tun haben, aus einem anderen Kulturkreis kommen als sie selbst. 64 % der Befragten denken, dass inter- kulturelle Kompetenzen für ihre Arbeit als Polizist/ -in wichtig oder sogar sehr bedeutend sind. Interkulturelle Kompetenzen sind demnach un- verzichtbar und finden ihre Anwendung in allerlei unterschiedlichen Situationen. Sie werden als Teil der Professionalität von Polizisten/-innen erwar- tet. Wissen über andere Kulturen hilft diesen, ihre Arbeit zu erledigen, schneller an benötigte Infor- Interkulturelle Kompetenz ist die Fähigkeit, mit Einzel- personen und Gruppen anderer Kulturkreise angemes- sen und erfolgreich zu interagieren und einen beidseitig zufriedenstellenden Umgang miteinander zu finden. Durch die fortschreitende Globalisierung nehmen die Interaktionen zwischen Menschen aus unterschied- lichen Kulturen immer mehr zu. Dies ist insbesonde- re auch bei der Polizei der Fall: Schweizer Polizisten/ -innen haben in ihrem Berufsalltag immer häufiger mit Personen aus fremden Kulturen zu tun. Um diese Herausforderungen im Berufsalltag erfolgreich meis- tern zu können, sind interkulturelle Kompetenzen für Polizisten/-innen deshalb besonders wichtig. Aufbau- end auf einer Studie an der Zürcher Hochschule für an- gewandte Wissenschaften (ZHAW) mit 500 Polizisten/ -innen legt der Artikel dar, was unter interkultureller Kompetenz zu verstehen ist, geht auf deren Bedeutung für die Polizeiarbeit ein und zeigt auf, was bei der Schu- lung im Allgemeinen zu beachten ist und wie diese kon- kret an der Polizeischule Ostschweiz umgesetzt wird. Interkulturelle Kompetenz in der Polizeiarbeit Erkenntnisse und Ausbildung im Ostschweizer Polizeikonkordat Roland Hemmi Stadtpolizei Chur, Kommandant Stellvertreter Begriffsbestimmung Unter interkultureller Kompetenz wird die Fähigkeit verstanden, mit Einzelpersonen und Gruppen ande- rer Kulturkreise angemessen und erfolgreich zu in- teragieren und einen beidseitig zufriedenstellenden Umgang miteinander zu finden (Hirt, 2012). Diese Fä- higkeit kann schon in jungen Jahren vorhanden sein, aber auch entwickelt und gefördert werden, was als interkulturelles Lernen bezeichnet wird. Die Basis für erfolgreiche interkulturelle Kommunikation ist emoti- onale Kompetenz und interkulturelle Sensibilität. Interkulturell kompetent ist eine Person, die bei der Zusammenarbeit mit Menschen aus ihr fremden Kulturen deren spezifische Konzepte der Wahrneh- INTERKULTURELLE KOMPETENZ IN DER POLIZEIARBEIT

Interkulturelle Kompetenz in der Polizeiarbeit...Interkulturelle Kompetenz ist demnach nicht eine Fähigkeit, sondern ein ganzes Bündel an Kom-petenzen (s. Tabelle 1), die es einem

  • Upload
    others

  • View
    3

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

9format magazine no 8

mung sowie des Denkens, Fühlens und Handelns er-

fasst und begreift. Frühere Erfahrungen werden frei

von Vorurteilen miteinbezogen und erweitert. Auch

ist die Bereitschaft zum Dazulernen sehr ausgeprägt.

Dabei geht es nicht allein um den Umgang mit

der fremden, sondern auch um den Umgang mit der

eigenen Kultur. Ein differenziertes Verständnis von

Kulturen bezieht sich auch auf das Bewusstsein, dass

die eigene eben nur eine unter vielen ist und die ei-

genen Normen und Werte nicht der einzig richtige

Weg sind, sich mit seiner Umwelt auseinanderzu-

setzen. Interkulturelle Kompetenz ist demnach nicht

eine Fähigkeit, sondern ein ganzes Bündel an Kom-

petenzen (s. Tabelle 1), die es einem ermöglichen,

adäquat und flexibel auf Situationen zu reagieren,

in denen die eigene mit einer anderen Kultur kon-

frontiert wird.

