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Hannover, 03. Oktober 2016 Die Vision von Wangari Maathai: Bewusstseinsbildung für die Erneuerung unserer Erde Langfassung des gleichnamigen Beitrags in Geographie aktuell & Schule 38(223), S. 72-73. Das Leben und Wirken von Wangari Maathai (1940-2011) ist im Kontext einer Bildung für nach- haltige Entwicklung als Thema für den Geographieunterricht prädestiniert. Über gründliches Hin- terfragen der Wertorientierungen, die unser Handeln leiten, kann zudem zu einem Verantwor- tungsbewusstsein für unseren Planeten beigetragen werden. 1. Einleitung „Das ist vielleicht meine größte Stärke. Immer wieder habe ich erfahren: Wenn man bei einer Aufgabe bleibt, wenn man überzeugt ist, das Richtige zu tun, und wenn man alle Energie in diese eine Sache steckt, kann man Erstaunliches bewirken.“ (Maathai 2011, 241) Wangari Maathais weltweite Berühmtheit begann, als sie in den 1970er-Jahren erkannte, dass die zunehmende Desertifikation in Kenia aktiv bekämpft werden musste. Ihre Baumpflanzaktio- nen stellte sie dabei in den Geist von Jomo Kenyattas Idee der aktiven Gemeinschaft, für die er landesweit unter dem Motto „Harambee!“ (Suaheli für »Ziehen wir gemeinsam an einem Strang!«) geworben hatte (Maathai 2011, 165). Am 5. Juni 1976, dem Internationalen Tag der Umwelt, rief sie die Kampagne „Save the Land Harambee“ ins Leben (Phiri 2014, 102), aus der 1977 die Gründung des Green Belt Movement (GBM) hervorging, einer Nichtregierungsorga- nisation mit Sitz in Nairobi, die an Wiederaufforstung, Umweltschutz und nachhaltiger Entwick- lung ausgerichtet ist (vgl. Abb. 1). Trotz der Widerstände, die ihr u.a. vonseiten der kenianischen Regierung entgegengebracht wurden, setzte sie sich unbeirrt für ihre Vision ein, den Raubbau an der Erde wieder zu heilen – und gleichzeitig Frauen zu fördern, die durch die traditionellen Vor- stellungen in ihrer sozialen Rolle benachteiligt waren. Für ihr Lebenswerk, ihren Einsatz für nachhaltige Entwicklung, Demokratie und Frieden, wurde sie 2004 in Oslo mit dem Friedens- nobelpreis ausgezeichnet. Heute wird über Maathai kommentiert: „Sie hat wahre Pionierinnen- arbeit geleistet. Von den Behörden in Kenia wurde sie zum Teil als ‚diese verrückte Frau’ be- zeichnet. Aber mit ihrer Weigerung, sich wie eine ‚gute afrikanische Frau zu verhalten und das zu tun, was man ihr sagt’, hat sie den Diskurs einer nachhaltigen umweltverträglichen Entwick- lung entscheidend verändert; und sie hat für praktische Ergebnisse gesorgt: in einer ihrer Kam- pagnen sind in Afrika seit 1977 über 75 Millionen Bäume gepflanzt worden!“ (Kottwitz 2013) Trotz der internationalen Aufmerksamkeit, die ihr zuteil wurde, ist davon auszugehen, dass die Lernenden nur wenig oder kein Vorwissen über Maathai haben (vgl. Meyer 2013, 11). Die Vision von Maathai eignet sich sehr gut als Beispiel für den Geographieunterricht (Wenz 2010, 2011, Meyer 2015a, 2015b), da anhand ihres Wirkens die Nachhaltigkeitsdimensionen unter besonderer Berücksichtigung von Kultur im Einflussbereich politischer Entscheidungen und Rahmenbedingungen reflektiert werden können und somit zu einer Bildung für nachhaltige Entwicklung und insbesondere zu (inter-)kulturellem Lernen beigetragen werden kann (Meyer 2013, Meyer 2016a).

Die Vision von Wangari Maathai GaS223 Langfassung 03.10€¦ · Wangari Maathai kann in Anlehnung an den englischen Titel ihrer Biographie „Unbowed“ als unbeugsam charakterisiert

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Hannover, 03. Oktober 2016

Die Vision von Wangari Maathai:

Bewusstseinsbildung für die Erneuerung unserer Erde

Langfassung des gleichnamigen Beitrags in Geographie aktuell & Schule 38(223), S. 72-73.

Das Leben und Wirken von Wangari Maathai (1940-2011) ist im Kontext einer Bildung für nach-haltige Entwicklung als Thema für den Geographieunterricht prädestiniert. Über gründliches Hin-terfragen der Wertorientierungen, die unser Handeln leiten, kann zudem zu einem Verantwor-tungsbewusstsein für unseren Planeten beigetragen werden.

