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(Aus der chirurgischen Universit~tsklinik zu K6nigsberg Pr. [Direktor: Prof. Dr. A. Lgwen.]) Die angeborene Gibbusbildung mit Wirbelk(irper- spaltung an der unteren Brustwirbels ule. Von Prof. Walther Miiller, Obcrarzt tier l~[inik. Mit 12 Textabbildungen. (Eingeffanffen am 9. Juli 193I.) Unter den verschiedenen Formen, welche die Mi~bildungen der knSchernen Wirbels~nle nns bieten, hat man in jiingster Zeit einen besonderen Typus auf Grand der Beschreibung yon einer ganzen Reihe zusammengehSriger Beobach- tungen herausheben kSnnen, n~mlich das Bild der sogenannttn angeborenen Kyphose. Es handelt sich hier um eine angeborene Mii~bildung, bei der, wit schon der Name sagt, eine kyphotische Abbiegung tier Wirbels~ule im Vorder- grunde steht. Ffir besonders gl~cklich mSchte ich indessen die Namtngebung nicht halten, dem~ es handelt sich weniger um eine Kyphose, sondern, wit die RSntgenbilder zeigen, um eine ziemlich scharfe Abknickung dtr Wirbels~ule, also nm eine richtige angeborene Gibbusbildung. Das Wesen der Mi6bildung besteht darin, da6 tin oder mehrere Wirbel- k6rper erstens stark keilfSrmig hath vorn zugespitzt sind lind zweitens hgufig in der Mitte in zwei knScherne ttglften gespalten sind. Erst kiirzlich hat van Assen (Acta chir. scand. 57, S. 14) in Zusammenhang mit 5 eigenen Beob- achtnngen noch 13 ~h~fliche Falle aus der Literatur zusammenstellen kSnnen. Ich habe zu diesem bisher noth wenig bekannten interessanttn Krank- heitsbilde eine Anzahl yon Beobachtungen sammeln kSnnen, die neben ihrem rein wissenschaftlichen Wtrt auch in Hinbliek auf praktisthe Gesich~spunkte, vor allem aus differentialdiagnostischen Griinden yon Interesse sind. Beobachtung 1. Das je~z~ 19 Jahre alte Dienstmgdchen Dora K. hat etwa seit ihrem 14. Lebensjahre i~ber Schmerzen im Racken geklagt. Etwa seit dieser Zeit wurde auch eine m~ftige VorwSlbung der Brustwirbels~ule nach hinten beobaehte~. Auf Grund der RSntgen- aufnahmen wurde Pa~. lange Zeit mit Gipsbe~t behandelt und ~rug auch noch 2 Jahre ein Lederkorsett. Jetzt erfolgt schon lange Zei~ keine Behandlung mehr. Es wird noch iiber einen gewissen dumpfen Schmerz im unteren Brustabschni% der Wirbelsgule geklag~, der sich beim Biicken verst~trkt. Es handelt sich um ein sehr kr/iftig gebautes mittelgro~es M/~dchen in sehr gutem Ern~thrungszustande. Am Rficken springt der Dornfortsatz des 10. Brustwirbels leich~

Die angeborene Gibbusbildung mit Wirbelkörperspaltung an der unteren Brustwirbelsäule

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Page 1: Die angeborene Gibbusbildung mit Wirbelkörperspaltung an der unteren Brustwirbelsäule

(Aus der chirurgischen Universit~tsklinik zu K6nigsberg Pr. [Direktor: Prof. Dr. A. Lgwen.])

Die angeborene Gibbusbildung mit Wirbelk(irper- spaltung an der unteren Brustwirbels ule.

V o n

Prof . W a l t h e r M i i l l e r , O b c r a r z t tier l~[inik.

Mit 12 Textabbildungen.

(Eingeffanffen am 9. Ju l i 193I.)

Unte r den verschiedenen Formen , welche die Mi~bi ldungen der knSchernen Wirbels~nle nns bieten, h a t m a n in j i ingster Zei t einen besonderen Typus auf G r a n d der Beschre ibung yon einer ganzen Reihe zusammengehSr iger Beobach- tungen herausheben kSnnen, n~mlich das Bi ld der s o g e n a n n t t n a n g e b o r e n e n K y p h o s e . Es hande l t sich hier um eine angeborene Mii~bildung, bei der, wi t schon der N a m e sagt, eine kypho t i sche Abbiegung tier Wirbels~ule im Vorder- grunde steht . Ffir besonders gl~cklich mSchte ich indessen die N a m t n g e b u n g n icht ha l ten , dem~ es hande l t sich weniger um eine Kyphose , sondern, wi t die RSntgenb i lde r zeigen, u m eine ziemlich scharfe A bkn ic kung d t r Wirbels~ule , also n m eine r icht ige angeborene Gibbusbi ldung.

