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Ûber die Entwickehmg des Gorgonen-Ideals in der Poesie und bildenden Kunst der Allen. Eine archaologische Abhandlung gclesen in der Kôniglichen Akademie der Wissenschaften zu Berlin am 12. April, 15. November, 6. December 1832 und 25. April 1833 von Dr. KONRAD LEVEZOW, Direktor des Anliquariums im Konigl. Muséum, Professer der Alterthumskunde und Mythologie an der Konigl. Akademie der KUnste, Ritter des rolhen Adlerordens 3. Klasse, ordentlichem Mitgliede der Konigl. Akademie der Wissenschaften, Ehrenmitgliede der Konigl. Akademie der Kunste zu Berlin u.s.w. Mit fiinf Kupfertafeln. IVWIVVVVVVV l / VVM i VVM / VVVI Berlin. Gedruckt in der Druckerei der Kôniglichen Akademie der Wissenschaften. 1833.

in der Poesie und bildenden Kunst der Allen. · 2014-02-21 · in der Poesie und bildenden Kunst der ylllen7 . Die nàhere Betrachtung und Wurdigung der ausgezeichneteste Werke n

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Ûber die

E n t w i c k e h m g d e s G o r g o n e n - I d e a l s

in der

Poesie und bildenden Kunst der Allen.

Eine archaologische Abhandlung

gclesen

in der Kônigl ichen Akademie der Wissenschaften zu Berl in am 12. April, 15. November, 6. December 1832 und 25. April 1833

von

Dr. K O N R A D L E V E Z O W , Direktor des Anliquariums im Konigl. Muséum, Professer der Alterthumskunde und Mythologie

an der Konigl. Akademie der KUnste, Ritter des rolhen Adlerordens 3. Klasse, ordentlichem Mitgliede der Konigl. Akademie der Wissenschaften, Ehrenmitgliede der Konigl. Akademie

der Kunste zu Berlin u.s.w.

Mit fiinf Kupfertafeln. IVWIVVVVVVVl/VVMiVVM/VVVI

Ber l in . Gedruckt in der Druckerei der Kôniglichen Akademie

der Wissenschaften.

1833.

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Uber

die Entwickelung des Gorgonen - Ideals in der Poesie und Mldenden Runst der Alten.

iWMWWaVMiWVt

allein noch in den Heroensagen vom argivischen Perseus tritt an das fri ihere Lic l i t hellenischer Dichtung lebend die dreifache Sehreekgestalt der G o r g o n e n S theno , Eurya le und Medusa, aus der uralten D a m m e r u n g jenes fernen West landes hervor, welches W o l m o r t und Schauplatz fast ailes Rath-selhaften, Dunk len und Ungehenren geworden war, was die furchterregte, rohere Phantas ie des friihesten Griecben auf mebr als einem W e g e empfan-gen, oder selbsterzeugt nnd gestaltet batte. Aber mit dem Untergange ibrer sterbl icben Schwester Medusa und der fruchtlosen Verfolgung deren Môrders sinken sie fast eben so scbnell wieder im Verlauf der mythischen Gescbicbte in das wirkungslose Dunkel der Yergessenbeit zurxick, aus welchem sie auf-gestiegen waren, nacbdem sie ibren Zweck erfiillt hatten, abentbeuerl icbe Gegenstânde zur Verherrl icbung des R n b m s eines der grofsten helleniscben Nazionalhei-oen zu werden. Nur das furcl itbare, yersteinernde Hanpt Me-dusens aufserte in der Mythe allein nocli in Verwandelung des Atlas , in der Befre iung Andromèdes , in der Yersteinerung des Pbineus , des Polydektes und dessen F r e u n d e und in der Niederlage des Bacchischen Heeres seine verderbl iche W i r k u n g , dauerte dann am Scbi lde nnd Brustharnische der gôttl ichen Pal la s Atbene ein Werkzeug unvermeidl ichen Unterganges und ein Scbreckb i ld unentrinnbaren Todes fort und trug sich von da aus, doeh nur symbol i sch und amuletisch, auf Gebâude , W a f f e n , Riistzeug und ande-res Geriithe der fruheren und spàteren Zeit uber . D a s eigene leere Schat-tenbild des getôdteten gorgonischen Unholds wandelte allein fur T o d t e und L e b e n d e furchtbar und sebreckend im Tartarus , oder bausete sammt den

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4 LEVEZOW iiber die Entwickelung des Gorgoiien-Tdcals

Schwestern mit den iibi-igen Ungeheuern der Yorzcit dort an der P for te der Plutonischen W o h n u n g . N u r in dem ungeheuern Chrysaor und dem Enke l Geryon , noch wirksamer jedoch in dein Fl i ïgelrosse Pegasus , den blutigen Geburten Medusens im Moment ihres Todes , lebte ihr ràthselhaftes Geschlecht in der hellenischen Mythe fort und gesellte sich wunderbar genug durch das letzte zunachst den Olympischen Bewohnern und den ihnen befreundeten Heroen zu. ( ' )

Da f s in der Urzeit des hellenischen Volkes eine rohere Phantas ie von Unwissenheit , Furcht und Abei-glauben bewegt auch diese schreckenerre-genden dâmonischen Ungeheuer , wie so vicie andere ihnen ahnliche, er-zeugte, ist nicht zu vervvundern; eben so wenig, dafs , wovon die Beweise in Sehri f t und Kuns t deutlich vor Augen liegen, die noch ungelenke H a n d der fruhesten Bi ldner sic, jenen Geburten der Phantas ie gemiifs, ins plasti-sche L e b e n ubertrug und zur furchtbaren, leiblichen Anschauung brachte . Aber mit Recht zu bewundern ist es, wie der ailes verschonernde Geist der Gxiechen auch dieser uralten, greuelvollen Gestalt ein Idéal hoher jungfràu-licher Schonheit , selbst im traurigsten Momente gewaltsamen Verscheidens abzugewinnen verstand, welches, ohne die Spuren der fruhesten, roheren Charakterist ik der ihm zum Grunde liegenden, eigenthiimlichen Idee ganz zu entbehren, dein Beschauer doch nur ein sehr gemildertes , ja selbst mit Thei lnahme und Mitleid gemischtes Grauen einilofst, welches gleichsam in tragischen Anklangen durch den Schleier der Schonheit dringend, worin sich das furchtbare Urwesen gehùl l t , sich uaserer E m p f m d u n g zu bemeistern strebt. Wahr l ich , wenn es noch irgend eines Zeugnisses bedur f te , um zu beweisen, welch ein fortwirkendes Streben nach Y e r v o l l k o m m n u n g der idea-lischen Gestal ten, ja nach zulâssiger und môglichster Yer schonerung selbst an sich in der Idee widerwàrtiger, schcufslicher Gegenstiinde in den Kuns t -

( ' ) M. s. vornehmlich bel den Alten: I l e s i o d u s Tlieogon. Y. 270 - 288. und Schild des Herkul. V. 216-237. — H ο mer Odyss. Ges. XI. v. 633, 634. vrgl. mit Y i r g i l Aen. YI.289; — den Scholiast. des Apollonius zu Argon. IV, 1515. — A p o l l o d o r myth. Bibl. II ,4.folgd. vrgl. mit l l e y n e Observât, ad h. I. und O v i d i u s Metam. IV.771. bis zu Ende und Anfang des V. Buchs. P-ausan. II. c. 20,23. vrgl. mit N o n n i Dionysiaca L . 47, y. 585. folgd. Die Ûbersicht iiber den ganzen Mytlios und die verscliiedenen Versuclie ihn zu erklaren bis auf seine Zeit, bat sclion M a s s i e u gegeben in der Dissertation sur les Gorgones. Tom.III . der Ilisl. (le l'Acad. des Inscriptions S. 51 -84 .

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vorstellungen dem griecliisclien Geiste inwohnte und von den gliïcklichsten Erfolgen begiinstigt ward ; so mufste das Beispiel von der Ausbi ldung des Gorgonen-Idea l s in der hôchsten Spitze desselben, dem Antlitze Medusens , unstreitig das glânzendste und entscheidendste sein.

Wenn es nun gleieli nach so viel andern Beweisen, welche uns die Denkmâler griechischer Kuns t aus den versehiedenen Per ioden ihrer Ge-schichte gewahren, fur jene allgemein anerkannte Wahrheit keines neuen Zeugnisses mehr bedarf ; so bleibt es dennoch immer im hohen Grade anzie-hend und lehrreieh an einem besonders furchtbaren und in seiner rohen CJr-idee auch der entferntesten Annâherung an den Begr i f f der Schônheit auf das entschiedenste widerstrebenden Gegenstande den allmâligen Gang zu verfolgen, welchen die griecliiscbe Kuns t in Ausbi ldung desselben von den ersten rohen Anfângen bis zur hochst moglichen Yol lendung und Verschô-nerung der Gestalt und ihrer einzelnen Ziige nahm. U n d je seltener iiber-diefs die Monumente des Alterthums aus den frûhesten Per ioden der K u n s t zu sein pilegen, die sich in noch vorhandenen, abstufenden Mittelgliedern endlich glucklich an die vollendeteren Gestalten der schônern Per ioden als âufserste Glieder einer langen Kette anschliefsen, aus welchen uns, iin sel-tensten Fal le , Originalwerke guter Meister, oder gewôhnlicher, nur spatere Nachahmungen derselben von der Hand geschickter Ivopisten iibrig geblie-ben sind, desto mehr wird es Pilicht, da, wo sie vorhanden, dieselben als Thatsachen fur die Geschichte der Kunst und des Kunstlergenies zu sam-meln, zu ordnen und in genauere, vergleichende Betrachtung zu ziehen.

D e r neuesten, an Entdeekung alter Kunstdenkmàler so reiclien Zeit war es vorbehalten, auch zum Besitz einer so betrâchllichen Zahl alter Mo-numente zu gelangen, welche zwar in vielen Museen zerstreut, dennoch eine Gesammtmasse von Dokumenten ùber Urbeschaffenheit , Entwickelung und Yol lendung des Gorgonenideals in der griechischen K u n s t bi lden, aus wel-chen eine Geschichte desselben gegenwiirtig auf das vollstandigste entworfen werden kann. J a selbst das hiesige Antiquarium des Ivoniglichen Muséums ist durch die hohe Munifizenz seines erhabenen Stifters so glucklich in dem Reickthum seiner alten Kunstwerke eine sehr betrâchtliche Zahl von Denk-màlern verschiedener Klassen zu besitzen, welche die schàtzbaren ï h a t s a c h e n zu einer solchen historischen Entwickelung des Ideals der Gorgonen uber-haupt und der Medusa insbesondere zu vervollstândigen helfen.

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6 LEVEZOW iiber die Entwickelung des Gorgoiien-Tdcals

A b e r aile diese uns erhaltenen Denkmaler bestehen nur noch allein in erhobenen Arbciten von gcbranntem T h o n , Stein und Bernstein; in ge-gosscnen und gelriebenen von Meta l l ; ferner in M û n z e n ; erhoben und ver-ticft gesclmittenen Gemmen; endlich in Gemâlden sowohl auf Ka lk , als auf gebrannten Thongefi i f sen ; aile insgesammt aber in zusammengesetzten Dar-stellungen, oder einzelnen Figuren und K o p f e n , letztere meistentheils mas-kenartig behandelt .

Statuen baben sicb niemals gefunden. E s ist auch unwabrscbeinlicb, dafs die Gorgonen von den Alten in Statuen besonders voi-gestellt worden sind. I lochstens môcbte dies mit der Medusa der Fa l l gewesen sein, jedoch nur mit Perseus gruppirt in den Abbi ldungen dieses Heroen. Denn so wird wohl jenes W e r k Myrons zu denken sein, welches Pausanias, aufser einem andern W e r k e dieses Meisters von Erz , auf der Akropol i s zu Athen sah und m i t d e n w e n i g e n W o r t e n a n f u h r t : και Mΰξωνος ΙΙεξτέα τό ες Μεδουταν zoyov

εΐξγατμένον. Wabrscbeinl icb dasse lbe , welches auch Plinius blofs mit fecit et Persea ( 2 ) erwâhnt, und daher wohl ein ausgezeichnetes und be-riihmtes unter den W e r k e n dieses in Heroenbildungen so gliicklichen Kunst-lers war.

J e n e uns verbliebenen Kunstwerke stammen augenscheinlich aus ver-schiedenen Per ioden der Kuns t ; sie sind grôfstentheils von einer Erhaltung, die wenig, oi't nichts zu wiinschen ubrig lafst, und sie daher zu unverfalsch-ten, lehrreichen Dokumenten stempelt , fàhig ein vollig geniigendes Urtheil uber iliren Styl und die Perioden ihrer Erzeugungs-Ideen zu begrïmden. E s lassen sich an ihnen mehrere Stufcnfolgen der sich entwickelnden Gorgo-n e n - I d e e zur klarsten Anschauung bringen, und, indem sich aile uni den Moment der Enthauptung Medusens, wie um cinen gemeinschaftlichen Angel bewegen und entweder darauf vorbereiten, oder ihn selbst darstellen, oder unmittelbar darauf folgen, oder demselben uberhaupt ihre Entstehung ver-danken; so wird man sie am bequemsten in dieser historischen Reihenfolge der Momente , jedes an der Stel le , welcher es angehôrt, abzuhandeln, im Stande sein.

( ' ) L . I . c . 2 3 , 8 .

( " ) II. N. Lib. X X X I V , XIX . 3 ,

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in der Poesie und bi ldenden Kunst der ylllen. 7

D i e nàhere Betrachtung und Wurdigung der ausgezeichnetesten W e r k e nach diesen S lufenfolgen, welche den Gegenstand dieser Abhandlung aus-machen w e r d e n , kann Veranlassung g e b e n , auch ein aufklarendes L icht uber so manche Stel len der alten Dichter, Mythographen und I l istoriker zu verbreiten, welche ohne Anschauung jener bildlichen Monumente schwer-lich ihrem wahren Inhalte nach im Geist des griechischen Alterthums ganz zu verstehen, oder zu beurtheilen sein môchten. S ic wird dazu beitragen, gelegentlich die Bemerkungen anderer Archâologen, wie zunàchst W i n k e l -m a n n s ( ' ) , B o t t i g e r s ( 2 ) und M i l l i n s ( 3 ) zu yervollstandigen und mit ihnen vereinigt eine desto reichere gorgonische Bi lderschau gewahren, welche i iber diesen Gegenstand vielleicht eine nicht selten schon fuhlbare L u c k e in der Anliquitas jigurata auszufullen vermag.

E s bedar f iridessen noch zuvor eines Hinblicks auf den allgemeinen Gang , den die Entwickelung des G o r g o n e n - I d e a l s und dessen Cliarakteristik in den noch auf uns gekommenen schriftlichen, besonders p o e t i s c h e n Denkmalern des Alterthums genommen liât, ehe ich mich den Kunstwerken selber nahere, welchen mehr oder weniger jene Ideen und Schi lderungen der Dichter zuin G r u n d e liegen, oder sic doch veranlafsl haben.

Erster Àbschnitt. Die Entwickelung des Gorgonen-Ideals in der Poesie der Alten. σ D

E s kann hier aber keinesweges die Absicht sein, mich in eine voll-standige Entwickelung des ganzen Umfangs des Mythus yon den Gorgonen in allen seinen \ rerzweigungen, in so fern er mit den selbst so verwickelten Sagen v o m Perseus in genauester Yerbindung stehet, noch in eine genaue Dar legung seiner ursprùnglichen Bedeutung nach den mancherlei Ansichten der Al ten und der Neueren und deren Beurthei lung einzulassen. E s ist dies

( ' ) S . Anmerkungcn ilber die Gescliiclite fier Kunst des Alterthums l .Thl . S. 49. vergl. mit W i n k e l m a n n s Werken B . I Y . Buch5. Kap.2. §.20.

( 2 ) Abhandl. uber die Masken. N. Teut. Merkur 1795. Marz S. 347,348. Die Furienmasken im Trauerspiele und auf den Bildwerken d. a. Griechen; in den Anmerkk. und besonders Exkurs.IV. Gorgonenmasken S. 107-folgd. und Ideen zur Kunstmythologie. Erster Kursus. Note 31.

(3) Galleric mythologique zu Tafel XCV, XCYI, CV. und Peintures des Vases antiques Tom.II. zu Planches III. u. IV., S. 310.

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von mehreren neucren M j l h o l o g e n und Alterthumsforschern, wie mir scheint, hinlânglich, theils mit wenigerem, thcils mit mehrerem E r f o l g e und nicbt seltcn mit Aufwand grofser Gelehrsamkeit und grofsen Scharfs inns geschehen. Der Hauptzweck meiner Untersuchung, die allmalige Entwickelung des G o r -gonen-Idea l s in den noch vorhandenen W e r k e n d e r b i l d e n d e n K u n s t der Alten nachzuweisen, kann micli nur, bei der innigen Wechse lwirkung zwiscben alter Poes ie und Kunst , dazu verpilichten, denselben, in so fern er den angegebenen Gegenstand meiner Untersuchung betr i f f t , aus den wich-tigsten und einflufsreichsten Quel len darzulegen, ohne Ri icks icht zu nehmen auf die mancherlei zerstreuten, oft dunklen Andeutungen, Nebenideen u n d Loka l s agen bei den Alten, welche sich fruher oder spàterhin damit verknupf t haben, aber von gar keiner Einwirkung auf die Ausbi ldung des al lgemeinen Ivunstcharakters gewesen sind. Ich werde mir er lauben, nur da eine Aus-nahme zu machen , wo eine richtigere Ahnung eines Alten oder Neueren melir oder weniger G r u n d und Unterstiitzung in dem, was aus den Kuns t -werken in die Augen springt, finden zu konnen scheint.

Daf s die Ents tehung der Gorgonenidee und ihrer bi ldl ichen Gesta l-tung einer der fi iïhesten und rohesten Per ioden des hellenischen Alterthums angehôre, haben einsichtsvolle Forscher schon lângst anerkannt. Yornehm-lich nicht nur in einer Anmerkung zu F r . A u g. W o l f s Ausgabe der T h e o -gonie des Hes iodus bei Gelegenheit jener Verse (v. 2 7 0 . f o l g d . ) ( ' ) , wo clie-ser alte Dichter des Geschlechtsregisters der Gorgonen und ihrer Schicksale gedenkt, sondern auch hin und wieder in der Abhandlung de Theogonia ab Hesiodo condita und in den Anmerkungen zu A p o l l o d o r u s mythischer B ib l io-thek bei àhnlicher Gelegenheit ( 2 ) , erklart der verewigte H e y n e diese ge-

(') Theogon. Hesiod. ed. F . A. W o l f pag.92.

( 2 ) Yi J . Observait, ad II. 4., vornchmlich abcr in der Abhandl. de Theogonia ab Ilesiodo condita, in den N. Comentt. R. S. Gollingens. Tom.II. S. 142,143. Hier also: quae se-quilur slirpis a Pliorcye et Ceto prognatae commemoratio omnem intcrprelalionem respuit; vidctur ca partim Phoeniciae originis, sed admodum corrupta esse, partira navigantium ad extremum occidentem Africae et Iiispaniae, partim Poetarum, qui Persei res gestas carminé exposuerunt, mox, qui Ileracleias et Argonautica condiderant, ornamentis et

figmentis deberi, omnino autem antiquissimani et omni ingeniorum cultu destitu ta mfabu-landi licentiam arguunt, adeoque ab reliqua Graecoruin mythologia prorsus segreganda sunt, de interpretatione vero ulla probabili prorsus desperandum." —

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in der Poesie und bildenden Kunst der ylllen. 9

wifs aus viel fruheren, verschiedenartig entstandenen und verbundenen Sagen und Rei semàrchen in don mythischen S tammbaum vom askràischen Dicbter aufgenommene Erwâhnung jenes Gesclilechts des Phorkys und der K e t o fur eines der âltesten, dunkelsten und ungeschlachtesten, sieli jeder Erklârung s t râubenden , mythischen Râthsel . W i e auch immer die Erklarungsweise der spâterhin sammelnden und verbindenden Mythographen und deutelnden Historiker sich abmuhen mogte , den Erscheinungen dieser Λι-t einen phy-sischen oder liistorischen B o d e n abzugewinnen, niemals ist es ihnen gelun-gen, die Fr i ichte solcher Ungebundenlieit und Ausschweif fung einer rohen Phantas ie auf vôl l ig geniigende Weise zu dem natùrlichen Ursprunge wirk-licher Erscheinungen und Begebenheiten zuri ickzufuhren. A m wenigsten môgte in besonderer Hinsicht auf unsern Mythus die historische Deutung D i o d o r s von Sicil ien ( ' ) und die ihr ahnliche vom Pausanias angefiihrte ( 2 ) , welclie die G o r g o n e n zu streitbaren Heroinen machen , den Beifal l derer erhalten, welche die Gehaltlosigkeit solcher Erklàrungsart mit dem Maafs-stabe einer angemessenen Ansicht von dem Charakter des hôheren Alter-thums hellenischer Mythen langst schon mit Pvecht abweisend zu beurtheilen gewohnt sind. E h e r mogte die Hypothese des Proc lus von Carthago beim Pausanias ( 3 ) , der sie fur wilde Weiber in den Wus ten Lybiens hait, oder des X e n o p h o n v o n Lampsakus , der nach Plinius und Sol inus ( 4 ) , sie fixr wilde, ganz behaarte Bewohnerinnen der gorgadischen Inseln, sich auf eine Erzàh lung des Hanno von Carthago stiitzend, erkliirt, einige Wahrschein-lichkeit fur sich haben. Dagegen wiederum die Hypothese des Alexander von Blyndos be im Athenâus ( 5 ) ùber die Identitat der mythischen Gorgonen mit einem in L y b i e n einheimischen, Γoçyœv genannten und einem wilden Schaafe oder K a l b e âhnlichen Thiere , welches die K r a f t habe, durch seinen

( ' ) Buch III,55.

( 2 ) Buch U . c . 21.

( 3 ) Buch II. c. 21. Pausanias selbst charakterisirt sie als den ετεξος λόγος ο'8ε εψείνετο είναι TO-J πζοτεζου πιθανό!τε^ος. Man iibersehe dabei die «73101 «νδ^ες και γυναίκες ayçica nicht bei H e r o -d o t B . I Y . p .324. edit. Steph.

( 4 ) Iiistor. Natur. L .VI . c.xxxvi.

( 5 ) Buch V. c. 64. ως ot μεν πλιϊτνα λίγουσ·ιν — ττξοβατγ ayçlw ομοιον — wç δ' ενιοι ψάτι, \io~yw. —

Β

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1 0 LEVEZOW iiber die Entwickelung des Gorgoiien-Tdcals

Anblick zu versteinern, ganz den fabelhaften Charakter so vicier anderen naturbistorisclien Irrthumer an sich zu tragen scheint, womit die Unwissen-beit die Naturgeschichte der Alten so reicblich erfiillt bat . U n d dennocb, wenn man den nur vielleicht mifsverstandenen, oder verungluckten Yergleicli mit einem scbaafàhnlichen Thier und die ibm beigelegte Eigenscl iaf t eines verpestenden Aushauchs auf Rechnung einer falschen, oder ilïicbtigen, oder furchtsamen Beobacbtung setzt, môgte dennocb etwas darin liegen, was sich der Walirheit arn meisten nâhert und mit jencn wilden W e i b e r n des Hanno zu einer und derselben naturlichen Q u e l l e sich zuruck fïihren làfst. Schwei-gen wir deshalb von den Ansichten andcrer moral is irenden und symbol is i -renden Erklârer bei den Alten, um eine von einem neueren Pb i lo logen ge-âufserte Vermuthung zu ervvâhnen, welcher sich jene des obgedachten P r o -clus, X e n o p h o n und die modifizirte des Alexander von M y n d o s nahern, ja nicht wenig Unterstutzung durch mehrere Charakterzuge bei den Dichtern und noch deutlicher ausgeprâgt in den Ivunstwerken des Alterthums fxnden môgte. E s ist die von J , F . F a c i u s zuerst in seinen Miscellen zur Geschichte d e r K u l t u r und der Kunst des Alterthums (Coburg 1805. 8vo.) in der N o t e 16. S . 138, zu seiner Abhandlung iiber die Aegis und dann in der vermehrten Ausgabe dieser Abhandl . in den Collectaneen zur griech. und rôm. Alter-thumskunde ( C o b u r g 1811.) S. 138. N o t e 16. nur leicht hingeworfene F r a g e : , , W e m sollte bei diesen Nacbrichten von den G o r g o n c n und bei mehreren Umstiinden ihrer Geschichte nicht ein A f f e n g e s c h l e c h t e in fa l len?" —

Mir, der ich beabsichtige, die Entwickelung einer mythi sch-p la s t i -schen Gestalt von ihren ersten Grundlagen und Anfângen in der alten Kuns t -welt bis auf den Gipfe l ihrer Vollendung, nach Maafsgabe der noch vorlie-genden Denkmaler , zu verfolgen und anschaulich zu machen, wird es nicht ube l gedeutet werden kônnen, dieser Frage auf eincn Augenbl ick eine grôfsere Aufmerksamkeit zu widmen, als ihr bisher von den Archaologen zu T h e i l geworden ist; hoffentlich eben so wenig, als man es denen verdacht hat, welche in den Satyrn und Faunen der Griechen und R o m e r die Grundlagen der Ziegen- und Bocks-Bi lc îung, oder selbst in dem ambrosischen Haare des olympischen Jupi ter s die majestàtische Mâhne des L ô w e n , und in K o p f , St irn, Nacken und Haar des Herkules , als Vorb i ld , das gekriiuselte Haar und die Muskelfi ï l le und Stiirke des edleren siïdlichen Stieres anzuerkennen sich gedrungen gesehen haben.

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in der Poesie und bildenden Kunst der ylllen. 1 1

D e n n auf keine Weise ist eine p h y s i s c h e Grundlage dieser Ar t so wenig in der Gesta l t der Gorgonen bei den àlteren Dichtern zu verkennen, als sie vielmehr mit den deutlichsten und bestimmtesten Ziigen in den Denk-malern der K u n s t ausgepragt, wie sich in der Fo lge ergeben wird, ganz au-genscheinlich hervortritt . W a r u m sollte demnaeh, wie selion H e y n e ah-nete, ( * ) dieser Mytbus uberhanpt nicbt einem Pveiseabentheuer seine Ent -stebung baben verdanken kônnen, welches ohne grofse Unwahrscbeinlichkeit also gelautet baben mag, ohne gerade einer Erzâhlung im Geschmack des Palâphatus âlinlich zu sehen?

E i n Gr ieche , vielleicht von der Insel Ser iphos , oder auch ein Pho-nizier, gelangte im hohen Alterthume auf einem abentheuerlichen Zuge an die Ki i s te des lybischen Océans, oder zu einer an derselben Ki i s te gelegenen Insel . Hier traf er unvermuthet ein ihm unbekanntes Geschopf an mit ei-nem dem Mensclien àhnlichen K ô r p e r , aber mit einem Haupte versehen, dessen Anbl ick ihm Furcht und Entsetzen einflôfste. E in oberhalb struppi-ges und an den Seiten màhnenartiges Haar bedeckte die Scheitel iiber der niedrigen, gerunzelten Stirn, oder fiel in starren Massen hinter den gestutz-ten Ohren an der Seite und am Hintertheil des K o p f s bis auf die Schultern herab. Zorngluhende Augen schossen unter den zusammengekniffenen Au-genbraunen droliende B l i c k e ; eine thierische, breit gepiatschte Nase mit vveit geoffneten Niïstern, ein vor W u t h grinsend geoffneter Mund, welcher die Wangenmuske ln zu dicken Wuls ten auftrieb und zwei Reiben mâclitiger Ziihne zeigte, von denen die Eckzâhne nach Art der W o l f s - oder Schweine-zahne vor den ubrigen furchtbar hervorragten, vermehrte noch das Entsetzen des Besehauers , welches durch das wuthende Zusammenschlagen oder Knir-schen der iletschenden Zaline vollendet ward. Damit abwechselnd streckte sicli zum heftigsten Ausdruck verachtenden Hohns die lange Zunge bis zum behaarten K i n n hinab. Angefallen von dem wùthenden Ungeheuer war der Wanderer in seiner Vertheidigung so gliicklich es zu tôdten. Z u m Zeichen seines S ieges schnitt er ihm d e n K o p f ab, oder skalpirte denselben und nahm «ntweder den getrockneten Skalp, oder d e n K o p f mit sich in seine Heimath. ( 2 )

( ' ) S. ohen Note 2, Seite 8 dieser Abhandl.

( z ) „ W i r wissen aus dem Herodot, dafs nicht blofs das Skalpiren der erschlagenen Feinde (S . IV ,63 . mit W e s s e l i n g s Anm.), sondera auch das Absehneiden der Kopfe und Aushangen,

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12 L E V E Z O W iiber die Entwickelung des Gorgoiien-Tdcals

Aber auch noch im T o d e flofste clerselbe allen denen, welche ibn vielleicht selbst an den Schi ld oder Panzer des Siegers geheftet erblickten, Grauen und Entsetzen ein. E h e der Wanderer aber den K a m p f p l a t z verliefs , ward er von zwei âhnlichen Ungeheuern bedroht , die er fiir Schwestern des Ge-todteten ansah und deren Angriffen und Verfolgung er sich nur durch die Dunkelheit der einbrechenden Nacht glucklich cntzog. W e i l er das erste der drei Ungeheuer wirklich getûdtet, war es naturl ich sterblicb gewesen; weil die andern beiden nicht getodtet werden konnten, wurden sie fur un-sterblicli gelialten. —

Dies mogten mehr oder weniger wohl nicht ohne grofsen I r r thum die h i s tor i sch-ph j s i schen Grundlagen des griechischen Mythus von den G o r g o -nen sein, wie ihn in seiner ganzen spâteren Ausdehnung und Ausschmuckung Dichter , Mythographen und Kùnst ler an die Abentl ieuer und den Charakter des argivischen Perseus gekniipft haben.

W e n n man kaum umhin kann, bei genauer Betrachtung u n d Erwagung der Hauptzuge des Ungeheuers, welches den Hauptgegenstand in dieser Mythe ausmacht, wie wir ba ld sehen werden, sogleich an eine der an der nordl ichen Kus te Afrika's und auf den zunâchst an ihr gelegenen Inseln hausenden gro-f sen , zàhnefletschenden, zungeausreckenden, hôhnenden , drohenden und selbst in gereitzter W u t h Menschen zerfleischenden A f f e n - A r t e n , etwa an den Cjnocephalus Sphinx ( ' ) , Inuus sylvanus ( 2 ) , Cercopilhecus Sabaeiis ( 3 )

als Triumphzeichen (IV,26. S t r a b o VII. p.460.) bei viclen barbarîschen Volkcrn (unter andern auch bei den Gallîern D i o d o r V. 29. c. not. W e s s e l i n g . L i v i u s 23,24.) so gewohnlich gewe-sen ist, als vor kurzem noch bei manchen Stammen der Nordamerikaniscben Wilden. Um den Feinden Scbrecken einzuflofsen, heftete man den Kopf des Erschlagenen (oder auch nur seincn Skalp) auf den Brustliarnisch oder den Schild. E s ist sehr w a h r s c h e i n l i c h , dafs ein g r i e -ch i scher Abenthcurer aus Westen diesc S i t t e m i t g e b r a c h t und der l i b y i s c h e n oder t r i ton i schen Minerva z u g e e i g n e t habe." S. B o t t i g e r Furienmaske. Excurs.IV. Gorgo-nenmaske S. 108. — In Hinsicht auf den scythischen Gebrauch des Skalpirens, πεξίτκυΟ·Ισ-αι bei den Griechen genannt, vergl. man S a l m a s i u s ad Solin. pag.581.

( ' ) Der Kopf desselben nach einem Exemplar im hiesigen Konigl. zoologischen Muséum ab-gebildet auf Taf.I . fig. \ . a . zu dieser Abhandl.

( 2 ) Der Kopf auf Taf. I. fig. 1 .b. ebendas.

( 3 ) Der Kopf auf Taf. I. fig. l .c . desgl. Die beiden letzten ebcnfalls nach Exemplaren des hies. zool. Muséums. — Es ist iibrigens nicht unwahrscheinlich, dafs mehr als eine afrikanische Affenart ihre Kopf- und Gesichts-Form und iliren pathognomischen Charakter zur Grundlage des iiltesten

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in der Poesie und bildenden Kunst der ylllen. 1 3

oder an den Simia Mormon L i n . zu denken, die spâterhin den Alten ziem-lieh genau bekannt geworden sind, ( * ) so wird man bei genauerer Unter-suchung der âltesten Denkmâler dieses Inhalts und ihrer einzelnen F o r m e n und Zuge in dieser Ansicht nur um desto mehr bestârkt .

D o c h was auch imraer die Idee jener Gorgonen und die urspriingliche Benennung derselben von ihrem s c h r e c k e n e r r e g e n d e n B l i c k (yoçyos; yoçyo? ègccv oder oçuo'd'ai·, ycçyov oçciv)(2) hergenommen veranlafst haben mag, aile Schilderungen der Dichter und der ihnen nachfolgenden prosaischen Schriftsteller, welche sie erwahnen, oder darauf anspielen, legen ihnen ganz unlâugbar, sowohl in allgemeinen Andeutungen, als in Anfuhrung einzelner Zuge eine urspriingliche Gestalt bei, welche der Natur menschliclier Wesen , wenn gleich im Ganzen diesen ahnlich, doch in vielen Beziehungen und vor-nehmlich des K o p f s , widerspricht und sie in die Ivlasse von Ungeheuern versetzt, welche sie iiber die Schranken der menschlich oder gôttlich em-pllndenden und handelnden Wesen in die Sphâre der wilden und grausa-men Thierwelt hinausfiihrt.

L a n g e schon vor H o m e r scheinen in dem Sagenkreise der Griechen sich die Hauptziige des gorgonischen Mythus gestaltet und mit den Heroen-sagen voin argivischen Perseus verbunden zu haben. W i e daher der alte Scholiast zu O d y s s . X I . 633 . und der ihn excerpirende H e s y c h i u s ( 3 ) dazu gekommen, Homers Unbekanntschaft mit den Gorgonen zu behaupten , ist unbegreiilich, wenn man niclit annehmen will, dafs es in Hinsicht auf die nur leichte Beriihrung dieses Gegenstandes in dem Dichter geschehen

Medusenhauptes liât leihen miissen, uni diesem ailes hafsliche, Furcht und Schrccken crregende in Form und Ausdruck anzueignen. — Auch M il l i n Phases peints a. a. O. S . 5. not. 2., denkt bei der Erzahlung des Hanno von den wilden Weibern auf den gorgadisclien Inseln und den im Tempel der Juno zu Karthago aufgehangenen Hauten einiger derselben, ^que c'etoient des sin-ges de tespece du Simia Maïmon, le Mandrill" etc.

( ' ) S. A . A . I I . L i c b t e n s t e i n Comm. philolog. de Simiarum quolquot veleribus innotue-runt formis earumque nominibus. llamù. 1791. in 8V0. besonders S. 52 ,53. vergl. mit dem Breviarium von S . 7 2 - 8 0 . liin und wieder.

( 2 ) M. s. S c h n e i d e r im Lexic. b. d. W .

s. ν. Γοαγω (T. I. c. S52.) Edit. Alberti. ~à ttsç! rtjv Acci'ccr^ και τον Wsjyict και τάς Fojyo-νας 'Ομηρος iy. οΤέε mit II e m s t e r h u i s Bcmerkung, Not. 25. Vetustum est anliqui Grammalici Scholium ad Oc/yss, Λ, 633-

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sei. ( f ) Aber auch M i l l i n ( 2 ) irrt mit Andern, wenn er bei Gelegenheit eines Vasengemâldes mit der Vorstellung zweier Gorgonen âufsert, dafs Ho-mer nur E i n e Gorgone gekannt h a b e ; M i l l i n g e n nicht weniger, wenn er bebauptet , dafs die Geschichte von Perseus und Medusa dem Dichter unbe-kannt gewesen sei ( 3 ) . D e n n aufserdem, dafs Homer , der Dichter , welcher nach Hoi'az nil molitur inepte, keine Gelegenheit hatte, schicklich seine ganze Kenntnifs des Mythus von den Gorgonen darzulegen; Medusa ferner durch ihr Schicksal vor allen die ausgezeichneteste ward, und daher oft statt aller geltend vorzugsweise nur G o r g o genannt wird; so erwàhnt Homer , gewifs nur durch viel altéré Sagen berechtigt, freilich nur leicbt beriihrend, zuerst im V . Gesange der Ilias (v. 741 . u. 4 2 . ) bei Gelegenheit der Schilderung der Aegis Minervens, welche sie sich riistend um die Schultern wirft, ja d e s E n d p u n k t s a l l e r g o r g o n i s c h e n S c h i c k s a l e , nemlich des s c h o n d a r a u f b e f e s t i g t e n Haupts der Medusa , als

— des entsetzlichen Ungeheuers, Schreckenyoll und entsetzlich, das Graun des donnernden Vaters. ( ' )

(Ûb. v. Y o f s )

Wie? dem die ganze mythische Kunde seines Zeitalters und seiner Vorzeit wohl umfassenden Dichter sollte der blofse Endpunkt der Sage , aber nicht der ganze Zusammenhang derselben mit den Abentheuern des Perseus, des-sen Ausgang das Haupt Medusens auf die Aegis Minervens versetzte, sollte nicht die K u n d e ihrer ganzen Sippschaft und ihrer Schicksale bekannt gewe-sen sein? Ihm nicht bekannt gewesen sein, der doch selbst Ilias X I V , 320 . den Perseus den πάντων άξι&είκ,ετον άν^ων

— den herrlichsten Kampfer der Vorzeit ( Y o f s )

( ' ) H e y n e ad Apollod. 4. s .2. p. 118. ΛνίΠ jenes "Ομηξος ουκ οιδε durch: in his Homerum fabulas lias ignorare, h.e. iis non uti (ich sehe aber nicht ein, mit welchem Gewinn) er-klart wissen.

