24
1. Anatomie 1 Zellen • Gewebe und Organe • Organsysteme • Äußere und innere Barrieren • Anatomie und Krankheit 2. Genetik 7 X-Chromosom-Inaktivierung • Genetische Abweichungen • Gentechnologie 3. Körperliche Veränderungen im Alter 12 Theorien des Alterns • Körperliche Veränderungen • Krankheitsfolgen 4. Sterben und Tod 15 Den Tod vorhersagen • Zeitlicher Ablauf des Sterbens • Entscheidungen treffen • Sich damit abfinden • Sym- ptome bei einer tödlichen Krankheit • Wenn der Tod naht • Nach dem Tod • Auswirkungen auf die Familie 1 ABSCHNITT 1 Grundlagen Zur Biologie gehören die Wissenschaften Anatomie und Physiologie. Anatomie ist die Lehre vom Aufbau, Physio- logie die Lehre von den Funktionen der Lebewesen. Der Aufbau von Lebewesen ist vielschichtig. Deshalb unterteilt man die Anatomie: von den kleinsten Bestand- teilen der Zellen bis zu den größten Organen und ihren Wechselwirkungen mit anderen Organen. Unter makro- skopischer Anatomie versteht man zum Beispiel das Studi- um des menschlichen Körpers mit dem bloßen Auge bei Untersuchungen und Obduktionen. Die Lehre von den Zellen (Zytologie) beschäftigt sich mit den Zellen und ihren Bestandteilen. Um sie zu studieren, sind Instrumen- te wie Mikroskope und besondere Beobachtungsmetho- den erforderlich. Zellen Die Zelle wird oft für die kleinste Einheit eines Lebewe- sens gehalten, aber sie selbst ist aus vielen noch kleineren Teilen aufgebaut, die alle eine bestimmte Aufgabe erfül- len. Menschliche Zellen unterscheiden sich zwar in ihrer Größe, sind aber grundsätzlich alle ziemlich klein. Selbst die größte von ihnen, eine befruchtete Eizelle, ist mit dem bloßen Auge nicht sichtbar. Menschliche Zellen sind von einer Membran umgeben. Diese Zellwand ist aber nicht nur eine Hülle. Sie hat Re- zeptoren, mit denen sich die Zelle anderen Zellen gegen- über ausweist. Diese Rezeptoren reagieren auf Arzneimit- tel und auf Stoffe, die der Körper produziert; sie regeln, wieviel die Zelle von diesen Stoffen aufnimmt oder abgibt. Reaktionen, die an den Rezeptoren ablaufen, ändern oder kontrollieren häufig die Funktionen der Zelle. Die beiden Hauptbestandteile innerhalb der Zellmem- bran sind das Zytoplasma und der Zellkern. Das Zytoplas- ma enthält Bestandteile, die Energie aufnehmen und um- wandeln und die Aufgaben der Zelle ausführen. Der Zell- kern enthält das genetische Material der Zelle und die Bestandteile, die für Zellteilung und Fortpflanzung zustän- dig sind. Der Körper besteht aus vielen verschiedenen Zelltypen, die sich in Aufbau und Funktion unterscheiden. Manche, wie die weißen Blutkörperchen, bewegen sich frei, ohne Verbindung zu anderen Zellen. Andere, wie die Muskel- zellen, sind fest mit den Nachbarzellen verbunden. Haut- zellen zum Beispiel teilen und reproduzieren sich häufig; Nervenzellen vermehren sich überhaupt nicht. Drüsen- zellen haben vor allem die Aufgabe, komplexe Stoffe, wie Hormone oder Enzyme, herzustellen. So produzieren die Anatomie KAPITEL 1

Grundlagen - bücher.de

  • Upload
    others

  • View
    6

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Grundlagen - bücher.de

1. Anatomie 1

Zellen • Gewebe und Organe • Organsysteme •Äußere und innere Barrieren • Anatomie und Krankheit

2. Genetik 7

X-Chromosom-Inaktivierung • GenetischeAbweichungen • Gentechnologie

3. Körperliche Veränderungen im Alter 12

Theorien des Alterns • Körperliche Veränderungen •Krankheitsfolgen

4. Sterben und Tod 15

Den Tod vorhersagen • Zeitlicher Ablauf des Sterbens• Entscheidungen treffen • Sich damit abfinden • Sym-ptome bei einer tödlichen Krankheit • Wenn der Todnaht • Nach dem Tod • Auswirkungen auf die Familie

1ABSCHNITT 1

Grundlagen

Zur Biologie gehören die Wissenschaften Anatomie undPhysiologie. Anatomie ist die Lehre vom Aufbau, Physio-logie die Lehre von den Funktionen der Lebewesen.

Der Aufbau von Lebewesen ist vielschichtig. Deshalbunterteilt man die Anatomie: von den kleinsten Bestand-teilen der Zellen bis zu den größten Organen und ihrenWechselwirkungen mit anderen Organen. Unter makro-skopischer Anatomie versteht man zum Beispiel das Studi-um des menschlichen Körpers mit dem bloßen Auge beiUntersuchungen und Obduktionen. Die Lehre von denZellen (Zytologie) beschäftigt sich mit den Zellen undihren Bestandteilen. Um sie zu studieren, sind Instrumen-te wie Mikroskope und besondere Beobachtungsmetho-den erforderlich.

Zellen

Die Zelle wird oft für die kleinste Einheit eines Lebewe-sens gehalten, aber sie selbst ist aus vielen noch kleinerenTeilen aufgebaut, die alle eine bestimmte Aufgabe erfül-len. Menschliche Zellen unterscheiden sich zwar in ihrerGröße, sind aber grundsätzlich alle ziemlich klein. Selbstdie größte von ihnen, eine befruchtete Eizelle, ist mit dembloßen Auge nicht sichtbar.

Menschliche Zellen sind von einer Membran umgeben.Diese Zellwand ist aber nicht nur eine Hülle. Sie hat Re-zeptoren, mit denen sich die Zelle anderen Zellen gegen-über ausweist. Diese Rezeptoren reagieren auf Arzneimit-tel und auf Stoffe, die der Körper produziert; sie regeln,wieviel die Zelle von diesen Stoffen aufnimmt oder abgibt.Reaktionen, die an den Rezeptoren ablaufen, ändern oderkontrollieren häufig die Funktionen der Zelle.

Die beiden Hauptbestandteile innerhalb der Zellmem-bran sind das Zytoplasma und der Zellkern. Das Zytoplas-ma enthält Bestandteile, die Energie aufnehmen und um-wandeln und die Aufgaben der Zelle ausführen. Der Zell-kern enthält das genetische Material der Zelle und dieBestandteile, die für Zellteilung und Fortpflanzung zustän-dig sind.

Der Körper besteht aus vielen verschiedenen Zelltypen,die sich in Aufbau und Funktion unterscheiden. Manche,wie die weißen Blutkörperchen, bewegen sich frei, ohneVerbindung zu anderen Zellen. Andere, wie die Muskel-zellen, sind fest mit den Nachbarzellen verbunden. Haut-zellen zum Beispiel teilen und reproduzieren sich häufig;Nervenzellen vermehren sich überhaupt nicht. Drüsen-zellen haben vor allem die Aufgabe, komplexe Stoffe, wieHormone oder Enzyme, herzustellen. So produzieren die

Anatomie

KAPITEL 1

01 MerckUmbr.001- 09.02.2004 10:40 Uhr Seite 1

Page 2: Grundlagen - bücher.de

Grundlagen2

Schild-drüse

Luftröhre

Obere Hohlvene(Vena cava superior)

Lunge

Leber

Untere Hohlvene(Vena cava inferior)

Gallenblase

Niere

Harnleiter

Blinddarm

Blase

Harnröhre

Haupt-schlag-ader (Aorta)

Herz

Speise-röhre

Zwerchfell

Haupt-schlag-ader

Milz

Magen

Bauch-speichel-drüse

Dünndarm

Dickdarm

Enddarm

Das Innere des Körpers

01 MerckUmbr.001- 09.02.2004 10:40 Uhr Seite 2

Page 3: Grundlagen - bücher.de

Anatomie 3

Beispiele verschiedener Zellen

Epithel-zelle

Muskel-zelle

Nerven-zelle

Bindegewebe-zelle

Zytoplasma

Golgi-Apparat

Zentral-körperchen

Endo-plasmatischesRetikulum

Ribosomen

Zellkern

Chromosomen

Lysosomen

Kernkörperchen

Mitochondrion

Zellmembran

Das Innere einer Zelle

Es gibt zwar verschiedene Zelltypen, aber die meistenZellen haben die gleichen Bestandteile. Eine Zelle hateinen Kern (Nukleus) und Zytoplasma und ist von einerZellmembran umgeben. Die Membran steuert, was indie Zelle hinein- und was herausdarf. Der Kern steuertdie Produktion von Eiweißen. Er enthält Chromosomen(das Erbmaterial der Zelle) und ein Kernkörperchen(Nukleolus), das Ribosomen herstellt. Das Zytoplasmabesteht aus flüssigem Material und Organellen, dieman als die Organe der Zelle ansehen kann. Das endo-

plasmatische Retikulum transportiert Material innerhalbder Zelle. Ribosomen stellen Eiweiße her, die der Golgi-Apparat »zusammenpackt«, damit sie die Zelle verlas-sen können. Mitochondrien erzeugen die Energie, diedie Zelle für ihre Aktivitäten braucht. Die Enzyme in den Lysosomen können Partikel abbauen, die in dieZelle eindringen. Bestimmte weiße Blutkörperchenumschließen zum Beispiel Bakterien, die dann vondiesen Enzymen zerlegt werden. Zentralkörperchensind an der Zellteilung beteiligt.

01 MerckUmbr.001- 09.02.2004 10:40 Uhr Seite 3

Page 4: Grundlagen - bücher.de

Zellen der Brustdrüsen Milch, die der BauchspeicheldrüseInsulin, die der Lungenschleimhaut Schleim und die imMund Speichel. Andere Zellen sind nicht dafür da, Sub-stanzen herzustellen; Muskel- und Herzmuskelzellen zumBeispiel ziehen sich zusammen. Nervenzellen leiten elek-trische Impulse weiter und ermöglichen so die Verständi-gung zwischen dem Zentralnervensystem (Gehirn undRückenmark) und dem restlichen Körper.

Gewebe und Organe

Miteinander verbundene Zellen bezeichnet man als Ge-webe. Die Zellen in einem Gewebe sind nicht unbedingtgleich, aber sie arbeiten zusammen, um bestimmte Aufga-ben zu erfüllen. Entnimmt man dem Körper eine Gewebe-probe, um einen bestimmten Zelltyp unter dem Mikroskopzu betrachten, sind in der Probe auch andere Zelltypen zuerkennen.

Bindegewebe ist das feste, oft faserige Gewebe, das denKörper zusammenhält und stützt. Es ist in fast jedem Or-gan vorhanden und bildet einen großen Teil der Haut,Muskeln und Sehnen. Die Eigenschaften des Bindegewe-bes und die darin enthaltenen Zelltypen hängen von derLage des Gewebes im Körper ab.

Organe erfüllen die Funktionen des Körpers. Jedes Or-gan hat einen unverwechselbaren Aufbau, der es ihm er-möglicht, bestimmte Funktionen zu erfüllen – zum Bei-spiel Herz, Lunge, Leber, Augen und Magen. Ein Organ be-steht aus verschiedenen Gewebelagen und damit auchaus verschiedenen Zelltypen. Das Herz enthält zum Bei-spiel Muskelgewebe, das sich zusammenzieht und dadurchBlut durch die Adern pumpt, Fasergewebe, das die Herz-klappen öffnet, und besondere Zellen, die die Geschwin-digkeit und den Rhythmus des Herzschlags steuern. ImAuge sorgen Muskelzellen dafür, daß sich die Pupille öff-net und schließt. Es gibt im Auge Zellen, die Flüssigkeitproduzieren und Licht wahrnehmen, und Nervenzellen,die Impulse zum Gehirn weiterleiten.Die Zellen von Linseund Hornhaut sind sogar durchsichtig. Selbst ein so einfa-ches Organ wie die Gallenblase besteht aus verschiedenenZelltypen. Die einen bilden eine Schutzschicht gegen dieReizwirkung der Gallenflüssigkeit, die anderen formen diefaserige Außenhülle, die alles zusammenhält. Muskelzel-len ziehen sich zusammen, um Gallenflüssigkeit auszu-stoßen.

Organsysteme

Obwohl jedes Organ eine bestimmte Aufgabe zu erfüllenhat, ist es auch Teil einer Gruppe, des sogenannten Organ-systems. Das Organsystem ist die organisatorische Einheit,nach der die medizinische Lehre aufgebaut ist, Krankhei-

ten eingeteilt und Behandlungsmethoden geplant wer-den. Auch dieses Buch baut zum größten Teil auf denOrgansystemen auf.

