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Gotthard Günther im Gespräch (Helmut Schelsky, Warren Sturges McCulloch)
Herausgegeben und eingeleitet von
Arno Bamme und Ernst Kotzmann
ISSN 1028-2734
Klagenfurter Beiträge zur Technikdiskussion
Heft 86
Herausgegeben von Arno Bamme, Peter Baumgartner, Wilhelm Berger, Ernst Kotzmann
ISSN 1028-2734
In dieser Schriftenreihe veröffentlicht das IFF, Arbeitsbereich Technik- und Wissenschaftsforschung, Arbeitsmaterialien, Diskussionsgrundlagen und Dokumentationen, die nicht den Charakter abgeschlossener Forschungsberichte tragen, aber dem jeweils interessierten Fachpublikum zugänglich gemacht werden sollen. Beabsichtigt ist, neuere Forschungsresultate schnell, auch in vorläufiger Form, ohne aufwendige Aufarbeitung in die wissenschaftliche Diskussion einzubringen.
Der Nachdruck, auch auszugsweise, ist nur mit der Zustimmung des Instituts gestattet.
Inhalt
1. Arno Bamme und Ernst Kotzmann Gotthard Günther im Gespräch. Eine Einleitung 7
2. Helmut Schelsky Zur Ontologie der Mehrwertigkeit 15
3. Gotthard Günther Zahl und Begriff. Unvergeßliche Stunden mit Warren Sturges McCulloch 21
4. Gotthard Günther Information, Kommunikation und mehrwertige Logik 63
Arno Bamme und Ernst Kotzmann
Gotthard Günther im Gespräch Eine Einleitung
Gotthard Günther im Gespräch - das meint dreierlei. Zum einen: daß von, daß über Gotthard
Günther gesprochen wird. Helmut Schelsky, der Soziologe, dem Gotthard Günther lange Zeit
verbunden war, berichtet unter anderem aus der Leipziger Zeit des Technikphilosophen. Und
vor allem weist er daraufhin, daß die formallogischen Arbeiten Gotthard Günthers eingebettet
sind in geschichtsphilosophische Betrachtungen, ein Sachverhalt, der lange Zeit vergessen blieb
und erst durch die Recherchen im Berliner Nachlaß wieder ins Bewußtsein einer interesseirten
Öffentlichkeit rückt.1 Von Interesse ist zweifellos auch der Hinweis Schelskys, daß Gotthard
Günther als Nachfolger auf den Lehrstuhl Bauchs ("der berühmte Bauch mit den drei Bauch
wehs")2 vorgesehen war. Die Berufung scheiterte schließlich, so berichtet Schelsky, weil
Gotthard Günther sich weigerte, "einen Erlaß zu unterschreiben, daß er dem Führer und Kanzler
des deutschen Reiches gehorsam sein wolle." Hierzu muß man wissen, daß Gotthard Günthers
Frau, Marie Günther-Hendel, Jüdin war und Deutschland bereits 1933 verlassen hatte. Bestätigt
wird von Schelsky auch ein Sachverhalt, der im Berliner Nachlaß recht gut dokumentiert ist: die
Verdienste Gotthard Günthers um die Förderung und Verbreitung anspruchsvoller Science-
'Kurt Klagenfurt: Technologische Zivilisation und transklassische Logik. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1995, Seite 83 ff.; Arno Bamme: Der Berliner Nachlaß Gotthard Günthers. In: Reinhard Strangmeier (Hrg.): Zweites Günther-Symposion zur Transklassischen Logik. Kiel: Christian-Albrechts-Universität 1995, Seite 46 ff.; Derselbe: Geschichtsphilosophie und Philosophiegeschichte bei Gotthard Günther. In: Lars Clausen, Ernst Kotzmann, Reinhard Strangmeier (Hrg.): Transklassische Logik und neue disziplinäre wie interdisziplinäre Ansätze. München und Wien: Profil 1997, Seite 75 ff.; Derselbe: Wider das Ende der Geschichte. Der andere Gotthard Günther. In: Jahrbuch Selbstorganisation (Berlin), Band 6, 1995, Seite 299 ff; Arno Bamme, Wilhelm Berger, Eggert Holling, Ernst Kotzmann: Recherchen. Im Nachlaß Gotthard Günthers. In: Klagenfurter Beiträge zur Technikdiskussion. Heft 78, 1995.
2 Bruno Bauch, am 19.1.1877 in Groß-Nossen (Schlesien) geboren, am 27.2.1942 in Jena gestorben, war ein Schüler Heinrich Rickerts, 1910 Professor in Halle, seit 1911 in Jena. Im Sinne des Neukantianismus behandelte er philosophiegeschichtliche, naturphilosophische, ethische und erkenntnistheoretische Probleme. Später vollzog er eine Hinwendung zum Neuhegelianismus. Mit den drei Bauch-W's spielt Schelsky auf das 1923 in dritter Auflage erschienene, grundlegende Werk "Wahrheit, Wert und Wirklichkeit" an.
Fiction-Literatur im deutschen Sprachraum zu Beginn der fünfziger Jahre, ein Sachverhalt, der
heute unter wissenschaftsdidaktischen Aspekten wieder Interesse beanspruchen kann. Für den
Soziologen Schelsky3 ist natürlich vor allem die Frage von Bedeutung, welche Relevanz die
Günther-Logik für die Sozialwissenschaften hat, für die Vernetzung unterschiedlicher Gegen
standsbereiche, Perspektiven und Fachdisziplinen, eine Problemsicht, die sich im Titel des
Tagungsbandes des zweiten Günther-Symposions wiederfindet.4
Der Bezug zu Schelsky und McCulloch macht deutlich, daß Günther den Kooperationen am
Biological Computer Laboratory in Urbana (Heinz von Foerster, William Ross Ashby, Humber-
to Maturana, Lars Löfgren) zwar viel, aber nicht alles verdankt Entscheidende Impulse für die
Weiterentwicklung seiner Theorie erhielt er von McCulloch, von Gehlen und von Schelsky, von
letzteren insbesondere hinsichtlich seiner geschichtsphilosophischen Überlegungen, in die seine
Logik-Entwürfe eingebettet sind. Carl Friedrich von Weizsäcker und Helmut Schelsky schließ
lich waren es, die Gotthard Günther 1958 nach Deutschland zurückholten, an die Universität
Hamburg.
Zum zweiten sind gemeint Gespräche, die Gotthard Günther selbst geführt hat mit anderen,
3 Dem Soziologen Schelsky geht es hierbei um den Beitrag einer formalen Logik zur Abbildung komplexer sozialer (Ich-Du-) Beziehungen, um "Intersubjektivität" etwa im Sinne von Leopold von Wieses "zwischenmenschlichen Beziehungen", seiner "Allgemeinen Soziologie als Lehre von den Beziehungen und Beziehungsgebilden der Menschen". Hierzu auch Lars Clausen: Die Jagd um die Mauer. Ein Trojaner-Problem. Klagenfurter Beiträge zur Technikdiskussion. Heft 40 (1990).
Schelsky hatte 1937 gemeinsam mit Gotthard Günther bei Hirzel in Leipzig das Buch "Christliche Metaphysik und das Schicksal des modernen Bewußtseins" publiziert. Helmut Schelsky, geboren am 14.10.1912 in Chemnitz, war Professor für Soziologie, seit 1943 in Straßburg, 1948 in Hamburg, 1960 in Münster, 1970 in Bielefeld. Seine "transzendentale Theorie" der Gesellschaft sucht "Sinn und Grenzen des Sozialen und des soziologischen Denkens" zu bestimmen. Ihr Thema ist die "Freiheit des Menschen von der Gesellschaft". Soziologie sei zugleich "Wirklichkeitskontrolle". 1953 erschien seine Studie "Wandlungen der deutschen Familie in der Gegenwart" (fünfte Auflage 1969), 1957 "Die skeptische Generation" (vierte Auflage 1963), 1975 die erweiterte Auflage des Buches über die Priesterherrschaft der Intellektuellen "Die Arbeit tun die anderen", 1981 die "Rückblicke eines »Anti-Soziologen«".
4 Lars Clausen, Ernst Kotzmann, Reinhard Strangmeier (Hrg.): Transklassische Logik und neue disziplinäre wie interdisziplinäre Ansätze. München und Wien: Profil 1997.
8
Gespräche, die dazu beigetragen haben, seinen Entwurf einer transklassischen Logik weiter-
zuentwickeln und zu präzisieren. Neben seiner "Selbstdarstellung im Spiegel Amerikas"5 gehört
die Schilderung der "Unvergeßlichen Stunden mit Warren Sturges McCulloch" zu den wenigen
überlieferten biographischen Notizen Gotthard Günthers. Wir drucken sie in der deutsch
sprachigen, von Marie Günther-Hendel übersetzten und von Gotthard Günther eigenhändig
korrigierten Fassung ab. Es ist interessant zu sehen, wie eng logische und philosophiegeschicht
liche Argumentationen im persönlichen Gespräch mit McCulloch6 auf der einen sowie ge-
schichtsphilosophische Betrachtungen, verursacht wohl durch seine nordamerikanischen
Erfahrungen, andererseits bei Gotthard Günther zusammengehen, ein Zusammenhang, der so
recht augenscheinlich erst wird bei Betrachtung seiner bislang vernachlässigten geschichtsphi-
losophischen Schriften im Berliner Nachlaß ("Die Entdeckung Amerikas. Ein geschichtsmeta-
5 Gotthard Günther: Selbstdarstellung im Spiegel Amerikas. In: Ludwig S. Pngratz (Hrg.): Philosophie in Selbstdarstellungen. Band 2. Hamburg: Meiner 1979, Seite 1-76.
6 Der Neurophysiologe Warren Sturgis McCulloch, 1898 geboren, war eine der einflußreichsten Persönlichkeiten auf dem Gebiet der Künstlichen-Intelligenz-Forschung. Er studierte zunächst am Haverford College, ging dann nach Yale, wo er als Hauptfach Philosophie und im Nebenfach Psychologie studierte. Seinen Master of Arts erwarb er in Psychologie an der Universität von Columbia. Anschließend wechselte er zur dortigen Medical School. Sein Praktikum absolvierte er im Bellevue Hospital in New York, wo er auch als Assistenzarzt arbeitete. Danach wandte er sich der Erforschung von Kopfverletzungen und Epilepsie zu. Nach mehreren Jahren am New Yorker Rockland State Hospital ging er nach Yale zurück, um die Funktionen des zentralen Nervensystems zu erforschen. Später wechselte er zur Universität von Illinois, wo er das Labor für Grundlagenforschung in der Abteilung für Psychiatrie leitete. Dort blieb er bis 1952, um anschließend Forschungsaufgaben am Research Laboratory of Electronics am Massachusetts Institute of Technology zu übernehmen. Hier blieb er bis zu seinem Tode im Jahre 1969.
Warren McCulloch, der Neurophysiologe, arbeitete lange Zeit mit Walter Pitts, einem Mathematiker, zusammen an einer mathematischen Beschreibung des Verhaltens. 1943, im selben Jahr, als die Schrift "Behavior, Purpose and Teleology" von Arturo Rosenblueth, Norbert Wiener und Julian Bigelow in "Philosophy of Science" erschien, veröffentlichten Warren McCulloch und Walter Pitts im "Bulletin of Mathematical Biophysics" ihren "Logical Calculus of the Ideas Immanent iri Nervous Activity". Die Erscheinung beider Publikationen im selben Jahr gilt als Geburtsstunde der Kybernetik.
McCulloch gründete mit John von Neumann und Norbert Wiener in den USA die Teleologische Gesellschaft, die sich den Problemen der Kybernetik widmete. Zugleich war er ständiger Gast des Ratio Clubs in England, dem unter anderem Alan Turing, Donald MacKay und William Ross Ashby angehörten und der sich ebenfalls mit Fragen der Kybernetik auseinandersetzte.
physisches Problem", "Amerikanische Apokalypse. Ideen zu einer Geschichtsmetaphysik der
westlichen Hemisphäre", "Ausblick auf das Weltbild der Zukunft" usw.).
Gemeint ist zum dritten unsere Absicht, Gotthard Günther wieder ins Gespräch zu bringen,
unter anderem durch Übersetzung seiner amerikanischen Schriften ins Deutsche. Mit der
Übertragung von "Information, Communication and Many Valued Logic"7 setzen wir eine
Initiative fort, die wir mit "The Tradition of Logic and the Concept of a Trans-classical
Rationality"8 und "Cognition and Volition"9 vor einiger Zeit begonnen haben. Der Artikel zeigt
auch die Schwierigkeiten auf, mit denen der Leser Güntherscher Texte konfrontiert ist. Daher
soll im folgenden ein kurzer Kommentar zu dem übersetzten Artikel gegeben werden.
Die in dem hier erstmals übersetzten Text von Günther angesprochene und von C. Shannon
entwickelte mathematische Informationstheorie beschäftigt sich in erster Linie mit den statisti
schen Gesetzmäßigkeiten der Übermittlung und Verarbeitung von Information. Die Frage nach
einer Normierung der Ein- und Ausgabemöglichkeiten und nach einem geeigneten Maß für den
Informationsinhalt war für Shannon zentral. Was ist damit gemeint? Anhand eines einfachen
Beispiels soll diese Problematik erläutert werden.
Angenommen eine Nachricht laute: 001010000. Grundsätzlich ergibt diese Folge aus Nullen
und Einsen keinen Sinn, solange der Empfänger den Code dieser Nachricht nicht kennt. (Auf
das Problem, daß der Empfänger die Symbole überhaupt als Nachricht erkennt, soll hier gar
nicht erst eingegangen werden.) Liest man die Nachricht als eine Zahl dargestellt im binären
Stellenwertsystem, so erhält man im dezimalen Stellenwertsystem 192. Deutet man die Null als
Punkt und die Eins als Strich des Morsealphabets, dann erhält man die Botschaft ......... Die mit
7 Das englische Original ist abgedruckt in Gotthard Günther: Beiträge zur Grundlegung einer operationsfähigen Dialektik. Zweiter Band. Hamburg: Meiner 1979, Seite 134 ff. Ins Deutsche übersetzt von Ernst Kotzmann.
8 Ebenda, Seite 116 ff. Ins Deutsche übertragen von Arno Bamme (Klagenfurter Beiträge zur Technik-Diskussion, Heft 34, 1990).
9 Ebenda. Seite 203 ff. Ins Deutsche übersetzt von Gerhard Helletsberger (Klagenfurter Beiträge zur Technikdiskussion, Heft 22, 1988).
10
dem Morsecode Vertrauten werden sie als "ich" entschlüsseln, aber auch "erdse", "ft5" oder
"int5" wären mögliche Übersetzungen.
Im ersten Fall wird die achtstellige Zeichenfolge 001010000 in eine dreistellige Folge 192
umcodiert. Der Informationsgehalt bleibt dabei derselbe. Der Informationsgehalt hängt also
nicht allein von der Länge einer Nachricht ab. Vielmehr hängt er auch von der Zahl der verwen
deten Symbole ab. Je mehr Zeichen zur Codierung einer Nachricht zur Verfügung stehen, desto
größer wird der Informationsgehalt. (Im binären Zahlensystem verfügt man über zwei, im
dezimalen über zehn Symbole.) Der Informationsgehalt eines einzelnen Zeichens kann mit log2k
bestimmt werden, wobei k die Anzahl der zur Verfügung stehenden Symbole bezeichnet. Der
Informationsgehalt eines Zeichens hängt aber auch noch von der durchschnittlichen Häufigkeit
seines Auftretens ab. In der deutschen Sprache etwa kommt der Buchstabe "e" hundertmal
häufiger als das "q", d.h. aber "q" trägt mehr Information als "e". In geeigneter Weise läßt sich
dann der Informationsgehalt einer Zeichensequenz quantitativ bestimmen. Ferner läßt sich auch
ein statistisches Verhalten der Aufeinanderfolge einzelner Zeichen feststellen, z.B. folgt im
Deutschen mit höchster Wahrscheinlichkeit dem Zeichen "q" der Buchstabe "u", während etwa
die Buchstabenkombination qk -abgesehen von der Verwendung als Abkürzung nie vorkommt.
Ganz anders verhält es sich im zweiten Fall des mehrdeutigen Morsecodes, wo mehrere Inter
pretationen der Nachricht möglich sind. Hier trifft der Kontext der Kommunikation die Ent
scheidung, welche Übersetzung die richtige ist. Ging der Nachricht etwa die Frage "Wer hat
mich angerufen voraus?", dann ist die Übersetzung von 001010000 mit "ich" den anderen wohl
vorzuziehen. Auf die Frage "Worin soll ich meine Blumen pflanzen?" scheint die Übersetzung
"erdse" angebracht, indem sich das sinnstörende "s" in "erdse" als Druck- bzw. Übertragungs
fehler deuten ließe. Auch für die anderen angeführten Interpretationen "ft5" oder "int5" lassen
sich sinnstiftende Kontexte denken.
Diesen semantischen Problemen wird die Shannonsche Theorie nicht gerecht. Sinnfragen
sträuben sich gegen Formalisierungen mittels mathematisch-logischer Kalküle; dies beweisen
auch die Bemühungen in der Artificial Intelligence Forschung, Spracherkennung bzw. -Überset
zung innerhalb größerer Kontexte mittels Maschinen durchzuführen. Anders als bei der Forma-
11
lisierung einer Syntax muß hier auch die metasprachliche Ebene, d.h. das Sprechen über die
Sprache mitberücksichtigt werden, womit auch allen semantischen Paradoxa Tür und Tor offen
stehen. Der amerikanische Philosoph J. Searle versucht in seinem bekannten "Chinese Room"-
Beispiel, zu veranschaulichen, daß Semantik nicht formalisierbar ist. Dem gegenüber stehen
aber doch auch einige Erfolge, innerhalb enger Kontexte Sinnhaftigkeit kalkülmäßig zu erfas
sen. Eines der Beispiele dafür lieferte K. Gödel für eine formale Arithmetik. Einige meta
sprachliche Begriffe, wie beispielsweise die Eigenschaft eine Zeichenkette, Beweis eines
Theorems oder aus den gegebenen Axiomen ableitbar zu sein, konnten mittels der nach ihm
benannten Methode des Gödelisierens in das formale Kalkül der Arithmetik übertragen und dort
rein syntaktisch manipuliert werden, ohne daß dabei Widersprüche auftraten.
Günther schreibt an anderer Stelle10, daß sich das Phänomen "Information" gegen eine Dualisie-
rung der Welt in Geist und Materie sträubt. Auf der einen Seite ist Information zutiefst abhängig
von der Materialität ihrer Symbole und ihrer Übertragung, auf der anderen Seite erschöpft sie
sich nicht in diesem Aspekt, sondern wird geprägt von der Sinnhaftigkeit sowie der Subjektivi
tät der Kommunikationspartner. Die Dichotomien zwischen Geist und Materie oder zwischen
Subjekt und Objekt, Nichts und Sein, Negation und Affirmation u.a.m. können unser Denken,
so wie wir es erfahren nicht zur Gänze erfassen. Was sie nicht einfangen, ist die Prozessualität
des uns umgebenden Geschehens. Kommunikation ist aber ein Prozeß, der sowohl aus diesem
Geschehen entspringt als auch dieses Geschehen bestimmt. Diese Vibration des Kommunika
tionsprozesses zwischen Beweger und Bewegtem kann, so Günther, nicht formal-logisch erfaßt
werden. Soll man also das Projekt einer Formalisierung von Kommunikation aufgeben oder sich
vonvornherein nur auf Teilaspekte beschränken? Günthers Antwort auf diese Frage ist ein klares
"Nein". Die Formalisierung von Kommunikation ist deshalb nicht möglich, weil sie auf der
klassischen Logik fußt. Wie aber stellt sich das Problem einer Formalisierung, wenn die
klassische formale Logik so erweitert wird, daß sie mehr als Dichotomien allein bietet, um
unsere Welt zu ordnen. Günthers Forderung nach einer Erweiterung logischer Kalküle richtet
sich auf eine Erweiterung der Vielfalt der logischen Werte. Zwei Werte, z.B. "wahr" und
"falsch" oder "1" und "0", prägen die klassische Logik und ihre Anwendungen. Jedes logische
10 Gotthard Günther: Das Bewußtsein der Maschinen. Baden Baden: Agis 1963.
12
Kalkül fordert von seinem Benutzer, daß er sich entscheidet, ob die zu manipulierenden Aus
sagen wahr oder falsch sind. Dies trifft auch für die konventionellen mehrwertigen Logiken wie
z. B. die Fuzzy-Logik, zu, vielleicht erst auf einem höheren Level der Sprache. Auch wenn das
Kalkül mehr als zwei Werte zuläßt, muß sich sein Betreiber irgendwann die Frage stellen, ob
seine Beweise korrekt durchgeführt wurden oder nicht. Auch wenn er in der Metasprache, also
in der Sprache, in der man über das Kalkül spricht, wiederum Fuzzy-Logik anwendet und
beispielsweise behauptet, der Beweis ist nur mit einem Wahrheitsgrad von 0,8 richtig, so ist er
gezwungen die Aussage "Der Beweis ist nur mit einem Wahrheitsgrad von 0,8 richtig."" mit
dem Wert "wahr" zu belegen.
Günther erweitert die zweiwertige klassische Logik eine Verknüpfung dreier zweiwertiger
Logiksysteme mit den Weren 1 «2, 2«3 und 1 «3 und gibt gewisse zweistellige Operationen in
dieser dreiwertiegen Logik an. Er zeigt ferner, daß diese Operationen bezüglich der drei Einzel
systeme gewisse Eigenschaften besitzen, auf Grund derer er eine Einteilung der 19683 zweistel
ligen Operationen vornimmt. Damit kann sicher einem etwaigen Einwand, daß mehrwertige
Logiken auf Grund der rapid steigenden Anzahlen der vorkommenden Operationen eine
kalkühnäßigs Operieren mit ihnen völlig aussichtslos wäre, entgegnet werden. Die Aufgabe der
Mathematik ist es gerade, durch geschickte Strukturierung Probleme in den Griff zu bekommen,
deren Lösung auf den ersten Blick nur durch einen gewaltigen Rechnenaufwand erzielt werden
kann. Eine treffende Anektode dazu: Der Klassenlehrer des 8-jährigen Carl Friederich Gauß
stellte der Schulklasse, wohl um einige Minuten der Entspannung genießen zu können, die
Aufgabe, die Zahlen von 1 bis 100 zu addieren. Wie überrascht war dieser Lehrer, als der junge
Gauß bereits nach einigen Minuten zu dem richtigen Resultat kam, indem auf eine überaus
gefinkelte Weise diese hundert Zahlen addierte Der Umgang mit großen Zahlen hat noch keinen
Wissenschaftler geschreckt, sondern war stets eine Herausforderung. Günthers Klassifikations
schema mag die Zahl 19683 gar nicht mehr so schrecklich groß scheinen lassen.
11 Das ist eine Aussage in der Metametasprache, also jener Sprache, in der man über die Metasprache spricht.
13
Aber was hat diese Vereinfachung mit dem ursprünglichem Thema der Formalisierung, der
kalkülmäßigen Operationalisierung von Kommunikationsprozessen zu tun? Günther bleibt die
Antwort schuldig! Der kleine Gauß strukturierte die Zahlen zwischen 1 und 100 so in Zahlen
paare, daß er jeweils 1 und 100, 2 und 99, 3 und 98 usw. bis 50 und 51 zusammenfaßte. Die
Summe dieser 50 Paare ist stets 101, ergo ist die Gesamtsumme 5050. Damit ist die Aufgabe
gelöst. Wo aber liegt die Beantwortung Günthers anfangs gestellter Frage? Was bringt es zu
wissen, daß die Anzahl der Operationen mit symmetrischer Bewertung, wobei Rejektionswerte
auftreten, im System 1~2 genau 108 beträgt? Wie wirkt sich das in der Beschreibung eines
Beobachters aus, der einen Kommunikationsprozeß betrachtet? Läßt sich damit eine mit
Shannons vergleichbare Theorie aufstellen.? Wie gesagt, die Antwort bleibt uns Günther
schuldig.
