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Grammatik & Literatur im DaF/Z Unterricht
mit Texten von Thomas Bernhard
Lehrveranstaltung: SE Verdichtete Erfahrungen. Literatur als Laboratorium des Sprachunterrichts
WS 2016/17 Eingereicht von: Greta Maria Wurm, BA BSc (0910052) LV-Leiter: Dr. Tobias Heinrich
2
Inhaltsverzeichnis
1. GRAMMATIK & LITERATUR .................................................................................................................... 3
2. THOMAS BERNHARD ................................................................................................................................ 6
3. EIN KIND UND DIE ÜBERTREIBUNG ..................................................................................................... 8 DIDAKTISIERUNGSVORSCHLÄGE ...................................................................................................................................... 9
4. HELDENPLATZ UND DIE NEGATIVIERUNG ...................................................................................... 11 DIDAKTISIERUNGSVORSCHLÄGE ................................................................................................................................... 13
5. DAS KALKWERK UND DIE INDIREKTE REDE .................................................................................. 16 DIDAKTISIERUNGSVORSCHLÄGE ................................................................................................................................... 18
6. MEIN WELTENSTÜCK – THOMAS BERNHARD IM ANFÄNGERUNTERRICHT ......................... 20
7. WEITERARBEIT ....................................................................................................................................... 21
8. ABSCHLUSS ................................................................................................................................................ 22
9. LITERATUR ................................................................................................................................................ 24 INTERNETQUELLEN ......................................................................................................................................................... 25
10. ANHANG ................................................................................................................................................... 26 Auszug: Thomas Bernhard: Ein Kind (1982) ................................................................................................... 26 Auszug: Thomas Bernhard: Heldenplatz (1988) ........................................................................................... 27 Auszug: Thomas Bernhard: Heldenplatz (1988) ........................................................................................... 28 Auszug: Thomas Bernhard: Das Kalkwerk (1970) ....................................................................................... 29 Thomas Bernhard: Mein Weltenstück (1952) ................................................................................................. 30
3
1. Grammatik & Literatur
Gleich in der ersten Stunde des Masterseminares „Verdichtete Erfahrungen. Literatur als
Laboratorium des Sprachunterrichts“ wurde die Frage gestellt, ob Literatur in jedem
Deutschkurs einen Platz finden muss und daraus entwickelte sich eine spannende
Diskussion. Auch wenn auf die Rolle der Zielgruppe und Lernziele hingewiesen wurde,
gab es jene Vertreter/innen, die darauf bestanden, dass Literatur zum Sprachkurs
dazugehöre, auch wenn es sich um einen Kurs für eine bestimmte Berufsgruppe/
Firmenkurs handelt. Die Gegenstimmen berichteten von Kursen, in denen aufgrund von
Prüfungsdruck keine Zeit ist, vom Lehrplan abzuweichen und etwas zu Literatur zu
machen, die Lernenden wollen Grammatik und Wortschatz, um ihre Sprachzertifikate zu
erreichen. Auch meine Meinung war zu Beginn, dass in solchen Kursen und bei
fehlendem Interesse der Teilnehmer/innen kein Platz für Literatur im Deutschkurs ist.
Diese Meinung änderte ich jedoch im Lauf der Vorbereitungen auf die Präsentation, die
ich mit meiner Gruppe halten musste: Wir wollten etwas mit Literatur machen, das man
auch praktisch im Unterricht anwenden kann, was uns zur Verbindung von Literatur
und Grammatik brachte. Sehr viele Lernende sind auf das schnelle Erreichen eines
hohen Sprachniveaus aus, haben vor allem Prüfungen und Zertifikate als Ziel und
deshalb kaum Interesse an Literatur, wenn in der Zeit auch Grammatik gelernt werden
könnte. Mit einem Ausschnitt aus Peter Handkes Selbstbezichtiung (1965) wollten wir
aufzeigen, wie man mit einem literarischen Text auch spannend Grammatik vermitteln
kann. Die Gefahr, die hierbei entsteht, wird auch schon von Bernd Kast (1994)
angesprochen, nämlich den literarischen Text zu behandeln wie jeden anderen Text und
die selben Wortschatz-‐ und Grammatikübungen damit durchzuführen wie mit
semiauthentischen Lehrbuchtexten. Etwas drastisch formuliert beschrieb dies Kast: „die
Texte so lang durch den sprachdidaktischen Fleischwolf drehen, bis von Literatur nichts
mehr übrig bleibt.“ (Kast 1994: 4) Als Beispiel führt er Brechts „Wenn Haifische
Menschen wären an“, an dem wohl immer die Konjunktiv II-‐Formen aufgezeigt und
geübt werden, ohne ihre Funktion im Text zu hinterfragen (vgl. ebda.: 5). Darin bestand
nun die Aufgabe unserer Didaktisierung, Peter Handkes Text eben nicht nur zum
Aufzeigen der Struktur der Perfektbildung heranzuziehen und mit den ewig gleichen
grammatischen Übungen zur Zeitform des Perfekts zu arbeiten, sondern diese
„Überanwendung“ des Perfekts zu thematisieren und eben genau ihre Funktion für den
Text zu analysieren. Dadurch, dass die meist sehr kurzen Sätze ausnahmslos im Perfekt
4
stehen, entsteht erst der Rhythmus, der dieses Sprechstück auszeichnet. Was mit
einigen Methoden in der Präsentation gezielt behandelt wurde, in dem die Lernenden
den Textausschnitt beispielsweise mit verschiedenen Emotionen lesen (verärgert,
traurig, stolz, gelangweilt, etc.) oder beim Chorlesen gemeinsam den Rhythmus erfahren
sollten. Bei der Sprache in Handkes Text handelt es sich nicht mehr um Alltagssprache,
niemand würde ausnahmslos in kurzen Perfekt Sätzen sprechen. Hier kommt der
interessante Ausdruck der Literarizität ins Spiel. Dobstadt und Riedner (2011)
definieren Literarizität als ein Merkmal von Sprache, bei dem es nicht mehr um die
kommunikative Richtigkeit geht, sondern wo die Wörter zu einander passen müssen, wo
bildhafte Ausdrucksweisen und andere Bedeutungen eine Rolle spielen, damit ein Text
Sinn ergibt. Hier werden Wörter aneinander gereiht, die semantisch, rhythmisch und
poetisch zu einander passen (vgl. Dobstadt & Riedner 2011: 9-‐10). Handkes
ausschließliche Verwendung des Perfekts in diesem Text verleiht ihm erst seine
sprachliche Besonderheit, weg von der Alltagssprache zu einer höheren Literarizität.
Auch Vilmos Ágel (2015) wirft den Mainstream-‐Theorien der Grammatik (inklusive der
Schulgrammatik) vor, grammatische Strukturen und Regeln als bedeutungsfreie
Schemata und Mechanismen zu sehen, die lediglich Wörter zu „korrekten“ Wortgruppen
und diese zu „korrekten“ Sätzen zusammenzufügen (vgl. Ágel 2015: 159). Er besteht
dagegen darauf, „dass grammatische Konstruktionen einen durchaus wichtigen Beitrag
zur Textinterpretation darstellen, d.h. dass sie nicht nur die Textverständlichkeit
syntaktisch absichern, sondern auch Textsinn (mit) konstruieren.“ (Ebda: 160) Mit eben
diesem Standpunkt soll auch in der vorliegenden Arbeit gearbeitet werden, dass
Grammatik eben nicht ein „sinn-‐loses“ Regelsystem ist, das im Hintergrund abläuft,
sondern den Textsinn sehr wohl wirkungsvoll mitgestaltet. Wenn ein
Grammatikphänomen angewendet oder gebrochen wird und dadurch im Text eine
bestimmte Funktion erfüllt, wird es möglich beides, Grammatik und Literatur, im
Fremdsprachenunterricht zu verbinden, ohne das literarisch Besondere eines Textes
durch langweilige Grammatikübungen zu vernichten. In dem eben genau dieses
Phänomen und seine Rolle im Text behandelt werden. So kann man mit Handkes
Selbstbezichtigung einerseits die Struktur des Perfektes vermitteln und andererseits die
Sprache der Literatur behandeln. Am Ende der Präsentation blieb unter anderem eine
Frage offen: „Welche Rolle spielt Grammatik in der Literatur?“. Ausgehend von dem
oben dargelegten Beispiel soll die vorliegende Arbeit darauf aufbauen, die Rolle der
Grammatik in literarischen Texten aufzuzeigen und in einem weiteren Schritt diese für
5
den Fremdsprachenunterricht zugänglich zu machen. Damit werden zwei Fliegen mit
einer Klappe geschlagen, es wird sowohl Grammatik trainiert als auch literarische
Stilmittel aufgezeigt, die helfen, die Sprache der Literatur und somit literarische Texte
besser zu verstehen.
