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Die pathologische Fraktur des Unterkiefers - Eine retrospektive Analyse des Patientengutes der Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgischen Klinik am Universitätsklinikum Erlangen Aus der Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgischen Klinik des Universitätsklinikums Erlangen Direktor: Prof. Dr. Dr. Dr. h.c. F.W. Neukam Der Medizinischen Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg zur Erlangung des Doktorgrades Dr. med. dent. vorgelegt von Philipp Maximilian Bergt aus Bremen

Die pathologische Fraktur des Unterkiefers Eine ... · In a retrospective study by the Maxillofacial Surgery Department of the University Erlangen case histories of pathological fractures

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Die pathologische Fraktur des Unterkiefers

- Eine retrospektive Analyse des Patientengutes der Mund-,

Kiefer- und Gesichtschirurgischen Klinik am

Universitätsklinikum Erlangen

Aus der Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgischen Klinik des

Universitätsklinikums Erlangen

Direktor: Prof. Dr. Dr. Dr. h.c. F.W. Neukam

Der Medizinischen Fakultät

der Friedrich-Alexander-Universität

Erlangen-Nürnberg

zur

Erlangung des Doktorgrades Dr. med. dent.

vorgelegt von

Philipp Maximilian Bergt

aus Bremen

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Als Dissertation genehmigt

von der Medizinischen Fakultät

der Friedrich–Alexander–Universität Erlangen-Nürnberg

Tag der mündlichen Prüfung: 18.04.2016

Vorsitzender des Promotionsorgans: Prof. Dr. Dr. h.c. J. Schüttler

Gutachter/in: PD. Dr. Dr. Philipp Stockmann, Prof. Dr. Dr. Friedrich Neukam

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Meinen Eltern in Liebe und Dankbarkeit gewidmet.

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Inhaltsverzeichnis

1. ZUSAMMENFASSUNG ......................................................................................... 1

1.1. Hintergrund und Ziel ......................................................... 1

1.2. Material und Methoden ..................................................... 1

1.3. Ergebnisse ........................................................................ 1

1.4. Schlussfolgerung .............................................................. 1

2. SUMMARY ............................................................................................ 3

2.1. Background and Aims ....................................................... 3

2.2. Materials and Methods ………….………………………….. 3

2.3. Results ……………………………………….………………. 3

2.4. Conclusion …………....……………………………………… 3

3. EINLEITUNG ............................................................................................. 5

3.1. Zielsetzung der Studie ....................................................... 9

4. MATERIAL UND METHODEN ............................................................................. 10

4.1. Patientenkollektiv .............................................................. 10

4.2. Statistische Auswertung .................................................... 11

4.3. Auswertung der Röntgenbilder nach der ........................... 12

Pell und Grégory Klassifikation .......................................... 12

4.4. Beurteilung periimplantärer Defekte nach Spiekermann ... 15

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5. ERGEBNISSE ......................................................................................... 16

5.1. Patientenkollektiv ........................................................... 16

5.2. Ursache der pathologischen Unterkieferfraktur ............. 17

5.3. Geschlechterverteilung .................................................. 22

5.4. Frakturzeitpunkt nach dentoalveolärer Chirurgie .......... 23

5.5. Restbezahnung zum Frakturzeitpunkt ........................... 24

5.6. Lage des Weisheitszahnes nach Pell und Grégory ....... 27

5.7. Therapie der pathologischen Unterkieferfraktur ............. 27

6. DISKUSSION .......................................................................................... 31

7. LITERATURVERZEICHNIS ................................................................................... 42

8. VERZEICHNIS VERWENDETER ABKÜRZUNGEN ...................................... 46

9. LEBENSLAUF ...................................................................................... 47

10. DANKSAGUNG ....................................................................................... 48

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1. Zusammenfassung

1.1. Hintergrund und Ziel

Im Rahmen einer retrospektiven Analyse wurden die Krankengeschichten der

Patienten mit pathologischen Unterkieferfrakturen an der Mund-, Kiefer- und

Gesichtschirurgischen Klinik am Universitätsklinikum Erlangen über einen

Beobachtungszeitraum von 13 Jahren untersucht. Ziel der Studie war die

Erhebung von Daten zur Häufigkeit, Ursachen und therapeutischem Vorgehen.

Darüber hinaus sollten bekannte Risikofaktoren überprüft und noch unbekannte

Risikofaktoren identifiziert werden.

1.2. Material und Methoden

Innerhalb des Beobachtungszeitraums wurden mit Hilfe des ICD-10 Codes 881

Patienten isoliert, die wegen einer Fraktur des Unterkiefers operativ behandelt

wurden. Nach Studium der Patientenakten konnte die Zahl 51 Patienten mit

einer pathologischen Unterkieferfraktur in die Studie eingeschlossen werden.

Anhand von festgelegten Parametern erfolgte die deskriptive und explorative

Datenanalyse.

1.3. Ergebnisse

Im Ergebnis zeigte sich, dass die Häufigkeit der pathologischen

Unterkieferfraktur im Patientenkollektiv der MKG-Klinik Erlangen bei 5% aller

behandelten Unterkieferfrakturen lag. Dabei trat wie erwartet die pathologische

Fraktur am häufigsten nach Entfernung endständiger Molaren auf. Männer

waren statistisch häufiger betroffen als Frauen. Die Inzidenzrate der

pathologischen Fraktur bei Zysten und im Rahmen der dentalen Implantologie

lag in beiden Gruppen bei 0,06%. Als zusätzlicher potentieller Risikofaktor

wurde eine Entzündung um dentale Implantate (Periimplantitis) beschrieben.

1.4. Schlussfolgerung

Die pathologische Unterkieferfraktur stellt eine seltene Komplikation dar, die

nicht nur spontan, sondern auch iatrogen auftritt. Am häufigsten sind Patienten

betroffen denen Weisheitszähne entfernt wurden. Aber auch Eingriffe im

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Rahmen der dentalen Implantologie, das Vorhandensein von Implantaten, wie

auch die Entfernung großer Zysten beinhalten diese schwerwiegende

Komplikation, die vom Zahnarzt bei der Aufklärung des Patienten berücksichtigt

werden sollte. Die Ergebnisse der Studie sollen als Grundlage weiterführender

Untersuchungen genutzt werden, um Patienten möglichst vor der

pathologischen Fraktur zu bewahren.

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2. Summary

2.1. Background and Aims

In a retrospective study by the Maxillofacial Surgery Department of the

University Erlangen case histories of pathological fractures of the mandible

were analysed within an observational period of 13 years. Aim of this study was

the collection of data with regard to statistical frequency of occurrence as well

as etiology and treatment. Furthermore, known risk factors were examined

besides the identification of unkown risk factors.

2.2. Materials and Methods

Within the observational period 881 surgically treated patients suffering from

fractures of the lower jaw were isolated due to the use of ICD 10 codes. After

studying the case histories 51 patients with pathological fractures of the

mandible were included into the analysis. Based on predetermined parameters

a descriptive and explorative data analysis was carried out.

2.3. Results

According to our database, about 5% of all treated mandibular fractures at the

Department of Maxillofacial Surgery Erlangen were pathological fractures. As

expected, pathological fracture occured most frequently after extraction of

terminal molars. Males suffered more often from pathological fracture after tooth

extraction than females. The incidence of pathological fracture after cysts or

implant treatment was 0.06% in both groups. As an additional risk factor

inflammatory events along dental implants (periimplantitis) were described.

2.4. Conclusion

Pathological fractures are rare complications that do not only occur

spontaneously but also in the form of iatrogenic events. Most frequent, patients

after third molar removal are affected. However, implant surgery, presence of

dental implants as well as extensive cystectomy can lead to this serious

complication and should be considered during the pre-operation discussion.

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The results of this study should be followed by further research in order to

prevent patients from pathological fracture.

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3. Einleitung

Die pathologische Fraktur des Kiefers ist eine seltene aber schwerwiegende

Komplikation in der dentoalveolären Chirurgie. Die Therapie ist zum Teil

komplexer als die der traumatisch bedingten Frakturen und betroffene

Patienten erleiden hierunter nicht selten eine signifikante Einschränkung der

Lebensqualität.

Autor Inzidenz (%)

Hartel et al. 1988 0.19

Alling & Alling 1993 0.0075

Krimmel et al. 2000 0.65

Perry & Goldberg 2000 0.0046

Libersa et al. 2002 0.0049

Arrigoni & Lambrecht 2004 0.29

Tabelle 1: Literaturübersicht bezüglich der Inzidenz der pathologischen Frakturen nach Weisheitszahnoperationen.

Als pathologische Fraktur, oder auch Spontanfraktur, wird am Kieferknochen

diejenige Fraktur definiert, die unter physiologischer Kaubelastung,

beziehungsweise unter geringem Kraftaufwand, wie sie auch bei

dentoalveolären Eingriffen angewendet wird, auftritt [8, 9, 13].

Die verfügbaren Daten aus der Literatur über die Häufigkeit und Ursachen der

pathologischen Fraktur der Kieferknochen sind bis dato vergleichsweise gering

(Tab. 1). Gerhards et al. (1998) ermittelten einen Anteil der pathologischen

Fraktur von 5% an allen Unterkieferfrakturen [13]. Insgesamt sind nur wenige

klinische Studien mit hohem Evidenzgrad und kleinen Patientenkollektiven

verfügbar, sodass eine verlässliche Übertragung auf die Grundgesamtheit nur

eingeschränkt möglich ist [9]. Hinzu kommt, dass die vorhandene Literatur

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zumeist nur das Kollektiv derjenigen Patienten betrachtete, welche eine

pathologische Fraktur nach Weisheitszahnosteotomie erlitten [1-3, 5, 7, 14, 15,

17, 19, 24].