An dieser Stelle ist Dank zu sagen der Berliner Staatsbibliothek für die großzügig gewährte
Unterstützung und die Einsichtsnahme in den Berliner Nachlaßteil Gotthard Günthers, ins
besondere Herrn Prof. Dr. Brandis und Herrn Dr. Busch.
Dank zu sagen ist ebenfalls dem Felix-Meiner-Verlag in Hamburg für die Genehmigung der
Übersetzung der englischsprachigen Texte ins Deutsche und, weit darüberhinaus, für die in
entgegenkommender Weise gewährte Unterstützung durch Herrn Manfred Meiner.
14
Helmut Schelsky
Zur Ontologie der MehrwertigkeitI2
Erlauben Sie mir bitte, zu Beginn dieser Arbeitstagung Gotthard Günther mit einigen Worten zu
begrüßen. Und das aus verschiedenen Gründen. Der geringste Grund ist sicher der, daß ich
schon ein Bedürfnis habe, klarzumachen, weshalb wir auf Du und Du miteinander sind, und daß
dieses Kolloquium hier in Rheda nun trotzdem kein privates Bekanntengespräch ist. Aber das
viel wichtigere und der eigentliche Grund dafür ist, daß Du, Gotthard, im nächsten Monat 70
Jahre alt wirst. Und obwohl das bei Wissenschaftlern und Denkern nach meiner Überzeugung
höchstens Trauer-, statt Glückstage sind, geben sie doch Anlaß, vielleicht einmal die summa zu
ziehen. Und da wir, wenigstens die meisten von uns, kaum Gelegenheit haben, zu diesem Tage
bei Dir in Hamburg zu sein und ihn auszugestalten, möchte ich sozusagen ein Summarium
Deines Lebens und Wirkens kurz geben - improvisiert, wie ich erinnere. Ich glaube, wir sind
jetzt 36 Jahre bekannt, das heißt, den größten Teil Deines Lebens kenne ich einigermaßen aus
persönlichem Kontakt. Ich will übergehen, das könntest Du privat erzählen, was bis zu unserem
ersten Treffen in Leipzig passiert ist. Ich glaube, daß Gotthard Günther einen der phantastisch
sten Lebensläufe bis dahin durchgemacht hat, der erzählt eher romanhaften Charakter hätte, als
daß man ihn einfach glaubte. Immerhin darf ich soviel sagen, daß Du niemals den normalen
Weg gegangen bist. Soviel ich weiß, hast Du kein normales Abitur an einem deutschen Gymna
sium gemacht, sondern bist nach vielen Umwegen über Rechtsanwaltskanzleien und ähnlichem
zum Begabtenabitur gekommen. Und über ein Jurastudium und über Sinologie dann zur
Philosophie und zu den Naturwissenschaften. Sinologie ist schon ein inhaltliches Stichwort.
Und ich erinnere mich, daß bei mir zu Hause noch drei Aufsätze von Dir über den Buddhismus
liegen, und wenn ich je etwas verstanden habe vom Buddhismus als einer Theorie der Subjekti
vität, dann stammt das von Dir und dem von Dir vermittelten Rosenberg; aber wahrscheinlich
ist das alles heute überholt und falsch. Sodann hast Du in Berlin Dein Philosophiestudium
abgeschlossen mit einer Arbeit über eine neue Theorie des Denkens in Hegels Logik. Das ist
12 Einfuhrungsworte zum Kolloquium "Die Ontologie der Mehrwertigkeit, Natürliche Zahlen in einem transklassischen System" mit Professor Dr. Gotthard Günther, 28729. Mai 1970.
15
eins der wenigen Bücher, die von Dir überhaupt vorhanden und erreichbar sind. Diese Arbeit ist
damals wohl bei Spranger offiziell gemacht worden. Also ich würde sagen, von Spranger
spreche ich Dich frei. Das ist nicht die Verbindung. Vielmehr gab es jemanden, der damals
gerade junger Ordinarius in Leipzig geworden war; er traf mich und sagte: das ist der richtige
Mann, das ist eine ganz wichtige Sache, und den Mann müssen wir uns holen. So kamst Du als
Assistent nach Leipzig. Und so lernten wir dich kennen. Das Hauptthema unserer damaligen
Jahre war zweier-, wenn nicht gar dreierlei. Da war erst einmal Hegel, Hegel in vielen Varian
ten. Insbesondere von seiner Logik her war die Verbindung zu den modernen Naturwissen
schaften gegeben. Ich möchte erinnern an unsere Arbeitsgruppe, die seltsamerweise nicht in
Leipzig, sondern immer in Jena zusammenkam, wobei verschiedene Mathematiker wie Weiz
säcker und Pasqual Jordan - der damals noch auf der Höhe seiner geistigen Leistung war - sich
trafen. Das war die Auseinandersetzung mit der Naturwissenschaft. Es gab damals ein Buch,
welches aus einer Gruppe, die um Heisenberg Philosophie trieb, kam und welches eine große
Rolle in unserer Diskussion spielte. Und das dritte war immer eine Geschichtsphilosophie. Ich
glaube, man sollte nicht verdrängen, daß das immer ein wichtiger Trend Deines Denkens
gewesen ist, in verschiedenen Formen: als Übernahme der Mythologeme, dann als moderne
Theorien, aber auch der echten Geschichtsphilosophie. Ich weiß nicht, ob es von Deiner Ge
schichtsphilosophie in Amerika überhaupt noch ein Exemplar gibt, oder ob es verschollen ist.
Auf eine Sache möchte ich noch kurz zu sprechen kommen. Ich habe damals das Grundthema
dessen, was wir heute hier zur Diskussion stellen, nämlich die logische Problematik, unter
einem ganz anderen Begriff kennengelernt. Und wir werden in der Diskussion merken, daß die
Thematik einer transklassischen Logik, um es einmal ganz neutral zu sagen, verschiedene
Bezeichnungen bei Gotthard Günther hat. Damals hieß es neontische Logik, ein Begriff, den ich
auch behalten habe: nämlich nicht auf das Sein, sondern auch auf Sinnbezüge ausdehnbare
Logik. Ein Freund von Dir, Paul Hoffmann, hat mit seiner kleinen Schrift über den Satz des
ausgeschlossenen Dritten damals großen Einfluß auf die Diskussion ausgeübt. Und er hat auch
ein dickes Buch über Sinn geschrieben, das ich sehr überheblicherweise als junger Student
rezensiert habe, worüber er nicht sehr glücklich war. So war es damals.
Es dauerte allerdings alles nicht sehr lange. Die Situation war die, ich will es offen erzählen, daß
16
Herr Günther als Nachfolger von Bauch nach Jena kommen sollte. Der berühmte Bauch mit den
drei Bauchwehs. "Wahrheit, Wert und Wirklichkeit" ist sein großes entscheidendes Buch
gewesen, und unter den liederlichen Philosophen hieß es: die drei Bauchwehs. Er war emeritiert,
und es sollte ein Idealist auf den Lehrstuhl berufen werden. Die Verhandlungen waren bereits
völlig abgeschlossen - ich war selber mit eingeschaltet - , aber scheiterten dann schließlich doch
noch an der Obstinatheit von Gotthard Günther, insofern er sich weigerte, die nach unserer
Überzeugung bloß formale Pflicht zu erfüllen, einen Erlaß zu unterschreiben, daß er dem Führer
und Kanzler des deutschen Reiches gehorsam sein wolle. Nun, darüber brauchen wir nicht
weiter zu sprechen. Jedenfalls hat Gotthard Günther damals Deutschland verlassen, ohne jeden
Zwang; im Gegenteil: sehr bedauert von vielen, die mit ihm gearbeitet haben.
Deine Stationen draußen, V..., wo Deine Frau lehrte, dann Stellenbosch in Südafrika, dann
Amerika, davon müßtest Du erzählen, ich kenne das nicht sehr genau. Es war nicht sehr einfach
in Amerika. Du galtest sehr bald in den verschiedenen Colleges als "non cooperative personali
ty", was Du natürlich im normalen kollegialen Sinn auch immer gewesen bist. Denn ich darf nur
subjektiv sagen, ich kenne sicher niemanden, auf den man sich menschlich so unbedingt
verlassen kann, wie auf Dich. Aber leicht gemacht hast Du es natürlich keinem von uns. Diese
Situation schlägt sich dann in solchen Formeln des Sozialzwanges oder solchen Situationen des
Sozialzwanges, wie es in der Formel von der "non cooperative personality" zum Ausdruck
kommt, nieder. Wenn ich jetzt betrachte, was Du in Amerika eigentlich dazugewonnen hast, an
Thematik mehr als am Kern der Sache, die Dich interessiert, dann ist das dreierlei gewesen: Das
erste ist die Aufnahme eines für ernsthafte Philosophen natürlich nicht seriösen Arbeits- und
Interessensgebiets: nämlich die Science Fiction. Daß Deine entscheidenden logischen Abhand
lungen im Science Fiction-Magazin erschienen sind - ich habe sie alle - , wird ein Kuriosum
sein und hat zu ihrer Verbreitung nicht beigetragen, obwohl diese Aufsätze wahrscheinlich die
verständlichsten und interessantesten sind, weil sie auf ein Publikum von Naturwissenschaftlern
hin geschrieben sind, die keine europäische Philosophietradition kannten. Daß Du außerdem
dann nach 1945 die ersten deutschen Science-Fiction-Bücher, und zwar die klassischen Autoren,
herausgebeben hast, mit sehr schönen Einleitungen, die mindestens so spaßig sind wie die
Science Fiction selber, das ist zu früh gewesen. In vielen Sachen und vielen Angelegenheiten
Deines Lebens bist Du immer zu früh gekommen. Damals hat der Stahlberg-Verlag mit seinen
17
4 Bänden Science Fiction kein Geschäft gemacht und hat sie eingehen lassen. Das war buch
stäblich 10 bis 15 Jahre zu früh. Heute wären sie wahrscheinlich ein Bestseller.
Das zweite war - ich glaube, das ist die Wendung gewesen - , die Voraussage der Antimaterie.
Du bist immer ein spekulativer Denker gewesen; wir haben uns gestern schon darüber unterhal
ten, daß das Wort "Spekulation" bei Dir und unter uns keine negative Bezeichnung ist. Die
Vorhersage der Antimaterie ist vielleicht das, was Dir die größte Aufmerksamkeit verschafft hat
in den USA; später wurde sie dann wirklich entdeckt, d.h. sie wurde zwingend aus bestimmten
naturwissenschaftlichen Gründen erwiesen. Dich führte das zu einer Beschäftigung, mit der Du
dann die letzten 10 Jahre verbracht hast, zu der Beschäftigung mit der Kybernetik in einem
Institut für biologische Kybernetik - und das in einer Fakultät für Electrical Engineering, in
einer rein technischen Fakultät. Ich habe hier ein Zitat aus der heute zur Diskussion stehenden
Abhandlung über "Die gebrochene Rationalität", und ich möchte es doch einmal vorlesen, weil
mir hieran klar geworden ist, wie dieselbe Thematik andere Namen gewinnt und doch dasselbe
bleibt für mein Verständnis. Seite 8/9 dieser Abhandlung: "Damit aber wird das dritte und letzte
Grundgesetz in unserem Bewußtsein, also der Satz vom ausgeschlossenen Dritten, zerstört.
Derselbe besagt nämlich, daß es zwischen uns als erlebendem Ich und der erlebten Wirklichkeit
der objektiven Welt kein Drittes gibt. Das denkende Subjekt ist mit sich identisch und das
gedachte Sein ist ebenfalls mit sich identisch. Infolgedessen gehört jedes Realitätsdatum -
wobei unter Realität "Alles" verstanden wird, Gedanken sowohl wie Dinge - entweder dem
Innenraum der erlebenden Subjektivität oder dem Außenraum der physisch-materiellen Objekti
vität an. Eine dritte Möglichkeit ist schlechterdings nicht erlebbar.
Es ist leicht einzusehen, daß die Konzeption der Anti-Materie und einer sich aus ihr aufbauen
den Gegen-Realität dieses letzte grundlegende Erlebnisschema des menschlichen Bewußtseins
völlig vernichtet. Denn das Gegen-Universum ist weder ein abstraktes Datum unseres seelischen
Innenraums, denn die Anti-Protonen und Positronen sind ja »wirklich«, noch ist es für uns ein
reeller Außenraum, in dem wir uns physisch bewegen können. Denn wenn unser Universum
»da« ist, dann existiert das andere nicht. Und umgekehrt. Das Gegen-Universum ist jenes Dritte,
dessen Realität ausgeschlossen ist. Zu der exklusiven klassischen Aufeinanderbezogenheit von
erlebendem Ich und als wirklich erlebter Welt tritt jetzt das »absolute Andere«, ein Sein, das für
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sich selbst, aber nicht für uns Dasein hat."
Ich glaube, das ist die Thematik, um die es im wesentlichen hier gegangen ist. Hier heißt das
Dritte: Antimaterie. Das verstehe ich nicht. Wie denn überhaupt, wenn man nicht dauernd
dranbleibt, natürlich das Verständnis der Schritte ausbleibt. Für mich ist das Dritte Deine These
immer gewesen, daß diese Subjektivität nicht, wie es der ganze Idealismus interpretiert hat,
Subjektivität ist und das Du nur ein anderes Ich. Und da liegt nun auch die Frage, die wir in die
Sozialwissenschaften Übergewanderten an eine Logik stellen: Was kann Deine Theorie der
Logik zum Beispiel zur Intersubjektivität beitragen, wenn Ich und Du Beziehungen, ja soziale
Beziehungen sind, und die beiden Ich nicht einfach als Ich interpretiert werden können. Ich
wollte diesen Problemanriß nur dazwischenschalten, um gleich hier deutlich zu machen - es
wird in der Diskussion vielfach aufkommen - , daß ein gleiches Problem unter ganz verschiede
nen Gegenstandsbezügen auftaucht; wir werden das alle bemerkt haben, soweit wir Günther
gelesen haben - und eine Epoche seines Denkens hat jeder von Ihnen mitgedacht, miterlebt,
denn sonst wären Sie wahrscheinlich nicht hier. Es wird eine der Aufgaben dieses Kolloquiums
sein, diese verschiedenen, sehr verschiedenen Gegenstandsgebiete, Fachdisziplinen hier zu einer
Diskussion zusammenzubringen. Ich glaube, daß darin ein zentrales Problem Deines Denkens
liegt.
Damit will ich abschließend Deinen Lebenslauf abrunden. Du hast Dich immer sehr gewehrt,
nach dem Kriege wieder nach Deutschland zu kommen unter dem Aspekt, Du seiest ein Emi
grant. Du bist freiwillig gegangen und wolltest nur um Deiner wissenschaftlichen Anerkennung
willen berufen werden. Das ist eine der vielen soziologischen Verkennungen der deutschen
Wirklichkeit, die Dir gelungen sind: es waren nämlich gar keine da, die damals diese Urteile
über Dich abgeben konnten und so war dieser Weg illusionär. Immerhin waren dann 1958 von
Weizsäcker und ich in Hamburg, und wir haben Dich wenigstens als Emeritus für Hamburg
gewinnen können, was dann den Kontakt mit der deutschen Universität wenigstens in dieser
Form wiedergebracht hat.
Schon zwischendurch habe ich mich einmal darauf bezogen, inwieweit die Werke von Gotthard
Günther eigentlich zugänglich sind. Ich würde sagen: Erstens ist ein Großteil verstreut; ich habe
19
mir die Stapel an Sonderdrucken einmal angesehen. Zweitens ist sicher auch ein Teil ver
schollen; ich habe Manuskripte von Dir - die ich auch nicht herausgebe - , die sicher nur einzig
mehr da sind; andere sind ganz weg.
An Büchern ist es außer der schon erwähnten neuen Theorie in Hegels Logik - in dem ominö
sen Jahre 1933 erschienen - die Fortführung des 1. Bandes "Idee und Grundriß einer nicht
aristotelischen Logik". Der 2. Band wird nach Deinem Eingeständnis nie geschrieben werden,
weil er dann die ganze Technik einer neuen Logik bringen müßte. Bekannt ist Ihnen wahr
scheinlich "Das Bewußtsein der Maschinen" - ich würde sagen: ein Buch, auf der Grenze
zwischen Deinen logischen, metaphysischen und Science Fiction-Interessen geschrieben und
auch dementsprechend unterschiedlich aufgenommen.
Ich möchte mich zum Schluß ganz einfach bei Dir bedanken. Ich habe in meinem Leben von
sehr wenigen - von zwei oder drei Menschen - die entscheidenden Impulse für meine geistige
Existenz erhalten. Dazu gehörst Du. Da ist ein "Danke schön" nicht zu viel.
Daß die Ansprüche an Dich, die die verschiedenen Wissenschaften stellen und die ich auch
stelle, nicht unmittelbar von Dir befriedigt werden können, das habe ich nach den langen Jahren
eingesehen. Wenn ich mir in meinem Leben noch etwas vornehme, dann ist es an irgendeiner
Stelle der Versuch, in die sozialwissenschaftliche Theorie bloß ein Bruchstück dessen, was ich
bei Dir verstanden habe - Verbindung von Ich- und Du-Subjektivität - , zu übersetzen in eine
Art von Du-Theorie des sozialen Handelns. Aber ob ich diesen Festschrift-Beitrag selbst noch
leiste, weiß ich nicht.
Schönen Dank, Gotthard!
20
Gotthard Günther
Zahl und Begriff Unvergeßliche Stunden mit Warren Sturges McCulloch1
Es ist nicht leicht für den Autor, diese Erinnerungen aufzuschreiben. Er möchte eine Seite von
Warren Sturges McCulloch zeigen, die weitgehend unbekannt ist und auch in den Veröffentli
chungen dieses großen Mannes und erstklassigen Wissenschaftlers kaum sichtbar wird -
nämlich den bedeutenden und tiefen Philosophen. Es war ihm überaus bewußt, daß die Kyber
netik als neuartige, selbständige Wissenschaft eine neue philosophische Grundlegung brauchte,
um sie von den konventionellen Disziplinen abzugrenzen. Diese Überzeugung führte zu der
Bekanntschaft mit dem Autor und zu einer Freundschaft, die fast zehn Jahre bis zum Tode
McCullochs dauerte. Die Schwierigkeit besteht darin, daß beide fast identische Ansichten über
die Beziehungen von Kybernetik und Philosophie hatten und es darum fast unmöglich ist, seine
eigenen Ideen von denen McCullochs sauber zu trennen. Er ist sich nur sicher, daß alle Gedan
ken, die er bis zur Publikation von "Cybernetic Ontology and Transjunctional Operations"
formuliert hat, seine eigenen sind. [1] Obwohl McCulloch in diesem 1962 erschienenen Essay
schon zitiert wird, geschah das nur in der Absicht, Überlegungen, mit denen sich der Autor
bereits seit einiger Zeit getragen hatte, auf die Autorität McCullochs zu stützen.
Zur Begegnung des Autors mit McCulloch kam es durch Dr. John Ford (damals an der George
Washington University), der McCulloch 1959 einen deutsch geschriebenen, 1958 in der
"Zeitschrift für philosophische Forschung" erschienenen, Aufsatz des Autors über "Die Aristo
telische Logik des Seins und die nicht-Aristotelische Logik der Reflexion" gegeben hatte. [2] Er
ist Dr. Ford noch immer außerordentlich dankbar für diese Verbindung, die seine ganze Auf
fassung von Philosophie ändern sollte. Es dauerte geraume Zeit, bis der Autor verstand, was
McCulloch an diesem Aufsatz berührt hatte. Es war weniger seine potentielle Verwendbarkeit
in der Kybernetik als vielmehr die verborgene Beziehung zwischen Zahl und logischem Kon
text, die er enthüllte. Als der Autor den Aufsatz schrieb, glaubte er, daß eine nicht-Aristotelische
Logik nichts als ein Stellenwertsystem von unzähligen Aristotelischen (zweiwertigen) Sub-
1 Übersetzt von Marie Günther-Hendel.
21
Systemen sein würde. Was ihn damals interessierte, war ganz begrifflich, und er dachte noch
nicht im Traum daran, daß ein verborgenes arithmetisches Element in tiefere Schichten kyberne
tischer Grundlagen führen könnte. Darin sah McCulloch viel weiter als er.
Ihre intellektuelle Zusammenarbeit begann ernsthaft eines Abends - der Autor hatte auf seiner
jährlichen Winterreise nach New Hampshire bei McCulloch hereingeschaut - , als McCulloch
das Gespräch auf die Pythagoräer lenkte und auf ihre Lehre, daß Zahlen den innersten Kern der
Wirklichkeit beschreiben. Als der Autor um eine nähere Erklärung bat, erfuhr er damals nur,
daß es gerade seine Sache wäre, mehr darüber herauszufinden. Es war das erste Mal, daß er sich
der seltsamen Zurückhaltung gegenübersah, die McCulloch in bezug auf ontologische, genauer
"metaphysische" Fragen bewahrte. Das führte ihn dazu, McCullochs Begabung und Intention
auf diesem Gebiet weit zu unterschätzen. Daß McCulloch sich niemals herbeiließ, auf Kon
gressen Vorträge zu kritisieren, die offenbar von falschen metaphysischen Voraussetzungen
ausgingen, bestärkte ihn noch in diesem Fehlurteil. Zunächst nahm er an, daß McCulloch die
Mängel nicht bemerkte, später aber mußte er sehen, daß er sich geirrt hatte. Dennoch muß er
feststellen, daß McCulloch während der gesamten Dauer der Bekanntschaft und - wie der Autor
hofft - Freundschaft niemals aufgab, Kritik an dem Kurs, den die Kybernetik in Beziehung zur
Philosophie hielt, zurückzuhalten. Erst nach McCullochs Tod erfuhr er, daß sein Mentor in
Fragen der Kybernetik, mit dem Mangel an ontologischer Grundlegung, der die kybernetischen
Theorien charakterisierte - und noch immer charakterisiert - ebenso unzufrieden war, wie er
selbst. Aber bald sah er ein, wie sehr McCuolloch seine eigenen Bemühungen in einem neu
artigen metaphysischen Rahmen sah. Die Klärung kam eines Abends, als McCulloch begann,
über Martin Heidegger zu sprechen, und ein sehr abgenutztes, zerlesenes Exemplar von "Sein
und Zeit" herbeiholte.
Das Buch hatte ursprünglich seinem Freund und Mitarbeiter Eilhard von Domarus gehört, wie
er erklärte; und er seinerseits habe es gründlich studiert, wolle es aber nun dem Autor zur
Lektüre überlassen, denn der hatte gestanden, daß er sich nicht viel aus Heideggers Philosophie
mache. Der Dank für das überraschende Geschenk muß ziemlich zögernd geklungen haben,
denn McCulloch wurde sehr beredt und bestand darauf, daß Heideggers "Nichts" genau der
ontologische Ort für das zentrale Problem der Kybernetik sei: nämlich die Abbildung prozessua-
22
len Lebens auf an sich lebloser Materie. Sein ist beides: Subjekt und Objekt; aber die westliche
Philosophie ist seit der Zeit der Griechen in "Seinsvergessenheit" verfallen. Für McCulloch
bedeutete das, daß sie sich nicht auf das Problem der Kybernetik einstellte. Die klassische
Philosophie hält irrtümlich die von Selbst-Referenz freie Objektwelt für das "Sein". - Dieser
Kommentar zu Heidegger zeigte dem Autor, wie sehr er McCuollochs philosophische Begabung
unterschätzt hatte. Seine genaue Kenntnis von "Sein und Zeit" und besonders seine Diskussion
des "Nichts" gaben den metaphysischen Überlegungen des Autors eine neue Richtung, ließen
ihn die Wurzeln der Kybernetik in den letzten und primordialen Tiefen des Universums suchen.
