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1 Eine Arbeit von Carsten Güth, Wulf Kramer, Stefan Staehle, & Max Vomhof Il faut être absolument moderne. Der Palais de Justice de Bruxelles Ein Streifzug von der Querelle des Anciens et des Modernes bis heute.

Il faut être absolument moderne

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Architektur Banale.

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Eine Arbeit von Carsten Güth, Wulf Kramer, Stefan Staehle, & Max Vomhof

Il faut être absolument moderne.

Der Palais de Justice de Bruxelles

Ein Streifzug von der Querelle des Anciens et des Modernes bis heute.

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„Ein Buch, auf das niemand wartet, das auf keine formulierte Frage antwortet, das der Verfasser nicht geschrieben hätte, wenn er

seiner Lehre wörtlich gefolgt wäre, so ist das bizarre Ding, das ich heute dem Leser

unterbreite.“

Georges Bataille

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Inhalt

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38Untersuchungen

40Modell

42f.

Sans Domicile Fixe

46Palastikus

48f.

Verhüllung

58f.

Ghlossik

64f.

Zeitleiste

66f.

(Re-) Aktion

70f.

An Architects Dream

76f.

Revolution/Autonomie

84f.

Memorized

92f.

Grotesque

102Enlarge your Building

128f.

Symbol, Muster, Ornament

144f.

Ruinieren

6f.

Einführung

18Route

30f.

Gegensätze

34Fakten

157f.

Interview

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„Meine Freunde und ich sind einmal bei Einbruch der Dun-kelheit in den Justizpalast in Brüssel eingedrungen. Dieser unförmige Koloss erdrückt die unter-halb gelegenen armen Viertel und stellt sich schützend vor die reiche Avenue Louise, die wir eines Tages in einen erre-genden Bauplatz verwandeln werden. In dem Irrgarten von Gängen, Treppen und Zimmerfluchten machten wir unszunächst ein Bild von unseren Gestaltungsmöglichkeiten, richteten uns dann auf dem eroberten Territorium ein und verwandelten diesen Galgenpalast auf ei-nem Spaziergang unserer Phantasie in einen traumhaften Jahrmarkt, in einen Palast der Lüste, in dem die reizvollsten Abenteuer dem Privileg entsprachen, dass wir sie wirklich erlebten.“- Raoul Vaneigem1

Zitat

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„Meine Freunde und ich sind einmal bei Einbruch der Dun-kelheit in den Justizpalast in Brüssel eingedrungen. Dieser unförmige Koloss erdrückt die unter-halb gelegenen armen Viertel und stellt sich schützend vor die reiche Avenue Louise, die wir eines Tages in einen erre-genden Bauplatz verwandeln werden. In dem Irrgarten von Gängen, Treppen und Zimmerfluchten machten wir unszunächst ein Bild von unseren Gestaltungsmöglichkeiten, richteten uns dann auf dem eroberten Territorium ein und verwandelten diesen Galgenpalast auf ei-nem Spaziergang unserer Phantasie in einen traumhaften Jahrmarkt, in einen Palast der Lüste, in dem die reizvollsten Abenteuer dem Privileg entsprachen, dass wir sie wirklich erlebten.“- Raoul Vaneigem1

1

-

Er galt in den 1960er

Jahren als einer der ein-

flussreichsten Theoretiker

der Situationistischen In-

ternationalen. Er verfass-

te u.a. die Basisbanalitä-

ten und das Handbuch der

Lebenskunst für die jungen

Generationen (1967).

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Dérive - Umherschweifen - nannten die Mitglieder der Situati-onistischen Internationale ihr Werk-zeug der Raumerfahrung. Durch die Fokussierung auf die subjektive Wahrnehmung des Stadtraumes erstellten sie ihre eigene Lesart des urbanen Kontextes - die Psychogeo-graphie. Das Umherirren, das nicht wissen wohin, das sich Einlassen auf spontane Gedanken, der Drift, die unmittelbare Reaktion und Faszi-nation bilden im Gegensatz zu einer klar formulierten und zielorientier-ten Aufgabenstellung, die Methode, die auch für uns zur Basis unserer Arbeit werden sollte.

An einem Punkt angekommen, der für uns ein Ende wie einen Anfang markiert, wollten wir die Möglich-keit nutzen uns auf den Weg zu ma-chen - ohne erkennbares Ziel, doch mit der Überzeugung sich der Archi-tektur zu nähern, sie zu entdecken und zu rekombinieren. Wie Raoul Vaneigem sahen wir im Justizpalast Brüssels das Vehikel, das in der Lage zu sein schien, uns aus unserer ge-wohnten Umlaufbahn herauszuka-tapultieren.

Dérive

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Ein Ungetüm, ungeheuerlich im Stadtraum, von morbider Faszina-tion, ein Relikt, verurteilt von der Geschichte und kurz davor seine Le-gitimation zu verlieren. Eine Kraft ging von ihm aus - beinahe erkaltet doch noch fühlbar. Wir wollten mehr erfahren, über den Palast, sein Um-feld, seine Geschichte. Wir hatten et-was gefunden - gekommen aus einer längst vergangenen Epoche, war es nun an der Zeit seine Geheimnisse zu ergründen.

So wie die situationistische Aneig-nung des unbekannten Stadtrau-mes zu neuen und unerwarteten Erkenntnissen führte, so haben wir uns dem Palast angenähert - haben ihn wie Vaneigems Schar erkundet, erfahren - ihn in seine Einzelteile zerlegt. Und wir sind noch weiter ge-gangen, haben uns nicht aufhalten lassen. Wir sind ausgeschwärmt vom Palast aus in die Geschichte der Ar-chitektur. Weit in die Vergangenheit, in die Zeit vor seiner Erbauung, bis zur Zeit der Querelle des Anciens et des Modernes und in großen Schrit-ten zurück in die Gegenwart.

So erschien der Justizpalast mehr und mehr als ein Gefäß. Ein Ge-fäß in dem sich einerseits die Ge-schichte der Aufklärung, des Geschmacks und des Bürgertums widerspiegelten, das andererseits aber auch als Blaupause d e s s e n diente, was sich wenige Jahre nach seiner Errichtung fundamentaler architektonischer Kritik ausgesetzt sah.

Der Umstand, Teil einer 300-jährigen architektonischen Entwicklung zu sein und gleichzeitig in seiner Bedeu-tung für eben jene marginalisiert zu werden, birgt für uns das Potential des Palastes - um es mit Raoul Va-neigem zu sagen, wir richteten uns dann auf dem eroberten Territorium ein und verwandelten diesen Galgen-palast auf einem Spaziergang unse-rer Phantasie in einen traumhaften Jahrmarkt, in einen Palast der Lüs-te, in dem die reizvollsten Abenteuer dem Privileg entsprachen, daß wir sie wirklich erlebten.

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dérive

Dérive

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1866 kommt es zum folgenschweren Zusammentreffen des Ortes mit der Geschichte Belgiens. Ein Großteil des Viertels wird diese Veränderung nicht überleben. Ein Symbol für die junge Nation soll entstehen. Der König hat es so gewollt. Brüssel bekommt seinen Justizpalast - der Bauplatz sind die Marollen, das Budget aus dem Kongo, der Architekt Joseph Poelaert.

Beim Wettbewerb der zum Bau des Justizpalastes führen sollte, war eben dieser Joseph Poelaert Preisrichter und Wettbewerbsgewinner. Eine für ihn durchaus lohnende Verbindung von Kompetenzen. Der bescheidene Ent-wurf des Bauwerks und der Kuppel weicht mit der Zeit einer in die Gigantomanie abdriftenden Lösung. Mit dem Segen des Königs, beginnt das Budget jeden Rahmen zu sprengen.

Doch für den Fall, dass es jemand wagen würde sein Geschäftsgeba-ren zu diskreditieren hatte der ver-rückte Architekt1 schon vorgesorgt: Widerspruch wurde mit der Andro-hung von Kündigung begegnet gebe es doch niemanden, der in der Lage sei, dieses völlig aus den Fugen ge-ratene Projekt noch zu überblicken, geschweige denn, fertig zu bauen.

Die Vernichtung etlicher Straßenzü-ge und die Vertreibung der Bewoh-ner waren die Folge. Wo sich eben noch kleinteilige Strukturen an den Hang lehnten, dominiert nun die Großform. Dieses Vorgehen blieb seitens der Bewohner nicht ohne Reaktion - die aufgestauten Ag-gressionen gegenüber dem Erbauer und seiner Schöpfung machten sich am Tag der Eröffnung des Justiz-palastes Luft. Dutzende Marolliens stürmten in den Palast und zerstör-ten oder entwendeten das nagelneue Inventar - schwere Geburt.

Diese Episode ließ eine Ahnung auf das was uns erwarten sollte auf-kommen. Wussten wir doch bereits Bescheid über die riesenhaften Ab-messungen. Die Bedrohlichkeit sei-nes Äußeren. Ein Symbol für eine allgemein geltende Rechtsprechung sollte der Palast sein - ein Zeichen ab-soluter Herrschaft war er geworden. Das neue Bauen des sich emanzipie-renden Bürgertums entpuppte sich als verkappte Herrschaftsphanta-sie. Nicht etwa allgemein verbrieftes Recht auf Besitz und Souveränität waren die Grundlage seiner Entste-hung, sondern absolute Macht und deren gnadenlose Durchsetzung.

---Wettbewerb - gewonnen hat, wer ihn zuerst entdeckt. Kann ja nicht so schwer sein bei geschätzten 150 Metern Höhe und einem Volumen wie dem des Petersdoms. Auf einer Fahrt durch Brüssel meint man oft genug die charakteristische Kuppel in Sicht zu haben - links und rechts der Fahrbahn taucht sie auf, nur um im nächsten Moment wieder zu ver-schwinden. Fehlanzeige, Mimikry. Brüssel ist ein Architekturmuseum. Bei dieser Kirchen- und Stildichte verlässt uns bald der Mut und die Frage drängt sich auf, ob es nicht besser gewesen wäre sich anhand ei-ner Karte zu orientieren.

Abb. links

-

Photographie

Palast 1925

Sicht vom

Place de Poelaert

Brüssel, ein nebliger Nachmittag. Auf dem Weg in die Innenstadt, das Pentagon. Eingefasst von der Stadtautobahn, dem ehemaligen Verlauf der Stadtmauer. Unser Ziel sind die Marollen. Einst Obdach der Leprakranken, No Go Area. Die Kranken sind den Arbeitern und die Arbeiter den Migranten gewichen. Geblieben ist einzig der Stolz auf die eigene Iden-tität - nous sommes Marolliens - die eigene Sprache und die eigene Geschichte.

1

-

Joseph Poelaert

belgischer Architekt des

19 Jhd.

Baute ausschliesslich in

Brüssel und Umgebung. Der

Justizpalast gilt als sein

Hauptwerk. Obwohl er die

Vollendung 1883 nicht mehr

miterlebte.

Joseph Poelaert galt unter

seinen Zeitgenossen, im

speziellen unter den Be-

wohnern der Marollen als

der "Skieven Architect" -

der verrückte Architekt.

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Unser Bild des Palastes, der seine Umgebung prägt, der über Brüssel thront, scheint zu zerplatzen - jeder Hügel eine Kirche, aber kein Palast. Wir biegen aus dem Straßengewirr. Zu unserer Linken plötzlich der Kö-nigspalast, der Ausgang des Stadt-parks. Wir richten unseren Blick gerade-aus - ein Reiterstandbild. Dahinter sehen wir ihn, verschwommen im Dunst der Stadt, dunkel und riesen-haft.Nun hat er uns gefunden, hat uns be-obachtet, während wir noch verloren nach ihm gesucht hatten. Er hat uns in seinen Bann gezogen. Langsam bewegen wir uns in seine Richtung - schätzungsweise noch über einen Kilometer entfernt - ist seine Präsenz schon in dieser Entfer-nung atemberaubend.Als wir auf dem Vorplatz ankommen, werden wir uns zum ersten Mal be-wusst, auf was wir uns eingelassen haben. Man neigt dazu einen Geg-

1

-

Photographie aus dem Jahr

1924 mit den Marollen im

Vordergrund.

2

-

Eingangsbereich von den

Marollen aus.

ner, den man nur von Bildern her kennt, zu unterschätzen. Wie riesige Schwingen umfassen die Seitenflügel den Platz, führen die Kolonnaden zum gewaltigen Portikus. Symmet-rie, Ideal.

Der Effekt, den dieses Bauwerk einst gehabt haben muss, lässt sich nun langsam erahnen, auf uns wirkt es ungeheuerlich. Wir versuchen uns zu lösen, nicht zu versinken in seiner Erscheinung. Wir brechen aus der Achse - langsam zunächst, versuchen unseren Blick zu ändern, den Palast auch anders wahrzunehmen. Außen herum. So lautet der Plan.Es wird klar, dass sich hier nicht nur Herrschaft eingeschrieben hat, sondern auch deren Verlust - die Ver-gänglichkeit, der Zerfall. Wo eben die Fassade der Wirkung noch ihren Dienst getan hat, erstrecken sich nun an den dahinter liegenden Gebäude-teilen Gerüste, die den Palast stüt-zen, ihn vor dem Zusammenbruch bewahren.

Aus dem Eindruck des übermächti-gen Gegners wird der eines weidwun-den Tieres. Wir untersuchen sein Fell, seine Zeichnung, seine Male. Es hat uns viel zu erzählen, die Geschich-te der Gerechtigkeit ist ihm einge-brannt worden. Götter, Schlachten,

Entgegen unserer naiven Einschät-zung ist die Stadt beinahe schon bergig - da wird es natürlich schwer, selbst ein so hohes Gebäude zu ent-decken. Laufend schiebt sich eine Erhebung vor die andere. Rauf und runter. Das sorgt dafür, dass wir auch die brüsseler Allerweltsstadtkrone ‚Quartier Nord‘ erst dann entdecken als wir genau vor dem sogenannten Manhattan Center stehen.

Dérive

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Senatoren, Opfer - alles im Namen des Rechts. Wir fragen uns wo wir solche Informationen heute finden können, die Gebäude gegenüber sind sprachlos - eines hat verspiegelte Scheiben, man sieht nur sich selbst.

Die Faszination wächst, diese Dichte und Abwechslung - wir berauschen uns an der Ornamentik, an der Tiefe dieses Bauwerks. Wir atmen Geschichte, nehmen sie auf, spinnen sie weiter. Wir bemerken wie die Größe im Schwin-den begriffen ist, wie sie der Erzählung weicht - Symbol, vergessener Raum zwischen den Fenstern.Als wir die der Stadt zugewandte Seite erreichen, hat uns die Realität wie-der. Die erhöhte Position des Palastes fällt auf dieser Seite zur umliegen-den Stadt steil ab. Am Ende der zweiten geplanten Achse sollten majestä-tische Rampen die Besucher zum Palast hinaufführen. Dort verläuft heute die Rue des Minimes und keine Achse weit und breit. An dieser Stelle war Schluss mit der Umsetzung des Gestaltungswillen König Leopolds.So stehen sich heute an dieser Straße das untere Portal und billige Sozial-wohnungen gegenüber. Pragmatismus bringt sich gegen Symbolik in Stel-lung. Die Balkone geben den Blick auf den zehn Meter entfernten und hier 200 Meter hohen Bau frei. Harte Kante.

Hier betreten wir den Palast. Wir stemmen uns gegen die Portale bis sie uns Eintritt gewähren. Es ist kalt, Wasser tropft von der Decke, es riecht nach Verfall. Unser Blick wandert über die Säulen der Eingangshalle hinauf zur Treppe. Sie führt in das Herz des Palastes. Endlos. Durchschneidet mehrere Stockwerke stets auf ein Ziel fixiert - die Salle des pas perdus - den Saal der verlorenen Schritte. Die Gedanken schweifen ab - von hier aus sollte man ihn betreten, ehrfürchtig und reumütig. Die Treppe führt uns mehrere Mi-nuten hinauf. Überwindet im Inneren des Komplexes den topographischen Unterschied - dehnt ihn aus, lässt ihn unendlich werden. Die Tür ist erreicht, wir treten ein. Ein Schauer, der Blick gleitet nach oben. Man folgt den Ebe-nen und endet beim Okulus der Kuppel. Reine Leere. Unermesslicher Raum. So sehr wir uns bemühen, der Blick bleibt nicht haften. Immer weiter dehnt sich die Halle aus, wird diffus. In den Ecken überlagern sich die Ebenen. Immer weiter dringt die Phanta-sie vor. Wo ist Innen? Wo beginnt Aussen? Bilder rotieren. Bevor uns schwindelt wenden wir den Blick ab. Wir werden uns bewusst, das Zent-rum ist erreicht.