Die Literaturrecherche für diese Arbeit zeigt, dass zumindest für den (DaF/DaZ-‐)
Unterricht diese Verbindung noch in keiner Publikation stattgefunden hat. George und
Henkel (2014) behandeln in ihrem Buch „Grammatik und Literatur. Eine vergleichende
Analyse literarischer Dualität in Daniel Kehlmanns Vermessung der Welt und Alexa
Henning von Langes Relax“ 1 zwar eine Verbindung von Grammatikanalyse und
Literatur, dies ist jedoch für Literaturwissenschaftler/innen und Interessierte, nicht für
den Unterricht aufbereitet. Die Grammatikmodelle sind außerdem für den
Fremdsprachenunterricht wenig relevant (bei George und Henkel erwähnte
grammatische Modelle: Nähe-‐Distanz-‐Modell, Junktionsmodell, Felderstrukturmodell2)
Für die vorliegende Arbeit sollen jedoch Grammatikphänomene ausgewählt werden, die
Fremdsprachenlerner/innen ohnehin lernen würden, und nur die Verbindung, dies
mithilfe Literatur zu tun, aufgezeigt werden. So ist an sich jeder literarische Text
möglich, der ein passendes (im Europäischen Referenzrahmen vorkommendes)
Grammatikphänomen als literarisches Stilmittel einsetzt, also durch seine bewusste
Anwendung den Sinn und die Wirkung des Textes beeinflussen möchte. Die Auswahl der
literarischen Texte für diese Arbeit fiel auf Werke des österreichischen Autors Thomas
Bernhard. Bernhard ist ein weit über die Grenzen des Landes bekannter Autor und die
Schauplätze in seinen Texten sind oft in Österreich angesiedelt, was eine
Auseinandersetzung mit österreichischer Landeskunde anbietet. Für diese Arbeit jedoch
relevanter ist Bernhards schriftstellerischer Stil, der nach einer kurzen Einführung zur
Person Bernhards in Kap. 2 näher beschrieben wird. Die darauffolgenden Kapitel der
Arbeit greifen jeweils einen Ausschnitt aus einem Werk Bernhards auf und erläutern ein
darin bedeutendes Grammatikphänomen und mögliche Didaktisierungen für den
Fremdsprachenunterricht. Die Frage zur Rolle der Grammatik in der Literatur wird im
abschließendem Schlusswort noch einmal aufgegriffen.
1 Kassel: kassel university press 2014 2 http://www.upress.uni-‐kassel.de/katalog/abstract.php?978-‐3-‐86219-‐734-‐7 (05.01.2017)
6
2. Thomas Bernhard
Thomas Bernhard wird am 9. Februar 1931 in Heerlen/Holland geboren. Er wächst bei
seiner Mutter und seinen Großeltern mütterlicherseits auf. Sein Vater spielt in seinem
Leben keine Rolle, die wichtigste Bezugsperson für Bernhard ist sein Großvater, der
Schriftsteller Johannes Freumbichler. Nach abgebrochener Schulbildung absolvierte er
eine Lehre als Einzelhandelskaufmann. Bernhards erster Gedichtband erscheint 1957
(Auf der Erde und in der Hölle) und von da an folgen zahlreiche Veröffentlichungen und
Auszeichnungen (vgl. Dittmar 1981). Nicht alle waren jedoch begeistert von seinem
Schreiben. Viele seiner Werke sind sehr österreichkritisch, der Staat, die Gesellschaft
und anerkannte österreichische Institutionen wie das Wiener Burgtheater werden aufs
Schärfste kritisiert und bekannte österreichische Politiker forderten in Folge ein
Aufführverbot für seine Theaterstücke.3
Nach seinem Tod 1989 wird Bernhard in Österreich jedoch gefeiert und seine Werke
und sein schriftstellerischer Stil werden für viele zum Vorbild (vgl. Schäfer 20144). Zu
seinem Schreibstil gibt es zahlreiche Arbeiten, in denen zum Beispiel seine
Wiederholungen, Übertreibungen/Steigerungen, Negationen, indirekte Reden, Satzbau,
etc. als literarische Stilmittel analysiert werden (vgl. z.B. Schmidt-‐Dengler 1986, Lee
2004, etc.). Eben hier knüpft die vorliegende Arbeit an, es werden im Folgenden diese
literarischen Stilmittel dazu verwendet, die Sprache und Grammatik zu vermitteln und
gleichzeitig Thomas Bernhards Werke. Eine Deutung seiner Werke wird jedoch hier im
Unterricht nicht angestrebt, zu uneinig sind sich Kritiker und Literaturwissenschaftler in
ihren Interpretationen (vgl. Schmidt-‐Dengler 1986: 26). „Thomas Bernhard hat öfter zu
seinen Texten Stellung genommen, allerdings in einer Weise, die oft mehr Dunkelheit
verbreitete als Erhellung schaffen konnte.“ (Schmidt-‐Dengler 1986: 31) Es geht hier also
nicht darum, herauszufinden, was Bernhard ausdrücken wollte, sondern die Lernenden
müssen die Texte für sich selbst interpretieren. Es soll behandelt werden, was sein
Schreibstil in den Textauszügen bei ihnen als Leser/in auslöst und wodurch das erreicht
werden kann, und keine Interpretation und Analyse seiner Werke stattfinden. Die Wahl,
den Fokus in der vorliegenden Arbeit auf Werke von Bernhard zu legen, wurde auch mit
den von Kast aufgelisteten Kriterien der geeigneten Auswahl für literarische Texte im
Unterricht abgeglichen (vgl. Kast 1994: 12):
3 Vgl. http://www.mein-‐oesterreich.info/literatur-‐medien/bernhard.htm (07.01.2017) 4 http://www.zeit.de/2014/07/thomas-‐bernhard (07.01.2017)
7
Kast spricht bei der Einteilung der Kriterien von „Leserbezogenen Aspekten“ und
„Literarischen Aspekten und Arbeitsweisen“. Zu den leserbezogenen Aspekten zählen
zum Beispiel das Alter und das Sprachniveau der Zielgruppe. Thomas Bernhard ist
gewiss nicht für jede Altersstufe und auf jedem Sprachniveau möglich, dies muss
natürlich berücksichtigt werden. Die Zielgruppe der Didaktisierungsvorschläge dieser
Arbeit sind Deutschlernende auf einem etwas höheren Niveau, etwa ab B2 des
Europäischen Referenzrahmens, da die Texte aufgrund von Wortschatz und Aufbau, und
auch die angesprochenen Grammatikthemen ein fortgeschrittenes Niveau erfordern. Für
Thomas Bernhard im Anfängerunterricht wird am Ende der Arbeit noch ein
Unterrichtsvorschlag gegeben. Weiters sind die Interessen und Wünsche der Lernenden
äußerst relevant bei der Auswahl der Literatur im Unterricht. Die Verbindung von
Literatur & Grammatik wie sie in der vorliegenden Arbeit stattfindet, sollte dann
eingesetzt werden, wenn die Zielgruppe ausdrücklich nach Grammatikunterricht
verlangt. Man würde meinen, Deutschlernende wären froh, nicht immer nur Grammatik
vermittelt zu bekommen, doch es gibt durchaus die Lernenden, die an einem schnellen
Spracherwerb interessiert sind und der Meinung sind, dies sei nur durch die
Vermittlung von Grammatik möglich. Genau für diese Zielgruppe, die, sei es aus
zeitlichen oder persönlichen Gründen, im Unterricht keine Zeit für Literatur aufbringen
will, ist diese Art der Didaktisierung gedacht. In jedem anderen Fall wäre es sehr
sinnvoll, die Grammatikregeln für einen Moment zur Seite zu legen und sich mit der
Literatur um der Literatur willen zu beschäftigen. Die Hauptmotive in Thomas
Bernhards Werken oft Politik, Gesellschaft, Staat, Kunst, das Scheitern, Krankheit und
Tod, also alltägliche Themen, das ist natürlich mit den Lernenden abzuklären, ob eines
dieser Themen für sie interessant ist. Was die „Literarischen Aspekte und
Arbeitsweisen“ betrifft dazu zählen die Komplexität, die Authentizität, die
Diskutierbarkeit und die Frage, was man mit dem Text machen kann? Bernhards Texte
sind ohne Frage authentisch und auch die Diskutierbarkeit steht außer Frage, das zeigen
die unzählbaren Sekundärliteraturen, Abhandlungen und Diskussionen im öffentlichen
Rahmen sowie die erwähnten Uneinigkeiten bei den Interpretationen. Bernhards
Themen sind Themen, die (in Österreich) jeden betreffen können und Bernhard schreibt
aus der Rolle eines „normalen“ Bürgers des Landes, der nicht zur Oberschicht, zur
Politikerelite oder gar zum Klerus gehört, die er so oft anprangert. Demnach ist hier eine
Identifikation für viele möglich, bei der jedoch die „kritische Distanz“ gewahrt werden
8
kann. Und dass man mit seinen Texten didaktisch sehr viel Abwechslungsreiches
machen kann, wird in den nächsten Kapiteln hoffentlich deutlich.