1. Einleitung „Das ist vielleicht meine größte Stärke. Immer wieder habe ich erfahren: Wenn man bei einer Aufgabe bleibt, wenn man überzeugt ist, das Richtige zu tun, und wenn man alle Energie in diese eine Sache steckt, kann man Erstaunliches bewirken.“ (Maathai 2011, 241) Wangari Maathais weltweite Berühmtheit begann, als sie in den 1970er-Jahren erkannte, dass die zunehmende Desertifikation in Kenia aktiv bekämpft werden musste. Ihre Baumpflanzaktio-nen stellte sie dabei in den Geist von Jomo Kenyattas Idee der aktiven Gemeinschaft, für die er landesweit unter dem Motto „Harambee!“ (Suaheli für »Ziehen wir gemeinsam an einem Strang!«) geworben hatte (Maathai 2011, 165). Am 5. Juni 1976, dem Internationalen Tag der Umwelt, rief sie die Kampagne „Save the Land Harambee“ ins Leben (Phiri 2014, 102), aus der 1977 die Gründung des Green Belt Movement (GBM) hervorging, einer Nichtregierungsorga-nisation mit Sitz in Nairobi, die an Wiederaufforstung, Umweltschutz und nachhaltiger Entwick-lung ausgerichtet ist (vgl. Abb. 1). Trotz der Widerstände, die ihr u.a. vonseiten der kenianischen Regierung entgegengebracht wurden, setzte sie sich unbeirrt für ihre Vision ein, den Raubbau an der Erde wieder zu heilen – und gleichzeitig Frauen zu fördern, die durch die traditionellen Vor-stellungen in ihrer sozialen Rolle benachteiligt waren. Für ihr Lebenswerk, ihren Einsatz für nachhaltige Entwicklung, Demokratie und Frieden, wurde sie 2004 in Oslo mit dem Friedens-nobelpreis ausgezeichnet. Heute wird über Maathai kommentiert: „Sie hat wahre Pionierinnen-arbeit geleistet. Von den Behörden in Kenia wurde sie zum Teil als ‚diese verrückte Frau’ be-zeichnet. Aber mit ihrer Weigerung, sich wie eine ‚gute afrikanische Frau zu verhalten und das zu tun, was man ihr sagt’, hat sie den Diskurs einer nachhaltigen umweltverträglichen Entwick-lung entscheidend verändert; und sie hat für praktische Ergebnisse gesorgt: in einer ihrer Kam-pagnen sind in Afrika seit 1977 über 75 Millionen Bäume gepflanzt worden!“ (Kottwitz 2013) Trotz der internationalen Aufmerksamkeit, die ihr zuteil wurde, ist davon auszugehen, dass die Lernenden nur wenig oder kein Vorwissen über Maathai haben (vgl. Meyer 2013, 11). Die Vision von Maathai eignet sich sehr gut als Beispiel für den Geographieunterricht (Wenz 2010, 2011, Meyer 2015a, 2015b), da anhand ihres Wirkens die Nachhaltigkeitsdimensionen unter besonderer Berücksichtigung von Kultur im Einflussbereich politischer Entscheidungen und Rahmenbedingungen reflektiert werden können und somit zu einer Bildung für nachhaltige Entwicklung und insbesondere zu (inter-)kulturellem Lernen beigetragen werden kann (Meyer 2013, Meyer 2016a).

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Abb. 1: Ausschnitt aus einem Wandteppich im 2010 gegründeten Wangari Maathai Institute for Peace and Environmental Studies in Nairobi (Foto: C. Meyer 2015) 2. Biographischer Hintergrund: „Unbowed“ „Bäume machen einen Großteil meines Lebens aus und haben mich viele Lektionen gelehrt. Bäume sind ein lebendes Symbol für Frieden und Hoffnung. Ein Baum schlägt Wurzeln im Boden und wächst doch dem Himmel entgegen. Er lehrt uns, dass wir, um emporzustreben, im Boden verhaftet sein müssen. Gleichgültig, in welche Höhen wir aufsteigen, unsere Kraft beziehen wir aus unseren Wurzeln.“ (Maathai 2011, 355) Wangari Maathai kann in Anlehnung an den englischen Titel ihrer Biographie „Unbowed“ als unbeugsam charakterisiert werden – und somit im übertragenen Sinne mit Bezug auf das voran-gestellte Zitat als ein großer, starker Baum mit kräftigen Wurzeln. Die Inspiration für ihre Vision entsprang letztlich ihren Kindheitserfahrungen und Naturbeobachtungen im ländlichen Kenia (Maathai 2004). Im Hügelvorland südlich des Mount Kenya wuchs Maathai in einer fruchtbaren Gegend mit klarer Luft und sauberen Wasserläufen wohlbehütet auf und lernte von ihrer Mutter, die Natur als Quelle des Lebensunterhaltes wertzuschätzen (Phiri 2014, 100). Darüber hinaus verinnerlichte sie traditionelle Vorstellungen gegenüber dem Heiligen in der Natur. So galt der Mount Kenya, der zweithöchste Berg Afrikas, bei den Kikuyu – ihrer Volksgruppe – als heilig, denn „ihm haben die Kikuyu alles Gute zu verdanken: reichlich Regen, Flüsse, Bäche, sauberes Trinkwasser“ (Maathai 2011, 13f.). Auch Feigenbäume hatten eine besondere Bedeutung. Sie wurden daher nicht als Brennholz genutzt, erklärte ihr ihre Mutter, weil „er ein Baum Gottes ist. (...) Wir verwenden ihn nicht. Wir fällen ihn nicht. Wir verbrennen ihn nicht“ (ebd., 62). Diese Naturbeziehungen wurden genährt durch einen außergewöhnlichen Bildungsweg, den Maathai begehen durfte. 1948 wurde sie in ihrem Dorf Ihithe in die Primary School eingeschult und wechselte im Alter von elf Jahren ins Internat der Katholischen Mission von Mathari, wo sie 1956 „die Prüfungen im Abschlussjahr als Klassenbeste“ (ebd., 92) bestand. Sie kam 1956 direkt an die Loreto Girls’ High School in Limuru, gerade außerhalb der Hauptstadt Nairobis. Wiederum als Klassenbeste schloss sie ihre Ausbildung an der Loreto-Limuru ab und war damit 1960 eine geeignete Kandidatin für ein Stipendium der Joseph-P.-Kennedy-Stiftung, das sie mit zwanzig Jahren in die USA an ein College in Kansas führte (ebd., 98ff.). 1964 schrieb sie sich an der Uni-