LOS!Die erste Ebene ist schnell erreicht, die Perspektive wechselt. War man gerade noch Täter und Untertan, so wandelt man sich zum Beschäftig-ten, Verantwortlichen, Mitwisser.Das Gebäude verändert sich rasend schnell. Detaillierte Choreographien geben den Weg vor, sie kreuzen und überlagern sich. Weiter, wieder hi-nunter, auf der Suche nach den Ge-richtssälen. Endlose Flure, dutzende Meter lang, durchschneiden den

Unterbau. Wir sind wieder Delin-quenten. Es ist kalt, zugig, Menschen eilen vorbei, senken den Kopf, neh-men keine Notiz. Plötzlich Sonne, ein Ausweg. Links eine Müllhalde, rechts Raucherpause. Noch tiefer wagen wir uns hinunter. Prüfen die Türen, verschlossen oder offen. Die Luft wird modrig. Die Fra-ge wohin wir wollen hat sich erübrigt - wir wissen nicht mehr wo wir sind. In den Katakomben scheint der Pa-last größer und größer zu werden.Sechs Stockwerke Kellerräume, ver-schlossene Kellertüren. Die Flure sind groß genug für Fuhrwerke. Die Gedanken schweifen um Gefangene, Kerkerhaft, verloren sein - genug!Wir hören Stimmen, nichts wie weg. Um die Ecke, dann - Sonne. Die Welt hat uns wieder. Das Ungetüm hat uns ausgespuckt. Durchatmen. Kurz innehalten. Wir versuchen über das Erlebte zu sprechen, aber außer All-gemeinplätzen hat keiner etwas zu bieten.

Die Reflektion kann noch warten, es geht wieder hinein. Zurück auf Start und einfach die Richtung wechseln. Wir sind komplett in seinem Bann, verloren. Das Ziel ist nun die Kup-pel, wir wollen dorthin. Wir nehmen Treppen, fahren in Aufzügen, immer weiter nach oben. Die Flure erschei-nen endlos - wir irren im Kreis...

3

-

Kollonaden im Eingangs-

bereich

Vordergrund griechische

Statuen

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01. Marollen02. Place Poelaert

03. Kolonnaden 04. Portikus 05. Gerüste

06. Rue des Minimes 07. Sozialwohnungen

08. Treppe 09. Salle des pas perdus

10. Korridor 11. Raucherpause

12. Keller 13. Ausgang Keller

01

02

0304

05

06

07

08

09

10

11

12

13

Dérive - Stationen

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04

-

Portikus

Eingang vom Place de

Poelaert

10

-

Korridor

Mit Büsten der berühmten

Juristen

09

-

Die Salle des pas perdus

- die Wandelhalle

11

-

Raucherpause

Rampe hinunter in die

Marollen

07

-

Harte Kante

Sozialwohnungen in di-

rekter Nachbarschaft zum

Palast

02

-

Strassenflucht

Place de Poelaert

01

-

Marollen

Neben Rampen verbindet ein

Aufzug die Marollen mit

dem Palast.

03

-

Kolonnaden

Eingangsbereich mit

griechischen Statuen.

12

-

Keller

Wie bei Hempels unter'm

Sofa

08

-

Treppe

Die längste Treppe Brüs-

sels, 3 Minuten Aufstieg

13

-

Ausgang Keller

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Palast

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„...die ‚provisorisch wirkenden Holzstiegen‘ die es ermöglichten,daß sich im Laufe der Zeit immer wieder in ‚irgendwelchen

leerstehenden Kammern und abgelegenen Korridoren kleineGeschäfte, etwa ein Tabakhandel, ein Wettbüro oder ein

Getränkeausschank‘ angesiedelt hatten. Auch die Geschichtedavon, daß einmal ‚eine Herrentoilette im Souterrain von einem

Menschen namens Achterbos, der sich eines Tages mit einemTischchen und einem Zahlteller in ihrem Vorraum installierte,

in eine öffentliche Bedürfnisanstalt mit Laufkundschaft von derStraße und, in der Folge, durch Einstellung eines Assistenten,

der das Hantieren mit Kamm und Schere verstand, zeitweilig ineinen Friseurladen umgewandelt‘ wurde,...“

Bigness

W.G. Sebald

Austerlitz

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„Ein Paradox von Bigness ist, dass trotz der Berechnungen, die in ihre Planung einfließen - es tatsächlich ihre Stabilität ist - die sie zu der einen Architektur macht, die das Unvorherge-sehene organisiert. Anstatt Koexistenz zu verstärken, bezieht sich Bigness auf Freiheitessysteme, die Verbindung maxi-

maler Differenz.

Nur Bigness kann eine buntgewürfelte Ausbreitung von Events in einem einzigen Gefäß aushalten. Sie entwickelt

Strategien um beides, ihre Unabhängigkeit und ihre gegen-seitigen Verflechtungen, innerhalb einer größeren Einheit in

einer Symbiose, welche Spezifität eher verschlimmert als sie zu gefährden, zu organisieren.

Vielmehr durch Verschmelzung als Reinheit und Quantität als

Qualität, schafft es nur Bigness wirklich neue Beziehungen zwischen funktionalen Einheiten, die ihre Identitäten eher

ausdehnen als eingrenzen, zu unterstützen. Die Künstlichkeit und Komplexität von Bigness befreit die Funktion aus ihrer defensiven Rüstung um eine Art Verflüssigung zu ermögli-

chen. Programmatische Elemente reagieren mit sich um neue Ereignisse zu kreieren - Bigness wird wieder zu einem Model

programmatischer Alchemie.“

Rem Koolhaas

S,M,L,XL

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„ V i e l e S t u n d e n s i n d w i r d u r c h d i e K o r r i d o r e ,

t r e p p a u f u n d t r e p p a b , a n k o l o s s a l e n S t a t u e n

v o r b e i ,d u r c h d i e s e s

s t e i n e r n e G e b i r g e g e i r r t , o h n e d a s s u n s j e e i n M e n s c h

n a c h u n s e r e m B e g e h r e n g e f r a g t h ä t t e . “

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Er ist erstaunlich.Beängstigend.

Unser Wertesystem gerät ins Wanken. Die Kategorien sind in Auflösung begriffen. Er lässt kei-ne definitive Deutung zu, er wan-delt sich ständig, er erfindet sich neu. Strudel der Bedeutungen, Ideologien haben keinen Platz, sie lösen sich auf - vertauschen sich. Die Mitte verliert ihr Bedeutung, die Peripherie übernimmt die Vor-herrschaft, doch nicht für lange. Hinter jeder Ecke ändert sich un-sere Sicht auf die Welt. Es ist die Widersprüchlichkeit, die sich mit aller Kraft Bahn bricht. Vergraben unter den Dogmen,plante sie ihre Rückkehr. Gegensätze

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Less

vs.

More

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ORNAMENt

VS.

CRIME

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FORM

VS.

FUNCtION

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Fakten

?

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740.000 m3 Volumen - 26.000 m2 Gesamtfläche - 170 m x 150 m - 142 m Höhe - 97,5 m Höhe Salle des pas perdus - 48 m x 22 m - 3.600 m2 - 525 Stufen bis zur Kuppel - Kuppeldiagonale 20 m - Kupferdach 6.400 kg - 6000 m2 Innenhöfe - 245 Ge-richtssäle - 27 Hauptgerichtssäle - Portikus 39 m Höhe - öff-nung 17,5 m - Bronzetür 10,35 m x 4,35 m - Gewicht 15.000 kg - Treppe Rue des Minimes 80 m lang - 171 Stufen - Ins-gesamt 4.320 Stufen im Palast - 70 Treppen - alle aneinan-der gesetzt erreichen eine Höhe von über 1000 m - 25.000 m2 Fensterfläche - Fußboden 65.000 m2 - Kosten 45.000.000 Belgische Francs - Baubeginn 1866 - Fertigstellung 1883 -

360.000 m3 Mauerwerk - 65.000 LKW-Ladungen

!

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Die

Untersuchung

eines

Kolosses.

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Vom Place Poelaert in das Zentrum des Palastes, die Salle des pas perdus. Das Portal teilt beide Zonen, ist ein enger Durchlass. Aussen die Kolonnaden, Treppen, Umgänge, Statuen und Kassettendecken. Schnitt. Innen riesenhafter Raum, der sich bis zum Himmel ausdehnt. Im Palast geraten die räumlichen Konfigurationen in Bewegung, verkehren sich in ihr Gegenteil. Eine Spiegelung der Realität. Das Innere hat sich nach außen gestülpt - Innen bleibt unbesetzter Raum. Es ist sein Geheimnis, dass wir rekonstruieren, Schicht für Schicht. Tagelang.

Untersuchungen

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1-

Palast Original

2-

Palast XXX

3-

Palast Berlin

4-

Palast München

Der Palast thront über Brüssel. Massiger Pol.

Doch in seiner Vollständigkeit er-scheint uns seine gewaltige Erschei-nung erst, wenn wir ihn aus seinem Kontext reissen. Wir schicken ihn auf Reisen - Landurlaub, Städterei-se. Er transformiert seine neue Um-gebung. Nichts kann sich ihm wider-setzen. Neuer und alter Mittelpunkt, Drehpunkt, Angelpunkt. Gebiete werden hierarchisiert, hin-ten und vorne, oben und unten.Der große Unterscheider.

Untersuchungen

SDF - SANS DOMICILE FIXE

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001

-

Allianz Arena

"Das moderne

Kolosseum"

001

-

Märkisches Viertel

"Die Wohnmaschine"

Untersuchungen

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Was kann den Koloss ersetzen? Symbole der Epochen verschwin-

den oder wandeln sich. Wohn-maschinen, Konsumtempel,

Kolosseen der Moderne - der Palast bietet Platz für alle.

Sie repräsentieren ihre Zeit auf einemRechteck von 170 mal 150

Metern. Täglich 100 Delinquenten, 10 000 Bewohner, 50 000 Kunden,

100 000 Fans.

003

-

Ikea Markt

"Der Konsumtempel"

004

-

Justizpalast

"Grösste Anhäufung

von Steinquadern"

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Mit seinem Auftreten setzt er im Stadtraum Akzente. Gespeist wird dieser Eindruck durch das Zusammenspiel seiner Elemente. Eine Melange aus Säulen, Wänden, Skulpturen und Fresken. Sie vermit-teln einen bestimmten Eindruck. Der Palast wirkt be-drohlich. Ein Zentrum der Macht. Wie würde sich die-ser Eindruck verändern, wenn sich die Erscheinung transformiert?

Palastikus

Der Palast bricht zusammen. Die zerklüftete Hülle weicht einem ephemeren Schleier, beginnt zu scheinen - golden. Das Dunkle weicht der heiteren Farbigkeit. Die Manipu-lation macht es sichtbar - es ist nicht nur ein Palast. Unter seiner Oberfläche schlummern viele Identitäten.

Abb. 1

-

Wireframed

Abb. 2

-

Aus Blei gegossen

Untersuchungen

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47

Abb. 5

-

Whatever

Abb. 3

-

Bubble Gum

Abb. 4

-

Golden

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Verhüllung

Durch den gestalterischen Paradigmenwechsel zu Beginn des 20. Jahrhunderts - der aufkommenden Forderung nach Transparenz und die steigende Wert-schätzung einer klaren Komposition - verlor die Wand neben ihrer tragenden Funktion auch andere Qualitä-ten, die davor als grundlegend erachtet wurden und die herausragende Stellung der Wand innerhalb des architektonischen Komplexes begründeten. 2

Beispielhaft erscheint diese Wertschätzung der or-namentierten Fassade in der Betrachtung des Justiz-palastes. Kaum ein Bereich der Fassadenfläche der nicht damit bedeckt ist. Auf die konstruktiven Beson-derheiten wird dabei keinerlei Rücksicht genommen, geschickt und mutwillig werden diese unter Sand-steinplatten und Gips versteckt. Das kann man unehrlich finden und sich angewidert wegdrehen - oder aber versuchen sich darauf einzu-lassen und den Palast mit den Augen eines Brüsseler Bürgers am Fin de siècle zu sehen.Denn welche Bedeutungen der Architekt Joseph Po-elaert dem Betrachter vermitteln wollte, ist mit dem kulturellen Hintergrund und dem damit verbundenen Wissen eines Bürgers aus dem 21. Jahrhundert nicht leicht zu verstehen.

Wechselt man die Perspektive, so erkennt man ver-schiedenste Zeichen - auch ein Schild mit Medusen-kopf und eine große Figur über dem Hauptportal. Diese Symbole deuten an, dass der Architekt Joseph Poelaert den Palast Minerva, der römischen Göttin der Weisheit, gewidmet hat. Dies stellt durchaus eine Besonderheit dar - üblicherweise wurden Justizge-bäude vorzugsweise der Göttin Themis (Gerechtig-keit) oder Dike (Rechtsprechung) gewidmet.

Weitere Zeichen, die den Bau eindeutig als Justizge-bäude ausweisen, finden sich auch an allen vier Sei-ten des Palastes.Skulpturale Allegorien für Weisheit, Gerechtigkeit, Recht und Milde manifestieren sich dort als über-mannsgroße Statuen. Diese zeichenhaften Elemen-te sind Teil des Ornaments, der eine Erzählfunktion übernimmt.

„Man darf das ornamentale Dekor nicht mit den aus-schließlich symbolischen Figuren verwechseln. Die Or-

„For while the plan, as a do-cument addressed to the mind, will always be the primary concept, the vertical surface, as a presentation addressed to the eye, will always be the primary percept, will never be other than the beginning of comprehension.“1

1

-

Colin Rowe

in Forty, Adrian; Words and

Buildings

London; 2004

Untersuchungen

2

-

Vgl. Le Corbusiers

"Die fünf Punkte zu einer

neuen Architektur"

4. das lange Fenster:

Zwischen Decken und Säulen

entstehen im Fassadenbild

rechteckige Öffnungen,

welche den Räumen eine

vollkommene Beleuchtung

ermöglichen. Man erhält

von Pfeiler zu Pfeiler

langgezogenen Fenster, so

daß die Zimmer von Wand zu

Wand gleichmäßig beleuchtet

werden.

5. Die freie Fassade:

Durch Vorschieben der

Decken vor die tragen-

den Pfeiler, wodurch eine

Art rings um das Gebäude

führender Balkon entsteht,

wird die Fassade von allen

tragenden Bauteilen be-

freit. Die Fenster können

beliebig ausgedehnt werden,

zum Vorteil der Gliederung

im Innern.

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49

namente sind für das Vergnügen der Augen gemacht und transportieren keine andere Bedeutung als die ihnen in-newohnende Ästhetik. Die symbolischen Abbildungen je-doch weisen mal auf ein übergeordnetes Konzept, mal auf eine spezielle Eigenschaft hin.“ 3

Diese symbolhafte Komponente ist jedoch nur ein Aspekt des Ornaments. Betrachtet man weitere Bei-spiele vor allem im Innern des Palastes, so erkennt man schnell, dass sich die Funktion des Zeichensys-tems keinesfalls in der Mitteilung von Inhalten er-schöpft. Die Vielzahl von Symbolkombinationen - beispielsweise die Gegenüberstellung einer Pharaonenbüste und einer Zeusstatue - und zahlreiche , in erster Linie die Fläche auf-brechende Fresken, vermitteln vor allem Atmosphäre. In diesem Zusammenhang hat das Ornament also primär eine Imaginationsfunktion, die das Gebäude in einer be-stimmten Stimmung erscheinen lässt und in einen Kon-text setzt.