Grundsätzlich kann zwischen spontanen und iatrogenen Ursachen eine

pathologische Fraktur differenziert werden. Diskutiert wird unter den iatrogenen

pathologischen Frakturen vor allem die operative Entfernung dritter Molaren [5].

Allerdings treten auch im Rahmen der dentalen Implantologie oder nach

operativer Zystenbehandlung pathologische Kieferfrakturen auf. Hier fehlen

evidenzbasierte Zahlen zur Inzidenz gänzlich. Nkenke et al. schätzten die

Inzidenz unter 0,1% [22].

Das klinische Bild der pathologischen Kieferfraktur ist vielfältig.

Definitionsgemäß, wie auch in Ihrem klinischen Erscheinungsbild, unterscheidet

sich die pathologische Fraktur von traumatischen Frakturen des Unterkiefers.

Der Frakturmechanismus der pathologischen Fraktur setzt im Gegensatz zu

traumatisch bedingten Frakturen eine strukturelle Schwächung des

Kieferknochens voraus [5, 13], die auf Entzündungen (Osteomyelitiden,

Osteoradio- und Bisphosphonatnekrosen), iatrogen verursachte Schwächung

der Kieferknochenstruktur, systemische Erkrankungen, osteolytische Prozesse

wie z.B. Zysten sowie auf Implantate und Kieferatrophie zurückgeführt werden

kann. Auch zeitlich besteht häufig kein direkter Zusammenhang mit einem

Trauma oder einem dentoalveolären Eingriff (Abb. 1).

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Abbildung 1: Pathologische Fraktur des Unterkiefers bei einem 50 jährigen Patienten mit

verlagerten Zähnen 47 und 48 und follikulärer Zyste, welcher sich mit einem Abszess in dieser Region vorstellte (A). Bild B zeigt den Zustand nach Entfernung der Zyste und der

nicht erhaltungswürdigen Zähne. 8 Wochen postoperativ bemerkte der Patient ein

Knacken gefolgt von massiven Schmerzen. Intraoperativ wurde eine fissurale

Unterkieferfraktur (siehe Pfeile) im ehemaligen Zystenbereich diagnostiziert (C), die

durch Interpositionsosteoplastik mit autologem Knochen des Beckens und rigider

Osteosynthese behandelt werden musste (D).

Im Wesentlichen folgt die Ausrichtung der knöchernen Trabekel innerhalb der

Unterkieferspongiosa der Belastungsrichtung des Unterkieferknochens.

Typischerweise frakturiert der Unterkiefer annähernd senkrecht zum Verlauf der

Druck- und Zugbelastung des Unterkieferknochens (sogenannte

Kiefertrajektorien), welche im Bereich des Kieferwinkels konvergieren (Abb. 2).

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Abbildung 2: Trajektorien des Unterkiefers nach Linkow et al. [20]

Für die pathologische Fraktur wurde im Gegensatz zu traumatisch bedingten

Frakturen häufiger die Region um den Kieferwinkel beschrieben. Diese Region

ist bei der pathologischen Unterkieferfraktur nach operativer

Weisheitszahnentfernung aufgrund der iatrogenen Osteotomiewunde

postoperativ strukturell weniger belastungsfähig (Abb. 1). Miyaura et al. (1999)

wiesen bei männlichen Probanden hohe Kaukräfte von bis zu 600N nach [21].

Während ein gesunder Unterkiefer den einwirkenden Kräften aufgrund seiner

strukturellen Integrität widerstehen kann, übersteigen sie die Widerstandskraft

eines pathologisch vorgeschädigten Knochens und können während des

Kauvorgangs eine Unterkieferfraktur bewirken [13].

Die Therapie der pathologischen Fraktur ist zumeist komplizierter als bei der

traumatisch bedingten Fraktur. Sie stellt nicht selten eine Herausforderung für

den Behandler dar und ist mit einer längeren Hospitalisation verbunden. Häufig

wird eine pathologische Fraktur auch erst nach mehreren Tagen unklarer

Beschwerden des Patienten diagnostiziert, wenn bereits Entzündungsvorgänge

eingetreten sind. Ein entzündlich kompromittiertes Knochenlager erschwert

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zusätzlich die knöcherne Wundheilung und die Wiederherstellung der

knöchernen Integrität. Abhängig von Art und Ausmaß der pathologischen

Läsion reicht das therapeutische Spektrum von konservativen

Schienungsmaßnahmen über die einfache Osteosynthese bis hin zu

Unterkieferkontinuitätsresektionen mit Rekonstruktion über

Interpositionsosteoplastiken und auch mikrovaskulärem Knochentransfer.

3.1. Zielsetzung der Studie

Nach Literaturangaben wird die Weisheitszahnentfernung als die häufigste

Ursache der iatrogenen pathologischen Unterkieferfraktur angegeben. Als

weitere prädisponierende Faktoren werden operative Behandlungen

pathologischer Prozesse, wie Tumorerkrankungen und Zysten sowie die

dentale Implantologie diskutiert.

Die Zielsetzung dieser Studie war die Erhebung von Daten zur Häufigkeit und

zu ursächlichen Faktoren der pathologischen Fraktur im Unterkiefer in einer

monozentrischen retrospektiven Analyse. Die Ergebnisse der Studie sollen

genutzt werden, um Daten aus der Literatur für das Patientenkollektiv der MKG-

Klinik Erlangen zu überprüfen und dient auch zur Identifikation von potentiell

unbekannten Risikofaktoren.

Wir wissen, dass bezüglich traumatisch bedingter Frakturen ein zeitlicher

Zusammenhang zwischen dem Frakturereignis und dem Trauma besteht.

Insbesondere durch Analyse der Krankengeschichten des eingeschlossenen

Patientenkollektivs soll für die pathologische Fraktur untersucht werden, wann

nach iatrogener struktureller Schwächung des Knochens das Frakturereignis

eintritt. Auch die Position des entfernten Zahnes innerhalb der Zahnreihe ist in

Studien als Risikofaktor für die iatrogen herbeigeführte Kieferfraktur eingestuft

worden. Ziel ist daher auch die Lokalisierung und Beschreibung von

Prädilektionsstellen der pathologischen Kieferfraktur.

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4. Material und Methoden

Die vorliegende Studie wurde als retrospektive Analyse von Krankenunterlagen

konzipiert. Die Grundlage der Datenerhebung bildeten die Krankenakten von

Patienten der Mund-, Kiefer-, Gesichtschirurgischen Klinik am

Universitätsklinikum Erlangen, die im Zeitraum vom Januar 1998 bis April 2011

wegen einer pathologischen Kieferfraktur behandelt wurden.

4.1. Patientenkollektiv

Initial wurden Patienten mit behandelter Kieferfraktur anhand des ICD-10

Schlüssels (engl. „International Classification of Diseases and Health Related

Problems“) aus der elektronischen Operationsdokumentation (MCC, Meierhofer

AG, München) identifiziert. Die Selektion erfolgte nach den ICD-10 Codes:

S02.4 Fraktur des Jochbeins und des Oberkiefers

S02.6 Unterkieferfrakturen

S02.7 Multiple Frakturen der Schädel- und Gesichtsschädelknochen

S02.8 Frakturen sonstiger Schädel- und Gesichtsschädelknochen

S02.9 Fraktur des Schädels und der Gesichtsschädelknochen, Teil nicht näher

bezeichnet

Die Zahl der hierdurch erfassten Patienten betrug 2016 (Abb. 3). Nach Prüfung

der Dokumentation belief sich die Gesamtzahl der Patienten mit

Unterkieferfrakturen auf 881 Fälle. Anschließend wurden diejenigen Fälle

isoliert, die ausschließlich eine solitäre Unterkieferfraktur aufwiesen (n=447).

Die Krankenunterlagen dieser 447 Patientenfälle wurden gesichtet und erfasst,

ob hier gemäß der Definition eine pathologische Fraktur vorlag.

Im untersuchten Zeitraum erfüllten 51 Patienten die Einschlusskriterien und

wurden für die Studie ausgewertet. Die anhand der OP-Dokumentation und den

Arztbriefen erhobenen Untersuchungsparameter waren:

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Das Alter des Patienten, das Geschlecht des Patienten, die Frakturursache, die

Frakturlokalisation, der Frakturzeitpunkt nach dentoalveolärem Eingriff, der

Restzahnbestand, sowie die Bezeichnung der vorgenommenen

kieferchirurgischen Eingriffe der Frakturtherapie.

Abbildung 3: Flowchart zum Vorgehen bei der Patientenselektion mit Angaben zur

Fallzahl (links). Es wurden aus 2016 Patienten, welche an der MKG-Klinik Erlangen

aufgrund einer Unterkieferfraktur behandelt wurden, 51 Patientenfälle mit pathologischer Unterkieferfraktur isoliert und in die Studie eingeschlossen. Der Beobachtungszeitraum

betrug 13 Jahre.

4.2. Statistische Auswertung

Die Patientenfälle wurden zum Zwecke des Datenschutzes anonymisiert und

mit einer laufenden Nummer versehen, die zur Identifikation diente. Zur

statistischen Auswertung wurden die 51 ermittelten Patientenfälle hinsichtlich

ihrer wahrscheinlichen Frakturursache in die Gruppen „Zahnentfernung“,

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„Implantation“ und „Kieferzyste“ (n=45) eingeteilt. Die übrigen 6 Fälle entfielen

auf die Gruppen „Osteoradionekrose“ (n=3) und „Osteomyelitis“ (n=3).