Bedeutung der interkulturellen Kompetenz für

die Polizeiarbeit

Im Rahmen einer Forschungsarbeit an der Zür-

cher Hochschule für angewandte Wissenschaf-

ten (ZHAW) wurde eine Online-Umfrage zu die-

sem Thema durchgeführt, welche von über 500

Polizisten/-innen aus der ganzen deutschsprachigen

Schweiz vollständig ausgefüllt wurde (Hirt, 2012).

Mehr als die Hälfte antwortete, dass 50–70 % aller

Personen, mit welchen sie beruflich regelmässig zu

tun haben, aus einem anderen Kulturkreis kommen

als sie selbst. 64 % der Befragten denken, dass inter-

kulturelle Kompetenzen für ihre Arbeit als Polizist/

-in wichtig oder sogar sehr bedeutend sind.

Interkulturelle Kompetenzen sind demnach un-

verzichtbar und finden ihre Anwendung in allerlei

unterschiedlichen Situationen. Sie werden als Teil

der Professionalität von Polizisten/-innen erwar-

tet. Wissen über andere Kulturen hilft diesen, ihre

Arbeit zu erledigen, schneller an benötigte Infor-

Interkulturelle Kompetenz ist die Fähigkeit, mit Einzel-

personen und Gruppen anderer Kulturkreise angemes-

sen und erfolgreich zu interagieren und einen beidseitig

zufriedenstellenden Umgang miteinander zu finden.

Durch die fortschreitende Globalisierung nehmen die

Interaktionen zwischen Menschen aus unterschied-

lichen Kulturen immer mehr zu. Dies ist insbesonde-

re auch bei der Polizei der Fall: Schweizer Polizisten/

-innen haben in ihrem Berufsalltag immer häufiger

mit Personen aus fremden Kulturen zu tun. Um diese

Herausforderungen im Berufsalltag erfolgreich meis-

tern zu können, sind interkulturelle Kompetenzen für

Polizisten/-innen deshalb besonders wichtig. Aufbau-

end auf einer Studie an der Zürcher Hochschule für an-

gewandte Wissenschaften (ZHAW) mit 500 Polizisten/

-innen legt der Artikel dar, was unter interkultureller

Kompetenz zu verstehen ist, geht auf deren Bedeutung

für die Polizeiarbeit ein und zeigt auf, was bei der Schu-

lung im Allgemeinen zu beachten ist und wie diese kon-

kret an der Polizeischule Ostschweiz umgesetzt wird.

Interkulturelle Kompetenz in der PolizeiarbeitErkenntnisse und Ausbildung im Ostschweizer Polizeikonkordat

Roland Hemmi

Stadtpolizei Chur, Kommandant Stellvertreter

Begriffsbestimmung

Unter interkultureller Kompetenz wird die Fähigkeit

verstanden, mit Einzelpersonen und Gruppen ande-

rer Kulturkreise angemessen und erfolgreich zu in-

teragieren und einen beidseitig zufriedenstellenden

Umgang miteinander zu finden (Hirt, 2012). Diese Fä-

higkeit kann schon in jungen Jahren vorhanden sein,

aber auch entwickelt und gefördert werden, was als

interkulturelles Lernen bezeichnet wird. Die Basis für

erfolgreiche interkulturelle Kommunikation ist emoti-

onale Kompetenz und interkulturelle Sensibilität.

Interkulturell kompetent ist eine Person, die bei

der Zusammenarbeit mit Menschen aus ihr fremden

Kulturen deren spezifische Konzepte der Wahrneh-

INTERKULTURELLE KOMPETENZ IN DER POLIZEIARBEIT

10 format magazine no 8

INTERKULTURELLE KOMPETENZ IN DER POLIZEIARBEIT

mationen zu kommen und kann zu ihrer Sicher-

heit beitragen. Die grosse Herausforderung hier-

bei besteht darin, dass sie dennoch ihrer Rolle und

Aufgabe als Ordnungsbehörde gerecht werden.