3. Ein Kind und die Übertreibung
Die Übertreibung ist ein zentrales Stilmittel von Thomas Bernhard, wird er von
Wendelin Schmidt-‐Dengler sogar als "Der Übertreibungskünstler“ (1986) bezeichnet.
Immer wieder sind die Monologe seiner Protagonisten von zahlreichen Übertreibungen
durchzogen, die extremste Ansichten vermitteln. Ein Ausschnitt, in dem dies gut gezeigt
werden kann, stammt aus dem Roman „Ein Kind“ (1982), dem fünften und letzten Teil
der Erzählungen seiner Autobiographischen Reihe. Darin erzählt Bernhard seine
Kindheit in Salzburg und Traunstein, seine Beziehung zur Mutter, den Großeltern und
die Zeit im NS-‐Erziehungslager. In dem ausgewählten Ausschnitt beschreibt der
Protagonist, ein achtjähriger Junge, wie seine Mutter ihn zu bestrafen pflegt. Man erfährt
von der Beziehung zwischen Mutter und Kind sowie von der „Beziehung“ seiner Eltern,
was sich als Einstieg in Bernhards Werk anbietet. Die beiden Seiten sind im Anhang
dieser Arbeit angefügt. Die Lernziele dieser ersten Unterrichtseinheit zu Thomas
Bernhard sind also einerseits eine Einführung in die Familiensituation des Autors aus
autobiographischer Quelle und andererseits das Kennenlernen des Stilmittels der
Übertreibung mit anschließenden Grammatikübungen zur Komparation. Zur Funktion
der Übertreibung bei Bernhard schreibt Ho-‐Kyoung Lee: „Die ständige Übertreibung
kann man als totale Kritik an der Gesellschaft bewerten, in einzelnen Fällen jedoch,
gerade durch die permanente Steigerung, als eine humoristische Attitüde ansehen.“ (Lee
2004: 104) Obwohl der Inhalt des ausgewählten Textauszugs dramatisch ist, verleiht
ihm die Steigerung ins Äußerste tatsächlich etwas Komisches. Beispielsweise der letzte
Satz: „Ich musste einen Schwerverbrecher ganz besonderer Niederträchtigkeit zum
Vater gehabt haben...“ (Bernhard 1995: 39) wirkt trotz der Dramatik etwas übertrieben
und dadurch nicht ganz ernst. Die Lernenden sollen jedoch nach dem Lesen selbst
überlegen, wie der Text auf sie wirkt, wie sie diese für Bernhard typisch überspitzte
Darstellung empfinden.
Weiters möchte Bernhard mit seiner Übertreibungskunst auch oft provozieren, wenn
einer seiner Protagonisten zum Beispiel den österreichischen Staat oder den
Katholizismus aufs Äußerste anprangert, wozu sich auch ein Auszug aus „Heldenplatz“
(1988) anbieten würde, um Provokation durch Übertreibung zu thematisieren.
9
Didaktisierungsvorschläge
Die folgende Tabelle fasst die Übungen, Aufgaben und Ziele der Arbeit mit dem
Textauszug aus „Ein Kind“ zusammen:
Aufgabe/Übung Beschreibung Lernziel Sozialform
1 Lesen Textauszug 1-‐3 mal leise lesen globales
Leseverstehen
Einzelarbeit
2
Figurenkonstella-‐
tion aufstellen
Die Figurenkonstellation
Großeltern – Kind – Mutter –
Vater werden besprochen
selektives
Leseverstehen
Partner-‐
arbeit
3 Superlative
sammeln
Superlativformen aus dem
Text an der Tafel sammeln
Wiederholung
Komparation
Plenum
4 Übertreibungen
analysieren
Die Beschimpfungen der
Mutter werden analysiert
Übertreibungen
erkennen
Plenum
5 eigene Texte es werden eigene Texte
verfasst, in denen das
Stilmittel der Übertreibung
angewendet werden soll.
kreatives
Schreiben -‐
Übertreibungen
produzieren
Einzelarbeit
Aufgabe 2
In Partnerarbeit notieren sich die Lernenden was sie über die Figuren der Großeltern,
des Kindes, der Mutter und des Vaters in dem Textausschnitt erfahren und in welcher
Beziehung die einzelnen Figuren zueinander stehen. Die gesammelten Informationen
werden mit denen der anderen Lernenden verglichen.
Aufgabe 3
Folgende Formen sollen von den Lernenden als Superlative im Text erkannt werden:
• allerhöchster Theatralik • bei geringster Gelegenheit • mit den fürchterlichsten Sätzen • die größte Enttäuschung • die größte Niederlage
10
Mit diesen Beispielen bietet sich an, sowohl die Komparation mit als auch die ohne
Artikel zu wiederholen. Anschließend werden vor allem emotionsgeladene Adjektive
wie fürchterlich, beeindruckend, etc. und Nomen wie Enttäuschung, Niederlage etc.
gesammelt und daraus Sätze im Superlativ gebildet. An dieser Stelle kann natürlich eine
an die Lernergruppe angepasste (intensivere) Beschäftigung mit dem Komparativ /
Superlativ eingefügt werden.
Aufgabe 4
Nun soll darauf hingewiesen werden, dass der Superlativ nur eine Form ist,
Übertreibungen darzustellen und diese durch gewisse Wörter und Redewendungen
ebenfalls erreicht werden kann. Als Beispiele können die Adjektive todmüde, blitzschnell
oder Redensarten wie „ein Meer aus Tränen“, „wie Sand am Meer“ genannt werden, um
zu verdeutlichen, dass das Stilmittel der Übertreibung auch in der Alltagssprache
angewendet wird.5 Nun können gemeinsam weitere Beispiele gesucht werden.
Im Bezug auf den Text werden anschließen die Beschimpfungen der Mutter genauer
untersucht.
Fragestellung: Welche Aussagen wenden das Stilmittel der Übertreibung an?
1. Du hast mir noch gefehlt!
2. Du bist mein ganzes Unglück,
3. dich soll der Teufel holen!
4. Du hast mein Leben zerstört!
5. Du bist an allem schuld!
6. Du bist mein Tod!
7. Du bist ein Nichts,
8. ich schäme mich deiner!
9. Du bist so ein Nichtsnutz wie Dein Vater!
10. Du bist nichts wert!
11. Du Unfriedenstifter! Du Lügner!
Einige davon lassen sich eindeutiger zuordnen als andere, „Du hast mein Leben zerstört“
oder „Du bist mein Tod“, sind beispielsweise klassische Übertreibungen.
5 Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Hyperbel_(Sprache) (07.01.2017)
11
Die Beschimpfungen „dich soll der Teufel holen!“ oder „Du Lügner!“ dagegen nicht. Bei
einigen Aussagen könnte hier eine Diskussion entstehen.
Nun wird die Frage in den Raum gestellt, was die Superlative und Übertreibungen im
Textauszug beim Lesen auslösen. Bevor die Frage diskutiert wird, liest der/die
Kursleiter/in oder ein Teilnehmer den Text laut vor. Durch das laute Lesen kommen die
Emotionen meist noch besser zum Ausdruck. Verschiedene Personen werden den Text
wahrscheinlich unterschiedlich vortragen, das Kind als Verfasser des Textes könnte
entweder verärgert, traurig oder aber gelassen auf die Ereignisse reagieren und
dementsprechend kann der Text unterschiedlich gelesen werden. Nun wird über die
Frage nach der Rolle der Superlative und Übertreibungen diskutiert. Nach einer
Sammlung der Antworten wird die oben erwähnte Meinung von Lee genannt, dass durch
Übertreibungen ein Text auch etwas Humoristisches bekommt und etwaige Meinungen
der Lernenden dazu eingeholt.
Aufgabe 5
Zum Abschluss sollen die Lernenden eigene Texte produzieren und das Stilmittel der
Übertreibung anwenden. Die Textsorte kann wie der Ausgangstext eine
(autobiographische) Erinnerung eines Erlebnisses in Form eines Briefes oder
Tagebucheintrags sein. Die Funktion des Stilmittels wird besonders dann deutlich, wenn
in einem bereits verfassten Text über ein Erlebnis die Übertreibung erst im Nachhinein
angewendet wird. Einige Adjektive in den Superlativ setzen und Beschreibungen ins
Äußerste ändern, zeigt sehr deutlich was dadurch mit einem Text passiert. Wird ganz
einfach aus „einem schönen Sommertag“ plötzlich „der schönste Sommertag“, „die
grauen Wolken am Himmel“ zu „den dunkelsten Wolken, die ich jemals gesehen hatte“
oder „der müde Großvater“ zu „der Großvater, der so müde war, als hätte er seit Beginn
des Krieges nicht mehr geschlafen“ dann kann man die Wirkung dieses literarischen
Stilmittels besonders gut nachvollziehen.
