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14 DO · Deutsche Zeitschrift für Osteopathie, 2/2010; Hippokrates Verlag A us physiologischer Sicht werden die Funktionen des Bindegewebes als verbindend, stützend, schüt- zend, abwehrend, informierend, beför- dernd und ernährend beschrieben [1]. Ähnlich benennt Paoletti auch die Funk- tionen der Faszien [10]. Erst die Arbei- ten von Pischinger und Heine lösen die- ses „Problem“ [11, 5]. Die Funktionen von Faszien und Bindegewebe sind nicht von- einander zu trennen. Damit ist der Weg frei für den Begriff Mesoderm. Denn alle Abkömmlinge des Mesoderms besitzen den gleichen Aufbau (Form) und damit ähnliche Funktionen. Alle Strukturele- mente der extrazellulären Matrix (EZM) sind direkte Abkömmlinge der Mes- enchymzellen, jene allmächtigen Bin- degewebszellen, die überall im Körper zu finden sind und überall die gleichen Funktionen haben. Somit sind auch die vielen Äußerungen von Still, Sutherland und Littlejohn über Faszien, Fluida und Umhüllungen besser zu verstehen. Ausgehend von der kleins- ten Einheit des Lebens, die Zelle mit ihrer Umgebung (und nicht nur die Zelle des Virchowschen Zellparadigmas), bis hin zu den elektrischen und elektromagneti- schen Feldern, stellt der „mesenchymale Mensch“ die Grundlage osteopathischen Denkens und Handels dar. Mehr Reaktion als Aktion Funktionell werden Faszien makrosko- pisch und mikroskopisch dargestellt. Phä- nomenologisch sind aber alle Funktionen Reaktionen auf Einwirkungen von Druck-, Zug- und Scherkräften. Dies gilt sowohl für alle statischen Funktionen (Faszien als verbindende, stützende oder schützen- de Strukturen), als auch für die Abwehr, Information und Ernährung. Alle Funktio- nen basieren auf Reaktionen des Gewebes durch Informationen von außen. Druck kann entstehen durch raumgreifende oder -füllende Ereignisse. Scher- oder Torsionskräfte treten auf, wenn Gewe- be mehrere Reaktionsebenen und -zeiten benötigt. Das gesamte Bindegewebe/Fas- ziensystem ist damit eher reaktiv und erst in zweiter Linie aktiv. Eine primäre, sta- bilisierend aktive Wirkung hat das Binde- gewebe auf zellulärer Ebene. Hier sorgen die Strukturelemente der EZM für eine Homöodynamik im Körper [5]. Aber auch hier können wir nur von Information von außen sprechen. Diese Menge an kleinsten Wirkungen er- geben Kräfte, die es uns ermöglichen, unsere Statik ohne Muskelaktivität zu er- halten, ebenso wie unsere Dynamik ohne viel Energieverlust. Das Bindegewebe ist das größte Organsystem im Körper mit einem Anteil am Körpergewicht von 30 %. Rolle der Faszien und des Bindegewebes Sämtliche Krafteinwirkungen auf den Körper, auch die therapeutischen, zeigen die gleichen Muster an Informationswe- gen. Und alle kommen sie bis an die Zell- membran der einzelnen Zellen heran. So wie jede Krankheit durch den „inne- ren Kreislauf“ [4] bis an die Zellen führt, so erreicht auch jede Krafteinwirkung die einzelnen Zellen. Und immer gibt es eine genetische Antwort der Zellen, da sie immer über die Zellmembran informiert werden (Second Messenger), deren spe- zielle, mechanosensible Gene reagieren. Die Faszien bzw. das Bindegewebe spie- len in diesem multiplen Orchester eine sehr wichtige Rolle. Zuerst als Umhül- Mikro- und makroskopische Betrachtung der Faszienfunktionen Rob Kwakman Zusammenfassung Faszien entstammen dem Mesoderm und üben die gleichen Funktionen wie Bindegewebe aus. Diese basieren auf Reaktionen durch Informationen von außen. Wirken Kräfte auf diese Gewe- be ein, so lassen sich auf makroskopi- scher Ebene spezifische Basisphänomene in der extrazellulären Matrix und an den Zellmembranen beschreiben. Sie erklä- ren wie osteopathische Techniken als mechanische Krafteinwirkungen wirken und warum die Osteopathie als biologi- sche Medizin gilt. Summary Microscopic and Macroscopic Reflections on the Functions of Fascias Fascias originate from the mesoderm and have the same functions as the connective tissue. These are based on reactions to information from outside. If forces act on these tissues, specific basic phenomena can be described on a macroscopic level in the extracellular matrix and at the cell membranes. They explain how osteopathic techniques can be effective as mechanical forces, and why osteopathy is considered as biological medicine. Résumé Considérations micro- et macro- cospiques des fonctions des faciès Les faciès proviennent du mésoderme et exercent les mêmes fonctions que les tissus conjonctifs. Ceux-ci se basent sur les réactions provenant d’informations extérieures. Si des forces agissent sur ces tissus, cela peut, au niveau macro- scopique, engendrer des phénomènes de base spécifiques dans la matrice extracellulaire et dans les membranes cellulaires. Ils expliquent comment les techniques ostéopathiques agissent comme actions mécaniques et pour- quoi l’ostéopathie passe pour être une médecine biologique. Osteopathisch betrachtet ist eine Trennung der verschiedenen Arten von Bindegewebe nicht förderlich. Ich möchte sogar soweit gehen, das gesamte Mesoderm funktionell als Fasziengewebe zu betrachten und mit diesem Artikel den Versuch einer Erklärung unternehmen. Focus