Der geistige Berührungspunkt zwischen McCulloch und dem Autor war ihrer beider Interesse
an der transzendentalen Bedeutung der Logik - mit anderen Worten die Frage, wieviel und
welche Kenntnis über die uns umgebende Welt die Logik enthält. So war es nur natürlich, daß
der Autor von seinem Partner wissen wollte, was er unter dem Terminus "metaphysisch"
verstand. Zunächst wurde er auf das "Mysterium Iniquitatis ..." [3] verwiesen und die Ansich
ten, die physikalisches Denken über Angelegenheiten vorschreiben, die geistig genannt wurden
("they prescribe ways of thinking physically about affairs called mental"). [4] Begreiflicher
weise ließ diese Antwort den Philosophen unbefriedigt, und sie erklärte gewiß nicht McCul
lochs eigene - ziemlich ambivalente - Schätzung von Heidegger. Dies gab er zu und begann
dann Gedanken zu entwickeln, die weit über die metaphysischen Andeutungen in Aufsätzen wie
"Mysterium Iniquitatis ...", "Through the Den of the Metaphysician" [5], "What is a Number..."
[6] und anderen hinausgehen. Er machte seinen Hörer darauf aufmerksam, daß jede Logik und
jeder Kalkül, den Menschen je erfinden können, nichts als eine mehr oder weniger gelungene
Formalisierung ontologischer Begriffe ist. Das war natürlich nicht neu, und man kann es leicht
als immer gegenwärtige Implikation aus seinen Schriften herauslesen. Aber es zeigt, daß er viel
tiefer durch die 'Grotten des Metaphysikers' gewandert war, als er in seinen Schriften deutlich
machen wollte. Hier möchte der Autor den Leser an das Zitat von James Clerk Maxwell
erinnern, das in "Through the Den of the Metaphysician" vorkommt. Es handelt von der
Beziehung zwischen Gedanken und molekularen Bewegungen im Gehirn: "... does not the way
to it lie through the very den of the metaphysician, strewn with the bones of former explorers
and abhorred by every man of science?" Dazu McCulloch: "Let us peacefully answer the first
half of this question 'Yes', the second half'No', and then proceed serenely." [7]
23
Zweifellos hat er sich vor der Höhle des Metaphysikers niemals gefürchtet, aber alle seine
Schriften zeigen eine ausgesprochene Abneigung, die Eigenschaften der Transzendenz bis ins
einzelne zu analysieren. Aber diese Zurückhaltung verschwand fast vollständig, wenn McCul
loch in Gegenwart eines Menschen über den fraglichen Gegenstand spekulierte, der, wie der
Autor, im Bereich des Transzendentalen mehr zuhause war als auf den empirischen Wegen der
Kybernetik.
Von Heideggers Nichts wandte sich das Gespräch dann Kant und Hegel zu. Zu seiner Überra
schung entdeckte der Autor, daß McCulloch deutlich sah, daß Kants Philosophie eine Epoche
philosophischen Denkens beschließt und daß Hegel eine neue eröffnet. Er selbst hatte diese
Entwicklung im Sinne der Unterscheidung von Kultur- und Geisteswissenschaft und mit
Hinblick auf die pseudo-systematische Entwicklung der letzteren in der seit 1900 bestehenden
Hegel-Renaissance interpretiert: Von der Hegel-Renaissance und ihren intellektuellen Begleit
erscheinungen wußte McCulloch kaum. Selbst wenn er damit vertraut gewesen wäre: die
metaphysische Kluft zwischen Materie und Geist oder Subjekt und Objekt, die die Geisteswis
senschaft betonte, konnte von keinem Kybernetiker und am wenigsten von McCulloch akzep
tiert werden. Folgerichtig erklärte er den Unterschied zwischen Kant und Hegel durch die
verschiedene Auslegung von Dialektik, die sich in der Kritik der reinen Vernunft und in Hegels
Logik findet. Kant behandelt die Dialektik im Sinne der Platonischen Tradition, und in der
Kritik der reinen Vernunft fuhrt sie zum transzendentalen Schein als unvermeidlichem Element
des Irrtums, der alle metaphysischen Behauptungen durchdringt. So ist Kants Einschätzung der
Dialektik im Grunde negativ, und je weniger wir von diesem giftigen Trank zu uns nehmen,
desto besser geht es uns. Dagegen ist für Hegel - so McCulloch - die dialektische Struktur ein
legitimes Element sowohl des Denkens als der objektiven Existenz, wobei sie zugleich das
Bindeglied zwischen beiden liefert. Darauf bezieht sich Seymour Papert, wenn er in seiner
Einführung zu "Embodiments of Mind" berichtet, daß es für McCulloch feststand: "... that to
understand such complex things as numbers we must know how to embody them in nets of
simple neurons. But he would add that we cannot pretend to understand these nets of simple
neurons until we know - which we do not except for an existence proof - how they embody
such complex things as numbers. We must, so to speak, maintain a dialectical balance between
evading the problem of knowledge by declaring that it is 'nothing but' an affair of simple
24
neurons, without postulating 'anything but' neurons in the brain. The point is, if I understand
him well, that the 'someting but' we need is not of the brain but of our minds: namely, a
mathematical theory of complex relations powerful enough to bridge the gap between the level
of neurons and the level of knowledge in a far more detailed way than can any we now possess."
[8]
Nachdem der Autor diese Einführung gelesen hatte, frag er McCulloch, ob er wirklich vorhabe,
die Dialektik nur auf eine lose und logisch nicht zwingende Weise einzuführen oder ob er sich
darüber klar wäre, daß Hegel den Terminus als linguistische Decke für einen verborgenen
Machanismus gebrauche, den das Weltall als Ganzes verwendet, den wir aber noch nicht
auflösen könnten. McCulloch schwieg eine Weile, und dann bat er den Autor, die Frage neu zu
formulieren, was der letztere tat, indem er sich erkundigte, ob er glaube, daß "Dialektik" nur
eine Besonderheit oder Schwäche des menschlichen Geistes sei oder eine wesentliche Eigen
schaft der Wirklichkeit bedeute. McCulloch antwortete, daß der Begriff eine objektive Eigen
schaft des Universiums bedeuten müsse und fügte hinzu: Das ist es, glaube ich, was Kant von
Hegel trennt. - Der Autor und McCulloch waren sich einig, daß das "sozusagen" in dem eben
gegebenen Zitat aus Paperts "Introduction" kein korrekter Ausdruck ist, denn es deutet nur auf
eine vage Analogie. Der Ausdruck lasse nicht klar werden, daß in dem Begriff "dialektisch" ein
ganz präzises systematisches Grundlagenproblem der Theorie der Mathematik vorliegt. -
Irgendwie kam das Gespräch auf eine Arbeit von Barkley Rosser, die im "American Journal of
Physics" erschienen war, und von ihr auf die Frage, ob eine dialektische Analyse der natürlichen
Zahlen dazu helfen könnte, die Kluft zu schließen, die die heutige mathematische Theorie
zwischen dem Niveau der Neuronen und dem Niveau der Erkenntnis darbietet. [9] Alles blieb
noch sehr vage, und es bedurfte fast einer nachtlangen Diskussion, um das Problemgebiet etwas
zu klären. McCullochs Vertrautheit mit dem Unterschied der Auffassung der Zahl bei Plato von
der des Aristoteles und daß er wußte, wieviel näher Piatos Ideen denen der Pythagoräer waren
als die des Aristoteles, erwies sich als sehr hilfreich. Und dann überraschte er den Autor, indem
er sagte, was Hegel unter Zahl verstehe, sei ein nicht sehr erfolgreicher Versuch, den all
gemeinen Begriff des Zahlseins (Numeralität) wieder aufzubauen, der durch den Antagonismus
der Platonischen und der Aristotelischen Philosophie auseinander gebrochen war. Schließlich
25
fügte er hinzu, daß es Hegel nicht gelungen sei, eine neue Theorie der mathematischen Grundla
gen zu entwickeln, weil er die Zahl mehr im Sinn des Aristoteles als im Platonischen betrachtet
habe. Das schien dem Autor eine erstaunliche und fragwürdige Folgerung. Er glaubte, er wisse
mehr über Hegel, und konnte McCullochs Theorie nicht annehmen. Da die ganze Geschichte
der Mathematik von den Griechen bis in die Gegenwart ihre Erfolge der instinktiven Hinnahme
des Aristotelischen Zahlenverständnisses verdankte, mußte sich McCulloch irren. Der Autor
verließ Shady Hill Square etwas unbefriedigt und ging skilaufen.
Sechs Wochen später war er zurück - sehr zerknirscht und kleinlaut. Er war kein Mathematiker,
bloß ein Logiker, und noch dazu in der Atmosphäre der Geisteswissenschaften aufgewachsen.
Aber in der Zwischenzeit war ihm aufgegangen, daß McCulloch ein viel besserer Philosoph war
als er, wenn es sich um das Problem der transzendentalen Beziehung zwischen der Mathematik
und dem Universum handelte. Unter Voraussetzung der Hegel-Interpretation McCullochs
wandte sich das Gespräch erneut dem Aufsatz Barkley Rossers zu. Dessen Versuch erschien
jetzt im höchsten Grade interessant. Rosser hatte in dem genannten Beitrag bewiesen, daß man
Zahlen durch vier Ideen der zweiwertigen Logik erhalten kann, die ihrerseits in einem ebenso
zweiwertigen Kalkül formalisiert sind. Die erste Idee ist die 'Konjunktion' (... und ...); die
zweite ist 'Verneinung' (nicht...); die dritte Idee ist 'alle'; und die letzte Idee ist 'ist Teil von'.
Rosser schlägt dann vor, diese Ideen auf die Struktur eines mehrwertigen Kalküls zu projizieren.
Zum Zweck des Beweises und zur Vermeidung größerer Kompliziertheit illustriert er seine Idee
an einer drei-wertigen Logik. Als Werte nimmt er 'wahr' (W), 'wahrscheinlich' (?), und 'falsch'
(F). McCulloch und der Autor kamen überein, daß diese Interpretation von Dreiwertigkeit sich
zwar in der Kybernetik und anderswo als nützlich erwiesen hat, daß sie aber nicht zu einer
transklassischen Theorie der natürlichen Zahlen führen könne. Denn mindestens seit 1950
(Oskar Becker) ist anerkannt, daß die Einführung von Wahrscheinlichkeit oder von modalen
Werten den formalen Charakter eines logischen Systems zerstört. [10] Wenn man auf strenger
Formalität besteht, reduziert sich jedes solche unechte mehrwertige System automatisch zu
einem zweiwertigen Kalkül. Um McCulloch zu überzeugen, daß Rossers Behandlung des
Problems sehr korrekturbedürftig sei, verwies ihn der Autor auf etwas, worin er Rossers zweiten
Fehler sah. Rosser bestimmt die Konjunktion in der klassischen Logik durch folgende Matrize:
26
w F
W
W
F
F
F
F
und durch die Forderung, daß W auf keinem der leeren Plätze wieder vorkommen kann, die
entstehen, wenn wir die Plätze der Funktion von vier auf neun vermehren. So bestimmt er in
strenger Analogie die dreiwertige Konjunktion durch die Matrize:
T
?
F
T
T
o
0
?
0
0
0
F
0
0
0
Noch einmal: um den Sinn von Konjunktion beizubehalten, darf "W" keinen der leeren Plätze
besetzen, die in der obigen Matrize offen bleiben. Aber "?" und "F" können unterschiedslos in
jedem der anderen Plätze auftreten. Da acht Plätze zu besetzen sind und da für jeden Platz zwei
mögliche Wahlen bestehen, gibt es für jeden Platz 28, d.h. 256 mögliche Wahlen für seine
Besetzung. Rosser meint, daß sie alle den allgemeinen Sinn der Konjunktion in einer drei
wertigen Logik erfüllen.
Dieser Anspruch war leicht zu widerlegen, wenn man, wie es McCulloch tat, die Auffassung
von transklassischer Logik, die der Autor in "Cybernetic Ontology and Transjunctional
Operations" gegeben hatte, für richtig hielt. Um zu zeigen, daß Rossers Interpretation von
Konjunktion zu großzügig ist, besetzte der Autor die Matrize folgendermaßen:
27
1
2
3
1
1
3
3
2
3
2
3
3
3
3
2
Um die ontologischen Folgen zu vermeiden, die aus Rossers Gebrauch der Symbole W für
Wahrheit, (?) für Wahrscheinlichkeit oder Modalität, und F für Falschheit zu ziehen sind,
werden hier die Werte in der gleichen Anordnung mit den ersten drei ganzen Zahlen bezeichnet.
Diese Wertwahl verträgt sich ganz und gar mit Rossers Bestimmung des Sinns von Konjunk
tion. Aber es besteht dennoch nicht die entfernteste Möglichkeit, diese Aufstellung als die
Matrize eines konjunktionalen Funktors zu deuten. Um auch nur im mindesten den Sinn von
Konjunktion zu geben, müßte eine dreiwertige Logik die Struktur der Konjunktivität wenigstens
in einer der Alternativen: 1 oder 2, 2 oder 3, oder 1 oder 3 beibehalten. Das ist nicht der Fall,
denn für das zweiwertige System, das den ersten und den zweiten Wert umfaßt, bekommen wir
die morphogrammatische Struktur, die nur durch transjunktionale Wertbesetzung ausgefüllt
werden kann. Für das durch 2 und 3 konstituierte System erhalten wir eine morphogrammati
sche Struktur für Wertbesetzung, die für den Fall der Äquivalenz erforderlich ist, und für das
letzte zweiwertige System, 1 und 3, erscheint wieder die morphogrammatische Struktur der
Transjunktion.
Aber angenommen, Rosser hat recht und wir haben es in einem dreiwertigen System wirklich
mit 256 möglichen Arten von Konjunktion zu tun - was sollen wir mit diesem verwirrenden
Reichtum anfangen? Rosser selbst gibt die Antwort: "Apparently the only thing that can be done
about the matter is to pick out the 'and' that one likes best, and try to ignore the rest." [11]
McCulloch wies daraufhin, daß die Willkürlichkeit, die Rosser vorschlug, bei der Entwicklung
einer grundlegenden Theorie der natürlichen Zahlen nicht am Platze wäre. Aber dann sagte er
nachdenklich: Es deutet auf irgend etwas in der Beziehung zwischen Materie und Form. Der
Autor ist sich nicht ganz klar, ob das genau die Wortwahl McCullochs war; wie auch immer, er
fragte seinen Mentor, was er meinte, worauf McCulloch zur Erklärung dann eine lange Ge-
28
schichte anspann, die weit über das hinausging, was der Autor aus dem Aufsatz "What Is a
Number that Man May Know it ...?" gelernt hatte. Schließlich sprang ein Funke tentativen
Verstehens vom Sprecher auf den Hörer über: McCulloch sprach über Hermeneutik und über
die Möglichkeit, daß, wenn man Zahlen hermeneutischen Prozeduren unterwürfe im Sinn von
Diltheys 'Verstehen', daß dann für den Wissenschaftler die Kluft zwischen Natur und Geist
definitiv schließen würde. Die Idee einer grundsätzlichen "Arithmetisierung" der Geisteswissen
schaften schien dem Autor damals nicht nur bizarr, sondern geradezu unerhört, und er wider
sprach deshalb heftig. McCulloch antwortete auf keinen seiner Einwände und fragte nur etwas
barsch: Und was sagst Du zu Rossers "sidewise motion"? (Der Leser, der nicht mit Rossers
Essay bekannt ist, sollte darüber informiert werden, daß Rosser in seinem Aufsatz in seiner
etwas lockeren Manier sagt, daß eine Art "sidewise motion" erfolgt, wann man antürliche
Zahlen auf eine mehrwertige Logik abbildet.)
Es ist nicht die Absicht dieses Essays, die Theorien des Autors darzustellen, sondern die
philosophische Tiefe McCullochs und wieviel der Autor ihm geistig verdankt. Darum wollen
wir zu den Bemerkungen zurückkehren, die er über die untergründigen Zusammenhänge
zwischen Arithmetik und der Hermeneutik der Geisteswissenschaften machte. Von Dilthey ging
er zurück zu Hegel. Er behauptete, daß die idealistische und die materialistische Interpretation
von Hegel gleichermaßen unhaltbar wären, denn sowohl im Idealismus wie im Materialismus
würde vorausgesetzt, daß seine Äußerungen sich auf das bezögen, was da ist, anstatt auf das,
was das Universum für das Gehirn bedeutet. Jedenfalls sieht Hegels Philosophie Existenz als
einen Kontext von angebbaren Fakten. In dieser Beziehung war Hegel noch abhängig von Kant,
der zwei fruchtbare Dämonen zeugte ("... Kant ... spawned two fertile succubi"), wie wir in
"The Past of a Delusion" lesen. [12] - "One category, the Forms of Sensation, pervaded the
Dynamic Ego as Unconscious Mind. Upon her Freud begat his bastard, Psychoanalysis. The
other, Causality, the Category of Reason, flitted transcendentally through Hegel's Dialectical
Idealism. Upon Causality herself Karl Marx begat his bastard, Dialectical Materialism." [13]
Der Autor war damals ein überzeugter Verteidiger der Theorie der Dialektik und fragte McCul
loch, ob die Dialektik, von der er in "Embodiments of Minds" eine sehr geringe Meinung zu
haben schien, in einer nicht ontologischen, sondern hermeneutischen Alternative von Idealismus
und Materialismus eine Rolle spielen würde. McCulloch gab zu, daß das wohl so sein könnte,
29
vorausgesetzt, daß man eine befriedigende Deutung für die däÖQisxoc, öväc,, die "unbestimmte
Zweiheit" der griechischen Philosophie finden könnte. Nach Aristoteles' "Metaphysik" nannte
Plato die Formen Zahlen und lehrte, daß jede Zahl zwei konstituierende Elemente besitzt: die
Eins oder Einheit, von Aristoteles als formales Element bezeichnet, und ein anderes, das er ein
materiales Konstiruens nennt. Dies letztere hält man für die geheimnisvolle (MÖQISTOC, öväc;.
Es ist natürlich anzunehmen, daß die Dialektik ihre Wurzel in einer Zweiheit hat. Hier müßte
also eine erneute und kritische Analyse der Dialektik einsetzen. McCulloch schien sehr vertraut
mit dieser Vorgeschichte der Zahlentheorie, äußerte aber einigen Zweifel, ob man das Problem
der unbestimmten Zweiheit schon richtig verstanden hatte. Er war bereit zuzugeben, daß das
Zeugnis des Aristoteles über das, was Plato gesagt hat, unanfechtbar sei, aber eine andere Frage
schien zu sein, was Plato wirklich gemeint hat. Der Autor hatte die diesbezüglichen Abschnitte
in Aristoteles' "Metaphysik" genau gelesen und sah sich nun genötigt, McCulloch seinen
Eindruck mitzuteilen, daß Aristoteles Piatos Überlegungen hinsichtlich der Zahlentheorie total
mißverstanden hat. Aristoteles selbst bezieht sich auf Piatos Vorlesungen in der Akademie als
der "ungeschriebenen Lehre" (ayQacpa 66y\iaza), was hieß, daß Plato keinen schriftlichen
Text seiner Vorlesungen hinterlassen hatte. Darum überlieferten seine Hörer verschiedene
Versionen seiner berühmten Vorlesung "Über das Gute", die den Studenten Piatos bis zur
Gegenwart Rätsel aufgegeben hat.
McCulloch kannte Alfred North Whiteheads Aufsatz "Mathematics and The Good" [14] genau.
Whitehead hält sich ganz nah an die Tradition, die die Platonische "Zweiheit" in Verbindung zu
dem "Unbestimmten" oder "Unbegrenzten" (arceipov) der Pythagoraer setzt. Er interpretiert
das folgermaßen: "The notion of the complete self-sufficiency of any item of finite knowledge
is the fundamental error of dogmatism. Every such item derives its truth, and its very meaning,
from its unanalyzed relevance to the background which is the unbounded Universe. Not even
the simplest notion of artithmetic escapes this inescapable condition for existence." [15]
McCulloch konnte diesem Standpunkt nicht ganz zustimmen. Zu Recht hat Seymour Papert
darauf hingewiesen, daß McCulloch und Pitts in der berühmten Arbeit von 1943 bewiesen
haben, daß ein logischer Kalkül, mit dem man irgendeine Theorie des Bewußtseins verkörpern
konnte, einigen sehr allgemeinen Prinzipien von Endlichkeit ("some very general principles of
finitude") Genüge tun müßte. [16] An eine solche Beschränkung der Unbestimmtheit der
30
"unbestimmten Zweiheit" dachte McCulloch, als er die überlieferten und geläufigen Inter
pretationen von Piatos Zahlvorstellungen in Frage stellte. Es war ihm klar, daß im Grunde der
Unterschied zwischen Plato und Aristoteles der ist, daß Aristoteles nur einen einzigen Begriff
von Zahl zuließ: eine gradweise Häufung von gleichen Einheiten (uovaöiKÖc, apiCuöc,), daß
dagegen Piatos Philosophie einen zweiten Zahlbegriff besäße, der das Resultat des Bruches
zwischen dem Reich der Idee und unserer empirischen Existenz ist. Er bestand energisch darauf,
daß der Autor sich intensiver mit der philosophischen Seite der Zahlentheorie beschäftigen
sollte, als ihm dieser von Hegels Spekulation über ein "zweites" System der Mathematik
erzählte, "welche dasjenige aus Begriffen erkennt, was die gewöhnliche mathematische Wissen
schaft aus vorausgesetzten Bestimmungen nach der Methode des Verstandes ableitet". [17] Mit
diesem "zweiten" System der Mathematik im Hintergrund drängte er den Autor, seine Vorstel
lungen über die Verbindung zwischen Zahl und logischem Begriff weiterzuentwickeln. Man
kam bald überein, davon auszugehen, daß die Notation des binarischen Zahlensystems auf
interessante Weise mit der Methode zusammenfiel, durch welche zweiwertige Wahrheitstafeln
im Aussagenkalkül den Sinn von logischen Begriffen wie Konjunktion, Diskunktion, Im
plikation usw. darstellten. Man brauchte nur die Wertfolgen auf ihre morphogrammatischen
Strukturen zu reduzieren, von denen man acht erhielt, um zu sehen, daß eine eigentümliche
Übereinstimmung bestand zwischen der Methode, die die binarischen Zahlen von 0 - 1 1 1
erzeugt, und den acht vierplätzigen Morphogrammen, die nur die Idee der Gleichheit oder
Verschiedenheit von Plätzen benutzen.
Wir brauchen hier nicht alle folgenden Schritte der Arbeit zu wiederholen, denn sie sind vom
Autor unter dem Titel "Natural Numbers in Trans-Classic Systems" im Ersten Band des
"Journal of Cybernetics" fast ohne philosophischen Hintergrund berichtet worden. [18] Fast -
d.h., daß allerdings der formale philosophische Begriff der Universalkontextur eingeführt
wurde. Aber weder auf Piatos a&OQiSTOC, öväc, noch auf Hegels Idee einer "philosophischen
Mathematik" als logisch verschieden von der überlieferten Mathematik wurde Bezug genom
men. Es gab auch keinen Hinweis auf das allgemeine Prinzip der Endlichkeit, das für den oben
erwähnten Artikel im "Journal of Cybernetics" ganz wesentlich war. Tatsächlich hätte der
Artikel nie geschrieben werden können ohne die Kenntnis von McCullochs Ideen über Endlich
keit. Es soll hier versucht werden, diese Ideen aus dem Gedächtnis zu wiederholen, weil das,
31
was McCulloch entwickelte, vom dem Gedankengang abzuweichen scheint, der sich in "Embo
diments of Mind" findet.