Ein Beispiel für ein Organsystem ist das Herz-Kreislauf-System, zu dem das Herz und die Blutgefäße gehören. DasHerz-Kreislauf-System ist für den Blutkreislauf zuständig.Das Verdauungssystem reicht vom Mund bis zum After; inihm finden die Aufnahme und Verdauung von Nahrungs-mitteln und das Ausscheiden der Abbaustoffe statt. Zu die-sem System gehören außer dem Magen auch Dünn- undDickdarm, die die aufgenommene Nahrung weitertrans-portieren, und Organe wie Bauchspeicheldrüse, Leberund Gallenblase, die Verdauungsenzyme produzieren,Giftstoffe aus dem Blut filtern und für die Verdauung wich-tige Substanzen einlagern. Zum Bewegungsapparat gehö-ren Knochen, Muskeln, Bänder, Sehnen und Gelenke, dieden Körper stützen und bewegen.

Selbstverständlich funktioniert ein Organsystem nichtunabhängig von anderen. So braucht zum Beispiel das Ver-dauungssystem nach einem ausgiebigen Essen sehr vielBlut, um seine Aufgabe zu erfüllen. Daher nimmt es dieHilfe des Herz-Kreislauf-Systems und des Nervensystemsin Anspruch. Die Blutgefäße des Verdauungssystems wei-ten sich, um mehr Blut zu transportieren. Nervenimpulseinformieren das Gehirn über die zusätzliche Arbeit. DurchNervenimpulse und chemische Substanzen, die ins Blutabgegeben werden, beeinflußt das Verdauungssystem so-gar die Herztätigkeit. Das Herz reagiert, indem es mehrBlut pumpt, das Gehirn reagiert mit Sättigungsgefühl undverringertem Bewegungsdrang.

Die Verständigung zwischen Organen und Organsyste-men ist lebenswichtig. Sie gestattet dem Körper, die Aufga-ben jedes einzelnen Organs den Bedürfnissen des ganzenKörpers anzupassen. Das Herz muß wissen, wann sich derKörper ausruht, damit es langsamer schlägt, oder wann dieOrgane mehr Blut benötigen, damit es schneller pumpt.Die Nieren müssen wissen, wann der Körper zuviel Flüs-sigkeit enthält, damit sie mehr Urin ausscheiden, oderwann er unter Flüssigkeitsmangel leidet, damit sie Wasserzurückhalten können.

Durch diese Kommunikation hält sich der Körper imGleichgewicht. Dieses Konzept nennt man Homöostase.Sie sorgt dafür, daß die Organe weder zuviel noch zuwe-nig arbeiten und sich gegenseitig unterstützen.

Die Verständigung innerhalb des Körpers, mit der dieHomöostase aufrecht erhalten wird, läuft über das Nerven-system oder chemische Reize. Das vegetative Nervensystemsteuert zum großen Teil dieses umfangreiche Netzwerk,das seinerseits die Körperfunktionen reguliert. Dieser Teildes Nervensystems funktioniert automatisch, wir müssennicht darüber nachdenken und spüren kaum etwas da-von. Die chemischen Stoffe, die die Nachrichten übermit-

Grundlagen4

01 MerckUmbr.001- 09.02.2004 10:40 Uhr Seite 4

Page 5: Grundlagen - bücher.de

teln, nennt man Botenstoffe (Transmitter). Botenstoffe, dieein Organ produziert und die dann durch das Blut zu ei-nem anderen Organ gelangen, heißen Hormone. Boten-stoffe, die Nachrichten zwischen verschiedenen Teilendes Nervensystems übermitteln, nennt man Neuro-transmitter.

Einer der bekanntesten Botenstoffe ist das Hormon Ad-renalin (Epinephrin). Wenn ein Mensch plötzlich Angst be-kommt oder unter Streß steht, schickt das Gehirn schnelleine Botschaft an die Nebennieren, die sofort Adrenalinfreisetzen. In kürzester Zeit versetzt dieser chemische Stoffden gesamten Körper in Alarmbereitschaft. Diese Reak-

tion wird Flucht- oder Kampfreaktion genannt. Das Herzschlägt schneller und kräftiger, die Pupillen vergrößernsich, damit mehr Licht einfällt, der Atem geht schneller,und das Verdauungssystem verringert seine Tätigkeit,damit den Muskeln mehr Blut zur Verfügung steht. DieseWirkung tritt sehr schnell ein und ist sehr stark.

Andere chemische Verständigungsmöglichkeiten sindweniger dramatisch, aber genauso wirkungsvoll. Leidet derKörper zum Beispiel unter Flüssigkeitsmangel, zirkuliertweniger Blut durch das Herz-Kreislauf-System. Rezeptorenin den Halsarterien registrieren, daß das Blutvolumen ver-ringert ist. Sie senden dann durch die Nerven Impulse zur

Anatomie 5

System Organe im System

Herz-Kreislauf- • HerzSystem • Blutgefäße (Arterien,

Kapillaren, Venen)

Atmungsapparat • Nase• Mund• Rachen• Kehlkopf• Luftröhre• Bronchien• Lunge

Nervensystem • Gehirn• Rückenmark• Nerven

Haut • Haut

Bewegungsapparat • Muskeln• Sehnen und Bänder• Knochen• Gelenke

Blut • Blutzellen undBlutplättchen

• Plasma (flüssiger Teildes Blutes)

• Knochenmark (in demBlutzellen produziertwerden)

• Milz• Thymusdrüse

System Organe im System

Verdauungsapparat • Mund• Speiseröhre• Magen• Dünndarm• Dickdarm• Leber• Gallenblase• Bauchspeicheldrüse

(der enzymprodu-zierende Teil)

Hormonsystem • Schilddrüse• Nebenschilddrüsen• Nebennieren• Bauchspeicheldrüse

(der hormonprodu-zierende Teil)

Harnorgane • Nieren• Harnleiter• Blase• Harnröhre

Männliche • PenisGeschlechtsorgane • Prostata

(Vorsteherdrüse)• Samenbläschen• Samenleiter• Hoden

Weibliche • ScheideGeschlechtsorgane • Muttermund

• Gebärmutter• Eileiter• Eierstöcke

Hauptorgansysteme

01 MerckUmbr.001- 09.02.2004 10:40 Uhr Seite 5

Page 6: Grundlagen - bücher.de

Hirnanhangdrüse (Hypophyse), die daraufhin antidiure-tisches Hormon produziert. Dieses Hormon veranlaßt dieNieren, weniger Urin zu produzieren und mehr Wasserzurückzuhalten. Gleichzeitig erzeugt das Gehirn Durstge-fühl, damit die Person etwas trinkt.

Der Körper hat zudem noch eine Gruppe von Organen– das Hormonsystem –, dessen Hauptaufgabe es ist, Hor-mone herzustellen, die die Funktionen anderer Organesteuern. Zum Beispiel produziert die Schilddrüse Hormo-ne, die den Grundumsatz steuern, also die Geschwindig-keit, mit der die chemischen Reaktionen im Körper ablau-fen. Die Bauchspeicheldrüse produziert Insulin, das dieVerwertung von Zucker kontrolliert, und die Nebennierenproduzieren Adrenalin, das viele Organe darauf vorbe-reitet, mit Streß fertig zu werden.

Äußere und innere Barrieren

Der Körper hat viele Oberflächen, und manchmal ist esschwierig zu entscheiden, was innerhalb und was außer-halb des Körpers liegt. Die Haut – ein Organsystem –schützt den Körper offensichtlich vor dem Eindringen vie-ler schädlicher Substanzen. Und obwohl der Gehörgangvon einer dünnen Schicht Haut bedeckt ist, geht mandavon aus, daß er innerhalb des Körpers liegt, weil er bistief in den Kopf hineinführt. Das Verdauungssystem ist einlanger Schlauch, der im Mund beginnt, sich durch denganzen Körper windet und am After endet. Befindet sichNahrung, die auf ihrem Weg durch diesen Schlauch vomKörper teilweise aufgenommen wird, innerhalb oderaußerhalb des Körpers? Nährstoffe und Flüssigkeiten sinderst dann wirklich im Körper, wenn sie in den Blutkreis-lauf aufgenommen wurden.

Die Luft findet ihren Weg durch Nase und Hals in dieLuftröhre (Trachea) und von dort in das verzweigte Sy-stem der Lunge (Bronchien). Wo auf diesem Weg ist derÜbergang von außen zu innen? Sauerstoff in der Lungenützt dem Körper erst dann, wenn er in den Blutkreislaufgelangt. Dazu muß er eine dünne Zellschicht durchdrin-gen, die die Lunge auskleidet. Diese Schicht dient als Bar-riere gegen Viren und Bakterien, zum Beispiel gegen dieErreger der Tuberkulose, die beim Einatmen in die Lungegeraten können. Solange es den Erregern nicht gelingt, indiese Zellen oder in den Blutkreislauf einzudringen, verur-sachen sie keine Krankheit. Da die Lunge über sehr vieleAbwehrmechanismen verfügt – wie Antikörper, die Infek-tionen bekämpfen, und Flimmerhärchen, die das Über-flüssige aus den Atemwegen entfernen –, lösen die mei-sten Erreger keine Krankheit aus.

Körperoberflächen trennen nicht nur innen und außen,sondern sorgen auch dafür, daß im Körper alles an sei-nem Platz bleibt und richtig funktionieren kann. Innere

Organe schwimmen zum Beispiel nicht in Blut; Blut befin-det sich normalerweise nur in den Blutgefäßen. Wenn eszu einer Blutung kommt – also Blut aus den Gefäßen aus-tritt –, wird nicht nur das Gewebe geringer mit Nährstof-fen und Sauerstoff versorgt, es kann auch zu schwerenSchäden kommen. Schon eine sehr kleine Blutung im Ge-hirn zerstört Gehirnzellen, denn der Schädel, die knöcher-ne Hülle des Gehirns, hat keinen Spielraum, um sich aus-zudehnen. Andererseits wird kein Gewebe zerstört, wenndie gleiche Blutmenge in den Bauchraum austritt.

Speichel, der im Mund so wichtig ist, kann schwerenSchaden anrichten, wenn er eingeatmet wird. Die vomMagen produzierte Salzsäure schadet dem Magen nurselten. Die Säure kann jedoch die Speiseröhre verätzen,wenn sie dorthin fließt, oder andere Organe schädigen,wenn sie die Magenwand durchdringt. Kot besteht ausunverdauten Nahrungsbestandteilen, die durch den Afterausgeschieden werden. Er kann lebensbedrohliche Infek-tionen auslösen, wenn er durch die Darmwand in dieBauchhöhle gelangt.

Anatomie und Krankheit

Der menschliche Körper ist erstaunlich gut konstruiert.Die meisten Organe verfügen über Reserven oder zusätz-liche Kapazitäten und funktionieren auch dann noch aus-reichend, wenn sie geschädigt sind. Erst wenn zwei Drittelder Leber zerstört sind, treten schwere Folgen auf, und einMensch überlebt die Entfernung eines Lungenflügels, so-lange der andere normal funktioniert. Andere Organe sinddagegen weit anfälliger für Schäden. Wenn zum Beispieldurch einen Gehirnschlag ein kleiner Teil wichtigen Ge-hirngewebes zerstört wird, können Arm oder Bein gelähmtwerden, das Gleichgewicht gestört sein oder die Sprach-fähigkeit verlorengehen. Ein Herzinfarkt, bei dem ein Teildes Herzmuskels abstirbt, kann die Funktion des Herzensminimal beeinträchtigen, aber auch zum Tod führen.

Krankheiten beeinträchtigen den Aufbau des Körpers,und solche Veränderungen können Krankheiten verursa-chen. Wucherungen wie Krebs zerstören das Gewebe ent-weder direkt, oder sie erzeugen Druck, der das Gewebezerstört. Wenn die Blutversorgung des Gewebes blockiertoder abgeschnitten ist, stirbt es ab (Infarkt) – wie beimHerzinfarkt (Myokardinfarkt) oder Schlaganfall (Gehirn-infarkt).

Methoden, mit denen man in den Körper hineinsehenkann, sind daher für Diagnose und Behandlung vonKrankheiten immer wichtiger geworden. Den erstenDurchbruch brachten die Röntgenstrahlen, durch die Ärz-te das Innere des Körpers und Organe ohne Operation be-trachten konnten. Ein weiterer großer Fortschritt war dieComputertomographie (CT), bei der Röntgenstrahlen mit

Grundlagen6

01 MerckUmbr.001- 09.02.2004 10:40 Uhr Seite 6

Page 7: Grundlagen - bücher.de

dem Computer verbunden werden. Eine Computertomo-graphie erzeugt detaillierte, zweidimensionale Bilder desKörperinneren.

Weitere Möglichkeiten, Bilder des Körperinneren zu er-halten, sind die Ultraschalluntersuchung mittels Schallwel-len, die Kernspintomographie (NMR), die sich die Bewe-gung von Atomen innerhalb eines magnetischen Feldeszunutze macht, und die Szintigraphie, bei der radioaktivmarkierte Chemikalien in den Körper injiziert werden.Röntgen, CT, Ultraschall und NMR sind nichtinvasive Me-thoden, in den Körper hineinzusehen; immer jedoch,

wenn man die Körpergrenze durchbricht, wie zum Bei-spiel bei einer Injektion oder einer Operation, spricht manvon einer invasiven Methode.