OrdnungLöst man die Fassade in einzelne Teile auf, treten ihre Ordnungsprinzipien deutlich hervor. Der Baukörper ist von Versprüngen gekennzeichnet, die dem Bauwerk eine reliefartige Oberfläche geben. Zum einen werden hierdurch bestimmte Situationen, wie der Eingangsbereich hervorgehoben, andererseits durch das großflächige Zurücksetzen der Fassadenebene im Fensterbereich auch eine horizontale Gliederung etab-liert.Diese Rhythmik wird von einem stark ausgeprägten So-ckel und horizontalen Gesimsen unterstützt. Der massive Sockel erhebt den Palast aus seiner direkten Umgebung und unterstreicht die Massivität des Gebäudes, während die Gesimse das Gebäude nach oben hin abschließen.

Aufgebrochen wird die Horizontalität vor allem durch die Säulen, die teils deutliche Rahmung der Fenster und turmartige, aus der primären Fassadenebene herausste-hende Aufbauten.

3

-

Vandenbreeden, Jos;

Loits, André;

Le Palais de Justice

Brüssel; 2001

ZeichenIm Angesicht der im Palast vorgefundenen Zeichen ver-stärkt sich die Annahme, dass die Erzählfunktion des Ornaments nur bei einem gesellschaftlichen Konsens, über die Bedeutung und den Wert der verwendeten Zei-chen funktioniert. In einer globalisierten Welt, in der sich eine Kulturkrei-se überlagernde und permanente Kommunikation eta-bliert hat, ist dieser Konsens jedoch im Verschwinden begriffen.Das Projekt legt seinen Fokus von daher auf die Imagi-nationsfunktion des Ornaments.

PerforationDas Perforationsverhältnis von 9:1 steht im starken Kontrast zu einer Forderung nach maximaler Transpa-renz. Zum Großteil konstruktiv bedingt spiegelt dieses Verhältnis dennoch auch die Wertigkeit der Wand in der Architektur des Palastes wider. Wird das Verhältnis nicht als Relation zwischen opaker und transparenter sondern zwischen narrativer und passiver Fläche gese-hen, ergibt sich eine gänzlich andere Wahrnehmung.

Page 50: Il faut être absolument moderne

50

Untersuchungen

Zeichen

-

Die Feder der Maat

Feder, mit der die ägyp-

tische Königin Maat das

Gewicht der Seele der

Angeklagten wiegt

Säulen

-

Dorische, ionische und

korinthische Säulen

finden sich auf engstem

Raum nebeneinander. Die

massiven dorischen Säulen

scheinen konstruktiv, die

korinthischen sind in der

gesamten Fassadenabwicklung

nur in den Eingangsberei-

chen zu finden, während die

scheinbar leichteren, io-

nischen das Bild dekorativ

erweitern.

Gesimse

-

Der Sockel und die Gesimse

übernehmen zwei Funkti-

onen: Zum einen teilen

sie die Fassade in der

Horizontalen, zum anderen

unterstreicht der fünf Me-

ter hohe Sockel die massive

Erscheinung des Gebäudes.

Perforation

-

Das Verhältnis von "narra-

tiver"/opaker zu "funktio-

naler"/transparenter Fläche

ist 9:1

Gefangene Schlangen

Die im Maul des "schlichten-

den" Löwens gefangenen und

sich äußerlich gleichenden

Schlangen symbolisieren Wohl-

wollen und Unheil. Schild der Athena

Auf dem Schild der Athena

befindet sich ein gespal-

tener Medusenkopf, eine

Allegorie für den siegrei-

chen Kampf der Zivilisati-

on gegen alle Kräfte des

Bösen.

Page 51: Il faut être absolument moderne

51

Relief

-

Von einer "glatten" Fassade

kann man nicht nur hin-

sichtlich der Ornamentie-

rung nicht sprechen. Auch

die eigentliche Fassa-

denebene zeigt deutliche

Versprünge.

Backstein

-

Ansicht des Fassadenau-

schnitts ohne Orna-

ment - nur Mauerwerk ist

sichtbar, da die sichtbaren

Steinquader der Fassade nur

Blendwerk sind

Original

-

Page 52: Il faut être absolument moderne

52

Untersuchungen

Regulär

-

Original

-

Inspiriert

-

Page 53: Il faut être absolument moderne

53

Vor dem Hintergrund einer wiederauflebenden Orna-mentdiskussion soll der mit dieser zweiten Funktion verbundene Eindruck - das historische Ornament als

stimmungsbildende Haut über der eigentlichen Fassade des Gebäudes - als Ausgangspunkt dienen.

Das Vorhaben basiert auf der Überlegung, die Fassade des Palastes - mit ihren Zeichen, ihrer Ordnung und ihrer Perforation - unter Zuhilfenahme parametrischer Tools in eine zeitgenössische Ästhetik zu übertragen und mit einer

existierenden Struktur zu konfrontieren.

Transformation

Aus der Regelmäßigkeit der Rasterfassade bricht die neue Struktur hervor. Die Eintönigkeit verwandelt sich in vielschichtige und abwechslungsreiche Räumlichkeit. Die Charakteristika des Palastes überziehen das bestehende Raster mit einem changierenden Kontinuum das durch

seine Tiefe und räumliche Konfiguration eine direkte Wirkung auf den Betrachter entfaltet.

Basierend auf den historischen Prinzipien Ordnung, Zeichen und Perforation entsteht eine zeitgenössische

Interpretation, die sich die Möglichkeiten des digitalen Entwerfens zu Nutze macht. Nicht im Sinne eines optimierten Leistungsprofils,

sondern im Sinne einer sinnlicheren Wahrnehmung.

Page 54: Il faut être absolument moderne

54

Parametrisches Fassadenmodell

-

Untersuchungen

Page 55: Il faut être absolument moderne

55

Perforation

-

Zeichen

-

Ordnung

-

Page 56: Il faut être absolument moderne

56

Untersuchungen

Page 57: Il faut être absolument moderne

57

Page 58: Il faut être absolument moderne

58

Ghlossik

Untersuchungen

Page 59: Il faut être absolument moderne

59

Stil war eine relative Kategorie geworden, Klei-der, die Architekten für Gebäude schneiderten. Man fragte den Kunden was besser passen würde. Und die eigenen Stimmungen beein-flussten die stilistische Aussage zusätzlich. Ich fühle mich heute auch ein wenig gotisch, sie nicht?Doch das Interesse war von kurzer Dauer. Das Rad hatte begonnen sich zu drehen. Schneller, immer schneller.Wahllos begann man zu kombinieren, immer auf der Suche nach neuen Konfigurationen. Aus dem Historismus erwächst ein wilder Eklektizis-mus: Alles ist nun möglich.Unzählige Kombinationen aus unterschied-lichsten Stilen. Verschneidung, Verschmelzung, Übergang, Konfrontation.

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16 Stills aus der Transformation

Page 61: Il faut être absolument moderne

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Transformation

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Page 65: Il faut être absolument moderne

65

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66

(Re-)Aktion

(Re-)Aktion

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67

Hinter seinem beängstigenden Äußeren offenbart der Palast ein reichhaltiges Inneres. Ein Spiegelbild der Kämpfe, die in der Architektur des 19. Jahrhunderts ausgetragen wurden. Die Positionen werden lesbar,

treten in Dialog.

Wir schlagen die Brücke ins Jetzt.

Page 68: Il faut être absolument moderne

68

An Architects

Der Palais de Justice ist als Pro-dukt seiner Zeit auch Ausdruck ei-nes architektonischen Selbstver-ständnisses. Im Spannungsfeld des Übergangs vom 19. ins 20. Jahrhundert gerät dieses fest ge-fügte Bild jedoch mehr und mehr in Bewegung.Die Brüche und Abspaltungsvor-gänge, die in der Architektur des posteklektischen Zeitalters statt-finden, sorgen auch für ein neues Selbstverständnis der Architek-tenschaft selbst.

Doch was genau kann der traum der neuen Architekten sein?

Page 69: Il faut être absolument moderne

69

An Architects Dream

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70

An Architects Dream

Thomas Cole

The Architects Dream

1840

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71

Der Klassizismus hatte zu Beginn des 19. Jahrhunderts als uniformer Einheitsstil ausgedient und war von einem freien und ungehemmten Ek-lektizismus verdrängt worden. Auch der Baumeister, der sich vor allem als Gralshüter der antiken Ideale ver-standen hatte, wurde in den Sog der Moden und Stile gerissen. Schnell war das rechte Maß dem goût arbi-traire1 gewichen. Das Gewünschte war nun nicht mehr ein vorgegebe-ner Formenkanon, sondern die pas-sende und angemessene Lösung für eine bestimmte Bauaufgabe. In der Geschichte des Bauens waren diese Lösungen bereits eingeschrieben. So war es am Architekten, die losen Fragmente zu einem neuen sinnvol-len Ganzen zu vereinigen.

Diesem Moment des Reisens, des Umherirrens in der Geschichte, wid-met Thomas Cole seine ganze Auf-merksamkeit.In diesem Augenblick geschieht auch die Leistung des Architek-ten. Hier übersetzt er, Kraft seiner Bildung und Imagination, die Ge-schichte in einen Plan. Es wird klar, dass sich der Architekt vor allem auf eine umfassende Bildung stützt. Dieses Ideal ist der Ausdruck eines Jahrhunderts in dem sich die Bür-gerschaft für ihre Herrschaft bereit-macht. Die französische Revolution bereitete das Feld und zeigte den Weg in die nationalstaatliche Zivil-gesellschaft.Dieser Weg vorbei am Adel, führt über die Salons, Diskutierzimmer und wissenschaftlichen Gesellschaf-ten. Gab es in diesem Zusammen-hang eine bessere Projektion des sich emanzipierenden Bürgertums, als den Architekten? Gereist und

gebildet ist es an ihm, den Ideen des Bürgers Ausdruck zu Verleihen und damit eine neue Zeit einzuläuten. Es dämmert dem Betrachter dass die Projektionen in diesen Berufsstand nahezu unverändert geblieben sind. Die Vorstellung geistert noch immer um das bürgerliche Genie, das aus seinem Studierzimmer heraus die Welt entwirft.Doch hat sich Grundlegendes er-eignet. Aus dem gekonnten Re-kombinieren wurde ein wütendes Erschaffen. Seit dem Beginn des vergangenen Jahrhunderts wich der Sinn für die eigene Geschichte der Verachtung des Vergangenen.

Marinetti bringt es im Futuristi-schen Manifest 1909 auf den Punkt: „Wir wollen die Museen, die Biblio-theken und die Akademien jeder Art zerstören..!“

2 Absolut modern woll-ten sie sein und die Welt entwerfen. Die Geschichte zählte nicht mehr. In einem pervertierten Hass auf die Akademien und ihr verkrustetes Ausbildungssystem und Ästhetik-bewusstsein brechen sie die Brücken zur Vergangenheit endgültig ab.Zur Orientierung dienen nun neue Prämissen. Die Ideale der neuen Zeit sind der Fortschritt, die Klar-heit, die Funktion, die Technik und die Ehrlichkeit.

In dieser Reihe hatten die teils diffusen, vielschichtigen und wi-dersprüchlichenKombinationen des Historismus keine Chance. Die Konsequenz dieser Veränderung wird nirgends deutlicher illustriert als in der berühmten Photographie Le Corbusiers, in der seine Hand schöpfergleich den Plan Voisin(Abb.) präsentiert.

Gerade hat er sich von seinen Plänen abgewendet. Nur kurz hält er inne, spürt die warmen Strahlen der Sonne auf sei-nem Gesicht. Er ist etwas aus der Bildmitte versetzt. Gibt den Blick frei. Gerahmt von Säulen und schweren Brockatvorhän-gen.

Er ist ein Architekt.

Der Amerikaner Thomas Cole setz-te diesem Berufsstand im Jahre 1840 mit seinem Gemälde, „The Architect‘s Dream“ ein Denkmal in Öl. Es ist ein Verweis auf das Selbstbild einer Berufsgruppe. Der Architekt - der Gelehrte, der die Ge-schichte betrachtet. Der Denker, der darüber sinniert. Der Visionär, der aus dem Vergangenen heraus neue Ideen formuliert.

Im Vordergrund erkennt man eine Kirche, sie liegt im Schatten. Sie markiert mit hartem Kontrast den kommenden Tag. Im Hintergrund ist die Zeit bereits fortgeschritten, die Gebäude schimmern golden in der Morgensonne. Ein gewaltiges Szenario breitet sich vor dem Be-trachter aus. Gewaltige Kolonnaden erstrecken sich entlang des in der Bildmitte verlaufenden Gewässers. Sie stehen vor einem weiteren tem-pelhaften Gebilde, im Hintergrund erhebt sich eine Pyramide. Davor verläuft oberhalb der Kolonnaden ein Aquädukt. Zum Wasser hin, vor allem anderen postiert, zwei Tem-pel, Archetypen. Ihre Stufen rei-chen bis zum Strand. Von dort aus kommen sie. Die Menschen - sie stei-gen aus ihren Schiffen. Sie betreten ihr Arkadien.

1

-

vgl. Kruft, Hanno-Walter;

Die Geschichte der Archi-

tekturtheorie;

München; 1985

S.150

2

-

Marinetti, Filippo Tommaso;

Manifest des Futurismus;

Paris; 1909

Page 72: Il faut être absolument moderne

72

Unter dem Deckmantel der Licht Luft, Sonne Polemik wird Paris dem Erdboden gleichgemacht. Tabula Rasa in Reinform. Medienwirksam in Szene gesetzt durch die Hand Le Corbusiers. Hier dient die Geschichte lediglich noch als marginalisierte Kulisse für die Stadt in der Parklandschaft.Die Kombination von Redundantem weicht dem indi-viduellen Schöpfungsakt, dem Erschaffer und Welten-bauer. Doch drängt sich in diesem Zusammenhang die Frage auf, woraus sich die Ideen der Modernen konsti-tuieren? Woher kommt ihre Inspiration für ihr Werk? Da sich die Geschichte als quasi konterrevolutionär dis-qualifiziert hatte, mussten sich die Modernen neue Ide-enräume erschließen. Es begann die große Neuorientie-rung. Die geistige Grundlage der Entwürfe sah man nun in den Strömungen der bildenden Kunst, in der Ästhe-tik der industriellen Massenproduktion, in der Pflan-zenwelt. Die Architektur verließ ihren eigenen Kosmos und degenerierte dabei zu einer Nachfolgekunst. 3 Sie hatte die Brücken zu sich selbst abgebrochen. Der damit verbundenen Bezugslosigkeit begegnete sie mit einem absoluten Planungsverständnis, dass sich aus dem geistigen und technischen Status quo definier-te und gleichfalls darüber hinauswies. Das Sich-selbst-absolut-setzen sollte die Architektenschaft davor bewahren in der Bedeutungslosigkeit eines Kunsthand-werks zu versinken. Der Endpunkt dieser Entwicklung ist der reine Funktionalismus der sechziger Jahre. In ihm hatte die Architektur einen Raum geschaffen, der frei von jeder Interpretation, den nackten Zahlen unterworfen war - unanfechtbar.Obwohl den Ideen der Moderne schon 1972 mit der Sprengung der Siedlung Pruitt-Igoe ein schwerer Schlag versetzt wurde - Charles Jencks sprach in die-sem Zusammenhang vom Tod der Moderne - scheint es sich seit den 1990er Jahren wieder auf dem Vormarsch zu befinden.Diese Zweite Moderne 4 setzt die Prinzipien ihrer Vor-fahren fort. Die Überführung des technisch Avancier-testen in Architektur bleibt auch hier der Anspruch der Architektur. Aus Rationalisten werden NeoRationalis-

An Architects Dream

ten aus Konstruktivisten NeoKonstruktivisten aus Or-ganikern NeoOrganiker. Dieser Verweis auf eine angeb-liche Tradition liefert nun den jeweiligen theoretischen Unterbau. Die Situation in der sich die Architekten befinden ähnelt der in Coles‘ Gemälde. Doch es gibt ei-nen gravierenden Unterschied. War der Eklektizismus des 19. Jahrhunderts ein Ausdruck der modernen Ent-wicklungen, der Etablierung des Bürgerlichen und der beginnenden Individualisierung, schaffte er es dennoch eine Brücke hin zu einer ganzheitlich betrachteten Ver-gangenheit zu schlagen, Sinn zu stiften.Diesen Sinn erfüllt die heutige Hinwendung zu den Kunst-Ismen 5 des beginnenden 20. Jahrhundert nicht, ist in ihnen doch der Bruch mit dem Vergangenen ein-geschrieben.Man beschränkt sich in seiner eigenen Reflexion auf die Vorgänge des zwanzigsten Jahrhunderts ohne der ge-samten Moderne gerecht zu werden.