Nach einer tentativen Diskussion von Hegels transklassischem Konzept der Mathematik nahm
McCulloch das Problem der Endlichkeit wieder auf, indem er eine damals neue Arbeit von C.C.
Chang "Infinite-Valued Logic as a Basis of Set Theory" heranzog. [19] Er und der Autor waren
sich einig, daß Changs Arbeit vom Standpunkt der Endlichkeit her kritisiert werden müsse, weil
Chang ohne weiteres Lukasiewicz' philosophisches Theorem übernommen hatte, daß nur drei
Systeme der Logik ontologisch relevant seien: das zweiwertige, das dreiwertige und das mit
einer unendlichen Anzahl von Werten. [20] Er findet Lukasiewicz' Folgerung ganz stichhaltig
und vernünftig, solange man alle Werte außer Wahr und Falsch "zwischen " zwei klassische
Grenzwerte setzt. Daß eine zweiwertige Logik und ein System mit unendlich vielen Werten
ontologisch relevant sind, versteht sich von selbst. Aber warum außer diesen nur ein drei
wertiges System? Diese Behauptung von Lukasiewicz kann man wie folgt interpretieren: Da
die Anzahl der Werte zwischen Wahr und Falsch ein Kontinuum darstellt, kann jeder individu
elle Wert dazwischen, der aus der Totalität der Werte gewählt wird, nur durch einen Dedekind-
schen Schnitt erhalten werden. Dieser Schnitt und nicht die Zahl, die man durch ihn erhält, ist
der gewünschte dritte Wert! Wenn wir also einen vierten, einen fünften und einen sechsten usw.
Zwischenwert hinzufügten, würden wir in logischem Sinn nur die Information wiederholen, die
uns der Schnitt gebracht hat. Und da - um es noch einmal zu sagen - der Schnitt selbst, und
nicht die Resultate des Schnittes, der dritte Wert ist, würde die Wiederholung des Schnittes trotz
eines verschiedenen Zahlenergebnisses logisch betrachtet (nicht arithmetisch) denselben Wert
ergeben. Von hier aus gesehen hat es Sinn, daß Lukasiewicz behauptet, daß nur drei Systemen
der Logik philosphische Bedeutung zugesprochen werden könne. Das Gespräch wandte sich
dann dem Faktum zu, daß der Autor in mehreren Arbeiten gezeigt hatte, daß Mehrwertigkeit
auch anders aufgefaßt werden könnte. Wenn man alle Werte mit ganzen Zahlen bezeichnet und
mit 1 anfängt, kann man alle transklassischen Werte nicht "zwischen" 1 und 2, sondern
"jenseits" von 2 ansetzen. Dies "jenseits" führt unvermeidlich zu einer anderen Interpretation
von mehrwertigen Systemen.
An dieser Stelle möchte der Autor anmerken, daß er im Anfangstadium seiner Untersuchung der
32
Mehrwertigkeit geglaubt hatte, man käme zu der einzigen legitimen ontologischen Deutung der
Mehrwertigkeit, wenn man zusätzliche Werte ganz jenseits der Alternative von Wahr und
Falsch ansetzte. Es war McCulloch, der ihn eines Besseren belehrte. Er ließ ihn sehen, daß in
einem mehrwertigen System, das nach dem Konzept des Autors als eine Ordnung von ontologi
schen Orten der Zweiwertigkeit zu verstehen ist, jedes zweiwertige System zusätzlich
Lukasiewicz-Werte zwischen Wahr und Falsch enthalten könne. Diese Anregung erwies sich
später als äußerst nützlich, und noch kürzlich hat sie dem Autor geholfen, ein spezifisches
Phänomen der transklassischen Logik zu verstehen, das sonst vielleicht nicht zu deuten gewesen
wäre.
Damals führte das neue Verständnis der Mehrwertigkeit nicht viel weiter. Vorläufig bestand nur
eine allgemeine Übereinstimmung zwischen McCulloch und dem Autor, daß Mehrwertigkeit
ein zweideutiger Begriff sei. Jede Theorie hatte in Betracht zu ziehen, daß zwei Arten von
Mehrwertigkeit unterschieden werden müssen. Darüber hinaus bestand noch wenig Klarheit.
Damals spielte McCulloch mit dem Gedanken der Triaden, und der Autor erinnert sich deutlich
an den Tag, an dem McCulloch sagte: "Gotthard, you can do everything with triads!" Der Autor
war nicht überzeugt; der Satz roch zu sehr nach Post und Lukasiewicz. Doch er schwieg,
McCulloch klang zu emphatisch. Es muß die richtige Diplomatie gewesen sein, denn später -
er erinnert sich nicht mehr, wie viel später - erklärte McCulloch mit gleichem Nachdruck:
"Triads are not enough." Der Autor kann sich denken, was den Meinungswechsel verursacht
hatte. Es war, erstens, die erneute Diskussion der Arbeit von Chang und, zweitens, eine erneute
Analyse der Bedeutung der Zahl im Platonischen System. Wir beginnen mit Chang. Er führt in
seiner Arbeit eine Menge X ein, die er die Menge der Wahrheitswerte der unendlichwertigen
Logik nennt. Zur Diskussion endlichwertiger Logiken betrachtet er eine Folge von Untermen
gen von X, so daß für jedes Xn
C« = \ f f ' ^ T i ' ^ 2 ' Aj
33
Jede Menge Xn gilt als die Menge der Wahrheitswerte einer n-wertigen Logik. Wenn n=2,
werden natürlich alle Funktionen ihren traditionellen zweiwertigen Charakter und Sinn anneh
men. Diesem Vorgehen liegt genau derselbe Standpunkt zugrunde, den Lukasiewicz einnimmt.
Alle Werte dieser pseudo-transklassischen Logik haben ihren ontologischen Ort zwischen den
Grenzwerten 0 und 1. Mit anderen Worten: sie sind auf endliche Untermengen des Kontinuums
bezogen. Damit wird es unmöglich, die Unendlichkeit aus der fundamentalen philosophischen
Theorie logischer Werte herauszuhalten.
Andererseits ist das menschliche Bewußtsein, die Quelle der logischen Werttheorie wie der
Theorie der natürlichen Zahlen, ein endliches System des Gehirns ("Why the Mind Is in the
Head"). [21] Obwohl das System endlich ist, kann es als seinen Inhalt solche Begriffe zweiter
Ordnung hervorbringen wie abzahlbare und unabzählbare Unendlichkeiten. Wenn der Autor ihn
richtig verstand, nahm Mc Culloch eine äußerst revolutionäre Haltung ein. Bisher hatten
Philosophen, ohne weiter nachzufragen, immer angenommen, daß das Endliche in dem einge
bettet sei, was wir das Unendliche nennen. Nach McCulloch müßte diese Ordnung umgekehrt
werden und die Unendlichkeit, ihres primordialen Ranges beraubt, nur als abgeleitetes Er
zeugnis des endlichen Bewußtseins angenommen werden, das selbst ein Produkt des ebenso
endlichen physischen Gehirns ist. Es wurde immer deutlicher, daß McCullochs letzter Begriff
der Einheiten, die die Wirklichkeit ausmachen, nicht das Reich der Ideen war - weder im
Platonischen noch im Aristotelisch-Hegelschen Sinn - , sondern der "Pythagoreische" Begriff
der Zahl. Im Laufe der Jahre war seine Auffassung von Zahlheit von der Auffassung weg
geglitten, die er in "What Is a Number, that Man May Know It...?" geäußert hatte. So kam es
dem Autor jedenfalls vor. Als er zuerst über Zahlen nachdachte, geschah das gegen den noch
unbezweifelten metaphysischen Hintergrund, daß alle Endlichkeit im Unendlichen eingebettet
ist. Als der Autor ihn das letzte Mal sah, schien er die entgegengesetzte Haltung eingenommen
zu haben. Er schien zu glauben, daß die letzte Wirklichkeit nur als Endlichkeit verstanden
werden könne, und daß eine als Unendlichkeit verstandene Wirklichkeit bloße Mythologie sei.
Zu diesem Schluß wurde der Autor durch die Diskussion von Whiteheads "Mathematics and the
Good" gebracht, die natürlich zu Piatos Vorlesung IIe?i Tayaüou ("Über das Gute") führte, und
zu den modernen Versuchen, diesen Text wiederherzustellen.
34
Plato beginnt mit der Frage: Was sind die letzten Bausteine des Universums? Die konventionel
le Plato-Interpretation begnügt sich mit der etwas groben Antwort, daß diese Bausteine die
Ideen sind. Aber wenn die Ideen ein geordnetes System in der Gestalt einer Pyramide präsentie
ren, mit der einen Idee des Guten an der Spitze und einer Mehrheit von anderen Ideen darunter,
dann taucht das Problem der metaphysischen Zahl auf, und wir werden über die Sphäre der
Ideen hinweggetragen zu der allerletzten Frage: Was ist das Verhältnis zwischen Einheit und
Mannigfaltigkeit? Mit anderen Worten: unser Denken kommt nicht zum Stillstand, bis es den
Begriff erreicht, der gemeinhin und vage als natürliche Zahl bekannt ist. Es war McCulloch
sofort klar, daß unsere gewöhnliche Vorstellung von der Anrodnung der natürlichen Zahlen in
einer Peano-Folge die philosophische Reflexion nicht befriedigen kann, denn es wäre absurd,
auch die Ordnung der Ideen sich als Peano-Folge vorzustellen. Von der Idee des Guten breiten
sie sich aus in einer Anordnung, die mehr oder weniger angemessen als Pyramide beschrieben
wird. Leider machen die Berichte über Piatos Vorlesung nicht klar, wie er selbst das Verhältnis
zwischen Zahl und Idee bestimmt hat. McCulloch, der Kybernetiker, deutete es aus rein syste
matischen Gründen als Reduktion. Die Analyse der Ideen führt zu einem vor ideativen System
von nur zahlenmäßig zu definierenden Beziehungen. Eine andere, bis zur Antike zurück
zuverfolgende Deutung, daß Ideen nur Zahlen sind, schätzte er nicht. Die Ideen konnten nicht
die letzten Bausteine des Universums sein - dazu waren sie viel zu komplex. Leider wußten
weder McCulloch noch der Autor damals, daß, kurz bevor sie ihr Gespräch über natürliche
Zahlen hielten, der deutsche Philosoph Klaus Oehler eine Arbeit mit dem Titel: "Der entmytho
logisierte Piaton" veröffentlicht hatte. [22] Dieser profunde Aufsatz scheint McCullochs
Standpunkt vorweggenommen zu haben. Was Oehler sagt, ist so wichtig, daß es hier wiederholt
werden soll: "Die Entfaltung der Einheit zur Vielheit und die Teilhabe des Vielen an dem
übergeordneten Einen bestimmen den gegliederten Aufbau des Ideenkosmos. Nun geht aber
weder der Aufstieg zu den umfassenden Begriffen ins Unendliche fort, noch geschieht das bei
dem Abstieg zu dem Einzelnen. Der Aufstieg ist begrenzt durch den allgemeinsten und umfas
sendsten Begriff, das ev, der Abstieg ist begrenzt durch das jeweils letzte eiöoc,. Das bedeutet
aber, daß die Ordnung der Ideen zahlenmäßig bestimmt ist. Folglich ist jede Idee durch die Zahl
von Inhalten, die sie umschließt und an denen sie teil hat, eindeutig festgelegt. Jede Idee ist also
durch eine Zahl bestimmt und ist als solche zahlenmäßig bestimmbar, angebbar. Diese numeri
sche Fixiertheit verleiht der Ordnung der Ideen ihre rationale Klarheit, ihre Durchsichtigkeit und
35
Übersichtlichkeit. Ist das Mannigfache der sinnlichen Wahrnehmung, nur durch die Teilhabe an
der Idee das, was es ist, so ist die Idee nur durch die Teilhabe an der zahl das, was sie ist. Mithin
muß die Zahl vor der Idee sein. Die Ordnung der Zahlen ist der Ordnung der Ideen überge
ordnet, weil überlegen. Das bedeutet aber: Die Ideen sind nicht das Letzte und mithin nicht die
Prinzipien des Seienden." [23]
Es ist leicht zu erkennen, daß es Oehler zum Begriff der Endlichkeit zieht, der McCulloch so
teuer war, wenn er darauf hinweist, daß der Aufstieg zum Einen sowohl als der Abstieg zum
Besonderen immer endlich sind. Das schließt natürlich nicht aus, daß jede solche Endlichkeit
durch eine zahlenmäßig größere Endlichkeit ersetzbar ist. Unendlichkeit jedoch ist nichts als die
andauernde subjektive Erwartung, daß keine gegebene Endlichkeit die letzte ist. Es ist falsch,
dem Begriff des Unendlichen letzte ontologische Bedeutung zuzuschreiben. Rückblickend
scheint es, daß McCulloch sich mit solchen Gedanken in die Höhe des mathematischen Intui-
tionsimus und seiner Kritik der transfiniten oder aktuellen (extensionalen) Unendlichkeit
begeben hätte. Logisch gesprochen ist Existenz Konstraierbarkeit.
Exkurs
Vor der Besprechung des Oehler-Zitats wird es nicht nur wünschenswert, sondern notwendig
sein, in diesen Bericht über McCulloch einen Exkurs über den Sinn des Terminus 'Zahl'
einzufügen. Denn ein moderner Mathematiker wird wahrscheinlich Einwände gegen die Art und
Weise haben, wie dieser Begriff bisher benutzt worden ist - nicht nur von McCulloch, sondern
auch vom Autor und Oehler. Die nächstliegende Frage ist diese: Warum wurde, nachdem die
Ideenlehre eine gewisse Reife erreicht hatte, der Begriff der Zahl so wichtig für Plato? Eine
annehmbare Antwort ist, daß die Frage nach der individuellen Idee mehr und mehr an Gewicht
verlor zugunsten der Untersuchung des inneren Zusammenhangs und der systematischen
Ordnung aller Ideen. Das führte selbstverständlich zur Suche nach der allgemeinsten und
zugleich elementarsten Form von Ordnung. Dafür bot sich die lineare Ordnung an, die durch
den einfachen Prozeß des Zählens geliefert wurde. Aber schon die Pythagoräer - und Plato war
mit ihrer Zahlentheorie vertraut - hatten entdeckt, daß diese primitive Ordnung eine außer
ordentlich tief gehende Behandlung erlaubte, die letzten Endes jedes Ordnen von noch-nicht-
36
Geordnetem umfaßte.
Ein solcher Begriff von Ordnung geht weit über das Prinzip der Quantität hinaus und kann auf
viele Weisen bestimmt werden. McCulloch bestand darauf, daß jedes Ordnungsprinzip sich auf
die vertraute Ordnung der natürlichen Zahlen zurückfuhren lassen müsse. Ob man die Reihe mit
0 oder mit 1 beginnt, ist natürlich reine Konvention, nur darf es zu keiner Verwechslung des
metaphysischen Nichts mit der 0 der Zahlenreihe kommen. Diese Unterscheidungen blieben in
den Diskussionen mit McCulloch immer etwas vage, aber er ließ keinen Zweifel, daß er die
Kluft zwischen Zahl und Begriff niemals als endgültig betrachtete, sondern war davon über
zeugt, daß sie überbrückt werden könnte. Hierin sah er die Bedeutung der Transzendental
philosophie, von der er glaubte, daß sie die Vereinigung von Geistes- und Naturwissenschaften
herbeiführen würde. Beide entspringen - so argumentierte er - einem gemeinsamen Grund: der
Elementareinheit, die in ihrer Ursprünglichkeit ununter scheidbar von jeder anderen Einheit ist.
Daher sind die Ur-Einheiten an sich ungeordnet und können eben aus diesem Grunde benutzt
werden, um ein Ordnungssystem für das Reich der Ideen herzustellen. Schon in ihrem ersten
Anfang sah sich die griechische Mathematik einem fast unüberwindlichen Problem gegenüber:
wie sollte man die Beziehung zwischen der Einheit im geometrischen Sinn zu der Einheit im
arithmetischen Sinne verstehen? In der Pythagoräischen Mathematik des fünften Jahrhunderts
ließ man den geometrischen Punkt der arithmetischen Bedeutung von 1 entsprechen. Mit
anderen Worten: Die Zahl 1 bezeichnet einen wirklichen Punkt in der objektiven Welt. Ein
Punkt ist die kleinste Größe, der wir begegnen. Die Schwierigkeiten, die sich aus dieser Mei
nung ergaben, sind zu bekannt, sie hier zu erwähnen. Es genügt daraufhinweisen, daß Aristote
les diese Erkenntnisattitüde mit der Formulierung /uov&Q exovvöa Cßöiv (die Einheit mit
Örtlichkeit) festlegte.
Hier wird der dialektische Mechanismus, der in jeder Reflexion steckt, sichtbar, und es erhebt
sich das Gegenargument, daß ein Punkt, der mit der Zahl 1 identifiziert ist, nicht eine minimale
Menge von Objektivität ist, sondern Abwesenheit von Objektivität. Mit anderen Worten: es ist
eine Dualität erforderlich, um eine Zahl als Quantität hervorzubringen. Wenn man das weiß,
wird man den Punkt eher der 0 entsprechen lassen als der 1.
37
Wenn wir heute behaupten, daß wir die erste Zahl sowohl 0 als I nennen können, mag das auf
eine Weise eine Konvention sein, aber es ist auf eine andere Weise keine Konvention, weil es auf
die besondere Beziehung zwischen der Ureinheit und dem Nichts verweist.
Es wäre schön, wenn man in einer zusammenhängenden Erzählung zeigen könnte, wie McCul
loch seine vielen philosophischen Gedanken über die Zahl miteinander verband. Aber das
würde die Situation verfälschen und soll darum vermieden werden.
Die Verbindung mit Oehlers Plato-Interpretation liegt nahe. Der Unterschied zwischen der
geometrischen und der arithmetischen Bedeutung der Zahl enthält eine unauflösliche Zweideu
tigkeit, und dies führt zu dem Paradox, daß Zahlen zu einer geeigneten strukturellen Basis für
philosophisches Denken werden und damit zu einer möglichen Verbindung zwischen Natur- und
Geisteswissenschaften.
Da Ureinheiten sich nicht voneinander unterscheiden, sind sie als Bausteine von Gedanken
gebäuden gleichgültig gegen die Unterscheidung von Natur- und Geisteswissenschaften, wie
wir oben gesagt haben. Begriffliche Unterscheidungen entstehen nur, wenn man Einheiten nach
einem neuen Prinzip ordnet, und eine Ordnung ist immer Sache der Deutung. Wenn die Urein
heit als Punkt im Raum verstanden wird und man eine ontologische Deutung wählt und wenn
wir 0 als Ausgangspunkt unserer vertrauten Zahlenfolge betrachten, dann haben wir unsere
Deutung umgedreht und unser erstes Symbol designiert - um in Platonischer Terminologie zu
sprechen - nicht eine gegenständliche Einheit, sondern den Beginn des subjektiven Zählaktes
(biaiQeßicJ.
Aus dieser Zweiteilung führt der Weg entweder zu den Naturwissenschaften oder zu den
Ge isteswissenschaften.
Mit dieser These, daß nicht das Endliche im Unendlichen enthalten ist, sondern daß vielmehr
das Unendliche - ganz gleich, ob als potentiell oder aktuell aufgefaßt - metaphysisch nur ein
untergeordnetes Element der Endlichkeit ist, erwies sich McCulloch als Metaphysiker ersten
Ranges. Diese Auffassung von Metaphysik war dem Autor neu, obwohl er glaubte, selber in
38
"Cybermetic Ontology ..." mit dem Rejektionswert einen metaphysischen Ausbruch aus der
klassischen Tradition bewirkt zu haben. Aber mit seiner Umkehr der gegenseitigen Rollen von
Endlichkeit und Unendlichkeit ging McCulloch weit darüber hinaus. Wann immer in der
Geschichte der Philosophie der Sinn des Absoluten zum Thema wurde, würde man an dem
Verstand eines Philosophen gezweifelt haben, wenn er das Absolute für ein Endliches erklärt
hätte und behauptet, daß die Haupteigenschaft der empirischen Welt ihre Unendlichkeit sei.
Leider ging McCulloch bei dieser Besprechung nicht ins Einzelne, und der Autor hielt ihn nicht
dabei fest, denn er hoffte später eine bessere Gelegenheit zu finden, eine genauere Erklärung
dieses überraschenden und paradoxen Theorems zu erbitten. Aber dazu kam es nicht.
Es gab nur eine leise Andeutung von Erklärung in McCullochs Bewertung der Platonischen
Gegenüberstellung des Einen und der äÖQißxoc, övdg, der unbestimmten Zweiheit. Er billigte
die Aristotelische Ansicht, daß diese Zweiheit nur ein materialer Bestandteil sei. Um es anders
zu sagen: eine Zahl als Wesenheit entsteht durch die tatsächliche Bestimmung einer bestim
mungsfähigen Möglichkeit. Und das Vehikel dieser Bestimmung ist immer Eins. Dieser
Aristotelischen Interpretation stimmte McCulloch zu, wenn auch nicht ohne Bedenken. Immer
wieder sagte er dem Autor, daß bei dieser Überlegung etwas übersehen würde und daß sie den
Unterschied nicht deutlich begründete, der zwischen dem Schritt von 1 zu 2 im vertrauten Sinn
einer Peano-Folge, und dem Schritt von der Einheit zur Zweiheit besteht, in dem anderen Sinn,
in dem die Zweiheit bereits ein grenzenloses Mannigfaltiges impliziert. Es ist schon früher
bemerkt worden, daß Aristoteles sich vielleicht nicht ganz klar war über den Unterschied
zwischen "unbestimmter Zweiheit" und der Zahl 2. [24] Da er das wußte, gab der Autor McCul
lochs neuem Gesichtspunkt mehr Gewicht, als er sonst vielleicht getan hätte. Er beschloß,
veranlaßt durch den neuen metaphysischen Gesichtspunkt von McCulloch, eine neue Inter
pretation der natürlichen Zahlen zu suchen, auf der Basis einer mehrwertigen Logik und
kenogrammatischem Hintergrund. Er suchte und erhielt McCullochs Einverständnis, Barkley
Rossers Weg nicht zu folgen, sondern eine andere Methode zu wählen. In Rossers Arbeit war
die unbestimmte Zweiheit nicht erwähnt, während sich McCulloch und der Autor darin einig
waren, daß der Sinn dieses Terminus den Schlüssel zu dem ganzen Problem enthielt. Weil
Aristoteles das Problem nicht verstand, kam er nur zur Erkenntnis dessen, was er die "ma
thematische Zahl" nannte, die nichts anderes ist als das, was wir Peano-Zahlen genannt haben.
