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Hauptvorlesung: Psychiatrie und Psychotherapie Der therapeutische Prozess - Rechtliche Grundlagen Dr. C. Luckhaus

Hauptvorlesung: Psychiatrie und Psychotherapie Der therapeutische Prozess - Rechtliche Grundlagen Dr. C. Luckhaus

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Hauptvorlesung: Psychiatrie und Psychotherapie

Der therapeutische Prozess -

Rechtliche Grundlagen

Dr. C. Luckhaus

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• Unterbringungen

• Rechtliche Betreuung

• Vorsorgevollmacht

• Geschäftsfähigkeit

• Einwilligungsfähigkeit

• Zwangsbehandlung

• Dokumentation

• Akteneinsicht

Inhalt der Vorlesung

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Unterbringung

• Jede Unterbringung gegen den Willen eines Patienten in einer geschlossenen Einrichtung ist Freiheitsberaubung, in einer offenen Einrichtung Freiheitsbegrenzung.

• Die im Grundgesetz garantierte Freiheit des Menschen kann nur durch einen Richter aufgrund eines Gesetzes entzogen werden.

• Nicht-freiwillige Unterbringungen unterliegen dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.

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Unterbringungsformen in einer geschlossenen psychiatrischen Einrichtung und Rechtsgrundlagen

Unterbringungsart Rechtsgrundlage

freiwillig

öffentlich-rechtlich PsychKG NRW, u.a.

zivilrechtlich §1906 BGB

zur Beobachtung § 81 StPO, § 68b FGG

einstweilig § 126a StPO

strafrechtlich §§ 63, 64 StGB

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Gesetz über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei psychischen Krankheiten (PsychKG NRW)

Unterbringungsvoraussetzungen (§ 11):

• krankhafter seelischer Zustand• Erhebliche, gegenwärtige Gefahr gegen sich

selbst oder gegen bedeutende Rechtsgüter anderer

• Fehlendes Einverständnis• Erforderlichkeit, Verhältnismäßigkeit,

Subsidiarität

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Unterbringungsablauf PsychKG

• sofortige, vorläufige Unterbringung durch das Ordnung-samt für längstens 24 h– aufgrund eines ärztlichen Zeugnisses

• Umgehendes Anzeigen der Unterbringung bei Gericht und Beantragung eines richterlichen Entscheids

• Richterliche Anhörung (innerhalb 24 h), Entscheid über Notwendigkeit und Dauer der Unterbringung

• ohne Gutachten: längstens 3 Monatemit Gutachten: längstens 2 Jahre

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Behandlungsaspekte während der PsychKG-Unterbringung

• Sicherung, in Notsituationen auch zeitlich begrenzte und 1:1-überwachte Isolierung oder Fesselung

aufgrund ärztlicher Anordnung

• sofortige ärztliche Eingangsuntersuchung

• individueller Behandlungsplan

• ärztliche Behandlungsmaßnahmen bedürfen der Einwilligung (Ausnahme: Zwangsbehandlung, s.u.)

• Tägliche Überprüfung der Unterbringungsnotwendigkeit

• Ausgang, Beurlaubung, Aussetzung der Unterbringung

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Rechtliche Betreuung (1)

Voraussetzungen

• Erforderlichkeit ist gutachterlich festzustellen,ggf. Eilverfahren

• volljährige Personen, die aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung ihre Angelegenheiten nicht ganz oder teilweise zu besorgen vermögen

• Regelungsbedarf bzgl. rechtlicher Angelegenheiten und Organisation von Hilfen

• Versagen alternativer Hilfen

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• Zu betreuende Bereiche werden individuell festgelegt:

z.B. Aufenthaltsbestimmung, Gesundheits-fürsorge, Finanzen. Dadurch Abkoppelung von der Frage der Geschäftsunfähigkeit.

• Einwilligungsvorbehalte werden nur bei besonderer Erforderlichkeit für einzelne Bereiche ausgesprochen. Dadurch Vermeidung von genereller Entmündigung.