3

-

vgl. Barr, Alfred; The evo-

lution of abstract art

MoMA

New York; 1936

4

-

vgl. Klotz, Heinrich; Kunst

im 20. Jahrhundert;

München; 1999

5

-

vgl. Arp, Hans; Lissitzky,

El; Die Kunstismen 1914-

1924;

Zürich, 1925

Page 73: Il faut être absolument moderne

73

Abb

-

The Architects Wet Dream

(Came True)

2011

Page 74: Il faut être absolument moderne

74

Page 75: Il faut être absolument moderne

75

W i r b e f i n d e n u n si n d e r L a g e e i n e s

A r c h ä o l o g e n ,d e r a n s e i n e r

A u s g r a b u n g s s t ä t t ea l l e B r u c h s t ü c k e e i n e sG e f ä ß e s g e f u n d e n h a t ,

t a t s ä c h l i c h a l l e .. . . . s i e f ü g e n s i c h z ue i n e m f o r m s c h ö n e n

G a n z e n . N u r s t a m m e n s i eo f f e n k u n d i g a u s d e n

v e r s c h i e d e n s t e n E p o c h e nu n d Z e i t s c h i c h t e n ,

u n d d a s G e f ä ß , d a s ss i c h d a r a u s s o

m u s t e r g ü l t i gr e k o n s t r u i e r e n l ä s s t ,

d a s k a n n e s z u k e i n e me i n z i g e n Z e i t p u n k t d e r

M e n s c h e n g e s c h i c h t ej e g e g e b e n h a b e n .

Botho Strauß

Der junge Mann

München,1984

S.130

Page 76: Il faut être absolument moderne

76

Nicht die gewachsenen Verbindungen der teile untereinander treten in den Vordergrund son-dern deren Unterschei-dung. Das Dekor ent-fernt sich als vormals elementarer teil von der Wand. Die Wand wird zur reinen Umfrie-dung.

RRevolution

Revolution/Autonomie

Page 77: Il faut être absolument moderne

77

AAutonomie

Die beinahe puren ste-reometrischen Körper und deren Massen er-zeugen die neue Wucht der Formen. Es ist die-ses Konzept, das die Modernen ein Jahrhun-dert später zur Perfekti-on bringen werden.

Page 78: Il faut être absolument moderne

78

Wie kommt es, dass in einem derartig kurzen Zeitraum ein überbordender und maßloser Eklektizismus gegen die mönchische Strenge eines Le Corbusiers eingetauscht wird? Es gehört zum Gründungsmythos dessen, was man rück-blickend als architektonische Moderne bezeichnet, dass ein harter Schnitt zwischen dem 19. und dem 20. Jahr-hundert postuliert wird. Die Moderne erhebt sich wie der Phönix aus der Asche des Historismus.

„Mit Mathematik und Erfindungskraft ist heute alles möglich, wenn man über ausreichend funktionieren-de Hilfsmittel verfügt, und diese Hilfsmittel gibt es.“2

Mittels der neuen Technik und dem eigenen Genie formt sie ihre Umwelt. Übersetzt den Zeitgeist in Architektur. Bricht mit dem Vergangenen. Mit der Wiederentde-ckung der Revolutionsarchitekten Ledoux, Boullée und Lequeu durch Emil Kaufmann wird diese Sicht der Ver-hältnisse jedoch durch eine entscheidende Erkenntnis ergänzt.

Im Jahre 1933 erscheint in Wien „Von Ledoux bis Le Corbusier - Ursprung und Entwicklung der autonomen Architektur“. Darin skizziert Kaufmann den Weg der modernen Architektur, ausgehend von Claude Nicolas Ledoux, über dessen Schüler Durand, bis hin zum He-roen der Moderne Le Corbusier. Dieser evolutive Ansatz tritt in Opposition zu einer Geschichtsauffassung welche die neue Architektur zum Deus ex machina stilisiert.Als konstituierendes Prinzip, auf dem Kaufmanns Argumentation gründet, dient die schon im Titel ange-sprochene Autonomisierung der Architektur. Sie ist das Konzept Ledoux‘ sich in Opposition zur damals herr-schenden Konzeption der im Verband gedachten Archi-tektur barocken Ursprungs loszusagen. Ledoux vollzieht den Schritt, den „barocken Verband“3 aufzubrechen und die einzelnen Teile der Bauwerke in „stolze Isoliertheit zu überführen“4. Dem barocken Verband stellt Ledoux das Pavillonsystem gegenüber.

Zwischen der Vollendung des Palais de Justice im Jahre 1883 und dem Satz Le Corbusiers, Architektur sei das kunstvolle, korrekte und großartige Spiel der unter dem Licht versammel-ten Baukörper1

vergehen gerade ein-mal 39 Jahre. Folgenreiche 39 Jahre. Könnte doch der Unterschied im Ver-gleich der Architekturen - der Palast auf der Einen und zum Beispiel einem Pavillon de l'Esprit Nouveau auf der anderen Seite - kaum größer sein.

1

-

Le Corbusier,

Vers une architecture,

Paris, 1922, Deutsche

Ausgabe: Ausblick auf eine

Architektur;

Berlin,Frankfurt am Main,

Wien 1963

2

-

ebd.

S. 210

Revolution/Autonomie

Page 79: Il faut être absolument moderne

79

Dieser Vorgang ist umso bemerkens-werter, berücksichtigt man, dass sich noch der Lehrer Ledoux‘, Jacques-François Blondel, dadurch einen Namen gemacht hatte, mit der Veröf-fentlichung des Cours d‘Architecture die letzte Kodifizierung der archi-tektonischen Normen seit der Re-naissance verfasst zu haben5. Um das Wirken Ledoux zu verstehen, muss man sich zuallererst die Prinzipien des barocken Verbandes vorAugen führen.

An erster Stelle ist die Hierarchisie-rung der barocken Bauwerke zu nen-nen. Kaufmann beschreibt diesen Sachverhalt folgendermaßen - „Ein Teil ist über allen, und dennoch sind alle Teile eins“6. Diese Haltung wird in Bezeichnungen wie „Piano Nobi-le“ (belle étage) deutlich. In einem baulichen Komplex konzentrieren sich die Massen um ein Zentrum. Um dieses sind die peripheren Bau-teile angeordnet und stehen in di-rekter Verbindung zur Mitte. Diese Anordnung bildet die Basis für ein weiteres Charakteristikum - die Zir-kulation innerhalb des Bauwerkes. Diese Bewegung übersetzt für den Benutzer die einzelnen Teile in einen Gesamtkomplex. Die Betonung liegt dabei auf dem Malerischem, dem Zu-sammenspiel der Räume, Flure und Korridore. Die Prospektkunst des barocken Städtebaus findet ihren di-rekten Niederschlag in der Enfilade innerhalb der Gebäude. Vordergrund, Mittelgrund, Hintergrund.

„...es ist anders geworden man weiß nicht recht, warum!“ Jacques-François Blondell 7

Im Gegenteil hierzu formuliert Kauf-mann das Credo der Autonomen Ar-chitektur - „der Teil sei frei im Rah-men des Ganzen“8. An Beispielen wie den Zollhäusern für Paris, den Barri-ères illustriert Kaufmann die Wucht der ledoux‘schen Neuerungen.

Nicht die gewachsene Verbindung der Teile untereinander treten in den Vordergrund sondern deren Unter-scheidung. Das Dekor entfernt sich als vormals elementarer Teil von der Wand. Die Wand wird zur rei-nen Umfriedung. Die beinahe puren stereometrischen Körper und deren Massen erzeugen die neue Wucht der Formen. Es ist dieses Konzept, das die Moder-nen ein Jahrhundert später zur Per-fektion bringen werden.

3

-

Emil Kaufmann

Von Ledoux bis Le Corbusier;

Wien, 1933

S.13

4 - ebd. S.44

5 - ebd. S.13

6 - ebd. S.19

7 - ebd. S.15

8 - ebd. S.19

Abb.

1

-

Autonomie der Kuppel

Doch wie die Ideale der französischen Revolution im Jahre 1815 durch die Beschlüsse des Wiener Kongresses ein jähes Ende finden, so scheint sich auch innerhalb der Architektur eine restaurative Tendenz durchzusetzen. Den Monarchen Europas gleich, stemmt sich der Historismus gegen die deutlich zu Tage tretenden gesellschaftlichen Neuerungen. Der Justizpalast der Stadt Brüssel ist Teil dieser Geisteshaltung. Vordergründig bürgerlich, repräsentiert er vor allem den Anspruch des belgischen Königshauses. So ist auch die städtebauliche Konfiguration, in der sich der Palast befindet, abso-lutistischer Stadtplanung geschuldet.

Der Palast bildet den Endpunkt einer langen Achse. An ihr liegen, wie an ei-ner Perlenschnur aufgereiht, royalistische Prachtbauten. Malerischer Städ-tebau at its best. Auch mit seinem direkten Umfeld wirkt der Palast stereo-typisch.Seine Seitenflügel umfassen den Platz Poelaert, fügen ihn zum Teil des Gan-zen und in seinem Innern erwartet den Besucher die eindrucksvolle Salle des pas perdus. Kein Hinweis auf den emanzipatorischen Anspruch der Re-volutionsarchitektur. Im Gegenteil: Der Palast erscheint als Produkt der Monarchie. Erst die Betrachtung der Pläne lässt einen stutzig werden. Hierin wird die ursprüngliche Konfiguration des Palastes sichtbar. Die im Laufe seiner Ge-schichte hinzugefügten Teile sind verschwunden und aus dem diffusen

Page 80: Il faut être absolument moderne

80

Gesamteindruck tritt die klare Gestalt hervor. Diese offenbart eine bemerkenswerte Konstellation der Bau-körper. Während sich der Palast als solcher im Stile ei-nes italienischen Palazzos präsentiert und in sich eine geschlossene Einheit bildet, löst sich die krönende Kup-pel in ihrem architektonischen Ausdruck völlig ab. Sie erscheint als autonomes Bauteil, das in seiner Sprache und Konfiguration an die Kapitolbauten der Vereinigten Staaten erinnert. Thematisch unverbunden, wie zufällig zusammengesetzt, wirkt diese Konstellation.

Verfolgt man diese Dualität in das Gebäudeinnere hin-ein, verdeutlicht sich dieser Sachverhalt. Für das Funkti-onieren des Palastes als Verwaltungsgebäude macht die unter der Kuppel gelegene Salle des pas perdus keiner-lei Sinn. Sie besitzt innerhalb des Palastes lediglich eine Symbolfunktion. Wie sich die Teile im Äußeren voneinan-der abheben, kommt es auch im Innern zur Abspaltung der Zuständigkeiten - von Symbol und Funktionsform. Als einen Hinweis auf die sich autonomisierende Archi-tektur sieht Kaufmann das Aufgipfeln von bedeutungs-vollen Bauten. Im Gegensatz zum raumgreifenden und ordnenden Konzept des barocken Verbandes suchen die Bauten nun die Höhe. Diesen Vorgang bezeichnet Kauf-mann mit dem französischen Begriff des „pyramider“.Auch im Brüsseler Palais de Justice erfolgt diese Orien-tierung an der Höhe. Das Streben nach einem höheren Ideal. Es wird deutlich, dass sich die Konstellation der Baumassen des Palastes mit dem Abbild einer Pyramide überlagern lassen.

Es festigt sich in dieser Betrachtung der Eindruck, dass es sich bei den Bauten des Historismus um hybride For-men handelt, deren Ausrichtungen zwischen dem Auto- nomen -und dem Verbandsprinzip schwanken.

Es zeigt sich wie unter der Oberfläche eine kontinuier-licheEntwicklung stattfindet und dass im Historismus, trotz vordergründiger Rückwärtsgewandtheit, die Autono-misierung ungehindert fortschreitet. Und auch die freie Verwendung der Stile erscheint in diesem Licht vor allem als Indikator autonomen Bauens, lässt sie doch die bau-lichen Konfigurationen unabhängig vom Dekor denken.

In diesem Sinne ist auch in der Anlage des Justizpalas-tes nicht nur der Niedergang tradierter Vorstellungen zu finden sondern ebenso schon der Verweis auf Kommen-des. Die Bauten des Historismus sind selbst integraler Teil einer über hundertjährigen Entwicklung, sind die verborgenen Vorboten Le Corbusiers.

Unter der Vergangenheit abgeborgten Hüllen ein völlig neuer Geist. 9

9

-

Emil Kaufmann

Von Ledoux bis Le Corbusier;

Wien, 1933

S.18

nomieRevo-

Revolution / Autonomie

Page 81: Il faut être absolument moderne

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Abb

-

Pyramidaenoverlay

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001

-

Castle Howard

Yorkshire

001

-

Unknown

Revolution / Autonomie

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004

-

Schloss Schönbrunn

003

-

Schloss Belvedere

Page 84: Il faut être absolument moderne

84

Archetypen

Archetypen

(von griech. archetypos „ursprüngliche Muster“)

ein Urbild, Zeichen oder Mus-ter, das durch seine ständige Wiederholung und Dauerhaf-tigkeit als universelles Konzept oder Situation angesehen wird.

Page 85: Il faut être absolument moderne

85

Page 86: Il faut être absolument moderne

86

Memorized

Page 87: Il faut être absolument moderne

87

Sammlung KuppelbautenMemory spielen auf:

www.spatialforces.org

Page 88: Il faut être absolument moderne

88

Die Verankerung eines kulturellen Vorgangs im kollekti-ven Gedächtnis der Menschen setzt vor allem die Kombination mit ei-nem Symbol voraus. So entstehen im Laufe der Zeit neben den, dem menschlichen Wesen unterbewusst eingeschriebenen Bildern1, stets neue Abbildungen zivilisatorischen und intellektuellen Fortschritts. Neben der gewollten Verbindung von Sym-bol und Anspruch existiert parallel ebenfalls deren Generierung durch die Bewertung eines Vorgangs in sei-ner Rückschau2. Es stehen sich also innerhalb dieses Vorgangs willkür-liche und gewollte Kombinationen gegenüber.

Die Frage nach einer sinnhaften Verknüpfung zwischen Anspruch und Bild stellte sich neben Anderen auch den Müttern und Vätern der amerikanischen Verfassung. Die Los-lösung vom englischen Mutterland und den in der Declaration of Inde-pendence formulierten Ansprüchen 3 bedeuteten für die Siedler eine neue Form der Regierung und des Re-giert-Werdens.

Unter denen, die diesem Anspruch Bildhaftigkeit verleihen sollten, tat sich im besonderen Thomas Jeffer-son4, der spätere, dritte Präsident der Vereinigten Staaten, hervor. Jef-ferson formulierte - fragmentarisch zwar - eine amerikanische Architek-tur, die sich einem römisch orientier-ten Klassizismus verschrieb 5.

Die Symbolisierung des politischen Anspruches wird auf der Ebene öf-fentlicher Bauten vor allem in der Errichtung des Kapitols in Washing-ton und dessen zahlreicher Epigo-nen, in den sich neu konstituierenden Einzelstaaten, ablesbar.Neben der Verwendung des Begrif-fes Kapitol - ein direkter Verweis auf Rom als politisches System - ist vor allem die Kombination der auf den Betrachter wirkenden Elemente des Bauwerks bemerkenswert.

Es ergibt sich eine Kombination aus Kuppel Giebel und Säule. Diese ist in ihrem Zusammenspiel in erster Linie redundant und weist zu-rück auf einen idealen Zustand. Mit Hilfe der Aktivierung dieser Arche-typen im Zusammenspiel mit dem politisch Neuen, erfolgt jedoch eine Umprogrammierung auf die Werte der amerikanischen Verfassung.