39
Wenn wir Aristoteles folgen wollten, würden die anderen Zahlen, die Zahlen der Platonischen
Idealität, die die Ordnung der Ideen bestimmen, keinerlei logische Legitimität besitzen. Das war
nach McCulloch unannehmbar, denn die Ordnung der Peano-Zahlen war ihrem Wesen nach
unfähig, den begrifflichen Reichtum des Systems der Ideen wiederzugeben. Nach McCullochs
Meinung war Rossers Zahlentheorie noch Aristotelisch. Mit einigem Zögern entschloß sich der
Autor nun, die reine Logik zu verlassen und sich mit der Zahlentheorie zu befassen, obwohl er
von anderer Seite gewarnt wurde, daß sein Mangel an mathematischem Training nur zu einem
abgrundtiefen Scheitern fuhren könnte. Mit seiner ersten Skizze, die er "Proto-Zahlen" nannte,
ging er zu McCulloch, erzählte ihm von der empfangenen Warnung und gab seine mathemati
sche Imkompetenz umstandslos zu. Er konnte aber im gleichen Zug darauf hinweisen, daß
dasselbe Argument gegen die entsprechenden Bemühungen der Mathematiker vorgebracht
werden könnte. Seit Frege hat man versucht, der Mathematik eine sichere logische Grundlage
zu geben, aber es kann kaum bestritten werden, daß die Logik, die diesen Versuchen zugrunde
lag, nirgendwo über Leibniz hinausging und daß die Mathematiker weder die transzendentale
Wendung, die der Deutsche Idealismus gebracht hatte, noch das Problem der Dialektik und den
Unterschied zwischen Platonischer und Hegelscher Dialektik verstanden. Hier stand eine
fachliche Inkompetenz gegen die andere, und man konnte nur hoffen, daß bessere Zusammen
arbeit zwischen Mathematik und Philosophie zu etwas Lohnendem fuhren würde. McCulloch
ermutigte den Autor weiterzuarbeiten, und der nahm es als Teil der Ermutigung, daß McCulloch
zwei oder drei seiner Mitarbeiter und Freunde einlud, denen der Autor seine Ideen vorstellen
sollte. Er hat jetzt vergessen, wer außerdem zuhörte, aber er erinnert sich, daß Professor Manuel
Blum da war. Er berücksichtigte alles, was McCulloch über die unbestimmte Zweiheit gesagt
hatte, ging auch auf das Ergebnis der Diskussionen über Hegel ein und versuchte dann den
nächsten Schritt zu einer transklassischen Theorie natürlicher Zahlen. Geleitet von Hegels
Dialektik sagte er dann, daß der Vorgang der Addition von 1 zu einer vorangehenden Zahl
zweideutig sei: er könne entweder als "iterativ" oder als "akkretiv" aufgefaßt werden. Wenn
man von 1 zu 2 gehe, sei die so gewonnene Zweiheit in der Tat unbestimmt, aber nicht in dem
Sinne, den Plato (nach seinen Interpreten) gemeint hat. Diese Interpreten sind gewöhnlich der
Ansicht gewesen, daß für Plato der Schritt von 1 zu 2 nur der Schritt von der Einheit zur
Mannigfaltigkeit war und daß die Unbestimmtheit des Mannigfaltigen, zu der dieser Schritt
führte, eben nicht positiv festgelegt werden könnte. Sie könnte alles sein: 2, 3,4 usw.
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Gegen diese Deutung spricht, daß sie nicht zur Dialektik führt, und Plato war ein Dialektiker.
Seine Ideenlehre zeigt deutlich dialektische Struktur, und wenn die Ordnung der Ideen durch
Zahlen bestimmbar ist, so müssen die Zahlen selber dialektische Struktur zeigen. Diese Folge
rung hatte McCulloch in den Diskussionen mit dem Autor nicht nur zugestanden. Mehr noch:
er hatte sogar darauf hingewiesen, ehe sich der letztere über sie klar war.
Die dialektische Behandlung - 'dialektisch' im kombinierten Sinn von Plato und Hegel -
impliziert, daß der Vorgang der Addition 1+1 = 2, auf zweierlei Weisen gedeutet werden muß:
die beiden 1-en können einmal als identisch und dann auch als nicht-identisch vorgestellt
werden. Dies geschieht, indem man einmal das Faktum ignoriert, daß die zweite 1 ein Repetitor
der ersten 1 ist, das andere Mal aber den repetetiven Charakter der zweiten Einheit nicht
ignoriert. Das Resultat ist in beiden Fällen verschieden. Welche Deutung auch gewählt wird, das
Resultat ist in beiden Fällen eine Dualität. Aber Dualität würde nun zwei Bedeutungen tragen;
das Wichtige war, einen Ausdruck zu finden, der den Bedeutungsunterschied berechenbar
machte.
Hier half eine Bemerkung, die McCulloch etwa ein Jahr früher nebenher gemacht hatte und die
der Autor zunächst übersehen hatte. McCulloch hatte gesagt, daß ihm der Sinnunterschied ein
Qualitätsunterschied zu sein scheine in der Weise, wie Hegel im Beginn seiner Logik zwischen
Sein und Nichts als antithetischen Qualitäten unterscheide. Nur auf diese Weise könne man
verstehen, wie die Dialektik schließlich Qualitäten zu Quantitäten machen könne. Der Autor
fand diese Bemerkung äußerst dunkel und frag McCulloch, wie dieser dialektische Übergang
sich vollziehen könnte. Die Antwort war enttäuschend: "This is for you to find out." Bei einem
erneuten Versuch, wenigstens einen Hauch von Information herauszubekommen, wurde er an
eine frühere Unterhaltung über Heidegger und seine Behandlung des Nichts erinnert. [25] Das
schien ihm gar keine Hilfe. Aber dann wandte sich seine Aufmerksamkeit von der Zahl zurück
zu der Idee des Kenogramms. Kenogramme sind leere Plätze, die mit Werten besetzt sein
können oder nicht. Bis dahin hatte er gedacht, daß ein einzelnes Kenogramm immer nur von
einem Wert besetzt sein könnte. Jetzt fiel ihm ein, daß sich ein Kenogramm Zahlen gegenüber
vielleicht anders verhalten könnte, daß es der ontologische Ort nicht bloß für eine einzelne Zahl,
sondern für eine ganze Peano-Folge von natürlichen Zahlen sein könnte. Und da eine Peano-
41
Folge von unendlicher Ausdehnung ist, würde hier eine Illustration für McCullochs erregende
metaphysische These gefunden sein, daß nicht das Endliche vom Unendlichen umschlossen ist,
sondern alle Unendlichkeit als untergeordnetes Element der Endlichkeit verstanden werden
muß, d.h. als Kenogramm. Dieser Einfall war so aufregend, daß der Autor etwas tat, was er nie
zuvor und wohl auch später nie getan hatte: er rief McCulloch an, um seine Meinung zu hören.
Entgegen seiner Erwartung war McCulloch nicht hingerissen, sondern hatte alle möglichen
Fragen, wie ein einzelnes Kenogramm definiert werden könnte als eine alles enthaltende
Domäne, die einen nie endenden Zählprozeß erlaubt. McCulloch erinnerte daran, daß in der
ursprünglichen Konzeption des Kenogramms nichts war, das an eine solche Eigenschaft denken
ließ. Der Autor muß gestehen, daß er sich einigermaßen enttäuscht fühlte, als er den Hörer
auflegte. Aber seine Achtung vor dem Scharfsinn McCullochs war so groß, daß er sich sofort
daran machte, das Problem neu zu durchdenken. Sehr bald verkehrte sich seine ursprüngliche
Enttäuschung in tiefe Dankbarkeit, denn McCullochs Kritik führte ihn zum Begriff der Uni
versalkontextur. Er ist überzeugt, daß er diesen Begriff nie gefunden hätte, wenn es ihm nicht
vergönnt gewesen wäre, McCullochs Gedanken über den metaphysischen Rang von Endlichkeit
und die telefonisch gegebenen Informationen zu hören. Dankbar bezeugt er, daß McCulloch
ebenso viel Anteil an der Schöpfung des Begriffs der Universalkontextur als Gegensatz zum
bloßen Kontext hat wie er selbst. Darum scheint es angemessen, den Unterschied zwischen
einem bloßen Kontext und einer universalen Kontextur hier darzustellen.
Wenn sich zum Beispiel in einem Gerichtshof die Frage erhöbe, ob der Angeklagte schuldig
oder nichtschuldig ist, dann würde es sinnlos sein zu antworten: 'nein, er ist breitschultrig'. Mit
anderen Worten: die Alternative 'schuldig oder nichtschuldig' gehört in den Kontext, den das
Strafrecht beschreibt. In gleicher Weise kann die Frage: 'ist die Geschwulst in diesem Mann
bösartig oder nicht?' nicht beantwortet werden mit dem Satz: 'nein, er ist ein Dichter', denn die
aufgeworfene Alternative gehört in den Kontext der Pathologie. In beiden Fällen muß die
Antwort einem Tertium-non-datur gehorchen, das sich auf einen übergeordneten Gesichtspunkt
bezieht, der im ersten Fall das Kriminalgesetz, im zweiten die Pathologie ist. Die Alternativen
mögen sehr eng sein oder weite Allgemeinheit zeigen, sie konstituieren einen bloßen Kontext,
solange es noch einen übergeordneten Gesichtspunkt für sie gibt. Erst wenn es grundsätzlich
unmöglich ist, einen übergeordneten Gesichtspunkt zu finden, der den Sinn des Tertium-non-
42
datur für die in Frage stehenden Gegensätze bestimmt, - erst dann wird ein Kontext zu einer
Universalkontextur. Das klassische Beispiel für diese Situation ist Hegels "Alternative" zwi
schen Sein und Nichts. Sie sind Alternativen, die einander ausschließen.
Niemand kann das bestreiten. Aber niemand kann einen metaphysischen Begriff denken, der
von größerer Allgemeinheit ist als diese beiden. Mit anderen Worten: Jeder von ihnen ergibt
eine gesonderte Universalkontextur. Wir können den Unterschied von Sein und Nichts nicht als
eine Alternative innerhalb eines Kontextes verstehen. Die Frage: innerhalb welchen Kontextes?
ist in diesem Fall nicht zu beantworten. Ahnlich lesen wir auch bei Lenin, daß für den Gegen
satz von Bewußtsein und Materie kein Nenner von größerer Allgemeinheit existiert. Bewußtsein
und Materie sind nicht Elemente innerhalb eines Kontextes, sie sind Universalkontexturen, die
Kontexte mit beschränkten Alternativen in sich enthalten können. Lenin schließt aus dieser
Erkenntnis, daß der Denker, der diese Alternative erreicht hat, ans Ende seines theoretischen
Wegs angekommen ist und ihm nun nichts übrig bleibt als die Entscheidung, sich entweder als
Idealisten oder als Materialisten zu erklären. Hier ist nicht der Ort, um über die Legitimität oder
Illegitimität der Schlußfolgerung Lenins zu urteilen, aber dieses Beispiel zeigt, daß die Situa
tion, die Hegel am Anfang seiner Logik beschreibt, unter radikal anderen Aspekten wieder
auftreten kann. [26]
Wenn der Leser glaubt, daß diese Überlegungen sich weit von jedem Inhalt der "Embodiments
of Mind" entfernen, so sei er an den Aufsatz "A Heterarchy of Values Determined by the
Topology of Nervous Nets" erinnert. Da hören wir: "An organism possessed of this nervous
system - six neurons - is sufficiently endowed to be unpredictable from any theory founded on
a scale of values. It has a heterarchy of values, and is thus internectively too rich to submit to a
summum bonum." [28]
Ein Summum Bonum benötigt eine Hierarchie von Werten mit einem absoluten Wert an der
Spitze. Das bedeutet logisch, daß es ein Tertium-non-datur geben muß, dessen letzter gemein
samer Nenner "Sein" oder "Nichts" ist. Wenn jemand bestreitet, daß ein solcher Nenner denkbar
ist, würde der Anhänger der Hierarchie das gern zugeben, aber erklären, daß der letzte gemein
same Nenner Gott selbst ist, Gott selbst als der Herr eines monokontexturalen Universums. Im
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Gegensatz dazu postuliert McCullochs Heterarchie von Werten eine Wirklichkeit, die nur in
einem polykontexturalen Sinn gedacht werden kann. Anders ausgedrückt: die Welt, in der wir
leben, kann nicht als ungebrochener Universalkontext verstanden werden. Tatsächlich ist die
Bezeichnung "Universalkontext" an sich eine contradictio in adjecto. - Gewiß hat der Autor
schließlich den Unterschied zwischen Kontext und Kontextur formuliert, aber daß er es konnte,
dankt er der Vorarbeit, die McCulloch geleistet hatte.
Man kann noch auf andere Weise zeigen, wie nahe McCulloch der Unterscheidung zwischen
Kontext und Kontextur gekommen war. Er hatte eine erstaunliche Kenntnis der mittelalterlichen
Logik und sprach einmal über das berühmte neunte Kapitel von Peri Hermeneias und seinen
Einfluß auf die Logik des Mittelalters bis zu William Occam. Aristoteles hatte behauptet, daß
der Unterschied zwischen Vergangenheit und Zukunft logisch dadurch definiert werden könnte,
daß für alle Vergangenheit das Tertium-non-datur gültig und anwendbar ist. Für die Zukunft
dagegen ist das Tertium-non-datur zwar ebenso gültig, aber es ist nicht anwendbar. McCulloch
hielt diesen Unterschied für sehr wichtig zum Verständnis der Gegenwart, und das zeigt, wie
nahe er der Unterscheidung von Kontext und Kontextur kam, weil wir uns im Blick auf die
Vergangenheit auf das beziehen, was sich in einem Kontext ereignet hat. Wenn wir über die
Vergangenheit nachdenken, haben wir immer die wirklichen Inhalte einer Kontextur im Sinn,
wenn wir dagegen an die Zukunft denken, meinen wir nur einen noch leeren Universalrahmen,
der noch nicht mit Inhalten gefüllt ist, denn wenn er es wäre, wäre er nicht Zukunft. Bei Nieder
schreiben dieser Zeilen ist sich der Autor nicht klar, wie weit er McCulloch vielleicht plagiiert,
weil er überzeugt ist, daß seine eigenen Gedanken wahrscheinlich nicht in diese Richtung
gegangen wären, wenn er nicht das Glück gehabt hätte, jene langen Nächte im Gespräch mit
ihm zu verbringen.
Es war nicht immer leicht, ihm zuzuhören, weil sein Denken, wie Seymour Papert richtig
bemerkt, auf sehr persönliche Weise gewürzt ("with a very personal flavor") war, was leicht zu
Mißverständnissen fuhren konnte. Ein Beispiel ist die Ankündigung, daß Endlichkeit metaphy
sische Priorität vor dem Unendlichen eingeräumt werden müsse. Der Autor ist sich in keiner
Weise sicher, daß er die Bedeutung dessen, was McCulloch mit dieser Feststellung wirklich
meinte, voll und ganz verstanden hat. Es ist viel zu sehr eine bloße Behauptung, um eine
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vielschichtige Situation korrekt zu beschreiben. Aber es war eine der Anregungen, die ihm
halfen, zu seiner eigenen Unterscheidung von Kontexturalität und ihren potentiellen Inhalten zu
kommen. Eine Universalkontextur ist eine Endlichkeit, da sie nur ein Stück innerhalb einer
unbegrenzten Menge von Kontexturen ist. Sie ist gehalten und eingeschränkt durch die Grenze
zu der benachbarten Kontextur, aber ihre Aufnahmefähigkeit für Inhalte ist grenzenlos dank
dem besonderen Charakter ihres Terium-non-datur. Im Gespräch über die metaphysische
Priorität von Endlichkeit oder Unendlichkeit erwähnte McCulloch einmal nebenher Heideggers
"Seinsvergessenheit". Es ist keineswegs sicher, daß ihn der Autor richtig verstand, denn der
Morgen dämmerte, und er war übermüdet, aber es scheint, daß man Heideggers "Seins
vergessenheit" nicht als einen Begriff verstehen sollte, der auf die Kontextur 'Sein' bezogen ist,
sondern nur auf deren Inhalte. Andererseits war es selbstverständlich, daß es sich um den
kontexturalen Rahmen handelte, wenn das Gespräch sich um Heideggers 'Nichts' drehte, denn
es würde sinnlos gewesen sein, von wirklichen Gegenständen zu sprechen, die das Nichts etwa
umfassen könnte. Ferner muß gesagt werden, daß der Ausdrack 'Universalkontextur' zu dieser
Zeit weder von McCulloch noch vom Autor benutzt wurde, weil keiner der beiden so weit war.
An seiner Stelle wurden ziemlich komplizierte Umschreibungen benutzt. Aber im Versuch, aus
seinem Gedächtnis das herauszudestillieren, was ihm die Essenz der Diskussion zu sein scheint,
findet es der Autor einfacher, diesen präziseren Begriff zu benutzen, der ganz gewiß ein Resultat
des geistigen Austausches zwischen McCulloch und ihm war.
Bei ihrem letzten Zusammensein - der Autor kam gerade von seinen jährlichen Skiferien zurück
- wurde beschlossen, daß er für die nächste Tagung der American Society for Cybernetics
(ASG) in Gaithersburg eine Arbeit über die Theorie der natürlichen Zahlen im Rahmen der
transklassischen Logik schreiben sollte. Der Autor erinnert sich, daß er schwere Zweifel hatte,
daß diese Arbeit für das Third Annual Symposion of the American Society for Cybernetics
fertig sein würde. Infolge seiner Zweifel informierte er McCulloch, daß er noch nicht wüßte, ob
er in der Lage sein würde, der Society rechtzeitig etwas vorzuweisen. Es zeigte sich später, daß
sein Pessimismus ungerechtfertigt war, und innerhalb der gegebenen Zeit beendete er zunächst
den zweiten Teil des oben schon erwähnten Textes, der später in der Juli-September Ausgabe
von 1971 des Journal of Cybernetics erschien. McCulloch konnte es nicht mehr lesen. Er war
inzwischen in Europa gewesen, und nach seiner Rückkehr erkundigte er sich, ob der ver-
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sprochene Beitrag eingereicht worden sei. Das wurde dem Autor am ersten Tage des Sympo
sions berichtet, an dem McCulloch nicht teilnehmen konnte, weil er am 24. September 1969 auf
seiner Farm in Old Lyme, Conn., gestorben war.
Als das Papier schließlich mit einem Teil I veröffentlicht wurde, der dem nun als Teil II geführ
ten ursprünglichen Text vorausging, fügte der Verfasser eine Fußnote an, die besagte, daß die
im ersten Teil ausgesprochenen Ideen größtenteils einem nächtlichen Gespräch entstammten,
das der Verfasser Ende Febraar 1969 mit McCulloch gehabt hatte. Seitdem sind mehr als fünf
Jahre vergangen und seine Erinnerungen an McCulloch haben eine neue Dimension gewonnen.
Jetzt weiß er, daß er McCulloch viel mehr verdankt, als die Fußnote ausdrückt. Das Reifen
seiner Erinnerungen hat ihm klar gemacht, daß McCullochs Einfluß nicht nur in einem Teil der
Arbeit spürbar ist, sondern in beiden. Dieser große Mensch und Gelehrte besaß die bemerkens
werte Gabe, in seinem Kreis Ideen und Bewegungen zu entwickeln, die seine Gesprächspartner
ohne seine Hilfe nie zur Reife hätten bringen können. Der Autor dieser Erinnerungen hat sich
bemüht zu zeigen, wie McCulloch dadurch, daß er selbst tief in den philosophischen Aspekt der
Endlichkeit schaute, im Geist seines Zuhörers die Vorstellung erweckte, daß unser Universum
nicht aus einer einzigen Kontextur besteht, sondern ein Netzwerk von Endlichkeiten ist, die teils
aneinander grenzen, sich teils überschneiden und im Fall von Verbundskontexturen sogar
elementare Kontexturalitäten umschließen, kurz: einpoly-kontexturales Universum. Er bedauert
es tief, daß McCulloch den endgültigen Text nicht mehr gesehen hat und so sein Imprimatur
weder geben noch versagen konnte. Es scheint ihm, daß der Anstoß, den McCullochs Denken
auf philosophischem Gebiet gab, selbst von seinen Schülern und Bewunderern noch weit
unterschätzt wird. Er war ein so vielseitiger Denker, daß er rätselhaft wirkte; niemals zeigte er
alle Facetten seines Geistes einem einzelnen Gesprächspartner. Einem Neurologen war er ein
Neuerer in der Neurologie; einem Psychiater enthüllte er neue Gedanken über psychiatrische
Probleme; mit einem Mathematiker erörterte er die mathematische Seite seiner Arbeit, und mit
dem Autor traf er sich in der 'Höhle des Metaphysikers'.
McCulloch liebte es, im Gespräch eine enorme Menge von Gegensätzen zu berühren, und sein
schweifender Geist führte den Zuhörer manchmal ganz unerwartet zu Verbindungen, die weit
über konventionelle Assoziationen hinausgingen. Aber wann immer er auf das Problem letzter
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oder vorletzter Grundlagen zu sprechen kam, suchte er seine Daten im Reich der Zahlen, und
Zahl war für ihn unveränderbar mit Endlichkeit verbunden.
Einmal war ein Absatz in "Why the Mind Is in the Head?" über das Verhältnis von Quantität
und Zahl das Diskussionthema gewesen. Dort lesen wir: "In so-called analogical contrivances
a quantity of something ... is replaced by a number ... or, conversely, the quantity replaces the
number." [29] Als der Autor dem Beispiel der Hegeischen Logik folgend, vorschlug, daß man
auch der triadischen Beziehung zwischen Quantität, Zahl und Qualität einen genaueren Blick
widman wollte, ging McCulloch zu der Frage über, warum die Fähigkeit des Zählens in pri
mitiven Gesellschaften oft sehr gering sei. Das elementarste Zählsystem arbeite ja nur mit drei
unscharfen Begriffen: Einheit, Zweiheit und allgemein Mannigfaltigkeit. McCulloch behaupte
te, daß irgendetwas begrifflich nicht stimme, wenn Plato - wie die Tradition annimmt - die
allgemeine Mannigfaltigkeit in den Begriff der Zweiheit hereinnimmt, nur weil Zweiheit nicht
mehr Einheit ist. Die Schuld an diesem inkorrekten Schluß sei auf das Faktum zurückzuführen,
daß die klassische Logik nur zwei Werte und nichts darüber hinaus zuläßt. Aber, fuhr McCul
loch fort, wenn ein endliches Zahlensystem um einen Zahlbegriff wachse, sei es nicht mehr
dasselbe System, sondern es sei, logisch gesprochen, in seiner Ganzheit ein neues Zählsystem!
Und wann immer man eine Einheit hinzufüge, sei es nicht ein Additionsprozeß im herkömm
lichen Sinn, durch den wir eine gegebene Menge vergrößern, indem wir gerade 1 hinzufügen.
Vielmehr verließen wir durch die Addition die zahlenmäßige Darstellung einer gegebenen
begrifflichen Ordnung und bewegten uns zu einem anderen begrifflichen Zusammenhang mit
einer irgendwie höheren Komplexität. Das bedeutet, daß sagen wir die Zahl 3 in einer Zahlen
ordnung, die bis zu 4 geht, logisch nicht mehr identisch mit der 3 wäre, die in einem System
erscheint, das bis zu 5 zu zählen erlaubte. Um alle die logisch unterscheidbaren Systeme
endlichen Zählens zu einer unendlichen Peano-Folge zusammenzuschmelzen, müsse man die
meisten logischen Besonderheiten unterdrücken, die mit der Zahl als metaphysischem Begriff
verbunden gewesen seien. Eben deshalb sei die Zahl als Mittel des Denkens in der Ontologie in
Mißkredit geraten und habe der konventionellen Sprache bei der Darstellung metaphysischer
Begriffe weichen müssen.