4. Heldenplatz und die Negativierung
„Thomas Bernhard lässt, auch wenn ein neutraler Standpunkt vom Leser vertreten
werden könnte, keine positive Betrachtung zu.“ (Yee 2004: 7) Dieses Zitat bezieht sich
auf eine Analyse von Bernhards Roman „Frost“, lässt sich aber ohne weiters auch auf das
1988 uraufgeführte Drama „Heldenplatz“ anwenden. Bereits in der Einleitung wurde
12
erwähnt, dass es Proteste von bekannten österreichischen Politikern gab, Bernhards
Werke aufzuführen -‐ hier wurde vor allem die Aufführung von „Heldenplatz“ gemeint.
Bereits vor der Uraufführung am 4. November 1988 erschienen ein paar Seiten des
Dramas in österreichischen Tageszeitungen und lösten bei Politik und Gesellschaft
heftige Kritik aus. 6 Die Katholiken, die Sozialisten, ja die gesamte österreichische
Bevölkerung wird auf den Seiten als nationalsozialistisches Gesindel beschimpft, und es
wurde kritisiert, dass das Stück das Ansehen Österreichs beschmutzt, weshalb seine
Absetzung gefordert wurde.7 Bundeskanzler Franz Vranitzky, andere Persönlichkeiten
und die IG österreichischer Autoren setzten sich jedoch für die Aufführung ein und die
Uraufführung fand wie geplant statt. Am Ende waren der Applaus und die Jubelrufe doch
lauter als die Gegenstimmen und Thomas Bernhard kam sogar selbst auf die Bühne was
sich als letzter öffentlicher Auftritt vor seinem Tod herausstellen sollte. (ein Video der
Reaktion nach der Uraufführung von „Heldenplatz“ im Burgtheater ist auch online
verfügbar: http://www.thomasbernhard.at/index.php?id=190%20) Dieser Hintergrund
ist bedeutsam, wenn das Drama im Fremdsprachenunterricht behandelt werden soll!
Auch wenn in den Didaktisierungsvorschlägen in der vorliegenden Arbeit nicht auf den
genauen Inhalt und den Hintergrund der Beschimpfungen von alles und jedem
eingegangen wird, da der Schwerpunkt hier auf Grammatik und Stilmittel liegt, darf
dieser Aspekt bei so einem Werk natürlich nicht ganz weggelassen werden. Den
„Heldenplatzskandal“ sowie Rezensionen zum Stück in einer eigenen Unterrichtseinheit
zu behandeln wäre deshalb zu empfehlen. Besonders wenn man überlegt, dass es sich
bei den Lernenden um Personen handeln wird, die nicht zu viel über Österreich wissen
und die Gefahr besteht, ihr Bild in eine sehr negative Richtung zu lenken, wenn die
Aussagen im Drama nicht hinterfragt werden. Ulrich Dronske schreibt über Thomas
Bernhards Sprache in „Heldenplatz“ immerhin: „[die] Monologe richten sich gegen
Österreich und die Österreicher, gegen den österreichischen Klerikalfaschismus, gegen
die Natur im allgemeinen und gegen die Blumen im besonderen, gegen die völlig stupide
österreichische Presse, gegen die österreichischen Universitäten und ihre stupide
Professorenschaft, gegen Altersheime und gegen eigene Kinder, gegen die Stadt und die
Städter sowie gegen das Land und die Landbewohner und, und, und.“ (Dronske 1999:
120) Dies macht hoffentlich deutlich, das eine Auseinandersetzung alleine mit
6 Vgl. http://www.thomasbernhard.at/index.php?id=190%20 (08.01.2017) 7 Vgl. http://www.mein-‐oesterreich.info/literatur-‐medien/bernhard.htm (08.01.2017)
13
grammatikalischen Stilmittel zu wenig ist, wenn man das Werk „Heldenplatz“ im
Unterricht behandeln möchte.
Der Inhalt des Dramas beschreibt die Geschichte um den Selbstmord eines Professors,
der zu Kriegszeiten von den Nazis verjagt wurde, aber in den fünfziger Jahren vom
Wiener Bürgermeister gebeten wurde, seinen Lehrstuhl in Oxford aufzugeben und an
die Wiener Universität zurückzukehren. Zurück in Wien muss der Professor jedoch
erkennen, dass die Situation in Österreich noch viel schlimmer ist als 1938 und er sieht
im Selbstmord den einzigen Ausweg (vgl. Bernhard 1995). In dem ausgewählten
Textausschnitt, der ebenfalls im Anhang angeführt ist, spricht sein Bruder, Professor
Robert Schuster, über diese Situation in Österreich. Das zu Beginn dieses Kapitels
angeführte Zitat soll auch in das Grammatikkapitel dieses Kapitels einführen – die
Negativierung. Bei der Negativierung wird eine Person, ein Ort, ein Gegenstand oder
eine Situation negativ beschrieben. Handelt es sich dabei um einen Zustand spricht man
auch von Negation, Negativierung beschreibt dagegen dann eher einen Prozess. Von
einem (relativ) positiven oder neutralen Ausgang findet eine Wandlung hin zum
Negativen oder sehr Negativem statt (vgl. Lee 2004: 118). Wird dieser Prozess in einem
literarischen Werk überdurchschnittlich häufig beschrieben, kann die Negativierung
durchaus als ein literarisches Stilmittel gesehen werden. So ist dies in einigen von
Bernhards Werken der Fall. Auch in einer Beschreibung seines Romans „Frost“ heißt es:
„Bernhard negativiert besonders sein Heimatland Österreich, Politiker, die Gesellschaft,
die Kirche, seltener dagegen Einzelpersonen.“ (Lee 2004: 118). In den folgenden
Übungen und Aufgaben zum Textauszug soll also die Negation und auch die
Negativierung als Grammatikphänomen geübt und die Wirkung als literarisches
Stilmittel analysiert werden.
Didaktisierungsvorschläge
Aufgabe/Übung Beschreibung Lernziel Sozialform
1 Lesen Die Lernenden lesen den
Textauszug 1-‐3 Mal
globales
Leseverstehen
Einzelarbeit
2 Suche x-‐
Aufgabe:
Negations-‐
wörter suchen
Die Lernenden suchen ihnen
bekannte Negationswörter
heraus
detailliertes
Leseverstehen;
Negation
(Wiederholung)
Plenum
14
3 Suche x-‐
Aufgabe:
negativ besetzte
Wörter suchen
Die Lernenden suchen in
Partnerarbeit negativ besetzte
Nomen und Adjektive, diese
werden anschließend an der
Tafel gesammelt.
detailliertes
Leseverstehen;
Wortschatz
Partner-‐
arbeit
4 Das Negations-‐
präfix „un-‐“
wird eingeführt
verschiedene Varianten möglich Negation mit un-‐ Plenum
5 Negativierungs-‐
prozess
nachvollziehen
Die Lernenden sollen den Text
in drei Abschnitte teilen, je nach
Grad der inhaltlichen
Negativierung
Stilmittel der
Negativierung
erkennen
Einzelarbeit
6 Negativierungs-‐
prozess
nachvollziehen
Abschnitte eines anderen
Textauszuges soll in die richtige
Reihenfolge gebracht werden.
Stilmittel der
Negativierung
erkennen
Partner-‐
arbeit
7 Wortschatz
Bingo
Lernende tragen die (neu) er-‐
arbeiteten Wörter in einen
Bingo-‐Spielplan ein, der KL liest
sie in beliebiger Reihenfolge vor
Wortschatz,
detailliertes
Hörverstehen
Plenum
Aufgabe 2
Im Textauszug sollen die Negationswörter kein, keinen, nicht und nichts gefunden
werden. Hier bietet sich eine Grammatikübung zur Negation an. Negation mit „kein“
sollte bekannt sein, der Unterschied zwischen „nicht“ und „nichts“ und die Satzstellung
bei der Negation kann an dieser Stelle thematisiert werden.
Beispielsätze aus dem Text:
Das dagegen Gesagte wird nicht gehört.
Es wird nichts dagegen gesagt.
15
Aufgabe 3 & 4
In Partnerarbeit suchen die Lernenden negativ besetzte Nomen und Adjektive im Text:
• zwecklos • dagegen
• katastrophal • Gleichgültigkeit
• unheilvoll • Unglück
• Katastrophe • Tode
• Urteil • Hinrichtung
Nicht bekannte Wörter können durch Wörterbucharbeit oder Definitions-‐
Zuordnungsübungen geklärt werden.