Die aus den Krankenakten erhobenen Untersuchungsparameter wurden im

Tabellenkalkulationsprogramm Microsoft Excel (Version 2007, Redmond, USA)

elektronisch gespeichert. Die statistische Testung erfolgte mit der

Statsitiksoftware SPSS Pro (Version 19, IBM Corp., Armonk, USA). Es wurden

eine deskriptive Datenanalyse (arithmetischer Mittelwert, Standardabweichung)

sowie eine univariante Varianzanalyse (ANOVA) durchgeführt. Das

Signifikanzniveau wurde auf einen P-Wert von unter oder gleich 0,05 festgelegt.

Die Inzidenzrate der pathologischen Fraktur für die unterschiedlichen Gruppen

wurde mit Hilfe folgender Formel berechnet:

Abbildung 4: Verwendete Formel zur Berechnung der Inzidenzrate

4.3. Auswertung der Röntgenbilder nach der Pell und Grégory Klassifikation

Um die relative Lagebeziehung des Weisheitszahnes zum Kieferknochen als

Risikofaktor für pathologische Unterkieferfrakturen näher untersuchen zu

können, wurden die präoperativen Panoramaschichtaufnahmen (PSA)

analysiert. Hierzu wurden Anfragen an die Überweiser gerichtet (n=24). Auch

nach mehrmaliger schriftlicher und telefonischer Rückfrage wurden nur 7

Röntgenbilder zu Patientenfällen übersandt. Insgesamt erhielten wir in drei

Fällen auswertbare präoperative PSA, auf die die Klassifikation nach den von

Pell und Grégory beschriebenen Kriterien anwendbar war. Ausgeschlossen

wurden ein erhaltenes Schädel-CT, eine postoperative PSA und ein analoger

Inzidenzrate =

Anzahl der pathologischen Frakturen _______________________________ x 100

Beobachtungszeitraum x Anzahl der untersuchten Individuen mit Unterkieferfrakturen

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Parodontal-Status. In einem weiteren Fall erhielten wir die Information, dass die

präoperative PSA nicht mehr verfügbar sei.

Die 1933 durch Pell und Grégory beschriebene Einteilung dritter Molaren

hinsichtlich Nachbarschaftsbeziehung zum aufsteigenden Unterkieferast und

der Okklusalebene wird als Prognosefaktor für den Schwierigkeitsgrad einer

Weisheitszahnentfernung genutzt (Garcia et al., 2000) [11]. In jeder erhaltenen

PSA wurde die röntgenologische anteriore Ramuslinie, der distalste Punkt der

zweiten Molaren, sowie die Okklusalebene als Verbindungslinie zwischen

Inzisalpunkt und distobukkalem Höcker des Molaren identifiziert. Im Falle, dass

die mesiodistale Ausdehnung des dritten Molaren kleiner ist als die Distanz

zwischen anteriorer Ramuslinie und dem distalsten Punkt des 2. Molaren, liegt

nach der Pell und Grégory Klassifikation (PG) eine Klasse I vor (Abb. 5). Eine

PG Klasse II entspricht einer größeren mesiodistalen Ausdehnung des dritten

Molaren als die Distanz zwischen anteriorer Ramuslinie und zweitem Molaren.

Eine Klasse III liegt vor, wenn der Raum distal des zweiten Molaren derart

gering ist, dass der dritte Molar komplett bzw. zum überwiegenden Teil im

aufsteigenden Unterkieferast liegt.

Abbildung 5: Pell-Grégory Klassifikation – Sagittale Lage des dritten Molaren in Relation

zur anterioren Ramuslinie, Grafik entnommen aus Ay et al. [4]

Erreicht die Okklusalfläche des dritten Molaren in der Vertikalen die

Okklusalfläche des zweiten Molaren, liegt nach Pell und Grégory eine Klasse A

vor (Abb. 6). Befindet sie sich zwischen Okklusalfläche und dem Zahnhals des

zweiten Molaren wird die Lage des Weisheitszahns als Klasse B eingestuft. Bei

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einer Klasse C liegt die Okklusalfläche des dritten Molaren apikal des

Zahnhalses des zweiten Molaren (Abb. 7).

Abbildung 6: Pell-Grégory Klassifikation – Vertikale Lage des dritten Molaren in Relation

zur Okklusalebene – Grafik entnommen aus Ay et al. [4]

Abbildung 7: Fallbeispiel einer Pell-Grégory Klasse IIC (Zahn 48)

Die erfassten Daten flossen in die Analyse ein, um den Zusammenhang

zwischen der Schwierigkeit des chirurgischen Eingriffes und dem Eintreten

einer Fraktur zu untersuchen.

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4.4. Beurteilung periimplantärer Defekte nach Spiekermann

In der Gruppe „Implantologie“ wurden periimplantäre Destruktionen im Sinne

einer Periimplantitis klassifiziert. Hier wurde die etablierte Einteilung nach

Spiekermann verwendet [25] (Abb. 8).

Klasse I: horizontale Knochenresorptionen

Klasse II: schüsselförmige Knochenresorptionen

Klasse III: trichterförmige Knochenresorptionen

Klasse IV: spaltförmige Knochenresorptionen

Abbildung 8: Fall einer pathologischen Fraktur aus dem untersuchten Patientenkollektiv

(Gruppe: “Implantation“). Nach radiologischen und klinischen Parametern lag hier eine

Periimplantitis der Klasse II nach Spiekermann vor.

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16

5. Ergebnisse

5.1. Patientenkollektiv

Auf Basis der erhobenen Ergebnisse konnten 51 Fälle einer pathologischen

Unterkieferfraktur in die Untersuchung eingeschlossen werden. Dies entsprach

einem Anteil von 5% aller durchgeführten Frakturbehandlungen des

Unterkiefers bei einer errechneten Inzidenzrate von 0,45%. Die Analyse des

Patientenkollektivs wies keine Fälle einer pathologischen Fraktur des

Oberkiefers auf. Die 51 erfassten Patienten wiesen im Mittelwert ein

Lebensalter von 57,9 ± 13,2 Jahren auf (Abb. 9).

Abbildung 9: Altersverteilung der pathologischen Unterkieferfraktur als Histiogramm. Die

durchgezogene linie entspricht der Normalverteilungskurve mit Mittelwert bei 57 Jahren.

Der jüngste Patient war 30 Jahre alt, während die älteste Patientin im Alter von

83 Jahren eine pathologische Fraktur erlitt. Die Altersverteilung der Patienten

glich annähernd einer Normalverteilung. Die Patienten der Gruppe

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„Zahnentfernung“ unterschritten den Mittelwert mit durchschnittlich 53

Lebensjahren bei einer Standardabweichung von ±14 Jahren. Die Patienten der

Gruppe „Kieferzysten“ wiesen zum Frakturzeitpunkt ein mittleres Patientenalter

von 62 Jahren bei einer Standardabweichung von ±10 Jahren auf. Das mittlere

Patientenalter der Gruppe „Implantation“ lag ebenfalls bei 62 Lebensjahren bei

einer Standardabweichung von ±9 Jahren.

5.2. Ursache der pathologischen Unterkieferfraktur

In 26 der insgesamt 51 Patientenfälle (51%) mit pathologischer

Unterkieferfraktur war im Vorfeld des Frakturereignisses eine chirurgische

Zahnentfernung an selbiger Lokalisation vorgenommen worden. Die

Inzidenzrate pathologischer Frakturen nach Zahnentfernung betrug innerhalb

dieser Studie 0,23%.

Abbildung 10: Ursachen der pathologischen Unterkieferfraktur als Tortengrafik. Die

häufigste Ursache der pathologischen Fraktur war die Zahnentfernung. Angegeben sind

die Prozentzahlen und die Anzahl der Fälle.

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Der Frakturspalt lag in 24 Fällen (92%) auf Höhe der Extraktionsalveolen der

dritten Molaren, während in den übrigen zwei Fällen (8%) jeweils zweite

Molaren des Unterkiefers chirurgisch entfernt worden waren. Die betroffene

Lokalisation der pathologischen Fraktur nach Zahnentfernung war in 16 Fällen

Zahn 48, gefolgt von Zahn 38 mit 8 Fällen, sowie Zahn 37 und 47 mit jeweils

einem Fall (vergleiche Tab. 2). Im direkten Seitenvergleich war der vierte

Quadrant mit insgesamt 17 Frakturen (65%) gegenüber dem dritten

Quadranten mit 9 Frakturen (35%) häufiger betroffen (Verhältnis 1,9:1).

Tabelle 2: Anzahl der Frakturen auf Grundlage der Röntgendiagnostik an bestimmten

Lokalisationen im Bereich des zahntragenden Abschnittes (n=26) Frakturlokalisation der

Gruppe „Zahnentfernung“

12 von 51 Patienten (23,5%) wiesen in ihrer Krankengeschichte einen

implantologischen Eingriff auf, in dessen Folge sich die pathologische

Unterkieferfraktur ereignete. Die Behandlung mit Implantaten stellte neben der

„Zahnentfernung“ (51%) die zweithäufigste Ursache einer pathologischen

Unterkieferfraktur dar. Die Inzidenzrate lag bei 0,1%. Innerhalb der Gruppe

„Implantation“ war die radiologisch sichtbare Periimplantitis mit 7 Patientenfällen

(58%) die häufigste Ursache der pathologischen Fraktur. Hier waren sämtliche

Fälle als Stadium 2 nach Spiekermann klassifiziert [25]. Zwei Patientenfälle des

Untersuchungskollektivs (17%) wiesen eine Fraktur bei vorhandenem,

osseointegriertem Implantat ohne periimplantäre Osteolyse auf, während in

zwei weiteren Fällen (17%) der operative Eingriff der Implantatinsertion

unmittelbar der Unterkieferfraktur vorausging. In einem Fall (8%) kam es in

Folge der operativen retromolaren Knochenentnahme zum Auftreten einer

Fraktur.