Der Autor muß gestehen, daß er diese Bemerkungen aus dem einen oder anderen Grund verges-
47
sen hatte, als er "Natural Numbers in Transclassic Systems" schrieb. Aber er wurde peinlich
daran erinnert, als er später versuchte, seinen Zahlbegriff auf Hegels System der Dialektik
anzuwenden. Erst dann wurde ihm klar, daß McCullochs verwundernder Ausspruch - wonach
eine 3 in einem System, das nur bis zu 4 zu zählen erlaubt, logisch nicht identisch ist mit der 3
in einem System, wo das Zählen bis zu 5 erlaubt ist - mit der Tatsache in Zusammenhang
stand, daß eine gegebene Zahl sogar in ihrer eigenen Ordnung von Zahlheit etwas von ihrer
rigiden Identität verliert, wenn sie auf eine mehrwertige Logik abgebildet wird. Es war offen
kundig, daß Zahlen auch dann ihre Positionen nicht "der Länge nach" ändern können, wenn sie
auf ein transklassisches System der Logik abgebildet werden. Eine 3 blieb immer eine 3 und
konnte nicht den Platz der 4 einnehmen. So blieb 1 + 1 immer 2, aber wenn der Platz für 2 nicht
ein fester Punkt auf einer sozusagen horizontalen Linie war, konnte man immer fragen: auf
welchem Punkt der Linie die 2 ihren Platz hatte. Dann konnten die Zahlen je nach ihrem
Standort verschiedene Bedeutungen haben. Mit anderen Worten: jedes Zahlensystem von
endlicher Länge stellte sich dem Philosophen als eine deutbare Ordnung dar. So war sogar
schon die Zahl 2 offen für begriffliche Deutungen. Von diesem Standpunkt aus war es offen
kundig, daß ein System von höherem Zahlenwert in einem metaphysischen Sinn mehr Deu
tungschancen bot und daß deshalb mit der Addition einer nachfolgenden Zahl das vorige
System semantisch verworfen wurde, daß also jeder spezifische Begriff von Welt sein eigenes
Zahlensystem hatte, das auf seine philosophischen Bedürfnisse zugeschnitten war. Wenn wir
hier den Ausdrack 'Zahl' gebrauchen, dann muß verstanden sein, daß wir damit nicht das
meinen, was Aristoteles "mathematische Zahl" oder "aus 1-en aufgebaute Zahl" (fxovaöiKÖg
OCQICHÖC,) nennt, sondern was wir hier esoterische Zahl nennen wollen, dem terminologischen
Gebrauch folgend, in dem die Vorlesungen von Plato, die er nicht selbst aufgeschrieben hat,
oftmals seine esoterische Lehre genannt werden. Die imbestimmte Zweiheit ist zum Beispiel
eine solche esoterische Zahl. Und so jede Zahl, die die Distanz zwischen dem universalen Einen
(ev) und dem letzten einzelnen, dem Zufall unterliegenden el6o<; ausmißt. Es ist klar, daß die
Aristotelischen Zahlen empirische Gegenstände oder Gegebenheiten unserer Welt zählen und
daß die esoterischen (Platonischen) Zahlen nur mit dem Reich der Ideen befaßt sind.
Viel von dem, was über den Unterschied des Zählens nach Aristotelischer oder Platonischer
Weise gesagt wurde, blieb dem Autor zu der Zeit, als er es hörte, dunkel, und er ist sich nicht
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sicher, wieviel von dem folgenden Bericht über die Philosophie der Zahl McCullochs bzw. sein
eigenes Verständnis des Problems ist. Es sollte auch hinzugefügt werden - und'das beunruhigt
ihn im Rückblick - , daß in seinen Gesprächen mit McCulloch keiner von beiden je den Begriff
des Kenogramms erwähnte. (Außer in einem Telefongespräch.) Das ist in doppelter Hinsicht
sehr beunruhigend für ihn gewesen, denn erstens fand er den Gebrauch von kenogrammatischen
Strukturen unvermeidlich, um das zu Papier zu bringen, was er von McCulloch über Zahlen
gelernt hatte, und zweitens ergab sich keine Gelegenheit, ihn zu fragen, was er mit dem Unter
schied zwischen Zahlen innerhalb des Raums eines Kenogramms und Zahlen, die die Keno
gramme zählen, machen würde. Seit dieser Zeit ist dieser Punkt überaus bedeutend geworden,
viel mehr, als der Autor in früheren Jahren angenommen hatte, und auch das verhindert seine
Erinnerung an McCullochs grundlegende philosophischen Konzepte. Nur über eines ist er sich
sicher, daß McCulloch in seinen letzten Lebensjahren Klaus Oehlers Urteil zugestimmt haben
würde: "Ist das Mannigfache der sinnlichen Wahrnehmung nur durch die Teilhabe an der Idee
das, was es ist, so ist die Idee nur durch die Teilhabe an der Zahl das, was sie ist. Mithin muß
die Zahl vor der Idee sein. Die Ordnung der Zahlen ist der Ordnung der Ideen übergeordnet,
weil überlegen." [30]
Diese Verknüpfung von esoterischer Zahl und Idee scheint eine weitere Übereinstimmung mit
Oehlers Plato-Interpretation nahezulegen, daß nämlich esoterische Zahlenfolgen völlig von dem
Prinzip der Endlichkeit beherrscht werden. Wenn wir im täglichen Leben von natürlichen
Zahlen reden, nehmen wir selbstverständlich an, daß sie eine nicht endende Folge bilden. Aber
wenn wir Oehlers Interpretation Vertrauen schenken, dann steigt kein System esoterischer
Zahlen auf einem endlosen Weg zum Einen auf, noch kann es je ins Bodenlose versinken.
So sieht sich der irdische Denker einer merkwürdigen dialektischen Situation gegenüber. Er hat
die Wahl, die Peano-Folge als letzte Verwässerung esoterischer Zahlenordnungen aufzufassen,
bis zu einem Grade, wo sie für die Behandlung philosophischer Probleme nicht mehr taugen
und wo sie nur dazu gut sind, Geldmengen in Kassenabrechnungen oder Temperaturgrade auf
Thermometerskalen zu zeigen, oder für andere ähnliche Zwecke gut sind. Aber wir können sie
auch als das Material ansehen, aus dem wir esoterische Zahlenordnungen aufbauen, beginnend
mit Systemen mit minimaler Komplexität bis zu immer reicheren Strukturen höherer Ordnung.
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Das produziert eine Skala, die von Endlichkeit zu Endlichkeit reicht! Ein unendliches System
esoterischer Zahlen ist undenkbar. Wenn wir versuchen, es zu denken, wenden wir unversehens
immer wieder die Zahlen der Peano-Folge an - was heißt: wir verlassen das Reich der Metaphy
sik.
Was eben gesagt worden ist, ist wichtig, um die philosophische Radikalität von McCullochs
Prinzip der Endlichkeit zu erhellen, das ihn schließlich zu der Beobachtung führte, daß das
Endliche, metaphysisch gesehen, nicht in ein unendliches Absolutes eingebettet ist, sondern
daß, wo immer wir Begriffe von Transzendenz finden, diese endlich sind und das Unendliche
als ihren untergeordneten Inhalt umfassen.
McCulloch bemerkte nicht selten, daß es nötig sei, 'das Gespenst des Absoluten zu bannen',
weil das Absolute und die Unendlichkeit in der philosophischen Tradition unentwegt gleichge
setzt werden. Heideggers Behandlung des Nichts schien ihm eine Bestätigimg seiner Ansichten.
Das war sehr schwer zu verstehen, besonders für jemanden, dem Heideggers Verachtung für ein
"rechnendes Denken" immer gegenwärtig war und der die strenge Kritik nicht vergessen
konnte, die McCulloch bei anderer Gelegenheit als Psychiater gegen Heidegger und sein Werk
geäußert hatte. Der Autor war verwirrt; aber er gewann einiges Verständnis, als McCulloch
gelegentlich bemerkte, daß Peanos Definition eines Fortschreitens, angewandt auf das System
natürlicher Zahlen, stillschweigend voraussetzte, daß wir wissen, was hell ist. Es war diese
Bemerkung, die dem Autor sehr half, als er im Verfolg von McCullochs Gedanken ein System
von transklassischen Zahlen entwickelte.
Um zu erklären, wie der Autor McCullochs Bemerkung zu Null und Nichts zu implementieren
versuchte, wird es zweckmäßig sein, mit Leibniz' dyadischer Zählmethode anzufangen:
Tafel I
1 (1)
1 1 (2) (3) 0 1
50
1 1 0 0 0 1
1 1 0 0 0 0
1 1 1 1 0 1
(4) (5) (6) (7)
(8) (9) o o o
0 1 o o o
o o o o o o o o o o
Die linke Seite von Tafel I zeigt die Folge der natürlichen Zahlen in ihrer binarischen Form; auf
der rechten Seite notieren wir (immer in Klammern) dieselbe Folge in der herkömmlichen
dezimalen Schweibweise. Wenn wir die Leibnizsche Methode von der binarischen auf eine
ternarische Notation ausdehnen, dann erhalten wir
Tafel II
1
1 1 1 2 2 2 0 1 2 0 1 2
1 1 1 1 1 1 1 1 1 2 0 0 0 1 1 1 2 2 2 0 0 1 2 0 1 2 0 1 2 0
1 1 0 0 0 0 0 1 ° °
Beiden Tafeln ist etwas gemeinsam: a) 0 tritt niemals an der ersten Stelle einer vertikalen
Kolonne auf; und b) kann jede Zahl des Systems (außer 0) an jedem beliebigen Platz der
vertikalen Folge auftreten.
Jedoch besteht ein bedeutungsvoller Unterschied zwischen beiden Tafeln: da keine Folge mit 0
beginnen darf, kann es nie Redundanz der Strukturen in Tafel I geben; anders ausgedrückt:
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solange wir bei zwei Symbolen bleiben, kann unsere Darstellung einer Peano-Folge nicht
negiert werden, ohne daß unsere erste Regel verletzt wird. Tafel II zeigt ein anderes Bild. Wir
bemerken sofort, daß in der Gruppe der zweistelligen Folgen (dieses Mal aus Bequemlichkeit
horizontal angeschrieben) 1 0, 1 2,2 0 und 2 1 strukturell (morphogrammatisch) identisch sind;
das gleiche gilt für 1 1 und 2 2. In anderen Worten: was Tafel II zeigt, ist keine Sequenz, die aus
Kenogrammen aufgebaut ist. Diese Redundanz von Strukturmerkmalen würde auch in quaternä-
rer, quinternärer und jeder folgenden Leibnizschen Notation des Zählens auftreten.
Es versteht sich, daß in beiden Fällen (dargestellt durch Tafel I und Tafel II) der 0 eine sehr
spezifische Bedeutung zuerkannt wird: es wird a limine angenommen, daß ein unbegrenzter
Vorrat von Nullen zur Verfügung steht, der einen neutralen Hintergrund bildet, gegen den
Zahlen geschrieben werden können. Aber man kann die Null auch anders deuten!
Wenn man jedoch - mit mehr oder weniger Erfolgsaussicht - versucht, Piatos esoterische
Zahlen adäquat darzustellen (indem man als eine bloße Konvention dieselben Symbole benutzt),
muß man sich an zwei Regeln halten: erstens, jede Zahl muß mit 0 beginnen - als ein ein
führendes Symbol, das als solches gekennzeichnet ist - und, zweitens, kein anderes Symbol darf
in der Darstellung auftreten, ehe es in unserer herkömmlichen Ordnung von Zahlzeichen 0, 1,2,
3 ... wenigstens einmal vorgekommen ist. 0 2 1 2 ist es nicht, weil sie lediglich die morpho
grammatische Struktur der ersten vierstelligen Folge wiederholt. Es folgt, daß ein System
esoterischer Zahlen etwa die Form einer Pyramide haben und jede horizontale Schicht ein
verhältnismäßig unabhängiges Zahlensystem darstellen würde, das mit 0 anfinge und mit der
höchsten strukturell in dem System erlaubten Zahl endete.
Peano hatte drei primitive Begriffe benutzt:
Null
Zahl
Nachfolger
52
Da die Null keine Menge vertritt, war es selbstverständlich, daß seine Ausdrücke immer mit
einer Zahl beginnen mußten, die eine meßbare Menge bezeichnete. Die Null stellt hier nur einen
grenzenlosen Hintergrund dar, gegen den Zahlen sich abzeichnen konnten. Diese Bedeutung der
Null ändert sich natürlich, wenn die Unterscheidung zwischen Vordergrund und Hintergrund
unwichtig wird, im Versuch, eine quantitative Ordnung von Symbolen zur Darstellung von
Struktur zu benutzen. Es versteht sich, daß eine solche Kombination von Menge und Struktur
immer einen höchsten Zahlenwert haben muß. Und da McCulloch schließlich die Unterschei
dung von Iteration und Akkretion gut geheißen hatte, war immer die Frage, wieviele Struktur
differenzen zwischen der 0 der Akkretion und dem höchsten Wert unterzubringen wären.
Tafel III
0 0 0 0
A 0 0 0 1
0 0
A / \
0 0 0 0 0 1
A A/1
0 . 0 0 0 0 0 1 1 1 0 1 2
A 0 1 2 3
0 1
A / 0 1 0
0 0 1 1 0 0 0 1
h 0 ' 1 0 0 0
> ^
0 1 1
0 1 0 2
0 1
^ A 1 1 1 1 0 1
^
^0 1 1 2
^ ^ A ^
1 2 0
— « ^ _ A= 1 2 1
^r-1 2 2
0 1 2 3
53
Tafel III versucht ein Platonisches System von esoterischen Zahlen für ein Maximum von vier
Stellen darzustellen. Sie zeigt dasselbe wie eine Sektion der Tafel VII in Teil II von "Natural
Numbers in Transclassic Systems". Ob McCulloch diese Tafel als Darstellung einiger seiner
Ideen anerkannt hätte, werden wir leider nie wissen.
Tafel III dieses Berichts gibt wenigstens eine Andeutung, was er gemeint haben könnte mit
seinen Reflexionen, daß jeder Weg, das Absolute zu verstehen, endlich sein müsse; aber
andererseits sagt Tafel III auch, daß einige Vorsicht nötig ist, wenn wir die klassische These
umkehren wollen, daß alle irdische Existenz Endlichkeit und als solche vom unendlichen
Absoluten umfangen ist. Es ist wahr, daß das Absolute, wann immer und wo immer wir uns ihm
gegenüberzustellen versuchen, das Gesicht der Endlichkeit zeigt. Aber Tafel III zeigt auch, daß
es zu den Attributen des Absoluten gehört, daß jeder finite Aspekt, den wir an ihm entdecken,
von einer nichtendenden Reihe von Aspekten höherer Komplexität gefolgt ist.
An dieser Stelle tritt ein verwickeltes Problem der Zahlentheorie auf, indem die Zahlen, die den
Zuwachs an Akkretion ausmachen, die esoterischen Zahlen sind. Denn die Zahlen, die uns zur
Verfügung stehen, wenn wir die Sequenz der esoterischen Zahlensysteme zählen, sind die
Zahlen der nicht-esoterischen Peano-Ordnung.
Es ist schwer zu sagen, wie weit McCulloch sich dieser Seite des Problems bewußt war. Der
Autor hoffte, nach der Rückkehr des Freundes aus Europa Klarheit darüber zu gewinnen. Er hat
ihn nicht wieder gesehen. Trotz der Ungewißheiten vielen über McCullochs Weltanschauung ist
der Autor überzeugt, daß er zu den hervorragensten Gestalten dieser Epoche der Philosophie
gezählt werden muß. Aber daß er als solche in Kreisen der Berufsphilosophen anerkannt worden
wäre, auch wenn er weniger schweigsam über Philosophie gewesen wäre, ist sehr zu bezweifeln.
Seine sich stetig vertiefende Überzeugung, daß das letzte Schlüsselwort der Philosophie nicht
IDEE, sondern ZAHL ist, ist immer noch Anathema in den Departments für Philosophie.
Genauso wie in den Geisteswissenschaften. Der Autor selbst bekennt, daß er, ehe er das Glück
hatte, McCulloch zu kennen, wohl mehr oder weniger höflich das Gesprächsthema gewechselt
haben würde, hätte jemand vorgeschlagen, daß wir in der Metaphysik Zahlen benötigen, um
Ideen zu verstehen; statt zu sagen, daß Ideen nötig sind, um Zahlen zu verstehen. Erst durch
54
McCulloch wurde ihm klar, daß es ein tragischer Irrtum der westlichen Zivilisation war, der
Idee metyphysischen Vorrang vor der Zahl einzuräumen und daß von eben dieser Bevorzugung
der verhängnisvolle Brach zwischen Natur- und Geisteswissenschaften herrührt. In McCulloch
war kein solcher Brach. In den Augen des Autors macht ihn allein diese kühne Umkehr in der
Rangordnung von Idee und Zahl zu einem Philosophen von bedeutendem Format. Es ist
unmöglich, die philosophische Bedeutung im Detail zu ermessen, weil das eine Sache zukünfti
ger historischer Entwicklung ist. Vorläufig herrscht ganz entschieden der traditionelle Stand
punkt vor. Aber mit Sicherheit kann man sagen, daß McCullochs Werk und die philosophische
Haltung, die ihm zugrunde liegt, die Bedingungen für eine vollständige Revision der logischen
Grundlagen in den Geisteswissenschaften geschaffen hat, und es hat zugleich einen Standard für
künftige kybernetische Arbeit gesetzt. Der Autor hat niemals seine Unzufriedenheit mit der
bedauernswerten Ärmlichkeit verhehlt, die auf dem Gebiet der Kybernetik an leitenden meta
physischen Prinzipien besteht. Aber erst nach seinem Tod hat er gehört, daß McCulloch diese
Unzufriedenheit teilte und daß er das mit gleicher Heftigkeit tat. Schon lange vor dem Autor
hatte er erkannt, daß die Kybernetik nicht einfach eine neuartige technische Disziplin unter
andern war, sondern daß ihre zukünftige Entwicklung einen neuen philosophischen Begriff von
Wirklichkeit implizierte. Im Grunde ist sie nichts geringeres als eine neue Form philosophi
schen Denkens in der Gestalt einer besonderen wissenschaftlichen Disziplin, weil ihr Ziel ist,
der philosophischen Methode durch Neurologie und verwandte Gebiete eine Präzision zu geben,
die sie vorher nie hatte.
Eine kurze Darstellung gewisser Folgen, die McCullochs Denken für ein der Kybernetik
fernliegendes Gebiet hat, mag ihre philosophische Wichtigkeit illustrieren. Es ist das Gebiet der
philosophischen Hermeneutik, wie es in der Historie und anderen Zweigen der Geisteswissen
schaften angewandt wird. Zunächst erscheint es absurd, die Hermeneutik, wie sie Dilthey und
seine Nachfolger verstanden, mit arithmetischen Verfahren anzugehen. Eine Zahl ist immer, was
sie ist, und das Ergebnis einer arithmetischen Operation ist entweder wahr oder falsch - oder
unentscheidbar. Es besteht nicht der geringste Raum für 'Interpretation'. Aber wenn wir auf das
numerische System schauen, das in Tafel III entwickelt wird, genügt es nicht mehr zu sagen: das
ist 2, das ist 3, das ist 4 usw. Denn selbst bei der Addition 1 + 1=2 erhebt sich schon die Frage:
welche 2 meinst Du? 2 im iterativen, oder 2 im akkretiven Sinn? Wenn wir Tafel III von oben
55
nach unten lesen, finden wir keinen Fall, in dem eine Zahl nur einen Nachfolger hat; sie hat
wenigstens zwei, meist sogar mehr. In Tafel III würde die voll akkretive Version von 4 zum
Beispiel fünf Nachfolger haben. Um diese Situation zu erreichen, braucht man nur die elementa
re Dichotomie von Gleichheit und Andersheit anzuwenden. Das hat zur Folge, daß sich, mit 0
beginnend, eine immer wachsende Anzahl von Peano-Folgen nicht-esoterischer Zahlen in
verschiedenen Sequenzen esoterischer Zahlen ausbreitet. Indessen, wo es sich um ein gegebenes
System von esoterischen Zahlen handelt, ist das Nachfolger-Prinzip ein anderes als das eben
beschriebene. In diesen endlichen Zahlenfolgen, die wir horizontal lesen müssen, hat jede
"esoterische" Zahl einen und nur einen Nachfolger - außer der letzten, die ganz akkretiv ist und
deshalb gar keinen Nachfolger hat. Dementsprechend besitzt die erste, die ganz iterativ ist,
keinen Vorgänger. Daraus folgt, daß das Prinzip der Hermeneutik nur im Übergang von einem
endlichen System zum folgenden, das zunehmende Struktureigenschaften hat, seinen Ursprung
nimmt. Aber solange wir uns auf einem und demselben esoterischen Niveau bewegen, gilt das
Prinzip des einen Nachfolgers bedingungslos.
Wenn wir uns in Platonischen Termini ausdrücken wollen, können wir sagen, daß die esoteri
schen Zahlen teilhaben (ueüe^ic,) an den "mathematischen" Zahlen des Aristoteles ((iOvaöiKOi
apiöfioi). Andererseits, wenn wir auf Tafel III eine Zahlenfolge nicht horizontal, sondern
vertikal ablesen, sehen wir, daß die steigende Vielfältigkeit der Peano-Folgen durch die Tatsa
che bestimmt ist, daß jede von ihnen die waagrechte Ordnung an verschiedenen Punkten kreuzt.
Es ist diese Verkettung zweier verschiedener Zahlenordnungen, die der Zahl Eigenschaften
verleiht, die sie für Philosophie im allgemeinen und besonders für die Hermeneutik zu einem
nützlichen Werkzeug macht. Außer unter sehr spezifischen und einschränkenden Bedingungen
genügt es nicht mehr zu fragen: was ist die Zahl? sondern die Frage muß lauten: auf wieviel
Weisen kann sie gedeutet werden, hermeneutisch? Ein erster Schritt in diese Richtung ist eine
Beobachtung, die fast gleichzeitig von Heinz von Foerster und dem Logiker Bruno von Freytag-
Löringhof gemacht wurde. Sie informierten den Autor, daß der Unterschied zwischen völlig
iterativer und ganz akkretiver Zahl als die Differenz von Kardinalität und Ordinalität gedeutet
werden könnte. In der herkömmlichen Mathematik würde man natürlich schwerlich in diesem
Gegensatz eine Aufgabe für Deutung sehen. Was ihn zu einem hermeneutischen macht, ist die
Tatsache, daß Kardinal- und Ordinalzahlen durch "vermittelnde" Zahlen verbunden sind, die
56
eine kardinale und eine ordinale Komponente haben. Das erfordert eine neue Art des Zahlenden
kens - ein Umstand, den McCulloch wahrscheinlich klarer sah als irgend ein anderer Wissen
schaftler seiner Zeit.
Es mußte so sein. Als Rufus Jones, der Quäker, ihn in seiner Jugend fragte, was er in seinem
Leben tun wollte, antwortete er, daß die Frage nach der Zahlheit der Leitstern seines Denkens
sein würde. Als der Autor ihn am Abend seines Lebens kennenlernte, war McCulloch der
selbstgewählten Aufgabe seiner Jugend treu geblieben.
Die Bezugnahme auf die Platonischen Zahlen mag den Gedanken nahelegen, daß McCulloch
grundsätzlich Platoniker war. Aber das wäre keineswegs richtig. Es war ihm klar, daß der strikte
Piatonismus einer vergangenen Epoche der Philosophie angehörte, die ihre Zeit gesehen hatte.
Für ihn bewegte sich die Philosophie noch zwischen zwei grundlegenden Fragen: hat die
Wirklichkeit ihre Wurzel in einem letzten unauflöslichen Zwiespalt oder in einer letzten
Übereinstimmung und Versöhnung aller Gegensätze? Die "Embodiments of Mind" lassen
annehmen, daß er mehr der Idee der schließlichen Versöhnung zuneigte. Im "Mysterium
Iniquitatis ..." lesen wir: "Cybernetics has helped to pull down the wall between the great world
of physics and the ghetto of the mind." Und: "So we seem to be groping our way toward an
indifferent monism." [31] Aber der Autor hörte am Ende der sechziger Jahre mitunter Aussagen,
die mit dem letzten Zitat eigentlich nicht übereinstimmten. Er erinnert sich einer Gelegenheit,
wo McCulloch die Psychoanalyse mit Feindseligkeit angriff und der Autor ihn auf einen kurzen
Satz in "The Past of a Delusion" hinwies, wo er gelesen hatte: "Upon Causality herself Karl
Marx begat his bastard, Dialectical Materialism." Der Autor, der sich niemals fur einen Marxi
sten gehalten hatte, sondern für einen Hegelianer, verteidigte die Dialektik (ohne Rücksicht auf
die Unterscheidung zwischen dialektischem Idealismus und dialektischem Materialismus)
standhaft. Für ihn mußte jede transzendentale Theorie des Universums dialektische Struktur
haben. McCulloch leugnete die Gültigkeit dieser Haltung, aber die Frage interessierte ihn
genügend, daß sich eine Art Diskussion ergab. In deren Verlauf entwickelte er Gedanken, die
sich mit seiner Neigung zum Monismus schlecht vertragen. Der Autor ist sich nicht sicher, ob
sie einige wirkliche Überzeugungen und neue philosophische Einsichten ausdrückten oder ob
sie nur argumentative Strategeme waren, mit denen er seinen Gegner gewinnen und ihn von der
57
Dialektik abbringen wollte. Der Autor ist geneigt, das erstere zu glauben; aber er ist sich dessen
keinesfalls sicher.