Anatomie in diesem Buch

Da die Anatomie für die Medizin so wichtig ist, beginntfast jeder Abschnitt dieses Buches mit der Beschreibungdes Organsystems und seines Aufbaus. Die Zeichnungenim Buch konzentrieren sich auf den Teil der Anatomie, umden es im Text geht.

Genetik 7

Genetik

KAPITEL 2

Das menschliche Erbgut ist im Zellkern einer jeden Kör-perzelle enthalten. Dieses genetische Material besteht ausverknäuelter DNA (Desoxyribonukleinsäure), die in kom-plexer Weise angeordnet ist und die Chromosomen bildet.Menschliche Zellen enthalten 46 Chromosomen zu Paa-ren, also 23 Chromosomenpaare, – ein Paar Geschlechts-chromosomen eingeschlossen.

Jedes DNA-Molekül besteht aus einer langen Doppel-schraube (Doppelhelix), die wie eine spiralig verdrehteStrickleiter aussieht. Die Stufen dieser Leiter, die den gene-tischen Code eines Menschen bestimmen, bestehen ausPaaren von vier unterschiedlichen Molekülen, den Basen.Als Stufen sind Adenin mit Thymin und Zytosin mit Gua-nin verbunden. Der genetische Code wird in Triplettsgeschrieben. Jeweils drei Stufen der Leiter kodieren dieProduktion einer bestimmten Aminosäure. Aminosäurensind die Bausteine der Eiweiße (Proteine).

Wenn ein Teil des DNA-Moleküls aktiv Zellfunktionensteuert, spaltet sich die Helix der Länge nach reißver-schlußartig in zwei Stränge auf. Ein Strang ist inaktiv; derandere dient als Schablone für einen RNA-(Ribonukle-insäure)Strang, der sich komplementär dazu bildet. DieRNA-Basen werden nach und nach in der gleichen Rei-henfolge wie in dem inaktiven DNA-Strang angeordnet,nur tritt in der RNA die Base Urazil an die Stelle von Thy-min. Diese RNA, die man als Boten-RNA (m-RNA, Mes-senger-RNA) bezeichnet, löst sich ab und wandert ausdem Zellkern ins Zytoplasma. Dort lagert sie sich an Ribo-somen an. Ribosomen sind die Eiweißfabriken der Zelle.Die Boten-RNA veranlaßt das Ribosom, entsprechend derAminosäurensequenz ein spezielles Eiweiß zu produzie-

ren. Die Aminosäuren werden durch sogenannte Transfer-RNA (t-RNA) zu den Ribosomen geschafft. Die Transfer-RNA ist eine viel kleinere RNA. Jedes Transfer-RNA-Molekül trägt nur eine Aminosäure, die dann an die wach-sende Eiweißkette angehängt wird.

Ein Gen enthält den Code, der für den Aufbau eines Ei-weißes nötig ist. Je nach Größe des Eiweißes ist auch derUmfang der Gene unterschiedlich. Die Gene sind in einerfesten Reihenfolge auf den Chromosomen angeordnet.Die Lage eines speziellen Gens auf dem Chromosom wirdals sein »Locus« bezeichnet.

Die beiden Geschlechtschromosomen legen fest, obein Fetus weiblich oder männlich wird. Männer haben einX- und ein Y-Chromosom und Frauen zwei X-Chromoso-men, von denen nur eins aktiv ist. Das Y-Chromosom trägtnur relativ wenig Gene; eines davon ist geschlechtsbestim-mend. Bei Männern treten alle auf dem X-Chromosom lie-genden Gene, ob dominant oder rezessiv, auch im Er-scheinungsbild auf. Gene auf dem X-Chromosom werdenals geschlechtsgebunden oder X-gebunden bezeichnet.

X-Chromosom-Inaktivierung

Da Frauen zwei X-Chromosomen besitzen, verfügen sieauch über die doppelte Anzahl von X-Chromosom-Genen.Das käme einem Überangebot an manchen Genen gleich.Also wird – so nimmt man an – in einem sehr frühen feta-len Stadium in allen Körperzellen ein X-Chromosom lahm-gelegt. Ausgenommen sind davon die Eizellen in den Eier-stöcken. Das inaktive X-Chromosom kann man im Zell-kern als »Barr-Körper« unter dem Mikroskop erkennen.

01 MerckUmbr.001- 09.02.2004 10:40 Uhr Seite 7

Page 8: Grundlagen - bücher.de

Die Inaktivierung eines X-Chromosoms erklärt einigeBeobachtungen: So bewirkt zum Beispiel ein zusätzlichesX-Chromosom erheblich geringfügigere Fehlbildungen alsein zusätzliches anderes (autosomales) Chromosom –egal, wie viele zusätzliche X-Chromosomen ein Mensch

besitzt, bis auf eines scheinen sie alle inaktiviert zu wer-den. Frauen mit drei X-Chromosomen (Triplo-X-Syndrom)sind geistig und körperlich meist normal. ▲ Dagegenkann ein zusätzliches autosomales Chromosom schwerstebis tödliche Störungen im fetalen Entwicklungsstadiumhervorrufen. Ein Neugeborenes mit einem zusätzlichenautosomalen Chromosom (Trisomie) hat normalerweiseeine ganze Reihe schwerer körperlicher und geistigerFehlbildungen. ■ Dementsprechend ist das Fehlen einesautosomalen Chromosoms für den Fetus immer tödlich,während das Fehlen eines X-Chromosoms (Turner-Syn-drom) relativ geringfügige Fehlbildungen hervorruft. ★

Grundlagen8

▲ Siehe Seite 1235

■ Siehe Seite 1235

★ Siehe Seite 1235

DNA Doppelhelix

Stränge

Phosphat

Wasserstoff-verbindungen

Zucker

Zelle Kernkörperchen Chromatin Zellkern

Chromosom

Basen-paare:

Zytosin

Guanin

Basen-paare:

Thymin

Adenin

DNA-Struktur

DNA (Desoxyribonukleinsäure) ist das Genmaterial derZelle. Es befindet sich in einem locker verknäuelten, fädi-gen Wirrwarr, das Chromatin heißt, im Kern einer jedenZelle. Kurz vor einer Zellteilung wird die Verknäuelungenger, und es bilden sich Chromosomen heraus.

Das DNA-Molekül ist eine verknäuelte lange Doppel-helix, die aussieht wie eine spiralig verdrehte Strickleiter. In ihr sind zwei aus Zucker- und Phosphatmolekülen zu-sammengesetzte Stränge durch vier Moleküle miteinanderverbunden, die Basenpaare bilden. Die Basenpaare sindAdenin mit Thymin und Guanin mit Zytosin. Sie bilden dieSprossen der Leiter. Jedes Paar dieser Basen wird durcheine Wasserstoffbrücke zusammengehalten. Ein Gen istein Teilstück der DNA mit einer besonderen Aufgabe undbesteht aus einer festgelegten Basenabfolge (Sequenz).

01 MerckUmbr.001- 09.02.2004 10:40 Uhr Seite 8

Page 9: Grundlagen - bücher.de

Genetische Abweichungen

Veränderungen bei einem oder mehreren Genen kom-men, besonders bei rezessiven Genen, relativ häufig vor.Jeder Mensch hat sechs bis acht veränderte rezessiveGene. Sie können die Zellen aber nicht veranlassen, an-ders zu funktionieren, solange kein entsprechendes zwei-tes rezessives Gen vorhanden ist. In der üblichen Bevölke-rung kommt es nur selten vor, daß zwei gleiche rezessiveGene in einer Person zusammentreffen. Bei den Kindernnaher Verwandter ist das dagegen schon eher der Fall. Dasgleiche gilt für Gruppen, die nur untereinander heiraten,wie die Amisch oder die Mennoniten.

Die genetische Ausstattung eines Menschen nennt manden Genotyp. Das körperliche Erscheinungsbild entspre-chend diesem Genotyp heißt Phänotyp.

Alle vererbten Eigenschaften sind genetisch verschlüs-selt. In manchen Merkmalen, wie zum Beispiel der Haar-farbe, unterscheiden sich die Menschen einfach vonein-ander; das wird nicht als Abweichung angesehen. Aller-dings können Eigenschaften, die durch ein verändertesGen hervorgerufen sind, Erbkrankheiten bedingen.

Abweichung eines einzelnen GensDie Effekte, die ein einzelnes verändertes Gen auslöst,hängen davon ab, ob es dominant oder rezessiv ist und obes auf dem X-Chromosom liegt (X-gebunden). Da jedesGen den Aufbau eines ganz bestimmten Eiweißes bedingt,bewirkt ein abweichendes Gen den Bau eines falschen Ei-weißes oder der falschen Menge. Das wiederum führt zuStörungen in Zellaufbau und Zellfunktion. Daraus resultie-ren dann Defekte im körperlichen Erscheinungsbild oderin den Körperfunktionen.

Nicht X-gebundene GeneDie Effekte, die ein defektes dominantes Gen auf einemautosomalen Chromosom auslöst, können Fehlbildung,Krankheit oder die Veranlagung für gewisse Krankheitensein.

Die folgenden Regeln gelten im allgemeinen für Merk-male, die auf dominanten Genen beruhen:• Bei Menschen mit einem bestimmten Merkmal hat min-

destens ein Elternteil das gleiche Merkmal; es sei denn,daß es sich um das Ergebnis einer Mutation handelt.• Abweichende genetische Merkmale sind eher auf eineMutation als auf elterliches Erbgut zurückzuführen.• Besitzt ein Elternteil ein abweichendes Merkmal undder andere nicht, so liegt die Wahrscheinlichkeit, es zu er-ben oder nicht, für jedes Kind bei 50 Prozent. Hat der El-ternteil das Gen für das abweichende Merkmal allerdingsin doppelter Ausfertigung – was sehr selten vorkommt –,erben alle Kinder das Merkmal.• Ein Mensch, der ein abweichendes Merkmal nicht auf-weist, bei dessen Geschwistern es aber vorkommt, ist keinTräger dieses Gens und kann das Merkmal auch nicht anseine Nachkommen weitergeben.• Frauen und Männer sind gleich häufig betroffen.• Das abweichende Merkmal kann in jeder Generationauftauchen, und normalerweise tut es das auch.Die folgenden Regeln gelten im allgemeinen für Merkma-le, die auf rezessiven Genen beruhen:• Bei ausnahmslos jedem mit einem bestimmten Merk-mal tragen beide Elternteile das Gen für das Merkmal,auch wenn sie möglicherweise beide das Merkmal nichtaufweisen.• Daß eine Mutation sofort als Merkmal erscheint, isthöchst unwahrscheinlich.• Wenn ein Elternteil das Merkmal besitzt und der andereein rezessives Gen, aber nicht das Merkmal, dann wirdrein rechnerisch eine Hälfte der Kinder das Merkmal tra-gen, die andere wird zum sogenannten Überträger desrezessiven Gens. Fehlt dem Elternteil ohne Merkmal dasrezessive Gen, dann sind alle Kinder merkmalsfrei, habenaber alle das rezessive Gen und können es an ihre Nach-kommen weitergeben.• Bei einer Person, die kein abweichendes Merkmal hat,bei deren Geschwistern es aber auftaucht, ist es sehr wahr-scheinlich, daß sie ein einzelnes entsprechendes Genträgt.• Frauen und Männer sind gleich häufig betroffen.• Das abweichende Merkmal kann in jeder Generationauftauchen, tut es aber normalerweise nicht, wenn nichtbeide Elternteile Überträger sind, also wenigstens ein re-zessives Merkmalsgen besitzen.

Genetik 9

Beispiele genetischer Erkrankungen

Gene Dominant Rezessiv

Nicht X-gebunden Marfan-Syndrom, Chorea Huntington Mukoviszidose, Sichelzellenanämie

X-gebunden Familiengebundene Rachitis, Rot-Grün-Blindheit, Hämophilieerbliche Nierenentzündung

01 MerckUmbr.001- 09.02.2004 10:40 Uhr Seite 9

Page 10: Grundlagen - bücher.de

Dominante Gene, die schwere Krankheiten bedingen,sind selten. Sie pflegen sich selbst auszumerzen, denn diebetroffenen Menschen sind meist viel zu krank, um Kinderzu bekommen. Allerdings gibt es einige Ausnahmen, wiezum Beispiel Chorea Huntington ▲, bei der ein schwererVerfall der Gehirnfunktionen auftritt. Da die Symptome

normalerweise erst nach dem 35. Lebensjahr erscheinen,kann der oder die Betroffene bereits Kinder haben.

Rezessive Gene treten nur dann als Merkmal in Erschei-nung, wenn eine Person zwei solcher Gene hat. Eine Per-son mit nur einem rezessiven Gen bildet das Merkmalnicht aus, fungiert aber als Überträger, der das Gen an sei-ne Kinder weitergeben kann.

X-gebundene GeneDas Y-Chromosom von Männern trägt nur sehr wenigGene, daher sind die auf dem einzelnen X-Chromosom lie-genden Gene unpaarig und treten infolgedessen – gleich-gültig ob dominant oder rezessiv – als Merkmale in Er-scheinung. Da Frauen zwei X-Chromosomen haben, gel-ten für X-gebundene Gene die gleichen Regeln wie fürGene auf autosomalen Chromosomen: Außer wenn zweirezessive Gene ein Paar bilden, treten nur die Merkmale inErscheinung, die von den dominanten Genen hervorgeru-fen werden.