48 47 46 45 44 43 42 41 31 32 33 34 35 36 37 38

n 16 1 - - - - - - - - - - - - 1 8

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Abbildung 11: Mögliche Frakturursachen in der Gruppe „Implantation“

Für die Gruppe „Implantation“ war der Frontzahnbereich mit 7 dokumentierten

pathologischen Frakturen (58,3%) die am häufigsten frakturierte Region des

Unterkiefers (vergleiche Tab. 3). Nachfolgend traten vier Frakturen im Bereich

der Prämolaren (33,3%), sowie eine im Bereich der Molaren (8,3%) auf.

Tabelle 3: Anzahl der Frakturen auf Grundlage der Röntgendiagnostik an bestimmten

Lokalisationen im Bereich des zahntragenden Abschnittes (n=12) der Gruppe

„Implantation“

48 47 46 45 44 43 42 41 31 32 33 34 35 36 37 38

n 1 - - 1 1 3 2 - - - 2 2 - - - -

Page 25: Die pathologische Fraktur des Unterkiefers Eine ... · In a retrospective study by the Maxillofacial Surgery Department of the University Erlangen case histories of pathological fractures

20

Am häufigsten lag die Fraktur in dieser Gruppe im interforaminären Bereich (10

von 12 pathologische Frakturen, 83%) des Corpus mandibulae. Lediglich zwei

Patienten (17%) erlitten distal des 1. Prämolaren eine Fraktur.

Abbildung 12: Ursache der pathologischen Fraktur der Gruppe „Kieferzysten“

Pathologische Frakturen des Unterkiefers bei diagnostizierter Kieferzyste lagen

bei insgesamt 7 Patienten (13,5%) vor. Die Inzidenzrate der Fraktur in dieser

Gruppe betrug 0,06%. Die Frakturen traten in 3 Fällen vor chirurgischer

Behandlung und in 4 Fällen nach chirurgischer Behandlung (chirurgische

Zystektomie) auf (Abb. 12). Alle Frakturen der Gruppe „Kieferzysten“ befanden

sich im Bereich der Zystenkavität. 5 von 7 pathologische Frakturen waren im

Molarenbereich lokalisiert. Lediglich eine Fraktur wurde im Bereich der

Eckzähne diagnostiziert. 4 von 7 Frakturen lagen im 3. Quadranten, während

sich zwei im 4. Quadranten ereigneten (vergleiche Tab. 4). In einem Fall lag

keine exakte Lokalisierung der Frakturregion nach FDI Zahnschema vor.

Page 26: Die pathologische Fraktur des Unterkiefers Eine ... · In a retrospective study by the Maxillofacial Surgery Department of the University Erlangen case histories of pathological fractures

21

Tab. 4: Anzahl der Frakturen auf Grundlage der Röntgendiagnostik an bestimmten

Lokalisationen im Bereich des zahntragenden Abschnittes (n=7) Frakturlokalisation der

Gruppe „Kieferzysten“

Im Beobachtungszeitraum konnten 3 Patientenfälle (6%) einer pathologischen

Unterkieferfraktur bei Osteomyelitis ermittelt werden. Die Inzidenz betrug

0,03%. Insgesamt 3 Fälle (6%) einer Pathologischen Unterkieferfraktur standen

im Zusammenhang mit einer Osteoradionekrose bei einer Inzidenz von

ebenfalls 0,03%.

48 47 46 45 44 43 42 41 31 32 33 34 35 36 37 38

n - - 1 - - 1 - - - - - - - 1 1 2

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22

5.3. Geschlechterverteilung

Die drei Gruppen „Zahnentfernung“, „Implantation“ und „Kieferzysten“

umfassten 45 Patienten. Von diesen 45 Patienten waren 29 (64%) männlichen

und 16 (36%) weiblichen Geschlechts (Abb. 13).

Abbildung 13: Geschlechterverteilung des Patientenkollektivs. Frauen waren

zahlenmäßig weniger betroffen als Männer.

Die Geschlechterverteilung wies zwischen den drei Gruppen Unterschiede auf.

21 männliche Patienten (81%) erlitten eine pathologische Unterkieferfraktur

nach einer Zahnentfernung. Demgegenüber standen lediglich 5 weibliche

Patientinnen (19%). Dies entsprach für die untersuchte Gruppe

„Zahnentfernung“ einem statistischen Verhältnis von 4,2:1. Innerhalb der

Gruppe „Implantation“ verteilten sich 12 dokumentierte Fälle einer

pathologischen Unterkieferfraktur auf 3 männliche (25%) und 9 weibliche (75%)

Patienten (Verhältnis 1:3). Kieferzysten, die in insgesamt 7 Fällen vorlagen,

wiesen 5 männliche (71%), gegenüber 2 weiblichen Patientinnen (29%) auf.

Page 28: Die pathologische Fraktur des Unterkiefers Eine ... · In a retrospective study by the Maxillofacial Surgery Department of the University Erlangen case histories of pathological fractures

23

Das Geschlechterverhältnis entsprach 2,5:1. Für die ungleiche

Geschlechtsverteilung lag keine statistische Signifikanz vor (p=0,34).

5.4. Frakturzeitpunkt nach dentoalveolärer Chirurgie

Der zeitliche Abstand zwischen einer operativen Behandlung und der Diagnose

der pathologischen Fraktur des Unterkiefers wurde in der Gruppe

„Zahnentfernung“ und „Kieferzysten“ untersucht, da in der Mehrzahl der Fälle

eine ausreichende Dokumentation über vorherige Eingriffe verfügbar war, in

dem der zeitliche Abstand zum Eingriff ausreichend nachvollziehbar war (n=26).

Von der Untersuchung ausgeschlossen wurden insuffizient dokumentierte Fälle

der genannten Gruppen und die Fälle der Gruppe „Implantologie“, da eine

ausreichende Dokumentation lediglich in zwei Fällen vorlag.

Im Falle von 26 Patienten, in denen die pathologischen Frakturen des

Unterkiefers auf vorangegangene operative Zahnentfernungen oder

Zystektomien zurückgeführt werden konnten, traten die Frakturereignisse

zwischen der ersten und der 67. Woche nach operativer Zahnentfernung auf

(Abb. 14). Das arithmetische Mittel des zeitlichen Abstands zwischen Eingriff

und Fraktur lag bei 6 Wochen, bei einer Standardabweichung von ± 13

Wochen. Am häufigsten (9-malig) traten die Frakturen innerhalb von 2 Wochen

nach operativem Eingriff auf (35%). 27 % der Frakturen (=7) ereigneten sich in

der 2.-4. Woche und 19% (=5) in der 4.-6. Woche. Im Zeitraum der 6. - 8.

Woche traten zwei Frakturen auf (7,5%) sowie ein weiterer Fall (4%) in der 8. -

10. Woche nach Zahnextraktion. Lediglich 2 Fälle traten mehr als 10 Wochen

nach Zahnextraktion auf (18. und 67. Woche, 7,5%).

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24

Abbildung 14: Histiogramm der Anzahl der Frakturen innerhalb von definierten Zeiträumen nach operativem Eingriff (n=26). Frakturzeitpunkt nach

Zahnentfernung/Zystektomie in Wochen. Eingeschlossen wurden suffizient

dokumentierte Fälle der Gruppe „Zahnentfernung“ und Zystektomien der Gruppe

„Kieferzyste“.

In 4 von 7 in der Studie erfassten Fällen trat die pathologische Fraktur nach

Zystektomie auf. Der Mittelwert des Frakturzeitpunktes nach Zystektomie lag

bei 6 Wochen, bei einer Standardabweichung von 5 Wochen. Eine

Unterkieferfraktur ereignete sich innerhalb der ersten zwei Wochen und eine

weitere in der 2. – 4. Woche nach Zystektomie. Jeweils eine pathologische

Unterkieferfraktur trat zwischen der 6. – 8. sowie der 12. – 14. Woche auf.

5.5. Restbezahnung zum Frakturzeitpunkt

Die Gruppen „Zahnextraktion“ und „Kieferzysten“ wurden hinsichtlich der in der

Mundhöhle verbliebenen Restzähne zum Zeitpunkt der Frakturdiagnose

untersucht, um eine mögliche Kausalität in der Ätiologie der pathologischen

Unterkieferfraktur zu analysieren. Die Patienten der Gruppe „Zahnentfernung“

wiesen zum Zeitpunkt des Frakturereignisses im Mittel 22 Zähne bei einer

Standardabweichung von ± 9 Zähnen auf (Abb. 15).

Page 30: Die pathologische Fraktur des Unterkiefers Eine ... · In a retrospective study by the Maxillofacial Surgery Department of the University Erlangen case histories of pathological fractures

25

Abbildung 15: Histiogramm der quantitativen Restbezahnung zum Zeitpunkt der

Fraktur in der Gruppe „Zahnentfernung“

Die geringste Restbezahnung lag in zwei Patientenfällen bei jeweils einem

verbliebenen Zahn, das Maximum waren 30 Restzähne, die ein männlicher

Patient aufwies. 11 Patienten hatten einen Restzahnbestand zwischen 10 und

28 Zähnen (42%). 10 Patienten besaßen mehr als 28 Zähne (39%) und waren

zum Frakturzeitpunkt voll bezahnt. 5 Patienten wiesen jeweils weniger als 10

Zähne auf (19%). Ein statistisch signifikanter Zusammenhang zwischen Anzahl

der Restbezahnung und Frakturzeitpunkt ließ sich nicht darstellen.