Focus Mikro- und makroskopische Betrachtung der ... und makroskopische Betrachtun… · Ähnlich benennt Paoletti auch die Funk-tionen der Faszien [10]. Erst die Arbei-ten von Pischinger

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Page 1: Focus Mikro- und makroskopische Betrachtung der ... und makroskopische Betrachtun… · Ähnlich benennt Paoletti auch die Funk-tionen der Faszien [10]. Erst die Arbei-ten von Pischinger

14 DO · Deutsche Zeitschrift für Osteopathie, 2/2010; Hippokrates Verlag

Aus physiologischer Sicht werden die Funktionen des Bindegewebes als verbindend, stützend, schüt-

zend, abwehrend, informierend, beför-dernd und ernährend beschrieben [1]. Ähnlich benennt Paoletti auch die Funk-tionen der Faszien [10]. Erst die Arbei-ten von Pischinger und Heine lösen die-ses „Problem“ [11, 5]. Die Funktionen von Faszien und Bindegewebe sind nicht von-einander zu trennen. Damit ist der Weg frei für den Begriff Mesoderm. Denn alle Abkömmlinge des Mesoderms besitzen den gleichen Aufbau (Form) und damit ähnliche Funktionen. Alle Strukturele-mente der extrazellulären Matrix (EZM) sind direkte Abkömmlinge der Mes-enchymzellen, jene allmächtigen Bin-degewebszellen, die überall im Körper zu finden sind und überall die gleichen Funktionen haben.Somit sind auch die vielen Äußerungen von Still, Sutherland und Littlejohn über

Faszien, Fluida und Umhüllungen besser zu verstehen. Ausgehend von der kleins-ten Einheit des Lebens, die Zelle mit ihrer Umgebung (und nicht nur die Zelle des Virchowschen Zellparadigmas), bis hin zu den elektrischen und elektromagneti-schen Feldern, stellt der „mesenchymale Mensch“ die Grundlage osteopathischen Denkens und Handels dar.

Mehr Reaktion als AktionFunktionell werden Faszien makrosko-pisch und mikroskopisch dargestellt. Phä-nomenologisch sind aber alle Funktionen Reaktionen auf Einwirkungen von Druck-, Zug- und Scherkräften. Dies gilt sowohl für alle statischen Funktionen (Faszien als verbindende, stützende oder schützen-de Strukturen), als auch für die Abwehr, Information und Ernährung. Alle Funktio-nen basieren auf Reaktionen des Gewebes durch Informationen von außen. Druck kann entstehen durch raumgreifende oder -füllende Ereignisse. Scher- oder Torsionskräfte treten auf, wenn Gewe-be mehrere Reaktionsebenen und -zeiten benötigt. Das gesamte Bindegewebe/Fas-ziensystem ist damit eher reaktiv und erst in zweiter Linie aktiv. Eine primäre, sta-bilisierend aktive Wirkung hat das Binde-