Bei Interaktionen mit Menschen aus anderen

Kulturen ist es nicht nur hilfreich, sondern mitunter

auch unverzichtbar, zu verstehen, weshalb sie sich

in bestimmten Situatio-

nen anders verhalten als

Angehörige unseres Kul-

turkreises. Menschliche

Wahrnehmungs- und

Verhaltensmuster sind

kulturell verankert, ext-

rem vielfältig und je nach

Kultur anders. Aus der eigenen Sicht verhält sich das

Gegenüber aus einer anderen Kultur oft nicht rational,

nicht «normal». Umso wichtiger ist es, dass Polizisten/

-innen über ein Repertoire an interkulturellen Deu-

tungs- und Verhaltensmustern verfügen, auf das sie in

entsprechenden Interaktionen zurückgreifen können.

Es geht bei der interkulturellen Kompetenz nicht

darum, jede kulturelle Eigenheit eines Landes zu

kennen, doch sind Kenntnisse zu den wesentlichsten

Kommunikations- und Interaktionsformen eine gute

Orientierungshilfe bei der täglichen Arbeit. Insbe-

sondere, wenn im eigenen Einsatzgebiet bestimmte

Nationalitäten oder ethnische Gruppen überpro-

portional vertreten sind, ist es unabdingbar, sich mit

deren Kultur auseinanderzusetzen (s. z.B. Leenen et

al., 2005).1

Polizisten/-innen tendieren genauso zur Bildung

von Vorurteilen und Stereotypen wie andere Men-

schen auch. Aufgrund ihrer Tätigkeit sind sie jedoch

mehr zu Neutralität verpflichtet. Sie müssen folglich

einen Weg finden, eventuell vorhandene Vorurteile

oder Stereotype nicht handlungswirksam werden zu

lassen. Dazu gibt es einige Strategien, die Polizisten/

-innen in kritischen Situationen helfen können.

Grundsätzlich sind zwei Stufen polizeilichen Ein-

schreitens zu unterscheiden: der normale Alltagskon-

takt und die Konfliktsituation. Beim Alltagskontakt,

also in Situationen, in denen der Betroffene keine per-

sönlichen Konsequenzen zu befürchten hat, bezieht

sich die interkulturelle Kompetenz auf den normalen

zwischenmenschlichen Umgang und hat zum Ziel,

Missverständnisse zu vermeiden. In der Konfliktsitu-

ation hingegen müssen gegebenenfalls Massnahmen

getroffen werden, die dem Willen des Betroffenen

widersprechen, woraus sich verschiedene Probleme

ergeben können. Eine solche Situation bedeutet Stress

für alle Beteiligten und mit zunehmendem Stresslevel

fallen rationale Überlegungen schwerer. So können

Reaktionen, die aufgrund unterschiedlicher kultureller

Hintergründe vielleicht anders als gewohnt ausfallen,

von beiden Seiten schwerer eingeschätzt werden. Da

die emotionale Beteiligung oft hoch ist, dominieren

zudem (auf beiden Seiten) häufig Ängste und Bedro-

hungsgefühle.

Interkulturelle Kompetenz schulen – aber wie?

Stellen Sie sich vor, Sie wären ein begabter Musi-

ker und planen, am Abend in der Altstadt mit einem

Strassenkonzert ein paar Franken zu verdienen. Wie

bringen Sie möglichst viele Personen dazu, Geld in

Ihren Hut zu werfen? So ähnlich gestaltet sich die

Ausgangslage, wenn Sie eine Schulung zur Stär-

Polizisten/-innen tendieren genauso zur Bildung von Vorur-

teilen und Stereotypen wie andere Menschen auch. Aufgrund ihrer

Tätigkeit sind sie jedoch mehr zu Neutralität verpflichtet.