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26

Abbildung 16: Boxplotverteilung der Restbezahnung zum Zeitpunkt der Fraktur in der

Gruppe „Kieferzysten“. Statistisch signifikante Unterschiede in der Werteverteilung gab

es nicht.

Hinsichtlich der Anzahl der Restzähne der Patienten in der Gruppe

„Kieferzysten“ fiel auf, dass die Patienten mit Zustand nach Zystektomie

quantitativ mehr Zähne aufwiesen, als Patienten mit Fraktur ohne

vorausgehende operative Behandlung (Abb. 16). Dieser Unterschied war

allerdings nicht statistisch signifikant (p=0,66). Im Mittel besaßen Patienten mit

Kieferzysten zum Zeitpunkt der Fraktur 14 Zähne bei einer

Standardabweichung von ±10 Zähnen. Das Minimum an Restbezahnung lag

bei einer Patientin mit Zahnlosigkeit, wohingegen der Patient mit den meisten

Zähnen dieser Gruppe 26 Zähne aufwies.

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27

5.6. Lage des Weisheitszahnes nach Pell und Grégory

Unter 26 Frakturfällen im Zusammenhang mit einer Zahnentfernung wiesen 24

Fälle (92%) als Lokalisation die Region des Weisheitszahns auf. Insgesamt

lagen in drei Fällen auswertbare präoperative PSA vor. In allen drei Fällen lag

eine Klasse II nach Pell und Grégory vor, die einer sagittalen Lage des

Weisheitszahnes auf Höhe der anterioren Ramuslinie in der

Panoramaschichtaufnahme entspricht. Ein Weisheitszahn befand sich in seiner

vertikalen Lage auf Höhe der Okklusalebene der Molaren (Klasse IIA), einer

zwischen Okklusalebene und horizontalem Knochenniveau der Kortikalis des

Corpus mandibulae (Klasse IIB) und ein Weisheitszahn war komplett im

Knochen impaktiert (Klasse IIC).

5.7. Therapie der pathologischen Unterkieferfraktur

In der therapeutischen Versorgung der im Beobachtungszeitraum behandelten

51 pathologischen Unterkieferfrakturen wurden drei unterschiedliche

chirurgische Prinzipien angewendet. Zu ihnen zählten die einfache

Miniplattenosteosynthese beziehungsweise rigide Osteosynthese (Abb. 17), die

Osteoplastik sowie die mikrovaskuläre Defektrekonstruktion bei

Unterkieferkontinuitätsdefekt.

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28

Abbildung 17: Fall einer pathologischen Fraktur unter Weisheitszahnentfernung 48. PSA

der Fraktur im Kieferwinkel rechts vor operativer Versorgung (A). Intraoperativer Situs

nach Reposition und osteosynthetischer Fixation mittels zweier 6-Loch Miniplatten (B).

Postoperative PSA (C) und Anlage einer intermaxillären Schienung mittels Arch-bar

Fixation (C).

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29

Pathologische Frakturen im Zusammenhang mit Zahnentfernung wurden am

häufigsten durch Reposition und Miniplattenosteosynthese therapiert (65%,

Abb. 18). In 31% der Fälle wurden Osteoplastiken vorgenommen, während in

wenigen Fällen durch mikrovaskuläre Defektrekonstruktionen behandelt wurde

(4%). Üblicherweise wurden für den mikrovaskulären Gewebeersatz

gefäßgestielte Knochentransplantate der Fibula bzw. Scapula verwendet.

Abbildung 18: Relativer Vergleich der Therapie der Gruppen „Zahnentfernung“,

„Implantation“ und „Kieferzysten“

Pathologische Frakturen der Gruppe „Kieferzysten“ wurden überwiegend durch

osteoplastische Eingriffe behandelt (86%). Lediglich in 14% der Fälle wurde

durch Osteosynthese therapiert. Mikrovaskuläre Defektrekonstruktionen lagen

in dieser Gruppe nicht vor. Die Frakturen der Gruppe „Implantation“ wurden

überwiegend durch osteoplastische (55%) sowie osteosynthetische (36%)

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30

Verfahrensweisen behandelt. Seltener wurde durch eine mikrovaskuläre

Defektrekontruktion therapiert (9%).

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31

6. Diskussion

Der Kopf des menschlichen Körpers ist aufgrund seiner exponierten Stellung im

menschlichen Skelettsystem häufig von traumatisch bedingten Frakturen

betroffen. Gassner et al. (2003) befanden in einer Untersuchung von 7061

Gesichtsfrakturen, dass die Mandibula in 24% der Fälle beteiligt war [12]. Nach

Untersuchungen von Lee et al. (2008) ist neben dem Kieferwinkel (33%) der

Kondylarfortsatz (25%) am häufigsten betroffen (Abb. 19) [18]. King et al.

(2004) hingegen ermittelten an 134 Patienten, dass die Parasymphysenregion

(34%) neben dem Kieferwinkel (15%) und dem Unterkieferkörper (21%) die

vorrangige Frakturlokalisation darstellt [16].

Abbildung 19: Frakturlokalisationen des Unterkiefers nach Lee et al. (2008) [18]

Neben der traumatisch bedingten Unterkieferfraktur, gibt es auch eine Fraktur,

die ohne relevantes Trauma auftritt. Diese Fraktur wird als pathologische

Unterkieferfraktur oder auch Spontanfraktur bezeichnet und aufgrund ihrer

besonderen Ätiologie von den traumatisch bedingten Frakturen unterschieden.

So zeigen pathologische Frakturen andere Lokalisationen und statistische

Häufigkeiten als traumatisch bedingte Frakturen. Die pathologische Fraktur des

Unterkiefers stellt auf Basis unserer Untersuchung mit einer geringen Inzidenz

von 0,45% und einem Anteil von 5% aller erfassten Unterkieferfrakturen eine

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32

seltene Komplikation dar. In unserem spezifisch auf die pathologische

Unterkieferfraktur ermittelten Patientenkollektiv lag die Frakturlokalisation

innerhalb der Gruppe „Zahnentfernung“ in 24 von 26 Fällen (92%) in der Region

der dritten Molaren vor. Der Einteilung nach Lee et al. zufolge entspricht diese

Frakturlokalisation dem Kieferwinkel [18]. Innerhalb der Gruppe „Implantation“

ist diese Lokalisation in lediglich einem Fall betroffen (8%), während 8 der 12

Fälle (67%) im Bereich der Parasymphyse (Regio 33 bzw. 43, Regio 34 bzw.

44) vorlagen. Die unterschiedliche Verteilung der Frakturlokalisation bei diesen

Patientengruppen liegt darin begründet, dass eine Implantatversorgung bei

Patienten mit geringer oder nicht vorhandener Restbezahnung häufig

interforaminär durch Cover-Denture-Prothesen (sogenannte implantatgetragene

Deckprothesen) erfolgt. Ein Ersatz von zweiten Molaren durch Implantate ist

beim teilbezahnten Patienten aufgrund der individuellen okklusalen

Verhältnisse des Patienten nicht immer obligat, sofern für jeden Zahn

mindestens ein Antagonist im Gegenkiefer vorhanden ist. Diese möglichst

wirtschaftliche Versorgung des Patienten ist ein Grund für das häufigere

Auftreten der pathologischen Fraktur im implantologisch versorgten anterioren

Unterkiefer. Im Gegensatz zu den Untersuchungen zur traumatischen Fraktur

von Gassner et al. [12] sowie Lee et al. [18] ist der Kondylarfortsatz auf Basis

unserer Ergebnisse in keinem Falle mit beteiligt. Gleichwohl ist der Kieferwinkel,

wie auch bei den traumatischen Frakturen, eine häufige Lokalisation. Dies kann

damit erklärt werden, dass die pathologische Fraktur ursächlich einer

strukturellen Schwächung der Knochenstruktur bedarf, welche am häufigsten

durch Zysten und dentoalveoläre Eingriffe (iatrogene Ursache) bedingt sind.

Die pathologische Unterkieferfraktur stellt in der Mund-, Kiefer-,

Gesichtschirurgie eine schwerwiegende Komplikation dar, über die in der

Literatur gehäuft im Zusammenhang mit chirurgischer Zahnentfernung, vor

allem der von Weisheitszähnen, berichtet wird [5, 7, 10, 14]. In bereits

veröffentlichten Studien, die sich mit dem Krankheitsbild der pathologischen

Fraktur nach Zahnentfernung dritter Molaren befasst haben, wurde diese Form

der kieferchirurgischen Komplikation als ein vergleichsweise seltenes Ereignis

eingestuft. Nach Hartel et al. (1988) ist die Inzidenz der pathologischen Fraktur

nach erfolgter Weisheitszahnentfernung mit 0,19% beschrieben [15]. Die

Inzidenzspanne reicht von 0,29% (Arrigoni und Lamprecht et al., 2004) [3] bis

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33

hin zu 0,65% (Krimmel et al., 2000) [17]. Im Rahmen unserer Studie lag die

Inzidenz bei 0,21% und bestätigt die These, dass die pathologische Fraktur

nach Weisheitszahnentfernung eine eher seltene Komplikation darstellt.