gewebe auf zellulärer Ebene. Hier sorgen die Strukturelemente der EZM für eine Homöo dynamik im Körper [5]. Aber auch hier können wir nur von Information von außen sprechen.Diese Menge an kleinsten Wirkungen er- geben Kräfte, die es uns ermöglichen, unsere Statik ohne Muskelaktivität zu er - halten, ebenso wie unsere Dynamik ohne viel Energieverlust. Das Bindegewebe ist das größte Organsystem im Körper mit einem Anteil am Körpergewicht von 30 %.

Rolle der Faszien und des BindegewebesSämtliche Krafteinwirkungen auf den Körper, auch die therapeutischen, zeigen die gleichen Muster an Informationswe-gen. Und alle kommen sie bis an die Zell-membran der einzelnen Zellen heran. So wie jede Krankheit durch den „inne-ren Kreislauf“ [4] bis an die Zellen führt, so erreicht auch jede Krafteinwirkung die einzelnen Zellen. Und immer gibt es eine genetische Antwort der Zellen, da sie immer über die Zellmembran informiert werden (Second Messenger), deren spe-zielle, mechanosensible Gene reagieren. Die Faszien bzw. das Bindegewebe spie-len in diesem multiplen Orchester eine sehr wichtige Rolle. Zuerst als Umhül-

Mikro- und makroskopische Betrachtung der Faszienfunktionen Rob Kwakman

ZusammenfassungFaszien entstammen dem Mesoderm und üben die gleichen Funktionen wie Bindegewebe aus. Diese basieren auf Reaktionen durch Informationen von außen. Wirken Kräfte auf diese Gewe-be ein, so lassen sich auf makroskopi-scher Ebene spezifische Basisphänomene in der extrazellulären Matrix und an den Zellmembranen beschreiben. Sie erklä-ren wie osteopathische Techniken als mechanische Krafteinwirkungen wirken und warum die Osteopathie als biologi-sche Medizin gilt.

SummaryMicroscopic and Macroscopic ­Reflections­on­the­Functions­of­Fascias­Fascias originate from the mesoderm and have the same functions as the connective tissue. These are based on reactions to information from outside. If forces act on these tissues, specific basic pheno mena can be described on a macroscopic level in the extracellular matrix and at the cell membranes. They explain how osteopathic techniques can be effective as mechanical forces, and why osteopathy is considered as biological medicine.

RésuméConsidérations­micro-­et­macro- cospiques­des­fonctions­des­facièsLes faciès proviennent du mésoderme et exercent les mêmes fonctions que les tissus conjonctifs. Ceux-ci se basent sur les réactions provenant d’informations extérieures. Si des forces agissent sur ces tissus, cela peut, au niveau macro-scopique, engendrer des phénomènes de base spécifiques dans la matrice extracellulaire et dans les membranes cellulaires. Ils expliquent comment les techniques ostéopathiques agissent comme actions mécaniques et pour-quoi l’ostéopathie passe pour être une médecine biologique.

Osteopathisch betrachtet ist eine Trennung der verschiedenen Arten von Bindegewebe nicht förderlich. Ich möchte sogar soweit gehen, das gesamte Mesoderm funktionell als Fasziengewebe zu betrachten und mit diesem Artikel den Versuch einer Erklärung unternehmen.

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lung für das Wasser im Körper. Das als Fluida bekannte Element dient der Infor-mationsübertragung, dem Wärmeaus-tausch und als Elektrizitätsspeicher, um nur einige offensichtliche Funktionen zu benennen. Diese Umhüllung ist aber immer auch Filter und Speicher, auf Aus-gleich von Kraft und Tonus, bzw. Tension, bedacht. Inhalt und Umhüllung, Wasser und Bindegewebe oder Fluida und Faszi-en bilden eine Polaritätseinheit, die auch Grundlage für alle rhythmischen Vorgän-ge im Körper ist. Rhythmus ist dabei als Versuch eines biologischen offenen Sys-tems (= Mensch) zu verstehen, mit einem differenzierten Chaos fertig zu werden [5, 6]. Rhythmus im Körper kann als Oszil-lationen der Gewebe beobachtet werden, zyklische Umsetzung von AMP in ATP in den Mitochondrien, Zirkadianrhythmen an der Membran (cAMP) [7] sowie als Ausdruck des primären respiratorischen Mechanismus (Expansion - Retraktion, Flexion - Extension). Unsere Nahrungs-aufnahme ist chaotisch und Verdauung ist der Versuch, durch Sekretion und selek-tive Aufnahme, den Rhythmus zurück zu gewinnen und dadurch die Integration zu erhalten. Das Bindegewebe sichert diese Integration (= Homöodynamik).