Das Wesen der Mi6bi ldung bes t eh t dar in , da6 t i n oder mehrere Wirbel - k6rper ers tens s ta rk kei l fSrmig h a t h vorn zugespi tz t s ind l ind zweitens hgufig in der Mi t te in zwei knScherne t t g l f t e n gespal ten sind. E r s t ki irzl ich h a t v a n A s s e n (Acta chir. scand. 57, S. 14) in Zusammenhang m i t 5 eigenen Beob- ach tnngen noch 13 ~h~fliche Fa l le aus der L i t e r a tu r zusammenste l len kSnnen.

I ch habe zu diesem bisher no th wenig b e k a n n t e n i n t e r e s san t t n K r a n k - he i t sb i lde eine Anzah l yon Beobach tungen sammeln kSnnen, die neben ihrem rein wissenschaf t l ichen W t r t auch in Hinb l i ek auf p r a k t i s t h e Gesich~spunkte, vor al lem aus d i f fe ren t ia ld iagnos t i schen Gri inden yon In teresse sind.

Beobachtung 1. Das je~z~ 19 Jahre alte Dienstmgdchen Dora K. hat etwa seit ihrem 14. Lebensjahre i~ber Schmerzen im Racken geklagt. Etwa seit dieser Zeit wurde auch eine m~ftige VorwSlbung der Brustwirbels~ule nach hinten beobaehte~. Auf Grund der RSntgen- aufnahmen wurde Pa~. lange Zeit mit Gipsbe~t behandelt und ~rug auch noch 2 Jahre ein Lederkorsett. Jetzt erfolgt schon lange Zei~ keine Behandlung mehr. Es wird noch iiber einen gewissen dumpfen Schmerz im unteren Brustabschni% der Wirbelsgule geklag~, der sich beim Biicken verst~trkt.

Es handelt sich um ein sehr kr/iftig gebautes mittelgro~es M/~dchen in sehr gutem Ern~thrungszustande. Am Rficken springt der Dornfortsatz des 10. Brustwirbels leich~

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320 W ~ l t h e r lV[iiller :

gibbusartig vor. Die Wirbeldornreihe zeigt hier auch eine ganz geringe seitliche Ausbiegung nach links. Obere Brust- und Lendenwirbels~ule zeigen ganz gerlnge reehts konvexe Ver- biegung. Stauehungsschmerz bestehl, nieht, im Bereiehe der nn teren grustwirbels/~ule angeblieh leichter Klopfsehmerz. Auch die Weiehteile zu beiden Seiten der unteren Brust- wirbels/~ule zeigen geringe Druekempfindlichkeit .

R 6 n t g e n b e f u n d : a) Seitliehes Bild: Der 10. Brustwirbel, der sonst keinerlei Strukturveri~nderungen aufweist, zeigt eine dreieckige Gestalt, sein vorderes Ende ist in eine Spitze ausgezogen, so dab die untere vordere Eeke des 9. und die vordere obere Eeke

Abb. 1. Abb. 2.

des ] 1. Brustwirbels sieh nahezu beriihren. Zwisehenwirbelr/~ume ober- und unterhalb des 10. Brustwirbels wohl etwas sehmMer als normal, aber doeh gut ausgepr~Lgt vorhanden (Abb. 1). b) Dorsovolares Bild: Der 10. Brustwirbe] erseheint im ganzen etwas schmgler und in die Breite ausgezogen. In der Mittellinie ist der WirbelkSrper sowohl von oben wie yon un ten sehr s tark eingedellt, so dab der ganze WirbelkSrper annghernd eine Sehmetter- lingsform aufweist. Seine Grenzen sind dabei vollkommen seharf (Abb. 2).

