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Einführung in die Physikalische Chemie Teil 2: Makroskopische Phänomene und Thermodynamik Kapitel 7: Boltzmann-Verteilung Zustandsbesetzungen im Teilchenensemble Maxwell-Boltzmann-Verteilung Herleitung thermodynamischer Grössen aus Eigenschaften des Teilchenensembles Kapitel 10: Grundlagen der Thermodynamik Die vier Hauptsätze der Thermodynamik Chemisches Potential Kapitel 11: Thermochemie Chemische Anwendungen der Thermodynamik: thermochemische Grössen, Satz von Hess Kapitel 9: Thermodynamik: Vorbereitung Zustandsfunktionen und totales Differential Homogene Funktionen und mechanische Koeffizienten Kapitel 12: Chemisches Gleichgewicht Kapitel 13: Phasenübergänge Reaktionsgleichgewicht, Gleichgewichtskonstanten Temperaturabhängigkeit Phasengleichgewichte und -diagramme Clapeyron-Gleichung und Phasenregel Übergang von mikroskopischer zu makroskopischer Beschreibung Klassische Thermodynamik: Makroskopische Beschreibung der Materie Kapitel 14: Transportvorgänge Materie-, Energie- und Impuls-Transport in Gasen und Flüssigkeiten Kapitel 8: Statistische Beschreibung makroskopischer Grössen

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Einführung in die Physikalische ChemieTeil 2: Makroskopische Phänomene und Thermodynamik

Kapitel 7:Boltzmann-Verteilung

Zustandsbesetzungen im TeilchenensembleMaxwell-Boltzmann-Verteilung

Herleitung thermodynamischer Grössen aus Eigenschaften des Teilchenensembles

Kapitel 10:Grundlagen der Thermodynamik

Die vier Hauptsätze der ThermodynamikChemisches Potential

Kapitel 11:Thermochemie

Chemische Anwendungen der Thermodynamik:thermochemische Grössen, Satz von Hess

Kapitel 9:Thermodynamik: Vorbereitung

Zustandsfunktionen und totales DifferentialHomogene Funktionen und mechanische Koeffizienten

Kapitel 12:Chemisches Gleichgewicht

Kapitel 13:Phasenübergänge

Reaktionsgleichgewicht, GleichgewichtskonstantenTemperaturabhängigkeit

Phasengleichgewichte und -diagrammeClapeyron-Gleichung und Phasenregel

Übergang von mikroskopischer zu makroskopischer Beschreibung

Klassische Thermodynamik:Makroskopische Beschreibung der Materie

Kapitel 14:Transportvorgänge

Materie-, Energie- und Impuls-Transport in Gasen und Flüssigkeiten

Kapitel 8:Statistische Beschreibung makroskopischer Grössen

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Kapitel 10: Grundlagen der Thermodynamik

10.1 Einführung und Definitionen10.2 Der 0. Hauptsatz und seine mikroskopische Interpretation10.3 Der 1. Hauptsatz: Zustands- und Transfergrössen, innere Energie, Enthalpie10.4 Der 2. Hauptsatz: spontane Prozesse und Entropie10.5 Der 3. Hauptsatz10.6 Die Freie Enthalpie G und das chemische Potential μ

Literatur:

Atkins, de Paula, Physikalische Chemie (4. Aufl.), Kapitel 2,3Atkins, de Paula, Kurzlehrbuch Physikalische Chemie (4. Aufl.), Kapitel 2

Übersicht:

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10.1 Einführung und Definitionen

Warum Thermodynamik ?

Quantenmechanik: Fundamentale Theorie der mikroskopischen Eigenschaften der Materie:- Struktur der Atome und Moleküle- Dynamik der Moleküle- Grundlagen der chemischen Reaktivität

Thermodynamik:Fundamentale Theorie der makroskopischen Eigenschaften der Materie: - Energetik makroskopischer Phasen und chemischer Reaktionen- Spontane Prozesse - Konzept der “Temperatur”- Phasenübergänge

Thermodynamische Grössen (z.B. die innere Energie U, die Wärmekapazität C,... ) können aus den mikroskopischen Eigenschaften der Moleküle berechnet werden (statistische Thermodynamik: mikroskopische Beschreibung → makroskopische Beschreibung)

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Einige Definitionen thermodynamischer Begriffe:

Thermodynamisches System: Eine Region im Raum, die von der Umgebung durch die Systemgrenzen abgegrenzt wird. Die Systemgrenzen sind frei wählbar, aber nach der Wahl für die weitere Diskussion fixiert. System und Umgebung bilden zusammen das Weltall.