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versität Pittsburgh für ein Masterstudium in Biologie ein und kam in dieser Zeit zum ersten Mal mit Umweltthemen in Berührung, als sie sich einer Aktion von Umweltschützern gegen die Luftverschmutzung anschloss. Nach ihrem Master in Biowissenschaften 1965 erhielt sie ein Stellenangebot des University College in der Hauptstadt Nairobi und kehrte nach Kenia zurück. Die zugesicherte Stelle wurde jedoch an jemand anderen vergeben (Phiri 2014, 100f.). „Sie hat die Vorbehalte gegen Frauen in der von Männern dominierten Welt (...) unterschätzt“ (ebd., 101). Nach monatelanger Arbeitssuche nahm die hoch qualifizierte junge Frau das Angebot eines deutschen Professors an und forschte für ihre Doktorarbeit in Gießen und München. 1969 kehrte sie nach Kenia zurück und heiratete im selben Jahr ihren Freund Mwangi Mathai. Als erste Frau in Ost- und Zentralafrika erwarb sie im Jahre 1971 einen Doktortitel – und bekam im selben Jahr ihr zweites Kind. Nach ihrer Promotion arbeitete sie als Dozentin an der University of Nai-robi, 1974 als leitende Dozentin in Anatomie. 1977 wurde sie schließlich außerordentliche Pro-fessorin – in einer männerdominierten akademischen Welt, in der sie gegen die Diskriminierung von Frauen kämpfen musste (Maathai 2011, 145ff.). Bei den Parlamentswahlen 1974 hatte sie großen Anteil am Wahlerfolg ihres Mannes, der ge-sellschaftlich unter dem Druck stand, als Ehemann einer hoch angesehenen Akademikerin eine vergleichbare Position vorweisen zu müssen. Er selbst hatte ebenfalls in Amerika studiert und in Kenia für mehrere Unternehmen gearbeitet (ebd., 136). Schon 1969 hatte ihr Mann beschlossen, eine Politikerlaufbahn anzustreben und für die Parlamentswahlen zu kandidieren, verfehlte aber beim ersten Mal den Einzug ins Parlament. Als Politikergattin war Maathai sehr wohl bewusst, dass sie sich während der Wahlkampagnen als „gute afrikanische Frau“ (ebd., 141) präsentieren musste, weil sie aufgrund ihres beruflichen Werdegangs in dieser Hinsicht auch kritisch beäugt wurde. Im gemeinsam mit ihrem Mann geführten Wahlkampf 1974 merkte sie, welches Vertrau-en die Menschen in sie beide „als extrem gut ausgebildetes Paar“ (ebd., 160) setzten, gerade im Hinblick auf die vorherrschende Arbeitslosigkeit. Ihr Mann versprach, dass er als Abgeordneter Arbeitsplätze schaffen würde – nach seiner Wahl jedoch wollte er davon nichts mehr wissen und argumentierte, dass die Menschen sich nicht daran erinnern würden (ebd., 160f.). Empört versuchte sie daraufhin, sein Wahlversprechen einzulösen, denn es stand auch ihr Ruf auf dem Spiel. Sie gründete mit Eigenkapitel das Unternehmen „Environcare Ltd.“, das durch Aufforstung viele Arbeitsplätze schaffen sollte. Als Mitglied des „National Council of Women of Kenya“ (NCKW) wollte sie vor allem Frauen im ländlichen Raum unterstützen, die aufgrund von Abhol-zung, nicht nachhaltiger Landwirtschaft und Bodenerosion keinen Zugang mehr zu sauberem Wasser und Feuerholz hatten. Um diese Probleme an der Wurzel zu packen, reifte in ihr die Idee, Bäume zu pflanzen. Obwohl Environcare nach kurzer Zeit schon Konkurs beantragte, kann es als Vorläufer des GBM (2016) gesehen werden. 1977 verließ ihr Mann sie und verunglimpfte sie, indem er sie des Ehebruchs und der Grausam-keit beschuldigte – auch seinen hohen Blutdruck sollte sie verursacht haben (Maathai 2011, 182). „Mwangi wurde mit den Worten zitiert, er verlange eine Scheidung, weil ich »zu gebildet, zu stark, zu erfolgreich, zu eigensinnig und zu schwer zu kontrollieren« sei. Diese Äußerung gelangte an die Presse und ging später um die Welt. (...) Wie die meisten Menschen gingen die Reporter und Redakteure davon aus, dass es die Schuld der Frau ist, wenn eine Ehe schiefgeht, dass sie ihre Pflichten vernachlässigt und ihrem Mann nicht gehorcht hat. Ihrer Meinung nach wurde ich mit Fug und Recht öffentlich gesteinigt, weil ich die Autorität meines Mannes in Frage gestellt hatte. Und da ich eine gebildete Frau war, sollte meine öffentliche Demütigung allen anderen gebildeten Frauen als Warnung dienen, dass ihnen das gleiche Schicksal blühen würde, falls sie es wagten, eine solche Autorität zu hinterfragen“ (ebd., 183). Da ihr Mann als Politiker Einfluss auf das Gericht hatte, gewann er den Scheidungsprozess. „In ihrer Empörung über das Urteil sagt Wangari in einem Interview, dass der Richter entweder in-kompetent oder korrupt sei. Als sie sich weigert, ihre Äußerung zurückzunehmen, wird sie wegen