Anschließend wird das Negationspräfix un-‐ eingeführt. Dafür wird in dieser Arbeit keine
spezielle Arbeitsweise angegeben, je nach Lernergruppe und Lerngewohnheit wird an
dieser Stelle das Grammatikphänomen der Negation mehr oder weniger intensiv
behandelt, unabhängig vom Bernhard Text.
Aufgabe 5
Mit Aufgabe 5 wird nun das Stilmittel der Negativierung analysiert und erarbeitet. Da
die Negativierung einen Prozess beschreibt, gibt es einen Ausgangspunkt, der positiv
oder neutral ist und dann wiederholt und inhaltlich ins Negative gesteigert wird (vgl.
Lee 2004: 119). Die Entwicklung im ausgewählten Textauszug beginnt damit, dass die
Stimme des einzelnen zwecklos geworden ist steigert sich dahingehend, dass die
Österreicher ein Volk völliger Gleichgültigkeit gegenüber katastrophalen Zuständen
geworden sind bis schließlich die Österreicher längst zum Tode verurteilt und die
Hinrichtung unmittelbar bevorsteht. Der neutrale Ausgangspunkt, an dem die Stimme
des einzelnen eventuell noch nicht zwecklos war, liegt in der Vergangenheit und wird
nicht erwähnt. Es lässt sich also in diesem Ausschnitt die angesprochene Wiederholung
des Hauptwortes der Negativierung (die Österreicher) und die inhaltliche Steigerung ins
Negative schön nachvollziehen. Dies ist jedoch kein Zufall, schlägt man das Buch
„Heldenplatz“ an einer beliebigen Stelle auf, ist die Chance sehr hoch, eine Beschimpfung
und deren inhaltlich negativierenden Prozess zu finden. Nun geht es darum, diesen
Prozess den Lernenden zu vermitteln. Dazu sollen sie den Text in drei Abschnitte
gliedern, in denen ihrer Meinung nach eine Steigerung negativen Inhalts stattgefunden
hat. Im Textauszug im Anhang sind drei möglich Schnittstellen durch eine Linie
markiert.
16
Aufgabe 6
Um das Stilmittel der Negativierung zu vertiefen wird ein weiterer Textauszug aus
„Heldenplatz“ (auch im Anhang) in drei Abschnitten ausgeteilt und die Lernenden
versuchen ihn in Partnerarbeit in die richtige Reihenfolge zu bringen. Dadurch soll
wieder die Steigerung ins Negative erkannt werden. Anschließend folgt die Diskussion
über die Funktion des Stilmittels für den Text und seine Wirkung auf den Leser/die
Leserin. Diese permanente Negativität, was löst sie beim Lesen aus, wie wird sie von den
Lernenden empfunden?
Aufgabe 7 und eigene Produktionen
Bevor die Lernenden sich selbst an Negation und Negativierung üben, kann mit einem
auflockernden Bingo-‐Spiel noch einmal der passende Wortschatz aktiviert werden. Die
negativ besetzen Wörter aus Aufgabe 3 und eventuell 6 beziehungsweise von den
Lernern eingebrachte Nomen und Adjektive werden an der Tafel gesammelt und von
den Lernenden in ein Bingo-‐Spielplan eingetragen. Die Lehrperson verwendet nun die
Wörter in beliebiger Reihenfolge jeweils in einem Satz. Sobald ein Wort vorgetragen
wurde, welches auf dem Bingo-‐Spielplan eingetragen worden ist, darf dieses
durchgestrichen werden. Wer als erster vier durchgestrichene Wörter in einer Reihe
(horizontal, vertikal oder diagonal) hat, ruft Bingo und hat die Runde gewonnen.
Dadurch, dass die Wörter von der Lehrperson in einem Satz verwendet werden, wird
einerseits detailliertes Hörverstehen trainiert, andererseits die Bedeutung und korrekte
Verwendung der Wörter noch einmal deutlich. Nun können die Lernenden in einem
kreativen Schreibprozess versuchen, in einer kurzen Beschreibung einer Situation, eines
Ereignisses, Organisation oder Institution das Stilmittel der Negativierung anzuwenden.
5. Das Kalkwerk und die indirekte Rede
Der 1970 erschienene Roman „Das Kalkwerk“ thematisiert unter anderem wieder zwei
von Bernhards wiederkehrenden Motiven – Krankheit und Tod. Auch der Protagonist
Konrad ist keine untypische Figur für Bernhard (vgl. Bernhard 1973): Er ist ein
Privatgelehrter, der in der Weihnachtsnacht seine verkrüppelte und seit Jahren im
Rollstuhl sitzende Frau erschießt und sich zwei Tage später widerstandslos abführen
lässt. Der Roman beschreibt die Suche nach den Gründen für Konrads Tat. Dieser hatte
sich mit seiner Frau in ein Kalkwerk zurückgezogen und dort jahrelang an einer Studie
zum menschlichen Gehör gearbeitet. Man erfährt auch, dass er seine Frau nur deshalb
17
geheiratet hat, weil sie krank und hilfsbedürftig war und sie ihm als Objekt für
wissenschaftliche Experimente diente. Doch auch er selbst und die ganze Umwelt
„werden ihm zu Objekten des Experimentes, das Unhörbare zu hören, das Erkannte
mitzuteilen.“ (Bernhard 1973: 2) Doch die Studie wird nie fertiggestellt, Konrad beginnt
nicht einmal, sie niederzuschreiben, da er jedesmal wenn, er sich dazu bereit fühlt mit
dem Schreiben zu beginnen, von irgendetwas oder irgendjemandem abgelenkt wird und
seine Ideen wieder vergisst, am Ende geht er selbst daran zugrunde.8 Interessant ist in
dem Roman die Erzählperspektive. Erzählt wird aus der Sicht eines Lebens-‐
versicherungsvertreters, dem Ich-‐Erzähler, über den der/die Leser/in nichts
Persönliches erfährt. Dieser versucht, die Hintergründe von Konrads Tat zu
rekonstruieren und unterhält sich zu diesem Zweck mit Bekannten des Mörders. Die
Wiedergabe dessen, was der Erzähler in diesen Gesprächen erfährt, findet fast
ausnahmslos im Konjunktiv I und in indirekten Reden statt9, weshalb es sich anbietet,
einen Auszug aus diesem Roman für die Vermittlung der indirekten Rede sowohl als
Stilmittel als auch als Grammatikkapitel zu verwenden. Mit Hilfe der indirekten Rede
kann ein Erzähler wiedergeben oder zusammenfassen, was eine andere, nicht
anwesende Person oder Gruppe, gesagt hat. Dabei ist es ihm möglich, sich
kommentierend einzumischen und etwas herauszuheben. Die Grundfunktionen der
indirekten Rede sind10:
• erzeugen von Distanz zum erzählten Geschehen
• zusammenfassen von Äußerungen (einer Gruppe) von Menschen
• relativieren des Gesagten als subjektiv
• Erzähler wird als Vermittler des Geschehens deutlich erkennbar
• Wirkung: berichtend, mittelbar, distanzierend
Was noch gesagt werden muss, die Sprache in „Das Kalkwerk“ ist von der Komplexität
her bestimmt schwieriger als die bisher erwähnten Werke Bernhards, das liegt vor
allem daran, dass die Sätze über viele Zeilen gehen und voll mit Nebensätzen und
Einschüben sind, was für einen Textauszug durchaus möglich ist, das ganze Buch zu
lesen sollte dem/r ungeübten Leser/in deutschsprachiger Literatur aber freistehen. Der
Ausschnitt, auf den sich die Didaktisierung bezieht, ist wieder im Anhang angefügt. Die
8 Vgl. http://www.thomasbernhard.at/index.php?id=201 (09.01.2017) 9 Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Das_Kalkwerk (09.01.2017) 10Vgl. http://www.teachsam.de/deutsch/d_literatur/d_gat/d_epik/strukt/darb/darb_fig_indir0.htm (11.01.2017)
18
indirekte Rede wird auch laut Europäischem Referenzrahmen auf der Niveaustufe B2/2
eingeführt11, passt also zu dem Level für das diese Didaktisierungen gedacht sind. Für
die Einführung der indirekten Rede sollte jedoch zuvor in einer extra Einheit mit einem
einfacheren Text gearbeitet werden, da die zusätzlichen Nebensätze und Einschübe in
Bernhards Text zu Beginn eines so fortgeschrittenen Grammatikkapitels unnötige
Schwierigkeiten bereiten. In der nächsten Einheit das gerade erworbene Wissen jedoch
gleich in einem authentischen, literarisch hochwertigen Text anwenden zu können,
sollte motivierend wirken. Die Einheit zu generellen Einführung der indirekten Rede
wird hier nicht näher ausgeführt, da in dieser Arbeit nur kurze
Didaktisierungsvorschläge an den Textbeispielen aufgezeigt werden sollen und keine
ganzen Stundenplanungen.