Wie Kräfte einwirkenZurück zu den Krafteinwirkungen auf und im Körper: Die Kräfte kommen von außen und wirken zuerst auf unsere Haut ein. Die Haut wird informiert, aber reagiert nicht gleich. Erst nach etwas Zeit oder bei größeren Kräften entstehen Reakti-onsmuster, lokal und zentral reguliert vor allem als Tonuserhöhung durch Flüssig-keitsansammlung. Die Kraft erreicht das Bindegewebe und wird als Druck, Zug oder Torsion weitergeleitet in die EZM. Hier sind alle Systeme auf dieses Ereig-nis eingestellt. Die Zellen, die Flüssigkeit, die Weitervermittlung, das Reaktionspo-tenzial: Alles ist geordnet und bereit. Die Weitervermittlung erfolgt an die Basal-membran, an die Integrine in den Zell-membranen und an die mechanosensib-len Gene.

BasisphänomeneHierbei sind verschiedene chemische und physikalische Basisphänomene zu beob-achten, sowohl an der Zellmembran wie auch im System der EZM.

1. Ein Rhythmus in der Bindung von Was-ser mit den Strukturelementen der EZM: Die Hyaluronsäure und das Enzym Hyalu-ronidase sind hierbei Antagonisten. Es kommt rhythmisch zur Bildung einer gel-artigen Masse, wobei das Wasser abwech-selnd gebunden oder frei ist. Diese Gel- und Solphasen sind nicht mit kranialen Rhythmen zu vergleichen [12]. Aber Druck führt zu Verschiebungen in den Wechsel-phasen und hat möglicherweise Auswir-kungen bei mechanischem Dauerstress. 2. Eine Mechanostress-Signaltransduk-tion über die Zellmembran: Diese Reak-tion der EZM auf Stress/Druck ist das Zusammenspiel zwischen Wachstums-faktoren, Integrine und EZM-produzie-renden Zellen. Integrine sind Glykopro-teine, die die Zellmembran durchsetzen und mit dem Zytoskelett (Mikrofilamen-te und Mikrotubuli) in Verbindung ste-hen [5].Dabei spielen die Integrine eine heraus-ragende Rolle. Integrine leiten Informati-onen bidirektional nicht nur in, sondern auch aus der Zelle in die EZM. Sie regulie-ren damit das Verhalten der Zelle sowie

die EZM bei Druck. Die Wirkungen in die Zelle hinein erfolgen über Kinasen (PIP-Kinase, MAP-Kinase und ERK-Kinase). Diese regen im Zellkern Stress-responsi-ve Genes an, worauf die entsprechende Synthese von EZM-Komponenten über Wachstumsfaktoren startet. 3. Die negativ geladenen Strukturele-mente der EZM (vor allem Proteoglyka-ne): Unter Druck-, Zug- und Torsionskräf-ten reagieren diese Elemente auch mit Änderungen des elektrischen Potenzials. Dadurch werden verschiedene Funkti-onen der EZM neu orientiert. Kollagen und Elastin werden „auf Linie“ gebracht. Bindungsbrücken zwischen den Struk-tur elementen bilden sich. Wasser strömt vermehrt in die Fibroblasten hinein und erhöht damit den Turgor dieses Gewebes. Insgesamt „verteidigt“ sich das Bindege-webe durch Änderung des elektrischen Potenzials. Weitere Folgen betreffen mehr die Permeabilität der Zellmembran (z. B. Gap Junctions), auch mit Folgen für die Funktion des Bindegewebes (siehe Integ-rine). Gleichzeitig werden Reaktionskräf-te mobilisiert, die eine Homöodynamik