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Missachtung des Gerichts angeklagt und zu sechs Monaten Freiheitsstrafe verurteilt. Nach drei Tagen Haft erreicht ihr Anwalt ihre Freilassung“ (Phiri 2014, 103). „Diese erste Gefängnisstrafe war für mich ein Wendepunkt. Bis zu der Zeit war ich nie mit dem Gesetz in Konflikt geraten“ (Maathai 2011, 189). Dies entmutigte sie aber keineswegs, ganz im Gegenteil – dieses Gefühl, ungerecht behandelt zu werden, aber eigentlich im Recht zu sein, gab ihr Kraft. Da ihr Mann von ihr verlangte, den Namen Mathai abzulegen, fügt sie einfach ein »a« hinzu und beantragt den Namen »Maathai«. Mit dieser zusätzlichen Silbe gibt sie sich eine neue Identität: „Und ab sofort würde nur noch ich bestimmen, wer ich war: Wangari Muta Maathai“ (ebd., 185). Durch ihre Erfahrungen mit der Politik – in den Jahren nach der Scheidung insbesondere im Nationalen Frauenrat (NCKW) – bewarb sie sich 1982 in einer Nachwahl um einen Parla-mentssitz. Die Kandidatur wurde mit einer fadenscheinigen Begründung abgelehnt. Sie zog dagegen vor Gericht und gewann den Prozess, aber die Frist für die Bewerbung war abgelaufen. Zeitgleich wurde ihre Stelle an der Universität neu besetzt, die sie für die Bewerbung für die Parlamentswahl hatte kündigen müssen. Damit endete ihre universitäre Laufbahn und sie setzte ihre Kraft und Energie daraufhin voll und ganz für das GBM ein. Innerhalb weniger Jahre wurde aus dem kleinen Projekt eine landesweite Aktion, die Tausende von Frauen mobilisierte, Millio-nen Baumsetzlinge zu pflanzen (Phiri 2014, 103). Aktiv waren und sind vor allem Frauen, die als „Förster ohne Diplom“ und zumeist mit nur wenig Schulbildung vom GBM hierfür ausgebildet wurden und werden. 1989 kam es zur offenen Konfrontation mit der Regierung, die den Bau eines sechzigstöckigen Gebäudekomplexes mitten im zentral gelegenen Uhuru-Park in Nairobi plante (Uhuru: Suaheli für Freiheit). Das Hochhaus in dem öffentlichen Park sollte die Parteizentrale der Einheitspartei KANU, die Redaktion der Kenya Times (des Organs der Regierungspartei), ein Handelszentrum, Büros, ein Auditorium, Galerien, Einkaufszentren sowie Parkplätze für 2000 Autos aufnehmen. „Der Turm würde der höchste seiner Art in Afrika sein (...). Außerdem war in dem Komplex eine riesige Statue von Präsident Moi vorgesehen“ (Maathai 2011, 231). Als Maathai davon erfuhr, schickte sie im Namen des GBM in mehreren Aktionen Protestbriefe an nationale Behörden, internationale Organisationen und die Presse (Phiri 2014, 104). Sie argumentierte: „Sicherlich würden die Engländer und die Amerikaner kein Hochhaus mitten im Hyde Park oder im Central Park hinnehmen, warum sollten dann die Bewohner von Nairobi es tun?“ (ebd., 104f.). „Die Reaktionen sind heftig. Im Parlament debattieren wütende Abgeordnete fünfundvierzig Minuten lang über ihr Vorgehen und lassen eine Schimpfkanonade auf sie niedergehen. Dass eine ge-schiedene Frau die Regierung in aller Öffentlichkeit kritisiert, ist der Gipfel der Provokation“ (ebd., 105). Maathai wird auch vom Präsidenten öffentlich persönlich angegriffen: „Wäre sie eine richtige Frau in der afrikanischen Tradition, würde sie die Männer achten und den Mund halten, sagt er über sie“ (Phiri 2014, 105). Dem GBM wurden die Räume gekündigt, und es folgten Hausdurchsuchungen in ihrem Privathaus. Dies alles wurde von der internationalen Presse wahrgenommen und auch internationale Umweltschutzorganisationen wurden auf den Fall aufmerksam. Aufgrund des internationalen Drucks, aber auch der nationalen Presse, die das staatliche Missmanagement aufdeckte, wurde das Bauprojekt schließlich modifiziert und Ende Februar 1992 vollständig als gestorben erklärt (Maathai 2011, 240ff.). „Der Tod des »Parkmonsters«, wie wir den Komplex nannten, gab den Kenianern neue Energie. Danach bewegten wir uns selbstbewusster, mutiger und schneller“ (ebd., 253). 1992 kam es zu einem zweiten Gefängnisaufenthalt von Wangari Maathai – diesmal mit poli-tischem Hintergrund. Der Oppositionspolitiker Oginga Odinga hatte 1991 das „Forum for Restoration of Democracy“ (FORD; „Forum zur Wiedereinführung der Demokratie“) gegründet, dem Maathai beitrat. Dieses forderte die Wiedereinführung des Mehrparteiensystems sowie allgemeine Wahlen (Phiri 2014, 105). Auch in dieser die Grundsätze der Demokratie betreffen-

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den politischen Angelegenheit war es wichtig, unbeugsam zu sein. „Obwohl FORD verboten wurde, rief das Forum im November 1991 zu einer Demokratiedemonstration (...) auf“ (Maathai 2011, 257). Diese Versammlung wurde zwar von der Regierung untersagt und bekämpft, doch „der Druck, ein Mehrparteiensystem einzuführen, war zu groß. Im Dezember sah Präsident Moi sich gezwungen, seiner Wiedereinführung zuzustimmen und für Ende 1992 landesweit Wahlen anzusetzen“ (ebd., 257f.). Im Januar jedoch sollte die Macht an die Armee übergeben werden: „Ein von der Regierung gebilligter Putsch wäre für Präsident Moi die perfekte Ausrede, sich Ende des Jahres nicht den Wählern stellen zu müssen“ (ebd., 258). Die Folgen dieser Entwicklungen aber waren für die FORD-Mitglieder noch dramatischer – ihre Namen befanden sich auf einer Todesliste. „Wir beschlossen, uns an die Medien zu wenden. So gingen etwa zehn von uns zum Pressezentrum (...). Wir gaben eine Pressemitteilung des Inhalts heraus, dass der Präsident, wenn er eine Veränderung innerhalb der Regierung für nötig erachtete, doch Neuwahlen ansetzen und nicht die Macht der Armee übergeben solle. Wir berichteten der Presse auch von der Liste po-tenzieller Todeskandidaten“ (ebd., 259). Der Präsident tat diese Aussagen als „Geschwätz“ (ebd.) ab und veranlasste die Verhaftung aller an der Pressekonferenz Beteiligten. Maathai verbarri-kadierte sich daraufhin in ihrem Haus. „Vom Inneren des Hauses aus sprach ich mit möglichst vielen der in- und ausländischen Journalisten, die sich vor meinem Grundstück eingefunden hatten (...). (...) Ich erzählte ihnen (auch), dass die Wahlen 1988 manipuliert worden waren und der Präsident Angst vor den kommenden Wahlen hatte, weil er wusste, dass er sie nicht gewin-nen würde“ (ebd., 262). Nach drei Tagen gelang es der Polizei jedoch, in das Haus einzudringen und sie zu verhaften. Die Anschuldigungen lauteten auf „Streuen gehässiger Gerüchte, Aufwie-gelung und Landesverrat. Auf Letzteres stand die Todesstrafe“ (ebd., 264). Allein in einer nassen, kalten Zelle, ohne Decke und geplagt von Arthritis in beiden Knien sowie Rückenschmerzen „hatte ich so große Schmerzen, dass ich glaubte, ich würde sterben. (...) Während ich in der Zelle saß, war die mangelnde Kontrolle über mein Schicksal die schlimmste Strafe, die das Regime mir auferlegen konnte“ (ebd.). Nach eineinhalb Tagen kamen Maathai und ihre Mitangeklagten gegen Kaution frei. Aufgrund von nationalem und internationalem Druck, u.a. von Senatoren aus den USA wie Al Gore und Edward M. Kennedy, wurden schließlich im November 1992 alle An-klagen gegen Maathai und ihre Mitstreiter zurückgezogen (ebd., 266). Damit war zugleich klar, „dass die öffentliche Forderung nach freien Wahlen in Kenia legal und nicht länger strafbar ist“ (Phiri 2014, 105). Daher wurde Maathai von Müttern politischer Gefangener, die wegen eben-dieser Forderung nach freien Wahlen verhaftet worden waren, gebeten, die Regierung unter Druck zu setzen und so die Freilassung ihrer Söhne zu erreichen. In einer Ecke des Uhuru Parks, der seit dieser Aktion „Freedom Corner“ heißt, gingen die Mütter in einen dreitägigen Hunger-streik, nachdem dem Generalstaatsanwalt dieser Zeitraum als Ultimatum gestellt wurde. Die spektakuläre Aktion erregte Aufsehen und erfuhr eine breite Welle von Solidarität. Den strei-kenden Frauen wurde beispielsweise von Misshandlungen und Folterungen berichtet, über die die Opfer niemals zuvor gesprochen hatten. Am vierten Tag jedoch stürmte die Polizei den „Free-dom Corner“ und ging mit Tränengas und Schlagstöcken gegen die Frauen vor. Aber die Mütter wollten sich nicht einschüchtern lassen und ergriffen nicht die Flucht. „Vielmehr taten einige von ihnen (ich nicht) etwas sehr Mutiges: Sie zogen sich aus, manche völlig nackt, und zeigten den Polizisten ihre Brüste. Eine der stärksten afrikanischen Traditionen betrifft das Verhältnis zwischen einer Frau und jedem Mann, der ihr Sohn sein könnte: Sie wird von ihm wie seine leib-liche Mutter betrachtet und erwartet, dass er sie mit großem Respekt behandelt. Als die Mütter also ihre Brüste entblößten, gaben sie den Polizisten (...) zu verstehen: »Indem ich dir meine Nacktheit zeige, verfluche ich dich, wie ich meinen Sohn verfluchen würde, weil du mich so schwer misshandelst«“ (Maathai 2011, 272). Der Hungerstreik, an dem sich Maathai, wann immer sie konnte beteiligte, dauerte ein Jahr, erst dann wurden die inhaftierten Söhne frei-