Die indirekte Rede wird, wie bereits erwähnt, von Bernhard in dem Roman konsequent
angewendet. Der Protagonist Konrad kommt nicht selbst zu Wort, alles was Konrad sagt,
erfährt man nur durch die Weitererzählung seiner Bekannten an den Ich-‐Erzähler (den
Lebensversicherungsvertreter), findet also indirekt statt – oft begleitet von einem „soll
Konrad gesagt haben“ (siehe auch Textauszug im Anhang). „Durch diese Konstruktion
distanziert er [der Ich-‐Erzähler] sich zum einen von seinen Vermittlungsinstanzen und
lässt zum anderen vollständig im Unklaren, ob die Aussage überhaupt stattgefunden
hat.“ (Neumeyer 2002: 13) Damit bedient sich Bernhard also zwei der Hauptfunktionen
des Stilmittels der indirekten Rede: Distanz schaffen und den Wahrheitsgehalt von
Aussagen in Frage stellen.
Didaktisierungsvorschläge
Aufgabe/Übung Beschreibung Lernziel Sozialform
Einführung
indirekte Rede
Grammatikeinheit zur
indirekten Rede
Grammatik:
indirekte Rede
1 Titelantizipation,
Inhaltsangabe
Die Lernenden stellen
Assoziationen zu dem
Schauplatz „Kalkwerk“ her;
eine Inhaltsangabe wird ihnen
gegeben.
Wortschatz-‐
aktivierung
Plenum
11 Vgl. https://static.uni-‐graz.at/fileadmin/Treffpunktsprachen/pdf/dtms4.pdf (09.01.2017)
19
2
Lesen der
„Übungsversion“
Die Lernenden lesen die
Übungsversion des
Textauszugs
globales
Leseverstehen
Einzelarbeit
3 Transformieren
in die indirekte
Rede
Die Lernenden transformieren
die Übungsversion in die
indirekte Rede
indirekte Rede Einzel-‐ oder
Partner-‐
arbeit
4 Vergleich mit
Original und
Diskussion
Die Ergebnisse aus Auf. 3
werden mit dem Originaltext
verglichen und anschließend
über die Wirkung der
indirekten Rede diskutiert
indirekte Rede,
freies Sprechen
Plenum
Aufgabe 1
Zu Beginn wird den Lernenden der Titel des Romans vorgelegt „Das Kalkwerk“ und es
werden Assoziationen an der Tafel gesammelt, wie sie sich den Schauplatz des Romans
vorstellen. Anschließend wird aufgelöst, worum es sich bei einem Kalkwerk handelt und
der Inhalt wird in groben Zügen von der Lehrperson erzählt. Je nach zur Verfügung
stehender Zeit kann natürlich auch der Inhalt erst gemeinsam erarbeitet werden. Für
die nachfolgenden Aufgaben zum Textauszug und zum Stilmittel der indirekten Rede ist
es hilfreich, wenn die Lernenden bereits wissen, dass der Protagonist Konrad
verzweifelt an einer Studie über das Gehör arbeitet, es aber nicht schafft, mit der
Aufzeichnung seiner Experimente zu beginnen.
Aufgabe 2
Die Lernenden bekommen zunächst nicht die Originalversion des Textauszugs, sondern
eine Übungsversion, in der die indirekten Reden in direkte Reden umgeschrieben
wurden. Für diese Didaktisierung wurde ein sehr kurzer Textabschnitt ausgewählt, alle
Aufgaben/Übungen sind aber für jeden beliebigen Textauszug möglich, indirekte Rede
kommt in diesem Roman durchgehend auf jeder Seite vor.
Aufgabe 3 & 4
Nun wird versucht alleine oder in Partnerarbeit, die wörtlichen Reden Satz für Satz in
die indirekte Rede zu übertragen. Das Ergebnis wird mit dem Originaltextauszug
verglichen und es werden Vermutungen aufgestellt, wieso der Text vom Original
20
abweichen könnte. Anschließend wird diskutiert, wie sich der Text in der indirekten
Rede von dem in der direkten Rede in seiner Wirkung unterscheidet. Leitfragen hierbei
sind:
• Wie werden die Texte wahrgenommen?
• Welche Gründe für die Wahl der indirekten Rede können angenommen werden?
• Welchen Bezug hat der/die Leser/in in den jeweiligen Textauszügen zur Figur
Konrads?
• Welche Auswirkung hat das Stilmittel der indirekten Rede auf die
Glaubwürdigkeit der Aussagen Konrads?
6. Mein Weltenstück – Thomas Bernhard im Anfängerunterricht
Wie in der Einleitung erwähnt, sind die Didaktisierungsvorschläge in dieser Arbeit eher
für ein fortgeschrittenes Sprachniveau (ab B2) gedacht, da die angeführten
Grammatikkapitel und literarischen Auseinandersetzungen nicht angemessen für
Anfänger/innen sind und diese überfordern würden. Nun lässt sich jedoch nicht generell
sagen, Thomas Bernhards Werke wären als Ganzes nicht für den Anfängerunterricht
geeignet. Ein Beispiel ist sein erstes Gedicht, erschienen im Jahr 1952 im Münchner
Merkur mit dem Titel „Mein Weltenstück“. 12 Auch dieses Gedicht ist im Anhang
angeführt. Natürlich ist nicht jedes Wort bekannt, aber der Großteil des Wortschatzes in
dem Gedicht sollte am Ende von A1 bekannt sein.
Aufgabe/Übung Beschreibung Lernziel Sozialform
1 Visuelles Diktat eine Person liest das Gedicht vor, die anderen zeichnen was sie verstehen
detailliertes Hörverstehen
Einzelarbeit
2 Gedicht lesen, Wörter übersetzen
Lernenden lesen das Gedicht öfters leise und unterstreichen unbekannte Wörter, die danach übersetzt werden
detailliertes Leseverstehen, Wortschatz erweitern
Einzelarbeit / Plenum
3 Chorlesen Kärtchen mit Wörtern aus dem Gedicht werden ausgeteilt und jeder Lernende schließt sich dem gemeinsamen Vorlesen des Gedichtes an, sobald sein Wort gelesen wurde.
(Vor-‐)lesen, rhythmisches Lesen
Plenum
12 Vgl. http://www.planetlyrik.de/thomas-‐bernhard-‐gesammelte-‐gedichte/2010/06/ (09.01.2017)
21
Das Gedicht bietet sich ausgezeichnet an für eine Abwandlung des visuellen Diktates,
der Kursleiter oder ein freiwilliger Lernender lesen es laut vor und die anderen
Lernenden zeichnen die Situation, die beschrieben wird -‐ das Haus, die erwähnten Tiere,
Gegenstände und Personen. Nun wird das Gedicht ausgeteilt und die Lernenden haben
die Möglichkeit, es leise für sich zu lesen und ihr Bild zu überprüfen. Unbekannte Wörter
können in dieser Phase unterstrichen und selbstständig nachgeschaut werden oder vom
Kursleiter an der Tafel gesammelt und gemeinsam übersetzt werden. Als nächste Übung
wird das Gedicht mit der Methode des „Chorlesens“ gemeinsam gelesen. Jeder Lernende
bekommt dafür ein Kärtchen mit einem Wort aus dem Gedicht. Eine Person (evtl.
Kursleiter) beginnt damit, aufzustehen und den Text laut vorzulesen. Sobald ein
Lernender das Wort hört, das auf seinem Zettel steht, muss er ebenfalls aufstehen und
laut den Rest des Textes mit dem Vortragenden mitlesen. Am Ende stehen alle
Lernenden und lesen gemeinsam. Durch das Chorlesen kommt der Rhythmus in
Gedichten sehr gut zum Ausdruck und kann hier thematisiert werden. Ebenso kann man
den Titel des Gedichtes „Weltenstück“ thematisieren, dass es sich hierbei um ein von
Bernhard erfundenes Wort handelt und was damit gemeint sein kann. Ein spezielles
Grammatikphänomen kommt als Stilmittel in dem Gedicht nicht zum Einsatz, kann also
nicht wie in den anderen Kapiteln behandelt werden, es handelt sich bei diesen
Aufgaben also um eine Hinführung zu Thomas Bernhards Werk, an die auf einer
späteren Stufe angeknüpft werden kann.