Beobaehtung 2. Hier handelte es sieh urn einen 17j~hrigen Kutseher, der immer gesund gewesen ist, und der eine zunehmende Biegung seiner mit t leren und unteren Brustwirbels~nle sowie Schmerzen im Riieken bei der Arbeit verspiirte. Im Sitzen und beim Liegen gingen diese Besehwerden vollkommen zuriiek. Auf Grund einer frtiheren RSntgenuntersuchung wurde Lagerung im Gipsbett ~-erordnet.

Befund." Vollkommen gesund aussehender, sehr kri~ftig gebauter Jiingling, bei dem eine sehr erhebliehe kyphotisehe Abbiegung der mit t leren Wirbelsgulenpartien auff/illt (Abb. 3). Bei n~iherer Untersuehung kann man feststellen, dab etwa in I-[She des 10. Brust- wirbeldornfortsatzes eine beinahe gibbusartige Abbiegung der Dornfortsatzreihe besteht.

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Dabei Beweglichkeit der Wirbels~ule gu*. Kein St~uchungsschmerz, keiI1 lok~ler Druck- schmerz.

Die R S n t g e n b i l d e r zeigen folgenden charakteristischen Befund: 1. Seitliche Auf- nahme: Der 10. Brustwirbel, der im iibrigen v611ig normale Struktur und seharfe Begren- zung aufweist, zeigt an der Grenze gegen den Wirbelkanal die normaie HShe eines Brust- wirbels, dagegen l~uft er nach vorn in eine leicht ~bgestumpfte Spitze aus, die nicht ganz bis an die vordere Begrenzungslinie des kranialen und kaudMen Nachbarwirbels heranreicht. Durch die Keilgestal* des 10. Brustwirbels steht der obere Wirbels~ulenabschni~t gogen den unteren in einem Winkel von etwa 150 ° abgeknickt. Die Zwischenwirbel- seheiben craniM und caudal vom 10. ]3rust- wirbel sehr stark verschmMert (Abb. 4).

2. Aufnahme yon vorn nach hinten: Der 10. Brustwirbel ist in der MitLellinie namentlich yon oben her so stark einge- schniirt, dab der ~Virbelk6rper fast total quergeteilt erseheint, es steht in der Mitte nut noeh eine ganz schmale brtiekenartige Verbindung der beiden etwa dreieekig ge- stalteten Wirbelh~lften. Die Sehmetterlings- gestalt des 10. Brustwirbels ist eine sehr ausgesprochene (Abb. 5).

Bei beiden Pa t i en t en war haul)t- s~ehlieh im R6ntgenb i ld eil~ abso lu t ident iseher Befund vo rhanden : k e i l - f 6 r m i g e r I0. B r u s t w i r b e l , d e r b e i d e r A u f n a h m e y o n v o r n n a e h h i n t e n i n d e r l~ I i t t e g e - s p a l t e n e r s e h e i n t n n d d a m i t S e h m e t t e r l i n g s f o r m a u f w e i s t . K l i n i s e h b e s t a n d d a b e i e i n e f a s t g i b b u s a r t i g e A b b i e g u n g i n d e r S a g i t t ~ l e b e n e , besonders s t a rk im 2. Fal le .

Beide F~lle s ind bisher haup t - sgehlieh auf Grund des sei t l iehen t~6ntgenbildes un te r fMseher Diagnose gegangen. Das seit l iehe I~6ntgenbild Abb. 3. k6nnte in der Ta t durehaus einer ab- gelaufenen Spondyl i t i s o d e r einer Wi rbe l f r ak tu r entspreehen. Die dorsovolare Aufnahme aber , welehe media le Wi rbe lk6 rpe r spa l tung a n d eine sehr eharak- ter is t isehe Sehmet te r l ingsform des 10. Brustwirbels ergibt , mug j eden Zweifel beseitigen, dab hier eine a t l g e b o r e n e W i r b e l a i l o m a l i e vorl iegt , and zwar eine angeborene Ke i l fo rm und gleiehzeit ig inedible Spa l tung des Wirbe lk6rpers . Es hande l t sieh hier n m zwei auffa l lend i ibere ins t immende Beobaeh tungen der als Kyphos i s eongeni ta bezeiehneten angeborenen Wirbelsi~ulenmigbildung. Dieselbe is t speziell in der hier vor l iegenden F o r m bisher sieher sehr oft ihrer N a t u r naeh ve rkann t worden, u n d e s di i rf te gar maneher Trigger dieser Wirbel - si~ulenanomalie, wie das aueh bei den vor l iegenden Beobaeh tungen tier Fa l l war, Ms Tuberknlose oder a l te F r a k t u r behande l t worden sein. Die Kenn tn i s

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322 W~lther Miiller:

der Schmetterlingsform in der~rtigen F~llen, die mediale Spaltung des K6rpers kann hier ~ls differentialdiagnostisch wich~iges Moment nicht, genug betont ~verflen.