( 2 ) Descript. d. Vases. T . II. p.5. „ H o m è r e n'a connu qu'une Gorgone." —

( 3 ) „The story of Perseus and Medusa, unknown to Homer" etc. Aneient unedil. Monuments. Lond. 1822. Tom.H. pag.3. ad Tab.II.

( ' ) Ει/ δε τε To^ytiri κεφαλή δειvo7o πεΧωξν, Δεινγ, τε, σ-μεςδμη τε, Αιος τεξας eilyioyoio.

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in der Poesie und bildenden Kunst der ylllen. 15

nennt, unter dessen Thaten das Abentlieuer mit den Gorgonen das geprie-senste von allen w a r ? doch man ist ja schon lange genug gewohnt gewesen von dem Sti l lschweigen des Dichters auf seine vermeinte Unwissenheit zu schliefsen, warum also auch nicht hier, wo sie sich aber ohne Zweifel durch die Beschaffenheit dessen, was er zu erkennen giebt, wohl von selbst wi-derlegt.

Fe rner vergleicht Homer im Y I I I . Gesange , v. 3 4 9 . , den wuthent-brannten Bl ick des die Achàer verfolgenden Hektor mit dem Bl ick der wuth-schnaubenden G o r g o :

Gleich der Gorgo an Blick. ( ' )

Zeichnet endlich bei Gelegenheit der Beschre ibung des Agamemnonisehen Schi ldes im X I . Gesange, v. 3 5 , 3 6 . , wie darauf auch gebildet war

— — die wildanblickende Gorgo, Schrecklich zu schaun und rund umlier war Graun und Entsetzen. ( 2 )

E b e n so wird v o n ihm im X I . Gesange der Odysse v. 633 , 634 . in der Un-terwelt bei Odysseus I l inabgange zu ihr das Schreckenhaupt der G o r g o , oder vielmehr der abgeschiedenen Medusa erwàhnt in den eigenen W o r t e n des Odys seus :

— — und es fafste mich bleiches Entsetzen, Ob mir jetzt das Haupt des gorgonisclicn, scbreckliclien Unholds Sand' aus Aïs Palast die furchtbare Persefoneia. ( 3 )

S o lernen wir also aus diesen Andeutungen des Dichters freilich nichts mehr von der Gestalt des Ungeheuers kennen , als aufser dem all-gemeinen Ausdruck des Entsetzlichen und Grauenhaften, erstlich die w i l -d e n B l i c k e des se lben , (natûrlich bei offenen Augen) , und zweitens das s c h e u f s l i c h e H a u p t schon auf der Aegis Minervens b e f e s t i g t . Auffa l-lend ist es allerdings, dafs er es so wenig g e f l u g e l t , als u m s c h l â n g e l t

( 1 ) l'oaySg όμματ —

( 2 ) Ttî δ' επι μεν Toçyw βλοτνρωπις ες-εφάι>ωτο Λεινόν δερκομενη, πεξ\ δε Δείμος τε, Φο/3ος ~ε.

( ' ) εμε δε χλωμοί' δίοϊ τήξει, Μη μοι Τοογεί^ν κεφαλήν £>εινο7ο ττελωξϋ Έξ "Χι'Βος πίμφειειι tlyaνη ΙΙε^τεφόνεια.

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16 LEVEZOW iiber die Entwickelung des Gorgoiien-Tdcals

bezeichnet, weshalb in letzter Beziehung Y o f s jenen Vers im X I . Gesange der II . (v. 3 5 . ) T? (Ιίτπώι) è' 'έτι μεν Γooyui βλοιτυξωπις ες-εψάνωτο viel zu will-kuhrlich und gewagt durch :

Auch flic Schreckengcstalt (1er Gorgo drohete s c h l a n g e l n d

i ibersetzt bat.

N o c h weniger best immt tritt aus H e s i o d u s Ber icht u b e r U r s p r u n g der Gorgonen und Untergang Medusens in der T h é o g o n i e (v. 2 6 5 . u . f o l g d . ) das uralte B i ld derselben liervor. Auch im Schi lde des Herkules , wo He-s iodus , oder wer sonst der Yerfasser dieses Fragments sei, von Vers 2 1 6 . an, die Gestalt des auch darauf gebildeten Perseus nach vol lbrachter E r -mordung Medusens beschreibt , begniigt er sich nur in den al lgemeinen Aus-driicken des Abscheus , wie Homer , das auf dem R u c k e n des Héros han-gende I l aupt Medusens

das Ilaupt des entsetzlichen Scheusals Gorgo ( ' )

(v. 223 ,24 . )

zu nennen und b a l d darauf die den abgehenden Helden verfolgenden Schwe-stern eben so allgemein in folgenden W o r t e n zu bezeichnen:

— — — doch die Gorgonen Stiirzten ihm nach, in unaussprechlicher Grafsheit, Ilm zu erhaschen enlflammt, und indem sie auf graulichem Demant Wandelten, hallte der Schild ringsum vom lauten Gerassel Scharf erklingend und hell. — ( 2 )

N u r in dem 233 . V . desselben Gedichts fiigen sich einige Z u g e hinzu, welche das B i ld in etwas zu erweitern fâhig sind :

( ' ) y.âïY) 'ôeivcîq πέλιΰξΧ Γ cgySç·

(") τα) δε μετ αυτοι· 1 ooycvsç άπλετοι τε και α φαται îççuiovto, Ίίμεναι μαπζειν ζπ\ δε χλω^? αδάμαντος I^αινχσ-ίων ί«χετκε σάκο? μεγαλγ Οξνμαγ&γ υς£« και Atyiuç· —

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in der Poesie und bildenden Kimst der Alten. 17

Docli I'.ings den Gurten liinunter Schlangelten sich zween Drachen mit aufgckriimmeten Hauptern : J e n e (die Gorgonen) ziingelten Jieid' und knirschten vor Wuth mit den Zahnen, Grausam rollend den lilick. — Auch oh den entsetzlichen Hauptern Tummelte Graun den Gorgonen ein furchtbares. — ( ' )

Hier erscheinen sie also zuerst mit S c h l a n g e n u m g u r t e t , mit a u s -g e r e c k t e r Z u n g e , mit den Z a h n e n v o r W u t h k n i r s c h e n d , die o f f e -n e n A u g e n g r a u s a m r o l l e n d , mit S c h r e c k e n v e r b r e i t e n d e m B l i e k und g r a u n u m g e b e n e n H a u p t e r n .

Desha lb kann ich der nàheren Erôr terung der gleichfalls nur allge-meinen Andeutungen P i n d a r s uberhoben sein ζ. B . in der X I I . pythischen O d e , wo er die Gorgonen , , u n n a h b a r e J u n g f r a u e n w e g e n d e r S c h l a n -g e n h â u p t e r " ( Il a oS ε ν ία άττλάται ο φ ίων -/,εψα/.αΐς) nennt und in der X I I I . O l y m p . O d e (v. 90) , wo Medusa von ihm blofs als die u m s c h l à n g e l t e G o r g o n e (οφιωδης) ausgezeiehnet und in der X . Pythi schen O d e der K o p f derselben, als ποικίλον xaça Δξακόντων ψοβαιτιν, b u n t v o n d e n K â m m e n d e r S c h l a n g e n geschildert wird. Yon einer andern pindarischen Bezeich-nung wird weiterhin die R e d e sein. Ich nâhere mich vielmehr zwei andern, etwas genaueren Schilderungen, welche zur Vervollstandigung jener àufseren scl iwankenden Umrisse dienen kônnen.

S c h o n f i i g t n â m l i c h A e s c h y l u s in seinem g e f e s s e l t e n P r o m e t h e u s (v. S 0 4 . fo lg . ) doch wenigstens dem Le ibe der Ungeheuer F l ù g e l hinzu, d u r c l i f l i c h t i h r e H a a r e m i t S c h l a n g e n , und giebt ihrem Anblick die e r s t a r r e n m a c h e n d e W i r k u n g , welche P i n d a r in der X . Pythischen Ode zuerst durcli den die Aeschyleische Schi lderung noch uberbietenden Aus-druck des steinernen T o d e s (λ&ινος &άνατας) bezeicbnet ( 2 ) .

( ' ) î7î\ δε ζύινι^τι <$Σακοΐ'τε

(2)

C

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18 L Ε ν Ε ζ ο w ilbcr clie En twichelung des Gorgonen - ldeals

Also Aeschylus : die drei g e f 1 ii g e 11 e η

Gorgonen, ScWestern mit dem S c h l a n g e n h a a r Und allen Menschen unliold; wer sie schaut D e r O d e m s t o c k t i h m ! — ( ' )

und in den C h o e p h o r e n , wo Orestes von den nach vol lbrachtem Mutter-

m o r d e gegen ihn andringenden Furien zum C h o r spr icht :

Seht, Miigde, jene, die G o r g o n e n gleicli, Schwarz eingcliiillt, mit S c h l a n g e n w i n d u n g e n Umllocliten sind. — ( 2 )

A b e r auch jenes Flugelattr ibut , wie oben, macht er in seinen E u m e n i d e n zum hauptunterscheidenden Merkmale der Gorgonen von den Fur ien , die er sonst mit dem Schrecken und Entsetzen erregenden Anbl ick , den mit ihnen verflochtenen Schlangen und einigen andern Merkmalen mit den G o r -gonen vergleicht. S o v. 46 . folgd. im Monologe der P y t h i a :

Vor ilim (dem Orestes) entscliluinmert safs auf dem Gestiihl Der Weiber eine wunderbare Schaar. Nicht Weiber, nein, Gorgonen nenn' icli sie, Doch aucli den Gorgobildern sind s i c u n g l e i c h ; ( 3 )

denn (v. 5 1 . ) setzt sie h inzu : f l i i g e l l o s zu sebaun

Sind diese (namlich die F u r i e n ) . — ( 4 )

άδελφαι τωνδε τοεΐς κατάπτεξοι, Λξακοντομαλλοι Υοξγόνες βξθτοττυγε~ΐς, Ας Β'νητος ουδείς είτιδων εςει πνοής.

— Αμωα) γυναίκες, αίδε Γοργονων δ ίκ ν, ν Φαιωγ/τωνες, και πεπλεκτανωμεναι ΪΙυκι>ο7ς δοακασ-ιν —

(ν. 1 0 4 5 - 4 7 . )

1\:ότ3"εν δε τανδξος τοΰδε Β'αυματτος λόγγος IVjosi γυναικών εν C"οονοιτιν ημενος Ούτοι γυναίκας, άλλα Τοξγονας λέγω, Ουδ' αύτε ΐοογείοιτιν εικ(ίτω τυττοις.

απτεροί γε μην ιδε7ι> Αύται, —

Ο

(2)

ο

ο

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in der Poesie und bildenden Kunst der ylllen. 19

Fugen wir zu diesen einzelnen Ziigen der Gorgonengestal t bei den uns noch erhaltenen altesten und alteren Dicbtern der Griechen die Schi lderung der-selben abseiten des zwar spâteren M j t h o g r a p b e n A p o l l o d o r u s , der aber gewifs aus viel alteren poetiseben Ouellen, den Cyklikern sebôpf te und nicht minder aus Schol iasten, besonders des Apol lon ius , der den Pherecydes , den Zeitgenossen der Cykliker, vor Augen batte ( * ) , so môchten Λ Υ Ϊ Γ wolil so ziemlicb die altesten Hauptgrundziige beisammen haben, deren die kunstleri-sehe Phantasie bedurfte , um daraus ein der Idee entspreehendes, anschauliches B i ld dàmonischen Greuels zu schaffen. A p o l l o d o r u s sagt im I I . B û c h e seiner Bibl iothek (cap. 4, 5 . 1, §. 10. ed. I l eyne) : , , E s liatten die Gorgonen K o p f e mit schuppigen Schlangen umwunden, grofse Ztihne, wie die der Schweine und elierne I lânde und goldene Fl i ïgel , mit welchen sie flogen ; die, welche sie sahen, wurden in Stein venvandelt ( 2 ) . " — Wahrl ich , nun-mehr in Verbindung zumal mit dem neuen Attribut der g r o f s e n S c h w e i n e -z â h n e bei A p o l l o d o r u s , uralten mythischen Stof fes genug fur die den Ver-such wagende bi ldende Hand, ihn zu einem furchtbaren Ganzen zu ordnen und wo er noch luckenhaft , nach Kunstlerweise durch nothwendige Zuthat organisch zu verbinden, damais freilich unbekummert darum, ob es das sanftere Schonhei t sgefùhl spàterer Jahrhunderte ansprechen, oder dasselbe empôren wurde .

E iner spâteren, an Phantasie und K u n s t schon gebildeteren Zeit war es dalier au fbeha l ten , die Erwâhnung eines von den alteren i ibersehenen, oder doch unbenutzten Zuges in der friihesten Mythe als dichterisches und kunstlerisches Motiv zu ergreifen, um dem bis dahin schreckenvollen Bi lde Medusens eine mildere, ja im Verlauf der Zeit selbst mit hoher Schonheit gepaarte G estait zu verleihen, oder dasselbe vôllig darin umzuwandeln. D i e schon von I le s iodus in der Théogonie (v. 278 u. 279) erwâhnte Schwiinge-rung Medusens von Neptun,

( ' ) Sielie I l e y n e zum A p o l l o d . a. a. 0 . s. 1. und besonders van S w i n d e n gleieb zu An-fang des Commentars zu dieser Slelle Apollodors, in den Miscellaneis Observait, crilic. nov. Tom. III . pag. 53 u. 54. folgd.

( 2 ) 8s eu Tapycvsç κεφαλής μεν πεοιετιτειααμίνας φολίτι δρακόντων, οδόντας δε μεγάλους ι/'ς crvJjv, και γε7οας χαλκάς, και πτί^νγας δι'ων ίπετοντο. τους 8ε ιδόντας λίγους

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auf sanft grasiger Wies' In des Friihlings Blumengewimmel ( ' ) , ( Vofs)

wahrscbeinlich um dadurch ihre Entbindung von C b r y s a o r u n d Pegasus im Augenbl ick ibrcs T o d e s , nach einer andern Mythe , begreii l ich zu machen ( ' ) , fuhrte leicht ein best immteres , angemessenes Motiv fur die Zuneigung des Got tes berbei , nemlich — eine der Medusa urspri ingliche, eigenthumliche S c h o n h e i t .

W a n n und von W e m zuerst diese Idee aufgefafst und dichterisch durch-gefiilirt worden, ist freilich nicht mehr zu ermit te ln ; eben sowenig, o b viel-leicht in einer epischen, oder lyrischen, oder dramatischen Behandlung . A b e r im Allgemeinen lâfst sich aus den nach dieser Idee behandelten Dar -stellungen in der bi ldenden Kuns t nicht mit Unrecht schliefsen, dafs sie schon zur Zeit des hohen Stvls dieser Kunst unter den Gr iechen von den j

Dichtern, den steten Yorlâufern der Kunst ler , z u m T h e i l adopt ir t gewesen sein mufs , und das wâre demnach schon im Zeitalter des Phidias der F a l l gewesen. Damit stimmt auch das Beiwort der s c h o n w a n g i g e n (ευ-ταξάου) uberein, welches P i n d a r in der X I I . pythischen O d e v. 2 8 . der Medusa er-theilt und ihm ba ld darauf ( v . 3 6 . ) die r e i f s e n d e n , d. i. m i t r e i f s e n d e n Z a h n e n b e s e t z t e n M a x i l l e n (κα^παλίμαι ^ενυες) ihrer Schvvester Eurya le entgegensetzt.

Ich môchte hier in diesem Zusammenhange und in diesem best immten Gegensatze dein von Pindar gewàhlten Beiworte εύτταοάος ( 3 ) eine buchstàb-

(') 'Ef μαλακω λειμώνι, και άν&ετιν slcepivoïcri.

( 2 ) τούτους δε εγΐννητεν Ικ Ποτειδωΐ'οτ. Apollodor. a. a. Ο. §. 12. Edit. Heyne.

( 3 ) Statt dessen llesiodus von der Ceto nach einer Lesart, oder den Graen nach einer andern (Theogon. v. 270 folgd.), und von der Echidna v. 298 ( ib id . ) καλλιπάργος braucht. Wenigstens Echidna ist aucli allerdings auf zwei altgriechischen Gefafsen des Konigl. Muséums hieselbst, in einer ziemlich grofsen Darstellung, auf beiden ganz deullich mit liellen, scharfen Augen ( a r g u l i s oculis), regelmafsigen Gesîchtszugen und W a n g e n , nur auf dem einem mit glattem Kinn, auf dem andern aber mit spitzem Bart, beide aber von der Schaamgegend an mit langem, aalahnli-chen Schlangenleibe, im allgriechischen Yasenstyle abgebildet; so dafs auch wohl in diesen Be-ziehungen auch die von llesiodus von der Echidna gebrauchtcn Epitheta ελικωπις και καλλιπάργος wohl eine bestimmtere Eigenschaft ausdriicken nuigten, als es W o 1 f in der Note zu 270 folgd. seiner Ausgabe der Theogon. S. 92. gestatten will. In solchen Fallen sind wohl unstreitig d i e K u n s t w e r k e die besten Ausleger im wahren Geiste des Alterthums. —

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in der Poesie und bildenden Kunst der ylllen. 2 1

liche, bes t immtere Becleutung geben, als worin es gewohnlich von den Auslegern durch das a l l g e m e i n e r e f o r m o s a , pulcherrima} g e n o m m e n z u werden pflegt. Be i der d o c b wohl u n b e d e n k l i e h a n z u n e b m e n d e n Bekanntschaf tP indars mit den altesten, furchtbaren Gorgonenkopfen und demnacb auch der Medusa in der b i ldenden Kuns t , konnte er kein gewichtvolleres W o r t wàhlen, um die schon angenommene Verânderung in dem Idéal der Medusa und den Gegcnsatz derse lben mit der thierisch hâfslichen Gestalt ihrer Schwester auszudrûcken.

D e n n welch ein krâftiger Zauberspruch lag in diesem einzigen, ailes ver-k l â r e n d e n W o r t e ! D ie naturliche R e g e l m â f s i g k e i t und das ruhige E b e n -inaafs menschliclier Formen und Ziige in Stirn und W a n g e n war dadurch ge funden und festgestellt . D e r bis daliin verzerrende K r a m p f des wuthdro-lienden, aufgeschwollenen Gesichts ward gestillt. E s schlofs sicli der grin-send aufgerissene Mund mit den fletschenden Zal inen; die hôbnende Zunge zog sich in ihre l l o l e zurûck, die zorngluhenden Bl icke der weitgeôffneten A u g e n erloschen ; die geplâtschte Nase und der thierisch zottige Bar t und das gestutzte behaarte Ohr verschwanden und machten den m e n s c l i l i c h schonen F o r m e n Platz, welche das Profil des hellenischen Antlitzes so auf-fa l lend und unterscheidend veredeln. —

W e r sol l le nun wohl bei der schnellen Wechselwirkung zwischen grie-chischer Poes ie und Kuns t noch zweifeln, dafs jener Feuer funken , sei er zu-erst von P indar , oder schon vor ihm von einem andern Dichter , in die griechische Phantasie geworfen, niclit auch bei spâteren Dichtern geziindet u n d sie durch epithetische Bezeichnung noch neuer, davon abhângiger Ziige u n d Reitze zur volligen Ausmalung eines Bi ldes beizutragen begeistert l iabe, welches dem feineren Geschmacke der Zeitgenossen und dem Bediirfnisse der plast ischen K u n s t melir entsprach, als das uralte, herkômmliche Greuelb i ld , die Ausgeburt eines roheren, kunstlosen, oder wenig kunstgeubten Jahrhun-derts? Mufste sich da nicht von selbst der εύπαξάω Μείο/τ« Pindars , ja unver-meidlich die s c h o n h a a r i g e (εύτλοκαμος) irgend eines andex-n Dichters beige-sellen, oder mit jener zu einem vol lendetenGanzen vereinigen, durch unerlâfsli-che F o r d e r u n g eines Attributs griechisch weiblicher Schonheit , oline welches ke ineYol lkommenhei t derselben denkbar gewesen wâre, ja welches allein schon hinreichend war, den unsterblichen R u h m der Schonheit zu bewirken

( ' ) M. s. H e m s t e r h u i s Anecd. pag. 104. u. 11. J u n i u s clc Coma, besonders im III. Kap.

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2 2 L E V E Z O W iiber die Entwickelung des Gorgoiien-Tdcals

D e n n nur durch einen solchen griechischen Y o r g a n g berechtigt konnte wohl der romische O v i d i u s in seinen Metamorphosen allein es wagen, den Gorgotôdtenden Heroen Perseus selbst uber die ursprungl iche Schonheit Medusens sich also vernehmen zu lassen :

leuclitende Schonheit Und den viclcn Bewerbern die neiderregende Iloffnung War sie; doch in der ganzen G estait kein sclioneres Antheil Als der Haare Gelock: ïcli fand, wei' sie also geseselien ( 1 ) .

( M e t a m . IV. v . 7 9 3 - 9 6 . )

Wenn sicli aber nun dessenungeachlet damit die selbst n o c h i m T o d e versteinernde K r a f t dieses gorgonischen Antlitzes in der f rûheren Gesta l t der Mythe nicht vertragen wollte , was blieb anders ubr ig , als noch einen Schri t l weiter gehend auch den neuen Zusatz zu wagen, den derse lbe Dichter in den folgenden Yersen ausgedruckt ha t ?

Diese nun bat im Tempel Minervens des Pelagus Ilerrscher, Also geliet die Sage, geschwâcht in Lieb' sie umarmend. Aber mit ïhrem Schilde die keuscben Augen bedeckend Wandte sich Jupiters Tochter binweg; doch damit nicht straflos Bliebe der Frevel, verwandelte sie zu scheufslichen Hydern Das gorgonische Ilaar; und jetzt noch, Feinde zu schrecken Mit andonnernder Furclit, tragt sie auf feindlichcm Busen Welche sie selber geschaffen, die schreckenerregenden Schlangen Ç2). —

S o bl ieb doch die Schonheit der Formen und Z ù g e in der Gestalt des Ganzen bis auf das schon, wenigstens seit Hesiodus , a l lbekannte und auch deshalb wohl unveraufserliche Schlangenhaar unverletzt·, sie bl ieb f u r die

(') claris situaforma Multorumquefuit spes invidiosa procorum Illa : nec in lola conspectior ulla capillis Pars fuit, inveni, qui se vidissc referrel.

( 2 ) Hanc pelagi rector templo vitiasse Minervae Dicitur : aversa est et castos aegide vultus Nata Jovis texit. neve hoc impune fuisset, Gorgoneum turpes crinem mutavit in hydros. Nunc quoque ut attonitos formidine terreat hostes, Pectore in adverso, quos fecit, suslinet angues.

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in der Poesie und bildenden Kunst der ylllen. 2 3

b i ldende K u n s t durch diesen Strafakt Minervens vo l lkommen gerechtfertigt, fiir eine K u n s t , welche nur froh des ihr wil lkommeneren Motivs zu einer edleren Gesta l t sich destoweniger um die Rechtmàfsigkeit der neuen poeti-schen M é t a m o r p h o s é bekummerte .

Denn jedes Aeusserste fiïhrt sie, die Ailes Begranzt und bindet, zur Natur zuriick.

D e m n a c h wàren wir endlich bis zu dem Punkte gekommen, welcher gleichsam als der Schlufsstein in der vol lendeten Konstrukzion des Ideals der Medusa in der Poesie der Alten anzusehen ist, um nun mit desto grofse-rer S icherheit dieselben Unterschiede in den noch vorhandenen Kunstwerken der Al ten von diesem Gegenstande wahrnehmen und verfolgen zu konnen.

Ihnen gemàfs theilen sich diese Denkmàler in zwei Hauptklassen ein, e r s t l i c h in die der â l t e r e n und z w e i t e n s in die der n e u e r e n Charak-teristik.

D e r Haupt typus der e r s t e r e n ist im Ganzen der eines hàfslichen, zum hôchsten Z o r n und Hohn gereitzten alten Weibes , deren einzelne Ge-sichtstheile zumal mehr oder weniger einen thiex-ischen, affenartigen Charak-ter an sich tragen und das Ganze zum Ungeheuern verunstalten.

D e r Haupt typus der n e u e r e n Charakteristik dagegen ist im Ganzen der einer jûngeren, weiblichen Bi ldung, deren regelmafsige, erhaben schone Ges ichts formen und Ziige mit dem starkeren oder minderen Ausdrucke des Schmerzes , des Unmuths oder des Zorns gepaart sind, welchen ein gewalt-samer T o d im M o m e n t des Yerscheidens auf das Antlitz des unwillig Ster-benden zu pràgen pflegt.

S c h o n der angedeutete Gang , den die Ausbi ldung des Gorgonencha-rakters in den Dichterwerken der Alten genommen hat, lehrt augenschein-lich, dafs die furchtbar hafsliche Charakteristik in den Kunstwerken nur die G e b u r t eines fri iheren, roheren Zeitalters, die schonere Charakteristik aber nur die eines spâteren gebildeteren sein konnte .

A b e r eine jede dieser beiden Klassen enthalt wiederum innerlialb ihrer Granzen mehrere Stufenfolgen in Hinsicht ihrer Ausbi ldung, sowohl in ab-steigender als aufsteigender Linie , welche an den Monumenten selbst auf das Best immteste nachgewiesen werden konnen, so dafs man sehr leicht ein-zuselien im S tande ist, wie die grofse Verwandlung des einen Extrems in das

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24 LEVEZOW iiber die Entwickelung des Gorgoiien-Tdcals

andere nicht durch einen plôtzlichen Zauberschlag , sondern nur auf dem naturgemâfsen W c g c der sich allmàlig entwickelnden griechischen K u n s t be-wirkt worden ist. —

E s kônnte daher W u n d e r nehmen, dafs dem grofsen Geschichtsclirei-ber der alten Kuns t , dem unsterblichen W i n k e l m a n n , diese B e m e r k u n g entgangen ist, indem er in seinem historischen W e r k e da, wo er von den Denkmàlern spricht, welche die Gorgonen, oder vielmehr die Medusa be-treffen, nicht nur s ag t : , ,d ie von mir zuletzt genannten Gôtt innen, die G o r -gonen, sind zwar, die K ô p f e der Medusa ausgenommen, a u f k e i n e m a l t e n W e r k e g e b i l d e t ; " sondern auch noch hinzu setzt : , , ihre Gesta l t aber wiirde der Beschreibung der àltesten Dichter n i c h t à h n l i c h s e i n , als welche ihnen lange Zàhne, wie Schweinshauer, gaben : denn Medusa , eine von diesen drei Schwestern, ist ein Bi ld hoher Schonhei t geworden, so wie uns auch die F a b e l dieselbe vorstellt ( ' ) · " —

Diese Behauptung erscheint jetzt freilich in einem andern L i c h t ; sie ist zu einem volligen Irr thum geworden. W e r aber woll te es wagen, dem grofsen, umsichtigen Forscher seiner Zeit eines Fehlers der Unwissenheit oder der Yergessenheit zu zeihen in Ilinsicht eines Gegenstandes , den die Folgezeit erst nach ihm zu Tage gefôrdert hat, und zwar auf einem so aus-gedehnten, in vielen Thei len oft so dunkeln und l i ickenvollen und ihm selbst noch nicht uberal l zugânglichen Gebiete , auf welchem vielleicht mehr wie auf irgend einem andern nur ein T a g den andern belehrt und beleh-ren kann. —

Zweiter Abschnitt. Die Entwickelung des Gorgonen-Ideals in der hildenden Kunst

der Alten.

Nachdem ich in dem ersten Abschnitt dieser Untersuchung den Gang zu zeigen versucht habe , welchen die Vorstel lungen v o n dem bildl ichen Charakter der Gorgonen uberhaupt und Medusens insbesondere bei den Dichtern des Alterthums genommen, und wie die furchtbar scheufsliche Yors te l lung davon bei den àltesten und àlteren Dichtern sich allmàlig bei

( 1 ) Werke, Band IV. Buch V. Kap. 2. §. 20.

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den spâteren nicht nur milderte, sondern auch, in Il insicht auf Medusen zu-nâchst, zu einem hohen Ideale jungfrâulicher Schonheit aushildete, komme ich nun zu der Entwickelung desselben Ideals in den W e r k e n d e r b i l d e n -d e n K u n s t d e r A l t e n , vornehmlich nach Maasgabe der bis jetzt entdeck-ten Monumente derselben. Schon habe ich vorlâufig darauf aufmerksam gemacht , dafs auch hier, wie es denn auch nicht anders sein konnte, der-selbe Gang der Entwickelung sich offenbare und dafs demzufolge , sich die ganze Masse der vorhandenen Monumente in die z w e i I lauptklassen der a l t e r e n und der n e u e r e n Charakteristik eintheile. E ine besondere D a r -stellungsweise, welche den Anfang der neueren Charakterist ik bezeichnet, wird noch zu einer d r i t t e n oder vielmehr zu einer m i t t l e r e n Stylgattung sehr passend Veranlassung geben, um dadurch den allmaligen Stufengang der Ausb i ldung desto deutlicher bemerklich zu machen.

I. Denkmaler im altesten und alteren Styl.

D i e Nachricht , welche uns Pausanias im I I . Buch , K a p . 20 , seiner Per iegese mittheilt ( J ) , dafs neben dem T e m p e l des Kepb i s so s zu Argos ein aus Ste in verferl igtes ]Mcdusenhaupt sich befunden liabe, , , w e l c h e s a u c h e i n W e r k d e r C y k l o p e n g e w e s e n s e i , " kann wohl mit R e c h t als ein Beweis von dem Vorhandensein gorgonischer Abbi ldungen in Griechenland schon v o r den Zeiten Homers angenommen werden. D a diese Cyk lopen , denen in Griechenland so viele uralte Bauwerke, Bergwei-ksanlagen, Metall-arbeiten und Kunstwerke durch altgemeine Sage des Alterthums beigelegt werden, keine andern «als zu ihrer Zeit sehr geschickte Bauleute und selbst in kiïnstlerischer Beax-bcitung der Metalle und Steine nicht unerfahrne kreti-sche, thracische und lycische Techniker gewesen zu sein scheinen, von de-nen die letzten, nach S t rabo ( 2 ) , schon Prô lus nach seiner I l i ickkehr aus

(') παοα δε το ιεαον του Κγήηττοΰ Μεδονστ;? λι'&ου πεποιημενγι κεψα?.γ. Κυκλώπων φατιν είναι \ Λ, \ >1 και τούτο το ε^γον.

C) S t r a b o Γ». VIII. ρ. 572. Ed. Almclov. vergl. mit dem Schol. z. E u r i p i d e s Ο r e s t . 963; ferner E u r i p i d e s Ilerc.fur. 15; Electra, 1158; Iphigen. in Aul. 152,534. 1501 und IIc-sych . s. ν. Κυκλώπων εδος mit Not. 20 cdil. Albert. Wobei nicht zu iibersehen ist, was W . G e l l in seinen: P r o b e s t i i cke von S t a d t e m a u e r n des a l t e n G r i e c h en l a n d e s , aus d. E n g l . ÎMiinchen 1831. in 4. S. 24, aufsert: „dafs man bisher (nach Bcobachtungen und Verglei-chungen anderer IVeisenden) keine zureichenden Griinde habe, die Vorbilder von Tirynth und

D

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2 6 LEVEZOW Hier die Entwickelung des Gorgonen-Ideals

Lyc ien zum B a u der Mauern von Tiryns ans Lyc ien nach Argos gebracht hatte ; da ihnen auch spâterhin die Mauern und B a u e von Mycenâ, Argos und Naupl ia , die von Mycenâ noch unter Ferseus , zugeschrieben sind, die Ents tehung aller d i e s e r W e r k e aber weit Î i b e r H o m e r s Zeitalter hinaufreicht ; so mufs auch jenes Medusenhaupt zu Argos als ein C y k l o p e n w e r k im heroi-schen Zeitalter jenen uralten Denkmâlern gleiclizeitig, also fur v o r h o m e -r i s c h , gehalten werden. E s wird erlaubt sein zu g lauben, dafs , nach Maafs-gabe der ùber dem Lôwenthor zu Mycenâ noch erlialtenen zwei Lôwenb i l -der als cyklopiscben Kunstwerken der Bildnerei , die Gro f se jenes Medu-senliauptes ebenfalls kolossal , der Styl roh und starr und die Ziige tind der Ausdruck desselben der urspriinglichen Idee der schreckenerregenden, thie-rischen Wildhei t , wie sie sich noch in den âltesten Dichterschi lderungen zu erkennen giebt, angemessen gewesen sei. Mehr lâfst sich wohl nicht aus der kurzen Andenlung bei Pausanias folgern, aus welcher nicht cinmal ganz sicher hervorgehl , ob man sich dieses W e r k als ein fur sich bestehendes D e n k m a l , oder in Verbindung mit einem Bauwerke zu denken habe, wozu wohl der einzeln genannte K o p f (κεφαλή), entweder rund, oder im Rel ie f , maskenai'tig bearbeitet , die nâchste Yeranlassung geben kônnte .

Aber es wird wohl nicht mit Unrecht zu vermuthen sein, dafs die noch vorhandenen âltesten Abbildungen der M é d u s a , welche aile Eigen-schaften des roliesten Kunstcharakters in Formen , S ty l und im Ausdruck an sich tragen, jcnem uralten cyklopischen Werke ziemlicli nahe stehen und âhnlich sein môgen, da der ihnen tind andern gleichzeitigen Darste l lungen desselben Inhalts eigenthiïmliche T y p u s wohl lange noch, bei dem ersten, nur langsamen Fortschritte der Kuns t , das Vorbi ld der zunâchst folgenden G o r g o n e n - und Medusen-Abbi ldungen geblieben sein wird, deren Ziige uns Hes iodus , wie wir frûher gesehen, zuerst mit einiger grofseren Best immtheit entworfen liât. Man konnte deshalb veranlafst werden eine zweite Pér iode

Mycenâ in Kl. Asien ζη vermuthen;" und hinzusetzt: „dîe mit Sculptur versehenen Felsstilcke „Persîcns sclieinen eine nahere Verwandtscliaft mit den Werken der Cyklopen als anderen, die „wir Lis jetzt kennen, zu verrathen. Die Grieclien liattcn wirklich Tradizionen, dafs der Ileld „Perseus jenes Land besuclite; allein man hielt sie sammtlicli fiir fabelhaft; die Âhnlichkeit ist „jedocli iiberraschend." —

( ' ) Man vergl. die Abbildungen in W . Gel l ' s A r g o l i s , Taf. 10. und die Beinerkungen dessel-ben iiber diefs ,,only exisling specimcn of the sculpture of the heroic âges" v. S. 36. folgg.

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in der Poesie und bildenden Kunst der ylllen. 2 7

der G o r g o n e n - A u s b i l d u n g etwa m i t I l e s i o d u s , der ja selbst von einigen Alten, wo nicbt als Schopfer der G o r g o n e n - I d e e , doch als Erf inder oder Erweiterer ihres Mythus , angesehen wurde ( ! ) , zu beginnen und sie etwa bis auf Κ y ρ s é l u s v o n K o r i n t h hinabzufuhren, an dessen Kindhei t sich die Erwàbnung eines Kunstwerks angekniipft bat , woran die Gorgonen zuerst mit einem, wie es scheint, neuen Attribut ausgeriistet erscheinen. Aber der Mangel an ùbera l l hinlànglich ausgemittelten chronologischen Daten in dieser Angelegenheit und andere wesentliche Umstànde, welche mit den auf uns gekommenen G o r g o n e n - D e n k m à l e r n verknupft sind, stehen einer genaueren A n o r d n u n g derselben noch Perioden entgegen und rathen allein nur zur B e -handlung nach allgemeineren Stylgattungen und Momenten, bei welchen letzteren sich zufiillig und glucklich genug die Fo lge der Momente mehren-theils einer s ichtbar fortschreitenden S t y l - und Cl iarakter-Entwicke lung anreiht.

I c h werde sie daher in der Art zur Anwendung zu bringen suchen, dafs ich zuerst bei jeder Stylgattung und jedem Moment die vollstàndigen Dars te l lungen in grôfseren Komposiz ionen in nahere Betrachtung ziehe und alsdann zweitens die einzelnen wichtigsten Gorgonenkopfe anschliefse, welche sowolil in der Idee jener Momente gedacht werden mussen, als auch im S ty l und in der Charakteristik dex'selben dargestellt , oder doch nahe ver-wandt erscheinen.