Arten von Systemen:

• Offenes System: Das System kann mit der Umgebung Materie und Energie austauschen.

• Geschlossenes System: Das System kann mit der Umgebung nur Energie austauschen.

• Abgeschlossenes System: Kein Energie- oder Materieaustausch mit der Umgebung.

dicke Linie=Systemgrenze

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Extensive thermodynamische Grössen hängen von der Anzahl Teilchen im System ab (z.B. die Molzahl n, das Volumen V, die innere Energie U...).Intensive thermodynamische Grössen sind unabhängig von der Anzahl Teilchen im System (z.B. der Druck p, die Temperatur T, alle molaren Grössen wie z.B. das Molvolumen Vm, ...)

Zustandsgrössen: physikalische Grössen, die den Zustand des Systems beschreiben (Druck p, Volumen V, Temperatur T, Molzahl n, Innere Energy U, ...). Frei gewählte Zustandsgrössen nennt man Zustandsvariablen, davon abhängige Zustandsgrössen Zustandsfunktionen.

Der Erfahrung nach werden für eine reine Substanz zwei intensive und eine extensive Zustandsvariable benötigt, um ein System zu beschreiben. Alle anderen Zustandsgrössen sind dann Zustandsfunktionen, die von den gewählten Zustandsvariablen abhängen.

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Thermodynamisches Gleichgewicht beschreibt einen Zustand, in dem sich die Zustandsgrössen nicht mit der Zeit ändern. Mikroskopisch wird das thermodynamische Gleichgewicht durch eine Boltzmann-Verteilung der Populationen über alle Energieniveaus des Systems charakterisiert (vgl. Kapitel 7).

Beispiel: die Gleichung

• entweder die Molzahl n oder das Volumen V können als extensive Variablen gewählt werden

• p, T sind dann die intensiven Zustandsvariablen

• wenn zwei intensive und eine extensive Zustandsvariable gewählt sind (z.B. p,T, n), dann hängen alle anderen Zustandsgrössen (V, U, ...) als Zustandsfunktionen von diesen ab.

beschreibt den Zustand eines idealen Gases.

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10.2 Der 0. Hauptsatz und seine mikroskopische Interpretation

Thermodynamik basiert auf vier grundlegenden Gesetzen (die Hauptsätze), aus denen sich die gesamte Theorie entwickeln lässt. Wir werden in den folgenden Abschnitten die vier Hauptsätze und ihre Konsequenzen diskutieren.

Der 0. Hauptsatz

Befinden sich zwei thermodynamische Systeme im Wärmekontakt, streben sie einem Gleichgewichtszustand zu, der durch eine

einheitliche Temperatur charakterisiert ist.

Äquivalente Formulierung:

Wenn zwei thermodynamische System sich mit einem dritten System im Gleichgewicht befinden, so stehen sie auch

untereinander im Gleichgewicht.

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Der 0. Hauptsatz liefert eine Definition der Temperatur auf Basis des thermodynamischen Gleichgewichts.

Auf mikroskopischer Ebene ist das thermodynamische Gleichgewicht durch eine Boltzmann-Verteilung der Besetzungszahlen Ni der Energieniveaus Ei der Moleküle definiert (s. Gl. (7.3.4) in Kapitel 7):

Die Temperatur erscheint hier als der Parameter, der die Boltzmann-Verteilung und somit das thermodynamische Gleichgewicht definiert.

(7.3.4)N⇤i = Nexp{�Ei/kBT}Pj exp{�Ej/kBT}

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Mikroskopische Interpretation des 0. Hauptsatzes

Gemäss dem klassischen Gleichverteilungssatz (s. Kapitel 8) hängt die molare innere Energie U von der Temperatur ab gemäss

(10.2.1)

wobei die Summe über alle quadratischen Freiheitsgrade i des betreffenden Moleküls läuft, s. Gl. (8.4.6) in Kapitel 8 (U0,m ist die Nullpunktsenergie).