Es werden eine Reihe weiterer Ursachen diskutiert, genaue Zahlen hierzu

existieren aber nicht. Auch aus diesem Grund wurde diese Studie konzipiert.

Neben entzündlichen Ursachen wie der Osteomyelitis, Kieferzysten oder der

Osteoradionekrose wird zunehmend auch über Eingriffe im Rahmen der

Implantologie als Ursache für die pathologische Fraktur berichtet (O’Sullivan et

al. 2006) [23]. Es gibt keine Studien an ausreichend großen

Patientenkollektiven, die die verschiedenen Ursachen der pathologischen

Unterkieferfraktur quantitativ vergleichend erfassen. Die 1998 von Gerhards et

al. veröffentlichte retrospektive Analyse stellt gemessen an der Fallzahl von 30

Patienten eines der größten Patientenkollektive zur Thematik der

pathologischen Unterkieferfraktur dar [13]. Die Mainzer Studie analysierte 30

Fälle einer pathologischen Unterkieferfraktur hinsichtlich ihrer Ätiologie, der

Lokalisation und den Behandlungsmethoden. Die erhobenen Parameter waren

Alter, Geschlecht, die Art der zugrunde liegenden Knochenläsion, die

Frakturregion, die Therapie, sowie das Therapieergebnis. Eine 44 Fälle

umfassende retrospektive Analyse wurde 2008 durch Coletti et al. an der

Universität von Maryland, USA veröffentlicht [9]. Erfasst wurde hierbei Alter,

Geschlecht, Hautfarbe, Ätiologie, Primärtherapie (einschließlich

Komplikationen), sowie die eventuell erforderliche Sekundärtherapie. Boffano

et al. erfassten 2013 in ihrer Übersichtsarbeit alle in der englischsprachigen

Literatur verfügbaren Arbeiten über die pathologische Unterkieferfraktur der

vergangenen zwei Jahrzehnte [6]. Die untersuchten Studien umfassten eine

Zahl von 376 beschriebenen Fällen einer pathologischen Unterkieferfraktur.

Nach unseren Ergebnissen tritt der größte Anteil an pathologischen Frakturen

nach Zahnentfernung dritter Molaren auf (24 von 51 Frakturen, 47%). Dieses

Ergebnis korreliert mit den Daten aus der Literatur. Boffano et al. erfassten in

ihrer Untersuchung unter insgesamt 376 pathologischen Unterkieferfrakturen

135 Fälle (36%) nach operativer Entfernung dritter Molaren [6]. In diesem

Zusammenhang beschreiben Coletti et al., dass 61% der Frakturen ihrer

Untersuchung iatrogen herbeigeführt wurden [9].

Page 39: Die pathologische Fraktur des Unterkiefers Eine ... · In a retrospective study by the Maxillofacial Surgery Department of the University Erlangen case histories of pathological fractures

34

Eingriffe im Rahmen der dentalen Implantologie müssen als möglicher

Risikofaktor für eine pathologische Unterkieferfraktur betrachtet werden. 12 von

51 pathologischen Unterkieferfrakturen innerhalb unseres Patientenkollektivs

korrelierten mit einer dentalen Implantation (23,5%). Die Übersichtsarbeit von

Boffano et al. beschreibt 38 implantatchirurgisch bezogene Frakturen (10%) [6].

Auf Basis unserer Ergebnisse ereignen sich pathologische Frakturen nach

Implantation nicht im Kieferwinkel, sondern vorwiegend implantatnah

interforaminär. Es kann angenommen werden, dass die steigende Zahl an

dentalen Implantationen, mit konsekutiv steigender Inzidenz der

periimplantären Entzündungen, mit einer höheren Fallzahl von pathologischen

Unterkieferfrakturen korrelieren wird. Die von uns gewonnenen Erkenntnisse

sollten noch durch weiterführende Studien verifiziert werden.

Pathologische Frakturen im Zusammenhang mit Kieferzysten, die auf Basis

unserer Ergebnisse in 7 von 51 Fällen (13,5%) vorlagen, treten im Vergleich mit

veröffentlichten Daten häufiger als bislang bekannt auf. Gerhards et al. konnten

anhand ihres Patientenkollektives 3 durch Zysten verursachte Fälle

identifizieren (10%) [13]. Die Übersichtsarbeit von Boffano et al. (n=376)

erfasste hingegen unter allen Arbeiten der vergangenen 20 Jahre lediglich 10

Fälle die auf odontogene Zysten zurückgehen (3%) [6]. Coletti et al. ermittelten

in einem zu unserer Studie vergleichbaren Patientenkollektiv lediglich einen Fall

(2%) einer Zyste als Ursache einer pathologischen Fraktur [9]. Der geringe

Anteil an mit Zysten assoziierten pathologischen Frakturen kann durch die

weitaus größere Zahl an vorgenommenen Weisheitszahnentfernungen erklärt

werden, die in der heutigen Praxis einen der häufigsten Eingriffe der

Kieferchirurgie darstellen. Nach Analyse unserer Daten ist eine pathologische

Kieferfraktur im Zusammenhang mit zystischen Strukturen ein vergleichsweise

seltenes Ereignis (Inzidenzrate 0,06%). Selten beschrieben ist auch die

pathologische Fraktur auf Basis einer Osteomyelitis. Innerhalb unseres 13-

jährigen Beobachtungszeitraumes wurden 3 Frakturen nach diagnostizierter

Osteomyelitis der Mandibula gefunden (6%, Inzidenzrate 0,03%). Boffano et al.

recherchierten relativ übereinstimmend in 5% der Fälle eine durch

Osteomyelitis verursachte pathologische Fraktur [6], während Gerhards et al.

für ihr Patientenkollektiv unter 30 Patienten 6 Fälle ermittelten (20%) [13].

Coletti et al. fanden in 4 Fällen (9%) explizit eine Osteomyelitis als Ursache der

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35

pathologischen Fraktur vor [9]. Allerdings konnten die Autoren in 4

implantologisch behandelten Fällen nicht exakt klären, ob jeweils ein

implantatchirurgischer Eingriff, primär die Osteomyelitis oder eine Kombination

der beiden Ätiologien die Fraktur prädisponiert haben. Dies verdeutlicht, dass

die Formulierung der klinischen Diagnose und ihre anschließende

Dokumentation in der Ermittlung der Frakturursache einen Unsicherheitsfaktor

bei der retrospektiven Analyse darstellen.

Innerhalb unseres Beobachtungszeitraums von 13 Jahren konnten drei Fälle

einer pathologischen Fraktur auf eine bestehende Osteoradionekrose

zurückgeführt werden (6%, Inzidenzrate 0,03%). Dieser Wert steht im

Gegensatz zu den bislang in der Literatur beschriebenen Werten. So ermittelten

Coletti et al. bei 44 Patienten mit pathologischer Fraktur in einem 14-jährigen

Beobachtungszeitraum insgesamt 19 Patienten (43%) mit pathologischen

Unterkieferfrakturen nach Osteoradionekrose [9]. Auch Gerhards et al.

beschrieben 9 Patientenfälle mit einer Osteoradionekrose als Frakturursache

(30%) [13]. Die Übersichtsarbeit von Boffano et al. legt mit 87 von 376 Fällen

(23%) ebenfalls nahe, dass die Osteoradionekrose in der Ätiologie der

pathologischen Fraktur einen prädisponierenden Faktor darstellt [6]. Unsere

Daten weisen ein erheblich geringeres Auftreten von pathologischen

Unterkieferfrakturen im Zusammenhang mit einer Osteoradionekrose auf. Die

Nachsorge der Patienten mit Radiatio der Kopf-, Halsregion ist am

Universitätsklinikum Erlangen standardisiert und beinhaltet eine mehrfache

Nachsorge der Patienten pro Jahr. Dies ermöglicht eine frühzeitige Erkennung

von Osteoradionekrosen sowie im Falle des Eintretens eine frühzeitige

Intervention zur Frakturprävention. Die pathologische Unterkieferfraktur tritt

üblicherweise erst in Fällen einer weit fortgeschrittenen Osteoradionekrose auf,

sodass die engmaschige Überwachung bestrahlter Patienten eine mögliche

Erklärung für die statistische Abweichung zu den Untersuchungen anderer

Autoren darstellen kann.

Andere in der Literatur beschriebene Ursachen der pathologischen Fraktur, wie

beispielsweise Tumorerkrankungen oder die Bisphosphonat-assoziierte

Knochennekrose des Kiefers (Bisphosphonate associated necrosis of the jaw –

BONJ), die zu einer Schwächung der Struktur des Unterkieferknochens führen,

Page 41: Die pathologische Fraktur des Unterkiefers Eine ... · In a retrospective study by the Maxillofacial Surgery Department of the University Erlangen case histories of pathological fractures

36

konnten im Beobachtungszeitraum für unser untersuchtes Patientengut nicht

beobachtet werden. Patienten, die im Rahmen ihrer Therapie eine mehrfache

intravenöse Gabe von Bisphosphonatpräparaten erhalten, werden im Rahmen

einer Bisphosphonat-Sprechstunde der Mund-, Kiefer-, Gesichtschirurgischen

Poliklinik engmaschig hinsichtlich des Auftretens einer Bisphosphonat-

assoziierten Osteonekrose (BONJ) der Kiefer untersucht. Stockmann et al.

postulierten in früheren Untersuchungen, dass im Falle einer BONJ eine

frühzeitige chirurgische Intervention zur Frakturprophylaxe erfolgen sollte [26,

27].