Im Bezug auf die Zeichenhaftigkeit des Kapitols, ist vor allem dessen Reduktion auf die geometrischen Grundformen interessant. Neben der Komponente des Erkennens durch Bildung, treten diese archetypischen Formen in den Vordergrund. Sie be-sitzen den Vorteil für jedermann lesbar zu sein, da sie Symbolen ent-stammen, die sich tief in der mensch-lichen Psyche verankert haben. Aus der Trias Kuppel, Giebel, Säule wer-den Kreis, Dreieck und Linie.Sie symbolisieren die Beheimatung menschlichen Lebens: die Linie - der Stab, das Dreieck - die Bedachung, der Kreis - die Umzäunung. Diese damit verbundene, starke, mythische Aufladung geht nun also in die Ge-stalt des Kapitolbaus über. In diesem Moment verbinden sich die archetypischen Vorstellungen mit der politischen Realität der Ver-einigten Staaten. Das Symbol hat sich gewissermaßen aktualisiert. Aus der gewollten Kombination entsteht ein eigenständiges Ergebnis.

1-vgl. Jung; Carl Gustav; Die Archetypen und das kollektiv UnterbewussteOlten; 1976

2-

vgl. Bilder der Konzentra-tionslager aus alliierten-Flugzeugen. Die im Raster angeordneten Baracken als

Symbol für den straff organisierten, arbeitstei-

ligen Genozid

3-Auszug:We hold these truths to be self-evident, that all men are created equal, that they are endowed by their Creator with certain unalienable Rights, that among these are Life, Liberty and the pursuit of Happiness.in The United States De-claration of Independence; Washington 1776

4-

Thomas Jefferson *02.04.1743 - 04.07.1826

Dritter Präsident der Ver-einigten Staaten 1801-1809

5-Kruft, Hanno-Walter; Die Geschichte der Architek-turtheorie;München; 1985S. 397

Arche___________typen

Archetypen

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89

Arche___________typenDie Dualität des Zeichens rührt daher, dass es eine kulturell valorisierte Sei-te hat, also etwas bezeichnet, und zugleich ein profanes Ding ist, also nichts bezeichnet. Zu verschiedenen Zeiten wird mal die eine mal die andere Seite aktualisiert. 6

Das Auf und Ab der Bedeutung von Zeichen führt zu deren Wiederverwer-tung in genuin unterschiedlichem Kontext. So ist die Aufladung profanisier-ter Zeichen immer deren Aktualisierung im momentanen Kontext. Profanisierte Zeichen bilden für deren inhaltliche Aufladungen einen Con-tainer. Sie sind somit potentiell valorisierbar. Die Hürde die hierbei genom-men werden muss, ist das Durchbrechen der automatisierten Rezeption des Betrachters. Jefferson gelingt diese Neusetzung der Kuppel-, Giebel- und Säulensymbolik. Die mögliche Wertigkeit des Containers steht, wie in diesem Falle sichtbar wird, in direktem Zusammenhang zur allgemeinen Lesbarkeit des Zeichens. Je näher man sich dem allgemein Unterbewussten nähern kann, desto grö-ßer ist die Wirkung des Zeichens.

„Ich persönlich fühle, dass Verfremdung überall dort gefunden wird, wo man Form findet. ... Ein Bild ist keine dauerhafte Referenz an die veränderlichen Vielschichtigkeiten des Lebens, welche durch es gezeigt werden. Seine Aufgabe ist nicht, uns dazu zu bringen die Bedeutung eines Objektes zu erkennen, son-dern eine besondere Wahrnehmung davon zu kreieren -- es kreiert eine ‚Vor-stellung‘ des Objekts, anstatt als bloßes Erkenntnismittel zu fungieren.“7

„Making things strange“ ist die von Viktor Borisoviç Šklovskij formulier-te Strategie zur Wiedersichtbarmachung des objektimmanenten Codes, des Blicks hinter die Fassade. Die automatisierte - profanisierte Wahrnehmung eines Zeichens wird aufgebrochen. Der Betrachter erreicht dies durch die Verschiebung der Wahrnehmung. Im Sinne Groys würde wieder ein valori-siertes Symbol sichtbar werden. In der Nachfolge Šklovskijs, in einer Welt die sie durch die Durchdringung der kapitalistischen Ökonomie und der da-mit verbundenen Profanisierung durch Konsum bedroht sahen, formulierte auch die Situationistische Internationale ihr Konzept der Revalorisierung von Zeichen. Ihr Mittel war das Detournement - die Zweckentfremdung.

Die Zweckentfremdung führt nicht nur zur Entdeckung neuer Aspekte des Talents sie muß, da sie frontal mit allen gesellschaftlichen und rechtlichen Konventionen zusammenstößt, als ein mächtiges kulturelles Werkzeug im Dienst eines richtig verstandenen Klassenkampfes zur Verfügung stehen. Ihre billigen Produkte bilden das schwere Geschütz, mit der in alle chinesi-schen Mauern der Intelligenz eine Bresche geschossen werden kann.8

Es sind die abgelegten Zeichen, die also das Interesse wecken müssen. Je stärker verwurzelt mit dem Unterbewussten, desto besser. denn um so grö-ßer ist ihr Effekt. Die sich stetig verringernde Halbwertszeit der Moden produziert sie ohne Unterlass, gibt ihnen Wert und lässt sie fallen. In diesen Kreislauf müssen die Zeichen zurückgeführt werden. Umprogrammiert. Sie sind zeitgenössische trojanische Pferde!

6-Groys,über das Neuefrankfurt am Main, 2004S.152

7-

SklovskijArt of Technique

Moskau,in

Lodge;Modern Criticism and Theo-

ry: A Reader LondonLondon, 1988

S.16-30

8-

Debord,Wolman,Gebrauchsanweisung für die

ZweckentfremdungParis, 1956

inGaillissairesMittelstädt

&Ohrt

Der Beginn einer Epoche-Texte der Situationisten

Hamburg, 2008

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GR

O-

tE

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Grotesque

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„Wir wollten erfahren welche Räume vonnöten sind um dem Betrachter ein bestimmtes Bild zu liefern. Entworfen sind diese Räume aus der Perspektive des Betrachters heraus. Diese Vorgabe bildete die Basis des Experiments, nicht der Grundriss war ausschlaggebend, sondern die Sichtbeziehung.“

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Die Betonung der Riesenhaftigkeit, das Verschwimmen der Raumgrenzen, die Infragestellung von Innen und Au-ßen - all das ist uns schon einmal be-gegnet. Nur Wo? Eine quälende Fra-ge, die Gedanken schweifen ab. Dann schießt es uns durch den Kopf - ja, das ist es! Piranesi! - die mystischen Sti-che von düsteren, und halb verfallenen Gebäuden.“

Wieder zurück begannen wir zu re-cherchieren, studierten seine Zeich-nungen. Vor allem die Carceri. Es war verblüffend festzustellen, dass sich hier eindeutige Parallelen feststellen ließen. Die Raumkonfigurationen der Carceri lassen keinen logischen Rückschluss auf Grundriss oder Schnitt zu, sie spielen mit der Illusion.

Im Gegensatz zum Innern des Pa-lastes bleiben sie reine Bildarchitek-tur, besitzen dabei jedoch ein großes räumliches Potential das sich aus dem Erhabenen, dem Labyrinthischen und dem Unendlichen nährt.

In uns keimte die Idee diesen Prozess der Illusionierung umzukehren. Wir wollten einmal hinter die Kulissen schauen. Wir wollten erfahren welche Räume vonnöten sind um dem Be-trachter dieses eine, bestimmte Bild zu liefern.

„Wir betreten den Palais de Justice durch den Haupteingang und errei-chen nach wenigen Metern die Salle des pas perdus. Ein gewaltiger Raum tut sich vor uns auf - unendlich.

Neben der übertriebenen Größe und Höhe der Halle sind es vor allem die Säulenreihen, hoch in den Ecken gele-gen, die uns stutzig machen, uns auf-schauen lassen. Hinter ihnen verliert sich der Raum, weitet sich, wird diffus. Was soll das alles?

Statisch gesehen erscheinen sie nutzlos, sie können auch unmöglich Las-ten abtragen. Dahinter scheint es aber auch irgendwie weiter zu gehen. Was gibt es dort zu entdecken?Wir müssen dieser Merkwürdigkeit nachgehen, einen Zugang zu diesen Emporen finden! Als wir genauer hinsehen konnten, breitet sich Erstau-nen aus. Die vordergründige Tiefe des Raumes entpuppt sich als geschick-tes Arrangement mehrerer Schichtungen. Ein konstruierter Raum - nur sichtbar für den Betrachter am Boden - gaukelt uns Unendlichkeit vor. Vor allem unterstützt er den Effekt der gesamten Anlage den Besucher immer kleiner erscheinen zu lassen.

Abb

-

Piranesi - Carceri

Grotesque

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Entworfen sind die Räume der Carceri aus der Perspektive des Betrachters heraus. Diese Vorgabe bildete die Basis des Experiments, nicht der Grund-riss war ausschlaggebend, sondern die Sichtbeziehungen.Wir versuchten einen dieser Räume dreidimensional zu konstruieren, wir wollten ihn verstehen, trotz des Widerspruchs von Perspektive und Grund-riss. Das Ergebnis verblüffte - da hatten wir ihn, den Raum ohne Funktion, mit Treppen die im Nirgendwo enden, oder so steil sind und aus so vielen Stufen bestehen, dass man gar nicht erst auf die Idee käme sie zu steigen, mit Bögen, Brücken, Fenstern. Alle stimmig im Bild angeordnet, und doch sinnfrei in ihrem räumlichen Bezug untereinander.

Es wird klar - die von Piranesi gezeichnete Räume stehen im Gegensatz zur Idee des Ganzen, Ganzheitlichen. Sie sind Fragmente des Raumes, sie zeigen dem Betrachter ein Labyrinth, eine Illusion. Die bewertbaren Kriterien von Architektur sind über Bord geworfen, übrig bleibt dabei, jeglicher funktio-naler Strenge enthoben, ein reines Objekt.

Abb.

-

Photographien Salle des

pas perdu

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Grotesque

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Piranesi is psychogeo-graphical in the stair-way.1

1

-

Guy Debord

Potlatch II

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Abb.

-

Perspektive 1

Raumgroteske

Abb.

-

Perspektive 1

Raumgroteske

Grotesque

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Abb.

-

Perspektive 2

Raumgroteske

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Grotesque

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EN

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„Langsam bewegen wir uns in seine Richtung - schätzungsweise noch über einen Kilometer entfernt, doch ist seine Präsenz schon in dieser Entfernung atemberaubend. Als wir auf dem Vor-platz ankommen, werden wir uns zum ersten Mal bewusst, auf was wir uns eingelassen haben. Man neigt dazu einen Gegner, den man nur von Bildern kennt, zu unterschätzen. Wie riesige Schwingen umfassen die Seitenflügel den Platz, führen die Kolonnaden zum gewaltigen Portikus.“

BU

IL-

DIN

G

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Ein Bauwerk das sich diesem Konsens widersetzt, setzt sich dementspre-chend dem Verdacht aus, gegen die humanen Standards der Architektur zu verstoßen. Wenn sich Bauen über den menschlichen Maßstab hinaus bewegt, Ausdruck der eigenen Hybris wird, scheint der Weg des Scheiterns - wie im Folgenden beispielhaft illustriert - vorgezeichnet. Wohlauf, laß uns Ziegel streichen und brennen! und nahmen Ziegel zu Stein und Erdharz zu Kalk und sprachen: Wohlauf, laßt uns eine Stadt und einen Turm bauen, des Spitze bis an den Himmel reiche, daß wir uns einen Namen machen! denn wir werden sonst zerstreut in alle Länder. 1

Das Ergebnis ist hinlänglich bekannt - auf den Versuch des Turmbaus folgt die babylonische Sprachverwirrung und die Zerstreuung der Völker in alle Winde 2.Allein unter architektonischen Gesichtspunkten betrachtet, besteht die Grenzübertretung des Turmbaus vor allem und zuerst einmal in der Tat des „In-den-Himmel-Bauen“. In ihr wird das (falsche) Streben der Menschen nach Gottgleichheit - symbolisiert durch den Turm - gegenwärtig. Doch vor allem auf einer weiteren, zweiten Ebene geschieht das Übertreten der Norm - es ist die Verknüpfung zwischen dem Streben nach mehr und dessen Abbil-dung. Es ist die Generierung ei-

nes Images - das „sich einen Namenmachen“. Die Verknüpfung von Anspruch, der über sich selbst hin-ausgeht und dessen baulicher Ent-sprechung, generiert eine Differenz zwischen eigenem Selbst und der Vorstellung. Ausdruck und Produ-zent dieses Scheins wiederum ist die Größe. Fehlt diese Differenz in der Bewertung, regiert also der reine Nutzen, muss sich das Gebaute nicht mit dieser Art der Kritik auseinan-dersetzen. Zwischen einem Bauwerk reiner Funktionalität und einem Repräsentationsbau besteht folglich ein Bewertungsunterschied. Funk-tionsbauten entsprechen der Ebene des reinen Seins und sind somit über jede Kritik aus dieser Richtung er-haben.

Doch auch innerhalb der Repräsen-tationsbauwerke ist eine Unterschei-dung zu tätigen, die Zurschaustel-lung scheint legitim, wenn sie einen Verweis auf die transzendente oder

göttliche Sphäre tätigt.So ist die Größe eines Tempels oder einer Kirche ein Zeichen der Vereh-rung. Sie entstehen mit dem Verweis auf eine höhere Sphäre und stellen im Sinne der verbrauchten Energie und Ressourcen Opfergaben dar. Darüber hinaus sind es Bauwerke, die wenn nicht für die Allgemeinheit betretbar, so doch in ihrem Namen erbaut worden sind. Es gibt also nur einen Weg, sich seiner Verurteilung zu entziehen - sich also monumental zu verewigen und dabei trotzdem den Anspruch auf Akzep-tanz zu erhalten. Dieser besteht in der geschickten Verknüpfung der Symbo-lisierung von eigener Macht mit ei-nem, der Allgemeinheit verbundenen, Versprechen.

3

1

-

Moses 11,1-5

2

-

Moses 11.9

daher heisst ihr Name

Babel, dass der Herr

daselbst verwirrt hatte

aller Länder Sprache und

sie zerstreut von dort in

alle Länder.

3-

als Bsp. der Justizpalast in Brüssel,mit dem der

belg. König Leopold II. es auf geschickte Weise ver-stand sich unter dem Man-tel der Justiz ein eigenes

Denkmal zu setzen.

Wenn sich uns die Frage nach architektonischer Qualität stellt, dann einigt man sich im Regelfall schnell auf die Formel, dass die eingesetzten baulichen Elemente in ein sinn -und maßvolles Verhältnis zum Nutzer zu setzen seien und, dass sich eine nachvollziehbare Abbildung des kontextuellen Zusammenhanges erschließe.

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Beispielhaft für diese besondere Kombination entsteht Ende des 19. Jahrhunderts in Chicago eine neue Typologie - das Bürohochhaus.

Let us state the conditions in the plainest manner. Briefly, they are these: offices are necessary for the transac-tion of business; the invention and perfection of the high speed elevators make vertical travel, that was once tedious and painful, now easy and comfortable; development of steel manufacture has shown the way to safe, rigid, economical constructions rising to a great height; continued growth of population in the great cities, consequent congestion of centers and rise in value of ground, stimulate an increase in number of stories; these successfully piled one upon another, react on ground values and so on, by action and reaction, interaction and inter reaction. Thus has come about that form of lofty construction called the „modern office building“. It has come in answer to a call, for in it a new grouping of social conditions has found a habitation and a name.Louis Sullivan 4

Ausschlaggebend hierfür war die Einführung des Fahr-stuhls, die zunehmende Verdichtung der Zentren, die Be-völkerungszunahme und die Verteuerung des Baulandes.Die Geburtsstunde des modernen Bürogebäudes ist ver-

4

-

The tall office building

artistically considered

in Sullivan:

Kindergarten chats and

other writings

New York, 1979

S.202

bunden mit dem Versprechens nach einer menschenwürdigen und ange-messenen Beschäftigung der Massen. Aus dem ungelernten Arbeiter ent-wickelt sich der Angestellte und aus der einst prekären Situation, wird die Planbarkeit des Lebens. Es entste-hen die moderne Freizeitgestaltung und der Massenkonsum.