((Anz. 1/4 Severins))

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auch auf elektrischer Ebene gewährleis-ten.4. Das im hohen Maße piezoelektrische Strukturglykoprotein Kollagen: Unter mechanischer Beanspruchung (Druck, Zug, Torsion) entstehen Deformatio-nen, die elektrische Ladungen zur Folge haben. Diese Eigenschaft des Kollagens ist wichtig für Ausrichtung und Wachs-tum der Kollagenfibrillen und Kollagenfa-sern. Sie ist damit ein bedeutender Faktor zum Erhalt der Homöodynamik im Kör-per [2]. Zusätzlich ergibt sich damit die Möglichkeit der schnellen Informations-weiterleitung. Denn die dabei entstehen-den elektromagnetischen Felder kön-nen Schwingungen mit verschiedenen Resonanzfrequenzen anregen [5]. Bergs-mann und Bergsmann schreiben den gro-ßen Bindegewebssepten zwischen den Muskelketten und den Ursprungs- und Ansatzsehnen besondere elektromagne-tische Aktivität zu [3].5. Das Phänomen Entrainment an der Zellmembran [9]: Basalmembranen stel-len aus thermodynamischer Sicht bevor-zugte Strukturen für das Entrainment dar [5]. Entrainment bedeutet, dass die Eigen-frequenz an die Schwingungen eines äu - ßeren Erregers angepasst wird und so dessen Rhythmus übernommen werden kann. Die Basalmembranen haben also nicht nur Schranken- und Siebfunktionen, sondern vermitteln auch Rhythmen des Zell- und EZM-Stoffwechsels, wobei die Glykokalix als Signalverstärker wirkt [5].

Physiologische BetrachtungZusammenfassend betrachtet stellen Faszien/Bindegewebe/Mesoderm ein ge - schlossenes System dar. Es ist das größ-te in unserem Körper und jenes, dass vorrangig auf Druck, Zug und Torsi-on bzw. Scherkräften reagiert. Die Wir-kung der Kräfte geht dabei von außen über das Bindegewebe bis in die EZM. Diese verfügt über Signalverstärkungs-mechanismen, die durch die Zellmemb-ran Informationen ins Zellinnere bringt. Das geschieht über die Basalmembran, den darin verankerten Glykoproteinen (vor allem die Integrine) bis in den Zell-kern zu den spezifischen mechanosen-siblen Genen. Diese Gene regulieren die Reaktionen der Zelle auf Krafteinwirkun-gen vor allem über Wachstumsfaktoren. Normale Funktionen finden über Regel-

kreise (Gene, Wachstumsfaktoren und EZM) statt, die eine Aufrechterhaltung der Homöodynamik garantieren. Dabei sind chemische, physikalische, elektri-sche, elektromagnetische und rhythmi-sche Phänomene zu beobachten.

Mechanik als BasisDamit bestätigt sich, dass die Basis der Osteopathie mechanisch ist. Eine Mecha-nik, die sich in den Funktionen der Faszi-en widerspiegelt, sowohl statisch als auch auf zellulärer Ebene.Osteopathie ist eine Hands-on-Therapie. Osteopathen üben von außen nach innen Kräfte auf den Körper aus. Die Frage, wel-ches Gewebe wir mit dieser Annäherung erreichen, ist für mich in Therapie und Unterricht extrem wichtig. Ich bin der Meinung, dass Osteopathen nur über die Gewebe zu Funktionsbetrachtungen bzw. Dysfunktionslösungen kommen können. Dazu brauchen wir eine Vorstellung, wie unsere Informationen die Gewebe errei-chen und welche Reaktionsmöglichkei-ten wir erzielen können. Welche Kräfte setzen wir ein, welche Reaktionen sind welchen Geweben zuzuordnen? Das viel-fach erwähnte Mental Image ist dabei nur als „Schubkarre“ für unsere Sensibilität zu betrachten. Und die Frage, ob wir als Osteopathen heilen oder der Patient sich heilt, wird durch die Still’schen Prinzipien der Osteopathie immer noch ausreichend beantwortet. Oder um es mit Sutherlands Worte zu ergänzen: „The body is in com-mand.“