Um den 0. Hauptsatz zu illustrieren, zeigen wir im folgenden, dass ein Zustand in welchem die Energie gleichmässig über zwei gekoppelte Systeme verteilt ist, am wahrscheinlichsten ist.

Wegen Gl. (10.2.1) impliziert eine Gleichverteilung der Energie zwischen zwei Systemen eine Angleichung der Temperatur.

Um = U0,m +X

i

12RT

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Wir betrachten beispielhaft zwei identische geschlossene Systeme mit 6 Teilchen und 3 Energieniveaus, die der Boltzmann-Statistik gehorchen:

Anfänglich ist die totale Energie Etot=6a im “heissen” System konzentriert.

Wir stellen nun thermischen Kontakt zwischen den beiden Systemen her, sodass die Energie ausgetauscht werden kann. Die totale Energie Etot=6a muss dabei erhalten bleiben !

tiefe anfänglicheTemperatur

hohe anfänglicheTemperatur

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Für jedes System existieren W(E) verschiedene Möglichkeiten (=Realisierungen) um einen Zustand mit der Energie E zu erzeugen (s. Gl. (7.2.3) in Kapitel 7)

Für jedes System ist die minimal mögliche Energie Emin=0, die maximal mögliche Energie Emax=6a.

...

...

...

...

WWW

W

WWW

Die Anzahl Möglichkeiten Etot=6a über beide Systeme zu verteilen beträgt somit:

W W *W

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Die wahrscheinlichste Situation entspricht einer Gleichverteilung der Energie: E(1)=E(2)=3a. Gemäss Gl. (10.2.1) muss daher die Temperatur in beiden Systemen gleich sein: T(1)=T(2).

Anders ausgedrückt: eine Situation mit der gleichen Temperatur in beiden Systemen entspricht der grössten Anzahl an Realisierungen und ist damit am wahrscheinlichsten !

(Bem.: Im vorliegenden Beispiel eines sehr kleinen Systems ist die Wahrscheinlichkeit von 31% für die Gleichverteilung der Energie nicht markant höher als die Wahrscheinlichkeit einiger anderer Realisierungen. Es kann gezeigt werden, dass in realistischen Systemen mit ≈NA Teilchen der Zustand mit Energie-Gleichverteilung der am weitaus wahrscheinlichste ist !)

Somit wird eine anfängliche Temperaturdifferenz immer einen Wärmefluss verursachen, der die Temperatur ausgleicht.

Dieser Prozess ist irreversibel. Seine Umkehrung würde einen Zustand mit hoher Wahrscheinlichkeit in einen Zustand mit niedriger Wahrscheinlichkeit überführen und findet daher nicht spontan statt !

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10.3 Der 1. Hautsatz: Zustands- und Transfergrössen, innere Energie, Enthalpie

Die Änderung der inneren Energie dU eines Systems ist die Summe der Wärmemenge δq und der Arbeit δw, die mit dem

System ausgetauscht werden:

10.3.1 Zustands-und Wegfunktionen

Eine Zustandsgrösse ist eine thermodynamische Grösse, deren Wert nur vom Zustand des Systems abhängt und nicht vom Weg, wie das System in diesen Zustand gelangt ist. Bsp.: Druck p, Volumen V, Temperatur T, innere Energie U. Weiters: Enthalpie H, Entropie S, Freie Enthalpie G (s. später)

(10.3.1)

Der 1. Hauptsatz

Dies ist nichts anderes als der thermodynamische Erhaltungssatz der Energie !

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Weggrössen (auch Transfergrössen) sind thermodynamische Grössen deren Wert vom Weg abhängt, in dem das System in den gegenwärtigen Zustand gelangt ist. Wichtige Beispiele: Wärme q und Arbeit w.