Rechtliche Betreuung (2)

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Betreuungsrechtliche Unterbringung (§ 1906 BGB)

• auf Anregung des Betreuers, richterlicher Beschluss

• bei krankheitsbedingter Einsichtsunfähigkeit des Betroffenen in die Notwendigkeit der Unterbringung

• bei erheblicher Gefährdung der eigenen Gesundheit

• Behandlung ohne Einwilligung des Betroffenen möglich, wenn Betreuer stellvertretend einwilligt

• bei gefährlichen Eingriffen zusätzliche richterliche Genehmigung erforderlich

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Vorsorgevollmacht

• hat Vorrang vor der Einrichtung einer Betreuung• wird durch Betroffenen selbst abgefasst• Betroffener muss zum Abfassungszeitpunkt

geschäfts- und einsichtsfähig sein.• konkrete, schriftliche Festlegung der zu regelnden

Angelegenheiten btr. gesundheitlicher Fürsorge und Selbstbestimmung

• Benennung der beauftragten Vertrauensperson / des Angehörigen

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Geschäftsfähigkeit

Psychische Krankheiten können die Geschäftsfähigkeit aufheben,

• wenn der Betroffene die Bedeutung seiner Willenserklärungen nicht erkennen kann.

• wenn er sich nicht mehr von vernünftigen Motiven leiten lassen kann.

• wenn er seine Entscheidungen nicht mehr von vernünftigen Erwägungen abhängig machen kann.

Im Zweifel gilt Geschäftsfähigkeit.

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Geschäftsfähigkeit ?

> 7. Lebensjahr ?

• Krankhafte seelische Störung?

• nicht vorübergehend?

• freie Willensbestimmung ausgeschlossen?

• geschäftsunfähig.

• Eltern

• Vormund

• Pflegschaft

Kind ? Erwachsener ?

• Vorsorgevollmacht

• gesetzliche Betreuung

ja

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Beschränkte Geschäftsfähigkeit

Minderjährige > 7. LJ.

Partielle Geschäftsunfähigkeit

z.B. Eifersuchtswahn

Nichtigkeit einer Willenserklärung

z.B. Delir

Prozessunfähigkeit z.B. querulatorische Störung

Testierfähigkeit z.B. Demenz

Sonderformen der Geschäftsunfähigkeit

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Einwilligung in einen ärztlichen Eingriff

• rechtfertigende Einwilligung verhindert Rechtswidrigkeit (Strafbarkeit) der Körperverletzung

• nicht gekoppelt an Geschäftsfähigkeit

• Betroffener muss Bedeutung und Tragweite des Eingriffs nach ärztlicher Aufklärung verstehen und dazu seinen freie Willensentscheidung treffen.

• Einwilligung bezieht sich immer auf konkrete Behandlungsmaßnahme

Sonderfall Sterilisation: jedwede Ablehnung durch den Betroffenen ist bindend.

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• Besitzt der Pat. die Einwilligungsfähigkeit, so kommt es ausschließlich auf dessen Willen an.

• Verweigert der einsichtsfähige Pat. seine Einwilligung in einen medizinischen Eingriff, so muss dieser unterbleiben, selbst wenn sich die Krankheit dadurch erheblich verschlimmert, ein irreparabler Schaden oder sogar der Tod eintritt.

Einwilligung in einen ärztlichen Eingriff (2)

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Kriterien für freie Willensbildung

• Fähigkeit, einen bestimmten Sachverhalt aufzufassen und zu verstehen

• Fähigkeit, die Informationen rational und emotional zu verarbeiten

• Fähigkeit, den Sachverhalt angemessen zu bewerten

• Fähigkeit, den eigenen Willen auf der Grundlage von Verständnis, Verarbeitung und Bewertung der Information zu be- stimmen, zu äußern und danach zu handeln

kognitiveFähigkeiten

Affektivität

Reflexion,Planung

zielgerichtetesEntscheiden u.Realisieren

Neuro-psychologische

Funktionen

Sensorischer Cortex

Temporo-parietaler Cortex,

Hippocampi

Cingulum, Amygdalae

Frontalhirn

Basalganglien

Motorischer Cortex

Relevante Hirnregionen

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Notwendigkeit?