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gelassen (Phiri 2014, 106). Der Mut, die Kraft, die Geduld der Frauen und schließlich die Gerech-tigkeit hatten gesiegt – auch diese Frauen waren „unbowed“. 1998 kam es erneut zu einer Umweltaktion, als der Karura Forest vor den Toren der Stadt mit Genehmigung der Einheitsparte KANU für Luxuswohnungen und Bürogebäude gefällt werden sollte. Auch hier startete Maathai eine Kampagne für den Erhalt des Waldes mit einem Schrei-ben an den Generalstaatsanwalt und mit Baumpflanzaktionen an Stellen, wo bereits gerodet wurde. „Am 8. Januar 1999 soll am Waldeingang demonstrativ ein Baum gepflanzt werden. Die Aktivisten vom Green Belt Movement werden von sechs Abgeordneten, Journalisten, interna-tionalen Beobachtern und Vertretern von Menschenrechtsorganisationen begleitet. Unbekannte Männer greifen sie brutal an. Wangari, vier Abgeordnete, ein Journalist und zwei deutsche Beobachter werden verletzt. Die Polizei tut nichts. Was die Polizei nicht weiß: Das Geschehen ist gefilmt worden, der Bericht wird im Fernsehen gesendet. Ein Sturm der Entrüstung bricht los, selbst der UN-Generalsekretär äußert deutliche Kritik“ (Phiri 2014, 107). Im August 1999 unter-sagte der Präsident die Übereignung von öffentlichem Land. Aber erst mit dem Regierungs-wechsel Ende Dezember 2002 konnte Maathai diesen Sieg für den Karura Forest wirklich feiern, denn die Rodungen gingen trotzdem noch weiter. Maathai wurde 2002 unter dem neu gewähl-ten Präsidenten Kibaki zur stellvertretenden Ministerin für Umweltschutz. „2010 gründet sie zusammen mit der Universität in Nairobi das Wangari-Maathai-Institut für Frieden und Um-weltstudien, das sich die Vernetzung von akademischer Forschung und traditionellem Wissen zur Aufgabe gemacht hat“ (ebd.). 3. Zur Vision von Wangari Maathai: „Taking Root“ und „Replenishing the Earth“ „I’m a child of the soil.“ (Maathai in „Taking Root“, Merton/Dater 2008, Zeit: 40:07-40:11). Die Vision von Wangari Maathai kommt in dem vorangestellten Zitat und Titel der Dokumen-tation sehr gut zum Ausdruck: „Taking Root“. In ihrer Biographie schildert sie hierzu ausführ-licher ein Ritual, „mit dem das Neugeborene in das Land seiner Vorfahren eingeführt werde sollte, in eine Welt der Fülle und des Guten, die dieser Boden hervorbrachte“ (Maathai 2011, 12): „Zur Vorbereitung auf die Geburt mästete die schwangere Frau ein Lamm, das sie bei sich im Haus hielt. Während dann die anderen Frauen die rituellen Nahrungsmittel (Anm.: Süßkar-toffeln, blau-lila Zuckerrohr, grüne Bananen) zusammensuchten, opferte der Vater des Kindes das Lamm und briet ein Stück davon, dazu die Bananen und Süßkartoffeln. Das alles wurde zusammen mit dem rohen Zuckerrohr der Mutter gebracht. Sie biss von jeder Speise ein Stück-chen ab, kaute es und träufelte etwas von dem Saft in den Mund des Neugeborenen. Das muss also meine erste Mahlzeit gewesen sein: Noch bevor ich Milch saugte, habe ich den Saft von grünen Bananen, blau-lila Zuckerrohr, Süßkartoffeln und gemästetem Lamm geschluckt – alles Gaben unseres Landes. Ich bin ebenso ein Kind meines Heimatbodens, wie ich ein Kind meines Vaters Muta Njugi und meiner Mutter Wanjiru Kibicho bin (…).“ (ebd.) „I’m a child of the soil“ – das meint das Bewusstsein, mit der Erde verbunden zu sein. Über die Erde sind wir alle miteinander verbunden. Wir sind vom Boden abhängig, denn über ihn bekommen wir die Lebensmittel, d. h. der Boden und die Früchte, die in und auf ihm gedeihen, ernähren uns. Der Boden steht metaphorisch auch für die gesamte Natur. Das Wort „Natur“ bedeutet „geboren werden“ bzw. „Geburt“ – alles, was geboren wird und wieder stirbt, ist Natur. Daher sind Menschen und Natur eins. Und wir müssen erkennen, was wir der Natur antun, das tun wir uns selbst an (Kumar 2013, 17ff.). Mit Erde ist aber auch unser Heimatplanet gemeint, mit dem wir ebenfalls verbunden sind. Die Schilderung des Rituals bringt somit das Bewusstsein Maathais über die essenziellen Verbindungen von Mensch, Kultur und Natur zum Ausdruck (vgl. Abb. 2). Diese tiefenökologische