Notation:

eine lateinisches “d” bezeichneteine infinitesimal kleine Änderung einer

Zustandsgrösse, d.h. die Änderung hängt NICHT vom Weg ab

ein griechisches “δ” bezeichneteine infinitesimal kleine Änderung

einer Weggrösse, d.h. die Änderunghängt vom Weg ab

(10.3.2)

• Differentielle Formulierung (unendlich kleine Änderungen):

(10.3.3)

ein grischisches “Δ” bezeichnet eine messbare makroskopische Änderung der relevanten thermodynamischen Grösse, die nach der Integration über alle infinitesimal kleinen Änderungen erhalten

wird; wir lassen das “Δ” für q und w weg, weil der Transfer von Wärme und Arbeit immer bereits eineVeränderung impliziert.

• Makroskopisch messbare Änderungen thermodynamischer Grössen werden durch Integration über alle infinitesimalen Änderungsschritte erhalten:

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10.3.2 Zustandsänderungen (“Wege”)

• isotherm: die Temperatur bleibt konstant• isobar: der Druck bleibt konstant• isochor: das Volumen bleibt konstant• adiabatisch: kein Wärmefluss δq=0

• reversibel: Der Prozess kann durch einen infinitesimal kleine Änderung der relevanten Grösse wieder umgekehrt werden, d.h. das System ist ständig im thermodynamischen Gleichgewicht.

• irreversibel: Der Prozess kann nicht umgekehrt werden (er passiert spontan)

Alle diese Prozesse können reversibel oder irreversibel geführt werden:

Möglichkeiten, einen thermodynamischen Prozess zu führen (“Wege”):

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10.3.3 Expansionsarbeit w und Wärme q

Die gängigste Form thermodynamischer Arbeit ist die Expansionsarbeit eines Systems gegen einen äusseren Druck pex: System

Kraft F=pexA

Die gesamte Arbeit w wird durch Integration von Gl. (10.3.4) erhalten:

(10.3.5)

Weil w eine Wegfunktion ist, hängt sie von der Prozessführung ab → Tafel

Gemäss der Figur rechts ist die Arbeit, die geleistet wird, wenn sich das System (schematisch dargestellt als Zylinder) um die Distanz dz ausdehnt, gegeben durch:

(10.3.4)

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10.3.4 Die Enthalpie H

In der Thermodynamik definiert man eine Reihe von Hilfsgrössen, die in bestimmten Situationen eine spezielle physikalische Bedeutung annehmen. In der Chemie ist eine der wichtigsten Hilfsgrössen die Enthalpie H:

(10.3.6)

Physikalische Bedeutung von H ? → Tafel

Die Enthalpie H entspricht also der übertragenen Wärme q bei konstantem Druck !

Weil die meisten chemischen Reaktionen unter konstantem Druck durchgeführt werden (offenes Reaktionsgefäss), sind im Labor gemessene Reaktionswärmen üblicherweise als Enthalpien zu interpretieren !

ΔH < 0: Wärme wird vom System freigesetzt (exothermer Prozess)ΔH > 0: Wärme wird vom System aufgenommen (endothermer Prozess)

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Pro memoria: die Wärmekapazität C ist definiert als die Ableitung der übertragenen Wärme nach der Temperatur:

(10.3.7) s. auch Kapitel 8

(10.3.8)

• Wärmekapazität CV bei konstantem Volumen dV=0:⇒ δw=-pexdV=0

⇒ dU=δq+δw=dq also:

• Wärmekapazität Cp bei konstantem Druck dp=0:⇒ dH=dq

also: (10.3.9)

10.3.5 Die Wärmekapazität bei konstantem Druck Cp

Es gilt: (Beweis ?)

(10.3.11)

Cp ist also für viele chemische Probleme die relevante Form der Wärmekapazität. In der Regel wird sie als molare Wärmekapazität Cp,m tabelliert:

(10.3.10)

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Die Temperaturabhängigkeit von Cp,m wird häufig durch die empirische Beziehung

beschrieben. Die Koeffizienten a,b,c,d können experimentell bestimmt werden:

(10.3.12)

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Temperaturabhängigkeit von Cp (Forts.):

Als erste Nährung wird oft angenommen, dass Cp temperaturunabhängig ist, d.h., Cp=a und b=c=d=0.

Bsp.: Wie gross ist Cp von CO2 bei T=298 K?