E s wird aber zweckmâfsig sein die charakteristischen Merkmale des à l t e s t e n und i i l t e r e n Styls oder T y p u s in der bi ldenden K u n s t vorlâufig in fo lgender Schi lderung zusammen zu fassen, aus welchen ihre Uberein-st immung mit den Scliilderungen der àltesten und alteren Dichter in den meisten Hauptmerkmalen unverkennbar l iervorgeht.

A u f einem gedrungenen, mehr mannlich als weiblich mensclilichen K ô r p e r erschcint ein ubergrofses , unfôrmliches I laupt , fast ohne l i a i s , dieht auf den Schul tern ruhend, bei dessen F o r m e n und Ziigen nur ein menschen-àhnlicher, mehr oder weniger thierischer T y p u s zum Grunde liegt. Dieser K o p f ist ein mehr breites als làngliches Oval ; die Scbeitel entweder nur mit

(') Schol. Venet. in Homer. lliad. p. 149. Ίΐ-ιοδο? έε των ToDyôvtvv μΰΒον Βιίπλαο-ει\ coll. Schol. in llomer ed. BuUmanni p. 395. Εκ TCVTO-J τ Ο ΠΛΆΣ-ΜΑ ro πεοι τ/)ΐ' Γοργόνων γεγοι/ει/ Ήτίοδω κία α-υγγίνειαν αυτχς γενεαλόγε~ιν ίπε<γ_ειξΥτε, και ονοματα περιε&ηκε και cri εκαρατομηΒ'*!·

Ι) 2

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28 LEVEZOW iiber die Entwickelung des Gorgoiien-Tdcals

kurzen, struppichten, oder sicli kurz kràuselnden I laaren , liûchstens nur durch kleine runde Erhôhungen angedeulet, bedeckt , oder auch, und zwar bei den àltesten, von da ab zwei grofse Lockenmas sen in einzelnen W u l s t e n liinter den Ohren bis auf die Schultern, bei einigen auch schon gekràusclt , gleich den Seitenlocken einer Allongenpcriicke, l ierabfal lend und im Al lge-meinen an die kùnstlichen Haarkopfbedeckungen àgyptischer Pr ies ler erin-nernd. Entweder kurze, stumpfe Thierohren, oder mehr in menschlicher F o r m , doch oft noch, statt der zierlich geholten Ohrmuschel des Menschen, eine flache und geplàttschte, wie an mehreren Affenarten. E i n e kurze, ge-runzclte Stirn ; starke, iiber einer breiten, geplàttschten N a s e zusammenge-kniffene Augenbraunen, unter denen aus den lang geschnittenen Offnungen glotzende Augen starr und wuthentbrannt hervorbl icken ; zu dicken Wul s ten aufgetriebene und verzerrte Wangen durch einen grinsend geoffneten, sehr breiten Mund , in welchem zwei Reilien fletschender oder knirschender Zàhne sichtbar sind, von denen die Eckzàhne mehrentheils lang und spitz, wie die mehrerer grofsen Affenarten, oder sogar gekri immt, wie die des E b e r s , furchtbar hervorragen ; endlich eine bis zum breiten, zuweilen selbst zottig gebàrteten K inn hinab hohnend ausgereckte Zunge , oft selbst sogar unter der Zahnreihe des Unterkiefers ganz widernatiïrlich hervortretend.

N o c h f e h l e n die aus dem Haar hervorstrebenden, oder sie durch-windenden Schlangen und die Schlangenumgurtung, mit welcher sie doch schon bei Hesiodus auftreten. Statt deren zeigt sich bei e i n i g e n um den ganzen Umrifs des K o p f s ein Zirkel aufrecht stehender kleiner Nattern, aile von glcicher einfachen Gestalt , doch ohne unmittelbar mit dem K o p f e ver-bunden zu sein.

W a s den Mangel der Schlangen bei den àltesten Monumenten betri f t , so sclieint er weniger durch den Mangel an Kenntnifs der dichterischen Yer-bindung mit der G o r g o n e n - I d e e veranlafst worden zu sein (obgleich auch diese sich wohl erst spàterbin durch die Annahme der Bes l ra fung Medusens durch Minerva mit der Vorstellung jener verband) , als vielmehr dadurch, dafs die Bi ldner bei der noch damais herrschenden Ungeschicklichkeit , den Haaren eine naturliche F o r m zu geben ( ' ) , dieselben nur theils durch grofse

( ' ) Bis zu welchem Grade erstaunenswurdiger Geschicklichkeit, Eleganz und Schonheit es die alten Kiinstler in der Période des schônen vollendeten Styls in absichtlicher Behandlung der

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vvulst- oder wellenfôrniig gebildete Massen, ibeils durch kleine halbkugel-formige, buckelàhnliche Erhôhungen, hôchstens durch einige wenige runde Einschnitte in denselben als Lockchen anzudeuten verstanden und daher die ringelnden Schlangen nicht gut damit zu verbinden wufsten. D a s S c h l a n -g e n h a a r der Dichter war es, was sie in Yerlegenheit setzte und sie deshalb l ieber ganz beseitigten. Das Graziose mochte man sich zu sagen erlauben, was in den Windungen des Schlangenkorpers ersichtlich ist und nur mit ge-schickter H a n d vol lkommen gut yorzustellen, war fiir die damalige, noch in der Kindhei t stehende Kunst eine zu schwere Aufgabe , als dais sie ihre Aus-fuhrung zu unternehmen wagen wollte, und so fielen wohl nur aus diesem G r a n d e auch die Schlangengiïrtungen um den L e i b der Gorgonen -Dars te l -lungen jener Zeit weg, welche dazu besonders aufgefordert haben wurden.

A u c h die A b w e s e n h e i t d e r F l u g e l an vielen der altesten G o r g o -nengestalten ist bei dem fruhen Yorgange der Dichter auffal lend und ruhrt vielleicht aus demselben Bedenken her. Da f s wenigstens sich die altesten griechischen Kuns t le r dabei sehr ungeschickt, ja fast unverstàndlich benom-men haben, lehren ein Paar der altesten griechischen Kunstwerke , von de-ren einem in unserer Bilderschau bald die R e d e sein wird ( * ) . A n den Gor-gonen des a l t e r e n Styls hingegen zeigen sich die F l u g e l schon in ziemlich natùrl icher Gesta l t .

Haare gebracht hatten, wozu ihnen die Medusen-Darstellung zunaehst Veranlassung gab, lehren die beiden grofsen Monumente, sowohl in dem Relief- Schilde in der Villa Albani, als noch im hôheren Grade die prachtvolle Farnesische Onyx - Schaale im borbonischen Muséum zu Neapel, von denen weiterhin die Rede sein wird. Welche Rildung des Auges, des Gefuhls und der lland mufste da nicht, nach tausendfâltigen, mangelhaften Versuchen, vorausgegangen sein, ehe die Kunst diesen Gipfel von Vollkommenheit erreichen konnte ! Auch fur diese Wahrheit liefert die so merkwiirdige Reihe der Gorgonen-Monumente von den ersten rohen Anfiingeu der Kunst an durch aile stufenweis gemachten Fortschritte bis zur Période ihrer hochsten Vollendung die sprechendsten Beweise. Auch dadurch wird ihre Wichtigkeit fiir die Geschichte der griechischen Kunst und ihre Entwickelung in das hellste Licht gesetzt.

( ' ) Das andere bei W i n k e l m a n n . Mon. ined. Taf. 56. Venus auf dem Thron sitzend, den kleinen Amor auf dem Schoofse haltend; vor ihr stehend die drei Grazien, von denen die grôfsere dem kleinen Gott cinen Fliigel an die Schulter zu heften im Begriff ist, zu dessen Befestigung schon die Kreuzriemen iiber die Schulter gelegt sind. Ein Werk im altesten Styl, in welcheni der Fliigel noch in sehr unvollkommener Gestalt erscheint, ganz dem Fliigel des Perseus ahnlich in dem Relief von Sclinus, welches spaterhin beschrieben werden wird. vergl. H i r t ' s Β il d e r -buch. Vign. 19. und S. 60.

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3 0 LEVEZOW iiber die Entwickelung des Gorgoiien-Tdcals

Die B e k l e i d u n g an ganzen Figuren im â l t e s t e n S t y l ist b lofs eine Art Schurz , (1er den untern Theil des Bauchs und die S c h a a m bedeckt , oder ein kurzes, knappanliegendes W a m m s mit und oline Aerinel . A n denen des a l t e r e n Styls schon zu einem formlichen Unterkleide ausgedehnt , lang bis auf die Fersen im Zustande der Ruhe ; l ioeb bis u b e r die K n i e e aufgeschûrzt bei den Gorgonen im Moment des Gehens oder Verfo lgens .

D e r ρ a t h o g n o m i s e l i e Ausdruck ist der einer tbierischen, gereitzten W u t h , mit grinsendem Hohn oder Spot t gemischt, und auf das widerwâr-tigste, abscheuerregendste dargestellt.

D a s sind die plastisch-charakteristischen Bestandtbci le der G o r g o n e n im â l t e s t e n und a l t e r e n Sty l . D a s Mehr oder Weniger von ihnen in den einzelnen Monumenten deutet wohl auf geringercs oder grofseres Kunst ta lent der Verfertiger und auf Zei t - und Orts-Yerschiedenlieiten, welche sich frei-lich jetzt nicht mehr best immt nachweisen, hochstens nur bei solchen Monu-menten sich mit einiger Sicherheit bemerken lassen, deren F u n d o r t in Ver-bindung mit andern chronologischen Beziehungen als g e w i f s dokumentirt vvorden ist.

A. E r s t e r M o m e n t . V o r d e r E n t h a u p t u n g M e d u s e n s .

W e n n ich nun zum nâheren Beweise jener Charakterist ik an die Sp i tze aller Kunstwerke im âltesten Styl zv/ei vorhandene Denkmâler stelle, welche ihrem Fundor te und ihrer Entstehung nach, ferner auch eines Thei l s zufolge des Materials , aus welcliem sie besteben, und andern Thei l s nach Beschaf fen-heit ihrer F o r m und Technik , sich als vollig e t r u r i s c h e Kuns tprodukte zu erkennen geben ; so wird es wohl deshalb bei denen keiner besonderen Recht-lertigung bedûrfen , welche sich durch genauere Pr i i fung vicier, ihrer Ent -stehung nach âchtetrurischer Monumente i iberzeugt l iaben, dafs die darauf enthaltenen ^ orstellungen, bei schon sehr friihem Einflufse griechisclier M y -thik und Kuns t in Etrur ien, durch urspriinglich griechische Jdeen und Y o r -bi lder veranlafst worden, j a oft nur hochstens akkommodir te K o p i e n ganz griechiseher Kunstwerke sind. D i e neuesten Untersuchungen nicht toska-nisclier, oder italienischer, vorurtheilsfreier Archâologen haben diese W a h r -heit wohl schon hinlânglich aufser allen Zweifel gesetzt. —

1. Das erste D e n k m a l dieses Charakters und gewifs cins der âltesten von σ allen vorhandenen dieses Inhalts ist einer der Uberres te von den getriebenen

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in der Poesie wul hildenden Kunst der Alten. 31

Bronzeplat ten, welche im J a h r e 1812 mit einer Masse zahlreicher und man-nigi'altiger Gegenstande aus G o l d , S i lber , E r z , E i sen , El fenhein und T h o n gearbeitet in der Nàbe des Kas le l l s S . Mariano bei Perugia gefunden wur-den ( * ) . Man liait sie, ich weifs nicht mit welcher Wahrscheinlichkeit , fur den U e b e r z u g eines hôlzernen Wagens , welcher darnit beschlagen gewesen sein sol l . E i n T h c i l dieses Fundes aus sehr interessanten Denkmalern be-stehend kam in die Hiinde des gclehrien Englanders Dodwel l , ein anderer in das Muséum zu Perugia ; noch anderes spâterhin in das Mûnchner Mu-seum. Unter denen, welche Dodwel l zu Thei l wurden, bef inden sich auch einige grofse St ï icke, mytliische Gegenstande, Thiere , J a g d e n und Thier-kampfe yorste l lend, besonders aber auch ein grofses Fragment mit der gut erhaltenen Yors te l lung einer ganz von Vorne sitzenden, oder vielmehr nach Af fenar t hockenden Gorgone , welche mit zwei an ihrer Seite aufrecht ste-henden L o w e n kâmpft , welche sie, jeden einzeln, mit einer I land bei der K e h l e gepackt bat und sie damit zu erwiirgen sclieint. In den Windungen eines wulstartigen Randes , der die Λ orstellung und zum The i l auch den I land der Metal lplatte selbst umgiebt, erscheincn oben ein Seepferd und dai'unter ein grofser , einem Kraniclie àhnlicher Yoge l ( 2 ) .

D a das Antiquarium des Konigl . Muséums so glucklich ist, seit K u r -zem einen vortref f l ichen Gypsabgufs auch dieses Monuments mit den ubri-gen Abgi issen dieser etrurisch-peruginischen Bronzen ehemals in Dodwel l ' s S a m m l u n g , jetzt in Mùnehen, zu besitzen, so bin ich im Stande iiber Cha-rakter und K u n s t dieses uralten Wcrkes besser zu urtheilen, als diefs nach Maasgabe der weniger getreuen und sorgfàltigen, i iberdiefs auch sehr ver-kleinerten Abbi ldung bei I n g h i r a m i (Motiumenti etruschi. Serie terza. Bronzi. Tav. X X I I I . ) geschehen kann. S c h o n etwas besser im Ganzen ist die Abbi ldung bei M i c a l i , im a. W . auf T a b . X X V I I I . 5 .

D i e F igur der hockenden Gorgone ist in dieser Stel lung 8 Zol l h o c h ; die P r o p o r z i o n der ganzen Figur 14 Zol l , mit weit aui'gerissenem Maule , d o c h , was W u n d e r nehmen mufs , oline sichtbar getrennte Zahnandeu-

( ' ) V e r m i g l i o l i Saggio di Bronzi etruschi trov. nell' agro Pcrngino etc. Perugia 1813-4. p. VI. g. III. Sainmllich abgeLililet bei M i c a l i , im Allas zur Storiu degli antichi Popoli italiani. Firenze, 1832. ΙΠ. Theile. 8. auf Taf. 28-31 .

C ) M. s. (lie Abbildung auf Taf. I. Fig. 2. zu dieser Abhandlung.

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3 2 L E V E Z Ο W uber die Entwickelung des Gorgonen -Ideals

t u n g C ) , aber mit ausgereckter Zunge, geplattschter Nase , glotzenden Augen und hoeb an den Schlafen angebrachten, menscheniihnlichen Obren gebil-det. V o n der Sebeitel fallen an jeder Seite zwei lange sclilichte Haarmassen, jede in zwei Stre lmen gellieilt, binter den Ohren und Armen bis auf die Scl ienkel den R û c k e n binab. D ie Oberfiache derselben ist durch leicht ein-geritzte Kreuzstr iche bezeicbnet, um das Geflecht der Haare bemerkl ich zu machen. Wcib l i cbe Briiste sind angedeutet. D e r Ober le ib ist ubrigens bis auf die Nabe lgegend mit einem knapp anliegenden, vorn eckig ausgeschnit-tenen W a m m s , dessen Aermel bis zu dem El lenbogengelenk reichen, bedeckt , der untere aber mit einem hosenartigen Kleidungsst i icke bis an das Kniege-lenk. Y o n Schlangen und Fliigeln durchaus keine S p u r . Bis auf die greu-l iche , aber nur popanzahnliche Yerzerrung des Ges ichts kein besonders modifizirler Ausdruck ersichtlich. Ai le einzelnen Gesichtsthei le , Augen-braunen, Augenl ieder , Nasenniïstern und die L i p p e n r a n d e r des weit aufge-i-issenen Mundes sind mit erhobenen Konturen scharf ausgeprâgt . D a s Ver-hâltnifs der einzelnen Thei le zum Ganzen ist ohne auffal lend grofse Unrich-tigkeit beobachtet , eben so die Andeutung einzelner Ge lenke u n d Muskeln . Auch ist die Abs icht einer strengen Symmetrie in der Ste l lung und Anord-nung der F iguren zu einander nicht zu verkennen. Ai les ist indessen noch roh und ilach mit dem Hammer herausgetrieben und verràth den Mangel an eigentlicher Kunstgeschicklichkeit des Yerfertigers. D i e niedrige S tu fe der K u n s t des Zeitalters, in welchem es entstand, mogte wohl vielleicht nicht ohne allen G r u n d noch vor Eriindung des Erzgusses (Olympias 35) , ohn-fehlbar aber in der Per iode noch vor der <l0'lca O lympiade uberhaupt zu suchen sein.

Bekanntl ich ist bei Dichtern und Mytliographen des Alterthums keine S p u r von einem K a m p f e der Lôwen mit den Gorgonen zu entdecken. Wi l l man daher nicht einen verloren gegangenen Mythus dieses Inhalts voraus-setzen, so wird man sich wohl mit dem Gedanken an eine b lof se Kuns t le r -

( ' ) So wenigstens im Abgufs des Muséums. Bei Micali mit Zahnreihe, wahrscheinlich falsch. Denn eben so oline Zahnandeutung mit offenem vollig aiisgescbnittenem Maule, doch mit weit ausgestreckter Zunge, fmdet sich Medusa auf einem Monument von Bronze ganz in ahnlichem Styl, indem die Figur in einen einzigen Lûwenfufs sich endet, als Fufsverzierung, aus C h i u s i , im Antiquarium des Konigl. Mus. zu Berlin. Eben so auch auf einigen andern Medusenkopfen etrurischen Ursprunges.

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in der Poesie und bildenden Kunst der ylllen. 3 3

vorstel lung der furchtbaren Macht der Goi-gonen in diesem W e r k e begniigen miissen, welche ja selbst den Heroen Perseus bewog, mit ihnen den gefâhr-lichen K a m p f zu wagen, aber auch nach der nur unter Minervens und Mer-kurs Beis tande vollbrachtc-n Ermordung Medusens vor ihnen schnell die F lucht zu ergreifen. W a s Wunder , wenn diese ihnen angeeignete Macht in der Volks-sage sich auf mannigfaltige Weise zu erkennen gab und auch durch siegreiche K â m p f e mit Tl i ieren versinnlicht ward, welche man als die stârksten und muthvollsten kannte?

A b e r wir diirfen mit allem Recbt g lauben, in diesem W e r k e den treuen Wiederschein einer der altesten, vielleicht noch cyklopisch-griechischen G o r -gonen - Abbi ldungen zu erblicken und den Prototypus einer Reihe nachfolgen-der Bi ldungen, der sich mit jedem neu wiederholten Yersuche, immer mchr in seinen einzelnen Merkmalen ausbildete und in der alteren Kuns t bis zum vol lendeten Idéal des Furchtbar Scheuslichen sich erhob. —

2 . D a s zweite Monument ist ein auf etrurische Weise sehr reich verzier-tes, doch yiel spâter entstandenes Giefsgefâfs mit einem Henkel , von schwar-zer E r d e , beinahe 2 Fufs lxoch, mit unten breiterem und sich schàrfer aus-ladenden B a u c h , als oben. An dem Henkel befinden sich erhoben und zwar auf dem R a n d e der Mûndung, ein Paar Rote l len , mit Medusenkopfen im alteren S ty l , welche die Zungen ausrecken, verziert. Derse lbe K o p f zeigt sich auch auf einem schmalen, koncentrischen Bande an dem kurzen Halse angebracht . Ai les Bildwerk des Gefâfses ist erhoben gearbeitet, wahrschein-l ich, wie auf allen àhnlichen, in F o r m e n ausgedrùckt und dann mit dem Boss i r s tabe in dem noch weichen T h o n ausgearbeitet .

D a s Gefiifs ist bei dem heutigen Cliiusi, dem alten Clus ium, gefunden und schon von I n g h i r a m i in seinem Museo Etrusco-Chiusino auf der 33sten

und 34"c n T a f e l , und bei M i c a l i (i. a. W.) , A t l a s Tav . X X I I . abgebildet (<) und bei dem ersten a u f S e i t e 29 bis 36 , bei dem letzteren T o m . I I I . S . 21 bis 23 erklârt w o r d e n ; aber freilich auf eine Wei se , welche schwerlich die Zust immung irgend eines unbefangenen Archàologen erhalten wird. E s wiirde hier zu weit fiihren und dennoch nicht der M u b e lobnen, sich auf eine Wider legung beider Herausgeber einzulassen, von denen der eine bei seiner vorgefafs tcn Annahme eines astronomischen Inlialts jenes Rel ie f s , so

( ' ) M. s. die darnach kopirte verkleinerte Abbildung auf Taf.I . Fig. 3. zu dieser AbhandI.

E

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3 4 LEVEZOW ilher die En Iwickelung des Gorgonen - Ideals

vvcit geht, die wahre Bedeutung und den genauesten inneren Zusammenhang des Ganzen zu verkennen, dafs er kein Bedenken getragen liât, die ganze Vox-stellung in zwei besondere, nicht unmittelbar zusammengehorige D a r -stcllungen zu zerreifsen. D e r andere ( M i c a l i ) verfâhrt zwar nicht so gewalt-sam, verkennt aber nicht desto weniger den wahren Inhal t und Ur sprung der ganzen Vorstel lung, indem er die einzelnen Figuren f u r S y m b o l e und Genien des T o d e s und der Unterwelt erklârt, das niostro gorgonico zu einem imnui-gine terrilile del gran dio infernale sollo figura d'implaeahile divoralore delle anime macht, ohne auch nur irgend eine Bedeutung und einen Zusammen-hang des Einzelnen zum Ganzen nachgewiesen zu l iaben. A b e r es mogte wohl unmogl ich sein, mit einem Hinblick auf jene Schi lderungen der âltesten Dichter in der Gestalt der vierten Figur auf jenem Gefâ f se das best immte B i ld einer G o r g o n e zu verkennen. Steht diefs fest, woran nach allen Merk-malen, welche sie an sich trâgt, nicht gezweifelt werden kann, so wird es auch nicht schwer halten, zumal 1111 Vergleich mit einem andern sehr alten griechischen Werke , welches unverkennbar die Enthauptung Medusens durch Perseus darstellt , trotz einigen ersichtlichen Abweichungen in dem jetzt in R e d e stehenden, die Bedeutung der iibrigen einzelnen Figuren und die da-durch erkennbare Vorstel lung des Ganzen zu entwickeln. N u r ubersehe man nicht, dafs man es hier mit der Naehalimung eines uralten, durch keine genaue Charakteristik vol lkommen ausgeprâgten Ivunstwerkes zu tliun haben, welches dalier dem mit griechischen Mytlien und griechischer Kuns t sprache vielleicht nicht hinlânglich vertrauten und durch etruriscli vaterlândischen Kuns t s ty l und eine eigenthiimliche Symbol ik gebundenen etrurischen K o p i -sten Spielraurn genug, theils zu unabsichtlichen Misdeutungen und Abwei-chungen v o m Charakter des Originals, theils zu absichtl iehen, dem Inlialte der etrurisch geformten Mythe gemâfsen Abânderungen und Zusâtzen ubr ig l iefs . Ist man dieser nothwendigen Yoraussetzung eingedenk, so kann es nicht fehlen in diesem Vasenrelief die zusanimenhângende Vorste l lung v o n d e m e r s t e n A n g r i f f d e s P e r s e u s a u f d i e M e d u s a u n t e r d e m u n m i t -t e l b a r e n B e i s t a n d e u n d d e r L e i t u n g M i n e r v e n s e i n e r s e i t s u n d M e r k u r s a n d e r e r s e i t s zu erblicken.

Fehl t gleich in den iibrigen bekannt gewordenen Abbi ldungen dieses Mytlius ein den Perseus begleitender Waffengefâhrte , so kann es dennoch keinen Wider spruch gegen Geist und Sitte des heroischenden Zeitalters ver-

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in der Poesie und b i ldenden Kunst der ylllen. 3 5

ratlicn, wenn wir in der ersten behelmten und mit zwei Speeren bewaffneten F igur unseres Monument s einen solclien W a f f e n t r à g e r d e s I l e r o e n auf se inem gefahrvol len Znge gewahren ; zumal , wenn man bedenkt , dafs der K u n s t l e r zum Vorthe i l seiner K o m p o s i z i o n und der Aus fu l lung des R a u m e s auf dem Vasenfe lde es augenscheinlich bedur f te , sein B i l d noch durch eine N e b e n f i g u r zu vervol l s tandigen. A b e r es verdient auf j eden Fa l l angemerkt zu werden , dafs , wenigstens nach der Zeichnung bei I n g h i r a m i , diese F i g u r in einem kleineren Maafse und auch in einem besseren Korperverhà l t -nisse gebi ldet zu sein scheint, als aile ubr igen , was auch auf eine neuere , wi l lkuhrl iche Zutha t des spàteren Nachahmers jenes àlteren griechisclien Y o r -b i ldes schliefsen lassen kann. J a , es darf nicht ubersehen werden, dafs d iese lbe F i g u r , fast als stehender T y p u s , o f t auf àhnlichen etrurisch-chius i-nischen Vasen erscheint ( ' ) .

D a f s die zweite F igur N iemand anders als M i n e r v a ursprùngl ich habe sein k o n n e n , geht aus ihrer Yerb indung mit den ubr igen F iguren und der ganzen H a n d l u n g hervor , in welcher sie zu der fo lgenden F igur , worin P e r -s e u s , an seinem H e l m und seinem Schwerdte leicht erkenntl ich, begrif fen ist. S i e lenkt o f fenbar be lehrend, wie bei A p o l l o d o r u s (κατευ$υνοΰτής τψ %εΐξα ΆΘηνας), die mit der H a r p e bewaffnete H a n d des He lden , der des-ha lb zu eigener S icherheit von dem verderbl ichen Anbl ick des Scheusa l s weis-lich seinen K o p f abgewendet hat (άττεττξαμμενος) und daher der sichern F u h -rung seiner H a n d Absei ten der Gott in u m so mehr bedar f . V o n dem Spie-gelschi lde der spàteren Zeit , worin Perseus Medusen erbl ickt , und welches die unmit te lbar lei tende H a n d Minervens ersetzt ( 2 ) , ist in dieser uralt-einfachen Yor s t e l lung noch keine Spur und konnte es auch nicht sein, da Minerva hier v o l l i g u n b e w a f f n e t erscheint.

A b e r wie, wird man fragen, Minerva in dieser unbewaf fneten , mit T u n i k a tmd fel lartig geilecktem Mantel lang bis auf die Fer sen verschleierten F i g u r ? — W a r u m nicht? — A u f wie viel Kuns twerken , besonders Vasen-gemàlden eines sehr alten Sty l s erscheint sie nicht ohne W a f f e n , in b lo f s eng-anl iegender , o f t buntgewurfel ter Tunika , hôchstens mit behe lmtem H a u p t e ?

( 1 ) Mchrmals auf Yasen des Konigl. Muséums, auch bei M i c a l i i. a. W . Taf. LI . III.

( 2 ) K«i βλέπων εις άτπίδα yjt/Jtrv, Ùt' γ,ς rr)ν εικόνα τγ,ς Tcçycvoç εβλεπεν εκαξατίμγ,τευ αύτγ,r. A p o l l o d o r a. a. O. — êv τω κατόπτρω d e r S c h o l i a s t zu A p o l l o n . IV. y. 1515.

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36 LEVEZOW iiber· die Entwickelung des Gorgonen-Ideals

W i e oft nicht ohne H e l m ? U n d hier in dieser, vielleicht nicht einmal ganz verstandenen Nachahmung eines uralten, noch einer vol lstandigen Charakte-ristik entbehrenden Originalbildes sollte die Erscheinung der Gôtt in in die-sem K o s t u m ganz be f remden? — W i e , wenn diese F igur das urspriinglich alteste B i ld der etrurischen Minerva wâre? Oder , wenn der etrurische Nacli-ahmer darin die Gôtt in ganz verkannt und dabei nur an ein gewôhnliches W e i b gedaclit hatte, welches er in die ubliche T r a c h t einer etrurischen M a -trone zu bekleiden keinen Anstand nehmen zu diirfen g l aubte? Aber auch hier darf nicht unangemerkt bleiben, dafs eine ganz ahnliche weibliche F igur , in demselben K o s t u m , zuweilen mit einer bewaffneten mânnlichen gruppirt , oder yor einem Unbewaffneten stehend und die rechte H a n d gegen seinen K o p f bewegend, indem sie ihn mit der linken angefafst hat , auf âhnlichen Gefâfsen von Chiusi und Corneto ersichtlich ist ( * ) . — W a s sich der Nach-alimer aber auch immer dabei gedaclit haben mag, ihre urspri ingliche B e -deutung als Minerva ist fiir uns unverkennbar und gehôrt unabweisl ich in den Zusammenhang des ganzen Bildes.

Aus der nàchsten Yerbindung der vierten, schon als G o r g o n e er-kannten F igur mit den beiden, als Minerva und Perseus anzuerkennenden Figuren, wird jene sich wohl besonders als die G o r g o n e M e d u s a darstellen miissen, da diese der Hauptgegenstand in dem Unternehmen des Perseus war und sie hier auf unserem Gefafse so recht absichtlich in die Mitte der ganzen Kompos iz ion hervortretend vom Kimst ler mit besonderer Sorg fa l t auch als Hauptperson behandelt worden ist. Ailes stimmt darin mit der uralten Cha-rakteristik bei den Dichtern und Apol lodorus i iberein. N u r die stumpfen Thierohren an dem ungeheuren K o p f und die v o r n a u f d e n B a u c l i gleich-sam nur gelegten F l u g e l machen allein einen, doch fur die I lauptsacl ie selbst nicht sehr bedeutenden, Unterschied von andern iiclit griechischen Monumenten aus. Aber jene Ohren vertragen sich sehr gut mit einer Ivopf-fo rm, worin das hohere Alterthum das Ubergewicht des Thier i schcn ver-langte und auch zu sehen gewolint war. Diese Ohren erscheinen noch an zwei Medusenhauptern auf àcht griechischen Miinzen eines hoheren Alter-thums und an einigen Gorgonen-Masken von gebranntem T h o n im alteren Sty l , von welchen spaterhin die Rede sein wird.

( ' ) So im Konigl. Muséum und bei M i c a ! i (im a. W . ) auf Taf. XXI. nr. S, 9, 10.

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W a s jene Fli igel anbetrifft , so waren sie ja nach den àltesten Dichtern (doch mit Ausnahme Homer 's , so scheint e s , ) seit l l e s iodus in dem G r a d e eins der Hauptmerkmale der Gorgonen, dafs es vielmehr auffal lend erschei-nen mufs , sie auch an einem andern, sehr alten W e r k e noch nicht zu be-merken ( J ) . N u r die von griechischer Darstel lungsweise ganz abweichende S le l lung derselben auf dem Bauch scheint der spâteren etrurischen A k k o m -modazion allein anzugeboren, fîndet sich aber auch bei anderen geiliigelten Gesta l ten etrurischer Kuns t , welche solchen W e s e n oft mehr als ein F luge l -paar aneignete und in der W a h l der Ste l le des Ansatzes niemals verlegen war ( 2 ) . D e m n a c h ist diefs angelegte Fl i igelpaar nur als eine blofse etruri-sche Zuthat und etwas dem griechischen Urb i lde gewifs eben so ganz F r e m -des mit R e c h t anzusehen, als es in dieser ersten Darste l lungsper iode auch das Schlangenattr ibut war, wovon sich aber auch in dieser etrurischen Nach-ahmung keine S p u r zu erkennen giebt.

In dieser Gestalt nun ist Medusa selbst noch von dem Schwerdt des Heroen u n b e r u h r t ; sie befindet sich in dem angstvollen M o m e n t k u r z v o r i h r e r E r m o r d u n g , wo sie die herannahende Gefahr erblickt und schrek-kenvol l , wie die aufgchobenen Hânde und die abwarts gerichtete Bewegung der F u f s e deutl ich bezeugen, ihr zu enteilen sucht.

D i e auf sie folgende gebàrtete und an den Schultern geflugelte, fiinfte F igur , in dem bunt gegitterten W a m m s , ist wohl kein anderer als Merkur , der dem Perseus ebenfalls zum treuen Wegweiser beigesellte Gefâlirte ( 3 ) .

( ' ) Siehe im zweiten Moment dieser Stylgattung die fliigellose Medusa auf dem Relief von Selinus.

( 2 ) Man sehe die Beispiele von zwei Fliigeln, die vom Bauche an aus dem Untergewande einer Figur an einem Sarkophag ahnlichen Gefafs iiber Brust und Scliulter liervorragen bei I n g h i -r a m i , Mus. Chiusin. Tav. X X X I I . ; von vier Flugeln, welche auf der Mitte des Riickens ange-setzt sind, zwei nach oben, zwei nach untcn sich kriimmende, bei I n g h i r a m i , Tav. IV. und Mon. etrusch. Taf. X V , 4., M i c a l i i. a. W . Taf. XXI , 5. Ebendaselbst. nr. 3 ; das Beispiel von vier Fliigeln, welche eine bckleidcte Figur mit beiden Handen vor der Brust liait und sie an die-selbe andriickt. An einigen Gorgonen-Kopfen sind sie, nicht, wie bei den spiiteren griechischen des schonen Styls, aus dem Kopfe hervorgewachsen, angebracht, sondern, wie z .B. bei M i c a l i im a. W . Taf. C i l . nr. 9., iiber den schlichten bis an die Ohren reichenden Ilaaren in halber Cirkel-form, als eine Art Ilaube gelegt. An einem kleinen Kopfe von Goldblech (ebendas. nr. 13.), umgeben sie auf beiden Seiten den Kopf, wie in den Werken der neueren Kunst die Fliigel die einzelnen Kopfe der Seraphinen.

( 3 ) Έξμοΰ κα\ ΆΒηνης ποοκα^γ^ουμ'ίνυιν. A p o l l o d o r . a. a. Ο. vergl. mit S c h o l . zum A p o l l o n i u s a. a. O.

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38 LEVEZOW iiber die Entwickelung des Gorgoiien-Tdcals

Dafs auch diesem der Ivaduceus fehlt und die geiliigelten Ta lar ia vermifst werden, ist den schon oben bemerkten Mângeln einer sorgfâlt igen Charakte-ristik in dieser uralten Darstel lung allcin zuzuscbreiben. Indessen sind letz-terc augenscheinlich durch die aus den Schultern hervorragenden Fl i igel hin-lânglich ersetzt, so wie auch der Petasus wohl schwerlich in der knapp an-liegenden und den K o p f bedeckenden, runden, hclmartigen K a p p e verkannt werden kann. D ie linke, aufgehobene I land und der gegen die vor den Merkur einhergehende sechste Figur gerichtete B l ick seiner Augen deuten doch of fenbar auf einen Gest der Mittheilung, sei es im guten oder bosen S inn, der W a r n u n g oder der Drohung und Abwehr , welcher freilich bei der Unvol lkommenhei t der Zeichnung und der fast ganzlichen Ausdrucks lo-sigkeit der Gesichtsziige in allen Produkten einer n o c h rohen K u n s t sich kaum von einander unterscheiden, hochstens nur aus dem Zusammenhange des Ganzen errathen lâfst.

A b e r am schwierigsten mogte die Bedeutung der s e c h s t e n und letz-ten F igur dieses Bi ldes zu entwickeln sein, welche in derselben Ste l lung und derselben Haltung der A r m e , wie bei Merkur , ihren, auf hohem wulstarti-gen Nacken ruhenden, scheinbaren Katzenkopf rùckwàrts gegen den Gotter-boten wendet. S ie scheint sich vor der ernsten Demonst raz ion Merkurs furchtsam zuriickzuziehen und von zweï Thieren gegen Merkur vertheidigt zu werden, von denen das eine, ein kleiner Vogel , unmittelbar vor ihrem K o p f e seinen sturzenden F lug drohend gegen Merkur gei'ichtet bat , das an-dere, eine neben ihr stehende Gans , oder ein Schwan, K o p f und Hais feind-selig gegen denselben emporreckt . Ist diese Bemerkung richtig, so mogte wohl nicht mit Unwahrscheinlichkeit in der sechsten F i g u r eine der gorgo-nisclien Scliwestern Medusens in einer etwas fremdart igen Maske versteckt sein, zu welcher entweder ein Misverstândnifs des etrurischen Kop i s t en , oder irgend eine in der von den Etruriern aufgenommenen griechischen Mythe damit vorgenommene Modifikazion Veranlassung gegeben haben. W e n n auch nicht so grafs und widerwartig an Ansehn, als die Schwester Medusa , er-scheint diese F igur dennoch mit ihrem Thie rkopf auf menschl ichem L e i b e immer in monstrôser und schreckenerregender Gesta l t . U n d clarin k o m m e n doch in der Idee aile drei Gorgonen mit einander ùbere in . Da f s sich Me-dusa mit ihrem ungeheuren, wutlischnaubenden und hohnenden Anbl ick vor dieser in milderen F o r m e n gebildeten Schwester in unserem Kunstwerke aus-

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zeichnet, konnte leicht Absiclit des Kunst lers gewesen sein, um dadureh die Verti lgung der ersteren vorzugsweise zu rechtfertigen und in dem Kuns t -werke selbst hervorzuheben. Yielleicbt bat aber auch das im griechischen Originalwerke im Profi l gezeichnete Gesicht der G o r g o n e den etrurischen Nachahmer irre gefiihrt, und die Wuls te , welche bei diesem den l i a i s der G o r g o n e umgeben , konnten leicht durch die misverstandene, an den Seiten des K o p f s herabhangenden Haarmassen entstanden sein, welche sich an dem K o p f des griechischen Originalbildes befanden. Oder sollte diese F igur etwa auf einen Genius des Orts sich beziehen? W e r will es bei der mangelhaften und fremdart igen Charakteristik entscheiden. W a s sie aber auch immer sei, so wird doch unvermeidlich das Yerhaltnifs dieser F igur zum Ganzen und zur P e r s o n Merkurs in der Art zu denken sein, dafs dieser sie von Medusen zu trennen u n d abzuhalten sucht, zu deren Beistande sie herbeigekommen war , oder sich erhoben batte ( ' ) .