Wenn ein abweichendes X-gebundenes Gen dominantist, übertragen betroffene Männer die Abweichung aufalle ihre Töchter, aber auf keinen ihrer Söhne. Die Söhnebetroffener Väter übernehmen nur sein Y-Chromosom,und das ist ja frei von dem abweichenden Gen. BetroffeneFrauen mit nur einem abweichenden Gen übertragen dieAbweichung statistisch auf die Hälfte ihrer Kinder, gleich,ob weiblich oder männlich.

Wenn ein abweichendes X-gebundenes Gen rezessiv ist,dann sind fast nur Männer Träger des Merkmales. Männergeben das abweichende Gen nur an ihre Töchter weiter,die dadurch alle zu Überträgerinnen werden. Mütter, dieÜberträgerinnen sind, geben, ohne selbst das Merkmal zubesitzen, das Gen an die Hälfte ihrer Söhne weiter, diewiederum in der Regel das Merkmal haben. Keine ihrerTöchter besitzt das Merkmal, aber die Hälfte wird Überträ-gerin.

Die Rot-Grün-Blindheit, von der zehn Prozent der Män-ner, aber nur selten Frauen betroffen sind, beruht auf ei-nem X-gebundenen rezessiven Gen. Söhne erhalten dasGen für Farbenblindheit entweder von einer Mutter, diefarbenblind ist, oder von einer, die das Merkmal nicht hat,aber das Gen überträgt. Vom Vater kann es nicht kommen,da dieser ja das Y-Chromosom beisteuert. Töchter farben-blinder Väter sind selten selbst betroffen, aber immer Trä-gerinnen des Gens für Farbenblindheit.

Intermediärer ErbgangBeim intermediären Erbgang treten die zu beiden Genengehörenden Merkmale in Erscheinung. Ein Beispiel ist dieSichelzellenanämie: Wenn eine Person ein normales undein verändertes Gen hat, wird sowohl normaler als auchveränderter roter Blutfarbstoff (Hämoglobin) produziert.

Grundlagen10

▲ Siehe Seite 310

Normales Gen

Schlüssel

Verändertes Gen

Elternteil(Überträger)

Elternteil(Überträger)

Kind(Normal)

Kind(Überträger)

Kind(Überträger)

Kind(Krank)

Vererbung veränderter rezessiverGene

Manche Krankheiten sind auf ein verändertes rezes-sives Gen zurückzuführen. Damit die Krankheit zumAusbruch kommt, muß ein Mensch zwei dieser rezessi-ven Gene besitzen, von jedem Elternteil eins. Wennbeide Eltern ein normales und ein verändertes Gen ha-ben, sind sie frei von der Krankheit, können aber dasveränderte Gen an ihre Kinder weitergeben. Die Chan-ce, zwei veränderte Gene vererbt zu bekommen (unddamit die Krankheit), beträgt für jedes Kind 25 Prozent.Der gleiche Prozentsatz gilt für die Vererbung zweiernormaler Gene, während die Wahrscheinlichkeit, einnormales und ein verändertes Gen vererbt zu bekom-men (also Überträger zu werden, wie die Eltern), bei 50 Prozent liegt.

01 MerckUmbr.001- 09.02.2004 10:40 Uhr Seite 10

Page 11: Grundlagen - bücher.de

Genabweichungen in MitochondrienIn jeder Zelle gibt es Mitochondrien, kleine Strukturen, diedie Zelle mit Energie versorgen. Jedes Mitochondrium ent-hält ein ringförmiges Chromosom. Einige seltene Krank-heiten sind auf abgewandelte Gene zurückzuführen, dieauf diesem Chromosom im Mitochondrium liegen.

An der Entwicklung des Fetus in einem befruchteten Ei sind nur Mitochondrien aus der Eizelle beteiligt; alleMitochondrien der Samenzelle sind weggefallen. Alsowerden Krankheiten, die auf abweichenden Mitochon-drien-Genen beruhen, von der Mutter übertragen. EinMann mit solchen Genen kann keine der Krankheiten anseine Kinder weitergeben.

KrebsgeneKrebszellen enthalten möglicherweise Onkogene, alsoGene, die Krebs verursachen (Tumorgene). ▲ Manchmalsind Onkogene abgewandelte Versionen von Genen, diefür Wachstum und Entwicklung vor der Geburt verantwort-lich sind, nach der Geburt aber dauerhaft außer Funktiongesetzt werden. Diese Onkogene könnten im späterenLeben reaktiviert werden und Krebs verursachen. Aufwelche Weise diese Reaktivierung vor sich geht, ist nichtbekannt.

Genetik 11

▲ Siehe Seite 785

Schlüssel

Normales Gen

Mutter(Normal)

Vater(Krank)

Mutter(Überträgerin)

Vater(Normal)

Verändertes rezessives Gen Gen für männliche Nachkommen

Tochter(Überträgerin)

Sohn(Normal)

Tochter(Überträgerin)

Sohn(Normal)

Tochter(Normal)

Sohn(Normal)

Tochter(Überträgerin)

Sohn(Krank)

Vererbung veränderter rezessiver X-gebundener Gene

Wenn ein Gen X-gebunden ist, existiert es nur auf demX- und nicht auf dem Y-Chromosom. Krankheiten, dieauf veränderte rezessive X-gebundene Gene zurück-zuführen sind, betreffen normalerweise nur Männer.Das liegt daran, daß Männer nur ein X-Chromosombesitzen. Frauen haben zwei, und meistens liegt aufeinem ein normales Gen. Das normale Gen istdominant und bewahrt die Frauen dadurch vor demAusbruch der Krankheit.

Wenn beim Vater ein verändertes rezessives Gen auf dem X-Chromosom liegt und die Mutter zwei

normale Gene besitzt, dann erhalten Töchter ein ab-gewandeltes und ein normales Gen und werden zuÜberträgerinnen. Von den Söhnen erbt keiner dasveränderte Gen.

Wenn die Mutter Überträgerin ist und vom Vater das normale Gen kommt, erhält ein Sohn mit 50pro-zentiger Wahrscheinlichkeit das veränderte Gen vonder Mutter. Bei Töchtern besteht jeweils zu 50 Prozentdie Möglichkeit, zwei normale Gene zu erben oder ein normales und ein verändertes und damit Über-trägerin zu werden.

01 MerckUmbr.001- 09.02.2004 10:40 Uhr Seite 11

Page 12: Grundlagen - bücher.de

Gentechnologie

Die rasante Entwicklung neuer Techniken begünstigt dieErforschung genetisch bedingter Krankheiten – sowohl vorals auch nach der Geburt. Besonders rasch erweitern sichdie Kenntnisse im Bereich der DNA-Technologie.

Unter dem Namen Humanes Genomprojekt sind der-zeit Bestrebungen im Gange, alle Gene auf menschlichenChromosomen zu entschlüsseln und zu katalogisieren.Ein Genom ist der komplette Satz aller Chromosomen, dieein Mensch besitzt. Jeder Platz auf einem Chromosom istdurch ein bestimmtes Gen belegt. Das Merkmal, das die-sem Platz entspricht, z. B. die Augenfarbe, ist für alle Men-schen gleich. Die speziellen Eigenschaften des Merkmalssind, wie die dazugehörenden spezifischen Gene, vonMensch zu Mensch verschieden; sie geben jeder Personihren individuellen Charakter.

Es gibt verschiedene Verfahren, um für Untersuchungs-zwecke eine ausreichende Zahl von Genkopien bereit-zustellen. Kopien eines menschlichen Gens können imLabor durch Klonen hergestellt werden. Das zu kopieren-de Gen wird normalerweise in die DNA eines Bakteriumseingefügt. Bei jeder seiner Teilungen stellt es eine genaueKopie seiner DNA her, einschließlich des eingefügtenGens. Bakterien vermehren sich sehr schnell, so daß inkürzester Zeit Milliarden von Kopien des Ursprungsgensentstehen.

Eine andere Technik zum Kopieren von DNA nutzt diePolymerase-Kettenreaktion (PCR). Ein ausgewähltes Teil-

stück (Segment) der DNA mit einem speziellen Gen kannim Labor innerhalb von Stunden mehr als 200 000malvervielfältigt werden. Die DNA einer einzigen Zellegenügt, um die Polymerase-Kettenreaktion (PCR) in Gangzu setzen.

Um ein spezielles Gen auf einem ausgewählten Chro-mosom zu lokalisieren, benutzt man eine Gensonde. Eingeklontes oder kopiertes Gen wird durch Hinzufügeneines radioaktiven Atoms zu einer markierten Sonde, diedas zu ihr spiegelverkehrte Stück der DNA aufsucht undsich dort anlagert. Mit Hilfe hochentwickelter fotogra-fischer Verfahren kann die markierte Sonde dann genaulokalisiert werden.

Mit Gensonden läßt sich eine Anzahl von Krankheitenvor und nach der Geburt diagnostizieren. In Zukunft wer-den Gensonden wohl dazu benutzt werden können, dieMenschen auf viele der gängigen Erbschäden zu testen.Allerdings erkrankt nicht jeder, der das Gen für eine mög-liche Krankheit besitzt, auch daran.

Häufig wird zur DNA-Analyse ein Verfahren verwendet,das man Southern Blot nennt. Aus Zellen der Person, dieuntersucht werden soll, wird die DNA herausgelöst undmit Hilfe einer Gruppe von Endonuklease-Enzymen, dienur eingeschränkt wirken, in Segmente zerlegt. Die Teilewerden nach dem Elektrophoreseverfahren in einem Gelgetrennt, das auf ein Filterpapier aufgebracht und miteiner markierten Sonde versehen wird. Die Sonde bindetsich nur an ihren spiegelverkehrten Partner und kenn-zeichnet so das Segment der DNA.

Grundlagen12

Körperliche Veränderungen im Alter

KAPITEL 3

Die Lebenserwartung ist im Laufe der Jahrzehnte stetig ge-stiegen. Für einen Mann lag sie 1996 in Deutschland bei73,8 Jahren, für eine Frau bei 80 Jahren.

Der Anstieg der durchschnittlichen Lebenserwartunghat jedoch kaum etwas an dem Alter geändert, das Men-schen maximal erreichen können. Seit es Aufzeichnungendarüber gibt, hat kaum jemand das 120. Lebensjahr über-schritten.

Theorien des Alterns

Jedes Wesen altert und durchlebt dabei von der Geburtbis zum Tod deutliche Veränderungen. Keine der Theo-

rien, warum Menschen altern, konnte bisher bewiesenwerden. Dennoch können Teile dieser Theorien als Erklä-rung dafür dienen, warum Menschen altern und sterben.

Die genetische Programmierungstheorie geht davonaus, daß das Alter einer Art in den Genen vorgegeben ist.Gene bestimmen die Lebensdauer von Zellen. Wenn Zel-len sterben, arbeiten die Organe nicht mehr richtig undkönnen schließlich ihre lebenserhaltenden biologischenAufgaben nicht mehr erfüllen. Genetisch festgelegtes Al-tern dient der Arterhaltung; ältere Mitglieder sterben, umjüngeren Platz zu machen.

Die Theorie der Fehleranhäufung nimmt die freienRadikale in Blick. Nach dieser Theorie altern Zellen, weil

01 MerckUmbr.001- 09.02.2004 10:40 Uhr Seite 12

Page 13: Grundlagen - bücher.de

die chemischen Vorgänge, die ständig in ihnen ablaufen,den Zellen Schaden zufügen. Bei diesen chemischenReaktionen entstehen Giftstoffe (Toxine), die man als»freie Radikale« bezeichnet. Die freien Radikale beschädi-gen letzten Endes die Zellen und verursachen damit denAlterungsprozeß. Im Lauf der Zeit nehmen die Zellen im-mer mehr Schaden, so daß sie nicht mehr richtig arbeitenoder absterben. Dieser Prozeß führt schließlich zum Tod.Bei jeder Art verläuft der Alterungsprozeß anders, jenachdem, wie ihre Zellen freie Radikale produzieren undauf sie reagieren.

Körperliche Veränderungen

Der menschliche Körper verändert sich auf vielfältigeWeise, während er altert. Das erste Zeichen des Alterns istvielleicht, wenn die Augen nahegelegene Objekte nichtmehr so leicht scharf sehen (Alterssichtigkeit). Ab etwavierzig Jahren wird es für viele Menschen beschwerlich,ohne Brille zu lesen. Auch das Gehör verändert sich imAlter. Man verliert die Fähigkeit, sehr hohe Töne zu hören(Altersschwerhörigkeit). Ältere Menschen finden daherGeigenmusik oft nicht mehr so bewegend wie früher.Außerdem glauben viele ältere Menschen, daß ihre Mit-menschen murmeln, weil die geschlossenen Konsonan-ten (Laute wie k, t, s, p und ch) hohe Töne sind, und siediese nicht mehr so gut hören.

Bei den meisten Menschen nimmt der Anteil des Kör-perfetts im Alter um bis zu dreißig Prozent zu. Auch dieFettverteilung ändert sich: Es wird weniger unter der Haut,verteilt im ganzen Körper, und mehr im Bauchraum abge-lagert. Dadurch verändert sich die Figur, die Haut wirddünner, empfindlicher und bekommt Falten.