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Grundlage ist ein wichtiges Charakteristikum der Vision von Wangari Maathai (ausführlicher in Meyer 2016b, vgl. Abb. 3), die mit der Gründung des GBM der Erde etwas zurückgeben wollte, was ihr durch die Umweltzerstörung genommen wurde und zu vielen Problemen für die Men-schen in Kenia geführt hat.

Abb. 2: „Taking Root“ – Bewusstsein über die essenziellen Verbindungen zwischen Mensch, Kultur und Natur Aber Maathai hat auch ökonomisch gedacht. Um den Frauen im GBM einen Anreiz zu geben, erhielten diese für jeden Setzling, der anwurzelte, eine kleine Summe über umgerechnet vier amerikanische Cent pro Baum. Damit leistete das GBM einen Beitrag zur finanziellen Situation der Frauen, die i.d.R. in finanzieller Abhängigkeit von ihren Männern lebten, und stärkte zudem deren Selbstbewusstsein. Im Zuge der weiteren Entwicklung des GBM wurde Maathai zuneh-mend bewusst, dass sie die Ursachen der Probleme herausfinden und vermitteln musste. „All-mählich wurde das GBM von einer Kampagne, die Bäume pflanzte, zu einer, die auch Ideen pflanzte. Wir boten Seminare für die GBM-Gruppen an, (...) und baten die Frauen und Männer, ihre Probleme zu benennen“ (Maathai 2011, 215) Dadurch, dass die Probleme erkannt wurden, konnten sie verantwortungsvoll bekämpft werden. „Im Laufe der Zeit entwickelten sich diese Zusammenkünfte zu Seminaren für »zivilgesellschaftliche und umweltpolitische Bildung«, die zu einem wesentlichen Baustein unserer Arbeit wurden. (…) Außerdem sprachen wir Aspekte an wie Demokratie, Menschenrechte, Geschlecht und Macht“ (ebd., 217). Damit wird deutlich, dass es nicht mehr nur um Baumpflanzaktionen ging, sondern es wurde eine breite Bildung vermittelt, mit dem Ziel einer gründlichen Reflexion und Aufklärung. Und Maathai erkannte, „welch immense Bedeutung Kultur für die größeren Ziele der Green Belt Movement und für einen effizienten, nachhaltigen und gerechten Umgang mit unseren natürlichen Ressourcen hat“ (ebd., siehe Kasten 1). Sie schaffte es, naturwissenschaftliches Wissen und traditionelle Spiritualität zusammenzudenken und beide für sich wertzuschätzen. So erkannte sie als Biologin zum „Baum Gottes“, „dass zwischen dem Wurzelsystem des Feigenbaums und dem unterirdischen Wasser-speicher eine Verbindung besteht: Die Wurzeln wachsen tief in die Erde hinein, brechen das Gestein unter der Erdkrume auf und dringen bis ins Grundwasser vor. So kann es an den Wurzeln nach oben steigen, bis es an einer Senke oder einer durchlässigen Stelle im Boden als Quelle hervorsprudelt. Und tatsächlich entsprang in der Nähe von Würgerfeigen meist ein Bach. (…) Außerdem hielten die Wurzeln das Erdreich zusammen und verhinderten Erosion und Erdrutsche. So trugen die kulturellen und spirituellen Traditionen, ob bewusst oder nicht, zur Bewahrung der biologischen Vielfalt bei.“ (Maathai 2011, 63f.)

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Kasten 1: Wangari Maathai zur Bedeutung von Kultur „Vor der Ankunft der Weißen hatten die Völker Kenias, wenn sie einen Baum betrachteten, nicht Holz gesehen, wenn sie einem Elefanten begegneten, nicht an Elfenbein gedacht, und wenn sie einen Geparden beobachteten, keinen Pelz vor Augen gehabt. Aber während der Kolonialisierung, als wir den Europäern mit ihrem Wissen, ihrer Technik, ihrem Verständnis, ihrer Religion und Kultur begegneten – die für uns allesamt neu waren –, verwandelten wir unsere Werte in eine Geldwirtschaft, in der der materielle Wert im Vordergrund stand. Und wie wir feststellen sollten, ist es unmöglich, etwas zu schützen, das einen Marktwert hat.“ (Maathai 2011, 217) „Culture is the means by which a people expresses itself, through language, traditional wisdom, politics, religion, architecture, music, tools, greetings, symbols, festivals, ethics, values, and collective identity. Agriculture, systems of governance, heritage, and ecology are all dimensions and functions of culture – for instance, »agri-culture« is the way we deal with seeds, crops, harvesting, processing, and eating. (...) Culture gives a people self-identity and character. It allows them to be in harmony with their physical and spiritual environment, to form the basis for their sense of self-fulfillment and personal peace. It enhances their ability to guide themselves, make their own decisions, and protect their interests. It’s their reference point to the past and their antennae to the future. Conversely, without culture, a community loses self-awareness and guidance, and grows weak and vulnerable. It disintegrates from within as it suffers a lack of identity, dignity, self-respect, and a sense of destiny. People without culture feel insecure and are obsessed with the acquisition of material things and public displays, which give them a temporary security that itself is a delusional bulwark against future insecurity. (Maathai 2010a, 160f.)