7. Weiterarbeit
Eine Gedichtanalyse ist nur eine Möglichkeit, mit Thomas Bernhard im Unterricht
weiterzuarbeiten. Besonders auch im Landeskunde Unterricht können seine Texte
zugezogen werden. Er beschäftigt sich mit österreichischer Geschichte und Politik mit
einem komplett anderen Zugang, der für viele interessant sein dürfte, wobei auch die
Kritik an Bernhard mithinein gebracht werden kann. Zahlreiche Werke zu Bernhard
beschäftigen sich außerdem mit seinen wiederkehrenden Motiven von Krankheit und
Tod, Politik, Gesellschaft, Staat, Kunst, etc. was als Überthema zur Arbeit mit
literarischen Texten gewählt werden kann. Für den Fremdsprachenunterreicht ebenfalls
interessant sind die vielen verschiedenen Textsorten, die mit Texten von Thomas
Bernhard abgedeckt werden können. Sein Schaffen umfasst Romane, Theaterstücke,
Gedicht sowie Bände mit Briefwechseln und die langen und zahlreichen Monologe
seiner Protagonisten bieten reichlich Stoff verschiedene Arten des Schreibens zu
22
vermitteln. Dazu können auch seine fünf autobiographischen Romane („Die Ursache“,
„Der Keller“, „Der Atem“, „die Kälte“ und „Ein Kind“) zur Analyse und Vermittlung von
Autobiographischem Schreiben herangezogen werden. Weiters ist mit den drei oben
ausgewählten Grammatikphänomenen (Übertreibung, Negativierung und indirekte
Rede) natürlich sein literarischer Stil noch nicht erschöpft, und in weiteren Werken
können wieder andere Stilmittel (Wiederholungen, Satzbau, Ellipsen etc.)
herausgearbeitet werden.
8. Abschluss
Bei der Auswahl von Thomas Bernhards Texten für die vorliegende Seminararbeit hat
natürlich auch meine persönliche Vorliebe für diesen Autor eine Rolle gespielt. Wie
Koppensteiner & Schwarz (2012) schreiben, ist dies jedoch ebenfalls ein gutes
Argument für die Auswahl einer Lehrperson bei der Literatur für ihren Unterricht. Sie
zitieren Hunfeld, der die Literarturauswahl eines Fremdsprachendidaktikers mit dem
Aufdecken eines Tisches vergleicht. Er wählt nach seinem persönlichen Geschmack
Gerichte aus, die ihm schmecken, hofft dass sie die anderen ebenfalls mögen, erwartet
aber nicht, dass es allen gleich schmeckt und freut sich stattdessen auf Tischgespräche,
in denen die unterschiedlichen Geschmäcker der Mitesser zum Thema werden (vgl.
Koppensteiner & Schwarz 2012: 52). Ebenso ist mir natürlich bewusst, dass Thomas
Bernhards literarischer Stil, die Übertreibungen, das Negative, die Beschimpfungen, etc.
ebenso wie seine Motive von Tod, Krankheit und immer wieder den Selbstmord als
Ausweg nicht jedermanns Geschmack sind. Sie sind auch nicht in jedem Kontext
einsetzbar, aber ich denke, dass viele sich vielleicht nicht von alleine über seine Texte
trauen und nach einer Auseinandersetzung im Unterricht auch Gefallen daran finden
können. Besonders auch Menschen, die mit der klassischen deutschsprachigen Literatur
an sich nicht viel anfangen können, finden hier vielleicht etwas Neues und Frisches. Die
Frage, die in der Einleitung noch offengelassen wurde, „welche Rolle spielt Grammatik in
der Literatur?“ wurde zum Teil durch den Inhalt der Kapitel 3-‐5 beantwortet. Bernhard
zeigt, wie sich die Literatur Grammatik zu Nutzen machen kann und zum Beispiel durch
ihre „Überanwendung“ sowohl Humor als auch Provokation auslösen kann. Doch er ist
natürlich bei weitem nicht der einzige. Die deutschsprachige Literatur ist voll von
Texten, in denen Grammatikphänomen nicht nur zufällig gehäuft angewendet werden,
sondern eine Funktion erfüllen, die es zu erkennen gilt, um die beiden Aspekte Literatur
und Grammatik im Unterricht sinnvoll verbinden zu können. Der in der Einleitung
23
erwähnte Text „Selbstbezichtigung“ von Peter Handke verwendet Grammatik zur
Vermittlung Rhythmus und Sprachmelodie. Hier reimen sich die Wörter nicht oder sind
lautlich ähnlich, rein durch die konsequente Verwendung des Perfektes / Partizip II
entsteht eine Melodie. So ist Grammatik nicht nur ein Mittel, um im Alltag richtig
kommunizieren zu können, sondern auch um Literatur verständlicher, zugänglicher und
nachvollziehbarer zu machen. Das dürfte vor allem die Fremdsprachenlerner freuen, die
der Literatur sonst nicht viel abgewinnen können. Mit ihrer Hilfe lernt man Grammatik
und mit Hilfe der Grammatik lernt man Literatur.
24
9. Literatur
ÁGEL, V. (2015): Grammatik und Literatur. Grammatische Eigentlichkeit bei Kehlmann, Timm, Liebermann, Handke, Schrittmatter und Ruge. In: Brinker-‐von der Heyde, B. et al. (Hrsg.) (2015): Eigentlichkeit. Zum Verhältnis von Sprache, Sprechern und Welt. Berlin/ München/ Boston: De Gruyter. S. 159-‐175. BERNHARD, T. (1973): Das Kalkwerk. Frankfurt am Main: Suhrkamp. BERNHARD, T. (1995): Ein Kind. 11. Auflage. Salzburg, Wien: dtv. BERNHARD, T. (1995): Heldenplatz. Frankfurt am Main: Suhrkamp. DITTMAR, J. (Hrsg.) (1981): Thomas Bernhard: Werkgeschichte. Frankfurt am Main: Suhrkamp. DOBSTADT, M. & RIEDER, R. (2011): Fremdsprache Literatur. Neue Konzepte zur Arbeit mit Literatur im Fremdsprachenunterricht. In: Fremdsprache Deutsch. Hueber Verlag. Heft 44. S. 5-‐14. DRONSKE, U. (1999): Sprach-‐Dramen. Zu den Theaterstücken Thomas Bernhards. In: Honold, A. & Joch, M. (Hrsg.) (2004): Thomas Bernhard. Zurichtung des Menschen. Würzburg: Köngishausen und Neumann. S.116-‐122. KAST, B. (1994): Literatur im Anfängerunterricht. In: Fremdsprache Deutsch. Zeitschrift für die Praxis des Deutschunterrichts. Hueber Verlag. Heft 11. S. 4-‐13. KOPPENSTEINER, J. & SCHWARZ, E. (2012): Literatur im DaF/DaZ-‐ Unterricht. Eine Einführung in Theorie und Praxis. Komplett überarbeitete und aktualisierte Auflage. Wien: Praesens. NEUMEYER, H. (2002): „Experimentalsätze“ und „Lebensversicherungen“. Thomas Bernhards Kalkwerk und die Methode des Viktor Urbantschitsch. In: Schlößler, F. & Villinger, I. (Hrsg.) (2002): Politik und Medien bei Thomas Bernhard. Würzburg: Königshausen und Neumann. S. 4-‐27. SCHMIDT-‐DENGLER, W. (1986): Der Übertreibungskünstler. Studien zu Thomas Bernhard. Wien: Sonderzahl Verlagsgesellschaft m.b.H. YEE, H. (2004): Erzählmerkmale und ihre Funktionen im Roman Frost von Thomas Bernhard. Dissertation. Institut für Germanistik, Justus-‐Liebig-‐Universität Gießen. Online verfügbar: http://geb.uni-‐giessen.de/geb/volltexte/2005/2355/ (06.01.2017)
25
Internetquellen
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(05.01.2017)
• http://www.mein-‐oesterreich.info/literatur-‐medien/bernhard.htm (07.01.2017)
• http://www.zeit.de/2014/07/thomas-‐bernhard (07.01.2017)
• https://durchleser.wordpress.com/2011/02/06/thomas-‐bernhard-‐gedicht/ (07.01.2017)
• http://www.thomasbernhard.at/index.php?id=190%20 (08.01.2017
• http://www.thomasbernhard.at/index.php?id=201 (09.01.2017)
• https://de.wikipedia.org/wiki/Das_Kalkwerk (09.01.2017)
• http://www.planetlyrik.de/thomas-‐bernhard-‐gesammelte-‐gedichte/2010/06/
(09.01.2017)
• https://static.uni-‐graz.at/fileadmin/Treffpunktsprachen/pdf/dtms4.pdf (09.01.2017)
• http://www.teachsam.de/deutsch/d_literatur/d_gat/d_epik/strukt/darb/darb_fi
g_indir0.htm (11.01.2017)
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10. Anhang
Auszug: Thomas Bernhard: Ein Kind (1982)
(Salzburg, Wien: dtv. 11. Auflage 1995. Seite 37-‐39)