Die meisten inneren Funktionen werden im Alter eben-falls schwächer. Meistens erreichen sie kurz vor demdreißigsten Lebensjahr ihren Höhepunkt und lassen dannlangsam, aber stetig nach. Dennoch reicht die Funktionder meisten Organe ein Leben lang aus, weil ihre Kapa-zität größer ist als der eigentliche Bedarf des Körpers(Funktionsreserve). Wenn die Hälfte der Leber zerstörtwäre, stünde dem Körper immer noch genug Leber-gewebe für die normalen Funktionen zur Verfügung. Fürden Ausfall von Organen ist weniger der Alterungsprozeßan sich verantwortlich, als vielmehr Krankheiten. Dienachlassenden Organfunktionen ziehen nach sich, daßältere Menschen stärker unter den unerwünschten Wir-kungen von Medikamenten, unter Veränderungen derUmwelt, Giften und Krankheiten leiden.

Die nachlassende Funktion der meisten Organe beein-trächtigt das Leben der Menschen nur wenig; allerdingskönnen sich bei einigen Organen erhebliche Auswirkun-gen auf Gesundheit und Wohlbefinden ergeben. Die Blut-

menge, die das Herz im Ruhezustand pumpt, verändertsich im Alter nicht; bei Maximalbelastung leistet das Herzjedoch nicht mehr so viel wie früher. Deshalb sind ältereSportler nicht mehr so leistungsfähig wie jüngere. Die ver-änderte Nierenfunktion kann bei älteren Menschen dazuführen, daß es sehr viel länger dauert, bis Arzneimittelausgeschieden werden. ▲

Meist ist es schwierig festzustellen, welche Veränderun-gen auf den Alterungsprozeß zurückzuführen sind undwelche auf die Lebensweise eines Menschen. Bewegungs-armut, falsche Ernährung, Nikotinkonsum sowie Alkohol-und Drogenmißbrauch schädigen die Organe mit der Zeitoft mehr als der Alterungsprozeß selbst. Bei Menschen,die Giftstoffen ausgesetzt waren, lassen die Organfunktio-nen manchmal schneller oder stärker nach als bei ande-ren. Davon sind besonders Nieren, Lunge und Leber be-troffen. Wer am Arbeitsplatz Lärm ausgesetzt war, leidethäufig unter einem starken Hörverlust.

Einige dieser Veränderungen lassen sich durch einegesunde Lebensweise vermeiden. Es ist zum Beispielgrundsätzlich sinnvoll, mit dem Rauchen aufzuhören,auch für Menschen über achtzig. Man verbessert dadurchdie Lungenfunktion und verringert die Gefahr von Lun-

Körperliche Veränderungen im Alter 13

▲ Siehe Seite 40

Wie sich der Körper im Alter verändert

• Nieren, Leber und Gehirn sind weniger gutdurchblutet.

• Es dauert länger, bis Nieren Medikamenteund Giftstoffe ausscheiden.

• Es dauert länger, bis die Leber Gifte und diemeisten Medikamente abbaut.

• Das Herz schlägt unter Belastung nicht mehrso schnell. Im Ruhezustand ändert sich nichts.

• Das Herz kann nicht mehr so viel Blutpumpen.

• Die Zuckertoleranz verringert sich.

• Das Lungenvolumen wird geringer.

• Nach dem Ausatmen bleibt mehr Luft in derLunge zurück.

• Die Infektionsabwehr der Zellen läßt nach.

01 MerckUmbr.001- 09.02.2004 10:40 Uhr Seite 13

Page 14: Grundlagen - bücher.de

genkrebs. Übungen mit Gewichten dienen in jedem Alterdem Erhalt der Muskel- und Knochenstärke.

Krankheitsfolgen

Geriatrie ist die Altersheilkunde. Gerontologie ist dieWissenschaft von den Alterungsvorgängen. Es gibt keinbestimmtes Alter, ab dem ein Mensch als »alt« gilt. Tradi-

tionell geht man vom Rentenalter aus, also vom 65. Le-bensjahr.

Eine Reihe von Krankheiten bezeichnet man als geria-trische Krankheiten, weil sie fast ausschließlich bei älte-ren Menschen vorkommen. Andere Leiden kommen in al-len Altersstufen vor, bei älteren Menschen aber häufiger;sie können andere Symptome oder Komplikationen her-vorrufen oder schwerer verlaufen.

Grundlagen14

Krankheiten, die vorwiegend ältere Menschen betreffen

Krankheit Erklärung

Alzheimer-Krankheit Hirnerkrankungen, dieoder andere Formen zu einem fortschreiten-der Demenz den Verlust des Ge-

dächtnisses und ande-rer intellektueller Fähig-keiten führen

Wundliegen Aufbrechen der Hautdurch zu langen Druck

Vergrößerte Prostata Vergrößerung der Vor-steherdrüse (bei Män-nern); behindert denHarnabfluß

Grauer Star Trübung der Augenlinsemit Verschlechterungdes Sehvermögens

Chronisch-lympha- Eine Form der tische Leukämie Leukämie

Typ II-Diabetes Eine Form des Diabetes,bei der nicht immer eineInsulinbehandlung nötigist

Grüner Star Erhöhung des Augenin-nendrucks; kann unbe-handelt zur Verschlech-terung des Sehvermö-gens und zur Erblindungführen

Monoklonale Verschiedene Erkran-Gammopathien kungen, bei denen die

Vermehrung eines einzi-gen Zelltyps zur Produk-tion großer Mengen Im-munglobulin führenkann

Krankheit Erklärung

Arthrose Schmerzhafter fort-schreitender Abbau desGelenkknorpels

Osteoporose Kalziumverlust in denKnochen, die dannleichter brechen

Parkinson- Langsam fortschreitendeKrankheit degenerative Hirner-

krankung, die zu Zittern,Muskelversteifung, Be-wegungsschwierigkei-ten und Gangunsicher-heit führt

Prostatakrebs Krebserkrankung derVorsteherdrüse (beiMännern)

Gürtelrose Wiederaufflammen des (Herpes zoster) Windpockenvirus, das

zu Hautausschlag führtund langanhaltendeSchmerzen verursachenkann

Schlaganfall Eine Blockierung in oderBlutung aus einem Blut-gefäß im Gehirn, die zuSchwäche, Gefühlsver-lust, Sprachschwierig-keiten oder anderenneurologischen Ausfäl-len führt

Blaseninkontinenz Verlust der Blasenkon-trollfunktion

01 MerckUmbr.001- 09.02.2004 10:40 Uhr Seite 14

Page 15: Grundlagen - bücher.de

Ältere Menschen erleben eine Krankheit oft anders alsjunge Erwachsene. Eine Schilddrüsenunterfunktion führtbei jüngeren Menschen gewöhnlich zur Gewichtszunah-me und einem Gefühl der Trägheit. Bei älteren kann einVerwirrungszustand hinzukommen, der mit Demenz ver-wechselt werden kann. Bei einer Überfunktion der Schild-drüse werden jüngere Menschen gewöhnlich überaktivund verlieren an Gewicht; ältere können davon schläfrigwerden, ziehen sich zurück, sind verwirrt und depressiv.Junge Menschen mit Depressionen ziehen sich zurück,weinen und sind offensichtlich unglücklich. Bei älterenMenschen kann es auch zu Verwirrungszuständen, Ge-dächtnisverlust und Teilnahmslosigkeit kommen. All dieseSymptome können mit Demenz verwechselt werden.

Akute Krankheiten, wie ein Herzanfall, ein Oberschen-kelhalsbruch oder eine Lungenentzündung, bedeutetenfrüher für ältere Menschen fast immer den Tod. Heutekönnen diese Krankheiten zwar nicht immer geheilt, aberbehandelt und ihre Folgen eingedämmt werden. Auchchronische Krankheiten sind nicht mehr zwangsläufig miteiner Behinderung verbunden. Viele Menschen mit Dia-betes, Nierenproblemen, Herzkrankheiten und anderen

chronischen Erkrankungen können ein aktives und unab-hängiges Leben führen.

Häufig hängt es von sozialen und finanziellen Faktorenab, welche Art der Hilfe ältere Menschen suchen undbekommen. Viele verbergen kleinere gesundheitliche Pro-bleme und nehmen erst dann medizinische Hilfe inAnspruch, wenn das Problem größer geworden ist. Vieleältere Menschen haben mehrere gesundheitliche Proble-me gleichzeitig, die sich gegenseitig beeinflussen können.Depressionen verschlimmern zum Beispiel eine Demenz,und Infektionen verlaufen bei Diabetikern oft schwerer.

Soziale Faktoren verschlimmern bei älteren Menscheneine Krankheit oft. Wenn Patienten durch eine Krankheitvorübergehend oder dauerhaft ihre Unabhängigkeit ver-lieren, kann bei älteren Menschen eine Depression hin-zukommen. Außer der sozialen Unterstützung ist dannauch psychologische Hilfe vonnöten. Deshalb empfehlenGeriater häufig eine bereichsübergreifende Versorgung.Dabei arbeitet ein Team aus medizinischem Personal, The-rapeuten, Apothekern und Psychologen unter der Leitungeines Arztes zusammen.

Sterben und Tod 15

Sterben und Tod

KAPITEL 4

Noch vor einem Jahrhundert starben fast alle Menschen,die schwer verletzt wurden oder eine ernsthafte Infektionbekamen, relativ schnell. Wer unter einer Herzkrankheitlitt oder Krebs hatte, lebte nach der Diagnose meistensnicht mehr lange. Der Tod war eine vertraute Erfahrung,und die meisten Menschen erwarteten von Ärzten kaummehr als eine pflegende Betreuung.

Heute wird der Tod weniger als ein Teil des Lebensbetrachtet, denn vielmehr als ein Ereignis, das auf un-bestimmte Zeit hinausgeschoben werden kann. Die häu-figsten Todesursachen für Menschen über 65 sind Herz-krankheiten, Krebs, Schlaganfall, obstruktive Atemweg-erkrankungen, Lungenentzündung und Demenz. ModerneBehandlungsmethoden verlängern das Leben von Men-schen mit diesen Krankheiten; oft leben sie noch vieleJahre mit guter Lebensqualität. Bei anderen wird dasLeben zwar verlängert, aber die Lebensqualität und dieKörperfunktionen lassen nach. Der Tod kommt häufigunerwartet, obwohl die Familie wußte, daß der Betreffen-de schwer krank war.

Wenn man sagt, daß ein Mensch im Sterben liegt, rech-net man in den nächsten Stunden oder Tagen mit seinemAbleben. Manchmal sagt man auch von Menschen, diesehr alt oder sehr gebrechlich sind beziehungsweise einetödliche Krankheit wie Aids haben, daß sie sterben. Diemeisten Menschen mit chronischen Krankheiten – Herz-krankheiten, bestimmte Krebsarten, Lungenemphysem,Leber - oder Niereninsuffizienz, Alzheimer oder andereFormen der Demenz – leben noch jahrelang, auch wennsich ihre körperlichen Aktivitäten immer mehr beschrän-ken.

Den Tod vorhersagen

Vielen Angehörigen und manchmal auch den Betroffenenselbst erscheint es hilfreich, den Zeitraum zu kennen, indem ein Mensch mit einer chronischen Krankheit voraus-sichtlich sterben wird. Bei einem Durchschnittspatientenmit definierten Bedingungen können Ärzte eine ziemlichgenaue Kurzzeitprognose abgeben. Diese basiert auf der

01 MerckUmbr.001- 09.02.2004 10:40 Uhr Seite 15

Page 16: Grundlagen - bücher.de

statistischen Auswertung von Daten großer Gruppen vonPatienten in dem gleichen Zustand. So kann man zum Bei-spiel mit einiger Berechtigung sagen, daß fünf von 100 Pa-tienten, die die gleiche lebensgefährliche Krankheit haben,überleben und aus dem Krankenhaus entlassen werden.Schwieriger ist es jedoch vorherzusagen, wie lange einebestimmte Person noch zu leben hat. Der Arzt muß sichdabei auf Wahrscheinlichkeiten verlassen. Wenn die Über-lebenschancen bei nur zehn Prozent liegen, sollte manakzeptieren, daß der Tod sehr wahrscheinlich ist, und esist sinnvoll, sich darauf vorzubereiten.

Wenn keine statistischen Daten vorliegen, kann der Arzthäufig keine Prognose abgeben, oder er stützt sie auf per-sönliche Erfahrung; das mag dann weniger zuverlässigsein. Manche Ärzte ziehen es auch vor, ihren PatientenHoffnung zu machen, indem sie von erstaunlichen Hei-lungen berichten und verschweigen, wie groß die Gefahrdes Ablebens im betreffenden Fall ist. Todkranke und ihreFamilien haben jedoch einen Anspruch auf umfassendeInformation und eine möglichst realistische Prognose,wenn sie diese Informationen denn haben wollen.