Cp,m=44.22+8.79.10-23.298 - 8.62.105.298-2 = 37.13 J mol-1 K-1

= a + b .T + c .T-2

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Temperaturabhängigkeit von Cp (Forts.):

Ausgewählte 1-atomige Festkörper Ausgewählte Substanzen

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Die Temperaturabhängigkeit der Enthalpie errechnet sich aus Gl. (9.11):

(10.3.13)

Beschreibt reversible adiabatische Zustandsänderungen. Herleitung → Tafel

10.3.6 Die Adiabatengleichung

Integration:

(10.3.17)

Vergleiche mit der “Isothermengleichung”(isotherm: T=konst.):

Adiabate

Isotherme

Mittels der idealen Gasgleichung pV=nRT kann die Adiabatengleichung in verschiedenen Formen ausgedrückt werden:

(10.3.14)

(10.3.15)

(10.3.16)

T2T1=

✓V1V2

◆��1, TV ��1 = konst.

p2p1=

✓V1V2

◆�, pV � = konst.

mit

✓p2p1

◆1��=

✓T1T2

◆�, p1��T � = konst.

� = Cp,m/CV,m

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10.4 Der 2. Hautsatz: spontane Prozesse und Entropie

Beispiele für spontane Prozesse:

• Ein heisser Körper kühlt sich auf Umgebungstemperatur ab.• Ein kalter Köper erwärmt sich auf Umgebungstemperatur.• Die Moleküle einer offenen Parfumflasche verteilen sich im Raum.• 1 l Wasser und 1 l Ethanol vermischen sich.• Ein Gemisch von H2 und O2 reagiert zu H2O.

Spontaneität sagt nichts über die Geschwindigkeit des Prozesses aus.

Ein spontaner Prozess läuft unter den selben Bedingungen nie in die entgegengesetzte Richtung. Er ist irreversibel.

Spontaneität hat nichts mit der Minimierung von Energie zu tun. Welche der obigen Prozesse sind nicht exotherm ?

Was ist die Triebkraft hinter der Spontaneität ?

Ein Prozess läuft spontan ab, wenn sich dabei die totale Entropie im Weltall erhöht: ΔStot > 0

Der 2. Hauptsatz

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Mikroskopische Interpretation des 2. Hauptsatzes: spontane Prozesse gehen immer mit einer Verteilung von Energie einher.

Illustration: Bei einem springenden Ball geht

bei jedem Auftreffen auf dem Boden ein Teil seiner kinetischen Energie in Wärmebewegung der

Moleküle im Boden über.

Ein Ball liegt auf einer warmen Oberfläche.

(a) Die Moleküle im Ball üben eine ungeordnete Wärmebewegung aus.

(b) Damit der Ball spontan wegspringt, müssen sich die Moleküle im Ball gleichzeitig in die selbe Richtung

bewegen. Dieser Zustand ist extrem unwahrscheinlich !

10.4.1 Die Entropie

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Mikroskopische Interpretation der Entropie:

Boltzmann-Formel: (10.4.1)

• W(E) ... Anzahl der Realisierungen = Anzahl der Möglichkeiten (=Mikrozustände), die Energie E über alle Zustände des Systems zu verteilen (s. Gl. (7.2.3) in Kapitel 7)

mit:

• kB=1.38.10-23 J K-1 (Boltzmann-Konstante)

Je grösser die Anzahl Möglichkeiten, die Energie zu verteilen (die Anzahl an Mikrozuständen), desto grösser die Entropie.

Illustration: ein Wasserkristall und ein Alkoholkristall aus je 2 Molekülen mischen sich:

ungemischterZustand

gemischterZustand

viel wahrscheinlicher

E entspricht hier natürlich der inneren Energie U im thermodynamischen Sinn

S = kB ln(W )

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Molare Entropie und physikalische Eigenschaften ([J mol-1 K-1]):

→ mehr räumliche Realisierungsmöglichkeiten

→ mehr räumliche Realisierungsmöglichkeiten

→ weniger räumliche Realisierungsmöglichkeiten

→ je grösser die Masse, desto kleiner der Abstand zwischen zwei Energieniveaus (s. Teilchen im Kasten, Kap. 3.5.5), desto mehr zur Verfügung stehende Niveaus bei einer gegebenen Energie E

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Molare Entropie und physikalische Eigenschaften (Forts.):

→ “weiche” Bindungen → tiefe Vibrationsfrequenzen → mehr Energieniveaus bei gegebener Energie E

→ “weiche” Bindungen → tiefe Vibrationsfrequenzen → mehr Energieniveaus bei gegebener Energie E

→ komplexere Verbindungen → mehr Freiheitsgrade → mehr Energieniveaus

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Die Entropie ist eine Zustandsfunktion: die Anzahl der Mikrozustände in einem thermodynamischen Zustand hängt nicht vom Weg ab, auf dem das System in diesen Zustand gelangt ist !