An diesem Tag waren die Großeltern von meiner Mutter zum Essen eingeladen. Das war mein Glück. An der Hand meines Großvaters und neben seiner Frau, meiner Großmutter, schritt ich, so behütet wie ich nur sein konnte, nach Traunstein hinunter. Ich war siegesgewiss. Den Weg von Ettendorf nach Traunstein ging ich schon mit erhobenem Kopf, nicht mit gesenktem wie die umgekehrte Strecke ein paar Stunden vorher. Meine Mutter war mir nicht gewachsen. In Fällen wie diesem mit dem Steyr-‐Waffenrad schlug sie wild auf mich ein, meistens mit dem Ochenziemer, ich kauerte, nach Hilfe schreiend, im Bewusstsein allerhöchster Theatralik in der Küchen-‐ oder in der Zimmerecke, mit beiden Händen meinen Kopf schützend. Bei der geringsten Gelegenheit griff sie zum Ochsenziemer. Da mich die körperliche Züchtigung letztenendes immer unbeeindruckt gelassen hat, was ihr niemals entgangen war, versuchte sie, mich mit den fürchterlichsten Sätzen in die Knie zu zwingen, sie verletze jedesmal meine Seele zutiefst, wenn sie Du hast mir noch gefehlt oder Du bist mein ganzes Unglück, dich soll der Teufel holen! Du hast mein Leben zerstört! Du bist an allem schuld! Du bist mein Tod! Du bist ein Nichts, ich schäme mich deiner! Du bist so ein Nichtsnutz wie Dein Vater! Du bist nichts wert! Du Unfriedenstifter! Du Lügner! sagte. Das ist nur eine Auswahl ihrer von Fall zu Fall gegen mich ausgestoßenen Verfluchungen, die nichts als ihre Hilflosigkeit mir gegenüber bewiesen. Tatsächlich hatte sie mir immer das Gefühl gegeben, dass ich ihr zeitlebens im Weg gestanden bin, dass ich ihr vollkommenes Glück verhindert habe. Wenn sie mich sah, sah sie meinen Vater, ihren Liebhaber, der sie stehengelassen hatte Sie sah in mir ihren Zerstörer nur allzu deutlich, das gleiche Gesicht, wie ich weiß, denn ich habe immerhin einmal eine Fotografie von meinem Vater gesehen. Die Gleichheit war verblüffend. Mein Gesicht war dem Gesicht meines Vaters nicht nur ähnlich, es war das gleiche Gesicht. Die größte Enttäuschung ihres Lebens, die größte Niederlage, als ich auftrat, war sie da. Und sie trat ihr jeden Tag, den ich mit ihr zusammen lebte, entgegen. Ich fühlte naturgemäß ihre Liebe zu mir, gleichzeitig aber immer auch den Hass gegen meinen Vater, der dieser Liebe meiner Mutter zu mir im Weg stand. So war die Liebe meiner Mutter zu mir, dem unehelichen Kind, immer von Hass gegen den Vater dieses Kindes unterdrückt, sie konnte sich niemals frei und in der größten Natürlichkeit entfalten. Meine Mutter beschimpfte nicht mich im Grunde, sie beschimpfte meinen Vater, der sich ihr entzogen hatte, aus was für einem Grund auch immer, sie schlug nicht nur auf mich ein, sondern auch auf den Verursacher ihrer Unglücks, wenn sie mich
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schlug. Der Ochenziemer galt nicht nur mir, er galt bei jeder Gelegenheit auch meinem Vater, der von allen, auch von meinem Großvater vollkommen ignoriert wurde. Er durfte nicht existieren, er war nicht da. Schon früh hatte ich es aufgegeben nach meinem Vater zu fragen. Sofort waren sie böse auch mich, gleich welche Stimmung vorher gewesen war, nach der Frage nach dem Vater war sie verfinstert. Ich musste einen Schwerverbrecher ganz besonderer Niederträchtigkeit zum Vater gehabt haben nach allem, was sie mir über meinen Vater nicht gesagt hatten.
Auszug: Thomas Bernhard: Heldenplatz (1988)
(Frankfurt am Main: Suhrkamp. 1995: 99-‐100)
PROFESSOR ROBERT
Aber ich bin alt und habe keine Lust mehr mich irgendwo einzumischen es hätte ja auch keinen Sinn wo alles nach Auflösung stinkt und wo alles nach Zertrümmerung schreit ist die Stimme des einzelnen zwecklos geworden es ist ja nicht so dass gegen diese unheilvollen Vorgänge nichts gesagt wird und nichts geschrieben wird jeden Tag wird dagegen etwas gesagt und wird dagegen etwas geschrieben aber dieses dagegen Gesagte und dieses dagegen Geschriebene wird nicht gehört und wird nicht gelesen die Österreicher hören nichts mehr und sie lesen nichts mehr
das heißt sie hören etwas über katastrophale Zustände tun aber nichts dagegen und sie lesen auch über katastrophale Zustände tun aber nichts dagegen die Österreicher sind ein Volk völliger Gleichgültigkeit gegenüber ihren katastrophalen Zuständen geworden das ist ihr Unglück das ist ihre Katastrophe
Die Österreicher sind längst zum Tode verurteilt sie wissen das nur noch nicht sie haben das noch nicht zur Kenntnis genommen das Urteil ist schon längst gefällt die Hinrichtung ist nur eine Frage der Zeit meiner Meinung nach steht die Vollstreckung unmittelbar bevor
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Auszug: Thomas Bernhard: Heldenplatz (1988)
(Frankfurt am Main: Suhrkamp. 1995: 62-‐63) ANNA
Die Mutter wollte in Wien umziehen nicht nach Oxford es ist ja auch gleich was sie wollte der Vater hat sich nie an sie gehalten es war ihm immer gleichgültig was sie gedacht hat sie hat sich ja nie durchgesetzt
Oxford ist mir ein Alptraum aber Wien ist mir jeden Tag der viel größere Alptraum ich kann hier nicht mehr existieren ich wache auf und habe es mit der Angst zu tun die Zustände sind ja wirklich heute so wie sie achtunddreißig gewesen sind
es gibt jetzt mehr Nazis in Wien als achtunddreißig du wirst sehen alles wird schlimm enden dazu braucht es ja nicht einmal einen geschärften Verstand jetzt kommen sie wieder aus allen Löchern heraus die über vierzig Jahre zugestopft gewesen sind
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Auszug: Thomas Bernhard: Das Kalkwerk (1970) (Frankfurt am Main: Suhrkamp. 1973. S. 111-‐ 112)
Eine Studie, die man ganz und gar im Kopf habe, könne man wahrscheinlich nicht niederschreiben, soll er zu Fro gesagt haben, wie man auch eine Symphonie, die man zur Gänze durch und durch im Kopf habe, nicht niederschreiben könne und er habe die Studie zur Gänze und durch und durch im Kopf. Er gebe aber nicht auf, wahrscheinlich muss die Studie in seinem Kopf wieder gänzlich zerfallen, damit er sie auf einmal zur Gänze niederschreiben kann, soll er zu Fro gesagt haben, alles müsse weg sein, damit es plötzlich vollkommen da sei, und zwar von einen Augenblick auf den anderen.
Übungsversion „Eine Studie, die man ganz und gar im Kopf hat, kann man wahrscheinlich nicht niederschreiben“, sagte er zu Fro „wie man auch eine Symphonie, die man zur Gänze durch und durch im Kopf hat, nicht niederschreiben kann und ich habe die Studie zur Gänze durch und durch im Kopf. Ich gebe aber nicht auf, wahrscheinlich muss die Studie in meinem Kopf wieder gänzlich zerfallen, damit ich sie auf einmal zur Gänze niederschreiben kann“, sagte er zu Fro „alles muss weg sein, damit es plötzlich vollkommen da ist, und zwar von einen Augenblick auf den anderen.“
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Thomas Bernhard: Mein Weltenstück (1952)
(online verfügbar: https://durchleser.wordpress.com/2011/02/06/thomas-‐bernhard-‐gedicht/ 07.01.2017)
Mein Weltenstück Die Hühner fressen, Hähne krähn, Ja lauter fremde Menschen gehn Im Sonnenschein, jahrein, jahraus Vorbei an unserem alten Haus. Die Wäsche flattert auf dem Strick Und drüber träumt ein Mensch vom Glück, Im Keller weint ein armer Mann, Weil er kein Lied mehr singen kann … So ist es ungefähr bei Tag, Und jeder neue Glockenschlag Bringt tausendmal denselben Blick, Durchs Fenster in mein Weltenstück …
Vieltausendmal derselbe Blick Durchs Fenster in mein Weltenstück. Ein Apfelbaum im blassen Grün, Und drüber tausendfaches Blühn, So an den Himmel angelehnt, Ein Wolkenband, weit ausgedehnt … Der Kinder Nachmittagsgeschrei, Als ob die Welt nur Kindheit sei; Ein Wagen fährt, ein Alter steht Und wartet bis sein Tag vergeht. Leicht aus dem Schornstein auf dem Dach Schwebt unser Rauch den Wolken nach … Ein Vogel singt, und zwei und drei, Der Schmetterling fliegt rasch vorbei,