Abb. 3: Die Vision von Wangari Maathai (Entwurf: C. Meyer in Anlehnung an die Publikationen von Maathai sowie die Erd-Charta)

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Abbildung 3 bringt die Vision im Überblick zum Ausdruck. Dabei wurde zu den drei gängigen Dimensionen der Nachhaltigkeit die Dimension der Kultur hinzugenommen (vgl. Holz/Stolten-berg 2011, 19). Im Zentrum steht das oben beschriebene Bewusstsein der essenziellen Verbin-dung von Mensch, Kultur und Natur auf der Erde. Dieses führt zu reflektierten individuellen und schließlich kollektiven Entscheidungen sowie zu politischer Partizipation. Übergeordnet sind Harmonie und Einklang mit der Umwelt, der Mitwelt sowie sich selbst anzustreben. Letzteres ist eine wichtige Selbsterfahrung, die Satish Kumar mit seiner neuen Trinität für unsere Zeit, „Soil – Soul – Society“, mit Bezug auf die Seele charakterisiert hat (Kumar 2013, Meyer 2016b). Auf dieser Basis gewinnt ein Mensch Kraft und Stärke, so dass er sich mutig und verantwortungs-bewusst für den Planeten Erde und das Leben auf ihm einsetzen kann und will. Dies ist ein Handeln im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung, so wie es Maathai vorgelebt hat. Durch ihre positive und offene Ausstrahlung konnte „Mama Miti“, die Mutter der Bäume, das Vertrauen der Menschen gewinnen. „Im Laufe der Jahre habe ich gelernt, dass wir Geduld haben und uns beharrlich engagieren müssen. Beim Baumpflanzen sagten die Leute manchmal zu mir: »Ich will den Baum nicht pflanzen, er wächst nicht schnell genug«. Dann erinnere ich sie daran, dass die Bäume, die sie heute fällen, nicht von ihnen gesetzt wurden, sondern von den Generationen, die vor ihnen lebten. Deswegen sind sie verpflichtet, Bäume zu pflanzen, die den Generationen nach ihnen nutzen werden. Ich erinnere sie daran, dass die Wurzeln unserer Zukunft sich wie die eines Setzlings mit Hilfe der Sonne, guter Erde und genügend Regen im Boden verankern und sich ein Blätterdach der Hoffnung unter dem Himmel ausbreiten wird.“ (Maathai 2011, 351f.)

Abb. 4: Setzlinge einer GBM-Frauengruppe in Muranga (Kenia) (Foto: C. Meyer 2015)

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Mit der Kultur sind Werte und Bedeutungszuweisungen verbunden, die kollektiv vermittelt werden. Maathai hat erkannt: „Vieles von dem, was in den Werten begründet lag, ist verloren gegangen“ (Maathai 2012, 57). In ihrem letzten Buch „Replenishing the Earth. Spiritual Values for Healing Ourselves and the World“ (2010b) stellt sie daher die vier Werte des Green Belt Movement heraus, die sie und alle Mitwirkenden geleitet haben (siehe Kasten 2). Sie konstatiert: „An diesen Werten orientiert sich aber nicht allein das Green Belt Movement. Es sind universelle Werte (...). Sie geben an, worin unser Menschsein besteht“ (Maathai 2012, 11).

Kasten 2: Die vier Grundwerte des Green Belt Movement Love for the environment : Diese Liebe lässt sich daran ablesen, welche Lebensweise ein Mensch pflegt. Sie bringt jemanden dazu, sich in positiver Weise für die Erde einzusetzen.

Gratitude and respect for Earth’s resources : Diese bestehen in der Wertschätzung für alles, was die Erde uns gibt. Aufgrund dieser Wertschätzung möchte man nichts davon vergeu-den und macht sich deshalb die drei „R“ zu eigen: Reduzieren – Wiederverwenden (engl. reuse) – Recyceln.

Self-empowerment and self-betterment : Hierunter ist der Wunsch zu verstehen, das eigene Leben und die Lebensumstände im Geist der Eigenständigkeit zu verbessern und nicht darauf zu warten, dass jemand anderes dies für mich tut. (...) Dies umfasst auch die Einsicht, dass nicht nur die Macht zur Veränderung in einem selbst liegt, sondern auch die Fähigkeit, sich die notwendige innere Kraft anzueignen.

The spirit of service and volunteerism : Darunter ist zu verstehen, dass man Zeit, Kraft und Ressourcen dazu einsetzt, für andere tätig zu werden, ohne dafür Entschädigung, Dankbar-keit oder Anerkennung zu erwarten oder einzufordern. Zu den „anderen“ gehören auch die nichtmenschlichen Wesen, mit denen wir das Leben und die Erde teilen.

(Maathai 2010b, 14f., Maathai 2012, 9f.)

Damit wird zugleich deutlich, dass eine Wertereflexion notwendig ist, wenn eine nachhaltige Entwicklung verwirklicht werden soll. Hierzu können Maathais Schriften auch für den Geo-graphieunterricht hilfreiche Anregungen geben (Materialien in Meyer 2016a). Auch die Erd-Charta (o. J.) gründet auf diesen Werten. Maathai hat sich sehr für die Erd-Charta-Initiative eingesetzt: „Es ist zu hoffen, dass die Charta einmal zur Grundlage für schulische Umwelterziehung (Anm.: Umweltbildung, im Original: environmental education) wird, von der Grundschule bis zur höheren Schule, damit junge Menschen ihre Schulbildung mit einem Wissen um unseren Planeten abschließen und mit der Fähigkeit, ihre Beziehung – und die ihrer Gesell-schaft – zur Erde und deren biologischen Systemen kritisch zu reflektieren.“ (Maathai 2012, 209) Maathais Vision betrifft somit die Zukunft unseres Planeten. Sie möchte „die Wunden der Schöpfung heilen“, indem wir „unsere Erde erneuern“ und dabei zugleich „zu uns selbst finden“ (Maathai 2012). Als leitende Orientierung dienen dabei die vier Werte des GBM, die sie auch als spirituelle Werte charakterisiert hat. Mit ihrem Wirken und ihrer Ausstrahlung wurde Maathai auch zur Inspiration für die Schüler-initiative „Plant-for-the-Planet“, die 2007 von dem damals neunjährigen Felix Finkbeiner ins Leben gerufen wurde. Diese Initiative setzt sich dafür ein, ein Bewusstsein für den Klimawandel und für Klimagerechtigkeit zu schaffen (Felix & Freunde 2012).