In manchen Situationen bleibt dem Kranken häufig nurdie Wahl, etwas eher zu sterben, aber ohne allzu großesLeiden, oder aber eine aggressive Therapie in Kauf zu neh-men, die das Leben ein wenig verlängert, den Prozeß desSterbens aber wahrscheinlich nur hinausschiebt. Leidenund Abhängigkeit verstärken sich, die Lebensqualität gehtverloren. Dennoch haben Patienten und ihre Angehörigenoft das Gefühl, daß sie jede noch so geringe Chance nut-zen müßten, auch wenn die Aussicht auf Heilung unrea-listisch ist. Wenn ein todkranker Patient oder seine An-gehörigen eine solche Entscheidung treffen, spielen auchphilosophische Fragen, persönliche Werte und religiöseVorstellungen eine große Rolle.

Zeitlicher Ablauf des Sterbens

Das Sterben kann ein langsamer Prozeß sein – gezeichnetvon Komplikationen und Nebenwirkungen (zum Beispielbei manchen Krebspatienten). Meist lassen etwa einenMonat vor dem Tod Energie, Körperfunktionen und Wohl-befinden drastisch nach. Der Mensch verfällt, und allekönnen den nahen Tod erkennen.

Die Entwicklung kann aber auch anders verlaufen.Manchmal verschlechtert sich der Zustand eines schwererkrankten Patienten, der sich im Krankenhaus einer ag-gressiven Therapie unterzieht, ganz plötzlich. Dann ist erstwenige Tage oder Stunden vor seinem Ableben zu erken-nen, daß er im Sterben liegt. Zunehmend häufiger jedochzieht sich der Verfall über einen langen Zeitraum hin, indem die Fähigkeiten immer weiter abnehmen. In dieserZeit können immer wieder Krisen mit schweren Sym-

ptomen auftreten. Dieses Muster läßt sich bei neurolo-gischen Erkrankungen wie Alzheimer genauso verfolgenwie bei Lungenemphysemen, Leber- und Niereninsuffi-zienz und anderen chronischen Erkrankungen. SchwereHerzerkrankungen schränken die Möglichkeiten der Pa-tienten über lange Zeit hinweg ein; dabei kann es immerwieder zu schweren Symptomschüben kommen. Der Todtritt jedoch meist ganz plötzlich ein, verursacht von einerUnregelmäßigkeit im Herzrhythmus (Arrhythmie).

Wenn der wahrscheinliche Krankheitsverlauf bekanntist, kann es dem Patienten und der Familie leichter fallen,die letzten Dinge zu planen. Ist die Wahrscheinlichkeiteiner Arrhythmie groß, sollten sie jederzeit auf den Todvorbereitet sein. Bei Krebspatienten kann man gewöhn-lich an dem einsetzenden Verfall erkennen, daß das Le-bensende naht.

Entscheidungen treffen

Wenn jemand auf den Tod krank ist, ist es besonders wich-tig, daß Arzt und Patient offen und ehrlich darüber spre-chen, wie der Betroffene während seines letzten Lebens-abschnitts versorgt werden möchte. Nur so läßt sich fürden Kranken die bestmögliche Lebensqualität erreichen.Der Arzt teilt den Beteiligten mit, wie er die Chancen undRisiken während und nach den verschiedenen Behand-lungsmethoden einschätzt. Der Patient informiert den Arztund seine Familie darüber, was er bereit ist, auf sich zunehmen und was nicht. Der Patient sollte deutlich sagen,welche Behandlung er wünscht, wie weit sie durchgeführtwerden soll, wo er sterben möchte und wie er in der letz-ten Phase seines Lebens versorgt werden möchte.

Bei der Auswahl des Arztes sollte man sich erkundigen,ob der Arzt ausreichend Erfahrung in der BegleitungTodkranker hat. Betreut er seine Patienten in allen Phasender Krankheit zu Hause oder im Pflegeheim? Behandeltder Arzt die Symptome vollständig bis zum Lebensende(Palliativpflege)? Ist der Arzt mit häuslicher Pflege, Physio-therapie und ambulanten Pflegediensten in der Gemein-de vertraut? Kennt er die Qualität dieser Dienste, und weißer, wo Patienten und Familie bei Bedarf intensive Pflegebekommen können?

Zum Pflegesystem gehören die Heilbehandlung inniedergelassenen Praxen und Krankenhäusern, die Perso-nal- und Sachleistungen der Pflegeversicherung, die Pfle-geheime und ambulanten Pflegedienste. Auskünfte vonÄrzten, Pflegepersonal, anderen Patienten, deren Familienund Sozialarbeitern helfen meist dabei, die richtige Ver-sorgung zu finden.• Welche Behandlungen und Versorgungen gibt es über-haupt?• Welche Informationen gibt es über Behandlungser-

Grundlagen16

01 MerckUmbr.001- 09.02.2004 10:40 Uhr Seite 16

Page 17: Grundlagen - bücher.de

folge? Wie kann ein Patient Kontakt mit anderen Familienund Patienten aufnehmen, die so behandelt worden sind?• Welche noch im Stadium der Erprobung befindlichenBehandlungsmethoden gibt es? Wie sind andere Patientenmit diesen Methoden zurechtgekommen?Nachdem Patienten und Familie diese Fragen gestellt ha-ben, sollten sie überlegen:• Haben sie den Eindruck, daß ihre Fragen ehrlich beant-wortet wurden?• Werden sie bei der angestrebten Lösung medizinisch,seelisch und finanziell ausreichend unterstützt?• Lassen sich die in Anspruch genommenen Dienste aufpersönliche Bedürfnisse und Vorstellungen ein?

PatientenverfügungenPatientenverfügungen ▲, auch Patiententestament ge-nannt, sind für den Arzt verbindlich, sofern sie sich auf diekonkrete Behandlungssituation beziehen und der Arztnicht irgendwelche Umstände erkennt, aus denen erschließen kann, daß der Patient seine einmal getroffeneVerfügung jetzt nicht mehr aufrecht erhalten würde.

Diese medizinischen Vorausverfügungen sind wichtig,falls der Patient in die Lage kommt, keine Entscheidungenmehr treffen zu können. Sie können so abgefaßt werden,daß sie die noch oder nicht mehr gewünschte Behand-lung im Zustand zwischen Leben und Tod regeln. Im Vor-feld dessen können Betreuungsverfügungen Empfehlun-gen und Wünsche des Kranken enthalten, welchen Be-treuer er sich wünscht und auf welche Art er gepflegtwerden möchte.

VorsorgevollmachtWenn sich ein Patient in einer Situation befindet, in der er über seine Behandlung nicht mehr willentlich ent-scheiden kann, ist der Arzt gehalten, die Einwilligung zuden notwendigen Maßnahmen von einem gesetzlichenVertreter, z. B. den Eltern oder nahen Anverwandten,einzuholen. Man kann aber auch eine Person seines Ver-trauens mit einer sogenannten Vorsorgevollmacht ausstat-ten. ■ Damit ist gewährleistet, daß diese Person als Bevoll-mächtigte Entscheidungen über die medizinische Versor-gung des Patienten treffen darf, wenn dieser dazu nichtmehr in der Lage ist. Besonders hilfreich kann das beiMenschen sein, die in juristisch nicht anerkannten Part-nerschaften leben oder die z. B. bestimmten Verwandtendie Entscheidungsgewalt über ihr Leben gerade nichtüberlassen wollen. Die Entscheidung eines Bevollmäch-tigten über eine Behandlung, die das Leben des Krankengefährdet, bedarf zusätzlich noch der Zustimmung desVormundschaftsgerichts.

Liegen weder vom Patienten noch von einem gesetz-lichen Vertreter oder einem Bevollmächtigten Erklärungen

vor, so handelt der Arzt, wie es dem mutmaßlichen Willendes Patienten in der konkreten Situation entspricht.

Die Pflege planenPatienten und ihre Familien fühlen sich oft von den Krank-heiten und Behandlungsmethoden überfahren. Ihnenkommt es vor, als hätten sie überhaupt nichts zu sagen.

Sterben und Tod 17

▲ Siehe Seite 1361

■ Siehe Seite 1362

Möglichkeiten der Pflege

Ambulante Pflege bedeutet, daß Pflegefach-kräfte zu den Patienten ins Haus kommen, ihreVerfassung überprüfen, ihnen bei der Einnahmeder Medikamente und bei der Körperpflege zurHand gehen und andere betreuerische Leistun-gen erbringen.Hospizpflege findet in der letzten Phase desLebens statt. Sie konzentriert sich darauf, dieSymptome zu lindern sowie dem sterbendenMenschen und seiner Familie mitfühlend zur Seitezu stehen. Das kann bei dem Patienten zu Hausestattfinden oder in einem Hospiz. Hospizpflegekommt erst in Frage, wenn die Lebenserwartungdes Patienten auf maximal sechs Monate ge-schätzt wird.Ein Pflegeheim ist eine Einrichtung mit einerbehördlichen Genehmigung, in der sich Pflege-personal mit unterschiedlicher Qualifizierung umdie Patienten kümmert.Kurzzeitpflege ist die vorübergehende Pflegedes Patienten durch andere Personen als die Fa-milie. Dies kann zu Hause, in einem Pflegeheimoder einem Krankenhaus geschehen. Währenddes Kurzpflegeaufenthaltes können Familienmit-glieder oder andere pflegende Personen reisen,sich ausruhen oder wichtige Dinge erledigen. DieKurzzeitpflege kann Tage oder Wochen dauern, jenach Art der Einrichtung und Finanzierung.Organisationen mit ehrenamtlichen Mitarbeiternbieten verschiedene Formen der materiellen oderanderweitigen Unterstützung für kranke Men-schen und deren Familien an. Meist konzentrierensie sich auf Patienten mit einer bestimmten Er-krankung.

01 MerckUmbr.001- 09.02.2004 10:40 Uhr Seite 17

Page 18: Grundlagen - bücher.de

Manchen mag das allerdings besser vorkommen, als dafürverantwortlich zu sein, was vielleicht noch alles unter-nommen werden müßte. Nicht alle Patienten undFamilien wollen gleich gut informiert oder in die Behand-lung einbezogen werden. Dieses sollte unbedingt berück-sichtigt werden. Nur so sind alle zufrieden, daß das Men-schenmögliche getan wurde, damit der Patient seinenletzten Lebensabschnitt in Würde verbringen kann.

Patient, Familie und Pflegepersonal sollten die Wahr-scheinlichkeit des Sterbens realistisch einschätzen undüber eventuell auftretende Probleme und Lösungsmög-lichkeiten sprechen. Das kann aber schwierig werden,wenn unerwartete Ereignisse hinzukommen und Gefühledie Entscheidungen beeinflussen. Manche Entscheidun-gen sind jedoch weniger bedeutungsvoll, als sie auf denersten Blick scheinen. Dazu gehört die Frage, ob der Pa-tient wiederbelebt werden soll – eine Behandlung, die dasKrankenhaus automatisch durchführt. Für die meistenSterbenden ist es sinnvoll, Wiederbelebungsmaßnahmenabzulehnen, denn ein todkranker Patient profitiert davongewöhnlich nicht. Deshalb braucht es die Familie nicht zubelasten, wenn der Kranke solche Maßnahmen im Rah-men einer Vorausverfügung untersagt hat. Das gleiche giltfür künstliche Ernährung durch eine Magensonde und In-fusionen.

Andere Wünsche der Kranken wirken sich viel stärkerauf Patient und Familie aus und sollten mit Bedacht getrof-fen werden, zum Beispiel, wenn die Familie den Patientenzu Hause behalten und pflegen will, nicht im Kranken-haus. Die Familienmitglieder sollten Arzt und Pflegeper-sonal dann darauf hinweisen und darauf bestehen, daßdiese Wünsche berücksichtigt und entsprechende Vorbe-reitungen getroffen werden. Eine Einweisung ins Kranken-haus kann ausdrücklich abgelehnt werden.

Manchmal werden todkranke Patienten dazu gedrängt,noch eine letzte Behandlungsmethode auszuprobieren.Dieses führt oft dazu, daß sie in ihrem letzten Lebens-abschnitt stark unter Druck geraten und die vielleichtgewonnene Zeit gar nicht genießen können. Patient undFamilie sollten solchen Behandlungsversuchen skeptischgegenüberstehen. Wenn jemand im Sterben liegt, solltedas Bemühen aller Beteiligen ausschließlich darauf ge-richtet sein, daß er es so angenehm wie möglich hat undnicht leiden muß.

SelbstmordEs kommt häufig vor, daß Patienten, die im Sterben liegen,und deren Familien über Selbstmord nachdenken. Mei-stens sind die Ursache Einsamkeit, ein Gefühl der Wert-losigkeit oder nicht ausreichend beherrschte Schmerzen.Es kann hilfreich sein, mit einem Arzt darüber zu spre-chen; er kann sich bemühen, Schmerzfreiheit zu errei-

chen, und Patient und Familie das Gefühl geben, daß siegeschätzt werden. Dennoch entscheiden sich manche Pa-tienten und ihre Familien dafür, den Todeszeitpunkt selbstzu bestimmen. Die einen versuchen damit, einer unerträg-lichen Situation ein Ende zu machen, die anderen empfin-den es als Ausdruck ihrer Autonomie, selbst zu entschei-den, wann und wie sie sterben möchten.

