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Friedrich Noltenius r Nachruf von Alfred Denker. Reiche Ernte hat der Tod innerhalb des letztverflossenen Jahres unter den /ilteren Faehkollegen gehalten, eine grol3e Zahl yon hoch- verdienten M/~nnern, deren Namen zum Teil weir fiber die deutschen Grenzen hinaus leuehteten (K6rner, Barany, Mann u. a.), sind yon uns gegangen; und nun ist ihnen vor kurzem infolge eines tragischen Unfalls im Dienste des Vaterlandes ein durch ungew6hnliche Geistesgaben und durch hervorragende Charaktereigenschaften ausgezeichneter Kollege im besten Mannesalter gefolgt, yon dem wir nacb seinen bisherigen Leistungen mit Recht nicht nur eine F6rderung unseres Faches, sondern auch der Gesamtwissensehaft erwarten durften: Friedrich Noltenius, Berlin-Neuk611n. Hervorgegangen aus hanseatisch-nieders/~chsischem Geschlecht, geb. am 5. Januar 1894 in Bremen a]s Sohn des bekannten Oto-Laryngologen Prof. Dr. Hermann Noltenius und seiner einer ange- sehenen Kieler Familie entstammenden Gattin, verlebte er seine Kindheit und Sehulzeit in seiner Vaterstadt. Alsdann begab er sich im Herbst 1912 zum Studium der Medizin nach Tfibingen und war bier wie sein Vater in der Burschenschaft Germania aktiv, his ihn der Ausbruch des Weltkrieges als Kriegsfreiwilligen beim 13. Feld.-Art.-Regt. ins Feld ffihrte. Zuerst in Frankreich, dann im Osten und darauf wieder in Frank- reich und Belgien, nahm er an zahlreichen Schlachten teil, wurde 1916 zum Leutnant d. Res. bef6rdert und mit dem E.K. I ausgezeichnet. Ende 1917 meldete er sich zum Dienst bei der Flugwaffe, kam 1918 zum Richtho/engeschwader; hier zeigte sich seine seltene Begabung als hervorragender Kampfflieger, die es ihm erln6glichte, am Ende des Krieges innerhalb kurzer Zeit 22 anerkannte Luftsiege, darunter 8 fiber Luftballone, zu erfechten. Seine sofort nach Entlassung aus dem Heeresdienst wieder auf- genommenen medizinischen Studien, die jedoeh dutch seine energische Beteiligung an der Niederwerfung der spartakistischen Aufsti~nde in Stuttgart, ferner bei der Eroberung yon Augsburg und Mfinchen mehr- fach unterbrochen wurden, gelangten 1921 in G6ttingen zum Abschlu6. Bald naeh Erlangung der Approbation wurde ihm das grof3e Glfick zuteil, eine Lebensgef~thrtin zu linden, die ihm nicht nur w~hrend seiner 15j~hri- gen Ehe als liebevolle Gattin und treu sorgende Mutter ihrer 3 Kinder zur Seite stand, sondern yon der gleichen Tatkraft und Lebensauffassung beseelt wie er selbst, ihm bei der Sehaffung seiner wissenschaftlichen Werke

Friedrich Noltenius

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Friedrich Noltenius r

Nachruf v o n

Alfred Denker.

Reiche Ernte hat der Tod innerhalb des letztverflossenen Jahres unter den /ilteren Faehkollegen gehalten, eine grol3e Zahl yon hoch- verdienten M/~nnern, deren Namen zum Teil weir fiber die deutschen Grenzen hinaus leuehteten (K6rner, Barany, Mann u. a.), sind yon uns gegangen; und nun ist ihnen vor kurzem infolge eines tragischen Unfalls im Dienste des Vaterlandes ein durch ungew6hnliche Geistesgaben und durch hervorragende Charaktereigenschaften ausgezeichneter Kollege im besten Mannesalter gefolgt, yon dem wir nacb seinen bisherigen Leistungen mit Recht nicht nur eine F6rderung unseres Faches, sondern auch der Gesamtwissensehaft erwarten durften: Friedrich Noltenius, Berlin-Neuk611n. Hervorgegangen aus hanseatisch-nieders/~chsischem Geschlecht, geb. am 5. Januar 1894 in Bremen a]s Sohn des bekannten Oto-Laryngologen Prof. Dr. Hermann Noltenius und seiner einer ange- sehenen Kieler Familie entstammenden Gattin, verlebte er seine Kindheit und Sehulzeit in seiner Vaterstadt. Alsdann begab er sich im Herbst 1912 zum Studium der Medizin nach Tfibingen und war bier wie sein Vater in der Burschenschaft Germania aktiv, his ihn der Ausbruch des Weltkrieges als Kriegsfreiwilligen beim 13. Feld.-Art.-Regt. ins Feld ffihrte. Zuerst in Frankreich, dann im Osten und darauf wieder in Frank- reich und Belgien, nahm er an zahlreichen Schlachten teil, wurde 1916 zum Leutnant d. Res. bef6rdert und mit dem E . K . I ausgezeichnet. Ende 1917 meldete er sich zum Dienst bei der Flugwaffe, kam 1918 zum Richtho/engeschwader; hier zeigte sich seine seltene Begabung als hervorragender Kampfflieger, die es ihm erln6glichte, am Ende des Krieges innerhalb kurzer Zeit 22 anerkannte Luftsiege, darunter 8 fiber Luftballone, zu erfechten.