End l i ch mogte ich in den drei Vôgeln, den beiden Giinsen und dem herabsti ïrzenden kleineren Yogel , so wie in dem einzelnen Blumcnkelche auf dem Vasengrunde keine andere Absicht des Kiinstlers vermuthen, als dadureh das L o k a l in freier Natur , auf welchem die ganze Begebenheit vor-fiel, anzudeuten. Die Ganse , als Wasservogel , konnen sehr gut die L a g e des Schaupla tzes am Meere bezcichnen; sie sind den Gorgonen , dessen B e -wohnerinnen, vertraut und befreundet, und eilen eben so, wie der kleinere Voge l , zu ihrer Yertheidigung bei dem Anblicke der feindlich einbrechenden F r e m d e n lierbei ; sie geben uberdiefs dem Kunst ler ein Motiv mehr die dro-hende Ge fahr fur ihre bisherigen Beschutzerinnen auszusprechen. —

( f ) M i c a l i hait diese P igur fiir gleichbedeutend mit einer ahnlichen, auf einem der perugi-nischen Bleclie ( a . W . Taf. XXXI . nr. 4.). Er legt ihr einen Stierkopf hei, der freilich bei zwei deutlich, aufser dein einen Ohr, ausgebildeten Ilornern wohl darin erkannt werden kann, aber durch eine lange Mahne sich von jenem unterscheidet. Er sieht darin, da ihm kein Gedanke an einen griechischen Ursprung der ganzen Vorstellung und an ein griechisches Vorbild dersel-ben beikommt, einen spirito dell' Amenli.— In welcher Ideen- und Formen-Yerwandtschaft etwa die Vorstellung eines Medusen- oder Gorgonen-Brustbildes in Relief, im alteren Styl, Fragment einer chiusinischen Vase, wo der Kopf an der Stirn sogar mi t z w e i k l e i n e n a u f -r e c h t s t e h e n d e n H o r n e r n versehen und die Brust mit zwei einander sich ansehenden Pferde-kiipfen bedeckt ist (bei M i c a l i i. a .W. Taf. Cil . nr.8.), zu dieser gehornten Figur stehen moge, wage ich nicht zu entscheiden. Auf jeden Fall dient es zum Beweise, welche Modifikazionen sich die Etrurier mit den urspriinglich griechischen Ideen erlaubt haben.

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S o hatten wir demnach in diesem etrurischen Yasenre l ie f die K o p i e eines uralten griechischen Kunstwerks, entweder eines Vasengemàldes , was mir das Wahrscheinlichste zu sein diinkt, oder eines erhoben gearbeiteten W e r k e s , vor uns , welches den tmmittelbaren Moment vor der Enthauptung Medusens mit noch sehr mangelbafter Charakteristik des Einzelnen Abseiten des griechischen Urhebers darstellt und von dem etrurischen Kop i s t en hochst wahrscheinlich aus Misverstand und vielleicht auch durch eigenthumliche etrurische Akkommodaz ion in einzelnen Theilen verandert ward, in welchem aber die Charakteristik des altesten G o r g o n e n - I d e a l s in der M e d u s a in einer so grofsen Uebereinst immung mit den altesten griechischen Dichtern und mit besonders erhaltenen Hauptziigen des urspriinglichen Af fenbi ldes verseben sich zu erkennen giebt, dafs wir kein Bedenken tragen diirfen, dasselbe zur Grundlage der ganzen sich immer bestimmter entwickelnden Gorgonenbi l -dung mit an die Spitze aller iibrigen Kuns tmonumente dieser Gattung zu stellen.

3 . E ine , ganz in Bi ldung des K o p f s und K ô r p e r s der eben e rk l a r t enMe-dusenabbi ldung âhnliche Dai-stellung einer einzelnen Medusa , nur in kleine-rem Maafse, findet sich an dem Halse eines anderen chiusinischen Gefâf ses , bei M i c a l i (Atlas zum a. W . auf Ta f . C H . nr. 6 . ) selbst mit den auf dem Baucl i l iegenden Fl i ige ln ; offenbar als Einzelnes aus der obigen ganzen Vor-stellung herausgenommen.

4 . Be i I n g h i r a m i ( i m a n g e f . W e r k e , auf der X I X . T a f e l ) abgebil-det ( * ) , eben so wie bei M i c a l i (a. a. 0 . nr. 7.) erscheint Medusa mit einem kurzen, unter dem Bauch gegurteten W a m m s bekleidet , auf das rechte K n i e niedergesunken, indem sie den linken Arm angstyoll in die H o h e hebt . D e r rechte A r m fiillt an der Seite herab. Auch an ihr sind keine Schlangen sicht-bar , auch keine F luge l . Auch diese F igur ist o f fenbar einer grôfseren, vol l-standigen Kompos iz ion entnommen und als blofse Yerz ierung fiir den Hais des Gefâfses benutzt worden, wie diefs hàufig der F a l l bei Gefàfsen dieser Gattung gewesen ist. Daf s das Vorbi ld derselben gleiclifalls g r i e c h i s c h e n Ursprungs war, geht unverkennbar aus dem uralt griechischen W e r k e hervor, zu welchem ich jetzt i ibergehe und welches den Darste l lungen des zweiten

. Moments , nemlich des der Enthauptung Medusens selbst , angehôrt .

( ' ) Man sehe Taf. I. nr. 4. zu dieser ALhandI.

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in der Poesie und bi ldenden Kunst der ylllen. 41

B . Z w e i t e r M o m e n t . D i e E n t h a u p t u n g M e d u s e n s .

E s besteht diefs fur die Geschichte der griechischen K u n s t merkwur-dige W e r k in einer der ehemaligen Metopen eines der mittlern uralten T e m -pel auf der Akropo l i s zu Selinus, welches unter den T r û m m e r n desselben im J a h r e 1S23 von den beiden englischen Architekten S a m u e l A n g e l l und W i l l i a m H a r r i s entdeckt, zuerst von P i e t r o P i s a n i zu P a l e r m o 1825 ( * ) in einer kleineren Abbi ldung, darauf aber von S . A n g e l l und T h o m a s E v a n s in einem grofseren W e r k e zu L o n d o n , 1S26 in F o l . ( 2 ) und im folgenden J a h r e auch von zwei franzôsischen Architekten J . H i t t o r f und L . Z a n t h zu Par i s in F o l . herausgegeben ( 3 ) und besonders in dem engli-schen W e r k e in sehr getreuen und grofseren Abbi ldungen als in dem franzô-sischen, bekannt gemacht worden ist ( 4 ) .

Ihnen zufolge enthàlt das, wie die noch vorhandenen Spuren lehren, ehemals bemal te und aus drei Figuren bestehende, jetzt aber lcider hin und wieder etwas beschadigte Relief , die Enthauptung Medusens in der Art , dafs Perseus , an den Schultern mit zwei, nur in ovalen Umris sen sehr unvoll-k o m m e n angedeuteten Fliigeln ( 5 ) an den Schultern, einem einfachen Petasus, kurzen Sl ie fe ln und einem Schwert ausgerustet und mit einem knapp anliegen-dem W a m m s bekleidet , wiederum unter unmittelbarem Beistande Minervens mit der l inken Hand das Haupt Medusens an der Scheitel gefafst in die I l ohe zieht und mit dem in der Recliten gehaltenen Schwerdle den Hais der Gor -gone durchschneidet . Diese ist auf das r e d i t e Ivinn gesunken und umfafst schûtzend mit beiden Armen den eben gebornen und wie sich noch nach

(') Mcmoria sullc opere di scultura in Se/inunte ullimarnente scopertc etc. Sec. Ediz. Palermo. in kl. 4to.

( 2 ) Sciilplured Melopes discovered amongst the Ruines of tlie Temples of the ancient cily of Selinus in Sicily by IV. Ilarry and S. Angell in the year 1823. Describcd by S. Angell and Tliom as Evan s, Architecls. London.

Architecture antique de la Sicile etc. par Hittorf cl L. Zanth, architecls. Paris. 1827. gr. Fol. L i v r . I - Y .

( 4 ) M. s. die danaeb geniaclite verkleinerte Kopie auf Taf. I. nr. 5. zu dieser AbhandI. Aucli befindet sicli eine Abbildung und IJeschreibung desselben bei T b i e r s c h Epochen der bild. Kunsl unter d. Griecben. 2. Ausg. S. 408 folg. und Taf. I.

C ) Vergl. die Not. ( ' ) S. 29.

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einem Bruchst i ick beurtheilen liifst, vormals geiliigelten Pegasus ( ' ) . D a s Gesicht ihres grofsen, unformlich dicken K o p f e s ist scheuslieh anzuscbauen mit den starr glolzenden und einem feuerroth gemalten Sterne um desto furclit-barer drolienden A u g e n , dem aufgerissenen M u n d e , der die i letschenden Zahnreihen zeigt, aus welchen oben und unten die langen etvvas gekri immten Eckza lme hervorstehen und sicli die blokende Zunge bis zum K i n n liinab-reckt . D i e St irn ist mit kurzen, runden, gekrâuselten L o c k c h e n b e d e c k t ; doch zeigen sich schon hinter den Schlafen menschlich geformte Ohren, hin-ter welchen bis auf die Sclmllern in langen gekrâuselten Strei fen die mah-nenartigen Haarwulste herabfallen ( 2 ) . S o sieht sie auch hier ebenfal ls eher einem reifsenden Thiere als einem menscldichen W e s e n ahnlich, obgleich sonst ihr K ô r p e r vollig menschlich gebildet erscheint. D i e Ohren allein un-terscheiden sie von der Bildung des zuerst beschriebenen alteren Monuments und lassen daher mit Recht auf eine schon spatere Zeit der Ents tehung nach diesem schliefsen. A b e r eben deslialb, weil auf ienem zweiten chiusinischen Gefâfse mit der einzelnen Medusa diese in l l insicht auf S te l lung mit der auf dem Selinuntisehen Re l ie f so grofse Aehnlichkeit bat , sich aber durch die Tli ierohren als ein nach einem alteren Λ orbilde nachgeahmtes W e r k zu erken-nen giebt, mogte man zu glauben berechtigt werden, dafs auch diesem Rel ie f von Sel inus noch ein altères griechisches Werk a l s V o r b i l d zum Grunde liege, auf welebem IMedusa noch mit Tli ierohren versehen erschien, welche der Si-cilianische Kiinst ier indessen, entweder aus eigenem T r i e b e nach Vermensch-lichung des Thier ischen, oder nach dem Yorgange eines andern Kunst ler s in

( ' ) Dieser kleine Anachropismus, (1er sicli dadurch zu erkennen giebt, dafs Pegasus hier vom Kiinstier schon als geboren eingefuhrt wird, ehc nocli Perseus seine Llntige That an Medusen vollendet liât, wovon jener erst nach der Mythe nehst Chrysaor die Folge war, darf dem uralten Kiinstier nicht so iihelgedeuteL werden, Lei der wahrscheinlichen Absicht, dadurch den Charaktcr Mcdusens desto deutlicher zu bezeichnen. Die spateren Kiinstier haben dies freilich mit mehr Besonnenheil vermieden; wie sich weiter ergeben wird.

( 2 ) Diese llaarwulstbildung ist ganz der Ilaarlockenform ahnlich, welche sich an den Kopfen der beiden Kerkopcn bemerklich macht, welche Herkules auf einer andern Métope dieses Tem-pels bei den Beinen gefafst und sic in umgekebrter Richtnng schwebend in der Luft liait (angef. Werk Tab. VIII.). Auch auf der folgenden Tafel IX. d. W . zeigen sich aïs Bruchstucke zwei Koj)fc, ein mânnlich behelmter und ein weihlicher unbedeckter Kopf, in derselben unvollkommen ausgedriickten Haartracht. Offenbar zum Beweise, dafs in dem Zeitalter der \Terfertigung aller dieser Kunstwerke, die Kiinstier das gekrauselte Lockenhaar nicht anders zu bilden verstanden.

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dieser Absicl i t , zu veredlen sich fiir befugt hielt . Daf s der Medusa auf dem Chiusinischen Gefiifse der Pegasus fehlt, den sie auf dem Selinuntischen mit mutterl icher L i e b e schutzend in ihre Arme schliefst, kann dagegen wohl nicht als triftiger Einwand angesehen werden ; indem der Chiusinische Bi ld-ner sich der einzelnen Figur Medusens nur als blofser Verzierung bediente und an der benutzten Stel le des Halses fiir die Anbringung des Pegasus auch nicht der erforderl iche Raum vorhanden war.

A b e r das Rel ie f von Selinus ist, wie ailes lehrt, K o m p o s i z i o n und gezwungene Ste l lung der Figuren, deren unvol lkommene und p lumpe K o r -perverhaltnifse , welche sogar den Charakter des Geschlechts noch unent-schieden lassen, der Mangel an besonderem Ausdruck , die ungelenke Hand-lungsweise und das ganze, noch hochst einfache und sehr unvol lkommen aus-gebildete K o s t u m , ein Werk der altesten griechischen K u n s t . Seine E n t -stehung kann nach den neuesten Bemerkungen eines deutschen Gelehrten, nicht mit Unrecht etwa in den Zeitraum zwiscben die 40s l e und 42" c Olym-piade , a lso 610 bis 20 J a h r e vor Christus gesetzt werden, innerhalb welches Zeitraumes die E r b a u u n g des T e m p e l s selbst nur anzunehmen sein mogte ( ' ) . U n d so hatten wir demnach in diesem Monument die Anzei-ge des ersten chro-nologischen D a t u m s iiber eine bestimmte Dars te l lungs form des Gorgonen-Ideals im alteren S ty l , nach welchem sich die Entstehung anderer, ihm mehr oder weniger âhnlichen mit einiger Sicherheit mogte beurtheilen lassen.

I n diese S ty lper iode der altesten Gorgonen-Charakter i s t ik lassen sich nunmehr auch aile

d i e e i n z e l n e n G o r g o n e n - K o p f e vex-setzen, welche sowohl in Rel ief , als auch in Vasengemàlden, maskenartig

( ' ) S. G u t t l i n g zu R e i n g a n u m iiber S e l i n u s , I l e r m e s . Bd. 33. p. 243 folgd. „die Griindung von Selinus fallt nach T h u c i d . (VI, 4) 100 Jabre nach Griindung des hyblaischen Megara. Diese wird von 0 . Mi i l ler (Dor . 1. S .122) uin Olymp. 13 gesetzt, so dafs die Griin-dung von Selinus in die 3Sste Olymp. fallen wiirde (S. D o r . II, S. 491). Dieser Angabe ist Ilerr Reinganum gefolgt; allein hiernach wiirde sich die Griindung von Trotilon (01.13, 2), Lamis Aufenthalt in Leontini, seine Verbannung, seine Griindung von Tliapsos, sein Tod, die Vertrei-bung der neuen Kolonisten von Thapsos und die Griindung des hyblaischen Megara in zwei Jah-ren zusanunendrangen, welches sicher zu wenig ist. Zelin Jalire sind das Geringste. W i r setzen also <lie Griindung von Megara ungefahr 01.15, 1, die Griindung von Selinunt also uni 01.40, 1. Diese Angabe weicht nur wenig ab von der, welche T h i e r s c h ( K u n s t b l a t t , 1827· Nr.98) zu begriinden gesuclit bat, der Megaras Griindung 15, 4; Selinunts aber 40, 4 setzt." —

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gebildet, tlieils in dieser Période wirklich verfertigt worden, theils spater viel alteren, in derselben bervorgegangenen Originalen nachgebildet sind. S ie konnen zufolge der ilinen zum G r a n d e l iegenden Idee unter die beiden Momente v o r der E r m o r d u n g Medusens , und dann der V o l l z i e h u n g des Mordes selbst begri f fen werden, indem sie dem Charakter des Medusen-hauptes auf dem Rel ie f von Selinus mehr oder weniger entspreehen, und das Bi ld der G o r g o n e , theils wie dort mit n o e l i o f f e n e n A u g e n , theils wie auderwârts mit s i c h s c h o n s c h l i e f s e n d e n A u g e n darstel len.

D ie einzclnen G o r g o n e n - K o p f e i iberhaupt (ycçyeict, ycgyoveia) erschei-nen als Kunstwerke in den vorbandenen D e n k m a l e r n :

1) als fur sich bestehende, grofsere oder kleinere, maskenartige Rel ie fab-bi ldungen des G o r g o n e n - I l a u p t s , einzeln, ohne aile andere Λ erbindung hâufig im àltesten und alteren Styl , aber auch nicht selten im neueren, theils mit offenen Augen, theils mit sich schliefsenden, endlich auch mit ganz geschlossenen. Sie werden als solche gewôhnlich in altgrie-chischen, ital isch-griechischen und etrurischen G r a b e r n gefunden. S ie bestehen hâufig aus gebranntem T h o n , zuweilen noch mit F a r b e n bunt bernai t ; sie finden sich aber auch von anderen Mater ien, ζ. B . von Bern-stein, Bronze , Stein, besonders von Marmor , diese letzten oft in be-deutender G r o f s e ; selbst in Goldblech getrieben ( ' ) ;

2) auf dieselbe W e i s e reliefartig und maskenformig behandelt , aber auf der Flàche einer runden Scheibe, oder eines Schi ldes , mit welcher sie in die W a n d eingelassen worden zu sein scheinen ;

3) in Verbindung mit andern Gegenslanden und als Verzierung derselben, ζ. B . der Gebiiude und der einzelnen Gl ieder ihrer Ornamente , von Aufsen und Innen, der Gerâthschaften, der W a f f e n und Rus tungen , der Gefaf se , in T h o n , Stein und Metall , auch von E l fenbe in ;

4) als I lauptgegenstand auf geschnittenen Steinen, erhoben und vertieft , ôfter aber erhoben ;

5) nicht selten auf Mùnzen des griechischen Alter thums und auf einigen wenigen des rômischen ( 2 ) ; endlich

( ' ) S. was die letzten anbetrift M i c a l i a .a .O. Atlas, CIL nr. 11, 12, 13. im florentiner Mu-séum, u. Tom.II I . S. 190 der Storia.

( 2 ) Die lîelege vom letzten selie man bei R a s c h e Lexic. rei Nu/n. Vclerr. s. v. Medusa angefiihrt.

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6) gemalt , sowohl auf den Ueberzug d e r W a n d e ( ' ) , als auf gebrannten Ge-fâfsen, besonders in dem Innern der flacheren Schaalen im alteren Styl .

Ihre m Kunst charakter nach gehoren sie allen Per ioden der alten Kuns t an und erscheinen daher sowohl in der altesten, als der alteren und neueren Charakterist ik .

J e n e s friiher erwàhnte cyklopische W e r k zu A r g o s , was wahrschein-lich nur ein κεφαλή un d nichts weiter war, beweist schon den uralten Ge-brauch , welchen man vnn dieser Darstel lungsweise machte. D e r abgeliauene K o p f Medusens und dessen Versetzung auf die Aegis Minervens gab wohl zu dieser vereinzelten Kopfdars te l lung die nachste Veranlassung. Beispie le von solchen einzelnen Medusen-Haupte rn geben uns die Schriftstel ler des Alter-thums z . B . C i e e r o im C a p . 56 der I V . Yer r . R e d e , wo er das Gorgonis os pulcherrimum} crinitum anguibus nennt (also im neuesten S t y l ) , welches von E l f enbe in sich an dem Thurfl i igel des Minerven - T e m p e l s zu Syrakus be fand , welches V e r r e s mit dem ubrigen T e m p e l s c h m u c k raubte , ferner P a u s a n i a s , C a p . X . B . Y . einen goldenen Schi ld unter der Bildsiiule der Victor ia auf dem Giebel des J u p i t e r - T e m p e l s zu Olympia , auf welchem die G o r g o n e Medusa ( d . i . das Haupt derselben) sich in erhobener Arbei t be-fand. — E i n Beispie l von einem ablosbaren Medusenhaupte (το Γοξγόνεΐίν) am Sch i lde der Minerva zu Athen, giebt P l u t a r c h . Themis toc l . c. X .

D a r a u s ist mit Recht zu schliefsen, dafs aile diese einzelnen K o p f e nur allein das Haupt M e d u s e n s bezeichnen sol len. Die f s war freilich in der fruhesten Charakterist ik dem der ubrigen Gorgonen ahnlich, oder vielmehr es gab fur aile drei Schwestern nur einen und denselben hâfslichen, schrek-kenerregenden T y p u s , das μοξμωλύκειον, μοξμων der Griechen und manducus der R o m e r ( 2 ) .

D e r so ausgebreitete, vielfàltige und lange dauernde Gebrauch , den man von diesen Medusenhâuptern machte, scheint zuerst die F o l g e von einem der alten W e l t in solchen Dingen sehr gewohnlichen Trugschluf se gewesen zu sein, nach welchem man die vermeinte mirakulôse Wirkung des ursprung-lichen Gegenstandes , wie hier den T o d bringenden Anbl ick des Gorgonen-

( ' ) IMehrere im neuesten Styl im Muséum zu Neapel unter den Ilerkulanisclien und Pompe-janischen Wandgemalden.

( 2 ) Festus s. v. manducus·. S,magnis malis, laie tlehiscens, ingentcm dentibus sonilum edens."

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I l auptes , auch auf die Abbi ldungen desselben i iber t rug ; wie diefs auch die grofse Vervielfâlt igung der Pa l l ad ien-B i lder , besonders auf geschnittenen Ste inen, wohl ohne Zweifel zu erkennen giebt ( ( ) . S o wie hier die ur-sprungl ich schùtzende K r a f t des trojanischen Pal ladiums auch den vielfâlti-gen Abbi ldungen desselben inwohnend gedacht und geglaubt wurde ; so giebt Kr i t ia s im Philopatr is Lucians ( 2 ) dem T r y p h o n auf dessen Anfrage : wozu das Medusenhaupt auf dem Schilde Minervens nutze? in dem gleichen S inne die Antwort : es sei ein Schreckbi ld und Verwahrungsmittel gegen aile Ge-fahren (ψοβεξόν τι καΐ &εαμα άποτξέττικον τ ων &είνων~). W e s h a l b auch E c k h e l in der Choix des pierres gravées du Cab. Imper. S . 62. aus der hâufigen B e o b -aclitung des Medusenhauptes auf den Schilden der Heroen und Kr i eger mit Recht schliefst, dafs man diefs nachgeahmte B i ld als eine an den T o d un-fehlbar erinnernde Schreckgestalt fiir die Feinde angesehen und in Hinsicht auf die geschnittenen Steine, welche diefs I l aupt darstel len, bemerkt : c'est vraisemblement par cette raison} qu'on trouve un si grand nombre des têtes de Meduse sur de pierres de toute espèce} dessinées la plupart a servir d'Amu-lettes ( 3 ) . · " — Man kann sich deshalb auch die Meinung des gelehrten Rei-senden D r . E . D . C l a r k e ' s bei Gelegenheit eines âhnlichen Medusen- I l aupte s , welches L o r d A b e r d e e n in einem Grabc bei Athen gefunden, wohl gefal-len lassen, nach welcher er diese Darstel lung geradezu fur ein }}Meme?ito mori," fiir ein S y m b o l des T o d e s der alten griechischen W e i t zu erklaren, kein Bedenken tragt ( 4 ) . U n d so ist es denn auch nicht zu verwundern, in

( ' ) S. meine Abhdl. U e b e r den B a u b des P a l l a d i u m s a u f g e s c h n . S t e i n e n des A l t e r t h u m s , Braunschw. 1801. 4. S .73. Yergl. mit B u o n a r o t i Osservazioni sopra alcuni Medagtioni antichi. Prooem. p. XIV. in n'àchster Beziehung auf das Gorgonen-Ilaupt, und B o t t i g e r . Fur. Maske S. 111.

Ο Opp. Τ . Π Ι . p. 593, c.8.

( 3 ) M. vergl. B o t t i g e r s Not . * ) zu der Abhandlung Masken im N . T . Merkur . B . I . S. 348.

( 4 ) In den Greek Marbles— deposited in the Vestibule of the public Li-brary of the Univers, of Cambridge. Camlr. 1809. Appendix, p. 67 folg. u. p. VI. Not. a. der Préfacé. — Aber nach jener kurz zuvor von E c k h e l ge'àusserten Meinung ist es um so auffallender, dafs er selbst und sein Nachfolger N e u m a n n , jener bei Gelegenheit einiger Miinzen der Stadt Populonia (in den Numis Veteribus anecdotis zu Tab. I. nr. 9, 10, 11. und derer vom macedonischcn Neapolis (ebend. Tab. Y. nr. 14. p. 65) endlich derer von Abydus Troa-dis (ebend. Tab. XI . nr. 19. S. 193 folgd.) das darauf befindliche Gorgonen-Ilaupt fiir eine bis zum Scheufslichen verzerrte Darstellung b a c c h i s c h e r o d e r s c e n i s c h e r E a r v e n erkliirt;

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griechischen und etrurischen Grabern und auf Gefaf sen beider Nazionen nicht nur einzelne K o p f e als S y m b o l des T o d e s , sondern auch die Yorstel lungen des gorgonischen Mythus in allen Momenten auf den Urnen und Gefafsen zu f inden, welche bei beiden Yolkern so hauiig den T o d t e n in den Grabern bei-gesellt wurden. —

D o c h genug hierûber als Yorbemerkung zu dieser ganzen Klas se von G o r g o n e n - B i l d e r n und ihrer urspriinglichen Bedeutung , von denen icli jetzt nur diejenigen in der Kurze erwàhnen will , welche sich zufolge ihres Styl-Charakters und dem Merkmal der noch o f f e n e n und sich s c h l i e f s e n d e n Augen an die vollstândigcn Darstel lnngcn der beiden ersten Momente an-schliefsen, von denen ich zuvor gehandelt habe . S ie liegen mir theils in den Originalen unmittelbar vor Augen, theils sind sie mir durch treue A b -bi ldungen bekannt geworden.

Y o n den W e r k e n der P l a s t i k zuerst f o l g e n d e : und zwar ci) i n g e b r a n n t e m T h o n :

1. E i n M e d u s e n - I l a u p t mit offenen Augen im àltesten S t y l auf einer her-vorspr ingenden, schildfôrmigen Verzierung eines Chiusinischen Gefâfses , mit ungestalteten, den menschlichen entfernt àhnlichen Ohren ; abgebildet bei D o r o w Voy. Archaeol. dans l'ancienne Elrurie (Par i s , 1 S 2 9 . in 4 . ) auf T a f . I X . F ig . 2 , b. ( * ) Aehnliche bei M i c a l i a. a . O . C H . nr. 253 .

2 . E i n ganz ahnlicher K o p f auf einer abgebrochenen Bote l l e , welche auf dem R a n d e eines Chiusinischen Gefâfses stand, von schwai'zem T h o n ; im Antiquar ium des K . Muséums zu Berlin ( 2 ) .

A u f beiden K o p f e n sind die Haare an der Stirn nur mit einzelnen ge-krvimmten L o c k c h e n angedeutet, wie auf dem Monument von Sel inus , mit welchem sie die grofste Aehnlichkeit haben.

Ν eu man η aber in seinen Populorr. cl Vrhb. numis inedids (Part. I. Tab. Y. nr. 1. p. 146 u. 147) bei Gelegenlieit einer ahnlicben Miinze, welche er nach Neapolis in Macedon. verweist, mit E c k h e l vôllig gleiclistimmig dariiber urtheilt. Nur der damalige Mangel an Gorgonen-Monu-menten aller Styl-Gatlungen und Formen bat wohl nur allein bei beiden so gclehrlen und scharf-sinnigen Alterthumsforschern diesen Irrthum veranlafst, obglcich eine genauere Erwagung der voll igen Abweichung der Medusen-Kiipfe von den sccnischen Jlasken mit weitgeoffnetem Munde, 7.ur Yerstarkung der Stimme der Sprechenden, mit dem mit ilelschenden Zahnreihen und ausge-reckter Zunge geschlossenen Munde jener dieser irrigen Ansicht hiitte vorbeugen konnen.

( 1 ) S. d. Abbild. Taf. I. nr. 6. zu d. Abhandl. ( 2 ) S. d. Abbild. Taf. I. nr. 7. zu dieser Abhandl.

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•4 S LEVEZOW iïbcr die Entwickelung des Gorgonen-Ideals

3 . E i n grofseres Fragment desselben Inhalts , auf einem grofsen, runden Schi lde , welchen ein behelmter und mit einer L a n z e bewaffneter Kr ieger vor der Brus t hait ; bei D o r o w F οχ. Arch. T a f . X I . F i g . i.b. ( ' ) — D i e zusammenlaufenden Augenbraunen und die vielen Runzeln iiber der Nasen-wurzel sind hier besonders deutlich und fur den Ausdruck der thierischen W u t h charakteristisch angegeben.

4 . E in von mehreren, weniger gut erhaltenen, kleineres, fiir sich beste-hendes Antef ixum, von gelbrothlichem T h o n , etwa 1 Z o l l im Durchmesser , statt der Haare mit drei hintereinander liegenden Reihen knopfart iger E r h o -hungen versehen ( 2 ) ; ebenfalls in der Sammlung der gebr. T h o n - W e r k e des Konig l . Mus . zu Berl in ( 3 ) .

5 . Zwol f grôfsere, maskenformig gebildete M e d u s e n - H â u p t e r , im Konig l . Ant iquar . z. Ber l in , aus Unter- I ta l ien herstammend und aile aus derselben F o r m entsprungen, schliefsen sich zunàchst, wenngleich in gemilderterem G r a d e des Ausdrucks , jenen zuerst angefiïhrten an ( 4 ) . Zwci von ihnen sind noch b e m a l t ; die Haare lichtblau, an der S t i rn mit ro then Konturen begranzt ; die R à n d e r der Augenlieder mit schwarzen L in ien angedeutet ; das Gesicht und die Ohren fleischfarben ; die Zahne weifs , die Nasenof fnungen, die L i p p e n und die ausgereckte Zunge zinnoberroth ; der eine noch mit der F a r b e erhaltene Augenstern weifs. D ie grofste Bre i te betrâgt 2 i Zo l l , die I lohe desgleichen. Aus den iibrigen nicht bemalten und in allen F o r m e n scharf ausgedriïckten und gut erhaltenen ergeben sich fo lgende besondere Merkmale . Zwei Reihen einfach gekriimmter L ô c k c h e n umgeben die kurze St irn. D ie Augenbraunen sind scharf hervortretend, die schmalen, wenig geôffneten Augenlieder sehr in die Liinge gezogen. D i e neben den Schlafen befindlichen Ohren sind an allen absichtlich geplâttscht, ohne gehôlte Muschel . D e r Ausdruck der Augen ist der des erlôschenden Bl icks , indem die Augen-lieder im Begr i f f sind, sich ganz zu schliefsen. D i e W a n g e n sind nicht so

C ) M. s. die Abbild. auf Taf. I. Fig. 8. z. d. Àblul.

( ) Wie an dem Kopfe des Ilerkules auf dem urallen Relief des britlischen Muséum. Speci-ttiens of ancient Sculpture. By the Soc. of Dilellant. London. pl. 11. u. Marhles of the Β rit. Mus. II. pl. 7.

C ) M. s. die Abbild. auf Taf. I. Fig. 9. z. d. Abhdl.

C ) M. s. d. Abbild. Taf. I. Fig. 10. z. d. Abbdl.

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in der Poesie und bildenden Kunst der ylllen. 49

aufgelr ieben, als an den zuerst beschriebenen. Aus dem zwar geôffneten, aber nicht ubertr ieben verzerrten Munde ragt die obéré Zahnreihe hervor und zwischen den grofsen und spitzen Eckzâhnen des O b e r - und Unterkie-fers reckt sich noch die Zunge bis zum Kinn herab. Man sieht auf den ersten Bl ick, dafs dieser K o p f das Gesiclit der Medusa zeigt in d e m e r s t e n M o -m e n t d e s V e r s c h e i d e n s w a h r e n d d e r E n t h a u p t u n g und des allmali-gen Zurûcks inkens der wuthverzerrten Ziige in die naturliche L a g e .

6 . A b e r mit schon g a n z g e s c h l o s s e n e n A u g e n zeigt sich ein âhnliches T h o n d e n k m a l , welches C a y l u s im Recueil d'Antiq. T o m . II . auf Taf . X X V I . unter N r . 1. hat abbilden lassen, welches seiner Angabe nach (pag. 80. a. a. O.) in Herkulanum gefunden war, er aber dessenungeachtet fâlschlich fur ein etrurisches W e r k erklârt und fur eine dunkie allegorische Dar s te l lung ; indem er meint , dafs die ausgereckte Zunge bei den Alten wohl nicht dieselbe Be-deutung des Spot t s ( i r r i s i on ) und der Unanstândigkeit ( indecançe ) gehabt haben mogte , wie bei uns heut zu Tage .

7 . 8 . Zwei runde , schildformige Werke von gebranntem T h o n , welche beide aus einer und derselben F o r m hervorgegangen sind und zum Einfugen best immt waren, wie die dazu eingerichteten Rucksei ten deutlich zeigen, mogen mit einem âhnlichen dritten diese Reihe von Thonwerken schliefsen ( ' ) .

J e n e beiden W e r k e halter. 8 Rhl. Zo l l im Durchmesser . E i n A\ Zo l l breites und 5 Zol l hohes Antlitz der Medusa im alten Styl nimmt die Mitte des runden F e l d e s ein. Zwei Reihen knopfart iger Ei 'hôhungen statt der Haare bedecken die Scheitel und umgeben die kurze St irn. D ie Augen sind fast ganz geschlossen; die Wangen aufgetrieben, die Nase ins Brei te gezogen, runde thierisch geformte Ohren an den Schlafen. D e r breite Mund ist geôffnet mit s ichtbarer oberer Zahnreihe, unter welcher die breite Zunge bis zum K i n n hinabreicht, zwischen mâfsig làngeren Eckzâhnen des Ober-und Unterkie fers .

A b e r als ein n e u e s Merkmal umgeben den ganzen U m f a n g des K o p f s a u f r e c h t s t e h e n d a u f d e n g e k r i ï m i n t e n S c h w â n z e n z w a n z i g k l e i n e N a t t e r n , deren dicke K ô p f e mit aufgerissenem Rachen bis an den R a n d des Sehi ldes ragen. S ind sie etwa eine Versinnlichung jenes Hesiodischen Zuges :

( 1 ) M. s. die Abbild. auf Taf. I. Fig. 11. z. d. Abhdl.

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50 LETEZOW iibei'die Entwickelung des Gorgonen-Ideals

in\ Ss S'SWOÏTI κααηνοις Γοξγειοις έδουεΐτο μίγκς φάβας — ( ' ) ?

Beide Denkmaler bef inden sich im Antiquar . d. K . M u s . zu Ber l in aus der v. K o l l e r s c h e n Sammlung .

9. Ein drittes àhnliches, aber am oberen R a n d e etwas beschàdigtes Mo-nument des Ant iq . d . K . Mus . aus der v. M i n u t o l i s c h e n S a m m l . enthàlt eine âhnliche Vorstel lung, doch mit einigen Verscli iedenheiten ( 2 ) . D e r geôffnete Mund ist mit acht langen Zahnen ausgefu l l t ; aber die Z u n g e ist n i c h t a u s g e r e c k t ; zehn noch sichtbare Nattern, aber nicht mit aufge-sperrten Rachen , umgeben den ganzen Umrifs des K o p f s ; von fi inf andern haben sich die Spuren erhalten. D a s Ganze hait Z o l l im D u r c h m . , das Gesicht 5\ Zo l l breit und hoch ( 3 ) .

D i e neue U m g e b u n g des K o p f s mit kleinen, doch nicht unmittelbar damit verbundenen, vôllig gleichfôrmigen Nattern scheint der erste einfache Versuch der Schlangenverbindung mit der Medusa in der b i ldenden K u n s t gewesen zu sein, welche die spâtere Kuns t furchtbar und zierlieh zugleicb damit unmittelbar zu verflechten verstand. E in ba ld anzufiihrendes D e n k -mal einer andern Gat lung wird uns ganz augenscheinlich belehren, dafs hier an keine unmittelbare, nur etwa ungeschickt bewirkte Schlangenverbindung mit den Haaren zu denken sei.

b) A u f M u n z e n zeigt sich die âlteste Charakteristik des Medusenhaupts auch mehrentheils nur auf den àltesten Denkmàlern griechischer Miinzkunst , welche auf der Riickseite noch ohne Gepràge und nur mit dein quadratum incusumoft mit dem noch sehr rohen, àltesten, bezeichnet sind. N u r auf einigen wenigen zeigt sich der Medusenkopf schon in dem quadratum incusum der Riickseite, welche Prâgungsart der mit rohem, bildlosen Quaclrat bekanntl ich am nàchsten steht. S ie sind aile, bis auf eine goldene, von Si lber und finden sich nur auf Mun-zen von dritter Gro f se an bis zu den kleinsten, nur 10, hochstens 10^- Gran an Gewicht betragenden.