Nicht in allen tier bisher als Kyphosis congenit~ mitgeteilten Beobachtungen ist die mediane Wirbelk6rperspaltung festgestellt. N~ch v a n A s s e n w~r sogar

Abb. 4.

nur in 7 von 16 Fgllen Rachischisis anterior vorhanden. Wenn die Wirbel- spMtung wie in unseren Fgllen da ist, bedeutet sie jedenfalls ein sehr wesentliches Moment zur Sicherung der Diagnose, denn bei blol~en Keilformen ohne Spa]tung der Wirbelk6rper dtirfte ein sicheres AusschlieBen einer anderweitigen Ent- stehung des keilf6rmigen Wirbels nicht immer ganz leicht sein. Jene Fglle yon angeborener Keilgestalt eines Wirbels mit medianer Wirbelk6rperspaltung scheinen mir jedenfalls die einwandfreien Formen zu sein, und i ch m 6 c h t e s p e z i e l l d e n T y p d e r W i r b e l k e i l f o r m m i t a n g e b o r e n e r m e d i a l e r S p a l t u n g a l s e i n c h a r a k t e r i s t i s c h e s B i l d e i n e r a n g e b o r e n e n Mi•-

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Die angeborene Gibbusbildung mi~ Wirbelk6rperspaltung usw. 323

b i l d u n g h i e r b e s o n d e r s h e r v o r h e b e n . Vielleicht wird dadurch der ganze Typ etwas zu sehr eingeschr~nkt, aber ich halte die Abgrenzung doch ffir zweckm~6ig und wesentlich.

Bei der so etwas enger umgrenzten Form dieser Mii~bildnng ~ritt daml auch ein weiteres charak%eristisches Moment noch deutlicher hervor, n~mlich die

Abb. 5.

a u f f a l l e n d e L o k a l i s a t i o n d i e s e r Mi l3b i ldung au f d ie u n t e r e B r u s t - w i r b e l s ~ n l e . In unserem Falle war jedesmst der 10. Brustwirbel befallen. Bei den anderen hterher gehSrigen Fgllen in der Li~eratur tr i t t diese 6rtliche Disposition immer wieder hervor. (Th. 12 im Falle von R o k i t a n s k y , Th. 12 L a n c e , Th. 10 I t a r r e n s t e i n , Th. 10, 11, 12 D e l a h a y e , Th. 11 Hanson} . Die Tatsache der e x q u i s i t e n B e t e i l i g u n g g e r a d e de r S e g m e n t e des u n ~ e r e n B r u s t w i r b e l s i ~ u l e n a b s c h n i t t e s mSchte ich als 3. Charakteristiknm neben der Keilform und der medialen Spaltung ebenfalls in den Vordergrund stellen.

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324 W a l t h e r Mfiller:

Mit tier K e n n t n i s des eben geschilde1~en Migbi ldungstypes wird d a n n auch folgende noch viel welter fortgeschri*tene Wirbels~uleluniBbildung ver- st~ndlieh, die ich bei einem 10j~hrigen K n a b e n beobachten konnte . Sie stell* genau die gleiche Trias yon Wirbelver~nderung dar, wie sie schon geschildert wurde, nur haben wir e inen ex t remen Grad der MiBbildung hier vor u~s.

Bvobaehtung 3. 10j/ihriger Knabv in gutvm Allgemvinzustande. Bei der Betraeh- tung von der Svitv f/illt im Bervivhe der untvrvn Brustwirbels/~ulv vine ausgvsprovhonv Gibbusbildung auf (Abb. 6). Der 10. und 11. I)ornfortsatz dvr Brustwirbvls/~ulo trotvn

Abb. tl. Abb. 7.

sehr stark hervor, dvr darunter gelegene Lendenwirbelsaulenabschnitt ist etwas lordotisch gekriimmt. Abb. 7 zeigt den Rticken yon hinten aufgenommen. Auch hier tritt die Gibbus- bildung dvutlich in Erscheinung. Man erkennt fvrner, wie die svitlichen Muskelwfilste im Bereivhv diesvs Gibbus etwas rankvnfdrmig auseinandvrweivhvn.