Seine sofort nach Entlassung aus dem Heeresdienst wieder auf- genommenen medizinischen Studien, die jedoeh dutch seine energische Beteiligung an der Niederwerfung der spartakistischen Aufsti~nde in Stuttgart, ferner bei der Eroberung yon Augsburg und Mfinchen mehr- fach unterbrochen wurden, gelangten 1921 in G6ttingen zum Abschlu6. Bald naeh Erlangung der Approbation wurde ihm das grof3e Glfick zuteil, eine Lebensgef~thrtin zu linden, die ihm nicht nur w~hrend seiner 15j~hri- gen Ehe als liebevolle Gattin und treu sorgende Mutter ihrer 3 Kinder zur Seite stand, sondern yon der gleichen Tatkraft und Lebensauffassung beseelt wie er selbst, ihm bei der Sehaffung seiner wissenschaftlichen Werke

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eine unentbehrliehe Mitarbeiterin wurde; sie war seine gesehiekte Assi- stentin in der Praxis, ffihrte als Sekret~rin seine Bfieher, fibernahm das Lesen der Korrekturen seiner Arbeiten und hat ihm besonders w/~hrend des Aufenthaltes in Argentinien nile Sehwierigkeiten der Lebensf/ihrnng aus dem Wege ger/tumt. Die Ausbildung zum Oto-Laryngologen erhielt Noltenius an der Tfibinger Universit~t und an der Klinik seines Vaters in Bremen, wo er sich im Frfihjahr 1923 als Faeharzt niederlieB. Die Tgtigkeit in seiner Vaterstadt war jedoch nur yon kurzer Dauer; die trost- losen Verh/fltnisse, in die unser Vaterland durch die Inflation geriet, lieBen den bei fast allen an der Nordseekfiste beheimateten Volksgenossen vorhandenen Auswanderungsdrang zum Durchbrueh kommen und ver- anlaftten ihn im Sommer 1923 zur !~bersiedlung nach Sfidamerika. Dort hat er sich nach Ablegung des med. Staatsexamens in spaniseher Spraehe zuerst in Montevideo und sp/~ter in Argentinien 10 Jahre lang als Arzt bet/~tigt und trotz erheblicher wirtschaftlieher Sehwierigkeiten noch Zeit und Neigung gefunden, sich wissenschaftlich zu betgtigen. Von seinen 33 in verschiedenen Zeitschriften ver6ffentlichten Arbeiten, deren gr6Berer Tell dem Gebiete der Oto-Laryngologie angehOrt, wurden mehr als die Hglfte in Argentinien verfa6t ; was das bedeutet, l~Bt sich ermessen, wenn man sieh vor Augen h/s dab diese Ver6ffentliehungen fern yon Biblio- theken und Literaturbeschaffungsm6gliehkeiten und zum Teil in einem kleinen argentinischen St/~dtchen ohne Kon tak t mit wissenschaftlieh Gleichstrebenden verfaBt wurden. Aus dieser Zeit s t ammt die Mehr- zahl seiner wertvollen Untersuehungen fiber den Vestibularapparat , zu denen er durch seine Beobaehtungen beim Fliegen angeregt worden war. ,,Flug und Otolithenorgan", ,,Zur Psyehophysik des Vestibularapparates, zugleieh ein Beitrag zum Problem der Seekrankheit", Beobaehtungen an segelnden Meerv6geln", ,,Wirkung des Sauerstoffmangels in gr6Beren H6hen beim Fliegen" u . a . Die iibrigen Arbeiten aus dem Gebiet der Oto-Laryngologie befassen sich mit der ~_tiologie, der Diagnostik und Therapie der Krankheiten des Ohres und der Luftwege und braehten maneherlei bemerkenswerte Anregungen.