(') Seul. Herc. v. 236, 237.

( 2 ) M. s. d. Abbild. auf Taf. I. Fig. 12. z. d. Abhdl.

( 3 ) Ein àhnliches ]Monuincnt etrurischen Ursprunges auf einem Fragment von Bronze im Be-sitz des Fiirsten von Canino, bei M i c a l i im a. W . Atlas, Taf. C IL nr. 15.

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in der Poesie und lildenden Kunst der Alten. 5 1

D a sie aller schriftlichen Bezeicbnung entbehren, so mufs eine be-sl immte Hinweisung auf eine nambafte S ladt immer als selir misslieh, wenig-stens bis jetzt noch als sehr problematisch angesehen werden. Nichts desto-weniger baben einige Numismatiker ihnen hin und wieder best immte Geburts-stadte angewiesen, nach scheinbarer Maafsgabe einiger anderer Stàdtemiinzen, auf welchen sich Medusenhàupter , freilich eines spàteren S ty l s , zeigen und welche entweder mit den Anfangssylben von S làdtenamen, oder auch wohl mit den vollstandigen Namen derselben versehen sind. Diefs sind Mûnzen von Popu lon ia in Etrurien, Camarina in Sicil ien, Mazara in Sicilien mit der punischen Inschrift MSRA; Neapol is in Macédonien, Olbia im euro-paischen S a r m a t i e n , der Insel Achillea bei Sarmatien gelegen, Coronea Boot iens , A b y d o s in T r o a s , Parium in Mysien und einiger anderer noch nicht vôl l ig bes t immt ausgemiUelter Stàdte.

I ch begniige mich hier zuerst folgende als Denkmaler eines zwar sehr * a l ten , aber noch ungewissen Ursprungs- anzufùbren , in deren Medusen-hâuptern wohl so ziemlich die Grundzuge der àltesten und àlleren Charakte-ristik, die sich auf allen iibrigen Mûnzen dieses Inhalls finden, vereinigt dar-stellen môgten .

1. E i n e Si lbermiinze vierter Grofse , 2 D r a c h m . 1 4 ^ G r a n schwer, in der Munzsammlung des Konig l . Antiquar . zu Berl in, sehr àhnlich der von M i o n n e t im T o m . VII . Recueil des Planches, auf T a b . X L , nr. 5, und T a b . X L I , nr . 1. abgebildeten. S ie war mit mehrercn andern ihr àhnlichen, aber sehr kleinen, und noch anderen ebenfalls sehr kleinen griechischen Miinzen in Preussen zusammen gefunden worden Auf der Vorderseite zeigt sich der K o p f der Medusa , welche aiif der Scheitel mit kleinen Ein-schnitten statt der I laare bedeckt ist. D i e Seitenlocken fehlen ; die Zunge scheint, so vicl sich erkennen làfst, gleichfalls zu fehlen. D e r Ausdruck ist grinsend und hohnend, doch scheinen die Augenlieder im Begr i f f sich zu schliefsen. A u f der Ruckseite ein sehr rohes quadratum incusum. M i o n -n e t vermuthet einen athenischen Ursprung , wozu aber wenig Grund vor-handen ist.

2. S i lbermiinze im Konig l . Franz . Cabinet , 3 ' " Grof se , von M i o n n e t im Suppl. T . I I I . Γ Ι . VI I . unter N r . 5. und von N e u m a n n Popull. et Regg.

( ' ) M. s. d. ALLild. Taf. II. Fig. 13. z. d. Abhdl. — Fine nahere Untersucliung dieses merk-wiirdigen Fundes belialtc icli mir zu einer andern Zeit mitzutheilen vor.

G 2

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52 K

LEVEZOW tiber die Entwickelung des Gorgonen- Idaals

Num. Vett. ined. T o m . I . T a b . V . nr. 1. zu Seite ί 46 u . 147 abgebi ldet und von B e c k c r mit grofser Gcsehicklichkeit bis zu einem liohen G r a d e von Tâuschung nachgeahmt ( * ) ·

Zeichnung und Cliarakteristik des Originale geben eine grofse Sorg fa l t des alteren Ktinstlers zu erkennen. D a s ganze furehtbare Antlitz stellt sich in hohem Rel ief dar. D ie Scheitel ist mit geradelinigten nach der St irn zu gekâmmten Haaren bedeckt , die sich an der St i rn in acht flachen, k n o p f -artigen Erhohungen , als Lôckchen , enden. D i e Augenbraunen laufen i iber der Nasenwurzel zusammen, welche mit drei horizontal zusammengekniffe-nen Falten belegt i s t ; daran schliefst sich die breite gepliittschte N a s e an. Aufgetr iebene Wangen umgeben den geôffneten M u n d , aus welchem eine Doppe l re ihe furchtbarer Zâhne mit langen Eckzàhnen hervorragt . Zwischen sie reckt sich bis zum Kinn hohnend die lange Zunge . D ie Ohren sind rnen-schenâhnlich. A u f der Riickseite ein cjuadratwn incusum quadriparlitum schon sehr symmetrisch gebildet. D ie Miinze ist dem Style nach zu urthei-len ein viel spateres Produkt , als die zuerst erwahnte. N e u m a n n und M i o n n e t weisen ihr, trotz dem Mangel jeder epigraphischen Bezeichnung, nach Maafsgabe einiger spâteren Mùnzen mit dem Medusenhaupt und der Bezeichnung Ν Ε Ο Π , Neapol i s in Macédonien zur GeburtssUitte an.

3 . 4. Zwei andere Miinzen im alteren S t y l : eine s i l b e r n e bei P e l l e r i n (Med. d. Peupl. et d. Vill. T o m . I . Pl . 17. ni-. 15) abgebildet ( 2 ) , auf der Yorderseite eine Chimàra enthaltend, auf der Ri ick-seite in einem auadratum incusum den K o p f der Medusa mit T l i i e r o h r e n und von kleinen aufrecht stehenden Schlangen umgeben , wie auf den be-schriebenen schildformigen Thonrel iefs ; selbst mit S p u r e n des Bartes am K i n n ; ohne Be i schr i f t ; doch von P e l l e r i n des C h i m â r a - B i l d e s wegen der S tad t Kor inth zugetheilt ; die andere eine g o l d e n e , ahnliche, ebenfalls ein Medusenhaupt mit T h i e r -o h r e n , doch ohne Bar t , aber von kleinen aufrecht stehenden Nattern um-g e b e n ; auf der Riickseite mit einem vertieft eingepragten I l e rku le skopf statt des Quadra t s , im Muséum Hunterianum} Numi incerti} T a b . 66. nr.vir. vorge-stellt und bei M i o n n e t Recueil des Planches P l . L I X . nr. 12. ( 3 )

(<) M. s. d. Abbild. Taf. II. Fig. 14. z. d. Abhdl. ( 2 ) M. s. d. Abbild. Taf. II. Fig. 15. z. d. Abhdl. ( 3 ) M. s. d. Abbild. Taf. Π. Fig. 16. z. d. Abhdl.

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Be ide M u n z e n stcllen uns zwei Denkmiiler der alteren griechischen Miinzkunst dar , auf welchen sicli nur bis jetzt, wenigstens allein noch er-sichtlich, der âlteste thierische T y p u s mit den s tumpfen ï h i e r o h r e n , der schon sich annâhernden Schlangenverbindung durch die umgebenden Nat-tera und auf der s i lbernen sogar der auf den Vasenbildern allein nur erschei-nende Bar t , ubertragen bat.

5 . E ine andere S i l b e r - M u n z e von Abydos in Ti-oas (Mus. Hunier. T a b . I . nr. x i . ) stellt noch deutlicher als jene oben beschriebencn die um den K o p f aufrecht stehenden Nat tera mit aufgesperrtem Rachen vor , vo l lkommen de-nen àlmlich, welche sich auf den Thonrcl iefs unter N o . 7. und 8. beschrie-benen finden ( ' ) .

c) In andern Materialien geschnitzt und zwar i n B e r n s t e i n

ein ha lbrund gearbeitetes Medusenhaupt in diesem Materia l von dunkler F a r b e , in einem G r a b e bei Armentum in Basil icata mit àlinlichen Bcrnstein-Gebi lden geiunden, jetzt im Antiquarium des K . M u s . in Berl in , Zoll hoch und Zo l l breit ( 2 ) . Der Styl , worin dieses D e n k m a l gearbeitet ist , kommt dem jenes Medusenhauptes auf dem getriebenen B lech von Perugia sehr nahe . D i e Haare sind durch Einschnitte angedeutet und fallen bis in den N a c k e n , wo sie scharf abgesclmitten erscheinen, hinab. D i e St irn ist mit einem breiten Diadem umgeben. D i e N a s e ist breit geplat t scht ; die Ohren aber und die Zâhne fehlen ganz; die Zunge ist sehr breit . Augen-lieder und L ippenrânder sind sehr scharf und grob ausgedriickt. D a s W e r k ist gewifs von sehr hobem Al ler lhum und wahrscheinlich als Amulet getragen worden , da ein der Breite nach durchbolirtes L o c h anzeigt, dafs eine Schnur durchgezogen war, um es damit a m l l a l s e zu befestigen. — N o c h ein iihnliches kleineres im Antiquarium des Kônig l . Muséums . —

Ich t o m m e jetzt zu den Gorgonen-Kopfe 'n in den W e r k e n der INla-l e r e i u n d zwar zunàchst

d ) a u f d e n b e m a l t e n T l i o n g e f a f s e n . Hier stellen sie sich am ausgezeichnetsten und im grofseren Maafsstabe dar auf dem innern Boden der ilaclien, auf zierlicbem Fuf se ruhenden Schaalen

( 1 ) M. s. d. Abbild. Taf. II. Fig. 17. z. <1. Abhdl.

( z ) M. s. d. Abbild. Taf. II. Fig. 1S. z. d. Abhdl.

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5 4 LEVEZOW iiber die Entwickelung des Gorgoiien-Tdcals

von feinem T h o n und sorgfàltiger Fabr ik , vielleicht N o l a s , vielleicht auch Alhens , vielleicht auch zum Thei l 111 Etrurien von einer aus Gr iechenland ausgegangenen Ko lon ie , mit Malereien des alteren griechischen Styls schwarz, mit bunten Farben gemischt, auf ro th l ich-ge lbem und auf weifsem G r u n d e verziert.

1. D a s Antiquarium des Konig l . Mus. besitzt deren f i i n f , drei grofsere und zwei kleinere gehenkelte, von derselben Fabr ik , in demselben Sty l und grôfstentheils mit derselben Charakteristik bernait, worin diese G o r g o n e n -Masken fast aile auf diesclbc Weise vorgestellt s ind. S ie sind in Etrur ien entdeckt und aus Grabern von Corneto und Ponte de l l ' Abbad ia gezogen worden ( ' ) .

D e r thierische, affenahnliche Charakter dieser K o p f - und Gesichts-bi ldung tritt auf keinem andern Monumente dieses Inhalts so deutlich her-vor , als auf diescn Yasengemâlden. Man sollte g lauben, mit Sicherheit die Affenart nacliweisen zu konnen, welche zum Y o r b i l d e gedient habcn mag . Scl iwarze l l aarmassen , welche den K o p f umgeben, offenc-, schwarze, starre Augen , affenmâfsig gekniffene Augenbraunen und gerunzelle S t i rnmuskeln , eine ge])lâttschte und gekràuselle Nase , ein grinsendes Maul mit flclschcnden Zahnen, eine ausgereckte dunkelrothe Zunge, doch ein schon mehr mensch-lich gebildetes Ohr bei den grofsere» , sind auf das Best immteste dargestcl l l . W a s sie aber vor allen andern am meisten auszeichnet, ist bei dem grofsten The i l e derselben das m i t e i n e m z o t t i g e n s c h w a r z c n B a r t besetzte Kinn.

D a die Gorgonen aile weiblichen Geschlechls waren, so mogte es auf-fallend erscheincn, dafs man hier der Medusa den Bar t beigegeben bat . E s ist wohl in keiner anderen Absicht geschehen, als 11m das Thier i sche , Furcht-bare ihres Ansehens desto mehr zu verstârken, wenn man nicht die nachste Grundlage ihres Ideals in einer best immten, bàrtigen Af fenar t annehmen will. Indessen verdient hierbei bemerkt zu werden, dafs τ ο η zwei gemalten Darste l lungen der Echidna auf zwei alteren Gefafsen des hiesigen Ant iqua-riums, das eine dieser j a auch weiblichen Ungeheuer auf dem in Etrurien gefundenen Gefafse mit einem spitzen Bart am K i n n , die andere aber auf

( 1 ) M. s. die Abbildungen von einer der grofseren und einer der kleineren Scbaalen auf Taf. II. I igg. 19 u. 20. z. d. Abhdl. — Ein àhnliches, die Ilaare blau und schwarz, auch die Zunge blau ge-malt und ein anderes mit einigen Verschiedenheiten bei Micali i . a .W. Atlas Taf. CIL nr. 1 u. 10.

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den bei N o l a gefundenen ohne denselben dargestellt ist. S o tràte demnacb auch hier der z o t t i g e B a r t eben so gut, wie auf jener friiher beschriebenen Si lber-Miinze von Korinth, als ein neues charakteristisches Merkmal des altesten G o r g o n e n - I d e a l s binzu, das sich auch wahrscheinlich an grôfseren plastischen Darstel lungen gefunden haben wird, da diese gewohnlich den Stempelschneidern zu Vorbildern dienten.

Dagegen fehlen aber auch hier, wie an allen altesten Abbildungen der Medusa , die Schlangen.

2. Vor allen aber bis jetzt entdeckten Vasengemàlden dieses Inhalts als das furchtbarste zeigt sich das Mcdusenhaupt oberhalb der Vorderseite des Bauchs einer grofsen dreihenkeligen Urne, bei Corneto gefunden, welche sich gegenwârtig in der Sammlung des D u c d e B l a c a s in Paris befindet und von Hrn. P a n o f f k a in dem Musée Blacas (Paris, 1830. in Imp. F o l . ) T o m . I . P l . x . in einer Abbildung herausgegeben und S . 3 0 - 3 4 beschrieben worden ist ( 4 ) . D ie gegebcne kolorirte Zeichnung scheint das Bild in der Grofse des Originals darzustellen. Ihr zufolge zeigt sich das furchtbare Haupt ebenfalls i iber der kurzen Stirn mit einem schwarzen, aber kurz wolligten Haar bedeckt . D i e Stirn ist mit Runzeln stark gefurcht ; die hochgezogenen, offenen Augen sind an den Augenliedern mit Haaren rings besetzt ; die Ohren sind klcin, aber doch menschlich gebildet, die Ohrlàppchen durch zweiknopf-artige Buckeln bedeckt ( 2 ) . Die Nase ist sehr stumpf und breit geplâttscht ; das grinsend aufgerissene Maul starrt mit zwei Reihen schneeweifser Ziihne. Die Eckziihne des O b e r - und Unterkiefers sind wie Schweinshauer gekriimmt, aufserordentlich lang und zugespitzt. Dazwischen reicht die breite dunkel-rothe Zunge, wie bei allen, bis zum Kinn hinab. E in Bart , wie auf dem vorigen, ist nicht sichtbar.

Diefs ganze furchtbare Haupt ist von einem schmalen gelben Ringe umgeben, auf dessen Umkreis sich auf ihren Schwânzen achtundzwanzig stehende, kleine Nattern, mit aufgesperrten Rachen erheben. Diese Schlan-genumgebung ist sehr merkwiirdig, weil der Ring, auf welchem sie stehen,

( ' ) M. s. die danach kopirte kleine Abbild. aufTaf . I I . Fig. 21. z. d. Abhdl.

( 2 ) Ein Medusenkopf, \ \ Zoll hoch und Zoll breit, in der alteren Charakteristik, ain unie-ren Ende eines zierlich gearbeiteten Gefafshenkels in der Uronzen-Sainmliing des verst. Hofraths l ï e c k e r zu Ilomburg, zeigt ebenfalls diesen Ohrschmuck. S. Taf.II. nr. 22. zu dieser Abhdl.

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56 L Ε ν Ε ζ ο w Hier clie Entwickelung des Gorgonen- Idecils

dieselben ganz deutlich von dem Haupte selbst absondert und sie nur als eine mittelbar aussere Zutbat , gleicbsam als einen R a h m e n oder N i m b u s , zu cr-kennen giebt, womit das Gesieht der Gorgone eingefafst ist, u m den Aus-druck des Grauens zu verstàrken. Sie klart daher vo l lkommen die Bedeu-tung der in den angefuhrten Thonmonumenten (unter N r . 7, 8 u . 9) und auf den Mûnzen (unter N r . 3 , 4, 5) bemerkten, àhnlichen S c b l a n g e n - S t e l l u n g und Verbindung auf und zeigt augenscheinlieli, dafs man bei dieser Darste l-lungsweise die Scblangen noch nicht als unmittelbar mit dem I l aa r der G o r -gone verilochten, oder daraus hervorgewachsen, dachte .

Schliefsl ich mag hier als S to f f zu mancherlei Deutungen und K o n -Jecturen iiber nahere oder fernere Verwandtschaft mit griechischer Mythik und K u n s t noch des fôrmlich ausgebildeten G o r g o n e n - I l a u p t e s Erwâhnung geschehen, welchcs Hr . A l e x a n d e r v o n H u m b o l d t in seiner Voyage I. Part, Pelai. liistorAtlas pittor. fol . 23. in einer t re f f l ichen Abbi ldung , auf einem Rel ie f von Basai t , einen Mexikanischen K a l e n d e r vors le l lend und in der IMittc desselben befindlich mitgetheilt und in dem W e r k e selbst in einer scharfsinnigen und umfassenden Entwickelung des Mexikanischen K a -lenders fur ein B i ld , o d e r S y m b o l d e r S o n n e bei den Mexikanern erklârt hat ( ' ) . Gewifs um so merkwurdiger, da spatere Gr iechen in dem Gorgonen-Haupte ein B i l d d e s M o n d e s erblieken zu konnen, G r u n d zu liaben glaidj-ten ( 2 ) , ja a\if geschnittenen Steinen ( 3 ) und griechischen Mûnzen ( 4 ) sich Beispiele des Medusenhaupts vom Thierkreise umgeben finden.

Ich gehe wiederum zur nâheren Betrachtung der grofseren Denkmâler der nun folgenden Momente uber . ο

( ' ) ]M. s. die verklein. Abbildung auf Taf. II. nr. 36. zu dieser Abliandl.

( 2 ) C l e m e n s A l e x a n d r . Strorn. I. Y. p.675, vergl. mit E c k b e l s Bemerkungen zu den Mûnzen von Populonium in Etrurien, Numm. Vell. Aneccl. P. I. S. 14-16 .

( 3 ) M a r i e t t e Traité des pierres gravées. Tom.II. nr. 35. Ein Abdruck bei L i p p e r t Tous. II. 25.

( 4 ) H a y m Thes. Briltan. Τ .Π. Taf.48. nr.6., auf einer Miinze von Aega in Cilicien, aber wohl zu merken, unter V a l e r i a n gepragt, vergl. mit E c k h e l s Bemerkung, Doetr. Num. P. I. Toi. 3. p. 37. z. d. Miinze.

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C. D r i t t e r M o m e n t . M é d u s a u n m i t t e l b a r n a c h i h r e r E n t h a u p t u n g .

Dieser Moment findet sich auf einer zweihenkligen, 15 Zol l hohen Vase ( L a n g l i e l l a ) in altatlischer F o r m , in Etrurien bei Vulci gefunden und aus der S a m m l u n g Candelori in R o m in das Muséum zu Munchen iiberge-gangen. Mir ist durch die Giite des Herrn Professors G e r h a r d in R o m davon eine genaue Durchzeichnung zugekommen. Ihr zufolge nimmt die eine Sei te der Vase folgende Vorstellung ein mit schwarzen, aber mit weifs und roth untermischten, Figuren auf gelben G r u n d e ( ' ) . —

Medusa mit eben enthauptetem blutigen Halse ist mit ausgestreckten Armen im Begr i f f auf das rechte Knie zu sinken. E i n W a m m s mit Aermeln , die den Oberarm bedecken, bekleidet die Brust und den Unterle ib vom Halse bis zu den Hii f ten. U m Hiiften und Schaam ist eine Art Schurz geschlagen. Be ide Kleidungsst i icke sind bunt mit weifsen und rothen F lecken betiipfelt . D ie Fi i f se sind mit kurzen Ilalbstiefeln (Kotl iurnen) angethan, von denen sich vorne eine gekriimmte La sche abbiegt. Z w e i g r o f s e F l i i g e l ragen aus den Schultern hervor. Von Schlangen keine S p u r . N e b e n ihr linker-liand eilt Per seus , mit spitzem Kinnbart , eben so bekleidet wie Medusa , aber auf dem K o p f e den Petasus t ragend, von welehem sich eine lange spitze K r e m p e nach vorn hervorstreckt, davon. An den Fiifsen ist er mit àhnlichen St iefeln bekleidet, wie Medusa. In der rechten Hand hait er das nach unten geriehtete, etwas gekriimmte Schwert . U e b e r dem linken auf-geliobenen A r m hàngt an Riemen die lederne T a s c h e herab, worin er schon das H a u p t Medusens gesteckt hat, welches daher niclit sichtbar ist. Die Fi i fse sind im Luftschr i t t ausgespreitzt.

A u f der andern Seite neben Medusen Minerva mit unbedecktem, blofs mit einem St i rnbande geschmuckten Haupt , in langer weifs und roth geileck-ter T u n i k a mit halbc-n Aermeln und dariiber geworfener Aegis , deren R a n d mit Schlangen und Zol ten besetzt ist. Diese hait sie mit der linken Hand , an Sehi ldes Stat t , um sich zu scliirmen gegen Medusen in die Hôhe . In der rechten H a n d tràat sie die Lanze .

( ' ) M. s. die verkleinerte Abbild. auf Taf.II. Fig. 23. z. d. Abhdl. — Auch abgebildet bei Mi -ca 1 i (i. a. W . ) Atlas Taf. LXXXVIII , 5.

I I

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5 8 L E V E Z O W iiber die Enlwickelung des Gorgonen-Ideals

Die Ilinterwand der Scene ist mit Laubzweigen bernait. Der Stvl in diesem Gcmàlde ist der àlteste der griechischen Vasen

malerei, mit stehendem Typus in der Zeichnung der Formen, ohne allen hesonderen physiognomischen Ausdruck und mit allen Inkorrektheiten und Miingeln in der Zeichnung, wie er sich noch bei dem Mangel an richtiger Auffassungsgabe der Natur und hinlànglicher Uebung in der Darstellungs-weise in allen Kunstanfângen zu zeigen pflegt ( * ) .

Die andere Seite ist mit einer Vorstellung, welche auf Aeneas und Anchises Bezug liât, bernait, in demselben Styl, welche ich indessen hier ubergelie ( 2 ) .

Wenn uns diefs Monument, aufser dafs es eine wichlige Lucke in der Reihenfolge der Momente unseres Gorgonen -Cyklus ausfiillt, zwar kein besonderes Merkmal in der Charakteristik des Medusenhaupts, weil es ganz fehlt, darbietet ; so stellt es doch die mit F l i i g e l n b e g a b t e und mit K o -t h u r n e n b e k l c i d e t e Medusa zuerst vor, wodurch zugleich dessen spatere Entstehung, als die der zuvor aufgefiihrten Denkmaler ungeiliigelter Gorgo-nen, wohl mit Reclit vermuthet werden kann.

Aber iiber diese neue Erscheinung der Flugel an den Gorgonen werde ich einige nâhere Bemerkungen bei der Beschreibung der Vorstellungen des nun folgenden Moments ankniipfen.

( ' ) Dieselbe Scene, doch ohne Mînerva, auch auf einem nolanischen Gcf:ifse in der Samml. Blacas in Paris (bei P a n o f k a Λluscc Blacas PI.XI.), aber im neueren Styl, mit rothen Figuren auf schwarzem Grunde. Medusa nach abgehauenem Kopfe ist im Moment zur Erde zu sinken, Indem noch ein Strom von Blut aus dem Ilalse stiirzt. Sie ist mit zwei grofsen Fliigeln, und einer lioch aufgeschiirzten, armellosen Tunika, unter dem Bauch gegiirtet, vorgestellt. I)ie Formen ihres Korpers sind jugendlich schlank. Vor ihr eilt Perseus, in sehr jugendlicher, fast knabenhafter Geslalt, mit dem schon in der Kibisis verborgenen Ilaupte, welche er iiber den linken Arm gehangt liât und mit derselben Iland hait, weiten Fliigelschrittes davon. Sein Haupt ist mit dem gelliigellen Petasus in der Ilelmform bedeckt, der Korper mit einer kurzen, lioch aufgeschiirzten Tunika; in der rechten Iland liait er die Harpe; die Fiifse sind mit den gelliigel-ten Ilalbstiefeln bekleidet. Oberhalb neben dem Kopf: Ι Ι Ε Ρ ^ Ε ^ Κ Α Λ 0 2 . — Fabrik und Styl nothigen den Ursprung dieses Gefafses in die Période des schonen Styls zu versetzen.

C ) M. S. die Abbild. davon bei M i c a l i i. a .W. Ta f .LXXXYHI . 5.

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D. Vierter Moment . Die Verfo lgung des Perseus durch die beiden g o r g o n i s c h e n Schwestern nach der E n t h a u p t u n g Medusens .

Jenes neue, kurz zuvor angezeigte Merkmal in Erweiterung des Gor-gonen-Ideals in der alteren Stylperiode der bildenden Kunst stellt sich uns in dem Bloment der Yerfolgung des Perseus nach der Enthauptung Medusens an allen drei Gorgonen ganz entschieden dar. So viel ich weifs ist dieser Moment nur allein noch vollstândig auf einem altgriechischen Gefafse im Antiquarium des Kônigl. Mus. zu Berlin dargestellt. Aber wir haben diesen Gegenstand schon auf dem lieraklcischen Schilde bei I l e s i o d u s in dessen poetischer Scliilderung von dem darauf befindlichen Bildwerke erblickt. Ebenfalls erzahlt uns P a u s a n i a s , dafs er an dem uralten, sogenannten Kasten des Kypselus, dem durch eingelegtes Bildwerk kunstreichen Weih-geschenk der Kypseliden zu Olympia, auch eine Vorstellung der geflugelten Gox-gonen, welche den Perseus verfolgen, mit beigeschriebenem Namen des Hei-oen gesehen habe (*) .

Dafs der Perieget hier ausdrucklich der g e f l u g e l t e n Gorgonen er-wàbnt, worauf schon H e y n e ( 2 ) aufmerksam machen zu miissen glaubte, mogte zu vermuthen Veranlassung geben, dafs er unter allen uralten Dar-stellungen desselben in d i e s e r zuerst die Gorgonen gefliigelt angetroffen, da er doch in seinen Bcschreibungen der Kunstwerke mit Anfiïhrung solcher Nebenumstande, die ihm und seinen Lesern von Ilause aus bekannt waren, sehr zu kargen pflegt, und er hier zur nâheren Charakteristik der Vorstel-lung auch nichts mehr hinzusetzt. Auch ihm waren daher schon altéré Yor-stellungen der noch u n g e f l u g e l ^ e n Gorgonen als gewohnlich bekannt.

Der Moment der Verfolgung des Perseus von Seiten der Gorgonen war es wohl zunachst, welcher zur Verbindung der Fliigel mit ihren Gestal-ten Veranlassung gegeben hatte. Da Merkur und Perseus ihre Flucht mil Htilfe ihrer remigia alarutn durch die Luft bewirkten, so mufsten die Gor-gonen natûrlich mit einem àhnlichen Flugelwerke versehen sein, um ihnen auf dem eingeschlagenen Wege nacheilen zu konnen. Es blieb sowohl den

( ' ) P a u s a n . L . Y , c. 17.

( 2 ) U e l j c r den K a s t e n des K y p s e l u s , ein altes Kunstwerk zu Olympia etc. Gotlingen, 1770. δ. S. 43.

H 2

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6 0 LEA'EZOW Hier die Entwickelung des Gorgonen-Ideals

diesen Moment schildernden Dichtern, als den ihn plast iseh u n d malend darstellenden Kunst lern deshalb kein anderes Hulfsmit te l i ibrig, als auch den gorgonischen Schwestern das allbekannte W e r k z e u g und S y m b o l ge-schwinder, zumal schneller L u f t - B e w e g u n g , nemlich die Fli igel , anzueignen. I les iodus war darin als Dichter yorangegangen ; die Dars te l lung auf dem uralten Kas ten des Kypse lu s mogte wohl die erste Dars te l lung dieses Mo-ments durch die plastisclie K u n s t sein, daher sich hier auch nur zuerst die Gorgonen geflugelt darstellen konnten, was bis dahin mit ihnen nicht der F ail gewesen war.

So ward von dieser Zeit an das Flugelpaar neues Attribut der Gorgo-nen, welches auch zugleich auf Medusen uberging, weshalb wir auch die enthauptete Medusa auf dem sogleich zu erwâhnenden Monument eben so-wohl damit ausgerùstet erblicken werden, als wir sie schon im Moment ihrer Enthauptung auf dem kurz zuvor beschriebenen âlteren Vasenbilde damit gesehen haben.

D a Kypse lus Herrschaft in Korinth um die 29ste Olympias , etwa 663 vor Christus, Statt fand, so ergiebt sich wenigstens daraus (man mag nun auf die Existenz jenes Kastens schon vor K y p s e l u s G e b u r t , oder auf die Vermuthung des Pausanias , dafs Eumelus von Kor inth der Verfasser der den Bi ldern beigescliriebenen Verse sei ( ' ) , oder auf die unwahrscheinliclie Ver-muthung, dafs dieser Kas ten erst zu Olympia von den N a c h k o m m e n des Kypse lus bestellt und geweilit worden, Riicksicht nehmen oder nicht), es ergiebt sich daraus, dafs schon vor der Begrundung v o n Sel inus , also auch vor Anfertigung des besprochenen Selinuntisehen Tempelre l i e f s , die Gor -gonen geflugelt abgebildet worden sind. ^ o r a u s wiederum mit einiger neuen Wahrscheinlichkeit gefolgert werden konnte, dafs das Vorb i ld des zuletzt genannten Reliefs einer viel fruheren Pér iode angehôrte , in welcher die G o r -gonen noch ungeflugelt gedacht wurden.

i . D o c h ich komme zur nâheren Betrachtung des angekundigten Vasen-gemaldes. D a s Gefiifs im Antiquarium unsers Muséums , woran es sich be-findet, besteht in einer z i e r l i c h e n S c h a a l e von gebranntem T h o n , auf hohem Fufs , mit hoherem als sonst gewohnlichen R a n d e und mit zwei hori-zontal angesetzten Henkeln, mit welchen es im Durchmesser 13 Zo l l Rheinl.

( ' ) Zu Anfang des ersten Messen. Kricges, Olymp.IX, 2, vor Christ. 742.

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liait und 52s Zo l l Hôhe hat. D ie Grundfarbe desselben ist stark l ederge lb ; die F iguren sind schwarz mit einzelnen roth und weifs gemalten Thei len und eingeritzten K o n t u r e n . E s giebt sich als ein P r o d u k t der alteren griechischen und zwar Nolanischen Vasen-Fabr ikaz ion zu erkennen, wofiïr es auch von P a n o f k a im Ivatalog der Bartoldyschen Sammlung ( ' ) erklart wird. D a es aber aus dieser Sammlung stammt, die sich hâufig aus etrurisclien Ausgra-bungen bereicliert hat, so ist es liôchst wahrsclieinlich, dafs es die grieehi-sche Ausbeute aus einem etrurisclien G r a b e sei. In dieser Vermuthung stimmt es auch in Il insicht auf Technik und S ty l der Zeichnung ganz mit den alt-griechischen Gefâfsen uberein, welche in so grofser Zab i in der letzten Zeit auf etrurischem G r u n d und Β ο den entdeckt worden sind und von denen die kônigliche Vasen - Sammlung einen so bedeutenden The i l in dem neuesten Ankauf erworben hat.

D i e auf der Schaale enlhaltene Vorste l lung des von den Gorgonen verlolgten Perseus ist nun folgcndermafsen angeordnet ( 2 ) . S ie nimmt im Ganzen die eine Seite des âufseren Obertheils vom Baucl ie der Vase bis an den sich etwas uberbiegenden R a n d des Gefiifses zwischen den beiden l ien-keln ein. D i e I l o h e der gemalten Figuren ist zwei Zo l l . Voraus dem Be-schauer red i t s hineilend Perseus , mit zuruckgewandtem K o p f e , gebàrtet . Auf dem K o p f e tragt er den unsiclitbar machenden He lm des P lu to von hell-gelber F a r b e . D e r L e i b von den Schultern an ist mit einem rotlien, knapp anliegenden H e m d e bedeckt ; dariiber von der Brust bis zum Unter le ibe ein hel lgelber Panzer , der mit zwei Riemen i iber die Schultern gehend, befe-stigt ist. Hinter dem Rucken hangt fast horizontal hervorragend die fast kocherart ige Gesta l t des ledernen Beutels (Κίβιτις) hcrvor , worin das abge-hauene H a u p t Medusens verborgen war. D e r linke A r m ist vorgestreckt , etwas in die Hohe gehoben und die zusammengefaltete Hand giebt zu erken-nen, dafs sie etwas hait, wahrseheinlich die Harpe . Dieser Gegenstand, der bis an den Ansatz des I lenkels reiehte, ist aber dadurch ausgeloscht, dafs der abgebrochene I lenkel wieder angekiltet ward und man die Verkit-tung mit neu uberstrichener F a r b e zu verdecken suchte. D e r rechte Arm

( ' ) P a n o f k a II Musco Barioldiano. Berlino, 1827. 8. p . 7 7 - 8 4 . Der Verf. bezeichnet das Werk aïs Nolaniscbes Produkt.

( 2 ) M. s. d. etwas verkleinerte Abbildung auf Taf. II. Fig. 24.

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6 2 LEVEZOW iiber die Entwickelung des Gorgoiien-Tdcals

hangt vom Korper abwiirts mit geoffneter Iland herab. Die Beine sind im weitesten Luftschritt ausgespannt und mit Halbstiefeln bekleidet, von denen sicb vorn am Schienbein eine sich kriimmende Lascbe al)biegt, wie auf allen Abbildungen dieser Halbstiefeln auf den alteren Monumenten, ohne dafs diese L a s c b e etwa besonders die Fliigel an den talariis, oder Kotbui'nen Merkurs, andeuten soll. Denn auf diesem Monument tragt Merkur diesel-ben Stiefeln, wie auf dem kurz zuvor besebriebenen Yasenbilde aucli Me-dusa mit ihnen ersebeint. — Dem Perseus folgt Merkur, gebiirtet, fast in gleicher Gestalt wie Perseus, doch mit nach diesem gerichteten Gesicht, in der Rechten den Kaduceus haltend. Die Fiifse sind wie schon bemerkt mit ahnlichen Halbstiefeln bekleidet, wie bei jenem. Er scheint mit der aufge-hobenen Linken dem Perseus den Weg zu zeigen, wclchen er nehmen soll, oder ibn zur schnellsten Flucht zu ermahnen. — Nun folgen die beiden ihnen nacheilenden Gorgonen, in gemeinsamer Gestalt, Bekleidung und Ilaltung, mit einem kurzen, knapp anliegendcn Hemde, ohne Aermel, von rother Farbe, angelhan, welches am Ilalse von einem doppelten schwarzen Saum, unten am Rande aber mit einem einfachen schwarzen Saum eingefafst und iiber den Huften eng mit einem schwarzen Giirtel befestigt ist. Gleich-falls schwarze, enlfaltete, doch mit den Spitzen nach unten gekehrte Flii-gel gehen von den Schultern aus. Der miltlere Theil der Fliigel ist mit derselben braunrothen Farbe bemalt, wie das Unterkleid. Die Fiifse an beiden sind in derselben Richtung, im Luftschritt, eben so ausgespreitzt, als bei den vorigen mânnlichen Figuren. Bei der ersten Gorgone erscheinen beide Fiifse schwarz gemalt, bei der zweiten der linke weifslichgelb und der rechte schwarz. Der linke Arm mit der linken Iland ist bei Beiden recht-winkelig gebogen und in die Hohe geboben ; bei der ersten Gorgone von schwarzer Farbe. Der rechte Arm hangt bei Beiden, einen stumpfen Win-kel bildend, in gleicher Richtung hinab. Die Kopfe ragen in furchtbarer Verzerrung, mehr breit als lang, aus den Schultern hervor, umgeben mit einer breiten schwarzen, Perrucken ahnlichen Haarmasse, die in den Nacken liinabfâllt und gleichsam mit den schwarzen Fliigeln veriliefst. Da, wo sich das Haar auf der gerunzelten Stirn erhebt, ist es mit eingeritzten Wellenlinien begrânzt. Die einzelnen Theile des weifslichgelben Gesichts sind durch ein-geritzte Umrisse angedeutet, die Augenbraunen angegeben, die Augenoffnun-gen mit scharfen, spitzen Winkeln in die Lange geschnitten ; die Nase ist

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geplàttscht, das breite Maul grinsend geoffnet ; darin eine Doppelreihe gro-fser und breiter Schneidezàline siehtbar, un te r welehen in braunrother Farbe die berausgestreckte Zunge bis aufs Kinn ganz unnatiirlich binabreielit ( ' ) . Das Kinn selbst ist bis zu den breiten, geplattschten, weit vom Kopfe ab-stehenden, unfôrmlichen Ohren hinauf mit einem schwarzen, schlicht herab-bàngenden, doch kurzen Barte, wie mit Franzen besetzt. — Endlich folgt zum Schlufse der ganzen Vorstellung, mit den ausgestreckten Fiifsen auf der Erde liegend, aber mit erhobenem Obertheil des Iiorpers, der durch die vorgestreckten Arme und Ilânde gestiitzt wird, Medusa, eben so wie die Schwestern bekleidet, nur mit einem Unterkleide von schwarzer Farbe. Aber statt des vom Perseus abgeschnittenen Hauptes ragt vom Halse, dicht von den Schultern an, das bemàhnte Haupt eines Pferdes heraus. Diese Dar-stellung von der Geburt des Pegasus ist itn hochslen Grade merkwiirdig. Pegasus und Medusa sind hier zu einem Subjekte, wahrscheinlich nur durch einen gliicklichen Kunstlereinfall verschmolzen ( 2 ) . Diese Darstellungsweise wird indessen weiterhin, in einem andern Monumente, welches auf gleiche Weise die Geburt des Chrysaor darstellt, ihre Parallèle finden.