Es bvsteht keinvrlei Stauchungssc.hmerz, keine lokale Druvkempfindlichkeit. An der Wirbels~ule ist wohl vine gvwissv Steifigkeit, aber kvinerlvi reflektorlsche Mnskel- spannung festzustvllen.

R S n t g e n b e f u n d : Dorsovolare Aufnahme (Abb. 8): Obere und mittlvre Brust- wirbelsgule und Rippvn sind normal vntwickelt. Der KSrper des 11. Brustwirbvls ist etwas auseinandergvzogen und in zwei drvievkige Knochvnschatten zerlegt, deren Spitzen sich gerade noch in dvr Mittellinie beriihren. Dvr KSrpvr des 12. Brustwirbvls ist in der gleichen

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Die angeborene Gibbusbildung mi~ WirbelkSrpersl0altung usw. 325

Weise in zwei dreieckige Knochenschat ten mit nach medial und un ten gekehrter Spitze zerlegt. Diese beiden Knochenfragmente sind aber so welt auseinandergertickt, dab zwischen beiden eine fast drei Querfinger breite knochenfreie Lficke klafft, in der ein etwa 3 cm langer, 1/e cm breiter rechteckiger Knochenschat ten zu erkennen ist. der wohl der Anlage der h interen BOgen entsprechen diirfte. Der 1. Lendenwirbel ist zu einem sehr breiten KOrper

Abb. 8.

auseinandergezogen, in dem in der Mittellinie ein senkrecht verlaufender Spalt deutl ich zu erkennen ist, 2. und 3. Lendenwirbel sind unSereinander und auch mit dem ers~en Lendenwirbel zu einer einheitlichen Knochenmasse vereinigt.

Seitliche Aufnahme (Abb. 9): Untere Lendenwirbels/~ule erheblich lordotisch. 3., 2. und 1. Lendenwirbel bilden einen einheitlichen Wirbelblock. 11. und 12. Brustwirbel sind keilfSrmig gestaltet. Die Wirbelreihe bildet hier einen nach vorn offenen Winkel yon etwa 150°.

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326 Walther Mtiller:

Die Ubereinstimmung mit dem oben geschilderten M_igbildungstypus fi~llt ohne wei~eres in die Augen. Die Wirbelsi~ule ist im Bereiehe des 11. und 12. Brustwirbels stark abgekniekt, die Wirbelk6rper sind keilfSrmig gestaltet und in der Mitre gespalten. Die Spaltung ist aber dm'eh sei%liehes Auseinanderweichen

#

Abb. 9.

der einzelnen H/ilft.en eine bedeutend ausgesprochenere und setz~ sich auch noch etwas weiger naeh unten auf die obersten Lendenwirbel fort, die synos%ogiseh mit.einander verbmlden sind. Wit haben also hier einen extreme11 Grad des Prozesses vor uns.

Gewissermagen den anderen Pol dieser Anomalie, den geringsten Grad, zeigt eine Wirbels~ule, die in Abb. 10 abgebildet ist. Ich verdanke dieses Bild

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der Liebenswiirdigkeit yon Herrn Dr. Kiewe. Man sieht hier am 11. Brust- wirbel etwa in tier ~ i t t e den WirbelkSrper von oben wie yon unten leich~ ein- gedellt, so dab also angedeutet die oben gesohilderte Schmetterlingsform des Wirbelk6rpers vorhanden ist.

Abb. 10.

Wir hgtten also in den hier geschflder~en vier Beobach~ungen gewisser- mai~en in eiller Stufenleiter die versohiedensten Grade jener Wirbelsgulen- mil~bildung vor nns, derml Wesen darin besteht, dab art der un*ersten Brust- wirbelsgule bzw. am {Jbergang zur Lendenwirbelsgule eine mehr octet minder scharfe winkdige Abknickung der Wirbelsgule in der Sagit*alebene vorhanden

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328 Wal ther MiJller :

ist, und dag auBerdem je naeh der Ausdehnmlg auf die ansehliegenden Seg- mente eine Spaltung der beteiliggen Wirbelk6rper yon einer einfaehen Ein- kerbung des Wirbelk6rpers his zu breitem Auseinanderweiehen der H~lften besteht. Verwaehsungen einzelner Wirbel und Ausdehnung der Vergnderung bis attf 5 Segmente ist fibrigens aueh bei versehiedenen analogen Beobaehtungen in der Literatur angeffihrt.