Motivation: es ist einsichtig, dass die Änderung der Entropie zur übertragenen Wärme proportional sein muss. Die inverse Abhängigkeit zur Temperatur erklärt sich aus der geringeren Anzahl zur Verfügung stehender Mikrozustände bei tiefen Temperaturen (vgl. Kapitel 7).

Thermodynamische Definition der Entropie: die Änderung der Entropie im Verlauf eines Prozesses entspricht der reversibel ausgetauschten Wärme dqrev dividiert durch die Temperatur:

(10.4.2)

Gl. (10.4.2) beschreibt die Entropieänderung für das System. Die Integrations-grenzen 1,2 beziehen sich auf den Anfangs- und Endzustand des Systems.

Die Entropieänderung des Systems ΔS kann somit für jeden beliebigen Prozess (reversibel oder irreversibel) gemäss Gl. (10.4.2) berechnet werden, indem man einen reversiblen Weg findet, der Anfangs- und Endzustand verknüpft.

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Da S eine Zustandsfunktion ist, muss die Entropieänderung entlang eines geschlossenen reversiblen Weges verschwinden:

(10.4.3)

Berechnung von ΔS für verschiedene Prozesse: (→ Tafel)1. Isotherme Expansion2. Adiabatische Expansion3. Entropieänderung bei Phasenübergängen4. Entropieänderung bei Temperaturveränderungen

Gemäss dem zweiten Hauptsatz muss dStot gilt für einen beliebigen Prozess:

(10.4.5)

10.4.2 Entropieänderungen in System und Umgebung

Die Änderung der totalen Entropie im Weltall dStot ergibt sich aus der Summe der Entropieänderungen im System dS und in der Umgebung dS’:

(10.4.4)

total System Umgebung

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Das Gleichheitszeichen in Gl. (10.4.5) gilt nur für einen vollständig reversiblen Prozess:

(10.4.6)

Illustration: für eine reversible isotherme Expansion wird der Umgebung reversibel eine Wärmemenge qrev entnommen und dem System zugeführt. Die Wärmeänderung in der Umgebung ist somit:

Die totale Entropieänderung ΔStot beträgt:

und

wobei δq die der Umgebung entnommene und dem System zugeführte Wärme bezeichnet. Aus. Gl. (10.4.5) folgt die

Allgemein gilt:

(10.4.7)Clausius’sche Ungleichung:

Beispiel: Ein Mol Eis bei 0°C wird in einen See mit einer Temperatur von 10°C geworfen. Wie gross ist die totale Entropieänderung ΔStot ? → Tafel

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10.4.3 Die Temperaturabhängigkeit der Entropie

Aus Gl. (10.4.2) und (bei konstantem Druck, s.

Abschnitt 10.3.6) folgt direkt:

(10.4.7)

Analog gilt bei konstantem Volumen:

(10.4.8)

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10.5 Der 3. Hauptsatz

Alle Stoffe besitzen am absoluten Temperatur-Nullpunkt T=0eine einheitliche Entropie. Die Entropie am absoluten Nullpunkt wird

konventionsgemäss S (T=0) = 0 gesetzt.

Ausgehend vom 3. Hauptsatz können mit Gl. (10.4.7) und (10.4.8) die Entropien bei beliebigen Temperaturen berechnet werden vorausgesetzt, die Wärmekapazitäten sind bekannt.

Mikroskopische Interpretation: beim absoluten Nullpunkt ist gemäss der Boltzmann-Statistik nur der quantenmechanische Grundzustand besetzt. Ist dieser nicht entartet, d.h., es gibt nur einen einzigen Zustand bei der tiefsten Energie, so gibt es nur genau einen möglichen Mikrozustand (W(T=0)=1) und somit S=kB

.lnW=0.