Auffallend ist die Lebereinstimmung der Gesichter beider Gorgonen durch das schwarze wallende Haar und den schwarzen zottigen Bart mit den zum Theil eben so ausgestatteten Medusenkôpfen auf den oben angefiihrten Schaalen des Antiquariums.

Es wàre nicht unwahrscheinlich, dafs wohl aile die mit diesen cha-rakteristischen Merkmalen versehenen Abbildungen auf den Yasen einem und demselben Zeitalter und einer und derselben Geburtsstâtte entsprungen sein môgten.

Aber auch diesen vollstàndigen Gorgonen- Gestalten fehlen die Schlan-gen eben so gut, als den einzelnen grofsen Medusenkôpfen auf den Schaalen. Sie waren zufolge des Mythus wohl iiberhaupt nur der Medusa allein eigen.

( ' ) Auf gleiche Weise zeigt sich ganz deullich die Zunge unter der unteren Zahnreihe her-vorragend auf einem alten etrurischen Thonrelief hei M i c a l i Taf. CH. nr. 2. d. a. W .

( 2 ) Durch dieses spater entdcckte Denkmal ist auch zugleich die Liicke in Β. Τ h or la c i u s gelehrter Abhandl. de l'egaso et Pegasi rnylho, c/uatenus cuni Musis conjuncius est, (jualis-que apud Scriplores veleres et in priscae ai lis monumenlis, praecipue in gemma Monra-diana inedita representalur in dessen Prolegg.el Opp. Academie. maxime philolog. Vol.IV Diss.IV. Sect.Hi. S. 77., Ilavn. 1821. ausgefiillt.

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6 4 LEVEZOW iiber die Entwickelung des Gorgoiien-Tdcals

Aber sie lehren i iberdiefs , dafs die alteste, furchtbare , doch schlangenlose Vorstel lung der Medusa dieselbe war, welche man auch von ihren Schwestern hatte, nachdem wir fruher bemerkt , dafs jene einzelnen G o r g o n e n - K o p f e kcine anderen, als nur die der Medusa sein konnen.

2. E i n erhobenes W e r k von gebranntem T h o n im Antiquar ium des hie-sigen Muséums , aus dem Boden Grofsgriechenlands ans L i c h t gezogen, stellt die ganze Gestalt einer der beiden gorgonischen Schwestern Meclusens in grofserem Maafsstabe vor , doch ohne auf irgend einer darunter l iegenden Flàche befestigt oder daraus hervorgearbeitet zu sein ( * ) . Wahrscheinl ich war es dazu best immt, als Verzierung einer W a n d , oder einem andern archi-tektonischen Thc i le z . B . einem Friese , durch Ki t t oder E i n f u g u n g angeeignet zu werden (ein antefixuni). E s bildete ohne Zweifel den einzelnen Thei l einer aus mehr F iguren bestehenden, und dem eben beschriebenen Yasen-gemàlde ahnlichen Rel iefcomposiz ion, die Verfolgung des Perseus nach der E r m o r d u n g Medusens darstellend. Diefs einzelne D e n k m a l ist jetzt nur noch be i einigen erlittenen Mângeln 7 \ Zol l hocli und Z o l l breit in der weite-sten Ausdehnung. D i e Dicke betragt \ Zol l . W i r seben darin e i n e d e r f l i e g c n d e n G o r g o n e n . Aber die I lâlfte des l inken Fl i igels ist ver loren gegangen, so wie auch die Hâlfte des Unterschenkels des rechten Fufses nebst dem Unterschenkel des linken Fufses bis zum Kniege lenk. Ai les ist in den F o r m e n gut und so scharf erhalten, als es die lange D a u e r seiner Existenz und die Rohlieit der K u n s t , womit es gearbeitet ist, nur imrner bat erlauben wol len. E s war ursprunglich mit verscbiedenen F a r b e n bernait ; doch bat die Malerei sehr gelitten und schimmert nur noch in den tieferen Stel len und Fal ten hervor . A u f den mehr erhobenen ist sie fast ganz er loschen. Den-nocb erkennt man die Haupt farbe , ein belles G e l b mit braunrothen K o n t u -ren in den Gl iedern und den Falten, gemischt, ferner die Fl i igel mit rothen Streifen und runden F lecken betiipfelt und mit weifsen Augen, zur Andeu-tung der kleineren F e d e r n , darauf erhôht, ganz deut l ich; eben so dieselbe Behandlung in den Konturen des Gesichts, der Augen und des M u n d e s . D e r S ty l , worin das W e r k gearbeitet ist, zeigt den uralten, rohen Anfang plastischer K u n s t , ohne Beobachtung richtiger Verhâltnifse der einzelnen Gl ieder zum Ganzen, ohne natiirliche und sorgfâltige Zeichnung der einzel-

( ' ) M. s. die verkleinerle Abbild. auf Taf. II. Fig. 25. z. d. Abhdl.

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non Formen. Aber ailes ist ïibertrieben im Ausdruck und steif in der Bewe-gung. Der breite, unverhâltnifsmafsig grofse Kopf ist mit den grobsten Ziï-gen und dem popanzartigen Ausdruck gepaart. Ein runder Wulst von Haa-ren, nur iiber der Stirn mit wenigen Einschnitten in einzelne Partien getheilt umgiebt die Scheitel und hangt in zwei langen, wurstâhnlichen Locken hin-ter den hervorragenden, abstehenden und unfôrmlichen Ohren bis zu den weiblichen Briïsten hinab ; fast auf dieselbe Weise wie bei jenem uralten Bronze-Wei-ke von dem vermeinten Wagen von Perugia. Aber auch hier keine Spur von Schlangen oder vom Barte bemerklich. Die aus den lang-geschnittenen Augenliedern hervortretenden Augen sind grofs und starren glotzend hervor. Die Nase ist breit und gecpietscht, die Wangenmuskeln sind wulstartig durch die Verzerrung des Mundes aufgetrieben ; der sehr grofse Mund mit scharfgezeichneten Lippenrândern grinsend in die Breite aufgeris-sen und zwischen den sichtbaren Ileihen grofser Zahne, von denen sich be-sonders die Eckzâhne auszeichnen, hangt hohnend die Zunge bis auf die Spitze des Kinnes hinab. Der Leib ist nach Verhâltnifs des Kopfes viel zu klein und zu schmal; der Queerdurchschnitt desselben schmaler als der des Kopfes. Jenen bedeckt ein knapp anliegendes Wamms, welches vom Halse, ihn eng umschliefsend, bis auf die Hiiften reicht. Die kurzen ebenfalls knap-pen Aermel bedecken nur bis zur Hàlfte beide Oberarme. Dieser Wamms scheint in der friihesten Zeit als ein eigenthumliches Kleidungsstiick der ur-alten, halb menschlichen lialb thierischen mythischen Ungeheuer gedacht worden zu sein. Er befindet sich auch zierlich verbramt an jenen Abbil-dungen der schlangenleibigen Echidna, auf jenen zwei einzelnen Vasen des Konigl. Preufs. Antiquariums, welche dieses Ungeheuer im alteren Styl grie-chischer Vasengemâlde, dem von den Antiquaren fâlschlich sogenannten a g y p t i s c h e n Styl, und zwar auf weifsem Grande sehr deutlich in grofsen Figuren zu erkennen geben und von denen ich schon das eine in Hinsicht auf den Bart, als ein Attribut selbst weiblicher, uralt mythischer Ungeheuer angefuhrt habe. Den unteren Theil des Kôrpers unserer Gorgone umgiebt schon ein weites, vorn eine grofse, lange Bausche schlagendes Unterkleid bis zur Halfte der Unterschenkel. Der rechte gebogene Arm ist in die Hohe gehoben mit flach ausgestreckter Hand; der linke mit zur Faust geballten Hand gleichfalls gebogen und vorn an den Leib gelegt. Er ist ungleich kiir-zer als der rechte. Beide Hiinde sind roh gebildet ; die linke geballte sehr

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6 6 L E V E Z O W iiber die Entwickelung des Gorgoiien-Tdcals

fehlerhaft , ohne Andeutung der einzelnen F inger . D i e Fi i f se waren im weitesten Luftsehri t t auseinander ge sperr t ; hoher gehoben und weiter aus-schreitend der rechte ; der linke mehr zuriiekgezogen ; der Unterschenkel desselben fast in horizontaler L a g e . Aus der I la l tung der Fi i f se sieht man nur allein, dafs sich die ganze F igur nach der linken I l and des Beschauers vorwârts bevvegte. Endl ich umgiebt den ganzen R u c k e n ein grofses , halb-mondfôrmig gebildetes und nach oben gekrummtes F luge lpaa r , aber nur in plumpen Massen behandclt .

D a s Ganze kann fur eins der àltesten und fiir die Geschichte der grie-chischen Plastik in fruhester Zeit merkwurdigsten Monumente gehalten wer-den und stimmt in den Formen und der technischcn Behandlung sehr mit dem geringen G r a d e von Kunstgeschicklicbkeit ubere in , womit jenes friiher charakterisirte W e r k von Erz , Ueberrest des angeblieben W a g e n s von Pe-rugia, gearbeitet ist. E s lafst demzufolge wohl nicht mit Unrecht auf ein gleiches Zeital ler der Ents lehung schliefsen.

Yielleicht ist es hier der passendste Ort noch der Abb i ldung zweier Gorgonen Erwàhnung zu thun, welche in der Idee als Vcrfolger innen des Perseus , auf einem versilberten getriebcnen Blechstrei fen etrurischen U r -sprungs, im Besitze des Fursten von Canino, vorgestel l t s ind, welche M i -c a l i auf T a f . C H . unter nr. 14. d . a. W . bat abbi lden lassen. Hier sind zwei G o r g o n e n laufend, in gleiclier Bewegung des K o r p e r s und in gleicher roher Charakterist ik vorgestellt , mit kurz gekràuseltem, an den Seiten in zwei L o c k e n gekràuseltem I laar , glotzenden Augen, geplattschten Nasen , aufge-rissenem Maule , herausbangender Zunge, aber ohne Zahnandeutung ; ange-tliân mit einem kurzen gegitlcrten, uber dem Bauch breit gegurleten Wamins , dessen Untertheil steif und weit vom K o r p e r abstehend, dicht unter den Hiiften, sich in spitze Winkel endet. Die schmalen, magern F o r m e n des K o r p e r s stehen in keinem Verhàltnisse zu dem grofsen fiïrchterlichen K o p f e . Keine unmittelbare Schlangenverbindung ist in den I laaren oder am K o r p e r ersichtlich, aber zwischen ihren K ô p f e n geht von j eder der sich gegeniiber-stehenden Seiten derselben das Yordertheil einer grofsen Schlange aus, welche beide in der Mitte des Zwischenraums sich so verschlingen, dafs die hervor-ragenden K o p f e sich gegenseitig anblicken. D e r fragmentarisehe Zustand des Blechs lafst uns vermuthen, dafs die Hintertheile derselben sich auf die àufseren Seiten der G o r g o n e n - K o p f e hinaus gestreckt haben, was auch auf

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der einen Se i te vom Zeichner angedeutet ist. E in allerdings wunderlicher Behel f des etrurischen Yerfertigers , die ihm mythisch bekannte Schlangen-verbindung mit dem Haare Medusens , auf diese W e i s e , zumal bei den Schwestern, zur bildlichen Anschauung zu bringen.

Mit diesem W e r k e endet die Reihe der mir bekannt gewordenen aus-gezeichnetesten Denkmàler der Gorgonen im altesten und alteren S ty l . S ie scheint That sachen genug zu enthalten, um bemerkl ich machen zu kônnen, wie auch innerhalb dieser alteren Sphâre die beginnende K u n s t der Griecben von dem rohesten, noch mangelhaften Anfange der Darstel lung einer poeti-schen Idee sich mit Anstrengung zu immer grôfserer Yervollstandigung der charakteristischen Merkmale xmd der Bcsl immtheit ihrer F o r m e n und ihres Ausdrucks zu gelangen beeiferte, unbekiïmmert , ob der Gegenstand selbst zu der K l a s s e der an sich sogenannten schônen und χ-eizenden, oder zu den hâfslichen, j a se lbst Sclirecken und Grauen erregenden gehorte. —

II. Denkmàler im mittleren Styl.

I c h nâhere mich jetzt den G o r g o n e n - M o n u m e n t e n in einer Darstel-lungsweise, welche sich im Ganzen von der bisher beschriebenen eines rohe-ren und furchtbaren Charakters wesentlich unterscheidet. Zwar sind ihr bei den allmâlig sich entwickelnden Uebergiingen der einen Darstel lungsart in die andex-e noch einige Merkmale mit denen der altesten xind alteren Cha-î-akteristik gemein, die ubrigen aber vereinigen sich dennoch iibex-wiegend zu einer Dax'stellungsform, welche der durch gelâuterte Ideen- und Empfindungs-weise und vexrol lkommnete Kunstfcrtigkeiten gebildeten, nexieren schon sehr nahe verwandt ei'scheint. Deshalb werden die Kunstwerke, welche davon Zeugnifs geben, wohl mit Recht einer m i t t l e r e n S t y l g a t t u n g zugeordnet werden xniissen, welche den Uebex-gang von der altesten und alteren Clia-l'aktex'istik zxx der neuex-en und neuesten gebahnt zu haben, wohl nicht be-zweifelt wex-den dxirfte.

D i e zuei'st v o n P i n d a r durch das Beiwort εύπάξαος (schônwangig) in Hinsicht auf Medusen angedeutete Verànderung in dem Goi 'gonen-Antl i tz und die damit , wie ich fruher gezeigt habe, unzertrennlich zusammenhân-gende Yors te l lung der s c h ô n h a a r i g e n Medusa, wie sie uns O v i d i u s zu erkennen giebt, scheint in den Gorgonen-Abb i ldungen im Zeitalter des lyri-

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schen Dichters ( ' ) und. der zunâclist sicli daran anschliefseriden Kunstperiode der Griechen diejenige Charakteristik in den Kunstwerken erzeugt zu haben, welche sich noch in mehreren der wichtigsten Monumente offenbart, die zu uns gekonunen sind und zu deren Betrachtung ich nunmehr iibergehe.

Die dadureh ersichtliche Yerânderung in dem Charakter der M e d u s a bestebt hauptsachlich: in g l a t t e n , u n v e r z e r r t e n W a n g e n ; in weniger aufgerissenem Munde ; in theils noch sichtbarer, oberen Zahnreihe, doch ohne Schweinshauer, theils ohne Zahnreihe; in schon zuriickgezogener, nicht mehr ausgereckter Zunge bei mehreren; in menschlich geformten Ohren, da, wo sie sichtbar sind; in nur mehr scharfem, als wuthentbrann-ten Blick der Augen ; in das Haupt theils umstarrenden und schlangelnd auf-gerichteten kûrzeren Haaren, bei noch mehr breiter als ovaler Kopfform ; theils auch an einigen in gescheitelten, an den Seiten des Kopfs herabfallen-den schlichten Haarmassen ; in theils grinsend hohnender Miene, theils in Andeutung schmerzhafter Empiindungen im Moment des ï o d e s ; an gan-zen F i g u r e n aber in ganz mit kurzer Halbârmel - Tunika und mit dariiber geworfenem Schleier bedecktem Korper; endlich in grofsen Fliigeln an den Schultern.

Was die g o r g o n i s c h e n S c h w e s t e r n betrift, so sind die Kopf-form, die einzelnen Gesichtstheile und der pathognomische Ausdruck ganz dieselben wie bei Medusen ; aber das Haar ist weniger reich, kiirzer, straubt sich nicht empor; sondern fâllt ùber der Mille der Stirn gescheitelt in zwei einfacben glatteren Massen an beiden Seiten des Kopfs bis zu den Ohren hinab. Sie erscheinen immer in ganzen Figuren und sind mil einer kur-zen ârmellosen Tunika bekleidet, einerseits unter der Brust, andererseits unter dem Bauche gegiirtet. Ihr Gliederbau ist voll und krâftig. Sie sind mit grofsen Fliigeln an den Schultern versehen ; ihr Schritt ist gespreitzt und heftig.

Der Mangel der Schlangenverbindung und der Fliigel am Kopfe unter-scheidet diese sàmmtlichen Gorgonen-Bildungen noch wesentlich von der n e u e s t e n C h a r a k t e r i s t i k . Ich werde sie nach dem Merkmale a) der n o c h a u s g e r e c k t e n , und b) der n icht a u s g e r e c k t e n Z u n g e ordnen und auf einander folgen lassen.

( ') Olymp. LXV, 1. 519 v. Chr. bis Olymp. LXXX1II, 446 v. Chr.

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in der Poesie und bildenden Kunst der ylllen. 69

d) M i t n o c h a u s g e r e c k t e r Z u n g e : 1. E i n a l l e r K a r a e e , von R a s p e in dem Descriptive Catalogue of en-

graved Geins, L o n d . 1791. in 4. Totn. II . pag . 522 , unter N r . 8 8 S 4 verzeich-net und auf P l . L . unter derselben Nuinmer abgebi ldet ( ' ) .

Dieser Ste in giebt das Medusenhaupt in der angezeigten F o r m , mehr rund u n d breit als oval, mit den kopfumstarrenden bis unter die Ohren hinab sich schlangenformig windenden, doch mit den Spi tzen nach Aussen gekehrlen Haaren , mit noch wildem Blick der offenen Augen, zornig zu-sammengezogenen starken Augenbraunen und mit zwei màfsig lângeren, scharfen Eckzahnen in der nur allein sichtbaren oberen Zahnreihe, aber ohne aile Schlangenverbindung.

2 . Gleichfal l s ohne diese Yerbindung, aber schon mit weit milderem Ausdruck , doch mit demselben hochaufgerichteten Haare , aufser andern ahnlichen Denkmalern , v i e r M e d u s e n k ô p f e und ein ahnliches F r a g -m e n t unter den Thonwerken des Antiquariums im Konigl . Muséum, Zoll hoch ; nur mit Ausnahme des einen, selbst ohne obéré Zahnre ihe ; aile mit einer breiten, runden I lohlkehle , wie mit einem Rahmen umgeben, Bruch-stùcke aus dem Gesimse oder Friese irgend eines antiken Gebaudes , oder Z immers , aus den Tr i immern Grofsgriechenlands gezogen ( 2 ) .

3 . Medusenhaupt und die Gestalten der beiden gorgonischen Schwestern

E . i m f i i n f t e n M o m e n t , n a c h d e r E r m o r d u n g M e d u s e n s u n d d e r V e r f o l g u n g d e s P e r s e u s , k l a g e n d b e i N e p t u n ,

auf einem glockenformigen Gefafs von gebrannter E r d e , 2 franz. Fuf s und 4 Zo l l hoch, und 1 Fufs und 2 Zol l im Durchmesser , im Muséum Biscari zu Catanea . Zucrs t abgebildet bei d ' I I a n c a r v i l l e Vases étrusques, f o r a . IV . T a b . 128, dann in der Grof se des Originals, die F iguren von 9V bis iOK Zoll I l o h e von M i l l i n in Peintures des Vases, T o m . I I . P l . m . u . iv. mit einem weitlâuftigen T e x t , ebend. S . 3 -1 0. E ine verkleinerte Abbi ldung in M i l l i n s Gallerie mythologique. P l . X C V . 387 ( 3 ) .

( 1 ) Tafcl U. Nr. 27. z. dieser Abhdl.

( 2 ) Tafcl III. 28. z. d. Abhdl.

C ) Tafel ΠΙ. 29, 30, 31

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70 L E V E Z Ο W iiber die Entwickelung des Gorgonen-Ideals

D i e zu dieser Abhandlung gegebenen Abb i ldungen sind hauptsachl ich nach einer i iber den Originalen unniittelbar genommenen Durchze ichnung unsers geehrten Mitgliedes I l rn . U h d e n veranstaltet w o r d e n , aus welcher verglichen mit der Abbi ldung bei d ' I I a n c a r v i l l e hervorgeht , dafs die Ze ichnung bei M i l l i n weniger genau angefertigt und sehr vvillkiihrlich in wesentlichen Dingen verândert und verschônert worden ist.

D i e auf der einen Seite enthaltene Vorste l lung ist fo lgende . Neptun durch D i a d e m , grofsen Mantel und Dreizack ausgezeichnet schreitet im F r o -£11, indcm er die linke ausgebreitete I l and vorgestreckt bat , auf eine der gorgonischen Schwestern zu, welche sicli mit weit ausgespreitzten Schritten ihm nahert . S i e ist ganz von vorne gezeichnet, bat die rechte H a n d auf die Brus t gelegt, die linke auf den untern T b e i l des B a u c b s . Ihr bis auf die ausgereckte Zunge und den scharfen Bl ick der Augen regelmàfs ig gebi ldeter K o p f , doch in mehr breiter als ovaler F o r m , ist mit dem auf der St irn gescheitelten und nach den Seiten bis i iber den Ohren gekrummten und dicht anliegenden I l aa r bedeckt (bei M i l l i n falschlich mit einer S t i rnbinde geziert), der Mund ist mafsig geoffnet ; nur die obéré R e i h e der Zâhne , b lo f se Schneidezâhne, ist s ichtbar. U e b e r eine breite L i p p e fiillL die Z u n g e herab . Ausgebreitete Fl i igel ragen aus den Schultern hervor . V o n dem I la l se be-deckt bis zu den Knieen eine iirmellose Tunika , welche i iber d e m Bauch gegiirtet ist, den K ô r p e r dieser Gorgone . E in doppe l te r dunkler S a u m lauft vorne der L a n g e nach an der Tunika hinunter. A r m e , H â n d e und Schenkel sind woblproporz ionir t und in vollen kràftigen F o r m e n gezeichnet. — Hinter N e p t u n schreitet ebenlal ls von vorne die zwei te Schwester ganz in àhnlicher Gesta l t und K le idung , nur mit unter dem Bauche gegiïrteter T u n i k a , mit rechtem aufgehobenen und l inkem hinabhangenden A r m e einher. D i e Fl i i-gel hiingen mehr von oben nach unten hinab. Nebc-n ihr steht im Prof i l eine mit dem D i a d e m ausgezeiclinete, einem langen Unterk le ide mit kurzen Aermeln und einem Mante l , den sie mit der linken H a n d a u f h e b t , beklei-dete junge weibliche F igur .

D a , so viel ich weifs, kein alter Dichter und Mythograph diese Scene geschildert bat , so wird der innere Zusammenhang dieser Kunstdars te l lung wohl allein den Erklarungsgrund derselben gewâliren miissen.

D a f s die G o r g o n e n nach der Schwester Enthauptung dari iber in jam-merliclie K lagen ausbrachen, wissen wir aus Pindars X I I . Pythischer O d e .

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Aber ihre Klagetône gaben nur der noch gegenwartigen Minerva zur Erfin-dung der Flôte Veranlassung. Von der Gegenwart Neptuns dabei wird nicbts gemeldet. Hier aber fehlt Minerva und statt ihrer steht der sichtlich Antheil nehmende Gott, als eine der Hauptpersonen in dieser Seene vor den Augen des Zuscbauers. Die Geberden der Gorgonen scheinen es wobl unverkenn-bar auszudrucken, dafs sie ihre Klagen vor demselben ertônen lassen. Wenn diefs besonders auf der einen Seite von der einen Gorgone gegen Neptun geschieht, so kann man wohl mit Mi l l in unbedenklich annehmen, dafs auf der andern Seite dasselbe von der zweiten, vielleicht noch mit Vorwurfen vermehrt, sich wiederholt gegen eine der Nymphen, welche dem Perseus den Wreg zu den Gorgonen gewiesen hatten.

So sind also die bei Neptun uber die Ermordung ihrer Schwester k l a g e n d e n G o r g o n e n der Gegenstand dieses Gemâldes.

Man wende nicht ein, dafs die hohnend ausgereckten Zungen sich schwerlich mit dem Ausstofsen von Klagen und Vorwurfen vertragen kôn-nen, indem sie die Thatigkeit des dazu erforderlichen Mechanismus der Sprachorgane verhindern wiirden und doch auch in jener Voraussetzung kein Grund vorhanden sei, ihren Hohn gegen Neptun auszulassen. Man bedenke vielmehr, dafs dem Grundprinzip aller griechischen Kunst, der Cbarakteristik der Gegenstànde, hier auf keine andere Weise Geniige gelei-stet werden konnte, um die gefliigelten weiblichen Wesen, welche hier zwar in mehr vermenschlichter, aber dennoch immer damonischer Gestalt auftre-ten, fur das erkennen zu lassen, was sie wirklich sind und nach der Absicht des Kùnstlers sein sollten. Von allen fruheren Merkmalen ihrer halbthieri-schen, wilden Natur ist nicbts mehr iibrig geblieben, als der nur noch ste-chende Blick ihrer Augen und die Haupteigenschaft des grinsenden Hohns, nur durch die ausgereckte Zunge allein noch bezeichnet. Olme diese wiir-den sie schwerlich erkennbar gewesen sein und aller iibrige pathetische Aus-druck, wie er sich auch immer noch so naturlich gestaltet haben môgte, wtirde dennoch nicht klar und deutlich gemig fur das Vei'langen des Griechen nach hôchster Erkennbarkeit der Darstellung, sich ausgesprochen haben. Das sich emporstrâubende Haar wiirde freilich ein Iliïlfsmittel gewesen sein . aber diefs konnte der griechische Urheber dieses Gernaldes hier den Schwe-stern nicht mehr aneignen, da es der Ausbildung des Mythus zufolge nur Eigenthum der Medusa sein und fiir sie auch noch im Tode, innerhalb der

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Sphâre dieser Charakterist ik, Hauptmerkmal hleiben sol l te . Ihre Erschei-nung bei Neptun , und der ganze Ausdruck seiner S te l lung und Bewegung zeigt binlânglieh an, was er von ihnen erfàhrt, und diefs konnte seinem In-halte nach nicht anders, als mit ihren Klagen vermischt sein.

N o c h ist zu bemerken, dafs mit diesem G e m â l d e und also auch in dieser Stylgattung, wenigstens so weit wir es jetzt schon zu ubersehen ver-mogen, die Darstel lnng der gorgonischen Schwestern schliefst, da sie so wenig mehr auf irgend einem andern Denkmale , als auch in einem andern, etwa folgenden Momente weiter erblickt werden.

D ie umgekehrte Glockenform des Gefafses , die gelbe F a r b e der Figu-ren auf schwarzem G r a n d e und die richtigen Proporz ionen 111 der Zeichnung der F iguren geben eine spatere Entstehung desselben in irgend einer sicilia-nischcn Fabr ik zu erkennen ; wahrscheinlich nach einem grofsern G e m â l d e eines Kunst lers , in einem Zeitalter, in welchem die Charakterist ik der Gor -gonen sich schon von den greuelhaften Formen der àltesten und âlteren gro-fsentheils befreit und man auf grofsere Vermenschlichung ihrer Gesta l t und der Ziige ihres Gesichts Bedacht genommen batte.

A b e r die Riickseite jener ausgezeichneten Catanâischen K a m p a n e stellt uns

4 . das H a u p t M e d u s e n s selbst in der Hand des Perseus ( ' ) in einem andern und ncuen Charakter dar, an welchen sich mehrere andere âhnliche Darstel lungen schliefsen, so dafs wir uns auch dadureh vo l lkommen zur Annahme einer neueren Charakteristik unseres Gegenstandes , nemlich des M e d u s e n h a u p t e s i m m i t t l e r e n S t y l , berechtigt glaidjen.

Ohne uns hier in eine genaue Beschreibung des ganzen Gemâldes auf dieser Λ asenseite einzulassen, sei es genug in der K u r z e zu bemerken , dafs sich darauf Perseus in seiner vollstândigen Riistung vor dem K e p h e u s darge-stellt befindet, 11m die ebenfalls sichtbare, schon auf dem Fe l sen sitzende Andromeda mit I l i i l fe des Medusenhauptes zu befreien. In der l inken vor sich liingestreckten Hand hait er den aufrechtstehenden K o p f der G o r g o n e . Dieser K o p f ist in derselben mehr vermenschlichten F o r m gebildet , wie die K o p f e der beiden Schwestern, mit ausgereckter Zunge , einer sichtbaren Zahnreihe, breiten und dicken L i p p e n , offenen Augen, aber mit starr um

( 1 ) S . N r . 30. auf Taf . I I I . z. d. Abhdl.

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Sclieitel u n d Sc ldà fen aufrecht stchendem und sich natternformig biegendem Haar . N a c h der Zeiehnung bei M i l l i n (a. a. 0 . ) heben sich vorn aus den Haaren damit verwachsene, fôrmlich gebildete Nattern c m p o r . V o n diesen ist aber so wenig auf der Zeiehnung bei d ' H a n c a r v i l l e , als in der unmit-telbaren K o p i e H r n . U h d e n s eine deutliche S p u r . Al so gewifs eine eigen-mâchtige Zuthat des franzôsischen Zeichners. Auch finden sich auf allen iibrigen K ô p f e n d i e s e s Charakters und d i e s e r Per iode griechischen Ur-sprungs nirgends Schlangen angedeutet. E in G r u n d mehr an der Richtigkeit der Zeiehnung bei M i l l i n zu zweifeln.

Aehnliche K o p f e in diesem Charakter finden sich noch 5. auf der Aegis d e r G i u s t i n i a n i s c h e n Minerva, doch mit in grôfsern

Massen vertheiltem Haar ( * ) und 6. auf dem merkwurdigen M i n e r v e n - T r o n k im Dresdener Augusteum,

bei B e c k e r T a f . X I V . abgebildet ( 2 ) , mit mehr ilatterndem Haar . A n beiden zeigt sich die ausgereckte Zunge , aber keine Zahnreihe

mehr bei nur wenig geoffnetem Munde. 7 . E i n grofses , in Farben gemaltes Medusenhaupt (die Haare schwarz,

das Gesicht ledergelb und die Zunge hochroth) auf der Mauer einer der in-nern K a m m e r n eines Chiusinischen Grabmals , abgebildet bei M i c a l i (i. a. W . T a f . C H . nr . 4 . ) stellt dar den noch sehr breiten K o p f der G o r g o n e , mit einfacli i iber der St irn in Wellenlinien angedeutetem Haare bis zu den flachen, geplaltschten Ohren ; jugendlich, ohne Verzerrung, aber mit gleichfalls ge-plàttschter N a s e u n d siclitbarer oberen Zahnreihe und lang, selbst bis uber das K i n n hin, ausgereckter Zunge. Das einzige B i ld , welches neben einem andern gleich zu beschreibenden Denkmal , aus Etrur ien stammend uns die G o r g o n e in mehr menschlicher Form zu erkennen giebt. Be ide Denk-maler scheinen bis jetzt wenigstens allein die Grânze zu bezeichnen, iiber welche hinaus sich die Veredelung des G o r g o n e n - I d e a l s bei den Etruriern nicht erstreckt h a t ; denn noch hat sich keine S p u r von einem Denkmal im s c h o n e n S t y l unter den âclit etrurischen, selbst griechisch-etrurischen Monumenten ergeben.

( ' ) Taf. ΠΙ. 32. z. d. Abhdl.

( 2 ) S. Taf. III. Nr.33. zu dieser Abhandlung. Auf dem Stich bei B e c k e r f e h l t die Zunge, welche sich aber auf dem Abgufs dieser Statue, welchen ich vor niir habe, selir deutlich zeigt.

Κ

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74 LEVEZOW iiber die Entwickelung des Gorgoiien-Tdcals

E s mag erlaubt sein, drei andern Dars te l lungsformen, hier am Schlusse dieser Charakterist ik ihre Stelle anzuweisen, da sie, bei mancher Abweiebung von dem angegebenen T y p u s dieser Darstel lungsart , doch in mehreren Merk-malen ihnen nahe stehen.

7 . Zuerst , i m M o m e n t d e r E n t h a u p t u n g , in einem hocherhobenen W e r k e von Bronze zu Florenz, als Verzierung eines L o w e n f u f s e s gearbeitet , welcher wahrscheinlich mit einigen andern zum Fufsgeste l le eines Kande la-bers , oder eines grofseren Gefafses gedient haben m a g ; abgebildet bei G o r i Muséum Etruscum} T a b . C X L \ ( 1 ). Hier steht Perseus mit behelmtem K o p f e , einer kurzen, fein gcfalteten, wammsartigen T u n i k a und einem von den Schultern nach hinten hinabfallenden langen Mantel bekleidet hinter Medusa , welche auf ein Knie niedergesunken ist und deren Haupt Perseus mit der l inken Hand gefafst und seitwàrts niedergedriickt hat, indem er mit dem Schwerdte in der Rechten ihren Hais durehschneidet . Auch Medusa ist mit einer langen Tunika , mit Aermeln, welche den Oberarm bedecken und mit einem uber beide Schultern herabhàngenden Mantel angethan. A u c h ihr K o p f nàhert sich mehr der breiten F o r m als dem Oval ; die kurzen Haare sind jungfràulich nur glatt und schlicht um St irn und Schlafen gelegt. D e r Ausdruck ilires sehr jugendlichen Gesichts ist ohne aile Verzerrung und ohne weit geoflneten M u n d , aber doch mit herausragender Zunge . Gro f se F luge l hangen von ihren Schultern herab. Ohne Widers tand , bis auf die unwill-kuhrlich, aber vergeblich gegen den sie haltenden A r m des Heroen gerich-tete H a n d , erleidet sie den tôdlichen Streich. D ie proporzionir l iche Zeich-nung aller Kôrper the i l e , das ausgebildete Kos t i im, beweisen schon den U r -sprung des W c r k s in einem ausgebildeten Kunstzei ta l ter , doch nicht ohne S p u r eines nahe griinzenden friiheren, was sich in der noch ausgereckten Zunge , den fein gekniffenen Falten der Tuniken und den gleichfôrmig geleg-ten Rândern der Mantel beider Figuren nicht verkennen lafst .

8. D a s zweite Monument in abweichender F o r m des Medusenhauptes stellt sich vor Augen in der Darstel lung

( ' ) Verkleinert koplrt in Schwebe l s Auszug des G o r i , Antiqq. Elruscae, Norimb. 1770. kl. Fol. Tab. X X I X . 2. Doch mit Auslassung der ausgereckten Zunge, welche bei G o r i a. a. O. deutlich zu sehen ist. — M. s. Taf. III. z. d. Abhdl. Nr. 34.

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F . d e s s e c l i s t e n M o m e n t s , d e r U e b e r g a b e d e s M e d u s e n h a u p t s a n M i η e r γ e η ,

als Vasengemâlde auf der Vorderseite einer dreihenkeligen U r n e von 14 Zoll I l ohe und 14 Zol l Durchmesser in der Vasensammlung des Antiquariums im K ô n i g l . M u s é u m , von scheinbar nolanischer Teebnik und àhnliehem alteren Styl der Gemalde mit gelben Figuren auf schwarzem Grundc , aber in Etrurien bei Ponte dell ' Abbad ia gefunden. A u f diesem Gemalde ist Minerva und Per-seus abgebi ldet , jene mit unbedecktem, aber mit langen, einzeln herabwallen-den I l aar locken und bobem Diadem geschmiïckten Haupte , in langer fein ge-falteter T u n i k a und Mantel und dariiber geworfener Aegis , die aber glcichfalls nur aus gewebtem und gegittertem Zeuge zu bestehen scheint und mit einem breiten S a u m zierlich besetzt ist, worin sich regelmafsig gestellt schwarz ein-gewebte , sich kri immende kleine Kattern mit geoffneten Rachen befinden. Tn der einen I l and liait sie ihren I le lm, die linke streckt sie gegen Perseus aus, um von ihm das Medusenhaupt in E m p f a n g zu nehmen. D e r I leros steht vor ihr, den unsichtbar machenden Helm Pluto's mit zwei grofsen Flii-geln versehen auf dem Haupte tragend, in ebenfalls fein gefalteter Tunika , stalt der geiliigelten Talaria mit einer Fufsbekle idung ausgeriistet, welche mit seebs konccntrischen Riemen oder Bândern bis an die W a d e n befestigt ist ( 1 ) . In der rechten Hand liait er das s ichelfôrmig gekriimmte Schwerdt von ungewohnlicher Grof se . Das Medusenhaupt bat er schon aus der leder-nen T a s c h e herausgenommen, welche iiber dem linken Arm hàngt. E r hat den K o p f oben bei den langen schlichten I laaren gefafst, welche es umge-ben, ein fôrmliches Todtengesicht mit gescblossencn Augen, aber ohne aile widrige \ e r z e r r u n g der Wangen, doch mit geoffnetem Munde, sichtbarer obérer Zahnreihe, aus welcher oben und unten sehr gekriimmte I lauzahne doch nur mit einzelnen Linien angedeutet, l iervorstehen, aber mit ausge-reckter Zunge ( 2 ) .