Persönliche Kompetenzen

Soziale Kompetenzen

Kulturallgemeine Kompetenzen

Kulturspezifische Kompetenzen

Belastbarkeit Differenzierte und realisti-sche Selbstwahrnehmung und -einschätzung

Bewusstsein, dass das menschliche Denken und Handeln generell von Kultur abhängig ist

Sprachkompetenz

Unsicherheitstoleranz Fähigkeit, verschiedene As-pekte der eigenen Persönlich-keit flexibel einzusetzen

Fähigkeit zur interkulturellen Kommunikation

Interkulturelle Vorerfahrungen

Gedankliche Flexibilität Fähigkeit, andere Perspekti-ven einzunehmen

Vertrautheit mit Akkultura-tionsvorgängen

Spezielles Wissen zur Interpre-tation von Verhaltensweisen

Offenheit für Erfahrungen

Tabelle 1: Kompetenzen mit interkultureller Relevanz (nach HfPolBW 2016)

1 Prof. Dr. Wolf Rainer Leenen war unter anderem Leiter des For-schungsschwerpunktes und der Kompetenzplattform «Migration, Interkulturelle Bildung und Organisationsentwicklung» an der FH-Köln. Heute ist er 1. Vorsitzender des Kölner Instituts für in-terkulturelle Kompetenz (KIIK).

11format magazine no 8

INTERKULTURELLE KOMPETENZ IN DER POLIZEIARBEIT

kung der interkulturellen Kompetenz von Polizisten/

-innen planen. Wie können Sie erwirken, dass sich

am Schluss der Ausbildung möglichst viele Mitarbei-

tende bei interkulturellen Begegnungen möglichst

kompetent verhalten?

Wirkungsfaktor «Information»

Eine weit verbreitete Annahme lautet, dass zusätzli-

ches Wissen bei Menschen zu einer Verhaltensände-

rung führt. Wir gehen davon aus, dass Polizisten/-innen

durch Informationen zu anderen Kulturen sensibilisiert

werden, sich in einem entscheidenden Moment an

diese Informationen erinnern und sich dadurch kul-

turell kompetent verhalten (beispielsweise, indem sie

den Stressfaktor «Fasten» erkennen und in ihre opera-

tive Tätigkeit miteinbeziehen). Die Wirkungsforschung

zeigt aber, dass reine Informationsvermittlung für eine

Verhaltensänderung lediglich eine untergeordnete Rol-

le spielt (Leenen et al., 2005). Oft kann man im ent-

scheidenden Moment nicht anwenden, was man in

der Theorie eigentlich weiss.

Wirkungsfaktor «Einstellung»

Eine weitere Annahme lautet, dass Menschen ihr Ver-

halten ändern, wenn es gelingt, ihre Einstellung zu än-

dern. Im konkreten Fall würde dies bedeuten, dass in-

terkulturell kompetente Handlungen wahrscheinlicher

sind, je offener die Haltung einer Person gegenüber

anderen Kulturen ist. In diesem Sinn wäre beispiels-

weise der Austausch zwischen der Polizei und Kultur-

vereinen oder Sachverständigen anderer Religionen

zu fördern. Durch direkte Begegnungen wird neben

Wissen auch Verständnis und Empathie gefördert. Da-

durch erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass wäh-

rend eines Polizeieinsatzes die kulturell heiklen Fak-

toren als solche erkannt und berücksichtigt werden.

Die Resultate der Wirkungsforschung deuten

aber darauf hin, dass dieser Zusammenhang eher in

umgekehrter Richtung verläuft. Mit solchen Mass-

nahmen werden am ehesten Personen erreicht, die

schon sensibilisiert sind und aus früheren Erfahrun-

gen bereits eine offene Grundhaltung gegenüber

anderen Kulturen mitbringen (Leenen et al., 2005).