Die ganze Natur dieses Typus yon Wirbelsgulenmigbildung dri~ngt un- willktirlieh zn der Vermutung, daft hier irgendein meehanisehes Moment im Sinne einer A b k n i e k u n g , einer F a l t u n g de r W i r b e l s g u l e n a n l a g e in der Sagittal- ebene vorhanden gewesen sein m6ehte, die zu der keilf6rmigen Gestalt und zu dem Auseinanderweiehen ihrer pa~rigen Anlagen gefiihrt hat. :Die exquisite Lokalisation der Migbildung etwa im Bereiehe der untersten Thoraxwirbelsgule, etwa am 17. Segment yon den 34 Segmenten der Wirbelanlage, also ziemlieb genau in der Mitre wtirde die Bereehtigung einer solehen Annahme nut unter- streiehen. Ieh sehliege reich der schon yon v a n A s s e n ausgesprochenen Ver- mutung also durehaus an, dag hier ein FMtungsprozel~ der S~ule, der Blasten- massen, die die spgtere Wirbels~ule bilden, stattgefunden haben dtirfte. Freilieh mit der Deutung, wie und warum es zu einer derartigen Faltung kam, hat es noeh grol~e Schwierigkeiten.

Ieh erinnere daran, dag erst kfirzlieh M u r k J a n s e n (Verb. dtseh, orthop. Ges. 1930) eine grote Abhandlung fiber die Faltung der Fruehtaehse in tier Sagittalebene und ihre Bedeutung bei der Ausbildung besonderer Fehlformen hingewiesen hat. I m allgemeinen ist die Bewertung rein meehaniseher Kri~fte bei der Entstehung yon Wirbelmil3bildungen jetzt nieht sehr beliebt, vor allem wc~g..'n der Tatsaehe, dag solehe Fehlformen sehon in einem relativ friihen Ent- wieklungsstadium noeh vor der AusbiMung der unpaaren kn6chernen Anlage des Wirbelk6rpers entstanden sein mfiBten, also zu einer Zeit, wo meehanisehe KriLfte das kleine Gebih[e yon Embryo noch wenig treffen k6nnten.

V a n A s s e n weist darauf hin, dab in solehen t~i~llen die Chorda, der I~ieh- tungsstab ffir die blastemat6se Wirbelsgule, eine kyphotisehe ~al tung des Bla- stems nieht mitmaehte, so da6 sie nieht von demselben umwachsen werden konnte. Dureh die Versuehe yon S p e m a n n wissen wit, dag benaehbarte Teile einen Ein- flug auf die Entwieklung yon anderen Teilen ausfiben. Eine mangelhafte Ent- wieklung best immter Gewebsetemente an einer Stelle wiirde also dutch die mangelnde ri~umliehe Ausdehnung doeh meehanisehe Eimvirkungen auf benaeh- barte Anlagen ausiiben und hier gewissermagen sekund~r zur Ausbildung yon Deformierungen in diesen Anlagen und damit hier zu MiBbildungen fiihren k6nnen. Auf diese Weise kann meines Eraehtens die Entstehung derartiger Wirbelmigbildungen wie im vorliegenden l~alle nieht mehr ohne weiteres ab- gelehnt werden.

Sehon frfiher habe ieh attf einen derartigen Modus einer gewissermagen sekundgren Entstehung yon Wirbelsi~ulenmiBbildungen auf Grund einer merk- wtirdigen Beobaehtung hinweisen k6nnen.