( ' ) Auf zwei andern grofsen Nolanisclien GePàfsen in der Konigl. Sammlung, und einein nocli grofseren Krater von S. Agata dei Goti und anderwarts komnit Kephalus in Gesellschaft Aurorens mit àhnlicher Fufshekleidung vor.

( 2 ) Taf. III. 35.

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7 6 L E V E Z O W iiber die Entwickelung des Gorgoiien-Tdcals

D e r ganze Styl des Gemàldes stellt es noch an die Grànze der vorigen Darstel lungsperiode, von welcher es sich aber durch die Abweichungen der geschlossenen Augen, den nicht verzerrten W a n g c n , den langen schlichten Haaren und den natiïrlichen Ausdruck des T o d e s in wesentlichen Merkmalen entfernt.

9. Mit Annahtne desselben langen schlichten I laares , doch durch eine kûnstliche Fr i sur und Anordnung um den K o p f in einzelnen breiten, ge-kreppten Lockenmas sen auf- und zuriickgeschlagen und an jeder W a n g e in zwei fôrmlich gewundenen L o c k e n herabhangend und oben auf der Scheitel mit einem hohen und kunstlich geschmùckten Diadem gekront, in mehr breiter, als ovaler K o p f f o r m , mit sichtbarer oberen Zahnreihe und ausge-reckter Z u n g e , ist das Medusenhaupt zur Verzierung eines Kranzges imses benutzt worden , in dem Bruchstiick eines Thonre l ie f s in der S a m m l u n g der antiken Thonwerke des Antiquariums im Konig l . M u s é u m . Allerdings ein W e r k spàterer Zeil und von guter F o r m und Technik ; aber unstreitig einem Vorbi lde nachgeahmt, welches seinen Ursprung in einer P e r i o d e vor der des schônen Styls griechischer Kunst nahm, oder doch im Geist und Geschmack derselben gedacht und ausgefuhrt wurde ( ] ) .

Ich k o m m e jetzt zu den wenigeren Monumenten dieser Sty lgat tung, welche das Medusenhaupt

b) o h n e a u s g e r e c k t e Z u n g e enthallen. 1. Ich trage kein Bedenken an die Spitze dex-selben das Medusenhaupl

von E l fcnbe in zu stellen, welches Phidias seiner Musterstatue der Minerva Parthenos in dem T e m p e l auf der atheniensischen B u r g auf die Aegis ange-heftet batte.

Zwar wissen wir so wenig aus Pausanias ( 2 ) und Plinius ( 3 ) kurzen Beschreibungen dieser Statue, als aus irgend einer Andeutung eines andern alten Schri f t s te l lers , in welcher Charakteristik diefs G o r g o n i u m gebildet war. Aber wenn jene bekannten Steine von Aspas ius und T e u k e r geschnit-ten wirklich das Brustbi ld der Minerva des Phidias im Kle inen darstellen, woran nach allen andern Merkmalen wohl nicht gezweifelt werden kann, so

( ' ) Taf. III. 36. z. d. Abhdl.

( 2 ) L. I. c. 24.

Ο L. III. iv, 4.

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diirfen wir auch glauben in den noch deutlichen Ziigen des freilich sehr ver-kleinerten Medusenliauptes, besonders auf dem grofseren Stein des Aspasius, die Hauptmerkmale seines Originals erhalten zu finden ( * ) .

Und daran ist um so weniger zu zweifeln, indem sich dieselben noch auf einigen grofseren Medusenkôpfen, freilich aus einer spâteren Période, gleichfalls erkennen lassen, welche sich theils auf der Aegis einiger Miner-venstatuen, theils auf den Brustharnischen mehrerer Imperatoren und Krie-ger, theils auf den breiten unter dem Harnisch liinabhângenden, abwech-selnd mit andern Kopfen, z .B . von Lowenu. s .w. verzierten Riemen zeigen und wohl als Nachahmungen des Medusenliauptes auf der Statue des Phidias nicht mit Unrecht anzusehen sein môgten.

Sollte das Greuelhafte in dem Kopfe der âltesten und alteren Medusa einem menschlicheren Aussehn weichen und die Grundlage zu einer spâteren Yeredelung desselben werden ; so mufste freilich die mehr oder weniger hohnend ausgestreckte Zunge ganz verschwinden, indem erst dadurch die Rulie und Gleichmâfsigkeit der Ziige zu erreichen war, ohne welche sich keine Yeredelung denken liefs.

Wenngleich Phidias gliicklicb.es Bestreben vorziiglich darauf gerichtet war, in seiner Minerva Parthenos das hohe Idéal einer gottlichen Jungfrau mit den edelsten Ziigen kriegerischen Ernstes und sinnigen Nachdenkens vermâhlt zu erschopfen und mit allem Glanz und mit aller Vollkommenheit, deren seine schopferische Kunst fâhig war, auszustatten ; so scheint er es doch nicht fiir nôthig gehalten zu haben, dem schon zu seiner Zeit unerlâfs-lich geforderten Attribut des Gorgoniums auf der Aegis seiner Gottin eine grofsere Ausbildung zu geben, als es sich gerade mit der gemilderten Em-pfindungsweise und dem gelâuterten Geschmack seiner Zeit in dieser Bezie-hung, an einem untergeordneten Zierrathe seines erhabenen Meisterwer-kes, vertrug.

Seltener sogar scheint die âltere âginetische und attische Kunst von dem Gorgonium auf dem Brustharnische und dem Schilde Minervens Ge-brauch gemacht zu haben ( 2 ) , wo es indessen geschah, ist es wohl nur mit

( ' ) Taf. IV. 37.

( 2 ) Davon zeugen so vicie Minervenbilder in den Vasengemalden des alteren Styls und in Statuen selbst die lecre Aegis der Minerva von Aegina zu Munchen.

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vveniger Ausfiihrlichkeit und grofserer Einfachheit im Geist der alteren Cha-rakteristik angewendet worden (^). Aber schon der Minerven-Tronk im aginetischen Styl zu Dresden, der sich freilich nur als Nachahmung dieses Styls belrachten lâfst, tragt auf seiner Aegis schon ein Medusenhaupt in ein-facher Bildung ( 2 ) mit nur bis zu den Ohren platt anliegendem, etwas wel-lenfôrmig gekâmmten und gesclieitelten Ilaar, und mit schon geschlossenem Munde, ohne sicbtbare Ziihne und ohne ausgereckte Zunge. Ihn umgiebt dafiir ein wellenformig ausgeschweifter Nimbus von sich nach auswarts win-denden Nattem mit geoffneten Mâulern, um wenigstens dadurcli nach ural-tem Yorgange ( 3 ) jenes das Haupt umgebende Grauen anzudeuten, welches der nacliahmende Kunstler nicht mehr bei geschlossenem Munde und ein-facher Haartracht mit dem Ausdrucke des Kopfs unmittelbar zu verbinden erreichen konnte ( 4 ) . Wenn er dafiir ein Vorbild in einem alteren agineti-schen Werke vor Phidias Zeitalter im Auge gehabt haben sollte, so wiirde uns diefs beweisen konnen, dafs Phidias selbst sich nur zur Annahme einer schon vorhandenen Gesiclitsform bequemte, ohne selbst darin einen Schritt weitergegangen zu sein. Da aber der Dresdener Tronk mir als ein Werk spaterer Nachahmung angesehen werden kann, so werden wir so lange, bis ein unbezweifelt altaginetisches oder attisches Minervendenkmal das Gegen-theil beweist, nicht mit Unrecht glauben konnen, dafs Phidias den geschlos-senen Mund der Gorgone, und das einfach, wohl nach dem Yorbilde der Haartracht der gorgonischen Schwestern in den Kunstwerken dieses Styls ( 5 ) , nur in zwei Hauptmassen gescheitelte und bis auf die Hâlfte der Wangen schlicht herabhangende Haar zuerst im Medusenkopfe der Brustàgis seiner Minerva, zur Milderung ihres Charaklers, angebracht habe.

( ' ) W i e gleichfalls die Medusenkopfe auf dem Schilde Minervens der alteren Vasengemalde lehren.

( 2 ) Taf. IV. Nr. 39. zu d. Abhdl.

( 3 ) Man sehe auf Taf. I. zu dieser Abhdl. Fig. 11 u. 12, Taf. II. Fig. 21 und unsere Bemer-kungen dazu.

(•*) Aehnllch als Nimbus behandelt, doch in viel alterem Styl und mit naher an den Kopf ge-druckten dickcn Nattern, zeigt sich das Gorgonium bei M i c a l i i. a. W. Taf. CIL nr. 18.

( 5 ) Man vergleiche damit ihre Kopfe auf Taf. III. nr. 29. u. 31. zu dieser AbbandI.

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in der Poesie und bildenden Kunst der ylllen. 79

2. U n d so zeigt sich dasselbe auch in dem kurz zuvor angefiihrten, fast zwei Z o l l hohen Bi lde , auf dem P a n z e m e m e n der Statue des jungeren Marc Aure l in der Antikengallerie des Konigl . Muséums und einiger anderer Ivai-serstatuen anderwàrts . W e n n gleich an jenem K o p f e auf dem Panzerriemen des Marc Aurel der Ausdruck noch diister, ja tùckisch genannt werden mufs, so ist doch ailes Uebrige , was Furcht und Schrecken erregen konnte, schon in dem G r a d e vermieden, dafs selbst die hôhnend ausgereckte Zunge fehlt und daflir nur in der oberen Zahnreihe des wenig geôffneten Mundes e i n e i n z i g e r , e t w a s b r e i t e r S c h n e i d e z a h n sichtbar wird ( ' ) .

Daher mogte wohl nicht ohne G r u n d zu vermuthen sein, dafs Phidias der erste Ki inst ler war, welcher die Medusa ohne das den K o p f umstarrende wilde Haar und ohne ausgereckte Zunge darzustellen wagte und dadureh den fo lgenden Kuns t le rn der schoneren Per iode das Recht gab, wenigstens was den letzten Punkt betrift, von derselben Kûnstlerfreiheit Gebrauch zu machen. D a f s indessen noch mancher bedeutende Kiinstler nach Phidias es vorzog, seinem Medusenhaupte die ausgereckte Zunge zu lassen, lehrt das Beispiel der vor tre f f l i chen Statue der Minerva von Velletri , deren Medusenhaupt auf der Aegis zwar in Hinsicht auf Haartracht und Ausdruck sich der Medusa des Phidias nàhert, aber durch die sichtbare obéré Reihe der Schneidezahne und wenngleich nur bis zum R a n d e der breiten L i p p e , aber dennoch ausgestreck-ten Zunge von ihr wieder entfernt ( 2 ) .

3 . Aehnlich der Medusa des Phidias durch nicht ausgereckte Zunge , aber andererseits durch Verbindung sowohl des gesclieitelten und angelegten, als sich auch abstràubenden und in Locken windenden Haares , bei schon vollig ovaler K o p f f o r m , und mit von Perlenschniiren umwundenem Halse , sich von ihm unterscheidend, nàhert sich die Dars te l lungsform schon dem neuesten S t y l in dem Medusenkopfe auf den g r o f s e n M é d a i l l o n s v o n O l b i a , deren Mittheilung wir den Bekanntmachungen S e s t i n i s ( 3 ) und v o n B l a -r a m b e r g s verdanken. Offenbar zeigt diese S ty l form einer ausgebilde-teren K u n s t auf beiden Seiten dieser Médai l lons , im Vergleich mit denen

( ' ) Taf. IV. Nr. 38. zu dieser Abhandl.

( 2 ) S. die Abbild. auf Taf. IV. Nr. 40. zu dieser Abhandl.

( 3 ) Lcttere e dissert, numismatiche. Contin. T . IV. Fig. I. II.

( 4 ) Choix de Medaill. antiques d'Olbiopolis ou Olbia. Paris. 1822. Pl. I, 4.

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einer fruheren Période derselben Stadt, dafs die beschriebene veredelte viel jungeren Ursprungs war; obgleicb sieb bis jetzt keine Beispiele aus der neuesten des vollendet scbônen Styls auf den Mûnzen dieser Stadt ergeben baben ( ' ) .

III. Denkmaler im neuesten und schonen Styl.

Nachdem am Sehlusse der vorigen Teriode die griechische Kunst da-hin gekommen war, wie wir an mehreren ausgezeichneten Beispielen gezeigt baben, aus dem Medusen-Antlitze die Schrecken und Entsetzen erregenden Merkmale und Bestandtheile zu verbannen, welche den Hauptcharakter des àltesten und âlteren Ideals ausgemacht hatten, eilte sie nunmehr mit starken Schritten der Yollendung desselben entgegen.

( ' ) Fiir die ÎSachweisung der chronologisehen Entwickelung mythischer Idéale in der bilden-den Kunst sind die Mûnzen unslreitig ein Haupthi'dfsmittel. Wenngleich eigentlich bestimmtc clironologisclie Data, auf den alteren zumal, nicht darauf angegeben sind; so lehrt schon die ganze Beschaffenheit ilircr Technik und des darauf vorwaltenden Styls wenigstens im Allgemei-nen die Stufenfolge ihrer gegenseitigen Ausbildung bezeichnen. Insbesondere aber sind diejenï-gen Mûnzen fiir jenen Zweck die lehrreichsten, welche einer und derselben Stadt entsprungen, denselben Typus in mehreren Darstelhirjgsweisen zu erkennen geben, so, dafs sich die Beihen-folgen von Ausbildung genau von einander unterscheiden lassen. Und diefs ist unter andern auch mit diesen alteren Autonom-Munzen O l b i a s fiir unsern Zweck der Fall. Drei verschie-dene Perioden der Ausbildung lassen sich auch darauf wesentlich unterscheiden, eine des alteren, eine des niittleren und eine nalie an der Gr'dnze des schonen Styls. Die ausgczeiclmete Grofse der melirsten dieser Munzdenkmaler vermehrt ihren Wertli, indem dadurch die charakteristischen Merkmale um so weniger zweideutig in die Augen springen. Von ihncn mogten dalier der alte-ren Charakteristik am n'àchsten stehen die von B l a r a m b e r g a. W . Pl.I. nr. 3. u. 5. dargestellten von Lrz, mit einer Andeutung des Schlangennimbus; die Pl. II. d. von Electrum; dann wûrden der Zeitfolge nach in Ilinsicht auf den Styl folgen konnen bei S e s t i n i ( a .W.) Tav. IV. nr.3. ; bei B l a r a m b e r g PI. I. nr. 1.; v o n K ô h l e r (ΤΛΡΙΧΟ—, ou recherches sur l'Histoire et les antiquités des Pecheries de la Russie méridionale, in den Memoiren der Acadcmie zu Peters-burg, VI. Serie, Tom. I. 1S32. Dixième Sect.) Kupf. Taf. nr. 8. u. 9. aile mit offenen Augen und ausgercckter Zunge; desgleichen mit milderen Ziigen und absichtlich gelockten Ilaarcn bei S e -s t i n i Tav.V. 2.; B l a r a m b e r g Pl. I. II.; dann mit geschlossenen Augen und noch ausgercckter Zunge S e s t i n i Tav.IV, 4. Endlich mit noch offenen Augen, aber schon geschlossenem Munde, ohne Zunge bei K o h ie r nr. 11.; zulctzt mit geschlossenen Augen und Munde K o h l c r nr. 10. Mit zum -Theil umstarrenden Iiaaren, regelmafsigen Zûgcn, offenen Augen und ohne geoffneten Mund wurden dann die unter Nr. IV. bei Β l a r a m b e r g und Tav. IV. nr. 1. u. 2. bei S e s t i n i abgebildeten diese merkwûrdige Gattung von Mûnzen schliefsen.

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in der Poesie und bildenden Kunst der ylllen. 81

Auch hier hatte die Poesie der bildenden Kunst unfehlbar den Weg gezeigt. Die schone, ungliickliche Geliebte des meerbeherrschenden Gottes war es, welche die Stelle jener alten Greuelgestalt einnehmen sollte, die friiher durch ihren Anblick nur Schrecken, Entsetzen und Yerderben ver-breitet hatte.

Die Schonheit der Ziige ward daher die unerlàfsliche Grundlage des neuen Ideals. Wenn diese in der Uebergangs-Periode des mittleren Styls noch nicht geniigend erreicht ward und auch nicht erreicht werden konnte, so konnte sie doch auch in der Periode des schonen Styls nicht hinreichen, den ganzen individuellen Charakter ihres damonischen Wesens und die Haupt-momente ihrer Geschichte zu bezeichnen. Es mufsten sich damit noch an-dere Merkmale verbinden, welche sie nicht zu einer schonen Jungfrau allein, sondera auch zur unglucklichen Tochter des Phorkys und der Keto machten, und dennoch die Gorgone Medusa in ihrem Bilde nicht verkennen liefsen. Die Aufgabe war schwcr; aber sie ward, freilich nach manchen noch nicht geniigenden Versuchcn, endlich mit derselben Kiihnheit und Geschicklich-keit Yollkommen gelost, welche in einer andern Sphâre die Scheusale der âltesten und alteren Furien zu holien, ja erhaben furchlbaren Jungfrauen-gestalten veredelt hatten ( f ) .

Es war das gepriesene Haar Medusens, welches der Kunst bis zu einem so hohen Grade von Fûlle, und so charakteristischer Form und mit einem fast eigenthiimlichen Leben beseelt, um das edle Oral des jungfraulichen Ilauptes und die regelmàfsigsten Ziige weiblicher Schonheit anzuordnen end-lich gelang, als es sich nur immer mit dem Schonlieitsgefiihl einer schon hoch und frei ausgebildeten Zeit vertragen wollte.

Jetzt endlich war der Zeitpunkt gekommen, wo nach hôchster Aus-bildung technischer Ferligkeit, im Besitz aller Erfahrungskenntnisse iiber das zu bearbeitende Material und aller um dasselbe zu iiberwinden erforder-lichen Werkzcuge, die griechische Kunst in Darstellung des menschlichen Ilaares und aller mit dessen schwieriger Bildung und Anordnung zu errei-chenden Wirkungen fur das Gefiihl des Schonen und Reizenden in einen Wettkampf mit der Natur sich einzulassen vermogte, der sich fur die Idee der Schonheit wohl auf dem Felde der Kunst unlâugbar entschieden hat.

( 1 ) Sielie L ϋ 11 i g e r die Furienmaske u. s. w.

L

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82 L E V E Z O W Hier die Entwickelung des Gorgonen-Ideals

Aber auch nun erst konnte die gluckliche Siegerin es wagen, damit jene S c b l a n g e n unmittelbar zu verflechten, welche die Phantasie der friï-hesten Dichter und ihr geiliigeltes Wort schon Jahrhundcrte zuvor damit doch nur furchtbar zu verkniipfen keine Schwierigkeit gefunden hatten.

J a noch einen Schritt wcitergehend heftete sie der Scheitel des ver-einzelten, seines Korpers beraubten Hauptes, auch jenes F l i i g e l p a a r in verkleinerter Gestalt an, welches bis dahin in bedeutender Grofse allein mit den Schultern der damonischen Jungfrau verbunden gewesen war. So hatte sich zwar leiblicb, selbst bis zur Anwendung der gewagtesten Kontraste, ailes vereinigt, was dem wunderbaren Antlitze eigenthiimliche Form und unterscheidende Merkmale yerleihen konnte.

Aber es wiirde die Seele gefehlt haben, jenes geistige Interesse, wel-ches der korperlichen Schonheit ihren hôchsten Rciz und ihre hôchste ethi-sche Wirkung gewâhrt, wenn mit allen diesen Formen Tind Umgebungen das Genie derKunstler nicht einen Ausdruck zu vermâhlen verstanden hatte, der nach ihrer jedesmaligen Absiclit, entwcder auf Seiten des Beschauers die Empfindung des Mitlcids bei soviel Jugend und Schonheit mit schmach-voller Entehrung gepaart, im Moment eines unfreiwilligen Todes, oder auf Seiten des unglûcklichen Gegenstandes selbst die des Schmerzes, oder des Unmuths und der stolzen, ja ironischen Verachtung bei erlittener Sclimach und Gewaltthat, erregt oder zu erkennen gegeben halte.

Nur erst dadurch konnte die bildende Kunst ihr grofses Wagestiick vollenden, und dafs sie es auf das glândzendste gelhan, wird in einigcn der hochsten Meisterwerke die kurze Musterung derjenigen Hauptdenkmàler be-weisen, welche dieser neuesten Charakteristik angehoren und mit welchcn ich meine Betrachtungen schliefse.

Nach den beiden Hauptmerkmalen dieser neuesten Charakteristik, nemlich

a) d e r S c h l a n g e n v e r b i n d u n g an K o p f u n d K o r p e r M e d u -s e n s und

b) der F l i i g e l am K o p f e d e r s e l b e n , werde ich sie nach diesen zwei Stufenfolgen in Erwàgung ziehen.

a) Schicklich nimmt die erste Stelle unter den Beweisen der ersten Ver-suche die S e li l a n g e η mit dem Haupte und dem Korper Medusens zu ver-binden,

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ι η der Poesie und hihlenden Kunst der Allen. 83

1. das hochst merkwiirdige griechische Denkmal ein, welches Medusen i m M o m e n t n a c h i h r e r E n t h a u p t u n g u n d d i e g l e i c h d a r a u f e r f o l -g e n d e G e b u r t C h r y s a o r s enthàlt.

Dieses in so vicier Ilinsicht schàtzbare W e r k findet sich abgebildet bei M i l l i n g e n in den unediled Monuments, Basreliefs u . s . w . L o n d . 1826. kl . F o l . auf der I I . F lat te ( ' ) . E s ist auf der Insel Melos in einem G r a b e gefunden und jetzt im Besitz des Hrn. T h o m . B u r g o n , in L o n d o n . Als ha lberhobene Arbe i t , frei, ohne aus einer Grundflache herausgearbeitet zu sein, scheint es eben so, wie jenc einzelne ver iolgende G o r g o n e unsers Mu-séums, zu einem Antefixum an irgend einer W a n d , vielleicht jenes Grabmal s se lber , gedient zu haben. E s hat in einem eben so grofsen, auf gleiehe W e i s e gearbeiteten Denkmal d i e E r l e g u n g d e r C h i m â r a d u r c h B e l l e -r o p h o n vorstel lend, ein passendes Gegenstiick erhalten, welches sich in demselben G r a b e fand und auch gliicklicher Wei se ungetrennt von dem ersten in den Besi tz desselben genannten gelehrlen L iebhaber s gekommen ist ( 2 ) . In unserm W e r k e ist Perseus, ganz gegen die bekannte Dichter-annahme und bisberige Kunstvorstcl lung zu Fu f s , — z u P f e r d e abgebi ldet ; ohne Fl i igel , so wenig an den Schultern, wie in den àltesten Abbi ldungen, oder am Petasus und an den Talar ien. E r tràgt da fur die I lcisecothurnen ( l la lbst iefel ) und liait in den Ilânden die s ichelfôrmige I l a rpe und den abge-hauenen K o p f Medusens . Dieses Haupt ist mit geschlossenen Augen und noch ausgerecktcr Zunge, doch nicht geoffnetem Munde , ohne Verzerrung und in seiner F o r m sich schon etwas dem Oval nàhernd, gebildet . D ie I laare sclieinen in zwei gescheitelten, schlichten Massen sich bis iiber die Ohren an die Sei ten des K o p f s zu legen und in so fern ein Merkmal der Medusa des Phidias an sich zu tragen. E ine gewisse S t u m p f h e i t der F o r m làfst indessen hier die S a c h e nicht zur vôlligen Entscheidung bringen. A b e r unter dem Kinn ragen zwei lange sich vom K o p f abwàrts in der L u f t w i n d e n d e S c h l a n g e n hervor . Dieser K o p f dient of fenbar zum Beweise , wie es auch schon friiher bemerkt worden ist, und wir auch noch an einem Paar anderen K o p f e n mit diesem neuen Schlangenattribut zu bemerken Gelegenheit haben werden, dafs der Beginn einer neuen Charakterist ik, die Hinzuthat eines

(<) S. Taf. IV. nr. 42. zu dieser Abhandl.

( 2 ) Abgebildet bei M i l l i n g e n , a .W. aufTafel III L 2

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neuen Merkmals niclit auf einmal mit einer allgemein befolgten, volligen Umformung des Ganzen verbunden war; sondern, dafs diefs nur in einem theilweise erfolgten Ansehliefsen an die nàehst ublicben Merkmale bestand, wodurch eine Vermischung altérer und neuerer Bestandtheile sich crzeugte, welche so lange dauerte, bis eine kiihnere Hand das nicht ganz Vertràgliche absonderte und die neuen Merkmale zu einem ubereinstimmenden Typus mit entschieden vollkommener Wirkung scharfsinnig und gliicklich so ver-einigte, dafs es der Billigung, Bewunderung und Nachahmung aller nicht mehr ermangeln konnte.

Nach dieser kurzen Abschweifnng kehre ich zu unserm Kunstwerke zurûck. Perseus ist im Begriff mit seinem Raube aufs schnellste davon zu eilen. Aber die Enthauptete selbst ist an der Seite des Pferdes zu Perseus Fiifsen in beide Kniee gesunken, mit noch angstvoll ausgebreiteten Armen und wie es wohl nicht anders sein kann, im Moment des Yerscheidens.

Aus dem Stumpfe des Halses steigt an der Sicile des abgeschlagenen Ilauptes eben so, wie auf jener Schaale unsers Muséums der Kopf des Pe-gasus, also hier eine kindlich menschliche Figur heraus; daher unstreitig die zweite Geburt Medusens — Chrysaor. Medusa ist geflugelt, wie auf allen zunâchst kurz zuvor beschriebenen Monumenten in ganzer Figur; sie ist fer-ner mit einer langen Tunika bekleidet, die mit zwei Schlangen, wie bei H e s i o d u s (*) , gegiirtet ist.

Dieses durch die Geburt Chrysaors einzige Denkmal unterscheidet sich wesentlicb, durch die ihm zum Grunde liegende Idee, Kunstdarstel-lung, den Styl und das Kostiïm, von allen vorigen und gehôrt unstreitig einer Période der Kunst an, in welcher die Kiinstler sich nicht mehr streng und buchstàblich an die maafsgebenden Grundzuge der alteren Dichter allein hielten; sondern schon mit Freiheit ihre Komposizionen den nâch-sten Bedurfnissen ihrer Aufgaben, mit auch ihnen eingerâumtem Rechte neuer Schopfungen, anpafsten. Dahin gehôrt unstreitig in dieser Scene die Erscheinung des Perseus auf dem eilenden Rosse. Kein Dichter oder Schriftsteller erwâhnt desselben, indem die gefliigelten Talarien Merkurs, welche aber konsequent dafur hier fehlen, die Stelle desselben vollkommen ersetzten.

(') Seul. IlcrcuL V. 233 fulg.

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in der Poesie und bi ldenden Kunst der ylllen. 8 5

Wahrscheinl ich hat das Rofs hier seine Entstehung blofs dem U m -stande zu danken, dafs Perseus und Medusa der Vorstel lung des von dem Pegasus herab die Chimàra besiegenden Be l lerophon zum Gegcnstiiek die-nen sollten, die Symmetr ie der Anordnung also eine ahnliche, h o h e r e Stel-lung des Perseus kùnstlerisch verlangte. Dieser Forderung konnte der Ki inst ier freilich am besten durch den gleichfalls r e i t e n d e n Besieger Me-dusens Geniige leisten. Allen anderweitigen Deutungen und Vermuthungen dieserhalb beugt daher die gluckliclie Erhal tung des Gegenstuckes vol lkom-men vor . W i e oft mag der Grund von gewissen àhnlichen Erscheinungen in der alten Kunstwel t keine andere Q u e l l e haben, als die Beobachtung der Symmetr ie in einem verloren gegangenen Gcgensti ïck, der aber nun von den Auslegern, oft zvvar sehr gelehrt, aber nichts desto weniger falsch, wer weifs, von wie weit anderswoher, abgeleitet wird.

Wenngle ich auffal lender und sich weniger gliicklich anschmiegend an den K o r p e r Medusens , und selbst der F o r m nach widerstrebender, als jener P f e r d e k o p f und l i a i s des Pegasus auf dem R u m p f e derselben an unserer Scl iaa le , scheint es doch durch beide Beispiele bestiitigt, dafs die alten Kiinst ier diese A r t der Versinnlichung der allen Mythe von der Geburt des Chrysaor und Pegasus am zulâssigsten hielten und damit die alteste Ar t der selben auf dem uralten Selinuntischen Rel ief verbesserten, welche augen-scheinlich durch den schon vor der Enthauptung Medusens vorhandenen Pe-gasus, als ein unbehul f l iches , kiinstlerisches l lys teron Proteron sich ergiebt.

2 . Ander s , wie an dem Medusenhaupte des eben besprochenen Reliefs, erbl icken wir die Schlangenverbindung, bei noch ausgereckter Zunge, auf einem 6 Zo l l hohcn und 7 Zol l breiten Thonre l ie f im Antiquarium des Ivon. Muséums An dem an sich licblichen und mit sehr jungfraulichen Ziigen ausgestalteten K o p f e , einer doch mehr breiten als vo l lkommen ovalen F o r m , ragen aus den wellenformig die Stirn und Schlafen umgebenden und iiber dem O h r aufgerol l ten, gescheitelten Ilaaren vier einzelne Nattern, regelmàfsig an-geordnet hervor, ohne dafs sie sich unter dem Kinn mit ihren Schwanzen etwa zu einem K n o t e n versclivirzten, oder abwârts schweifend, wie oben an dem Denk-mal von Melos lierabhingen. Aufser auf einigen kleineren Mûnzen ist mir eine ahnliche Verbindungsart an grofseren Monumenten nicht vorgekommen.

C ) S. die Abbildung auf Taf. IV. Nr. 43. zu dieser Abhandl.

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3. Zwar nicht mehr mit ausgereckter Zunge, aber doch sichtbarer obérer Zahnreihe und gescheitelten und in einzelnen, sich schlângelnden grofseren Massen an den Seiten bis uber die Wangen hinabhangenden Haaren, und noch ctwas grinsendem Ausdruck des breiteren Gesichts , zeigt sich an einem K o p f e auf dem Brustharnische einer Statue des jungen M . Aurel in der An-tikengallerie des I iônigl . Muséums, die Verbindung zweier Schlangen mit demselben auf andere Art ( l ) . Nicht aus den Haaren sich windend ragen sie hervor, wie kurz v o r h i n ; ihre Vordertheile sind v e r b o r g e n ; nur mit den Hintertheilen sclimiegen sie sich dicht an Wangen und K i n n und verschurzen sich mit ibren Schwânzen unmittelbar unter demselben in einen K n o t e n . Gewifs nur Wiederholung eines alteren T y p u s in dem Anfange dieser Dar -stellungsweise, eben so gut, als jener K o p f auf dem Panzerr iemen derselben Statue, nur als Wiederholung der Medusenform auf der Minervenstatue des Phidias bat erkannt werden miissen. L a n g e vor M . Aure l war das Idéal der Medusa gewifs in der schonsten Période griechischer K u n s t vol lendct worden, so dafs R o m e r n und kunstubenden Griechen unter den R ô m e r n zur Kaiser-zeit schwerlich mehr ctwas Neues darin zu erfinden, sondern nur das schon Er fundene zu wiederholen und fortzupilanzen, i ibrig gebl ieben war.

4. Aber kiihner als aile seine λ organger trat S o l o n auf, der griecbische Steinschneider, yermuthlich imZeitalter des Augustus, in dem bewundernswiir-digen Pro i i lkopf Medusens einem Karneol eingeschnitten und mit des Kiinst-lers Namen bezeichnet, entweder selbststandig eri indend, oder , wie diese Art von Kiinst lern pilegte, als hôchst genialer Nachahmer oder K o p i s t eines griechischen ausgezeichneten Meisters eines grofseren W c r k s der Bi ldhauer-kunst ( 2 ) . An diesem K o p f e mit geschlossenem Munde und demnach auch nicht sichtbarer Zahnreihe, umgab der Kunst ler die reinsten und edels len Formen jungfràulicher Schonheit , durch einen leisen Anilug dusteren, un-heimlichen Unmuths im Blicke der Augen und der Bewegung des Mundes getriïbt, mit einer Fi ï l le sich schlangenfôrmig kri immenden aber vereinzelten Haares bis auf die Schultern liinab, die er reiehlich mit den Vorderthei len sich windender Nattern als mit den Haaren aus dem K o p f e zugleich heraus-gewachsen, durchwebte. Dafs dieser K o p f als noch nicht abgehauen zu

( ' ) S. die Abbild. auf Taf. IV. Nr. 44. zu dieser Abhandl.

( 2 ) S. auf Taf. IV. Nr. 45. zu dieser Abhandl.

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denken sei, geht aus seiner unverletzten Verbindung mit dem Halse und den Schultern hervor . Daher ist der Ausdruck der Gesichtsziige auch keines-weges der Ausdruck des allmâligen Tersclieidens, sondern der ideale Aus-druck eines W e s e n s , dem, bei aller jungfrâulichen Reinheit und Liebl ichkeit seiner Ges ichts formen, doch die verderbliche Eigenschaft des tôdtlichen Ver-steinerns der dasselbe Anblickcnden von der râchenden Gôttin zuertheilt worden war. A b e r veredelter, und bis zum hôehsten tragischen Antheil wirksamer hat wohl kein anderer griechischer Kiinstler die Gesichtsziige die-ses Charakters gesteigert, als es vom S o l o n in diesem W e r k e geschehen ist, einem der grôfsten Kunstschâtze ehemals im Besitze des I lauses Strozzi , jetzt des Grof sherzog l . Muséums zu Florenz ( ' ) .

5 . In derselben Idee und gleichfalls noch mit dem Ilalse verbunden und durch sehr âhnliche Gesichtsformen und einen gleichen Ausdruck ausgezeich-net, findet sich derselbe K o p f , aber von \ 7 orne , auf einem Thonre l ie f des Ant iquar iums im Konig l . Muséum, 77s Zol l lioch und 9 Zoll breit , mit einer gebrochnen griinlichen Farbe mehr getrànkt als bernait ( 2 ) . D a s schône Oval des regelmâfsig jungfrâulichen Anllitzes umgeben aber grofsere schlangenfor-mig sich empors tràubende Haarlocken, durch welche unmittelbar iiber der St i rn , doch nur diademartig sich ein Paar iiber der Stirn verknotete Schlan-gen winden, die auf beiden Seiten des Halses mit einer gleichformigen Bie-gung ihre K o p f e gegen denselben gewendet haben. J e d e andere Sclilangen-vermischung mit den I laaren, wie z .B. bei S o l o n , ist absichtlich vermieden. D ie geschinackvolle Regelmâfsigkeit der Anordnung bei grofser Leiclitigkeit und Freiheit der Zeichnung giebt diesem werthvollen W e r k e ein besonderes Interesse . —

Endl i ch vollendete sich das Medusen- Idéa l durch die Zutliat des letz-ten charakteristischen Merkmals , nemlich

b) durch die A n d e u t u n g d e r F l i i g e l a m K o p f e . Dieses Attr ibut erklârt sich hier auf dieselbe Weise , wie an den K ô p f e n

anderer mythischen Wesen in den Werken der Kuns t . F l i i g e l , das uralte S y m b o l sclineller Bewegung, sowohl an Gottern und Thieren , als selbst an leblosen Gegenstânden, wie z . B . an den Râdern schnell h inei lenderWagen,

( ' ) Abdruek bei L i p p e r t und andern. Kopieen dieses Steins in mehreren Sammlungen.

Ο S. auf Taf. IV. Nr. 46. zu dieser Abhandl.