Der Weg durch innere und äußere Instanzen vor einem ärztlichen Eingriff

nein

Leitlinienkonform?

Indikationsbereich?

Umfang und Form der Aufklärung?

Bedenkzeit ?

Einwilligung des Patienten ? ja nein

Rechtserheblichkeit der

Einwilligung ?Rechtfertigender

Notstand ?

Rechtlicher Betreuer ?

nein

ja ja

Vorsorgevollmacht ?

ja

nein

ja nein

Einwilligung des Betreuers ? Eilverfahren?

ja

Richterliche Genehmigung notwendig ?

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• Behandlung, die gegen oder ohne den natürlichen Willen des Betroffenen erfolgt. Dabei werden seitens eines Dritten Handlungen entfaltet, die über das bloße Zu- und Überreden hinausgehen.

• Zwangsbehandlungen sind grundsätzlich eine ultima ratio.

Zwangsbehandlung (1)

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Sind im Einzelfall die Voraussetzungen für eine Zwangsbehandlung gegeben, ist der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten:

• Nach Prüfung von Geeignetheit, Erforderlich-keit und Angemessenheit ist das mildeste Mittel zur Erreichung eines bestimmten Zwecks zu wählen.

Zwangsbehandlung (2)

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• MRVG NW § 17 Abs. 3: Lebensgefahr oder schwerwiegende Gefahr für die Gesundheit des Patienten oder Gefahr für die Gesundheit anderer Personen

• PsychKG NRW § 18 Abs. 4: Lebensgefahr oder erhebliche Gesundheitsgefahr für Betroffenen oder Dritten

• StGB § 323 c: Notfallbehandlung bei Unglücksfall oder gemeiner Gefahr oder Not

Gesetzesgrundlagen für Zwangsbehandlungen

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Ärztliche Dokumentation – Juristische Mindestanforderungen (I)

• Umstände und Sachverhalt der Kontaktaufnahme

• Eigen- und fremdanamnestische Angaben (aktuellen Situation, psychische u. somatischen Grunderkrankungen)

• Ärztlichen Untersuchungsbefund einschließlich psychopathologischem Befund

(auch wichtige Negativbefunde)

• Kerndaten der Biographie

• Beurteilung von Eigen- oder Fremdgefährdung

• Beurteilung der Einsichtsfähigkeit

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• Differenzierte Überlegungen zu Diagnose und Therapieform

• Risikoabwägungen, Begründung der Entscheidung ambulante

vs. stationärer Behandlung • Art und Umfang der durchgeführten Aufklärung (z.B. wichtige Medikamentennebenwirkungen, ggf. Einschränkung der Fahrtauglichkeit)

• Einwilligung des Patienten bzw. bei fehlender Einwilligungs- fähigkeit: Einwilligung des Betreuers oder gesetzlichen Rechtfertigungsgrund

• Bei längerer Behandlung regelmäßige detaillierte Verlaufseinträge

modifiz. aus: W. Gaebel et al. 2002 Diagnostik und Therapie psychischer Störungen

Ärztliche Dokumentation – Juristische Mindestanforderungen (II)

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Akteneinsicht

• Befunde und Befundberichte• Unterlagen, in denen Eingriffe in die Rechte des

Patienten festgehalten und begründet sind

Psychiatrischer Patient hat Recht auf weitreichende, ggf.

auch umfassende Einsicht in die Krankenakte.

• Subjektive Beurteilungselemente des Arztes oder Psychotherapeuten

• Schützenswerte Interessen Dritter

Insbesondere:

Ausgenommen:

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Dodegge, Zimmermann. PsychKG NRW. Boorberg Verlag, 2. Auflage, 2003.

Gaebel, Müller-Spahn.Diagnostik und Therapie psychischer Störungen. Kohlhammer, 2002.

Jürgens, Kröger, Marschner, Winterstein. Betreuungsrecht kompakt. C. H. Beck Verlag, 6. Auflage, 2007.

N. Nedopil. Forensische Psychiatrie. Thieme Verlag, 3. Auflage, 2007.

Literatur