Die Symbolisierung von Göttlichkeit oder einem politischen Ideal ist der Sichtbarmachung des gesamtgesell-schaftlichen Fortschritts gewichen. Die Größe hatte sich demokratisiert.Die Bauten, die sich nun in den Him-mel bewegen, sind die positiven Sym-bole dieses Vorgangs - die adäquaten Formen ihrer Zeit - rational, wirt-schaftlich optimiert und zukunfts-orientiert. Es entstand ein genuin amerikanischer Typus - der ameri-kanische Traum hatte seine bauliche Entsprechung erhalten - war Bild geworden

Die grundsätzlich positive Wirkung des Hochhauses beschleunigte sei-

Abb.

-

Gustave Doré

The Confusion of Tongues

1865

Abb.

-

Guaranty Building (1894-

1896)

Buffalo, NY

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106

nen Export in die restliche Welt. Einen vorläufigen End-punkt und beispielhafter Ausdruck dieses Vorgangs stellt die Entwicklung in den Vereinigten Arabischen Emiraten, insbesondere im Emirat Dubai dar.Das ölreiche, aber an Symbolen arme Land sollte stellver-tretend für die gesamte Golfregion den Aufbruch in die Zeit nach dem Versiegen der Ölvorkommen vollziehen. Mit einer Mischung aus Tourismus und Finanzdienstleistung - gestärkt durch die Etablierung einer niedrigen Besteue-rung und Freihandelszonen - schien man ein probates Mit-tel gefunden zu haben. Beispielhaft für den Wandel des Landes steht die Ent-wicklung im Immobiliensektor. Innerhalb der vergange-nen zwanzig Jahre wurden zahlreiche Vorhaben realisiert, die durch ihre schiere Größe und Einzigartigkeit auch in-ternational eine breite Bekanntheit erfuhren 5.Die Strategie Dubais orientierte sich dabei an dem was Georg Franck unter dem Begriff der „Aufmerksamkeit-sökonomie“ subsumierte. Mit einer, alles Andere in den Schatten stellenden, medialen Präsenz, sollte die Vitalität des Handelsplatzes Dubai in Szene gesetzt werden.

Die offizielle Notierung des Kurswerts eines persönlichen Kapitals ist die Präsenz der Person in den Medien. Die Auf-lagenhöhen und Einschaltquoten belegen schwarz auf weiß das Einkommen der präsentierten Personen. Die mediale Präsenz der Person selber, nach Dauer und Präsentations-fläche gerechnet, mißt die Investition, die das Medium ein-setzt. Der Umfang dieses Einsatzes drückt den Erwartungs-wert aus, den die attraktive Kraft der Persönlichkeit für das Medium hat. Das Verhältnis dieses Erwartungswerts zum Erfolg der Attraktion ist ökonomisch kein anderes als das zwischen Aktienkurs und Betriebsergebnis.6

Dieses Vorgehen führte zu einer Umwertung des Gebauten in reine Bildarchitekturen. War der Bau eines Büro-hochhauses zu Zeiten Sullivans noch stark mit der Notwendigkeit des zu erweiternden Platzangebotes verknüpft, hatte sich in Dubai das Bild verselbständigt. Die dutzenden Türme die in den vergangenen Jahren aus dem Wüs-tenboden wuchsen, hatten ihre Bedeutung für den Markt, mit dem Zeitpunkt ihrer Fertigstellung, schon längst getätigt. Man erwarb kein Bauwerk, keine Etage mehr, man kaufte Bilder. Und man kaufte sie vor allem, um sie so schnell wie möglich wieder zu verkaufen. Das zwangsläufige Ende dieser Entwicklung - das höchste Gebäude der Welt - ist mittlerweile erreicht. Es ist der Im Jahre 2010 fertiggestellte, 828 Meter hohe, Burj Chalifa. Die Situation, die dabei entstanden ist, erscheint bemerkenswert. Konzipiert als Landmark-Architekturen, kann es im Schatten des Burj keinem anderen Bauwerk mehr gelingen seine ursprüngliche Funktion zu erfüllen. Ihre eigenen Identitä-ten verkümmern im Angesicht des Höheren - sie gehen auf in einem Meer der Gleichförmigkeit. Die Reduzierung der Einzigartigkeit auf die Höhe der z-Achse schafft schlussendlich immer nur einen Einzigar-tigen. Die Konsequenz, mit der man auf das Bild setzte, trug zur Entwertung des Realen bei. Die Wünsche und Vorstellung die man an die Bilder knüpfte, waren im wahren Leben nicht konkurrenzfähig. „Das sich einen Namen machen“ führte zu einer Relativierung des Großen, der Gewaltigkeit und der Höhe. Im Wettlauf um die maximale Aufmerksamkeit, ist die Halbwertszeit schon soweit verringert worden, dass die echten Produkte, zum Zeitpunkt ihrer Fertigstellung, schon nicht mehr dem Stand der Erwartungen entsprechen.

„So far, the 21st century trend in city building leads to a mad and meaningless overdose of themes, extre-mes, egos and extravagance. What is needed is a new beginning, a Renaissance… Dubai is confronted by its most important choice: Does it join so many others in this mad, futile race or does it become the first 21st century metropolis to offer a new credibility?“7

5

-

Burj al Arab, 1999

The Pal Islands, 2001

The World Dubai, 2003

Atlantis Hotel, 2008

6

-

Franck

Die ökonomie der Aufmerk-

samkeit

TU Wien , 1993

S. 754

Abb.

-

Fata Morgana

Dubai

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7

-

OMA; Dubai Renaissance

Dubai; 2006

http://www.oma.eu/

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107

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108

-

Gate/Bangkok

2011

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-

Pyramide/Dubai

2011

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-

Sphere/New York

2011

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111

Abb. 1

-

Étienne-Louis Boullée

Leergrab für Newton

Frontalansicht

Abb. 2

-

Étienne-Louis Boullée

Pyramidenförmiges Grabmo-

nument mit Säulenportikus

in der Zugangsnische

Abb. 3

-

Étienne-Louis Boullée

Stadttor mit hufeisenför-

migen Durchgang

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112

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113

„Sein1 traum, den Justizpalast auch noch mit einer Pyramide zu krönen,

erfüllte sich nicht.“

1

-

Joseph Poelaert

aus

Ursula Muscheler:

Die Nutzlosigkeit des

Eiffelturms

Beck, 2008

Abb.

Montage der

Originalansicht

Page 114: Il faut être absolument moderne

114

Der Übergang von der Qualität ge-bauten Raumes in die Qualität der Bilder beschleunigt sich zunehmend. Die Reduktion auf das Bildhafte, schafft die Basis für die Marginalisie-rung des Realen. Das Gebaute - das Werk - erscheint zu träge um den sich im täglichen Staccato transformie-renden und aktualisierenden Medi-enzyklen zu folgen.

Dass diese Hierarchisierung auch in ihr Gegenteil verkehrt werden kann, zeigt sich beim Blick auf die Werke Etienne Louis Boullées. In ihnen wird Architektur vor allem als Bild wahrgenommen, dieses jedoch in fi-naler Konsequenz - die Brücke zur Realität scheint abgebrochen.In ihrer völligen Überhöhung der Bauwerke versuchen die Tafeln nicht eine baubare Alternative abzubil-den, sondern - um es mit den Worten Boullées zu sagen: „mettre en oeuvre la nature“ - die In-Werk-Setzung-der-Natur 2.

Im direkten Bezug zur momentanen Situation, stellt diese Deutung einen fundamentalen Gegensatz dar. Das Bild ist nicht das zeitgenössische Image des Wirklichen, sondern ver-weist durch seinen Inhalt auf eine allgemeine Konstante, die Natur und zuletzt auf den Menschen selbst. Dies geschieht auf zweierlei Arten - mit der Verlängerung des architektoni-schen in die Natur hinein und dem Prinzip des Erhabenen. Ersteres soll die Flüchtigkeit na-türlicher Situationen in Architektur

binden, sie manifestieren. Die Erha-benheit, als Kontrast zur Erfahrung des Schönen, konfrontiert den Men-schen mit seiner eigenen Endlichkeit im Angesicht des Unendlichen und Maßlosen der Natur. 3

Diese Absicht verbindet Boullée mit reinen, auf stereometrische Grund-formen reduzierten, Körpern. In ih-rer endgültigen Reduktion werden sie zu maximalen Monumentenverbunden mit maximalem Raum. Doch verfolgen diese Bauwerkekeinen Selbstzweck, sie sind der Grund vor dem sich die Menschen versammeln, im Zirkus, in der Oper, in der Nationalbibliothek. Boullées Werke sind auch die Ereignisse die er schafft.

Diese Verbindung zwischen dem Mo-nument und dem Ereignis finden wir auch bei Gottfried Semper wieder. Eine monumentale Architektur ist in Sempers Sinne immer auch eine be-wegliche Architektur - sie ist Träger und Spiegel der Kultur. Der Festapparatus, das improvisier-te Gerüst, mit all dem Gepränge und Beiwerke welches den Anlass der Fei-er näher bezeichnet und die Verherr-lichung des Festes erhöht geschmückt und ausgestattet, mit Teppichen verhangen, mit Reisern und Blumen bekleidet, mit Festons und Kränzen, flatternden Bändern und Trophäen geziert, dies ist das Motiv des bleiben-den Denkmals, das den feierlichen Akt und das Ereigniss das in ihm gefestet ward den kommenden Generationen

Jetzt, da der gewaltige Medienrummel die Schöpfung in all ihren Formen erschüttert,was bleibt noch übrig vom Begriff des „Werks“?1

1

-

Virilio

Panische Stadt

Wien; 2004

S.36

5

-

ebd.

S.34

2

-

vgl.

Boullée

Architektur, Abhandlung über die

Kunst

Zürich/München; 1987

S. 28

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fortverkünden soll. So ist der ägypti-sche Tempel aus dem Motive des im-provisierten Wallfahrtsmarktes ent-standen, der gewiss sehr häufig noch in späterer Zeit in ganz ähnlicher Weise aus Pfählen und Zeltdecken zu-sammengeschlagen wurde, wo irgend-ein Lokalgott dem noch kein fester Tempel erbaut war in den Geruch be-sonderer Wunderthätigkeit kam und die wallfahrenden Fellahs Altägyp-tens in unerwartet zahlreichen Zügen zu seinem Feste herbeilockte.4

Beide hier skizzierten Ansätze setzen das Monument gezielt in Oppositi-on zu einer Architektur des reinen Bildes. Dies geschieht auf der einen Seite durch die Erfahrung der Na-

Heute, wo die Übermacht der Massen-

medien alle Vorbilder und Muster in Echtzeit einholt, kann das Ereignis einzig ein Kontinuitätsbruch sein,

ein unzeitgemäßer Unfall, der die Monoto-nie einer Gesellschaft durchbricht,

in der die Gleichschaltung der Meinungen geschickt die

Standardisierung der Produktion ergänzt.5

tur - des eigenen Selbst und auf der anderen Seite durch das Fest, die Erfahrung eines Miteinanders, des Zusammenschlusses von hohen und niederen Sphären. Hierin sind diese Konzepte ein Appell für Gesellschaft und Gemeinschaft, in Verbindung mit dem Natürlichen.

Sie weisen auf den Ursprung des Menschen, der Kultur und des Bau-ens hin. Eine Übersetzung dieser Grundsätze auf die heutige Zeit verweist auf ein anderes Verständ-nis des Begriffes Monumentalität. Nicht im Sinne relativer Größen und

3

-

Köppler

Sinn und Krise moderner Archi-

tektur

Bielefeld; 2010

S. 69

"Boullée versucht die ästheti-

schen Sinnmomente des Erhabenen

und der Schönheit der Natur, in

Bildern des Sommers, des Herbstes

etc. in das architektonische Werk

zu verlängern, wodurch in dieses

Werk deren Bedeutung selbst ein-

gehen soll und dauerhaft würde,

was sich als nur flüchtige Er-

scheinung in der Natur selbst

zeigte."

4

-

Semper;

der Stil in den technischen und

tektonischen Künsten, oder prak-

tische Ästhetik. Ein Handbuch für

Techniker, Künstler und Kunst-

freunde, 2Bde.

Erster Band; Die textile Kunst

für sich betrachtet und in Bezie-

hung zur Baukunst

Frankfurt am Main; 1860

S.269

Maßverhältnisse, die unser Bild von Monumentalität beherrschen, muss sie verstanden werden, sondern als Orte, die Ereignisse, Situationen und Bewegung produzieren. Basis für das selbst-sein und nicht des bloßen Be-trachtens - Architekturen als Büh-nen des Alltäglichen.

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Form f o l g t

n i c h t F u n k t i o n .

Form ent-steht nicht von

selbst. E s ist die grosse Ent-

scheidung des Menschen, ein Gebäu-

de als Würfel, als Pyramide oder als Kugel zu machen.“a

a-

Hans Hollein

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Ansicht Justizpalastvon der Rue aux Laines - Wolstraat

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Ansicht hinduistischer Tempelaus:

Living Architecture: India

1969

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Salle des pas perdus - 64 Stills

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EismeerCaspar David Friedrich (1774–1840)

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DachlandschaftJustizpalast

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Les Cathédralesartist unknown, 1929

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„ E i n E k l e k t i k e r i s te i n P h i l o s o p h ,

d e r V o r u r t e i l , Tr a d i t i o n ,A l t e h r w ü r d i g k e i t ,

a l l g e m e i n e n K o n s e n s ,A u t o r i t ä t u n d a l l e s , w a s

s i c h d e rM a s s e n m e i n u n g

u n t e r w i r f t ,n i e d e r t r a m p e l t . . .

d e r n i c h t s , w a s n i c h td u r c h E r f a h r u n g o d e r

V e r n u n f t ü b e r z e u g t ,a k z e p t i e r t . . . u n d d e r,

o h n e A n s e h e n d e rP e r s o n , v o n a l l e n

P h i l o s o p h i e n , d i e e ra n a l y s i e r t h a t ,

u n v o r e i n g e n o m m e ns e i n e e i g e n e P h i l o s o p h i e

a b l e i t e t ,e i g e n s f ü r s i c h s e l b s t . “

von:Denis Diderot(*1713 +1784)

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128Projekte / What happened to Boulée?

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t Symbol, Muster, Ornament

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„Vorwärts zur Tradition! Das Or-nament ist tot! Lang lebe das Orna-ment!“ Mit dieser Formel umschrieb Bauhaus Gründer Walter Gropius den Anspruch an eine Lösung der Ornamentfrage. Die Ablehnung des Alten machte die Entwicklung eines neuen Ornamentes vonnöten, ein Schritt den Gropius begrüßt und der im Gegensatz zur allgemeinen Lesart durchaus einen positiven Bezug der Modernen zum Ornament offenbart. Doch die Ablehnung des unehrlichen und applizierten Ornaments des His-torismus und der Gründerzeit führte in ihrer Entwicklung nie wieder zu einer allgemein anerkannten For-mensprache des ornamentalen. Ganz im Gegenteil - das Ornament als in-tegrale Bestandteil der Architektur drohte komplett zu verschwinden.

„Es wäre großartig für unsere ästhetischen Belange, wenn wir für ein paar Jahre voll-ständig auf die Verwendung von Ornament verzichten würden, so dass sich unsere Gedanken auf die Produktion von Gebäuden konzentrieren könnten, die wohl geformt und schön in ihrer Nacktheit sind. [...] Haben wir diesen Schritt unternommen, könnten wir aus der gewonnenen Sicher-heit heraus untersuchen, in welchem Maße eine dekorati-ve Verwendung von Ornament die Schönheit unserer Gebäu-de betonen würde - welchen neuen Reiz sie ihnen geben würde.“1

Mittlerweile hat es wieder zurück-gefunden in die Diskussionen rund um Architektur, doch wie dauerhaft die Begeisterung die ihm entgegen-schlägt sein wird, bleibt abzuwarten.

Ornament als Interface

Und sodann kommt durch die An-passung an die Funktion der Bau zu einer weit größeren und besseren inneren Einheit, er wird organischer, indem er die alten Konventionen und Formalismen der Repräsentation verlässt, die ebenso viele Hemmungen bei dem Zustandekommen der not-wendigen Gestalt sind.