Gelegentlich erwähnte McCulloch das Buddhistische Nirwana und behauptete, daß europäische
Gedanken über die Wirklichkeit zu eng mit der Idee der "Substanz" verbunden waren auf
Kosten der "Relation". Wie immer in seinen Gesprächen mit dem Autor holte er seine Beispiele
eher aus der formalen Logik und der abstrakten Zahlentheorie als aus der eigentlichen Kyberne
tik. Als Kommentar zu seiner Vermutung, daß das Konzept der Substantialität auf Kosten des
Problems der Relationalität eine zu ausgedehnte Rolle in der westlichen Philosophie gespielt
habe, spekulierte er darüber, wie die Philosophie aussehen würde, wenn wir aufhörten, so viel
von letzten Bausteinen des Universums zu reden und stattdessen postulierten, daß es so etwas
nicht gäbe und daß jede angebliche letzte Einheit nur eine Relation zwischen noch
fundamentaleren Einheiten sei, und daß dieses Spalten der Bausteine ein nie endender Prozeß
wäre. Als gläubiger Dialektiker konnte der Autor nur zustimmen. Die Ansicht verträgt sich ganz
gut mit McCullochs Spekulationen über Zahl und Endlichkeit. Dagegen harmoniert sein
Nachsinnen über Substanz und Relation nicht mit dem Begriffeines "indifferenten Monismus",
denn es gibt keinen transzendentalen 'Raum', in dem der Unterschied zwischen Relator und
seinen Relata je verschwinden könnte. [32]
Leider bleibt ein Rest von Zweifel bestehen. Wie gewöhnlich zeigte sich McCulloch außer
ordentlich abgeneigt, die Argumente seines Gegners zu kritisieren und ihm viel von seinen
eigenen philosophischen Ausflügen in letzte Gründe zu enthüllen.
Eines jedoch scheint gewiß - die philosophische Position, die in "Embodiments of Mind"
entfaltet wird, ist keine volle Spiegelung dessen, was McCulloch in den letzten Jahren seines
Lebens dachte. Er war nicht mehr sicher - wie wir noch in "Through the Den of the Metaphysi
cian" lesen - , daß die anscheinenden Widersprüche im Licht größeren Wissens verschwinden
("the seeming contradictions vanish in the grace of greater knowledge"). [33] Sein Begriff von
Metaphysik hatte sich vertieft, und er sprach oft Behauptungen aus, die nur schwer in Einklang
zu bringen waren mit der Bemerkung in "Mysterium Iniquitatis of Sinful Man ...", daß Begriffe
metaphysisch sind, wenn sie dazu anleiten, in physikalischer Weise über sogenannte geistige
58
Ereignisse nachzudenken, ("they prescribe ways of thinking physically about affairs called
mental"). [34] Vieles, was er in seinen letzten Jahren sagte, läßt vermuten, daß für ihn solche
Begriffe metaphysisch waren, die sich auf eine Situation beziehen, in der es prinzipiell un
möglich ist, Objekt und Subjekt einschließlich des Denkers zu trennen.
Es sind McCullochs Überlegungen über die gegenseitige logische Stellung von Substanz und
Relation, die den Autor zu dieser Folgerung führen. Relation kann auf keine Weise in Sub
stantialität aufgelöst werden und umgekehrt. Andererseits hängen ein Relator und seine Relata
in ihrer Wirkung voneinander ab; keines läßt sich ohne Beziehung auf das andere denken. Sie
sind - wie Hegel sagen würde - dialektisch verbunden, und das Problem dieser Verbindung
definiert den metaphysischen Raum. Der Autor glaubt, daß McCulloch dem zuletzt zugestimmt
haben würde. Wenn man nun von der Unterscheidung zwischen 'physisch' und 'geistig' in
seiner früheren Definition dessen, was er bereit wäre, "metaphysisch" zu nennen, übergeht zu
dem rein logischen Kontrast zwischen Relation und Relator, dann muß offenbar auch der Sinn
des Ausdrucks 'metaphysisch' sich ändern. Im Sinne Hegelscher Logik kann der Unterschied
zwischen Relator und Relatum niemals "im Lichte größeren Wissens verschwinden". Während
nur Relata Substanz metaphysisch designieren können, deutet der Relator immer auf einen Akt
der Subjektivität hin. Das erfordert tiefere Einsicht in die philosophischen Probleme, als die
Kybernetik gegenwärtig besitzt.
Als dem Autor gesagt wurde, daß McCulloch ernstlich unzufrieden mit der Entwicklung der
Kybernetik war, konnte er das gut verstehen. Aber während er diesen Essay schrieb und ver
suchte, McCullochs philosophische Reflexion in größere Tiefen zu verfolgen, hat er auch
gelernt, McCullochs Zurückhaltung zu verstehen, den Kurs zu kritisieren, den die Kybernetik zu
nehmen dabei war. In seinen letzten Jahren experimentierte er mit neuen Gedanken, hatte aber
noch nicht den Grad von Sicherheit erreicht, der es seinem Gewissen als Gelehrten erlaubt hätte,
seinen Zweifeln und Befürchtungen öffentlich Ausdrack zu geben.
Es mag möglich sein, ein klareres Bild von McCullochs letzten philosophischen Vorstellungen
zu zeichnen; aber das würde einen größeren Anteil von Interpretation auf Seiten des Autors
erfordern - in anderen Worten: es würde immer schwieriger geworden sein, zwischen dem zu
59
unterscheiden, was McCulloch dachte, und dem, was der Autor glaubte, daß er dachte. Darum
ist größere Klarheit und Schlüssigkeit dem Ziel geopfert worden, wenigstens eine annähernde
historische Genauigkeit zu erreichen. Der Autor ist sich sicher, daß ihm das nicht in dem
wünschenswerten Grade gelungen ist, nur das weiß er, daß - nach den 'Klassikern' Piaton,
Aristoteles, Leibniz, Kant und Hegel - kein modemer philosophischer Denker größeren Einfluß
auf ihn ausgeübt hat als Warren Sturges McCulloch, dessen Erinnerung er immer bewahren und
verehren wird.
Anmerkungen zu "Zahl und Begriff'
[I] Gotthard Günther: Cybernetic Ontology and Transjunctional Operations. In: M.C. Yovits, G.T. Jacobi und G.D. Goldstein (Hrg.), Self-Organizing Systems 1962. Washington D.C.: Spartan 1962, Seite 313-392.
[2] Gotthard Günther: Die Aristotelische Logik des Seins und die nicht-Aristotelische Logik der Reflexion. In: Zeitschrift für philosophische Forschung Bd. 12, 1958, Seite 360-407.
[3] Warren St. McCulloch: Mysterium Iniquitatis of Sinful Man Aspiring into the Place of God. In: W.S. McCulloch: Embodiments of Mind, Cambridge, Mass.: M.I.T. 1965, Seite 157-164.
[4] A.a.O., Seite 158.
[5] Warren St. McCulloch: Through the Den of the Metaphysician. A.a.O., Seite 142-156.
[6] Warren St. McCulloch: What Is a Number, that a Man May Know It, and a Man, that He May Know aNumber? A.a.O., Seite 1-18.
[7] A.a.O., Seite 143.
[8] A.a.O., Seite XIX.
[9] Barkley Rosser: On the Many-Valued Logic. In: American Journal of Physics, Bd. 9, 1941, Seite 207-212.
[10] Oskar Becker: Einführung in die Logistik. Vorzüglich in den Modalkalkül, Meisenheim a. Glan: Westkultur Hain 1951.
[II] Barkley Rosser: On the Many-Valued Logic. A.a.O., Seite 209 (Sperrung von uns).
[12] Warren Stuges McCulloch: The Past of a Delusion. In: W. St. McCulloch: Embodiments
60
of Mind, Cambridge, Mass.: M.I.T. 1965, Seite 276-306, Seite 297.
[13] A.a.O., Seite 297.
[14] Alfred North Whitehead: Mathematics and The Good. In: A.N. Whitehead: Essays in Science and Philosophy, New York N.Y.: Philosophical Library 1947, Seite 97-113.
[15] A.a.O., Seite 101.
[16] Warren St. McCulloch und Walter Pitts: A Logical Calculus of the Ideas Immanent in Nervous Activity. In: W.St. McCulloch: Embodiments of Mind, Cambridge, Mass.: M.I.T. 1965, Seite 14-39.
[17] G.W.F. Hegel: System der Philosophic Sämtliche Werke hrsg. v. H. Glocker Bd. 9, 3. Aufl., Stuttgart: Frommann 1958, Seite 84.
[18] Gotthard Günther: Natural Numbers in Trans-Classic Systems 1.2.1: Mathematico-Phi-losophical Prolegomena. 2: The Mapping of Natural Numbers onto Kenogrammatic Structures. Journal of Cybernetics Bd. 1, 1971, Seite 23-33 und 50-62.
[19] C.C. Chang: Infinite-Valued Logic as a Basis of Set Theory. In: C.C. Chang: Logic, Methodology and Philosophy of Science, Amsterdam: North Holland 1965, Seite 93-100.
[20] Vgl. dazu und zu den folgenden Bemerkungen Gotthard Günther: Die Theorie der "mehrwertigen" Logik. In: Rudolph Berlinger und Eugen Fink Hrsg.: Philosophische Perspektiven Bd. 3, Frankfurt am Main: Klostermann 1971, Seite 110-131.
[21] Warren St. McCulloch: Why the Mind Is in the Head. In: W. St. McCulloch: Embodiments of Mind, Cambridge, Mass.: M.I.T. 1965, Seite 72-141.
[22] Klaus Oehler: Der entmythologisierte Piaton. Zur Lage der Piatonforschung. In: K. Oehler: Antike Philosophie und byzantinisches Mittelalter. Aufsätze zur Geschichte des griechischen Denkens. München: Beck 1969, Seite 66-94.
[23] A.a.O., Seite 82.
[24] A.E. Taylor: Plato. The Man and His Work. New York: Dial 1927, Seite 512.
[25] Vgl. auch Martin Heidegger: Was ist Metaphysik? Frankfurt am Main: Klostermann 1951, Seite 22-38.
[26] Vgl. Gotthard Günther: Life as Poly-Contexturality. In: H. Fahrenbach (Hrsg.): Wirklichkeit und Reflexion, Festschrift für Walter Schulz, Pfullingen: Neske 1973, Seite 187-210.
[27] Warren St. McCulloch: A Heterarchy of Values Determined by the Topology of Nervous Nets. In: W. St. McCulloch: Embodiments of Mind, Cambridge, Mass.: M.I.T. 1965, Seite
61
40-44.
[28] A.a.O., Seite 44.
[29] Warren St. McCulloch: Why the Mind Is in the Head. A.a.O., Seite 73.
[30] Klaus Oehler: Der entmythologisierte Piaton. Zur Lage der Piatonforschung. A.a.O.. Seite 82.
[31] Warren St. McCulloch: Mysterium Iniquitatis of Sinful Man Aspiring into the Place of God. A.a.O., Seite 163.
[32] Vgl. Gotthard Günther: Cognition and Volition. In: Cybernetics Technique in Brain Research and the Educational Process, 1971 Fall Conference of American Society for Cybernetics, Wahington D.C., Seite 119-135.
[33] Warren St. McCulloch: Through the Den of the Metyphysician. A.a.O., Seite 155.
[34] Warren St. McCulloch: Mysterium Iniquitatis of Sinful Man Aspiring into the Place of God. A.a.O., Seite 155.
62
Gotthard Günther
Information, Kommunikation und mehrwertige Logik1
Die exakte wissenschaftliche Behandlung der Probleme von Information und Kommunikation
ist relativ neu. Sie hat ihre erste Auswirkung - wie könnte es anders sein - in den mathematisch
orientierten Wissenschaften gezeigt. Jedoch erfordert die von C.C. Shannon 1948 präsentierte
Kommunikationstheorie [1] obwohl sie für ihre Zwecke reicht, eine zusätzliche Bearbeitung
von Logikern und Semantikern, um ihre volle Anwendung in den Humanwissenschaften wie in
der Philosophie wirksam werden zu lassen. Shannons Theorie läßt den Begriff Sinn in der In
formation nicht zu, um das Phänomen mathematischen Mitteln zugängig zu machen, die derzeit
verfügbar sind. Wenn wir den Begriff Sinn wieder einführen wollen, müssen wir annehmen,
daß zwei Personen, die über einem Kommunikationsskandal miteinander in Kontakt stehen mit
dem expliziten Zweck, sinnvolle Information auszutauschen, in Besitz eines vorher aus
gemachten Codes sind, um die Signale zu interpretieren, die sie erhalten. Wir alle haben solche
Codes in unserem gemeinsamen kulturellen Erbe und in den gesellschaftlichen Institutionen
(z.B. Erziehung) zur Verfügung, die den Hintergrund unserer Existenz repräsentieren.
Das kulturelle und philosophische Problem von Information und Kommunikation ist genauso
alt wie das früheste Bemühen des Menschen um Reflexion über sich selbst, seine Artgenossen
und die menschliche Gesellschaft, welche ihn beschützte und nötigte. Heute ist diese Frage
sogar akuter geworden. Theoretische genauso wie praktische Motive, die Natur von Kommuni
kation zu studieren und - wenn möglich - zu verbessern, haben eine neue Dringlichkeit erreicht.
Auf der theoretischen Seite ist es der Aufstieg der philosophischen Anthropologie, die Fragen
stellt, die nur beantwortet werden können, wenn wir ein tieferes Verständnis bekommen, was
Information in Relation zum menschlichen Bewußtsein und Selbstbewußtsein bedeutet. Auf der
praktischen Seite ist es der gegenwärtige Zusammenprall diverser Ideologien und Weltbilder,
'Aus dem Englischen übersetzt von Ernst Kotzmann
63
die im Osten und Westen entstanden sind. Der technische Fortschritt, der all die verschiedenen
menschlichen Gesellschaften und Kulturen zusammengeführt hat, die auf diesen Planeten ent
standen sind, fordert zu einem Ideenaustausch und zu einer Kommunikation zwischen doch
größtenteils unversöhnlichen Anschauungen heraus. Unter diesen Umständen können wir der
Aufgabe nicht ausweichen, eine zuverlässige Kommunikationstheorie zu entwickeln, die uns
die Mittel zeigt, unzweideutige Information über die kulturellen Aspekte des menschlichen
Lebens zu vermitteln.
Wie oben ausgeführt wurde, ist in der gegenwärtigen Lage die Informations- und Kommuni
kationstheorie noch nicht voll in der Lage, diese Arbeit zu leisten. Dies liegt größtenteils an
ihrer strengsten Abgrenzung: Sie ist nicht imstande, eine Definition der Beziehung zwischen
Information und Sinn (Bedeutung Anm.d.Ü.) zu geben! Tatsächlich beruht der Erfolg der von
Shannon und seinen Mitarbeitern entwickelten Theorie gerade auf der sorgfältigen Trennung
der beiden Konzepte und auf dem Ausschluß des Sinnbegriffes von den Formeln, die die Ge
setze für die Übertragung von Information von ihrer Quelle zu ihrem Empfänger beschrei
ben.Es ist offensichtig, daß dieser Zugang sowohl für die philosophische Anthropologie als
auch für die Kulturtheorie, die die Humanwissenschaften zu entwickeln versuchen, inadäquat
ist, Um eine Antwort zu geben, wollen wir das einfachst mögliche Schema darstellen, um zu il
lustrieren, wovon Kommunikationstheorien handeln.
Kommunikationskanal Empfänger
I
Geräusch
Diese Skizze besteht im wesentlichen aus drei Teilen. Auf der linken Seite steht der Sender, der
eine Botschaft kreieren und senden kann. Der mittlere Teil repräsentiert den Kommunikations
strom sowie das Medium, das ihn trägt. Dieser Strom kann gestört und daher die Botschaft
verzerrt werden durch ein "Geräusch", das auf den spezifischen Charakter des Medium zurück
zuführen ist. Detailliertere Modelle, die üblicherweise dargestellt werden, brauchen wir für die
Illustration unserer Argumentation nicht.
64
Unsere Argumentation verläuft wie folgt: Die derzeitige mathematische Kommunikationstheorie
ist weder für die Philosophie noch für die Human (Kultur) Wissenschaft ausreichend, da der
Beobachter, der den Prozeß beschreibt und seine Formeln entwickelt, nicht mit der logischen
Position (dem logischen Ort, Anm. Ü.) des Senders identifiziert werden kann, und er auch
nicht in der Lage ist, den logischen Standpunkt des Empfängers einzunehmen. Sein Status in
der Theorie stellt ihn völlig außerhalb des Systems, das er beobachtet. Dies führt zu ver
wickelten logischen Konsequenzen, wenn wir annehmen, daß der Ersteller einer kommuni
kationstheoretischen Formel die Position einnimmt, daß Sender genauso wie Empfänger mit
demselben, oder zumindest approximativ mit demselben Grad logischer Organisation arbeite
wie er selbst als Außenbeobachter. Solange diese Annahme nicht gemacht wird, sind die Positi
onen von Sender und Empfänger logisch reversibel [2]. Mit anderen Worten, in unserer Pro-
zeßbeschreibung ändert sich logisch nichts, wenn wir den Kommunikationsfluß in die entge
gengesetzte Richtung fließen lassen. Es folgt, daß es keinen formalen, logischen Unterschied
zwischen Sender und Empfänger gibt sondern nur zwischen dem Kommunikationsprozeß und
den Systemen, welche einander Botschaften senden. Anders gesagt: Die derzeitige logische
Struktur der Kommunikations- und Informationstheorie ist strikt zweiwertig. Und diese Zwei
wertigkeit ist keinesfalls davon beeinträchtigt, daß eine gegebene Botschaft durch verschiedene
Wahrscheinlichkeiten charakterisiert werden könnte. Diese Bemerkung ist deshalb wichtig, da
die irrige Meinung noch immer besteht, Wahrscheinlichkeiten könnten mit der Anzahl der
Werte, die einer Logik zugeordnet sind, gleichgesetzt werden [3].
Wir werden nun aber annehmen, daß Sender, Empfänger und Beobachter alle menschliche Per
sonen darstellen. Das macht sie zu relativ unabhängigen und subjektiv aktiven Zentren von
Selbstreflexion. In diesem Fall mag sich der Beobachter (oder auch nicht) spontan außerhalb
des Systems stellen, das Sender, Kommunikationskanal und Empfänger umfaßt. Wir werden
nun annehmen, daß - für einen gegebenen Fall einer Botschaftsübermittlung - der Beobachter
mit jenem Teil des Systems übereinstimmt, der als Empfänger agiert. Das kompliziert die
Situation. Auf der einen logischen Stufe, welche strikt zweiwertig ist, mögen wir die zu
sätzliche selbstflexive Kapazität des Empfängers vernachläßigen und ihn als ein "Es" behan
deln, das Botschaften empfängt, wie es irgendein entsprechend konstruierter Hardwareteil
könnte. Aber auf einer zweiten logischen Stufe der Logik werden alle unsere zweiwertigen
65
Daten unentwirrbar im Prozeß des Selbstbewußtsein umgarnt, welches das frühere "Es" in ein
"Er" oder "Sie" verwandelt. Wenn diese Situation betrachtet wird, bricht die ursprüngliche
zweiwertige Umkehrbarkeit zwischen Sender und Empfänger zusammen, weil das System, das
ursprünglich als Empfänger bestimmt war, sich nun selbst im Rollentausch und zum Sender
werdend beobachten können. Was verstanden werden sollte, ist, daß diese Selbstbeobachtung -
logisch gesprochen - ganz verschieden von der Beobachtung eines neutralen Beobachters ist,
der den Prozeß von außen beobachtet. Wenn wir den Unterschied in Begriffen von Identität
ausdrücken wollen, können wir sagen: Der neutrale Beobachter, der weder mit dem Sender
noch mit dem Empfänger identisch ist, formuliert seine Beobachtungen in Begriffen hetero
reflexiver Identität. Der Beobachter, der zu einem gegebenen Zeitpunkt entweder mit dem einen
oder anderen Ausgang des Kommunikationskanal identisch ist, drückt seine Erkenntnisse in
Begriffen selbstreflexiver Identität aus. Dieser Unterschied ist der transzendentalen Logik seit
mehr als eineinhalb Jahrhunderten bekannt gewesen. Es ist auch bekannt gewesen, daß unsere
zweiwertige klassische Logik nur mit Begriffen agiert, die heteroreflexive Identität nach sich
zieht. Tatsächlich ist dies - in extrem verkürzter Form - die Lektion, die Kants Kritik der reinen
Vernunft den Schüler der formalen aristotelischen Logik lehrt.
Um den Unterschied zwischen heteroreflexiver und selbstreflexiver Identität klarer darzulegen,
lassen sie uns einmal mehr auf unsere festgelegte Situation des nichtneutralen Beobachters
zurückkehren, der entweder mit dem Sender oder Empfänger identisch ist. Er muß entweder an
dem einen oder an dem anderen Ende des Kommunikationskanals lokalisiert werden. Es ist für
ihn unmöglich, auf beiden Enden gleichzeitig positioniert zu sein. Es folgt, daß er in sehr ver
schiedener Art beobachtet, was auf beiden Enden passiert. An dem einen Ausgang erscheinen
die stattfindenden Ereignisse innerhalb der Dimension seiner "privaten" Selbstreflexion. Er
besitzt sozusagen Einsicht in sie. Sie konstituieren Ereignisse innerhalb der Grenzen seines
"Bewußtseinsraums". Aber was am anderen Ausgang passiert, sind Erscheinungen der
Außenwelt. Anders gesagt: Die symmetrische Umtauschrelation zwischen Sender und Em
pfänger, die der "neutrale" Beobachter in einer Logik hetero-identischer Terme etablieren mag,
ist für den nichtneutralen Beobachter gestört, der die Ereignisse in Tennen der Selbstreflexion
versteht. Für den neutralen Beobachter sind die beiden Ausgänge des Kommunikationskanals
logisch äuqivalent auf der Basis einer formalen Umtauschrelation in einer zweiwertigen Logik.
66
Für den Beobachter, der sich selbst mit einem der beiden Ausgänge des Kommunikations
kanals identifiziert hat, endet die logische Äquivalenz dieser Orte. Diese Situation erfordert
zumindest eine dreiwertige Logik! Anstelle unserer früheren Dichotomie von Kommunikation
und den Teilnehmern an dem Kommunikationsprozeß haben wir nun eine Trichotomie von a)
Sender, b) Kommunikation und c) Empfänger. Und Selbstreferentialität wird entweder a) oder
c), aber nicht beiden zugleich zugeordnet. Anders formuliert: Wir haben zwei logische Mög
lichkeiten. Wir mögen die Äquivalenz von a) mit c) behaupten. In diesem Fall ist der Kom
munikationsprozeß reversibel. Das ist die Art, in der der Außenbeobachter ihn sieht. Oder wir
mögen sagen, a) ist nicht äquivalent zu c). Wenn wir das machen, nehmen wir an, daß der Be
obachter im Kommunikationsprozeß involviert und zumindest teilweise mit dem Empfänger
identisch ist. Das Ergebnis dieser reflexiver Identität ist die Tatsache, daß der Kommuni
kationsprozeß irreversibel wird und es unmöglich ist, ihn mit Begriffen der zweiwertigen Logik
zu behandeln.