Osteopathie als biologische MedizinAuch in der modernen Betrachtung der menschlichen Funktionen aus der Emb-ryologie heraus werden Osteopathen nicht darum herumkommen, sich die Frage zu stellen, welches Gewebe sie erreichen. Ich glaube nicht, dass man direkt auf das Endoderm oder Ektoderm einwirken kann. Wohl aber steht mir das Mesoderm zur Verfügung, vor allem für eine mechanische Therapie. Mit den biophysikalischen und biochemischen Erkenntnissen aus der Erforschung dieses Mesoderms, kann ich über Druck-, Zug- und Torsionskräfte sowie über Schwin-gung (Entrainment) und elektrische und elektromagnetische Phänomene direkt Einfluss nehmen auf die homöodynami-schen Funktionen des Körpers. Ob ich das

dann Biodynamik, strukturelle oder fas-ziale Osteopathie nenne, ist unerheblich. Wichtig bleiben die Prinzipien der Osteo-pathie, das visionäre Wissen der Grün-derväter sowie die Erkenntnisse aus der Forschung und der täglichen Praxis. Und wichtig bleibt die persönliche Kreativi-tät in der Entdeckung der Dysfunktionen und deren Lösung über die Prinzipien der Beeinflussung des Mesoderms, der Faszi-en oder des Bindegewebes.Osteopathische Therapie reiht sich damit ein in die biologische Medizin, die die Grundregulation des Bindegewebes als Ba - sis von Gesundheit und Krankheit sieht.Dazu abschließend ein Zitat von Still: „Ich kenne keinen Körperteil, der den Faszi-en als Aufgabengebiet gleichkäme. Mehr als jeder andere Teil des Körpers werden die Faszien, wenn sie einmal genau erforscht sind, reiche und goldene Gedanken hervor-bringen. Von welchem Blickwinkel wir die Faszien betrachten, überall tun sich Wun-der auf. Die Rolle des Fasziensystems für Leben und Tod ist eines der größten Rät-sel, das es aufzulösen gilt. Faszien umhül-len jeden Muskel, jede Vene, jeden Nerv und sämtliche Organe des Körpers. Es gibt ein Netz von Nerven, Zellen und Röhren, die ein- oder austreten, sich kreuzen und die ohne Zweifel von Millionen von Nervenzel-len und Fasern erfüllt sind, die die Sekre-tion und Ausscheidung der lebenswichtigen und zerstörerischen Flüssigkeiten steuern. Durch ihre Funktion leben wir, durch ihr Scheitern sterben wir“ [8].

[1] Berg v.d. F. Angewandte Physiologie. Teil 1, Das

Bindegewebe. Stuttgart: Thieme; 1999[2] Bergsmann O. Bioelektrische Phänomene und

Regulation. Wien: Facultas; 1994[3] Bergsmann O, Bergsmann R. Projektionssyndro-

me. Wien: Facultas; 1997[4] Eppinger H.. Die Permeabilitätspathologie als

Lehre vom Krankheitsbeginn. Wien: Springer; 1949

[5] Heine H. Lehrbuch der biologischen Medizin. Stuttgart: Hippokrates; 2007

[6] Husemann F, Wolff O. Das Bild des Menschen als Grundlage der Heilkunst. Stuttgart: Freies Geis-tesleben; 2003

[7] Lemmer B. Chronopharmakologie, Tagesrhyth-men und Arzneiwirkung. Stuttgart: WVG; 1984

[8] Magoun H I. Osteopathy in the cranial field. Kirksville: The journal printing company; 1976

[9] Nicholis G, Prigorin I. Die Erforschung der Komplexe. Piper: München; 1987

[10] Paoletti S. Faszien. München: Urban und Fischer; 2001

[11] Pischinger A. Das System der Grundregulation. Stuttgart: Haug; 1998

[12] Roques M, Gabarel B. Les fascias en médicine ostéopathique. Paris: Maloine; 1985

[13] Schiebler T, Schmidt W. Anatomie. Berlin: Sprin-ger; 1991

X Online zu finden unter: http://dx.doi.org/10.1055/s-0030-1249121