Wenn schon die genannten Leistungen - - Auswanderung, Aneignung einer fremden Sprache, Erwerb einer ausgedehnten Praxis und Ver- 5ffentlichung zahlreieher Arbeiten - - uns mit grSl~ter Aehtung vor dem Tatendrang und der Energie des Verstorbenen und seiner geistigen Begabung erfiillen, so stehen wir mit Staunen und Bewunderung vor der Tatsaehe, dab Noltenius es fertig brachte, im Ausland ohne Hilfsmittel ein umfangreiehes Buch ,,Die Geffihlswerte, eine Psychologie der Tiefe"

�9 zu verfassen, das im Jahre 1922 mit Unterstiitzung der Notgemeinsehaft der Deutsehen Wissensehaft ersehien und yon philosophischer Seite starke Beachtung land; es ]iefert den Beweis, daft der Verf. sich schon lange, bevor er Deutschland verlieB, eingehend mit naturwissenschaft- lichen und psyehologischen Studien beseh/s haben mu6te. Diesem

94 Alfred Denker.

ersten grSBeren Werke folgten in Deutschland 1934 das Buell ,,Materie, Psyche, Geist" und 1935 naturphilosophisehe Untersuehungen unter dem Titel ,,Raum, Strahlung, Materie". Es wiirde zu weir fiihren, an dieser Stelle eingehend fiber den Inhalt dieser Biieher zu beriehten, nur ein kurzer Auszug aus der Bespreehung des ersteren in der Zeitsehrift ,,Unsere Welt" dureh den bekannten Philosophen Prof. Bavinlc sei hier einzufiigen gestattet :

,,Das Buch stellt einen wahl'haft groBzfigigen, bis zu den Tiefen grabenden Versueh dar, sowohl den irrationalen Hinter- und Untergrtinden Mles mensehliehen Geisteslebens und Erkennens, wie seiner rationalen Entwieklung yell gereeht zu werden. Es ist das Bueh eines Arztes und Psyehologen, aber zugleieh das eines grtindliehsten Kenners sowohl der Gesehiehte der Philosophie wie des Gesamt- standes der heutigen Wissensehaft und es ftihrt eben dadureh zu einer sehr beaeh- tenswerten und in vielen Teilen originalen erkenntnistheoretisehen Leistung."

Als Anfang 1933 in Deutschland der Umbrueh und die Grtindung des I I I . Reiehes dureh Adol[ Hitler erfolgte, hielt es Noltenius nieht mehr in der Ferne, or kehrte mit seiner Familie in die Heimat zuriiek und iibernahm in Berlin-Neuk6]ln die Praxis eines Fachkollegen. Zu gleieher Zeit widmete er sieh yon neuem dem Flugdienste und konnte sick bei diesen Bestrebungen der F6rderung dureh Generaloberst G6ring, dem er von seiner T/~tigkeit im Felde her nahe stand, erfreuen. Im Besitze des Pilotenseheines trat er als Sturmarzt und Kettenfiihrer in die Fliegerstiirme des deutsehen Luftsportverbandes ein und durfte dureh die Ausbildung von Fliegern an dem Wiederaufbau unserer Luft- truppe teilnehmen. Und bei Austibung dieser T/ttigkeit hat ihn, der im Felde zahlreiche Fliige und Luftk~mpfe gliieklieh iiberstanden hatte, am 12. M/~rz durch don Zusammensto6 seines Flugzeuges mit einem anderen Flugzeug, der Tod im Dienste des Vaterlandes ereilt. Mit mili- t/~risehen Ehren wurden seine irdisehen ~berreste am 17. Ms unter der Teilnahme yon Vertretern des Luftfahrtministeriums und des Luft- schutzes, sowie yon Ms tier Wissenschaft der Erde iibergeben. An seinem Surge, den auger vielen anderen Kranzspenden aueh ein yon G6ring iibersandter praehtvoller Lorbeerkranz mit der Aufsehrift: ,,Dem toten ttelden! Hermann G6ring" schmfiekte, hielten 8 Fliegeroffiziere und Flieger~trzte die Totenwaeht.

An der Trauer der sehwer getroffenen Angeh6rigen des Verstorbenen haben aueh wir, seine Fachkollegen, allen Grund tei]zunehmen, wir diirfen stolz darauf sein, dug wir einen mit so seltenen Gaben dos Geist.es und Charakters ausgestatteten Mann yon heroisehem Typ zu den Un- serigen z/~hlen k6nnen und werden ihm ein treues Andenken bewahren.