Für die Planung und Gestaltung von Schulungen

zu interkultureller Kompetenz bei Polizisten/-innen

bedeutet dies, dass der grösste Erfolg zu erwarten ist,

wenn die Wirkungsfaktoren praxisbezogen kombi-

niert werden. Konkret werden dazu kulturell sensib-

le Situationen aus dem Polizeialltag identifiziert und

den Lernenden in der Ausbildung ein kompetentes

Verhalten demonstriert. Nach Möglichkeit lässt man

sie dies anhand von Simulationen oder praktischen

Beispielen auch selbst erleben. Der Einsatz von

Demonstrationsvideos kann deshalb ein wirksames

Schulungsmedium sein. Es erübrigt sich auch der

Anspruch, dass sämtliche Mitarbeitende eine ent-

sprechende Weiterbildung durchlaufen müssen, da

der sogenannte role mo-

del effect (Vorbildfunk-

tion) durchaus greifen

kann. Der Effekt sorgt

dafür, dass die Schulung

von Schlüsselpersonen

aus relevanten Einheiten

als role models automa-

tisch zu einer Verbreitung kompetenter Handlungen

beiträgt. Einen Kernpunkt in der Ausbildung bilden

sicherlich die Vorgesetzten aller Stufen (Leenen et

al., 2005).

Was können Sie also tun, wenn Sie heute Abend

in den Strassen musizieren? Den grössten Erfolg ha-

ben Sie vermutlich, wenn Sie einen Kollegen anstel-

len, der ab und zu ein paar Geldstücke in Ihren Hut

wirft. Es ist umso wahrscheinlicher, dass ein fremder

Gast Geld aus seiner eigenen Tasche nimmt, je öfter

jemand anders vor ihm demonstriert hat, dass dies

ein erwünschtes Vorgehen ist (Stamm, 2017).

Interkulturelle Kompetenz an der Polizeischule

Ostschweiz

Wenn nun also interkulturelle Kompetenzen für die

Polizeiarbeit so bedeutend sind, wie steht es aktuell

um diese Kompetenzen bei Schweizer Polizisten/

-innen? Die Umfrage an der ZHAW hat ergeben,

dass die subjektive Wahrnehmung der Polizisten/

-innen bezüglich ihrer interkulturellen Kompetenz

sich folgendermassen präsentiert: 7.9 % der Be-

fragten halten ihre interkulturellen Kompetenzen

für «schlecht» oder «sehr schlecht». 44.2 % haben

geantwortet, dass sie ihre eigenen interkulturellen

Kompetenzen als «neutral» einschätzen würden und

weitere 47.9 % halten ihre Kompetenzen in diesem

Bereich sogar für «gut» bis «sehr gut» (Hirt, 2012).

Im Herbst 2006 startete die Eidgenössische Kom-

mission gegen Rassismus (EKR) eine Initiative, um

Polizeikorps und Ausbildungsstätten der Polizei dafür

zu gewinnen, die Thematik «interkulturelle Konflikte

und Rassismus» in ihre Grundausbildungen und Wei-

Der [role model effect] sorgt dafür, dass die Schulung von Schlüsselpersonen aus relevanten Einheiten [...] zu einer Verbrei-tung kompetenter Handlungen beiträgt.

12 format magazine no 8

INTERKULTURELLE KOMPETENZ IN DER POLIZEIARBEIT

terbildungen aufzunehmen (EKR, 2007). Die EKR ver-

wies dabei auf die positiven Erfahrungen, welche das

Schweizerische Ausbildungszentrum für Strafvollzug

in einer entsprechenden Weiterbildung im Jahr 2006

in Zusammenarbeit mit dem Kompetenzzentrum für

interkulturelle Konflikte (TikK) gemacht hatte.

Im August 2008 wurden zu diesem Thema an der

Polizeischule Ostschweiz mit den Schülern/-innen des

Lehrgangs 2007/2008 Workshops durchgeführt, in de-

ren Rahmen klar wurde, dass ein von anderen Unter-

richtseinheiten isoliertes Modul «Interkulturelle Kom-

petenz in der Polizeiarbeit» nicht sinnvoll war. Zudem

wurde die Thematik im be-

stehenden Lehrplan in den

Fächern «Menschenrecht/

Ethik», «Community Poli-

cing», «Häusliche Gewalt»

und «Psychologie» bereits

ansatzweise behandelt.

Um eine klare thematische

Ausrichtung und Botschaft

vermitteln und unnötige Doppelspurigkeiten vermei-

den zu können, war jedoch eine fächerübergreifende

Implementierung des Themas notwendig.