Bei der so genannten Rückkehr des Ornaments in den Kontext der Architektur kann von einer neu-erlichen Zäsur keine Rede sein. Während sich das klassische Or-nament durch eine symbiotische Verbindung von Form und Struktur auszeichnete ist das Ornament un-serer Zeit vor allem eine architekto-nische Gehhilfe, welche die verlo-ren gegangenen erzähler ischen Aufgaben übernimmt, die ein funk-tionalistischer Bau in diesem Maße nicht zu leisten imstande ist. An der Konfiguration der Elemente ändert sich durch dieses Applizieren in erster Linie nichts - aus einerminimalistischen Kiste wird hierbei eine minimalistische Kiste mit orna-mentaler Hülle.

Das was uns als neues Ornament verkauft werden soll, ist in Wahr-heit nicht mehr als ein dekoratives Muster. In dieser Funktion gefan-gen, kann uns selbst die ausge-fallenste Medientechnik nur deren eigenen Status Quo vermitteln - ihr Effekt verpufft in der Selbstreferen-zialität. Die sich bereits abzeich-nenden Entwicklungen innerhalb der Produktion von Architektur - computational design, scripting

1

-

Louis H. Sullivan

Ornament in Architecture Chicago,

1892

-

Adolf Behne

Der moderne Zweckbau

Symbol, Muster, Ornament

Page 131: Il faut être absolument moderne

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tools, mass customization - wer-den in naher Zukunft jedoch dazu führen, dass sich deren Erschei-nungsbild ändern wird. Schon heu-te zeigen sich Ansätze Hülle und Struktur eines Gebäudes als sys-temisches Ganzes zu denken, und auch im architektonischen Sinne ganzheitlich zu behandeln. In die-sem Zusammenhang scheint auch im Bezug auf die Behandlung des Ornaments eine Neuorientierung angebracht.

Die Chance die in diesem Prozess liegt, ist die Re-Integration des Or-naments als lebendiges Teil des architektonischen Komplexes. Wie die Naht in der Südseehütte Sem-pers, die gleichsam Ausdruck von Technik und der Kunstfertigkeit des Menschen ist, sich mit der Zeit auch zum schmückenden Orna-mentalen wandelt, so muss sich auch ein neu gedachtes Ornament aus der Verbindungslogik der Teil-systeme entwickeln, denn es kann nichts Appliziertes sein.

Die Kombination von Form, Ma-terial und Struktur in einem Denk-prozess macht das Ornament zu einem leistungsfähigen Bestandteil des Bauens. Die Ästhetik die sich aus dem Prozess generiert - ein Zusammenspiel von menschli-chem Entwerfergeist, algorithmi-scher Logik und den spezifischen Fähigkeiten der Materialien - bildet dessen Basis.In diesem Komplex bildet das Ornament wieder die natürliche Schnittstelle zwischen allen Fak-toren - es vermittelt zwischen Ratio und Emotion und zwischen Mensch und Technik. Das Orna-ment hat sich zum performativen Symbol erweitert.

DECORATE, DECORATE!

Die überschüssige Energie (derReichtum) kann zum Wachstum eines Systems (zum Beispieleines Organismus) verwendet wer-den. Wenn das System jedochnicht mehr wachsen und der Energie-überschuß nicht gänzlichvom Wachstum absorbiert werden kann, muß er notwendig ohneGewinn verlorengehen und ver-schwendet werden, willentlichoder nicht, in glorioser oder in katast-rophischer Form.

Die Debatte um die Renaissance des Ornaments ist eine Scheindebatte, die am Wesen des Ornaments vor-beigeht - sie mäandert zwischen der baulichen Manifestation von Mar-kenidentitäten und dem Einsatz als leistungsfähiger ästhetisch-techni-scher Schnittpunkt. Dabei birgt ein sensiblerer Umgang mit dieser The-matik die Chance den Kosmos der Architektur wieder um einen wesent-lichen Aspekt zu bereichern.

Im Gegensatz zum anhaltenden Op-timierungsdrang bildet sich nämlich der inhaltliche Kern des Ornaments aus dessen genauem Gegenteil. Er ist in hohem Maße unökonomisch - es ist Verschwendung. Diese Einschrei-bung des mehr als Notwendigen entsteht zwangsläufig - die gesell-schaftliche Entwicklung schreitet voran und wandelt die zeitgenössi-schen Produkte in Zeichen der Ver-gangenheit, in Abfallprodukte des Fortschritts.

Der Bruch mit diesem Formalisie-rungsprozess und dessen Überfüh-rung in den stetigen Wandel vollzieht sich anschaulich in Le Corbusiers Schema des Maison Domino. In sei-ner Fokussierung auf die maximale Flexibilisierung der Nutzung, das Nur-Nützliche wird der Versuch

sichtbar, sich dem Kreislauf des Be-deutungswandels zu entziehen oder ihn zumindest stark zu verlängern. In seiner Gänze gelingt dieser Ver-such jedoch erst mit der Etablie-rung medial nutzbarer Fassaden, die den steten Wandel auch in der Hül-le thematisieren. Die Überführung der Bauten und der Bauteile in das Ornamentale wird hierbei unterbro-chen. Die Funktion und Deutung changieren ständig - in einem fort-schreitenden Opportunismus be-freit man sich von allem unnötigen Ballast, erfindet sich ständig neu.In diesem System ohne Redundanzen kennt man kein Innehalten,keine Kontemplation - die Vergan-genheit und deren Reichtum sind verschwunden.

Einen Gegenpol zu dieser Entwick-lung stellt nur das wirklich Orna-mentale dar. Nicht nur in der Archi-tektur, aber in der Architektur im besonderen - dienen Bauwerke doch bis dato als Speicher unserer Kultur im Alltäglichen.In der Anreicherung des Nur-Nützli-chen mit Elementen des Überflusses, des Grundlosen, des Exzessiven zeigt sich ein Ausweg. Diese Maßnahmen haben keinen Wert - sie sind ein Wert an sich. Sie illustrieren den Weg des Menschen, den Gang durch die Ge-schichte. Sie produzieren in ihrem Reichtum, ihrem Überfluss, ihrer Verschwendung ein Sich-Selbst-Be-wusst-Werden.

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Georges Bataille

Die Aufhebung der Ökonomie

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Symbol, Muster, Ornament

Idee

Bilder waren immer auch Abbilder des Realen. Unter Zuhilfenahme digitaler Werkzeuge scheint sich diese Verbindung Stück für Stück aufzulösen. Bilder sind nicht mehr nur Ab-Bilder sondern formulieren ihre eigene Logik. Bilder sind in unserer heutigen Welt omnipräsent. Doch mit dieser Häufung an Informa-tion findet gleichzeitig auch eine Verringerung des Interesses am einzelnen Bild statt. Der Prozess der Verselbständigung und Beschleunigung der Bildpro-duktion führt zu einer zunehmenden Abwertung des realen Raumes. Es erscheint verlockend diesen Pro-zess zu manipulieren, oder ihn sogar umzukehren. Das flüchtige Bild festzunageln und mit Hilfe seiner ihm eigenen Logik ein dreidimensionales Ornament zu kreieren.

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BILD

PROCESSING

RHINO

+

+

ephemer

fest

>>

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Processing

Mit Hilfe des Skripts vollzieht sich die Transformation des flachen Bildes in die Dreidimensionalität des Screens. Über eine Verschiebung der Pixel innerhalb des fiktiven Raumes des Bildschirms wird der, über die Webcam einge-fangene, Input räumlich verzerrt. Der Betrachtungswin-kel ist dabei frei wählbar und macht die neue Dimension der Bilder aus unterschiedlichen Perspektiven erlebbar.

PROCESSING

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ToolEin zufälliges Bild dient als Grund-lage der Verräumlichung. Mit Hilfe einer feinkörnigen Ite-ration werden die Pixel des Bildes entsprechend dem gewählten Analy-seprinzip (beispielsweise Helligkeit oder Farbwerte) ausgewertet.

DreidimensionalitätGemäß der Ergebnisse aus der Ana-lyse werden die für die Iteration ver-wendeten Punkte aus der Fläche in den Raum verschoben.

Rhino

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SelektionDie verschobenen Punkte werden durch Kurven dritten Grades mitei-nander verbunden. In einem Selek-tionsverfahren wird die Krümmung der Kurven an den Positionen der Punkte zunächst analysiert und anschließend nur die Punkte aus-gewählt, an denen die Krümmung einen bestimmten Wert übersteigt. Die resultierenden Punkte befinden sich an den Extrempunkten und ge-ben so der Dreidimensionalisierung ihren Rahmen.

TriangulationAus den ausgewählten Punkten wird mit Hilfe der Delaunay-Triangula-tion ein Dreiecksnetz gebildet, das in einer ersten Annäherung bereits die dreidimensionale Abbildung des Bildes darstellt. In einem rekursiven Prozess werden einzelne Flächen des Netzes entsprechend der Informa-tionsdichte des zugrundeliegenden Bildes weiter unterteilt und mit klei-neren Dreiecken besetzt. Dieser Pro-zess kann zu Verfeinerungszwecken beliebig oft wiederholt werden.

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Rhino

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Ergebnis

In einem letzten Schritt wird, ent-sprechend der Position der er-zeugten Flächen, der Farbwert des Bildes ermittelt und den Flächen zugeteilt.Die farbige Struktur entspricht nun dem dreidimensionalen Ab-bild des Ausgangsbildes. Durch den Prozess ist ein Abstraktions-grad erreicht worden, der ohne die Kenntnis des Inputs keinerlei Rückschlüsse auf die eigentliche Bildinformation zulässt.

Die Struktur entfaltet ihre Wirkung somit ausschließlich über ihre Geo-metrie und Farbigkeit und bietet so dem Betrachter die Möglichkeiten der freien Interpretation.(siehe Text Verhüllung)

Produktion

Nach einer groben Unterteilung der Struktur in Produktionsgrup-pen werden die Flächen im Ver-bund mit Hilfe eines Algorithmus abgewickelt, nummeriert und mit Klebelaschen versehen. Von einem Schneidplotter werden die Flächen zunächst bedruckt, dann entspre-chend der Knickrichtung gerillt und anschließend ausgeschnitten.

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Symbol, Muster, Ornament

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Symbol, Muster, Ornament

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Projekte / What happened to Boulée?

RU

IN-

IER

EN

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„In Brüssel wird die Frage nach mehr Raum für den steigenden Platzbedarf der Exekutive mit einem wei-teren Umbau des Justizpalastes beantwortet. Doch werden diesmal die Interessen des Denkmalschutzes außen vor gelassen. Zu groß sind die Sachzwänge die die städtische Dichte erzeugt. Argumentiert wird mit der sinnigen Verbindung von Alt und Neu.“

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DEGENERATION-

„In der Medizin spricht man bei Veränderungen forma-ler, struktureller oder funktioneller Art von Degeneration. Diese geht üblicherweise mit einer Leistungseinschrän-kung einher.“

Wie in der Medizin, so treten auch in der Architektur Degenerationsprozesse auf - formal, funktional und strukturell. Das langsame Aufgeben der ursprüngli-chen Funktion verändert den Bestand, weicht ihn auf. Die Funktionen wandeln sich immer mehr, ohne dass dies Änderungen in der Form oder baulichen Struktur nach sich ziehen würden.Die Form ist wesentlich träger, als die mit ihr verknüpf-te Funktion und ist, solange sie sich als ausreichend anpassungsfähig erweist, die ungleich stärkere Kom-ponente der beiden. Durch diesen Vorgang kommt es zu einer schleichenden Entfremdung von Form und Funktion. Die Form ist nur noch die reaktionäre Hülle der sich ändernden Funktionen.

SYMBIOSE-

„Symbiose bezeichnet die Vergesellschaftung von Indivi-duen unterschiedlicher Arten, die für beide Partner vor-teilhaft ist. Bei Symbiosen zwischen Lebewesen, die sich durch ihre Größe erheblich unterscheiden, bezeichnet man den größeren Partner oft als Wirt, den kleineren als Sym-biont.“

Um diesen schwelenden Konflikt aufzuheben, er-scheint es folgerichtig, dass durch einen kontrol-lierten Eingriff in der geschwächten Struktur etwas Neues etablieren muss, um zur Stärkung des Ganzen beizutragen und dem schleichenden Degenerations-prozess entgegenzuwirken. Die geplanten Verbindungen von alter Struktur und neuen Funktionen, greift jedoch weiterhin nicht in Form und Struktur des Bestehenden ein, da dieses noch immer einen repräsentativen Wert an sich dar-stellt. Es kommt zur Überlagerung zweier Systeme, die dadurch synergetische Effekte nutzen können. Die-se Konfiguration kann sich zu einer dauerhafte Be-reicherung von Wirt und Symbiont entwickeln. Die temporären Konfigurationen werden in diesem Falle verfestigt.

Ruinieren

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MUTATION-

„Die Mutation als biologischer Begriff beschreibt eine dauerhafte Veränderung des Erbgutes innerhalb eines Organismus. Ausgehend von den Erbinformationen einer einzelnen Zelle, überträgt sich die Veränderung auf ihre Tochterzellen und kann somit zu positiven, negativen aber auch keinen Veränderungen in der Erscheinung führen.“ 

Bei einem ungleichen Verhältnis zweier Funktionen, kann es passieren, dass sich der Symbiont auszu-dehnen beginnt. Der Symbiont wird Mutant und über-nimmt als nun leistungsfähigeres System immer wei-tere Teile der Struktur. Es wird der Punkt erreicht, an dem die Neubesetzung im Inneren der alten Struktur großflächig sichtbar wird. Die punktuellen Installatio-nen mit fester Nutzung verfestigen sich zu Clustern, deren Nutzung sich zu verändern beginnt. Die Form erzählt zu diesem Zeitpunkt nicht mehr die Geschich-te seines Innenlebens, das sich bereits transformiert hat. Neue Funktionen und Einbauten kommen hinzu und vitalisieren den Mutanten, was eine Kettenreak-tion in Gang setzt. Die alte Struktur wird von nun an, Stück für Stück, dem Verfall preisgegeben.

ZERSETZTE RUINE-

„In der [...] Struktur wird die Zeit sichtbar, in der etwas zur gleichen Zeit vergangen und gegenwärtig ist, das Ab-wesende im Anwesenden nicht passiv als Vergangenes oder Vergehendes verharrt, sondern schöpferisch wird, sich im Gegenwärtigen realisiert.“

Die Entwicklung hat an diesem Punkt ihr Ende ge-funden. Die Ruine ist zu einem dauerhaften und fort-schreitenden Zustand geworden, funktionslos und unbesetzt, bildet sie das ergänzende Gegenüber des zum Bauwerk gewordenen Parasiten. Durch diesen Prozess übernimmt das Neue die identitätstiftenden Eigenschaften und die  Geschichtlichkeit des Alten und fügt sie - diese ständig transformierend - seiner eigenen Erscheinung zu. Die Überreste oszillieren da-bei zwischen einer romantischen Sehnsucht und der künstlichen Ruine des Landschaftsgartens. Von letz-terer unterscheidet sie sich jedoch durch die, in Kom-bination mit dem Neuen, provozierte Zersetzung und andauernde Verortung in einem Zustand des Über-gangs. Und auch einer romantischen Vereinnahmung begegnet sie, durch das Fehlen jeglichen Bezugs zu einem früheren Idealzustand. Das neue, gleichfalls artifizielle Volumen verwischt durch den Vorgang der Neubesetzung des Alten, die Grenzen zwischen Geschichtsidealisierung auf der einen, und der Fixierung auf ein jenseitiges Heilsver-spechen.

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DIE ZERSETZTE RUINE...

ist das Ergebnis einer Vergiftung. ist ein Abfallprodukt. ist überflüssig. ist nicht totzukriegen. ist ein Ort des Übergangs. ist nicht fassbar. ist beweglich. ist Anti Architektur. speichert Situationen. konzentriert Verfall. produziert Überfluss. ist maximale Freiheit.

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PLÄDOYER FÜR DEN VERFALL-

Den Verfall zuzulassen, heißt Geschichtlichkeit zu akzep-tieren. Die Architektur kann die Vergänglichkeit nicht ne-gieren, sie muss stattdessen den Umgang mit ihr lernen und sie für sich in Anspruch nehmen.

Das sich Bewusst werden des Alterns, ist ein Gewinn für das Bauen. Was ist ein Bauwerk, dass keine Nischen, keine Reibungsfläche, keine unbesetzten, weil gealter-te Flächen bietet? Ein Bauwerk, das seinen anfänglichen Idealzustand konserviert, kann von nichts, außer von sich selbst erzählen.