Patienten können Behandlungen ablehnen, die ihr Le-ben verlängern (einschließlich künstlicher Ernährungund Beatmung). In Deutschland ist es jedoch strafbar,wenn Dritte jemandem dabei helfen, seinem Leben einEnde zu setzen.

Sich damit abfinden

Zunächst wollen es die meisten Menschen nicht wahrha-ben, wenn ihnen klar wird, daß sie an ihrer Erkrankungvermutlich sterben werden. Sie sind vielleicht verwirrt,außer sich, zornig, traurig und ziehen sich zurück. Ist dererste Gefühlsansturm vorüber, beginnen sie, sich auf denTod vorzubereiten. Oft bedeutet das, ein Lebenswerk zuEnde zu bringen, noch Ausstehendes mit Freunden undFamilienmitgliedern zu klären und sich mit dem Unaus-weichlichen abzufinden.

Für manche Patienten und ihre Familien haben spiritu-elle und religiöse Themen große Bedeutung. Zu den Be-treuern in Krankenhäusern und Hospizen gehören fast im-mer Geistliche. Pflegekräfte können Patient und Familiedabei helfen, den gewünschten Beistand zu finden, wennsie nicht bereits Kontakt zu einem Geistlichen oder ande-ren spirituellen Menschen haben.

Sich auf den Tod vorzubereiten, ist sehr schwierig, undes kann zu starken Gefühlsschwankungen kommen. Fürdie meisten Menschen ist es jedoch eine Zeit neuen Ver-stehens und Wachstums. Viele Patienten und ihre Fami-lien finden ihren Frieden, indem sie Kränkungen der Ver-gangenheit aufarbeiten und sich aussöhnen.

Symptome bei einer tödlichenKrankheit

Die Symptome vieler tödlicher Erkrankungen ähneln sich:Schmerzen, Atemnot, Magen-Darm-Probleme, offene Hautund Erschöpfung; auch Depressionen, Ängste, Verwirrung,Delirium, Bewußtlosigkeit und Behinderungen könnenauftreten.

SchmerzenWohl alle Menschen, die im Sterben liegen, fürchten sichvor Schmerzen. Diese lassen sich aber so beherrschen,daß die Patienten bei Bewußtsein sind, an ihrer Umweltteilhaben und sich trotzdem wohl fühlen.

Grundlagen18

01 MerckUmbr.001- 09.02.2004 10:40 Uhr Seite 18

Page 19: Grundlagen - bücher.de

Manche Krebsschmerzen können durch Bestrahlungengelindert werden. Bei leichten Schmerzen helfen Physio-therapie und Schmerzmittel wie Parazetamol und Azetyl-salizylsäure. Bei manchen Menschen wirken Hypnoseoder Biofeedback – Methoden, die keine nennenswertenNebenwirkungen haben. Oft sind aber starke Schmerzmit-tel wie Kodein oder Morphium nötig. ▲ Die Einnahmedieser Mittel kann die Schmerzen für viele Stunden betäu-ben; sie können auch injiziert werden. Die Medikamentesollten hoch genug dosiert und rechtzeitig eingenommenwerden – das heißt, nicht erst dann, wenn die Schmerzenunerträglich geworden sind, sondern in einem festgeleg-ten Einnahmerhythmus. Eine mögliche Abhängigkeit vonden Medikamenten sollte bei der Behandlung Schwerst-kranker nicht im Mittelpunkt der Überlegungen stehen.

AtemnotNach Atem zu ringen ist eine der schlimmsten Arten, zuleben oder zu sterben. Doch meistens läßt sich Atemnotvermeiden. Mit verschiedenen Methoden läßt sich das At-men erleichtern: zum Beispiel angesammelte Flüssigkeitabsaugen, den Patienten anders lagern, ihn mit Sauerstoffversorgen, oder einen Tumor, der die Atemwege verengt,mit Hilfe von Bestrahlungen oder Kortison verkleinern.Starke Schmerzmittel können Patienten mit leichter dauer-hafter Kurzatmigkeit unter Umständen die Atmung erleich-tern, auch wenn sie keine Schmerzen haben. Die Ein-nahme von Schmerzmitteln zur Schlafenszeit kann dafürsorgen, daß der Patient durchschlafen kann, statt aufzuwa-chen und um Atem zu ringen.

Wenn diese Behandlungsmethoden nicht wirken, sinddie meisten Ärzte damit einverstanden, dem Patienteneine stärkere Dosis Betäubungsmittel zu geben, auchwenn er dann bewußtlos wird. Ein Patient, der am Endeseines Lebens nicht unter Atemnot leiden möchte, solltesicherstellen, daß der Arzt das Symptom dementspre-chend behandelt, selbst wenn die Behandlung zu Be-wußtlosigkeit führt und den Tod etwas beschleunigt.

Magen-Darm-ProblemeMagen-Darm-Probleme kommen bei Schwerkranken häu-fig vor. Dazu zählen trockener Mund, Übelkeit, Verstop-fung, Darmverschluß und Appetitlosigkeit. Einige dieserProbleme sind Begleiterscheinungen der Krankheit, an-dere – wie Verstopfung – sind Nebenwirkungen der Medi-kamente.

Einem trockenen Mund kann man mit feuchtenMundtupfern oder Bonbons abhelfen. AufgesprungeneLippen lassen sich mit verschiedenen Pflegeprodukten fet-ten. Die Zähne sollten regelmäßig geputzt oder Mund,Zähne und Zunge mit einem Mundschwamm gesäubertwerden. Mundwasser sollte nur sehr wenig oder gar kei-

nen Alkohol enthalten, weil Produkte auf Alkohol- oderParaffinbasis Haut und Schleimhäute austrocknen.

Übelkeit und Erbrechen können durch Nebenwirkun-gen der Arzneimittel, Darmverschluß oder die fortgeschrit-tene Erkrankung verursacht sein. Der Arzt muß möglicher-weise die Arzneimittel wechseln oder ein Mittel gegenÜbelkeit und Erbrechen (Antiemetikum) verschreiben.Wird die Übelkeit durch Darmverschluß hervorgerufen,können Antiemetika eingesetzt und andere Maßnahmenergriffen werden, die dem Wohlbefinden des Patientendienen.

Verstopfung ist für die Patienten sehr unangenehm.Ursache dafür sind die geringe Nahrungsaufnahme, Bewe-gungsmangel und bestimmte Arzneimittel. Es kann zuBauchkrämpfen kommen. Um die Verstopfung zu besei-tigen, können Abführmittel und Einläufe erforderlich sein,besonders, wenn sie von Medikamenten verursacht wur-de. Eine Verstopfung zu beseitigen, wirkt sich grundsätz-lich positiv aus, auch in den letzten Krankheitsstadien.

Bei einem Darmverschluß kann eine Operation erfor-derlich werden. Abhängig von der Verfassung des Patien-ten, seiner Lebenserwartung und der Ursache für denDarmverschluß, kann man statt dessen den Darm medika-mentös lähmen, manchmal in Verbindung mit dem Ab-saugen des Mageninhalts durch die Nase (um den Magensauber zu halten). Mit Betäubungsmitteln werden dieSchmerzen gelindert.

Appetitlosigkeit tritt letzten Endes bei allen todkrankenMenschen auf. Daß der Appetit nachläßt, ist ganz normal,verursacht keine zusätzlichen körperlichen Beschwerdenund gehört anscheinend zum Sterben dazu. Dennochkönnen der Patient und seine Familie davon sehr beun-ruhigt sein. Die Patienten erhalten sich ihre Kräfte jedochnicht, wenn sie sich zum Essen zwingen; möglicherweisekönnen sie aber kleine Portionen ihrer Lieblingsgerichtegenießen.

Wird der Tod nicht innerhalb der nächsten Stundenoder Tage erwartet, kann man eine bestimmte Zeitlangversuchen, ob künstliche Ernährung oder Flüssigkeitszu-fuhr – mit einer Sonde durch die Nase in den Magen be-ziehungsweise durch Infusionen – das Wohlbefinden desPatienten, seine geistige Verfassung oder seine Tatkraft ver-bessert. Der Patient und seine Familie sollten mit dem Arztgenau absprechen, was mit diesen Maßnahmen erreichtwerden soll und wann sie abgebrochen werden, falls kei-ne Besserung eintritt.

Durch verringerte Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahmeleidet der Patient nicht. Wenn die Herz- und Nierenleistung

Sterben und Tod 19

▲ Siehe Seite 287

01 MerckUmbr.001- 09.02.2004 10:40 Uhr Seite 19

Page 20: Grundlagen - bücher.de

nachläßt, verursacht schon die normale Trinkmenge ge-wöhnlich eine Flüssigkeitsansammlung in der Lunge unddamit Atemnot. Sind Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahmeverringert, muß eventuell weniger abgesaugt werden, weilsich weniger Flüssigkeit im Schlund befindet. Manchmallassen auch die Schmerzen etwas nach, weil wenigerDruck auf dem Tumor lastet. Möglicherweise hilft das Fa-sten dem Körper sogar, mehr seiner eigenen schmerzlin-dernden Substanzen (Endorphine) auszuschütten. Patien-ten sollten deshalb auf keinen Fall zum Essen oder Trinkengezwungen werden, vor allem dann nicht, wenn dazu In-fusionen, Krankenhausaufenthalt oder Beschränkungender Freiheit erforderlich wären.

Offene HautWenn jemand im Sterben liegt, wird seine Haut brüchigund fühlt sich unangenehm an. Bewegt sich der Patientwenig, ist er bettlägerig oder sitzt er viel, ist das Risiko be-sonders groß, daß er sich wund liegt (Dekubitus). Dernormale Druck, dem die Haut beim Sitzen oder beimRutschen über das Laken ausgesetzt ist, kann sie bereitsaufplatzen lassen. Sie sollte deshalb ganz besonders inten-siv gepflegt werden. Gerötete oder verletzte Hautstellensollten dem Arzt sofort gezeigt werden. ▲

ErschöpfungDie meisten tödlichen Krankheiten führen zur Erschöp-fung. Ein todkranker Patient kann versuchen, Energie fürTätigkeiten aufzusparen, die ihm wichtig sind. Häufig istein Besuch in der Arztpraxis oder eine krankengymnasti-sche Übung, die keinen Nutzen mehr bringt, völlig über-flüssig. Das trifft vor allem dann zu, wenn dem Patientendamit Energie verloren geht, die er lieber anderweitig ein-setzen möchte.

Depressionen und AngstzuständeEs ist ganz natürlich, daß ein todkranker Mensch traurigist. Diese Trauer sollte man nicht mit Depression verwech-seln. Ein depressiver Mensch hat kein Interesse mehr anseiner Umwelt, sieht nur die düstere Seite des Lebens oderspürt kaum Gefühle. ■ Patient und Familie sollten mit demArzt darüber sprechen, damit die Depression diagnosti-ziert und behandelt werden kann. Die Behandlung be-steht aus Arzneimitteln und psychologischer Beratung. Sieist oft erfolgreich, so daß der Patient mehr von seinem letz-ten Lebensabschnitt hat.

Ein Patient mit Angstzuständen ist weit über das norma-le Maß hinaus besorgt: Seine Ängste sind so stark, daß siesich auf seinen Tagesablauf auswirken. ★ Diese Angst-zustände können entstehen, wenn Patienten das Gefühlhaben, nicht gut genug informiert zu werden oder überfor-dert zu sein. Das Problem läßt sich unter Umständenlösen, indem man das Pflegepersonal um Informationenund mehr Unterstützung bittet. Menschen, die in Streß-situationen mit Angstzuständen zu kämpfen haben, sinddafür auch in ihrem letzten Lebensabschnitt anfällig.Verhaltensweisen, die diesen Menschen in der Vergangen-heit bereits geholfen haben, ihre Probleme zu bewältigen,werden vermutlich auch in dieser Zeit helfen. Dazu kön-nen Arzneimittel und seelische Unterstützung gehören so-wie Strategien, die Sorgen in produktive Tätigkeiten zu ka-nalisieren. Todkranke Patienten, die unter Angstzuständenleiden, sollten seelischen Beistand bekommen und be-nötigen eventuell Medikamente.

Verwirrung, Delirium undBewußtlosigkeitBei schwerkranken Patienten kann es sehr leicht zu Ver-wirrung kommen. Dies kann von einem Medikament aus-gelöst werden, von einer geringfügigen Infektion odersogar von einer Veränderung der Lebensumstände. Oftgenügt es, die Patienten zu beruhigen und ihnen bei derNeuorientierung zu helfen. Der Arzt sollte informiert wer-den, damit er nach behandelbaren Ursachen suchenkann. Stark verwirrte Patienten müssen eventuell mit ei-nem leichten Beruhigungsmittel ruhiggestellt werdenoder benötigen eine Dauerpflegekraft.

Wenn ein Mensch geistig behindert ist oder im Deliriumliegt, versteht er nicht, was Sterben bedeutet. Wenn derTod nicht mehr weit entfernt ist, haben Patienten im Deliri-um manchmal erstaunlich klare Phasen. Dies kann für dieFamilienmitglieder von großer Bedeutung sein, kann aberauch als Zeichen der Besserung mißverstanden werden.Die Familie sollte auf solche Momente vorbereitet sein, sieaber nicht erwarten.