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88 L Ε Ν Ε Ζ Ο W iiber die Entwickelung cles Gorgonen - Ideals

erscheinen in Ilinsicht auf die ersten in den noch vorhandenen Werken der alten Kunst, bei Merkur, Amor, Genius, Morpheus, Iris, Aurora, Victoria, Psyché, Furien und Gorgonen und andern mehr untergeordneten halb thie-rischen Wesen, Sirenen, Echidna u . s .w . , und zwar an den Schultern befe-stigt, oder am Petasus oder am blofsen Kopfe selbst des erstgenannten Got-tes, oder auch an den Talarien desselben angebracht. Eben so finden wir sie dem lleroen Perseus geliehen an denselben Stellen. Amor, Genius, Iris, Aurora, Victoria, Psyché beliielten sie an gewohnter Slelle, den Schul-tern. Diefs ist auch bei den ganzen Figuren der Gorgonen und Medusens von der Zeit an stets der Fall, wo man ihnen das Fliigelattribut anzueignen angefangen hatte. Als man aber das an sich ilugellose Haupt Medusens ab-gesondert und als vom Kôrper abgeschlagen zu bilden anfing, und zwar, als man nach allmaliger Vertilgung der widerwârtigen Merkmale, nemlich des unformlichen Kopfs, der wusten und schlichten Ilaare, des weit aufgerisse-nen Maules, der iletschenden Zahne und Schweinshauer, der ausgereckten Zunge, der verzerrten, aufgeschwollenen Wangen, des Bartes, der thierischen Ohren und des wuthentbrannten Blicks das Antlitz der Gorgone mehr ver-menschlicbt, ja ihr sogar schon einen Anflug von jungfrâulicber Schonheit ertheilt hatte ; da ward es nothwendig fuhlbar, wenn die Grundidee ihres Wesens iiber dieses Bestreben zu verschônern, nicht zu dunkel und zwei-deutig ausgedruckt, oder nicht ganz ausgeloscht werden sollle, ihr aufserdem einige andere unterscheidende und passende Merkmale zu verleihen, wodurch sie sich vor andern ihr ahnlichen Wesen ohne Misverstand leicht erkennbar maclien konnte. Malerische Behandlung der ihr nach den Dichtern eigen-thiimlichen Fiille des Ilaares, scliicklicbe Verbindung der Nattern-Gestalten, worin es zum Theil verwandelt war, schienen denen, welche dazu die ersten Schritte thaten, zu diesem Zwecke hinlângliche Mittel zu sein.

Aber die immer hôher steigenden Forderungen des sich immer mehr lâuternden Gefiihls des Schônen und Erhabenen waren damit nicht ganz befiiedigt. Selbst Solons Versucli mit dem wilden, unmittelbar von Schlan-gen durchwachsenen Ilaare, scheint trotz der Schonheit und hohen Voll-koinmenheit der dargestellten Gesichtsziige, in seinem zu grellen Kontraste, noch Anstofs gegeben und keine Nachahmer gefunden zu haben. Die aus dem Korper herausgewachsenen Schlangen waren dem tragisch bewegten, mitleidsvollen Gefùlil des Griechen an einer schonen, ungliicklichen Gelieb-

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ton des gewaltigen Meergotles zuwider. Man liefs es bei diademartiger Yer-flechtung eines Paares von Sehlangen bewenden, die man, um selbst das Auge weniger zu beleidigen, in zierlichen, symmetrischen Windungen die Ilaare nur durcbscbleicben, ja sich darin fast mehr verbergen, als drohend hervortreten, und sich nur unter dem Kinn, oder um den Hais, statt eines wïirdigeren, hier aber unpassenden Schmucks, eben so einfach sich ver-knupfen zu lassen kein Bedenken trug.

Willkommenen Spielraum fand dafiir die Kunst in Ausbildung des natiirlicben Hauptschmucks menschlich gebildeter Wesen, des Haares. Das-selbe in diesen Darstellungen in allen malerischen Windungen und wellen-artigen Bewegungen, deren es nur immer fâhig sein kann, meisterhaft fasl zu erschopfen, scheint nunmehr das IJauptbestreben der Kûnstler bei der Darstellung dieses Ideals gewesen zu sein. Die ersten Beispiele des sich kriimmenden und abwârts stràubenden kiirzeren Haares waren auch die erste Grundlage dazu und boten, bei der Absicht die noch zu furchtbare Wirkung der unmittelbar gehàuften Schlangenverbindung so viel als môglich zu min-dern, den Kunstlern die besle Gelegenheit dar, den Haaren selbst eine ge-wisse Yerâhnlichung mit den Windungen des Scldangenkôrpers anzueignen, ohne die giftgeschwollenen Bauche und drohenden Rachen dieser Unthiere selbst, mehr als nothig war, sichtbar werden zu lassen. Der mit Beifall verknupfte Erfolg fiir die Charakteristik des Ganzen batte diefs Bestreben vollkommen gerechtfertigt. Und so konnte noch der letzte Schritt gesche-hen, nach dem Yorgange der geflugelten Kopfe des Merkur, Morpheus und anderer Wesen, auch die verkleinerten Fliigel mit jener Lockenfiille und jenem Schlangenattribute an der Scheitel zu verbinden, welche die Erkenn-barkeit eines dàmonischen geiliigelten Wesens nicht allein befôrdern halfen, sondern auch in besonders dazu gewàhlter Stellung, zumal in Yerbindung mit allen ubrigen Ziigen und Merkmalen, der Form und dem ganzen Ausdruck des Antlitzes eine Wirkung von imposanter Schonheit und Erhabenheit ver-liehen, welche dasselbe zu einem der wunderbarsten und anziehendsten Ideale griecliischer Kunst gestempelt bat.

Dafs diese Wirkung nur durch die vollendeten Kunstfertigkeiten und den feinen Takt der Kunstler in der Periode des schonen griechischen Styls zu erreichen war, ist keinem Zweifel unterworfen. Aber die Geschichte der Kunst, nur die grofsen Erscheinungen iris Auge fassend, bat uns die Namen

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9 0 L E V E Z O W iiber die Entwickelung des Gorgoiien-Tdcals

tler Kunst ler nicht genannt, welche diesem Antlitze, vielleicht zuerst an den Statuen ihrer Minerven, oder an den Panzern der K ô n i g e und Helden , das hôchste Geprâge der schônen Vollendung ertheilten. D a s Zeitalter L y s i p p s mogte das geeigneteste dazu gewesen sein. Vielleicht war es dieser grofse Kunst ler selbst , der den Panzer seines kôniglichen Helden damit zuerst ver-lierrlichte, und darin ein Musterbild aufstellte, das mehr oder weniger anders modifizirt fur die Folgezeit stehender T y p u s aller vo l l endetenMedusenhâupter geblieben ist.

Fo lgende Denkmàler môgten wohl als das Merkwùrdigs te und Vor-ziiglichste anzusehen sein, was uns davon aus den Tr i immern der alten Kunst-welt erhalten worden ist.

1. A n die Griinze der zu dieser Charakteristik gehorigen geflugelten Medu-senkôpfe glaube ich unbedenklich ein hochst merkwurdiges D e n k m a l stellen zu mùssen, dessen Bekanntmachung wir der Sorgfa l t Herrn B r o n d s t e d t s im I I . Bucl i seiner Reisen mit einer schonen Abbi ldung verdanken ( ' ) .

E s bestebt in einem antiken Bruchstiick von gebrannter E r d e in der Sammlung des I lerausgebers und zeigt einen schûnen weibliclien K o p f ganz von vorne dargcstellt , mit stark vergoldetein Haare , mit zwei hervorspriefsen-den, schneckenformigen Auswuchsen und Fli igelchen (an der Scheitel) , welche, so wie die beiden Ohrgehange, himmelblau angestrichen sind. D i e Gesichts-farbe, wovon noch, ungeachtet einer starken Erdkrus te , welche man nicht bat ablosen konnen, deutliche Spuren iibrig sind, war die eines jugendlichen W e i b e s . I l r . B r o n d s t e d t erwarb diefs D e n k m a l , das wir mit seinen eige-n e n W o r t e n charakterisirt haben, 1820 in Sicilien, in der Nàhe von Sta . Ma-ria del T y n d a r o . D i e Ausfûhrung im Einzelnen wie im Ganzen zeugt von einem breiten und krâftigen Styl , und es geliort nach dem Besitzer dieses F ragment unter die scliônsten der kleineren griechischen Denkmàle r , die er jemals gesehen bat .

Die i iber der Stirn hervorragenden kleinen Horner (was diese kurzen I lervorragungen ohne Zwcifel sind) kônnten zwar an eine I o , als S y m b o l des M o n d e s , nach einem alten, vielleicht argivischen T y p u s , denken lassen, doch iindet der I lerausgeber es fur wahrscheinlicher, dafs darin das B i ld

( ' ) R e i s e n und U n t e r s u c h u n g e n in G r i e c h e n l a n d . II. Bucli. S. 133. XXXIX. Paris, 1830. kl. Fol. als Vignette vor der Einleitung, vergl. mit der Erklarung der Rildtafcln S. 295 folg·

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einer Medusa zu erblicken sei, wofiir ieh sie auch unbedenklich halte. D ie hervorspriefsenden Horner sind zwar ein Attribut , welches wir bis jetzt noch an keinem àcht griechischen Denkmale unserer G o r g o n e wahrgenom-men h a b e n ; aber wir haben schon in dem von M i c a l i ( ' ) bekannt gemach-ten etrurischen W e r k e von gebranntem T h o n , bei ausgereckter Zunge die kleinen aufstrebenden I lorner erkannt. Diese sind gewifs nicht ohne friihe-ren Yorgang sowohl bei Griechen als Etrur iern auch spàterhin zuweilen der Medusa angeeignet worden, da der thierische Ur sprung und die thierische Grundlage des ganzen Ideals wohl eine solclie Vermehrung ihrer furchtbaren Attr ibute begiinstigen konnte ; doch scheint die K u n s t nur sparsam davon G e b r a u c h gemacht zu haben, vielleicht nur in gewissen, besonders mystischen Beziehungen, von denen uns die Andeutungen verloren gegangen sind. W e n n spàterhin die Medusa zu einem Symbol des Mondes geworden ist, wie die angezeigte Stel le des Clemens von Alexandrien zu erkennen giebt ( 2 ) , so ist es auch um so weniger unwahrscheinlich, dafs man in dieser astronomischen Bedeutung ihr eben so gut wie der Io ( 3 ) die Horner beigelegt liabe. Daf i i r f e h l e n aber diesem K o p f e die Schlangen. Aber eben dieses wesentlichen Mangels wegen mogte Hrn. B r o n d s t e d t s Meinung, dafs dieser K o p f eine Medusa im M o m e n t ihrer Verwandelung vorstel le , wohl nicht ganz wahr-scheinlich sein. D e n n woran soll man diese Verwandelung erkennen? In einem âhnlichen F a l l , der Verwandelung des Actâons in einen I l i rsch, hat die griechische K u n s t in den uns davon verbliebenen Monumenten, den Mo-ment der Verwandelung durch die aus dem K o p f e hervorspriefsenden zacki-gen H o r n e r , oder diesen Moment doch durch die auf ihn eindringenden Hunde angedeutet ( 4 ) . Ich mogte das Werk blofs fiir eine Vorstel lung der schônhaarigen, schon geiliigelten Medusa im Charakter des schonen Styls halten, ohne Beziehung auf ihre Verwandelung. Auch giebt der ruhige, af fekt lose , ungetrubte Ausdruck ihrer Ziige kaum Veranlassung an den Mo-

( ' ) i. a. W . Taf. CIL nr.8. M. s. diese Abliandl. S. 39. Not. 1. gegen das Ende.

( 2 ) Vergl. S. 56. zu dieser Abhandl. Not. 2.

( 3 ) Man vergl. die Note 2. bel B r o n d s t e d t a. a. O.

( 4 ) Das erste bewiesen durch die merkwiirdige Marmor - Gruppe im Britisch. Muséum, s. Ancient Meubles of the Brilish Muséum Tom. II. Taf. 45. Das andere durch ein Vascnge-malde auf einem grofsen Gefafs in der Vasensammlung des Antiquariums in Berlin.

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9 2 LEVEZOW iiber die Entwickelung des Gorgoiien-Tdcals

ment ihres T o d e s zu denken. Sie steht in dieser I l insicht dem grofsen Ivopfe auf den grofsen Médail lons von Olbia ( ' ) nalie, von dem sie sich nur durch die Fli igel unterscheidet, welche sie, so wie die A n m u t h ihrer Gesichtsziige und der schone Styl des Ganzen, unserer zweiten Abthei lung der Monumente im neuesten oder schônen Styl aneignen. —

2. E ine antike Paste in der T o w n l e y s c h e n S a m m l u n g abgebildet bei R a s p e , im Verzeichnifs der Tassieschen P a s t e n - S a m m l . T o m . I I . nr. 8 8 9 9 , auf P l . L . ( 2 )

A u f diesem Denkmale zeigt sich die K o p f f o r m noch mehr rund, als o v a l ; aber die Gesichtsziige sind unverzerrt und mild. D ie I l aare umgeben noch, wie bei mehreren der mitlleren Charakterist ik, in kiirzeren Massen nach Aussen starrend das Haupt . Das Hintertheil zweier Schlangen umilicht gleich einem Bande W a n g e n und Kinn , unter welchem sich beide in einen leichten K n o t e n verschlingen. Yorn an der Scheite l i iber der St i rn , nur in der Mitte durch ein kleineres L o c k e n p a a r getrennt, ragen zwei kleine Fl i igel hervor . Aile diese angegebenen Merkmale scheinen noch einem der ersten Versuche der Schlangen- und Fl i igelverbindung zugleich anzugehôren, da sie noch nicht zu dem Grade der Wirkung benutzt und ausgebildet wor-den sind, welche in den nunmehr an die Reihe der Betrachtung kommenden Darstel lungen ailes Aehnliche ùbertrifft .

3 . K o p f noch mit dem Ilalse verbunden, auf einem kolossalen Rel ie f von Marmor in der Villa Albani ; erwàhnt in der Indieazione anticjuaria per la pailla suburbana dell' excell. Casa Albani. Edit. I I . R o m , 1803. S . 2. nr. 7. mit den wenigen W o r t e n : ,,sopra il portone Testa colossale di Medusa/' ab-gebildet bei R a s p e (a. a. Ο . ) Γ1. L . nr. S 8 9 7 , nach einem darnach vortreff-lich geschnittenen K a m e e ( 3 ) , dessen Abdruck auch bei L i p p e r t , Dactyl. T a u s . I I . 26 . zu finden ist ( 4 ) .

N u r ein Schlangenband aus den Schwânzen zweier derselben beste-hend und am I la l se leicht verknupft , umgiebt denselben als eigenthumlicher, dàmonisch-gorgonisc l ier Schmuck. In der unendlichen Fi i l le des den ganzen

( ' ) Taf. IV. Nr. 41. zu dieser Abhandl.

( * ) S. Taf. V. Nr. 47. zu dieser Abhandl.

( ') ,,Camco, Jrom a basrelief of Cardinal /llbani 's." —

Ο S. Taf. Y. Nr. 48. zu dieser Abhandl.

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K o p f fast bis an die Brust sich schliingelnd umwallenden Haares ist weiter keine Spur von Schlangen mehr sichtbar. Aber die Windungen der Locken selbst ahmen denen der Schlangen auf das lebendigste nach, so, dafs dadurch eine Wirkung erreicht wird, welche noch viel wunderbarer, fast gespenstisch, den Mangel der Schlangen selbst ersetzt. An ihrer Statt ragen aber an der Scheitel des Haupts die gelupften und ausgebreiteten Fliigel hervor, welche das Gewimmel des sich krummenden, gleichsam beseelten Ilaares noch mit schlagender Thàtigkeit zu verstârken scheinen. Die Form des Gesichts ist oval, mit regelmafsigen Theilen des jungfraulichen Charakters erfiillt; aber durch die zornig zusammengekniffenen Braunen, durch die gegen dieWinkel der Augen tiickisch gepressten Sterne und den zum Hohn ein wenig geôff-neten, aufgeworfenen Mund zu einem furchtbar grofsen Ausdruck des Zorns verzogen, den ein riickkehrender Anfall uralter Neigung zum tôdtlichen Yer-derben darauf wieder hervorgerufen hat. Ohne durch erregtes Mitleid, wie bei Solons Werk, anziehend zu sein, ist das Ganze als Bild eines iiber-menschlichen damonisch-gottlichen Zorns dennoch von ausserordentlicher Wirkung ( * ) .

3. Offenbar reizender und sich grofseren menschlichen Antheil gewin-nend tritt uns dafiir das Medusenhaupt entgegen, welches die Riickseite jener acht Zoll im Durchmesser haltenden, prachtvollen Onyxschaale bedeckt, welche aus dem Schatze der Farnesen in das Konigl. Muséum zu Neapel ver-setzt, eine der kostbarsten Zierden desselben ausmacht und unter dem Na-men der Farnesischen Schaale (tazza Farnese) als eins der grofsten und kunst-vollsten Denkmiiler alter Glyptik beriihmt ist ( 2 ) . M a f f e i war der erste, der in dem Muséum Feronense (S. C C C L V . und C C C L V .) eine Abbildung beider Seiten, in der Grofse des Originals, und in seinen Osseivazz. leterr. (T . II . Art. I X . S . 339.) nebst wiederholter Abbildung der Riickseite eine Erklârung der innern Seite herausgegeben hat; spàterhin ist sie auf einem

( ' ) Mit weniger wallendem Ilaar, zwei iiber den Schlâfen frei bervortretenden, aber gesenk-ten Fliigeln und nur allein auf den Ansatz der Schujtern ruhenden sich ringclnden zwei Schlan-genscliwanzen und milderem Blick und Ausdruck ein Medusenhaupt auf PI. LXXII . Nr. 1. bei C a y l u s Recueil d'Anliqq·, in einem grofsen bronzenen Médaillon, 4 Zoll 9 Linien franz. im Durchmesser haltend, welches C a y l u s fiir eine romische Kopie eins der schonsten griechischen Originale erkliirt. —

( 2 ) S. Taf. V. Nr. 49. zu dieser Abhandl.

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9 4 L E V E Z O W iiber die Entwiclcclung des Gorgonen-Ideals

einzelnen Blat te , noch krâftiger von F . M o r g h e n gestochen in Neape l bekannt geinacht w o r d e n ; M i l l i n g e n bat die Yors te l lung auf der innern Seite in seinen unedited Monuments in I I . T o m . P l . X V I I . wiedergegebcn und zu erlâutern gesuebt ; endlich bat zuletzt G u a r g i u l o in N e a p e l eben-falls von beiden Seiten eine Abbildung in seiner S a m m l u n g antiker Bi ld-werke des Neapol i taniscben Muséums gegeben. E i n e grundliche Er lauterung findet sich von V i s c o n t i iin I I I . Bande des Mus, Pio-Clement. Auch G e r h a r d i n : N e a p e l s a n t i k e B i l d w e r k e , I . T h l . S . 391 u . 92 . hat dasselbe an der Spitze der Sammlung geschnittener Ste inc des Neapol i tani-scben IMuseums in der Kiirze beschi ieben.

In diesem Erstaunen erregenden W e r k e alter Steinschneidekunst ist ailes erreicht, was in der Idee d e s l o c k e n u m w a l l t e n H a u p t e s der Me-dusa durch geschmackvolle Anordnung des Ganzen, durch die freieste Zeich-nung des Einzelnen und die hochste Fertigkeit in der schwierigsten techni-schcri Behandlung zu erreiclien moglich war. Hoher kann die K u n s t in ab-sichtlicher Behandlung menschlicben I laares nicht steigen. A b e r auch hier sind die an den fast halbversteckten Fliïgeln auf der Sehei le l hervorragenden zwei Schlangenhalse kaum bemcrkbar : die prachtvol le Ueppigkei t der L o k -ken verdunkelt sie fast so gut wie ganz ; nur um das K inn in leichter Ver-schlingung ihrer Il intertheile treten sie mehr bemcrkbar hervor . D ie Ziige des reizenden Gesichts sind von ausscrordentlicher S c h o n h e i t ; nur der etwas erôffncte Mund giebt den leisen Ausdruek eines innern, vcrhaltenen Affekts zu erkennen, der durch die La s t eines ungehcuren Scl i icksals gerechtfertigt wird. Diefs nie genug zu bewundernde Bild der i iber ihr grausames Geschick in dem Bewustsein ihrer liohen jungfrâulichen Schonheit unmuthsvol l trauern-den G o r g o n e ist auf dem Steine selbst als der Mittelpunkt einer mit Schlan-gen umfranzten Aegis angcbracht, wozu die schildfôrmige Bcschaffenheit der Schaa le wohl die nàchste Veranlassung gab, ohne besondere Beziehung auf das Aegypten betref fende Bi ld im Innern der Schaa le , die ihre Entstehung wohl dem Plolemaischen, spàtestens dem Augusteischen Zeitalter verdan-ken mogte .

4. E inmal nach beseitigten I lemmungen des alteren S ty l s zur unerschopf-lichen Q u e l l e immer neuer Modifikazionen fiir die Er f indungs - und Anord-nungskraft der Kiinst ler geworden, ersclieint das Medusenhaupt in dem iiber die Natur grofsen Marmorwerke eines griechischen Kunst ler s , welches lange

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eine der Hauptzierden der Piondaninischen Sammlung in Rom war und von da in das Muséum zu Miinchen iibergegangen ist, in einer zwar weniger iippigen, aber nicbts desto weniger wirkungsvollen, rubigeren Anordnung des uber der Stirne gescbeitelten Haares ( ' ) . Nur in gemiifsigter erhobenen Wellenlinien weicht es von der Mitte der Stirn in etwas grofseren Massen nach den Seiten zu ab und lockt sich in wenigeren Schlangenkriimmungen an den Schlafen und Wangen. Kinn und Wangen umgebcn, unter dem ersten leicht verschûrzt, doch jene nicht unmittelbar beriihrend, zwei Schlangen-leiber. Nur ihre Kopfe ragen oberhalb der Scheitel neben den Fliigeln, nicht drohend, sondern fast schlafend hervor. Die Fliigel selbst aber deh-nen sich weit uber die aussersten Haarlocken der Scheitel hinaus, ausgebrei-tet und gleichsam die letzten Schwingungen versuchend. Sie gewahren da-dureb mit der vollkommenen Ovalform des Kopfes einen so wirksamen gewal-tigen Kontrast zwischen dem obersten Theile des Kopfes und dem sich sanft abrundenden Untertheile desselben, wie ihre anders modifizirte Stellung, selbst an den schonsten der ubrigen Denkmàler, nicht erreicht hat. Der Adel und die musterhafte Korrektheit aller Gesichtstheile, so wie die ruhige Har-monie jedes Einzelnen zu einem vollkommenen Ganzen, machen diefs Werk zu einem wahrhaft klassischen. Die innere leise Stimme des schmerzvollen Unmuths und ironisch trotzenden Hohns, welche aus dem bedeutungsvollen Zuge der Augenbraunen und den schon erstarrenden Lippen des wenig geôff-neten Mundes ertont, vollendet den tragischen Eindruck, den diefs grofs-artige Ilaupt auf die Empfmdung jedes gefiihlvollen Zuscliauers unvermeid-lich erzeugen mufs ( 2 ) .

o S. Taf. Y. Nr. 50. zu dieser Abhandl.

( 2 ) In derselben Stellung der Fliigel, Anordnung des Ilaares und Scldangenhalsbandes zeigt sich derselbe Typus auf drei Kiipfen von Thon im Antiquar. des Konigl. Muséums, der eine ein grofseres I\elief 6 Zoll hoch und 61g Zoll breit von besonders schoner Zeichnung, die beiden an-dern in Ilochrelief, fast rund, auf zwei Seiten eines grofsen, dickbauchigen Giefsgefafses ange-bracht. Ilier ist aber in allen dreien der Ausdruck des Schmerzes nur allein vorwaltend. — Eben so wirkungsvoll in dieser Absicht zeigt sich das schijne Medusenhaupt als Relief auf einer schild-formigen Plattc bei M i l l i n g e n unedited Monum. II. Taf .XIX, 2. ohne Schlangen und Fliigel im Haar, aber mit Perlen- und Schlangenhalsband unten am Ilalse und auf der Brust, welche mît einer dreifachen Reihe langlicher Schuppen umgeben ist, offenbar Anwendung der Schuppcn auf der Aegis Minervens, wie auf den Mûnzen so vicier pontischen Stadte und anderer, dercn Abbildung l i a y m in Tcsaur. Brilt. Taf. XX. gegeben hat.

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9 6 L E V E Z O W iiber die Entwickelung des Gorgoiien-Tdcals

5. Diisterer und mit schmerzvollerem Gepràge in dem Zuge der Augen-braunen, dem eidôschenden Blick der Augen und dem erstarrenden Munde gewahren wir dasselbe schtine Haupt in der Pér iode der wieder von neuem auf lebenden Kunst unter dem kunstliebenden Hadrian an dem eignen Panzer, womit das vortref f l iebe Brustbi ld dieses Imperators in dem Muséum des I ia-pitols zu R o m bedeekt ist ( ' ) . Von grofserer sich schlangelnden Lockenf i i l le an den Seiten bis unter das Kinn hinab umgeben, zeigt es doch keine andere Schlangenverbindung weiter, als in den sich um Wangen und Kinn unmit-telbar legenden und sich unter diesem nur leicht verschlingenden Ilinter-theilen zweier Nattern. Fliigel ragen, wie in der S p h à r e dieses Styls libéral], hervor, aber sie senken sich mit den Spitzen regungslos hinab, bei crlôschen-dem L e b e n des ganzen Hauptes. Wenngleich von vortref f l icher Arbeit und hohem Werthe steht diefs Werk dennoch sowohl in der Idee , als der Grof se des Ausdrueks dem Rondanini-Mxinchener Meisterwerke nach. Seine Cha-rakteristik ist aber fast zum unverànderlichen Yorbi lde aller spateren unzâhl-baren Medusenkôpfe geworden, womit die Kunst Waf fen und Gerâthe aller Art nachahmend verziert bat ( 2 ) .

Endl ich ist uns 6. in dem Meisterwerke eines griechischen Steinschneiders mit d e m W o r t e

C(JL)COKÂ6 in kleinen Ziigen beschrieben ( 3 ) das Profxlbild einer schon vollig entseelten Medusa mit geschlossenen Augen und dem ganzeix Ausdruck einer umxiulhsvoll und schmei'zhaft Sterbenden iibrig gebl ieben, auf einem schô-nen Karneol , der vormals dem Kardinal O t t o b o n i gehorte, jetzt aber der L o r d C a r l i s l e in England besitzen soll ( 4 ) . Hier ist das allerdings x-eiche

( ' ) S. Taf. V. Nr.51. zu dieser Abhandlung.

( 2 ) So in diesem Typus, in bedeutender Grofse dieses Ilaupt im Centrum des Innern einer grofsen zweihenkeligen Scliaale, von griinem antiken Marmor, aus der v. K o l l e r s c h e n Samm-lung, in der Antiken-Gallerie des Konigl. Muséums zu Berlin. S . V e r z e i e h n i f s derselben. S . 17. Nr. 114. a.

( 3 ) Der auf dem Stein eingesebnittene Name ist offenbar C(JOCOK€ und niebt CCOCI-Κ λ £ , wie er bin und wieder lautet. So baben aucb W i n k e l m a n n , S t o s c h und B r a c e ï ihn gelesen. Den letzten Namen bat man wohl der Inschri ft C C Û C I K  H auf dem Stamme ent-lehnt, auf welchen sich eine der Amazoncn im Capitolinischen Muséum stiitzt. Auch die Lesung ε ω Φ ο κ λ ε scheint sich nicht zu rechtfertigen, eben so wenig als der vermuthete Name S o -s t h e n e s , bei S i l l i g Culal. Arlific. S .426 .

( 4 ) S. Taf. V. Nr. 52. zu dieser Abhandl.

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Haar doch mit grofserer Mâfsigung behandelt und angeordnct , als an irgend einem andern D e n k m a l e dieses neuesten S t y l s ; nur an und iiber dem Nacken ist es in einen K n o t e n und an den Seiten in drei sich kri immende L o c k e n -massen geschlagen, iiber welche ein Fliigel sich erhebt. D ie Schlangen scheinen ganz zu fehlen: bei der Kleinheit des Bi ldes ware es indessen wohl mogl ich , dafs sich eine derselben in einer oberhalb am Fli igel sich beson-ders windenden dunneren L o c k e leicht verkennen liefse. Dieser Stein ist von jeher mit R e c h t als ein ausgezeichnctes Meisterwerk griechischer G l y -pl ik bewundert \ind jenem Steine S o l o n s gleich geschâtzt worden.

Mit der Erwâhnung zweier Λ orstellungen der Enthauptung Medusens auf einigcn griechischen Miinzcn beendige ich diese Musterung der Gorgonen-und Medusen - Denkmâler im neuesten Styl .

D ie eine unstreitig altéré Vorstellung eines stehenden, mit dem einer phrygischen Mitra fast àhnlichen Helm des P lu to bedeckten und einer Tunika und Mantel bekleideten Perseus , der in der rechten Hand die Harpe , in der linken das abgehauene I laupt Medusens liait, die hinter ihm, wie es scheint, ganz nackt , aber geiliigclt, am Boden liegt, mit der Beischrift ΑΜΙΣΟΥ zeigt sich auf einer bronzenen Autonom-Mi inze dieser Pontischen S tadt , auf deren Vorderseite ein behelmtes Minervenhaupt s ichtbar ist ( ' ) . O b vielleicht nach einer grofseren Bi ldhauergruppe in Amisus kopirt auf die Miinze iibergetra-gen, ist bei dem Mangel anderer Kachrichten nicht zu entscheiden, sondern nur zu vermuthen. Bekannt ist wenigstens die S ta tue eines Perseus mit einem schonen abgehauenen Medusenkopf in der Hand , der sich im Falaste Lant i in R o m bef indet ( S . W i n k e l m a n n s W e r k e . B . 4. S . 127. und die Noten S . 350 folgd.) . A b e r die Statue ist sehr restaurirt und auch das Medusenhaupt von Kennern z . B . von V i s c o n t i (Mus. Pio Clern. I I . S . 64 . N o t . a.) als ait bezweifelt worden. E s sei daher genug desselben hier nur erwàhnt zu haben. U n d so ist auch wohl nur von einer àhnlichen Bi ldhauergruppe jener runde Ivopf ubrig gebl ieben, der nach I lerrn I l i r t s Er innerung noch in der Villa Ludov i s i au fbewahr t werden soll ( 2 ) . U e b e r den Charakter der Medusa auf unscrer Miinze ist, bei der Kleinheit ihres Bi ldes , aufser jenem Fliigelatlribut

( ' ) S. Taf. V. Nr.53. zu «licscr Abhandl.

( 2 ) M. vergleiehe damit, was S. 6. dieser Abhandl. iiber die Abbildung der Medusa in ganzen Staluen vermutbet worden ist.

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9 8 L E V E Z O W iiber die Entwickelung des Gorgoiien-Tdcals

an den Schultern, nichts weiter zu ermitteln. Gleiches gilt von den âhn-lichen Darstellungen auf den Miinzen der andern Pontischen Sladte Amastris, Cabira, Comana, Sinope und anderen ( ' ) .

JungerenUrsprungs ist augensebeinlieb jene zweite Vorstellung, welche sich auf einem bronzenen Médaillon der Stadt Sebaste in Galazicn, auf der Ruckseite ergiebt, welches auf der Yorderseite das Brustbild des Karakalla tràgt ( 2 ) . Hier besteht die ganze Gruppe aus drei Figuren, Minerva mit ihrem Spiegelschilde, Perseus, der darin das Haupt Medusens erblickend von der letzten, auf denKnieen liegcnden abgewendet, ihr dasselbe mit demSchwerdle in der rechten Hand abschneidet, indem er sie mit der linken bei derScheitel ergriffen bat. Zeichnung und Kostiim der Figuren verrathen den neueren Sty l ; nur der Unterleib Medusens ist bis auf die Kniee mit dem hinabgefal-lenen Gewande lose umgeben, ihr ubriger Korper ist nackt und ungeilugelt; ihr Haupt scheint mit lockigen Haaren besetzt zu sein; die erkennbaren Ziige ihres Gesichts verrathen Angst und Verzweiflung. Mil beiden Hànden sucht sie sich von der Hand des Perseus zu befreien, die ihre Scheitel ergrif-fen bat und das Schwerdt abzuwehren, indem es schon ihren liais durch-dringt. Perseus ist in kiihncr, heroischer Ilaltung gebildct ; ein leichler Mantel llatlerl am Ilintertheil der Schultern cmpor; an den Fiifsen sieht man die beiliigelten Talarien, aber der Kopf ist unbedeckt. Der ihm als Spiegel entgegengehaltene Schild Minervcns versinnlicht die bei Apollodor und dem Scholiasten ( 3 ) in unserer Mythe bemerklen und erlâuterten neue-ren Ziige der Erzahlung. Wie es gekommen sein mag, dafs man in spàterer Zeit das Bild des Perseus, zumal in Yerbindung mit Medusen, auf die Miin-zen mehrerer Pontischen Stiidle, gleich dem Bilde eines Nazionalheroen ge-setzt habe, daruber verdienen die Andeutungen B o t t i g e r s ( 4 ) vorziiglich

( ' ) Man sehe dariiber die liemerkiingen N e u m a n n s im II. Theil der Populorr. et Reçg. Numi Velt. inediti. von S. 1 - 9 . die Abbild. auf Taf. I. nr. 1.

( 2 ) S. Taf. Y. Nr.54. zu dieser Abhandl. Mit der Inschrift 6 Π I . Λ Ο Y . AM 6 Ξ Α Λ Ι Ο Y . Α Ν Τ Ω Ν Α Ρ Χ . unten C £ B A C T H N i 2 N . bei C a y l u s Tom. IV. Pl. LIV. i. u. n. vergl. P e l I e r in Med. d. Villes. T. III. Supplem. Pl. CXXXVI . nr. 7. und M i ο η η e t Med. antiq. T. IV. S. 399.

o M. s. S. 35. dieser Abhandl. die Note 2.

Sowohl F u r i e n m a s k e . IV. S. 107. aïs auch besonders Note 31. S. 416 folgd. der Ide en zur Κ u η s t - M y t h ol ο g ie . Kursus 1.

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beachtet zu werden, die, wenn sie auch gleich, sich nur auf einzelne zer-streute D a t a stutzend, die Frage nicht gânzlich und mit entschiedener Gewifs-heit losen, dennoch als Winke und Beitrâge fiir eine kiinftige vollstândige Beantwortung dienen konnen. —

Aus al len diesen Untersuchungen und Dar legungen ergeben sich ausser den schon bei j eder Dars te l lungs-Per iode in Bezug auf die einzelnen darin charakterist ischen Merkmale der Gorgonen gemachten Bemerkungen fiir die Geschichte der K u n s t wohl ungezwungen noch folgende al lgemeinere R e -sultate :

1. Da f s kein griechisches Kunstideal vom ersten rohesten Anfange cler beginnenden K u n s t bis zu ihrer Vollendung eine lângere Stufenreihe von all-màliger , ja schrittweise sich fortsetzender Entwickelung uberst iegen hat und daher keinem eine grofsere Mannigfaltigkeit von Darste l lungsformen zu Tlieil geworden ist, als dem G o r g o n e n - I d é a l uberhaupt und dem der Medusa ins-besondere .

2 . Da f s aber auch von keinem andern Idéal die Entwickelungsgeschichte in zahlreicheren Dokumenten so deutlich vor Augen liegt, als schon gegen-warlig von cbendemselben.

3 . D a f s sich in dieser Entwickelung, wenngleich nur eines untergeordne-ten Idea l s , zugleich der ganze Gang und der ganze eigenthiïmliche Geist der griechischen K u n s t , und was um so mehr W e r t h giebt, ohne s ichlbare Bei-hiilfe irgend eines andern fremden Einilusses, offenbart , von den ersten rohen Yersuchen cyklopiscl ier Mechanik bis zum hôchsten Gip fe l der Yol lendung freier hellenischer K u n s t .

4 . D a f s ohne Zweifel von einer thierischen G r u n d f o r m ausgehend, sich dasselbe zu einer so hohen Vollkommenhcit damonisch-menschl ic l ier und tragischer Schonheit und Erhabenheit liinaufgerungen hat, dafs ihm nicbts Achnliches in dieser Beziehung in den auf uns gekommenen Kunstwerkcn vergliclicn werden kann.

5. D a f s aber wunderbarer Weise in wesentlichen Merkmalen und Be-standtheilen die griechische Poes ie diefs Idéal viel fruher und vol lkommener ausgebildet hat, als es der plastischen Kunst , bei ihrem viel langsameren Fortschri t t , môgl ich werden konnte, darin mit ihr gleichen Schrit t zu halten.

6 . D a f s diefs griechische Idéal in seinen ersten Grundformcn zusammt seiner myth i sch-poet i s chen Unterlage schon fruh den Etruskern bekannt

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100 L Ε V Ε ζ ο w iiber die En twickelung des Gorgonen -1dénis u.s.xv.

geworden und von ihnen in ihren Bilderkreis au fgenommen worden ist, und mancherlei Yeranderungen und Accommodazionen erlitten l iâ t ; aber von ihnen nie in dem G r a d e von schoner Yol lendung ausgearbeitet u n d darge-stellt worden, als worin es in der Kunstsphàre der Gr iechen sich mit eigen-thumlichem R u h m auszeichnet.

7. D a f s endlich selbst das Ilâfslichste, ja Greuelhaf tes te in Idee und F o r m , wenn es sich nicht ganz aus dem Kunstkrei se abweisen oder verban-nen liefs, dem sich unaufhal tsam fort ausbildenden Schonheitss inne der Grie-chen und seinen Forderungen dennoch in dem G r a d e unterwerfen mufste, um wenigstens so viel als moglich gemildert, ja wie bei unserem Gegenstande der Fa l l , sogar môglichst veredelt und verschônert , ohne doch das Charakte-ristische seiner Grundidee dadureh ganz einzubiifsen, ein Gegenstand des lebliaftesten menschlichen Antheils, selbst hohen tragischen Mitgefiihls und der gerechtesten Bewunderung seiner ihm verliehenen Kunstvol lkommenhei t werden konnLe.

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