Als thematische Orientierung diente dem Pro-

jektteam das Modell «Interkulturelle Kompetenz

in der Polizeiarbeit» des TikK (s. Grafik 1). Diese

Fachorganisation wurde als externe Begleiterin im

Projektteam aufgenommen. Während des gesamten

Prozesses der thematischen Aufarbeitung und Ent-

wicklung des Unterrichtsstoffs wurde ausserdem ein

enger Kontakt zur Fachstelle für Rassismusbekämp-

fung des Bundes gepflegt und periodisch in einem

Reporting die geplante Zielausrichtung abgeglichen.

Auf der Grundlage der zuvor genannten Wir-

kungsfaktoren und des Modells der interkulturellen

Kompetenz des TikK wurden die Lektionen an der

Polizeischule Ostschweiz aufgebaut. Aktuell umfasst

das Fach «Interkulturelle Kompetenz» insgesamt

18 Lektionen, welche fixer Bestandteil der Unter-

richtsplanung sind. Der Unterricht wird durch zwei

Polizeioffiziere des Ostschweizer Polizeikonkordats

vermittelt. Beide haben bei der Konzeptentwick-

lung mitgearbeitet und unterrichten das Fach seit

2008. Das TikK, welches ebenfalls bei der Konzept-

entwicklung mitgewirkt hat und in früheren Jahren

auch selbst an der Polizeischule unterrichtete, stellt

seine Organisation in einer Unterrichtseinheit per-

sönlich vor. Im Rahmen des Unterrichts findet auch

ein Besuch einer Moscheegemeinde statt. Das Fach

hat im Rahmen der Berufsprüfung zu den Fächern

«Community Policing», «Menschenrecht/Ethik» oder

«Häusliche Gewalt» wichtige Schnittstellen.

2016 liessen sich die politischen Vorgesetzten,

die Sicherheitsdirektoren/-innen der Ostschweiz

sowie die Kommandanten des Ostschweizer Poli-

zeikonkordats anlässlich des Unterrichtsbesuchs der

Schulklassen bei einer Moscheegemeinde durch

den Fächerchef 1:1 über die Ausbildung informieren.

Mit ihrem Besuch, aber auch mit den getätigten Aus-

sagen haben sie die Wichtigkeit dieser Ausbildungs-

thematik klar untermauert.

Um eine klare thematische Ausrichtung und Botschaft

vermitteln und unnötige Dop-pelspurigkeiten vermeiden zu können, war [...] eine fächer-

übergreifende Implementierung des Themas notwendig.

?

Orientierung zu:• Migration• Schweiz und Zuwanderung• Herkunftsländern• Kultur, Interkultur, Religionen, Rassismus• Gesetzlichen Grundlagen

Sozialkompetenzen:• Ich reflektiere…• Ich suche den Faden zum Gegenüber.• Ich nehme die Intimgrenze des Gegenübers wahr und überschreite sie nicht.

Handlungskompetenzen:• Wie reagiere ich, wenn der Vorwurf an mich oder meine Arbeitskollegen/-innen gemacht wird, wir seien Rassisten?• Was mache ich, wenn ich in meiner Organisation Rassismus feststelle?

Handlungskompetenzen:• Wie gehe ich mit unerwartetem Verhalten der Klientel um?• Wie kann ich meinen Auftrag wahrnehmen, wenn die Kommunikation mit der Klientel wegen sprachlicher Schwierigkeiten erschwert oder unmöglich ist?

Grafik 1: Interkulturelle Kompetenz in der Polizeiarbeit, Modell des TikK

13format magazine no 8

INTERKULTURELLE KOMPETENZ IN DER POLIZEIARBEIT

Ab dem Lehrgang 2018/2019 steht dem Instrukto-

renteam erstmals ein neues Script/Lehrmittel zur Ver-

fügung, welches durch die Fachlehrer und das TikK

in Zusammenarbeit mit der Polizeischule Ostschweiz

entwickelt wurde. Das neue Lehrmittel wurde vorgän-

gig der Konferenz der Ostschweizer Polizeikomman-

danten vorgestellt. Diese haben ihre Überzeugung

der Wichtigkeit dieser Ausbildung an der Polizeischu-

le Ostschweiz mit der Auftragserteilung für die Erstel-

lung dieses Lehrmittels klar zum Ausdruck gebracht.