Das Fortschreiten der Zeit produziert den Übergang des einstmals Idealen hin zum Gebrauchten. Das Imperfekte als Patina der Vergänglichkeit!

In die Reinheit und Makellosigkeit haben sich die Ge-schichten der Menschen eingeschrieben und sind da-durch lesbar geworden. Das Fehlerhafte und Verschlisse-ne rückt in den Fokus. Die Zersetzung des Idealen produziert Verschiedenheit. Ein Archipel unterschiedlicher Möglichkeiten in einem ein-zigen Komplex. Das Bauwerk wird Spiegel der Geschich-ten seiner Nutzer.

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Interview

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1. „Ihr habt einen ungewöhnlichen Ansatz - im Jahre 2011 ein Gebäude zum Thema einer Arbeit zu machen, dessen Erbauung 130 Jahre zurückliegt. Ihr seid doch keine Architekturhistoriker, woher kommt diese Nostalgie?

Wulf: Von Nostalgie kann gar keine Rede sein. Ganz im Gegenteil sind wir davon ausgegangen, dass sich gewisse Parallelen zwischen dem heutigem „anything goes“ und dem historistischen Stilverständnis aufzeigen lassen. Die Frage ist doch, was kann man aus einem Gebäude lernen, das den Gedanken des modernen Bauens scheinbar dia-metral gegenübersteht?Außerdem ging es uns um die Entdeckung eines alter-nativen Fundus an architektonischem Vokabular, das während unseres Studiums komplett ausgeklammert war!

Max: Richtig, doch vor diesen Überlegungen stehen für mich vor allem noch die schwer erklärbare Faszina-tion und die Möglichkeitsvielfalt, die wir von Anfang an mit dem Palast verbunden haben. Ich erinnere mich noch gut an den Abend, an dem Carsten uns von seiner ‚Television‘ erzählt hat. Nachts war ihm der Justizpalast erschienen: das größte Gebäude des 19. Jahrhunderts, mitten in Brüssel, super historistisch, Geschichten von verloren gegangenen Angestellten, Plünderungen, wider-sprüchlich, irrational, extrem präsent und für uns kaum fassbar. Das macht doch Faszination aus - wir wollten weg von der reinen Entwurfsaufgabe um unsere Er-fahrungen reflektieren und verwerten zu können - und außerdem konnte sich jeder von uns mit seinen persön-lichen Vorstellungen und Interessen irgendwo im Palast wiederfinden. Der Palast war das Gefäß, das wir brauch-ten und die ganze Zeit gesucht hatten.

Carsten: Wir leben doch auch mehr denn je in einer Zeit die sich alle 10 Jahre wiederholt und nur marginale Ver-änderungen zulässt. Sozusagen in einer neo-eklektischen Gesellschaft, nur dass das Repertoire auf das 20. Jahrhun-dert, oder Teile davon zusammengeschrumpft ist. Die Ent-stehung dieses modischen Umgangs mit Formen, Gewän-

Interview

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dern und Typen fällt nun einmal in das 19. Jahrhundert, und der Palast ist sein Höhepunkt in der vulgärsten Form überhaupt. Diese Entwicklung hat die moderne Gesellschaft zu dem gemacht was sie heute ist, nur sie konnte auch eine Moderne mit ihrer Glas-Stahl-Nadelstreifenat-titude hervorbringen. Unser Ansatz will diese Strö-mung nicht negieren, aber endlich mal versuchen die Dinge vor diesem Nullpunkt zu verstehen. Stefan: Und genau hier muss man ansetzen - der Palast als Kristallisationspunkt dessen, für das Moderne steht. Höhepunkt und Hassobjekt - gleichzeitig aber auch Projektionsfläche für - ich sag‘ jetzt auch mal unsere - Wünsche und Vorstellungen. Diese spezielle Konstellati-on hat im Brüsseler Justizpalast ihre gewaltigste bauli-che Entsprechung gefunden - und erstmal war er deswe-gen interessant. Nicht mehr und nicht weniger.

2. „Das heißt ja im Umkehrschluss, dass ihr nicht wusstet worauf ihr euch einlasst? Es hätte dann ja auch ganz anders laufen können?“

Max: (grinst) Genau darin bestand ja auch der Reiz. Und es war auf jeden Fall eine Herausforderung! Da wir zunächst nur den Palast und die Erfahrungen aus dem Besuch auf dem Zettel hatten, mussten wir auf unter-schiedlichsten Wegen versuchen, theoretische und praktische Ansatzpunkte zu finden. Diese mussten verknüpft und in ihre existierenden Kontexte einge-bettet werden. Grundsätzlich erschien es uns einfach wichtig, die Möglichkeit der Diplomarbeit vor allem dafür zu nutzen, uns mit grundsätzlichen Themen, wie Ornament, Größe und dem eigenen Selbstverständ-nis auseinandersetzen und eigene Positionen zu entwickeln. Das kann man in einem regulären Ent-wurfsprozess, der sich mit zunehmender Dauer auf spezifische Bedingungen zuspitzt, natürlich weniger gut als mit unserer Methode. Und für uns bedeutete es immer einen Gewinn, da das Erarbeiten und Er-forschen von Inhalten für uns immer im Vordergrund stand.

Stefan: Das ist der Punkt. Dieses präsentieren einer Lösung und deren absolut Setzung ist doch immer ein Verlustgeschäft. Man wirft eine Menge wichtiger Infor-mationen über Bord - vor allem geht die Mannigfal-tigkeit und Vielschichtigkeit verloren. Das ist ja irgend-wie verständlich, aber es führt in letzter Konsequenz vor allem dazu, dass ein Ergebnis so gut ist wie das andere oder genauso schlecht,weil der größte Teil der Informati-onen nicht berücksichtigt wird. Ich sehe deshalb, sich auf die Widersprüchlichkeiten einzulassen und ein offenes und diskutierbares Ergebnis zuzulassen, ebenfalls als Kern der ganzen Unternehmung, es ist sozusagen das Programm.

Carsten: Außerdem ist einer der wesentlichsten As-pekte des Entwerfens der, keine Angst vor neuen Dingen, und vor allem keine Angst vor dem Schei-tern zu haben. Der Prozess, den wir durchlaufen ha-ben, ist in dieser Arbeit viel wichtiger als das Produkt oder das Ziel. Eine Perspektivverschiebung ist von entscheidender Bedeutung, um den allgemein akzep-tierten, professionellen Rahmen zu verlassen. Neue Ideen entstehen durch Prozesse die von Spiel und Chaos geprägt sind, nicht durch routinierte, einstu-dierte Arbeitsabläufe. Wir wollten die erlernten Ab-läufe vergessen um neue Erkenntnisse zu gewinnen - Erfahrungen zu machen. Wären wir gescheitert, hätten wir es einfach noch einmal versucht.

Wulf: Für das was dann passierte sind Spiel und Cha-os, auf jeden Fall zwei gute Schlagworte um den Prozess zu beschreiben.

Carsten: Vor allem Chaos! (Gelächter)

Wulf: Chaotisch deswegen, weil wir es erst einmal schaffen mussten die vielen Themengebiete auf die wir durch den Palast gestoßen sind - wir dachten ja, wir könnten da kurz mal 300 Jahre Architekturentwicklung unter einen Hut zu bringen - zu ordnen und Schwer-punkte zu setzen. Auf jeden Fall war das alles andere als ein linearer Prozess, der durch seine Unwägbarkeiten und Neuformulierungen aber immer seine Spannung be-halten hat. Im Umgang mit den einzelnen Aufgaben - vor allem in den Projekten mit denen wir uns dem Palast annähern - kann man, denke ich, unsere spielerische Art mit Dingen umzugehen ganz gut erkennen. Man darf die Sachen einfach erstmal nicht zu ernst nehmen sondern

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damit verbundenen Entwurfsprozess fasziniert, weil eine wesentlich spezifischere und eben auch emotionalere Ar-chitektur entstehen kann. Und das vor allem deswegen, weil Kategorien gesprengt werden und man sich zunächst in einem Designraum bewegt, der noch nicht zu stark von blockierenden Mechanismen eingeschränkt ist.

Carsten: Also ich habe u.a. lebenswiedererweckende Fleischbälle und eine konsumkritische Utopie namens „Hamland“ während meines Architekturstudiums ge-macht. Und ich spreche immer von Architektur. (Gelächter)

4. „Es würde es mich interessieren, was ihr als thematische Schnittmenge - als Quintessenz - eurer Arbeit bezeichnen würdet“?

Stefan: Unsere Arbeit ist vor allem das Zusammen-tragen von Faktoren, die es der Architektur ermög-lichen über ihre reine Funktionserfüllung hinauszu-weisen. Damit sind vor allem Bilder und Symbole gemeint, die einen Dialog zwischen dem Mensch und dem Artefakt produzieren. Wir wollten Strategien ent-wickeln mit diesen Dingen umzugehen, ihre Wirkung einzuschätzen. Es ist ein Ratgeber den wir erarbeitet haben, einen Vorschlag den wir unterbreiten.

Max: Der Ansatz ist von daher auch durchaus als Kritik an einer Architekturproduktion zu verstehen, die diese Aspekte außer Acht lässt. Es war für uns eine per-fekte Gelegenheit, den eigenen Horizont zu erweitern und auch unlogische und fremdartige Ansätze zu formulieren und zu erkunden. Im Zusammenspiel mit digitalen Ent-wurfsmöglichkeiten und neuen Produktionsmethoden haben diese Ansätze - beispielsweise im Fassadenprojekt - definitiv mein Verständnis dieser technologischen Neu-erungen erweitert. Vor allem was deren Potential angeht, mehr als reine Optimierung zu leisten. Und schlussend-lich wollten wir all das in unserem Magazin bündeln, um dem Leser unsere Sicht der Dinge nahezubringen: Die von uns subjektiv erdachten, gemeinsam selektierten und intensiv diskutierten Schnitte durch den Charakter des Palastes.

muss ausprobieren und testen - was lässt sich aus einem Thema machen, wo kann man Parallelen ziehen oder Be-zug nehmen?

3. „Ihr thematisiert eine Neuformulierung des entwerferischen Ansatzes, die angesprochene Per-spektivverschiebung. Das, was ihr schlussendlich in Magazin und Ausstellung präsentiert, also euer Output, scheint sich ja dadurch gleichermaßen gewandelt zu haben. Kann man da überhaupt noch von Architektur sprechen?

Wulf: Ich selbst finde dieses Aufspalten in Katego-rien müßig und irgendwie auch komplett bescheuert.Und auch die Frage, wo Architektur anfängt oder auf-hört, ist kaum zu beantworten, aber vor allem auch,... Was bringt das denn? Liegt die Spannung nicht in der Grenzüberschreitung, im Verwischen der Diszip-linen? Wir wollen Architektur machen, warum sollen wir dafür keine grafischen Mittel verwenden können? Jemand arbeitet als Grafiker warum sollte er nicht räumliche Ansätze haben? Aber um auf die Frage zu-rückzukommen: Ja man kann bei unserer Arbeit noch von Architektur sprechen. Stefan: Um da mal anzuknüpfen, vielleicht ist sie so-gar „echtere“ Architektur - im Sinne einer persönlichen Haltung. Man muss auch einfach einmal anerkennen, dass man als Architekt vor allem immer super ahnungs-los ist und versucht damit umzugehen, daraus etwas zu schöpfen. Dazu kommt ja auch die Marginalisierung des Architekten zugunsten des Ingenieurs im Bauprozess an sich, der Architekt ist ein Scheinriese. Manche haben das schon vor 200 Jahren erkannt und versucht sich neu zu positionieren und das vor allem mit Hilfe eines bild-haften Werkgedankens. Darin besteht auch unsere Stra-tegie, Architektur anders zu denken! Max: Genau, es geht uns ja offensichtlich viel-mehr um Strategien, Ideen oder Denkanstöße als um gebaute Architektur. Ich denke, dass das Potential des Architekten gerade mit der vermeintlichen Verwi-schung von Disziplingrenzen so groß ist wie selten zu vor. Man schafft dadurch eben auch die Möglichkeit zur Neubewertung von architektonischer Qualität.Ich für meinen Teil bin vor allem deswegen von den Möglichkeiten neuer Materialien, Technologien und den

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Carsten: Wir haben Architektur als Selbstversuch ge-dacht. Wir waren Archäologen, die von den Überbleibseln vergangener Zeiten fasziniert waren. Dieses Ausgraben alter Artefakte enthält doch eine Forderung: Nämlich nicht nur seine eigene Umwelt und die kontemporäre Entwicklung in sein Arbeiten einfließen zu lassen, sondern sich auch aus dem uner-schöpflichen Repertoire der Geschichte zu bedienen, ohne dabei nostalgisch zu werden. Der Erkenntnisge-winn funktioniert durch die Gegenüberstellung beider Wahrheiten.Wir versuchen mit dieser Arbeit, wie Max schon mein-te, Wünsche und Hoffnungen zu formulieren, die sich in den einzelnen Projekten wiederfinden, und sich aus der Untersuchung der alten Bausubstanz entwickelt haben. Wulf: Allen Beiträgen gemeinsam ist, dass sie sich, wenn auch auf unterschiedlichste Art, mit der Produk-tion von Raum auseinandersetzen. Das geschieht größ-tenteils auf einer Bildebene, aber auch in kleinen Ani-mationen, Interaktiven Elementen oder, dann auch mal eher klassisch, im Modell. Mir ging es vor allem darum, herauszufinden ab wann aus den Dingen, mit denen man sich während des klassischen Entwurfsprozess auf einer konzeptionellen Ebene beschäftigt um sie dann in einen konkreten Entwurf zu überführen, selbst Raum entste-hen kann. Welche Qualitäten und Ideen man daraus zie-hen oder entwickeln kann. Ein gutes Beispiel ist das Ornament-Projekt, bei dem ja versucht wird, aus einem heute so flüchtigen Ding wie dem Bild, etwas festes, also Raum, zu generieren.

Carsten: Und schlussendlich ist es doch einfach nur der Palast!

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Diese Arbeit entstand während des Wintersemesters 2010/2011 als Diplomarbeit unter Prof. Markus All-mann und Prof. Dr. phil. Gerd de Bruyn.

Impressum

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Wir danken:

Ben, Jos Vandenbreeden, Pieterjan Ginckels , Volker Bo-nacker, Nina Bienefeld, Franziska Bettac, Prof. Markus Allmann, Prof. Dr. phil. Gerd de Bruyn, Prof. Klaus-Jan Philipp, Xenia Günther vom ISW, Volker Turowski, casino IT, Bräutigam Medien, Hausverwaltung Seiden-straße.

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PRIMÄRQUELLEN

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„I personally feel that defamiliarization (estrangement) is found almost everywhere form is found. ... An image is not a permanent referent for those mutable complexities of life which are revealed through it; its purpose is not tomake us perceive meaning, but to create a special per-ception of the object -- it creates a ‚vision‘ of the object instead of serving as a means for knowing it.“

Viktor Borisoviç Šklovskij

„Bigness destroys, but it is also a new beginning. It can reas- semble what it breaks. A paradox of Bigness is that in spite of the calculation that goes into its planning -in fact, through its very rigidities-it is the one architecture that engineers the unpredictable. Instead of enforcing coexistence‘ Bigness depends on regimes of freedoms, the assembly of maximum difference.Only Bigness can sustain a promiscuous proliferation of events in a single container. It deveelops strategies to orga- nize both their independence and interdependence within a larger entity in a symbiosis that exacerbates rather than compromises specificity. Through contamina-tion rather than purity and quantity rather than quality, only Bigness can sup- port genuinely new relationships between functional entities that expand rather than limit their identities. The artificiality and complexity of Bigness release function from its defensive armor to allow a kind of liquefaction; programmatic elements returns with each other to create new events-Bigness returns to a model of programmatic alchemy.“

Rem KoolhaasS,M,L,XL

The Grid‘s two-dimensional discipline also creates und-reamt of freedom for three dimensional anarchy. The Grid defines a new balance between control and de-control in which the city can be at the same time ordered and fluid, a metropolis of rigid chaos.

Rem Koolhaas,Delirious New York

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