All dies ist den Schülern der transzendentalen, selbstreflexiven Logik seit langem bekannt ge
wesen. Daher ist es vernünftig zu fragen: Warum ist mehrwertige Logik niemals ernsthaft in
den Humanwissenschaften und in der philosophischen Anthropologie eingeführt worden, wo
das Problem der Kommunikation mit Selbstbezug vorherrschend ist [4]. Die Antwort ist, daß
jeder Logiker ohne Illusionen zugeben wird, daß er nicht versteht, was eine mehrwertige Logik
wirklich ist.
Seit mehr als 40 Jahren sind Versuche - initiiert von Lukasiewicz und Post - unternommen
worden, mehrwertige Theorien des Denkens in die Philosophie einzuführen. Bislang sind all
diese Versuche gescheitert, wie CT. Lewis, I.M. Bochenski, H.A. Schmidt und andere be
zeugt haben. Ein deutscher Logiker, von Freytag-Löringhoft, hat auf eine praktische Schwie
rigkeit aufmerksam gemacht. In zweiwertiger Logik, was gewöhnlich als Aussagenlogik be
zeichnet wird, haben wir es mit 16 binären Konstanten zu tun. Es ist innerhalb unserer Mög
lichkeiten, jede dieser Konstanten individuell zu untersuchen. Eine Menge Arbeit wurde in
dieser Richtung vollbracht, obwohl sie keineswegs beendet ist. Aber wenn wir nur einen Wert
mehr dazu nehmen, erhöht sich die Zahl binärer Konstanten auf 19683, und Freytag-
Löringhoff hat gezeigt, daß es unmöglich jede dieser Konstanten in derselben Art zu entwickeln
67
wie es in der zweiwertigen Logik üblich ist. Die Schwierigkeit ist sogar größer als der deutsche
Logiker vermutet.
Wenn wir das Reich einer dreiwertigen Logik beschreiten, sind nicht nur binäre Operatoren zu
berücksichtigen. Wir haben auch eine dritte Variable einzuführen und tertiäre Funktionen zu be
rücksichtigen. Das erhöht die Zahl der ausschlaggebenden Operationen auf 19683 + 3^7, was
ungefähr gleich 1 0 ^ ist. Aber wie wir gezeigt haben , ist das keineswegs genug. Eine drei
wertige Logik ist morphogrammatisch unvollständig, und wir sind gezwungen, auf vier Werte
und vier Variablen überzugehen und mit ihnen zu arbeiten. In anderen Worten: Wir müssen zur
Anzahl der binären und ternären vierwertigen Folgen 4^56 quaternäre Funktionen, das sind
zirca 1 0 ^ 3 > dazunehmen. Diese Anzahl liegt bereits weit über der Größenordnung der
größten, in der Astronomie verwendeten Zahlen, die kaum 10^0 überschreiten. Unglück
licherweise erfüllt eine vierwertige Logik nur die Minimalanforderungen der morpho
grammatischen Theorie von Logik. Es kann mit einer an Sicherheit grenzenden Wahr
scheinlichkeit gesagt werden, daß sogar die Beschreibung der Komplexität selbstreflexiver
Strukturen, die sich in den einfachsten Formen lebender Zellen finden lassen, derartige Funk
tionen K und T erfordert. Für die Werte benützen wir die ersten drei Zahlen unsers De
zimalsystems. Wir setzen ferner fest, daß 1 und 2 die Werte unserer traditionellen, klassischen
Logik darstellen.
68
p
1
2
3
1
2
3
1
2
3
q
l
l
l
2
2
2
3
3
3
K
1
2
3
2
2
3
3
3
3
T
1
3
2
3
2
1
2
1
3
K kann als die normale Konjunktion in einem dreiwertigen System leicht erkannt werden, und
T ist eine andere Funktion aus dem Reservoir jener 19683. Da sie sehr spezifische Eigen
schaften hat, die sie auszeichnet, geben wir ihr einen Namen. Wir nennen sie "Transjunktion".
Der grundlegende Unterschied zwischen Wertsequenzen vom Typ K und Typ T ist leicht
faßbar. Wann immer sich die Werte der Variablen p und q unterscheiden, nimmt K einen der
zwei Werte an. Die Funktion wählt sozusagen ihren Wert aus einer Alternative, die durch p und
q "offeriert" wird. Die Funktion T folgt genau der entgegengesetzten Regel. Wann immer sich
die Zustände von p und q unterscheiden, nimmt T niemals einen der Werte an, die von den
Variablen bereitgestellt werden. T verweigert sozusagen das Angebot und "verwirft" die Al
ternative von Werten, die sechs Zustände der Funktion charakterisieren. Im Fall eines dreiwer
tigen Systems steht nur ein "Rejektionswert" für einen gegebenen Zustand von p und q zur
Verfügung. Im Fall der Alternative 1'2 ist er 3. Wenn p und q sich durch 2'3 unterscheiden,
muß er 1 sein, und wenn die Alternative durch 1 '3 gegeben ist, dann wird 2 der Wert, der den
Zustand sowohl von p als auch von q verwirft.
Es ist klar, daß uns die Unterscheidung zwischen Wertsequenzen, wo die Funktion immer
einen der Werte "akzeptiert", den p und q konkurrierend anbieten, und den Wertsequenzen, wo
69
ihre Angebote entweder total oder partiell verworfen werden, erlaubt eine Dichotomie innerhalb
der 19683 Funktionen (im Original: constants) zu definieren. Das ist jedoch nicht sehr viel, und
wir müssen einen beträchtlichen Schritt weiter tun. Wir sollten zumindest eine siebenwertige
Logik haben. Um die strukturelle Komplexität einer Hochkultur, wie die Westliche Zivilisation,
zu beschreiben, müßten wir eine Anzahl logischer Funktionen der Selbstreflexion einführen,
die weit jenseits der Leistungsfähigkeit eines siebenwertigen Systems liegt. Die Anzahl der
Werte und Variablen, die eine adäquate Beschreibung des derzeitigen historischen Status des
Menschen erfordert, würde wahrscheinlich in der Größenordnung der Zahl der Neuronen des
Gehirns liegen, welches mitbeteiligt gewesen ist, die Menschheit auf den jetzigen Stand der Ge
schichte zu bringen.
Es ist klar, daß alle heutigen logischen Methoden zur Analyse der selbstreflexiven Struktur der
Geschichte im Allgemeinen und einzelner Zivilisationen als Kommunikationsmittel für die Men
schen von einer fast unglaublichen Ineffizienz sind. Sie beruhen auf 16 logische Funktionen
eines zweiwertigen, morphogrammatisch unvollständigen Aussagenkalküls. Aber es ist völlig
unmöglich sogar die kleinsten mehrwertigen Systeme mit den traditionellen Methoden logischer
Analyse in den Griff zu bekommen, wie von Freytag-Löringhoff gezeigt hat. Der deutsche Ge
lehrte folgert, daß keine anderen Methoden verfügbar sind.
Das ist aber eine unberechtigte Annahme, und wir werden den Rest dieses Artikels dazu be
nützen, die Richtung aufzuzeigen, in die nach der Lösung des Problems zu suchen ist. Im
Moment fürchten sich die Logiker sogar vor der Zahl 19683 in Verbindung mit binären Ope
rationen des Aussagenkalküls. Die Astronomen sind aber nicht von Zahlen der Größenordnung
10*00 beunruhigt. Und warum sollten sie? Sie benützen ein System, mit Zahlen zu operieren,
das so einfach ist, daß es Kinder in der Schule lernen, lange bevor sie eine Universität be
suchen. Es ist ein Stellenwertsystem mit einem vorbestimmten Bereich, in dem jede Zahl
wiederholt wird, sobald sie den Bereich überschreitet. Der Umfang dieses Bereichs für unsere
konventionelle Art des Zählens wird durch das Dezimalstellenwertsystem der Zahlen bereit
gestellt. Wie wir gezeigt haben [5], ist diese Idee mit einfachen Modifikationen auch für mehr
wertige Systeme anwendbar. Es wird leicht zu zeigen sein, daß uns die Interpretation mehr
wertiger Systeme als Stellenwertanordnung unserer zweiwertigen klassischen Logik ahnen
70
läßt, wie sich die 19683 binären Operationen eines dreiwertigen Systems klassifizieren und id
entifizieren lassen.
Eine dreiwertige binäre Funktion hat neun verschiedene Zustände für jede mögliche Belegung
der Variablen p und q. In Tabelle II haben wir unsere Funktionen K und T niedergeschrieben,
nun aber in 3 zweiwertige Teilsysteme zerlegt gemäß der Stellenwerttheorie.
n
p
1
2
3
1
2
3
1
2
3
q
l
l
l
2
2
2
3
3
3
Kl
1
2
2
2
K2
2
3
3
3
K3
1
3
3
3
Tl
1
3
3
2
T2
2
1
1
3
T3
1
2
2
3
Es ist leicht zu sehen, daß die morphogrammatische Struktur von K als vierstellige Wert
sequenz (wie sie im Aussagenkalkül der klassischen Logik benützt wird) an drei verschiedenen
Plätzen auftaucht. Die verschiedene Werteintragung, wie durch 1222, 2333, 1333 dargestellt,
fungiert nur zur logischen Unterscheidung der Plätze voneinander. Was aber wirklich zählt, ist
das Fakt, daß die Struktur, die durch die Wertverteilung über vier Stellen generiert wird, drei
mal wiederholt wird.
Ein Merkmal fehlt: die verschiedene Rolle, die die Werte in den Positionen 1,5 und 9 im
Gegensatz zu den Positionen 2,3,4,6,7 und 8 spielen. Wenn an einer der letzteren Stellen ein
Wert in einen niederen oder höheren Wert umgewandelt wird, ist nur die morphogrammatische
Struktur der vierstelligen Sequenz betroffen, die ihn beinhaltet. Ein Wechsel in der 71
Wertbesetzung an den Stellen 1,5 und 9 aber betrifft immer zwei Morphogramme. Eine Än
derung in der ersten Position von K betrifft Kl und K2 in relevanter Weise. Jede Änderung in
der letzten Position ist sowohl für K2 als auch für K3 von Bedeutung. Wir werden nun sagen,
daß die Werte in den Positionen 1,5 und 9 der Tabelle II den "Frame" der Sequenz und jene in
2,3,4,6,7,8 den "Core" der Sequenz darstellen. Allgemein gesprochen, jede m-wertige
Sequenz besitzt m Frame-Positionen. Der Rest gehört zum Core. Die Negation eines einzelnen
Werts aus dem Frame vermag unter gewissen Umständen die gesamte Struktur des Frames ver
ändern. Eine Negation einer gesamten Wertsequenz (Frame und Core) vermag dies nie.
Wir sind nun bereit, die Prinzipien zur Klassifikation aller binären logischer Operationen einer
beliebigen m-wertigen Logik aufzuzeigen. Wir werden mit dem eher trivialen Fall eines zwei
wertigen Systems beginnen. Dazu schreiben wir alle 16 Wertsequenzen in spezifischer Ord
nung nieder, die den Klassifikationsprinzipien folgt, die wir zu verwenden gedenken. Es bleibt
zu überlegen, daß das Konzept des Rejektionswertes keine Rolle im Fall der klassischen Logik
spielt, da nur zwei Werte zur Verfügung stehen. Tabelle III zeigt die Ordnung der Klas
sifikation, die nebenbei eine andere Dichotomie mit sich bringt, nämlich zwischen den so-
genannten "irreflexiven" und "reflexiven" Wertsequenzen. Diese Dichotomie bezieht sich auf
die Unterscheidung von Position und Negation in der klassischen Logik. Im einfachen Fall
eines zweiwertigen Systems stellt diese Dichotomie kein Problem dar. Wenn die Wertesequenz
für den Fall, daß p und q beide den Wert 1 annehmen, ebenfalls den Wert 1 besitzt unabhängig
von der Wertbelegung der nachfolgenden Positionen, nennen wir die sich ergebende Folge
irreflexiv oder positiv. In allen anderen Fällen heißt sie reflexiv oder negativ. In den
mehrwertigen Fällen ist es jedoch nicht so einfach, auf eine geeignete Dichotomie zu kommen.
Tabelle m wird uns helfen, dieses Verfahren zu erläutern.
72
m
a
1
1
1
1
2
2
2
2
b
1
2
1
1
2
1
2
2
c
1
1
2
1
2
2
1
2
d
1
2
2
1
2
1
1
2
e
1
1
1
2
2
2
2
1
f
1
2
1
2
2
1
2
1
g
1
1
2
2
2
2
1
1
h
1
2
2
2
2
1
1
1
irreflexiv
reflexiv
Die punktierten Rechtecke, die die zweite und dritte Position der Spalten umfassen, trennen den
Core der Folgen von ihrem Frame. Wir sehen sofort, daß die Wertsequenzen des Aussagen
kalküls der klassischen Logik zwei Frames verlangen. In der oberen Gruppe ist die Wertbe
legung der Frames (erste und vierte Position) irreflexiv. In der unteren Gruppe ist sie reflexiv.
Überdies entdecken wir - und dies ist von größter Wichtigkeit - daß es hinreichend ist, den
Frame des irreflexiven Teils von Tabelle III zu negieren, um alle reflexiven Wertfolgen zu er
halten. Dies beinhaltet eine Feinheit. Wenn wir den Frame der irreflexiven Folge a) negieren,
erhalten wir natürlich nicht die reflexive Folge a), sondern die reflexive Folge d). Und die Ne
gation des Frames der irreflexiven Folge b) produziert die reflexive Folge c). Diese Fakten
spielen eine subtile Rolle für die Relationen zwischen Morphogrammen und ihren möglichen
Wertbelegungen. Hier mögen sie vemachläßigt werden, weil sich unsere Diskussion nur auf
zweiwertige Systeme bezieht. Es ist hinreichend zu wissen, daß, um alle negierten Wertsequen
zen einer zweiwertigen Logik zu erhalten, wir nicht alle Werte zu negieren haben, sondern nur
die Wertbelegungen des Frames. Das gilt in gleicher Weise für den Fall eines beliebigen m-
wertigen Systems. Wir werden nur den Fall dreiwertiger binärer Sequenzen darstellen.
73
Aus der Tabelle II wissen wir bereits, daß diese Sequenzen Frames mit drei Wertpositionen be
sitzen. Die Zahl der möglichen Frames beträgt fünf, wie es Tabelle IV zeigt:
rv
irrefl irref^ irref^ irref^ irref
Wir legen fest, daß die Wertbelegungen der Frames in Tabelle IV ihren irreflexiven Charakter
darstellen. Jede andere Wertbelegung durch Negation der Werte verwandelt sie in reflexive
Framestrukturen. Es ist eine signifikante Abkehr von der traditionellen Logik, daß wir nun
zwischen fünf Graden der Irreflexivität für den Frame einer Wertesequenz unterscheiden. Die
Wahl der Werte für Irreflexivität ist keineswegs beliebig. Wir legen fest, daß für die n-te
Position des Frames der belegte Wert niemals höher als n sein kann, wenn Irreflexivität
verlangt ist.
Zu jedem irreflexiven Frame gehört eine Anzahl reflexiver Versionen. Im Fall irref* gibt es nur
zwei, aber in allen anderen Fällen der Tabelle IV ist die Anzahl fünf. Es folgt, daß eine drei
wertige Logik, die fünf Frames besitzt, in der Lage ist, 27 Wertbelegungen für sie zu produ
zieren . Auf der anderen Seite beträgt die Anzahl der möglichen Wertbelegungen für die sechs
Core-Positionen 36 = 729, und 27 * 729 = 19683 ergibt, wie wir uns erinnern, die Anzahl aller
binären Operationen eines dreiwertigen "Aussagenkalküls".
74
Wir sind nun in der Lage, alle binären Sequenzen einer dreiwertigen Logik gemäß folgender
Charakteristika zu klassifizieren:
Wert: Akzeptanz
Rejektion
Stelle: V2
2'3
1'3
Frame: irref*, irref^, ... irref^
refl. (Ni und N2)
Ni und N2 bezeichnen die beiden Negationsoperatoren eines dreiwertigen Systems,
p
1
2
3
Nl
2
1
3
N2
1
3
2
die in geeigneter Weise miteinander kombiniert [6] alle möglichen Permutationen der Wertfolge
1,2,3 ergeben.
Jedoch sind einige der Klassen von Wertsequenzen, die man mittels der obig aufgezählten Prin
zipien erhält, noch immer ziemlich groß und unhandlich. Daher führen wir eine weitere Unter
teilung für Akzeptanz - genauso wie für Rejektion - der Werte ein. Es ist für die Bewer-
tungszustände der Variablen, die die Wertbelegungen des Cores einer Funktion bestimmen,
wohlbekannt, daß zumindest eine der Variablen p,q,r .. einen Wert aufweisen muß, der sich
von den Werten der anderen Variablen in diesem speziellen Fall unterscheiden muß. Wenn nur
zwei Variable zur Unterbringung dreier Werte zur Verfügung stehen, können wir zwischen so-
genannter symmetrischer und asymmetrischer Akzeptanz und Rejektion unterscheiden. Die
folgende Tabelle V
75
p
1
2
q
2
l
sym asym
Akzeptanz
1
1
2
2
1
2
2
1
sym
3
3
asym
Rejektion
1
3
3
1
2
3
3
2
zeigt für den Fall p=l und q=2 und vice versa die möglichen Bewertungen für symmetrische
und asymmetrische Akzeptanz und Rejektion.Wenn die Akzeptanz symmetrisch ist, werden
beide Bewertungen von p und q mittels desselben Wertes akzeptiert. Im asymmetrischen Fall
unterscheiden sich die Akzeptanzwerte. Dasselbe gilt für die Rejektion. Hier kann eine feinere
Unterscheidung getroffen werden gemäß, welcher der beiden Werte 1 oder 2 die Rejektion
asymmetrisch macht. In unserer gegenwärtigen Diskussion werden wir diese Möglichkeit nicht
berücksichtigen, welche für umfassendere Logiksysteme von beträchtlichem Nutzen ist. Wir
wollen nur die allgemeinen Prinzipien zur Klassifikation der m-wertigen "Aussagen"-Operati-
onen aufzeigen, ohne sämtliche Möglichkeiten der Unterteilung auszunützen. Was unberück
sichtigt bleibt, sind zusätzliche Klassifikationsprinzipien, die sich aus einer weiteren Analyse
des Cores einer Wertesequenz ergeben. Die Klassifikationstabelle VI lautet wie folgt:
76
VI Klassifikation der 19683 binären Operationen der dreiwertigen Logik
A: Operationen ohne Rejektionwerte:
I. Symmetrische Bewertungen
Frame Anzahl der Operationen
irref1 8
ref1 2 x 8 = 16
irref2 8
ref2 5 x 8 = 40
irref3 8
ref3 5 x 8 = 40
irref4 8
ref4 5 x 8 = 40
irrefS 8
ref5 5 x 8 = 40
(Um die folgenden Teile der Tabelle zu verkürzen, werden wir von nun an die Frames 2 bis 5
zusammenfassen, da sie stets dieselbe Anzahl reflexiver Wertbesetzungen haben)
n. Asymmetrische Bewertung
Frame Anzahl der Operationen
irref1 56
ref1 2x56.= 112
irref2"5 4 x 56 = 224
ref2"5 4 x 2 8 0 = 1120
77
Anzahl der Operationen von AI und AII: 1728
B: Operationen mit Rejektionswerten
I. Symmetrische Bewertung
a) Teilsystem 1 '2
Frame Anzahl der Operationen
irref1
ref1
irref2"5
ref2"5
2x4 .=
5 x 1 6 =
insgsamt
4
8
16
80
108
b) Teilsystem 2'3
c) Teilsystem 1 '3
d) Teilsysteme 1 '2 und 2'3
insgsamt 108
insgsamt 108
Frame Anzahl der Operationen
irref1
ref1
irref2~5
ref2"5
2 x 2 =
5 x 8 =
insgsamt
2
4
8
40
54
78
e) Teilsysteme 2'3 und 1 ' 3
insgsamt 54
f) Teilsysteme 1 ' 2 und 1 ' 3
g) Sämtliche Teilsysteme
insgsamt 54
Frame Anzahl der Operationen
irref1
ref1
irref2"5
ref2"5
2 x 1 =
5 x 4 =
insgsamt
1
2
4
20
27
Anzahl der Operationen von B I: 513
n. Asymmetrische Wertbelegung
a) Teilsystem 1 '2
Frame Anzahl der Operationen
irref1
ref1
irref2"5
ref2"5
76
2 x 7 6 = 152
4 x 76 = 304
4 x 380 = 1520
insgsamt 2052
79
b) Teilsystem 2'3
insgsamt 2052
c) Teilsystem 1 '3
insgsamt 2052
d) Teilsysteme 1'2 und 2'3
Frame Anzahl der Operationen
irref1
ref1
irref2"5
ref2"5
98
2 x 98 = 196
4 x 98 = 392
4 x 4 9 0 = 1960
insgsamt 2646
e) Teilsysteme 2 3 und 13
f) Teilsysteme 1 '2 und 13
g) Sämtliche Teilsysteme
insgsamt 2646
insgsamt 2646
Frame Anzahl der Operationen
irref1
ref1
irref2'*
ref2"5
124
2 x 124 = 248
4 x 124 = 496
4 x 620 = 2480
insgsamt 3348
80
Anzahl der Operationen von B II: 17442
Diese Klassifikationstabelle läßt sich auch verallgemeinem, wenn entweder mehr Variable oder
mehr Werte oder beides eingeführt werden. Es wird behauptet, daß dies alle grundsätzlichen
logischen Konzepte nach sich zieht, die sich auf den Kommunikationsprozeß beziehen. Über
dies wird gezeigt, daß es unter den
1278 Operationen von AI und AII
513 Operationen von B I
17442 Operationen von B II
19683 Operationen
eine, nämlich B i g ) irref1, gibt, die die Schlüßelsequenz des gesamten Systems bildet, indem
sie sich durch sehr einzigartige Eigenschaften auszeichnet. (B I g) irref1 ist die Funktion T aus
Tabelle II.) Der phantastische Reichtum an Aussagenoperationen eines mehrwertigen Systems
hat bislang ein ernstes Hindernis für die Anwendung dieser Systeme auf das Problem von
Kommunikation dargestellt. Die oben durchgeführte Klassifikation sollte diese Aufgabe erleich
tern. Der Kommunikationsprozeß, wenn er nur in Begriffen von Information beschrieben wird,
bezieht sich logisch ausschließlich auf die Gruppe A unserer Klassifikation. Das Konzept von
Sinn ist mit der Gruppe B verbunden. Die Verbindung von Information und Sinn jedoch er
fordert A und B.
Anmerkungen
[1] S. Claude Shannon: "A Mathematical Theory of Communication", Bell Syst.Tech. Journal
27, pp. 379-423 and 623-656.
[2] Die Asymmetrie von Zweideutigkeit, Hx(y) kann in diesem Kontext vemachläßigt werden.
Nur der Fall H(x) + H(y) = H(x,y) wird betrachtet.
[3] Vgl. H. Reichenbach, Experience and Prediction, Chicago, p. 326ff. Ebenso: G. Günther,
Cybernetic Ontology and Transjunctional Operations. Self-Organizing Systems (Hrg.
Yovits, Yacobi, Goldstein) Spartan Books, Washington, 1962.
81
[4] Cybernetic Ontology ... p. 347 ff
[5] "Die Logik des Seins und die Logik der Reflexion", Zeitschrift für philosophische
Forschung XU, 3 (1958), pp 360-407
[6] Cybernetic Ontology ... p. 357
82