Dies ist ein Meilenstein in der Ausbildung der

interkulturellen Kompetenz im regionalen Ausbil-

dungszentrum des Ostschweizer Polizeikonkordats

in Amriswil. Anzumerken gilt noch, dass die Bundes-

fachstelle für Rassismusbekämpfung (FRB) jährlich

mittels eines Berichts der Polizeischule Ostschweiz

über die in der Ausbildung behandelten Themen in-

formiert wird. Auch dies soll zur Qualitätssicherung

in dieser Thematik beitragen.

Literatur

Eidgenössische Kommission gegen Rassismus [EKR] (2007), Jahresbericht 2006 Eidgenössische Kommission gegen Rassismus, Bern: EKR.Hirt, Thomas (2012), Culture Training in Law Enforcement, Bachelorarbeit, Zürich: ZHAW.Hochschule für Polizei Baden-Württemberg [HfPolBW] (2016). Institut für Ausbildung und Training Biberach, «Umgang mit

RiassuntoLe competenze interculturali nel lavoro di polizia

La competenza interculturale è la capacità di intera-

gire in modo adeguato con singole persone e singoli

gruppi provenienti da altre culture e di instaurare un

rapporto soddisfacente tra le parti. La crescente glo-

balizzazione favorisce l’incremento delle interazioni

tra persone provenienti da diverse sfere culturali.

Questo riguarda in particolare anche la polizia: nel

loro lavoro quotidiano, gli agenti di polizia svizze-

ri interagiscono sempre di più con persone prove-

nienti da culture straniere. Per poter superare que-

ste sfide quotidiane, è fondamentale che gli agenti

di polizia dispongano di competenze interculturali.

Basandosi su uno studio svolto dalla Zürcher Ho-

chschule für angewandte Wissenschaften (ZHAW)

che ha coinvolto 500 agenti di polizia, l’articolo

si propone di mostrare cosa si intende con com-

petenza interculturale, approfondisce il significato

di questo concetto per il lavoro svolto dalla po-

lizia e illustra gli aspetti da considerare nella for-

mazione in generale e come metterli in pratica

presso la scuola di polizia della Svizzera orientale.

ausländischen Mitbürgern und Asylbewerbern», Lerndokumentation Psychologie, Villingen-Schwenningen: HfPolBW.Leenen, Wolf Rainer, Harald Grosch, Andreas Gross (Hrsg.) (2005), Bausteine zur interkulturellen Qualifizierung der Polizei, Münster: Waxmann.Stamm Sybille (2017), Newsletter Perspektiven Migration. Verfügbar: www.markmoser.ch/newsletter/ (Zugriff am 10.01.2019).

RésuméLes compétences interculturelles dans le travail

de la police

Les compétences interculturelles représentent l’apti-

tude à interagir avec des individus et des groupes de

personnes issus d’autres cultures de manière à parvenir

à une entente qui soit satisfaisante pour les deux parties.

La mondialisation croissante entraîne une intensifica-

tion des interactions entre personnes de cultures diffé-

rentes. Cela se répercute notamment sur le travail de la

police. En effet, les policiers·ières suisses ont toujours

plus à faire à des personnes de tous horizons culturels.

D’où l’importance pour les policiers·ières de

savoir déployer des compétences interculturelles

au cours de leurs missions quotidiennes. Repre-

nant une étude sur 500 policiers·ières menée au-

près de la Haute école des sciences appliquées

de Zurich (ZHAW), l’article offre une définition

des compétences interculturelles. Il se penche,

par ailleurs, sur son importance pour le travail de

la police, sur les aspects à observer en matière de

formation et sur l’enseignement concrètement dis-

pensé à l’École de police de Suisse orientale.