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4. Fazit „Die Zukunft unseres Planeten geht uns alle an, und wir sollten alles in unserer Macht Stehende tun, um ihn zu schützen. Wie ich den Förstern und den Frauen sagte: Man braucht kein Diplom, um einen Baum zu pflanzen.“ (Maathai 2011, 174) Die Umsetzung einer nachhaltigen Entwicklung beginnt mit der individuellen Verantwortung. Sie geht ein in die kollektive Verantwortung, die ihren Niederschlag in nachhaltigkeitsorientier-ten politischen Entscheidungen findet. Individuelle und kollektive Verantwortung dürfen nicht auf eine Region beschränkt bleiben, sondern müssen globale Verflechtungen berücksichtigen. Dafür ist eine umfassende Verbundenheit erforderlich, die mit einem höheren Bewusstsein einhergeht: „Today we are faced with a challenge that calls for a shift in our thinking, so that humanity stops threatening its life-support system. We are called to assist the Earth to heal her wounds and in the process heal our own – indeed, to embrace the whole creation in all its diversity, beauty and wonder. (...) In the course of history, there comes a time when humanity is called to shift to a new level of consciousness, to reach a higher moral ground. (...) That time is now.“ (Maathai 2004, Friedensnobelpreisrede) Danksagung

Für das Erstellen der Abbildungen 2 und 3 möchte ich Andreas Fiedler herzlich danken. Literatur

Erd-Charta (o.J.): Homepage der Erd-Charta-Initiative. (http://erdcharta.de, Abruf: 17.04.2016)

Felix & Freunde (2012): Baum für Baum. Jetzt retten wir Kinder die Welt. 3. aktualisierte Aufl. München.

GBM – Green Belt Movement (2016): Homepage des GBM. (http://www.greenbeltmovement.org, Abruf: 3.10.2016)

Holz, V./Stoltenberg, U. (2011): Mit dem kulturellen Blick auf den Weg zu einer nachhaltigen Entwicklung. In: Sorgo, G. (Hrsg.): Die unsichtbare Dimension. Bildung für nachhaltige Entwicklung im kulturellen Prozess. forum exkurse edition, Bd. 8. Wien, S. 15-34. (http://www.umweltbildung.at/uploads/tx_hetopublications/publikationen/pdf/forum_exkurse_08.pdf, Abruf: 3.10.2016)

Kottwitz, A. (2013): Ihrer Zeit voraus – Visionäre Frauen im Einsatz für den Umwelt- und Naturschutz 1899 bis heute. (Grußwort zur Ausstellungseröffnung der Umweltstaatssekretärin A. Kottwitz) (http://www.umwelt.niedersachsen.de/staatssekretaerin/reden/ihrer-zeit-voraus--visionaere-frauen-im-einsatz-fuer-den-umwelt--und-naturschutz-1899-bis-heute-118764.html, Abruf: 17.04.2016)

Kumar, S. (2013): SOIL • SOUL • SOCIETY – a new trinity for our time. Lewes.

Maathai, W. (2004): Nobel Lecture. (http://www.nobelprize.org/nobel_prizes/peace/laureates/2004/maathai-lecture-text.html, Abruf: 16.04.2016)

Maathai, W. (2010a): The Challenge for Africa. London.

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Maathai, W. (2010b): Replenishing the Earth. Spiritual Values for Healing Ourselves and the World. New York.

Maathai, W. (2011): Afrika, mein Leben. Erinnerungen einer Unbeugsamen. 2. Auflage. (Aus dem Englischen von U. Wulfekamp) Köln.

Maathai, W. (2012): Die Wunden der Schöpfung heilen. Wie wir zu uns selbst finden, wenn wir unsere Erde erneuern. (Aus dem Englischen von G. Baumann) Freiburg i. B.

Merton, L./Dater, A. (2008): Taking Root. The Vision of Wangari Maathai. (http://takingrootfilm.com, Abruf: 17.04.2016)

Meyer, C. (2013): Culture and Values in Geography Education: some Suggestions. (http://www.didageo.uni-hannover.de/fileadmin/institut/Culture_and_Values_CM_2013.pdf, Abruf: 17.04.2016)

Meyer, C. (2015a): „Shaking the Tree“ – Die Vision von Wangari Maathai als Beitrag zur Bewusstseinsbildung für eine nachhaltige Entwicklung. (http://www.didageo.uni-hannover.de/382.html, Abruf: 17.04.2016)

Meyer, C. (2015b): Bilinguales Lernen: „Taking Root - The Vision of Wangari Maathai“ mit der Methode „Vorhersage mit Filmen“ (Sekundarstufe I und II). – In: Reinfried, S.; Haubrich, H. (Hrsg.): Geographie unterrichten lernen. Die Didaktik der Geographie. Berlin, S. 422-425.

Meyer, C. (2016a): „Taking Root“ – Die Vision von Wangari Maathai als Beitrag zur Bewusstseinsbildung für die Zukunft unserer Erde. (http://www.didageo.uni-hannover.de/fileadmin/institut/Die_Vision_von_W._Maathai_02.02.16.pdf, Abruf 17.4.2016)

Meyer, C. (2016b): Visionärinnen Ostafrikas: Tiefenökologische und tiefenpsychologische Betrachtungen zum Wirken von Wangari Maathai und Immaculée Ilibagiza im Kontext von „Sustainability“. In: Eberth, A., Kaiser, A. (Hrsg.): Ostafrika. Darmstadt. (Beitrag angenommen)

Phiri, V. (2014): Wangari Maathai. Unsere Erde erneuern. – In: Diallo, M. M. (Hrsg.): Visionäre Afrikas. Der Kontinent in ungewöhnlichen Portraits. Wuppertal, S. 100-108.

Wenz, H. (2010): Wangari Maathais „Green Belt Movement“ – Eine Vision fasst Fuß. – In: Praxis Geographie, H. 5, S. 16-20.

Wenz, H. (2011): Wangari Maathai: Inspiration, Verantwortung und Perspektiven. – In: Kersting, P./ Hoffmann, K. W. (Hrsg.): AfrikaSpiegelBilder. Reflexionen europäischer Afrikabilder in Wissenschaft, Schule und Alltag. (Mainzer Kontaktstudium Geographie, Bd. 12). Mainz, S. 111-116.

Autorenangaben Prof. Dr. Christiane Meyer Leibniz Universität Hannover, Institut Didaktik der Naturwissenschaften – Didaktik der Geo-graphie, Am Kleinen Felde 30, D-30167 Hannover [email protected]