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10.6 Die Freie Enthalpie G und das chemische Potential μ

Aus der Clausius’schen Ungleichung (10.4.7) und dq=dH bei konstantem Druck folgt:

(10.6.1)

Diese Beziehung legt die Definition einer neuen thermodynamischen Hilfsgrösse nahe: die Freie Enthalpie G (auch Gibbs-Energie oder Gibbs’sche Freie Enthalpie)

(10.6.2)

Bei konstantem Druck und konstanter Temperatur gilt:

somit mit Ungl. (10.4.7): (10.6.3)

Bei konstantem Druck und konstanter Temperatur geht ein spontaner Prozess mit einer Abnahme von G einher !

10.6.1 Definition und Interpretation der Freien Enthalpie

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Für Prozesse bei konstantem Volumen führt man völlig analog die Helmholtzsche Freie Energie A ein: (10.6.5)

Für einen spontanen Prozess bei konstantem Volumen und konstanter Temperatur gilt dann: (10.6.6)

A ist jedoch für die Chemie von weit geringerer Bedeutung als G.

Was ist die physikalische Bedeutung von G ? → Tafel

ΔG entspricht also der maximalen Nicht-Volumenarbeit bei konstantem Druck und konstanter Temperatur.

Im Gleichgewicht gilt folglich: (10.6.4)

Dies gilt insbesondere auch für das chemische Gleichgewicht. Wir werden später noch im Detail sehen, dass G die thermodynamische Grösse ist, die das chemische Gleichgewicht charakterisiert.

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Gl. (10.6.9) ist eine allgemeingültige Kombination des 1. und 2. Hauptsatzes und wird deshalb als Fundamentalgleichung bezeichnet. Da U eine Zustandsfunktion ist, gilt Gl. (10.6.9) für beliebige (auch irreversible) Prozesse, bei denen ausser Volumenarbeit keine weitere Arbeit geleistet wird

Einsetzen von Gl. (10.6.7) und (10.6.8) in den 1. Hauptsatz Gl. (10.3.1)liefert:

10.6.2 Fundamentalgleichungen der Thermodynamik

Wir betrachten einen vollständig reversiblen Prozess, bei dem nur Volumenarbeit geleistet wird:

Gemäss dem 2. Hauptsatz gilt dann:

(10.6.7)

(10.6.8)

(10.6.9)

Für die Freie Enthalpie G lässt sich folgende Fundamentalgleichung herleiten (→Tafel):

(10.6.10)

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10.6.3 Temperatur- und Druckabhängigkeit der Freien Enthalpie

Aus der Fundamentalgleichung (10.6.10) folgt sofort:

• Druckabhängigkeit von G:(10.6.11)

• Temperaturabhängigkeit von G:(10.6.13)

Dies kann umgeformt werden zu (→Tafel):

(10.6.14)Gibbs-Helmholtz-Gleichung:

Trennung der Variablenund Integration:

(10.6.12)

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10.6.4 Das chemische Potential μ

Die freie Enthalpie G ist eng verknüpft mit einer weiteren zentralen Grösse in der Chemie: dem chemischen Potential μ

(10.6.15)

μ ist die Ableitung von G nach der Stoffmenge n bei konstantem p,T. Mit anderen Worten: μ beschreibt, wie sich die freie Enthalpie bei einer Veränderung der Zusammensetzung des Systems verändert.

Für einen reinen Stoff gilt G=nGm (Gm ... molare Freie Enthalpie) und somit:

(10.6.16)

Für einen reinen Stoff ist also das chemische Potential gleich der molaren Freien Enthalpie.

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Für Systeme, die eine Mischung aus mehreren Stoffen 1,2,... mit Molzahlen n1, n2,.. darstellen, ergibt sich die Variation von G zu:

Fundamentalgleichung (10.6.10) Definition des chemischen Potentials (10.6.15)

Wir erhalten somit:

(10.6.17)

wobei die Summe über alle Komponenten der Mischung j läuft. Dieser Ausdruck ersetzt die Fundamentalgleichung (10.6.10) für Systeme von Mischungen mit mehreren Komponenten.

Bei konstantem Druck und konstanter Temperatur erhalten wir:

(10.6.18)