Etwa die Hälfte aller sterbenden Menschen sind wäh-rend ihrer letzten Tage überwiegend bewußtlos. Wenn Fa-milienmitglieder glauben, daß ein sterbender, bewußtlo-ser Mensch noch hören kann, können sie sich von ihmverabschieden. Aus der Bewußtlosigkeit hinüberzugleiten,ist eine friedliche Art zu sterben, vor allem, wenn Patientund Familie ihren Frieden gefunden haben und alle Vor-kehrungen getroffen sind.

BehinderungenIm Laufe einer tödlichen Krankheit treten häufig Behinde-rungen in zunehmender Stärke auf. Die betreffenden Per-sonen verlieren nach und nach die Fähigkeit, ihren Haus-

Grundlagen20

▲ Siehe Seite 965

■ Siehe Seite 399

★ Siehe Seite 391

01 MerckUmbr.001- 09.02.2004 10:40 Uhr Seite 20

Page 21: Grundlagen - bücher.de

halt allein zu versorgen, Essen zuzubereiten, ihre finan-ziellen Angelegenheiten zu regeln, zu gehen oder sich zuwaschen. Die meisten sterbenden Menschen benötigenwährend ihrer letzten Lebenswochen Hilfe. Dieses solltevon Anfang an berücksichtigt werden. Vielleicht wähltman eine Wohnung, die mit dem Rollstuhl zugänglich istund nicht zu weit von der Familie entfernt liegt. Bei fort-schreitenden Behinderungen kann ein Patient möglicher-weise in seiner eigenen Wohnung bleiben, wenn ambu-lante Hilfs- und Pflegedienste zur Verfügung stehen. Man-che Menschen möchten lieber zu Hause bleiben als in einKrankenhaus zu gehen, selbst wenn die Gefahr besteht,früher zu sterben.

Wenn der Tod naht

Die Beschäftigung mit dem nahenden Tod wirft viele Fra-gen über den Sinn des Lebens auf, über die Gründe fürLeiden und Sterben. Auf diese letzten Fragen gibt es keineeinfachen Antworten. Auf der Suche nach Antworten kön-nen schwerkranke Patienten und ihre Familien sich mitihren eigenen inneren Energiequellen, der Religion, mitBeratern, Freunden und der Forschung auseinanderset-zen. Sie können miteinander reden, an religiösen oder fa-miliären Zeremonien oder an Aktivitäten teilnehmen, dieihnen etwas bedeuten. Wenn der Tod naht, ist das wichtig-ste Mittel gegen die Verzweiflung oft das Gefühl, von ande-ren Menschen geschätzt zu werden. Die umfangreichenmedizinischen Vorkehrungen, die getroffen werden müs-sen, dürfen wichtige Fragen und menschliche Beziehun-gen nicht in den Hintergrund drängen.

Es ist sehr schwierig, den genauen Todeszeitpunkt vor-herzusehen. Die Familie sollte deshalb keine solchen Pro-gnosen fordern oder sich zu sehr auf ärztliche Vermutun-gen verlassen. Manchmal leben sehr gebrechliche Patien-ten einige Tage länger, als es für möglich gehalten wurde;andere Patienten sterben sehr schnell. Wenn ein Patientwünscht, daß eine bestimmte Person im Augenblick desTodes anwesend ist, sollten dementsprechende Vorkeh-rungen getroffen werden.

Häufig gibt es typische Anzeichen dafür, daß der Todkurz bevor steht. Der Patient kann immer häufiger in Be-wußtlosigkeit fallen. Die Gliedmaßen können kalt undeventuell bläulich werden oder Flecken aufweisen. Die At-mung kann unregelmäßig werden.

Schleim in der Luftröhre oder die Entspannung derHalsmuskeln kann zu Atemgeräuschen führen, die manch-mal als Todesröcheln bezeichnet werden. Die Geräuschelassen sich verringern, indem man den Patienten anderslagert oder Medikamente gegen die Schleimabsonderunggibt. Diese Maßnahmen gelten aber eher der Beruhigungder Familie und des Pflegepersonals, denn wenn dieses

Atemgeräusch auftritt, nimmt es der Patient selbst nichtmehr wahr. Dieses Geräusch kann stundenlang anhalten.

Im Augenblick des Todes können sich die Muskeln eini-ge Male zusammenziehen, und die Brust hebt sich wie beieinem Atemzug. Das Herz kann noch einige Minuten wei-terschlagen, wenn die Atmung bereits aufgehört hat. Wennder Patient nicht an einer seltenen Infektionskrankheit lei-det, sollte die Familie ermutigt werden, den Sterbendenzu berühren, zu streicheln und in den Armen zu halten,auch in den Augenblicken nach Eintritt des Todes. Fürviele Menschen ist es hilfreich, die Leiche desjenigen zusehen, der ihnen nahestand, weil sie dadurch die irratio-nale Angst verlieren, dieser Mensch sei vielleicht dochnicht tot gewesen.

Nach dem Tod

Der Tod, die Todesursache und -umstände müssen voneinem Arzt festgestellt werden. Ist jemand zu Hause gestor-ben, muß die Familie sofort einen Arzt rufen, der dann denTotenschein ausstellt. Anschließend ist ein eingetragenesBestattungsinstitut zu benachrichtigen, das in der Regeldie weiteren Formalitäten übernimmt. Geschieht dasnicht, müssen die Hinterbliebenen selbst den Todesfallspätestens am nächsten Wochentag nach Feststellung desTodes beim örtlichen Standesamt anzeigen. Dieses stelltdann die Sterbeurkunde aus. Ansonsten regelt das Bestat-tungsunternehmen alles, was an Behördengängen undFormalitäten erledigt werden muß, wie z. B. Leistungen derKrankenkasse wie Sterbegeld. Um Versicherungsansprü-che geltend zu machen, Witwenrente zu beantragen, Zu-gang zu den Konten zu bekommen, beim GrundbuchamtImmobilien überschreiben zu lassen und den gesamtenNachlaß zu regeln, ist die Sterbeurkunde unerläßlich.

Auswirkungen auf die Familie

Familie und enge Freunde begleiten den Sterbenden aufseinem Weg und leiden mit ihm. Wenn ein Mensch imSterben liegt, sollte die Familie wissen, was vor sich gehtund was möglicherweise noch auf sie zukommen kann.

Die Familie sollte sich außerdem erkundigen, welcheKosten für den letzten Lebensabschnitt anfallen werden.Häufig pflegen Frauen im mittleren Alter ein sterbendesFamilienmitglied unentgeltlich. Auf Antrag bekommen siejedoch aus der Pflegeversicherung einen entsprechendenGeldbetrag für ihre Pflegeleistung. Es ist auch möglich,sich bei seiner Pflegearbeit durch ambulante Pflegedien-ste unterstützen zu lassen, damit die Last nicht unerträg-lich wird. Auch von diesen Kosten übernimmt die Pflege-versicherung einen Teil. Allerdings überschreiten dieKosten einer mehrjährigen Pflege schwer und schwerst-

Sterben und Tod 21

01 MerckUmbr.001- 09.02.2004 10:40 Uhr Seite 21

Page 22: Grundlagen - bücher.de

behinderter Menschen oft das, was Kranken- und Pflege-kasse erstatten, denn es müssen auch Rezeptgebühren,Zuzahlungsbeträge bei Krankenhausaufenthalt, Kosten fürKrankentransport usw. eingerechnet werden.

Die Angehörigen fangen bereits vor dem Tod an zu trau-ern. Wie das Leben nach dem Tod eines geliebten Men-schen weitergeht, hängt von der Art der Beziehung ab, dieman zu dem Verstorbenen hatte, von seinem Alter, von derArt des Sterbens sowie dem emotionalen und finanziellenHintergrund. Außerdem sollte die Familie das Gefühl ha-ben, alles nur Mögliche für den Verstorbenen getan zu ha-ben. Ein Gespräch mit dem Arzt wenige Wochen nachdem Todesfall kann dabei helfen, noch offene Fragen zu

klären. Die um den Todeszeitpunkt verspürte Einsamkeit,Orientierungslosigkeit und das Gefühl des Unwirklichenverliert sich mit der Zeit, aber das Verlustgefühl wird im-mer bleiben. Die Menschen kommen weniger über denTod hinweg, als daß sie sich damit abfinden und ihr Le-ben weiterleben.

Nach dem Tod muß die Familie den Nachlaß regeln.Zwar ist es schwierig, beim Herannahen des Todes überfinanzielle Angelegenheiten zu sprechen, aber dennochsollte sich die Familie darum kümmern. Dabei ergibt sich oft, daß der Patient noch etwas unterschreiben oderarrangieren kann, um seiner Familie die Last etwas zu er-leichtern.

Grundlagen22

01 MerckUmbr.001- 09.02.2004 10:40 Uhr Seite 22

Page 23: Grundlagen - bücher.de

5. Arzneimittel – ein Überblick 23Verschreibungspflichtige und frei verkäufliche Arznei-mittel • Arzneimittelnamen • Klinische Prüfung undZulassung von Arzneimitteln • Pharmakodynamik undPharmakokinetik • Arzneimittelwirkung • Reaktion aufArzneimittel • Unerwünschte Wirkungen • Wirksamkeitund Sicherheit • Wechselwirkungen zwischen Arznei-mitteln • Arzneimittelmißbrauch

6. Aufnahme, Verteilung und Ausscheidung von Arzneimitteln 28Verabreichung • Aufnahme • Verteilung • Ausscheidung

7. Pharmakodynamik 32

Selektivität von Arzneimittelwirkungen • Affinität und intrinsische Aktivität • Wirkungsstärke • Toleranz • Arzneimittelentstehung und -entwicklung

8. Einflußfaktoren auf die Arznei-mittelreaktion 35

Genetik • Wechselwirkungen zwischen Arznei-mitteln • Wechselwirkungen zwischen Arzneimittel und Krankheit • Plazebo

9. Arzneimittel im Alter 40

10. Unerwünschte Arzneimittelwirkungen 43

Arten unerwünschter Wirkungen • Bedeutung uner-wünschter Arzneimittelwirkungen • Nutzen und Risiko •Risikofaktoren • Arzneimittelallergien • Überdosierung

11. Therapietreue bei der Arzneibehandlung 47

Nichtbefolgen der Behandlung • Befolgen der Behandlung bei Kindern • Befolgen der Behandlung bei älteren Menschen • Therapietreue verbessern

12. Generika 50

Patentschutz • Vergleich zwischen Generika und Markenprodukten • Arzneiverordnung zu Lasten der Krankenkasse

13. Nichtrezeptpflichtige Arzneimittel 52

Selbstmedikation • Sicherheitsüberlegungen •Erkältungsmittel • Mittel bei Magenübersäuerung •Schmerz- und entzündungshemmende Mittel •Schlafmittel • Mittel bei Reisekrankheit • Besondere Vorkehrungen

23ABSCHNITT 2

Arzneimittel

Arzneimittel – ein Überblick

KAPITEL 5

In jeder Kultur hat man Arzneimittel benutzt, die ausPflanzen oder Tieren hergestellt wurden. Das Bedürfnisnach Stoffen, die Krankheiten bekämpfen und Stimmungund Bewußtsein verändern, ist beinahe so alt wie die Su-che nach Nahrung und Obdach. Viele aus Pflanzen undTieren gewonnene Arzneimittel genießen immer nochhohes Ansehen, aber die meisten Arzneimittel in der mo-dernen Medizin haben wir dem Fortschritt zu verdanken,

den die synthetische organische Chemie und die Biotech-nologie seit dem Zweiten Weltkrieg gemacht haben.

Das Gesetz hat den Begriff Arzneimittel genau definiert.Es sind Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen, die dazu be-stimmt sind, am oder im menschlichen Körper angewandtzu werden, um Krankheiten zu heilen, lindern, verhütenoder erkennen. Arzneimittel können aber auch die Be-schaffenheit, den Zustand oder die Funktionen des Kör-

02 MerckUmbr.23- 09.02.2004 10:41 Uhr Seite 23

Page 24: Grundlagen - bücher.de

UNVERKÄUFLICHE LESEPROBE

MSD Manual - Handbuch GesundheitMedizinisches Wissen und ärztlicher Rat für die ganze FamilieÄrztewissen für Patienten

Taschenbuch, Broschur, 1536 Seiten, 14,0 x 20,6 cmISBN: 978-3-442-16630-5

Mosaik bei Goldmann

Erscheinungstermin: Juni 2004

Endlich: Medizinisches Wissen und ärztlicher Rat für jeden. Das umfassende und zuverlässigeNachschlagewerk bietet fundiert, übersichtlich, klar und leicht verständlich Informationenzu Krankheit, Gesundheit und der Medizin von heute. Dazu gehören Ursachen, Symptome,Diagnosen, Untersuchungsmethoden und Behandlungsmöglichkeiten ebenso wie Wichtiges zuPatientenrecht und Gesundheitswesen. Und das erstmals als handliches Taschenbuch zu einemsensationell günstigen Preis. Ärzte empfehlen: »Dieses Handbuch sollte jeder Patient besitzen.«