Ieh babe 1922 im Arch. orthop. Chit., 20, H. 3, den Fall eines kon- genitalen ])efektes des ganzen linken Beines einsehlieglieh der linken Beeken- hglfte besehrieben. Hier war, wie das aus dem nebenstehenden R6ntgenbild (Abb. 11) hervorgeht, im Gefolge des Defektes der linken Beekenh~lfte, also

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wegen des Fehlens der Gewebsmassen an dieser Stelle, eine starke Abknickung der ganzen unteren Wirbels/~ule naeh der Seite des Defektes eingetreten, also eine re e h t s k o n v e x e Abbiegung der Wirbels~ule mit dem Scheitel im Lenden- wirbelabsehnitt0. Augerdem war auch in der Sagittalebene ein Knick dieses Wirbels~ulenabschnittes vorhanden. Die Keilgestalt an den oberen Lenden- wirbeln und eine mediane Spaltung der Wirbelk6rper ganz wie im oben gesehilderten Kxankheitsbilde war aueh hier ausgebildet. Ieh sprach sehon damals die Anschauung aus, dab Deformiemng und Spaltung der Lendenwirbel- s~ule nicht als eine dem Beeken- und Extremit~tendefekt gleichzusetzende

Abb. 11. Abb, 12.

paralMe primgre MiBbildung zu erblicken sei, dab vielmehr diese Wirbelvergnde- rungen erst sekundgr durch skoliotische Biegungseinfliisse i~ffolge des primgren Beckendefek~es entstanden seien. Eine weitere Bestgtigung ffir diese Anschauung gibt mir eine weitere Migbildung, die vor einiger Zeit yon A n d r a s s y ver6ffent- licht worden ist (Z. orthop. Chir. 47, 264). Hier handelte es sich ~m einen kongenitalen Beckendefekt in dem Sinne, dab eine sehr erhebliehe Hypoplasie tier rechten ]3eckenschanfel vorhanden war. Auch in diesem Falle war genau die gleiche skoliotische Abbiegnmg tier Lendenwirbelsgule mit der Konvexitgt nach der gesunden Seite vorhanden, die mittleren und unteren Lendenwirbel waren vorwiegend nut auf der linken Seite ent~dckelt, die rechten H~lften waren mehr oder weniger rudimentgr und erschienen keilf6rmig zusaramengesunken (vgl. Skizze Abb. 12.).

Die {Jbereinstimmung der Wirbelsgulenbiegung und Wirbelk6rperdefor- mierung fgllt beim Vergleich der Abbildungen l l und 12 ohne weiteres in die Augen. Ich sehe hierin besonders eindrucksvolle Hinweise daf/ir, dad b e- s t i m m t e G e w e b s d e f e k t e in i r g e n d e i n e m B e z i r k e des e m b r y o n a l e n

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330 Walther Mtiller: Die angeborene Gibbusbildung mit Wirbelk6rperspaltung usw.

O r g a n i s m u s s e k u n d ~ r zu m e c h a n i s c h e n F a l t u n g s p r o z e s s e n u n d d a m i t zu W i r b e l s ~ u l e n d e f o r m i e r u n g e n f t i h r e n k 6 n n e n , die sich hier in einer mangelhaften Ausbildung einer Sei~e (Keilform) and meist gleichzeitigem Getrenntbleiben der halbseitigen Anlagen (Wirbelk6rperspaltung) manifestieren. Mit ganz analogen Verg~ngen wie bei den besonders gut ver- st~ndlichen Wirbelmil~bildungen im Gefolge yon Beckendefekten diirften wir es wohl auch bei dem hier geschilderten Bilde der angeborenen Keilgestalt und medianen Spaltung von Wirbelk6rpern der ~mteren Brustwirbels~ule zu tun haben. Irgendwelche mangelhafte Gewebsentwicklung in der Nachbarschaft der noch sehr primitiven Wirbels~ulenanlage l ~ t hier Faltungsprozesse und damit den besonderen Typus der Abknickung und gleiehzeitigen medianen Wirbel- kSrperspaltm~g hervorgehen. Ist damit letzten Endes die eigentliche prim~re Ursache der Mil~bildung nicht gekl~rt, den sekund~ren Entstehungsmechanismus dieser Mi6bildungsform k6nnen wir anerkennen. In dieser Hinsicht bietet also das gesehilderte Bild attch einen willkommenen Beitrag zur Kl~rtmg des /~tiologisch noch besonders dunklen Kapitels der angeborenen Mi6bildungen der Wirbels~ule. Wichtig ist, das se izum Schlu6 nochmals betont, die Kenntnis namentlich der weniger hochgradigen F~lle dieser angeborenen Deformit~t wegen ihrer leichten Verwechslung mit Gibbusbildungen durch Frakturen oder Spondylitis.

Prof. Walther Mtiller, Oberarzt der chirurgischen Universit/~tsklinik K6nigsberg i. Pr.