Das durchschnittliche Patientenalter in der vorliegenden Studie betrug 58 Jahre

und ist identisch mit dem durch Gerhards et al. beschriebenen Mittelwert von 58

Jahren [13]. Allerdings war innerhalb unseres Patientengutes kein Patient

jünger als 30 Jahre, wohingegen der jüngste Frakturfall der durch Gerhards et

al. durchgeführten Untersuchung zum Zeitpunkt der Diagnose 19 Jahre alt war.

Coletti et al. ermittelten für ihr Patientenkollektiv ein durchschnittliches Alter von

59 Jahren, während der jüngste Patient lediglich 5 Jahre alt war [9]. Ab dem 40.

Lebensjahr steigt die Frakturhäufigkeit auf Basis unserer Daten an. Mehr als die

Hälfte aller Fälle (55%) ereigneten sich zwischen dem 50. und 70. Lebensjahr.

Aus diesen Daten lässt sich schlussfolgern, dass die pathologische Fraktur eine

kieferchirurgische Komplikation ist, für die insbesondere Patienten am

Übergang zwischen der 6. und 7. Lebensdekade eine altersbedingte

Risikogruppe darstellen. Junge Patienten sind hingegen nur selten betroffen. Zu

einem vergleichbaren Ergebnis kommen die von Gerhards et al. geleitete

Analyse mit 14 von 30 Frakturfällen (47%) [13] und Coletti et al. mit 22 von 44

Fällen (50%) zwischen dem 50. und 70. Lebensjahr [9]. Auch Erlanger

Patienten über 70 Lebensjahren erlitten pathologische Unterkieferfrakturen

(20%). Gerhards et al. beschreiben den Anteil der Patienten über 70

Lebensjahren mit 10 von 30 Fällen (33%) [13], Coletti et al. mit 12 von 44 Fällen

(27%) [9]. Die ermittelten Werte weisen in Übereinstimmung mit der Literatur

darauf hin, dass insbesondere Patienten um das 60. Lebensjahr in Relation zur

Normalverteilung häufiger eine pathologische Unterkieferfraktur erleiden. Dies

hat Konsequenzen für die tägliche Praxis. Patienten ab 50 Lebensjahren sollten

ausführlich über das Risiko der pathologischen Unterkieferfraktur im Rahmen

einer zahnärztlich-chirurgischen Therapie hingewiesen werden. Atraumatische

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37

Behandlungsmaßnahmen sollten für diese Patientengruppen bevorzugt

eingesetzt werden. Insbesondere muss der Patient durch den Behandler über

notwendige postoperative Maßnahmen und Verhaltensweisen aufgeklärt

werden, um das Risiko einer pathologischen Unterkieferfraktur zu senken. Dazu

zählt die Meidung starker Kaukräfte über einen Zeitraum von mindestens 8

Wochen.

Im Rahmen dieser Studie wiesen die geschlechterspezifischen Auswertungen

des Patientenkollektivs darauf hin, dass männliche gegenüber weiblichen

Patienten statistisch häufiger eine pathologische Unterkieferfraktur nach

Zahnentfernung erleiden (Verhältnis 4,2:1). Das Verhältnis aller Frakturfälle

zwischen 33 männlichen und 18 weiblichen Patienten betrug 1,8:1. Dies wird

auch durch Angaben aus der Literatur bestätigt (Boffano et al., Coletti et al.,

Gerhards et al.) [6, 9, 13]. Lediglich Grau-Manclus et al. befanden in einem

kleinen Patientenkollektiv keine geschlechterspezifischen Unterschiede (1,2:1

weiblich/männlich) [14]. Eine Begründung für den hohen Anteil männlicher

Patienten kann die Tatsache sein, dass Männer gegenüber Frauen bei

Vollbezahnung durchschnittlich größere Kaukräfte (600 N bei Männern, 400N

bei Frauen) aufwenden (Miyaura et al.) [21]. Für 26 Patienten, deren

Restbezahnung zum Frakturzeitpunkt rekonstruiert werden konnte, zeigten

unsere Ergebnisse, dass eine hohe Restbezahnung häufiger mit

pathologischen Frakturen assoziiert war. Die Übersichtsarbeit von Bodner et al.

[5] untersuchte ebenfalls anhand von 189 Fällen nach Zahnentfernung den

Zusammenhang zwischen Zahnstatus und Auftreten der pathologischen

Unterkieferfraktur. Die Autoren fanden bei 55% der Patienten eine volle

Dentition zum Zeitpunkt der Fraktur vor, wohingegen 32% teilbezahnt waren. Es

sind weitere Untersuchungen mit größeren Patientenkollektiven notwendig um

Schlussfolgerungen zu ziehen, ob eine Vollbezahnung einen Risikofaktor für die

pathologische Unterkieferfraktur darstellt.

Grau-Manclus et al. (2011) stellten die Hypothese auf, dass sich pathologische

Frakturen vor allem in den ersten vier Wochen nach dentoalveolären Eingriffen

ereignen [14]. Auch Bodner et al. (2011), die die pathologische

Unterkieferfraktur im Zusammenhang mit der Weisheitszahnentfernung

untersuchten, konnten zeigen, dass 93% der Frakturen innerhalb der ersten

Page 43: Die pathologische Fraktur des Unterkiefers Eine ... · In a retrospective study by the Maxillofacial Surgery Department of the University Erlangen case histories of pathological fractures

38

vier postoperativen Wochen auftreten [5]. Anhand unserer ermittelten Daten

(62%) lässt sich diese bislang in der Literatur vorherrschende Annahme

bestätigen. Allerdings traten weitere 10 Frakturen (38%) nach der vierten

Woche auf. Die späteste pathologische Fraktur nach Zahnentfernung ereignete

sich in unserem Kollektiv nach über einem Jahr postoperativ in der 67. Woche.

Die Extraktionswunde stellt während ihrer Heilungsphase eine

Prädilektionsstelle für pathologische Unterkieferfrakturen dar, die eine

Schonung über die bislang postulierten 4 Wochen hinaus erforderlich macht.

Vier Wochen nach Zahnentfernung liegt keine knöcherne, sondern lediglich

eine bindegewebige Proliferation des Defekts vor. Auf Basis unserer Daten ist

zu diesem Zeitpunkt noch keine funktionsstabile Belastbarkeit des

Knochenlagers vorhanden. Der postoperative Zeitraum, innerhalb dessen sich

pathologische Unterkieferfrakturen ereignen können, sollte folglich länger

angenommen werden als bislang in der Literatur beschrieben. Für den Praktiker

ergibt sich die klinische Konsequenz, Patienten nach Zahnentfernung in einem

engmaschigen Recall zu überwachen und sowohl diesen, als auch die

Empfehlungen zum postoperativen Verhalten (Vermeidung starker Kaukräfte)

über einen Zeitraum von bis zu 10 Wochen auszudehnen. Dies gilt auch für

Patienten nach Zystektomien im Unterkiefer.

Hinsichtlich der Therapie pathologischer Unterkieferfrakturen gibt es in der

Literatur eine überschaubare Anzahl an vergleichbaren Untersuchungen.

Gerhards et al. [13] veröffentlichten 1997 eine Serie von 30 Fällen, von denen

33% durch klassische Osteosyntheseverfahren behandelt wurden. Die

Plattenosteosynthese war auch im Erlanger Patientenkollektiv insgesamt die

am häufigsten angewandte Therapie (65% Gruppe Zahnentfernung, 36%

Gruppe Implantation, 14% Gruppe Kieferzyste). Auch Coletti et al. beschrieben

in 55% ihrer Fälle eine osteosynthetische Versorgung der Patienten [9]. 86%

der pathologischen Frakturen der Gruppe „Kieferzysten“, 55% der Gruppe

„Implantation“ sowie 31% der Gruppe „Zahnentfernung“ wurden zur

Vermeidung einer Pseudarthrose durch eine Interpositionsosteoplastik

therapiert. Im Gegensatz dazu ermittelten Gerhards et al. 17% durch

Osteoplastik behandelte Fälle[13], während Coletti et al. lediglich 5%

beschrieben [9]. In 4% der Fälle der Gruppe „Zahnentfernung“ sowie bei 9% der

pathologischen Frakturen der Gruppe „Implantation“ war der

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39

Unterkieferkontinuitätsdefekt so ausgeprägt, dass eine mikrovaskuläre

Rekonstruktion mit einem freien Transplantat erforderlich war. Dieses Verfahren

findet in der Vergleichsarbeit durch Gerhards et al. aufgrund des Alters der

Untersuchung (1998) keine Anwendung. Freie Transplantate in der Therapie

der pathologischen Fraktur wurden jedoch in der aktuelleren Studie durch

Coletti et al. (2008) in 7% der Fälle beschrieben [9]. Es lässt sich hinsichtlich

der Therapie der pathologischen Unterkieferfraktur aus unseren Ergebnissen

ersehen, dass sowohl zwischen den untersuchten Untergruppen, als auch zu

den Ergebnissen anderer Autoren, gewisse Unterschiede bestehen. Die

aufwendigen Rekonstruktionen (Osteoplastik und mikrovaskuläre

Rekonstruktion) erfolgten in mehr als 50% der Fälle nach Frakturen im Rahmen

implantologischer Eingriffe und Zysten. Dies impliziert für den Praktiker, dass

Patienten die sich einer Implantattherapie oder Zystektomien unterziehen,

präoperativ ausführlich und gut dokumentiert über die Komplikation der

pathologischen Unterkieferfraktur und die darauf folgenden aufwendigen

Therapien aufgeklärt werden müssen. Behandlungsfälle die ausgedehnte

Zystektomien und implantologische Eingriffe im kompromittierten Knochen

erfordern, sollten an eine Mund-, Kiefer-, Gesichtschirurgische Klinik

überwiesen werden, um einer möglichen pathologischen Unterkieferfraktur

durch eine entsprechende Frakturprophylaxe (Plattenosteosynthese)

vorzubeugen oder sie gegebenenfalls direkt versorgen zu können.

Für den Praktiker stellt sich die Frage, welche Risikofaktoren für eine

pathologische Fraktur nach Zahnentfernung existieren und wie diese

schwerwiegende Komplikation zu vermeiden ist. Bodner et al. (2011) fanden

unter 189 untersuchten pathologischen Unterkieferfrakturen nach

Weisheitszahnentfernung in 50 Fällen (27%) eine präoperativ vorhandene

entzündliche Läsion des Extraktionssitus vor [5], die einen prädisponierenden

Faktor für eine Fraktur des Knochens darstellen kann. Gerhards et al.

postulieren jedoch, dass eine chirurgische Entfernung der zugrunde liegenden

Läsion nicht immer erforderlich ist, wie in Fällen in denen der resultierende

Gewebsverlust gegenüber dem Nutzen der chirurgischen Sanierung

unproportional hoch ausfällt [13]. Um die Osteotomiewunde so klein wie

möglich zu halten wird die frühzeitige Separation des Zahnes empfohlen.

Hiermit wird krafttragende Knochensubstanz erhalten und somit eine

Page 45: Die pathologische Fraktur des Unterkiefers Eine ... · In a retrospective study by the Maxillofacial Surgery Department of the University Erlangen case histories of pathological fractures

40

Frakturprophylaxe durchgeführt [5]. Die Entscheidung einen zu extrahierenden

Zahn zu separieren sollte vom Behandler frühzeitig getroffen werden, sobald

die Hebelluxation nicht die erwünschte Lockerung des zu extrahierenden

Molaren erwirkt hat. Gleichzeitig ist es obligat, den Patienten über die Gefahr

der pathologischen Kieferfraktur nach Weisheitszahnentfernung gründlich und

nachvollziehbar aufzuklären sowie dies zu dokumentieren. In der aktuellen

Literatur finden sich vermehrt Studien, die sich mit der pathologischen Fraktur

nach Weisheitszahnentfernung beschäftigen [1-3, 5, 7, 14, 15, 17, 19, 24]. Dies

unterstreicht auch die Häufigkeit des Auftretens dieser schwerwiegenden

Komplikation nach Entfernung der Weisheitszähne.

Im Rahmen der vorliegenden Studie konnten Panoramaschichtaufnahmen nach

der Methode von Pell und Grégory, die die relative Lage des Weisheitszahnes

zum Unterkieferknochen beschreibt, analysiert werden. Daraus konnte

abgeleitet werden, dass möglicherweise der Impaktationsgrad Einfluss auf die

Frakturhäufigkeit hat. Allerdings macht die geringe Zahl an verfügbaren

präoperativen Panoramaschichtaufnahmen eine verlässliche Analyse schwierig.

Die Impaktion dritter Molaren wird im Hinblick auf die Ätiologie der

pathologischen Fraktur des Unterkiefers immer wieder diskutiert [5, 14]. Bodner

et al. beschrieben, dass eine vollständige Impaktion dritter Molaren aufgrund

des erhöhten Knochenabtrags während ihrer Entfernung zu einer größeren

Frakturwahrscheinlichkeit führt [5]. Eine vollständige Impaktion (Pell und

Grégory Klasse IIC) lag unter den drei ermittelten PSA in einem Fall vor,

während in einem weiteren Fall eine Teilimpaktion (Klasse IIB) vorhanden war.

Ein Patient wies einen dritten Molaren auf, der das okklusale Niveau des

zweiten Molaren erreicht hatte (Klasse IIA). Unter den drei verfügbaren

präoperativen PSA lag kein dritter Molar in voller sagittaler Ausdehnung vor der

anterioren Ramuslinie. Somit war für die Entfernung ein Knochenabtrag durch

den Chirurgen notwendig, der sich negativ auf die strukturelle Widerstandskraft

des Unterkieferknochens auswirkte.

Abschließend lässt sich zusammenfassen, dass die vorliegende retrospektive

Studie über die Thematik der pathologischen Unterkieferfrakturen im Vergleich

zur bestehenden Literatur in ihrer Patientenzahl die bislang umfangreichste

Untersuchung ihrer Art ist. Dennoch dürfen die erhaltenen Ergebnisse nicht

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überbewertet werden. Sie können allerdings als Grundlage weiterführender

Untersuchungen benutzt werden, um ausstehende Fragen zur Ätiologie und

Risikostratifizierung zu beantworten und die bisherigen Ergebnisse auf ihre

Validität zu prüfen. So konnte gezeigt werden, dass die pathologische Fraktur

häufiger auftrat, als bisher in der Literatur beschrieben. Am häufigsten fanden

pathologische Unterkieferfrakturen nach Zahnentfernung im Kieferwinkelbereich

statt, gefolgt von implantologischen Eingriffen sowie der Entfernung oder dem

Vorhandensein von großen Kieferzysten. Für den Praktiker kann deshalb die

Empfehlung gegeben werden, diese seltene aber doch schwerwiegende

Komplikation bereits im präoperativen Gespräch mit dem Patienten zu nennen

und gegebenenfalls Risikofaktoren zu erkennen und auszuschließen.

Intraoperativ kann eine frühere Segmentierung des zu entfernenden Zahnes

gegenüber einer zu umfangreichen Osteotomie mit struktureller Schwächung

des Unterkiefers im Sinne der Frakturprophylaxe vorteilhaft sein. Auch die

Periimplantitis muss als nicht unrelevanter Risikofaktor für eine pathologische

Fraktur betrachtet werden. Pathologische Unterkieferfrakturen im

Zusammenhang mit implantologischen Eingriffen und Kieferzysten erforderten

zudem in mehr als 50% aller Fälle eine Therapie durch Osteoplastik. Auch der

zeitliche Abstand zwischen dentoalveolären Eingriffen und dem Erleiden einer

pathologischen Unterkieferfraktur kann größer sein als bislang angenommen.

Daraus ergibt sich die Konsequenz, die postoperativen Verhaltensweisen,

insbesondere die Meidung starker Kaukräfte, genau mit dem Patienten zu

besprechen.

Page 47: Die pathologische Fraktur des Unterkiefers Eine ... · In a retrospective study by the Maxillofacial Surgery Department of the University Erlangen case histories of pathological fractures

42

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46

8. Verzeichnis verwendeter Abkürzungen

Ca. circa

Min. Minimum

Max. Maximum

n. nach

et al. et alii /et aliae und andere

Abb. Abbildung

Tab. Tabelle

PSA Panoramaschichtaufnahme

OPG Orthopantomogramm

bzw. beziehungsweise

UK Unterkiefer

BNOJ Bisphosphonate-associated-necrosis of the jaw

MKG Mund-,Kiefer-,Gesichtschirurgie

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9. Lebenslauf

Persönliche Daten: Name: Philipp Maximilian Bergt

Geburtsdatum: 08.02.1987

Wohnort: Grübelstr. 10, 90403 Nürnberg

Eltern: Dr. med. Karl-Heinz Bergt

und Dipl.-Ing. Karin Jungmann-Bergt

Familienstand: ledig

Staatsangehörigkeit: deutsch

Konfession: evangelisch-reformiert

Schulbildung: 1993-1997: Besuch der Grundschule in Salzhausen und Lilienthal

1997-2006: Besuch des Gymnasiums in Bremen

26.06.2006: Abitur am Ökumenischen Gymnasium Bremen

Zivildienst:

August 2006 bis April 2007: Ableisten des Zivildienstes im OP der Paracelsus

Kurfürstenklinik in Bremen

Erwerbstätigkeiten:

Mai 2007 bis März 2008: OP Pflegehelfer im OP der Paracelsus Kurfürstenklinik

in Bremen, OP Assistenz

Studium der Zahnmedizin:

April 2008: Beginn des Studiums der Zahnmedizin an der

Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU)

2009: Naturwissenschaftliche Vorprüfung

2010: Zahnärztliche Vorprüfung

2013: Zahnärztliche Prüfung

Beruf: August 2013: Beginn der zahnärztlichen Tätigkeit in Röttenbach

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10. Danksagung

An dieser Stelle möchte ich Herrn Priv.-Doz. Dr. med. Dr. med. dent. Philipp

Stockmann für die freundliche Überlassung des Themas und die

außerordentlich gute Betreuung dieser Arbeit danken.

Herrn Prof. Dr. med. Dr. med. dent. Dr. h.c. Friedrich-Wilhelm Neukam, Direktor

der MKG-Klinik am Universitätsklinikum Erlangen, möchte ich für die

Möglichkeit danken, dass mir optimale infrastrukturelle Bedingungen

geschaffen wurden mein Dissertationsvorhaben durchführen zu können.

Ich danke meinen Eltern, Dr. med. Karl-Heinz Bergt und Dipl.-Ing. Karin

Jungmann-Bergt, meiner Schwester Catharina Sophie Bergt, meiner Freundin

Friederike Schmiedl und meinen Studienfreunden der B! Bubenruthia Erlangen

für ihre stetige Anteilnahme, die mir in den vielen Stunden die Kraft und

Motivation geschenkt hat, dieses Dissertationsvorhaben voranzutreiben.