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Der I s l a m in Deutschland - im Spannungsverhältnis zwischen
Religion (Scharia) und Demokratie (säkularer Rechtsordnung) -
Bestandsaufnahme und Analyse
A.
I. Allgemeine Daten zur Entwicklung der aus islamischen
Herkunftsländern zugewanderten Wohnbevölkerung in
Deutschland
Zum Islam bekennen sich in Deutschland derzeit (November 2015) etwa 6%
der Wohnbevölkerung, was etwa 5 Millionen Menschen entspricht.
Darüber hinaus sind etwa 2 Millionen in Deutschland lebende Menschen
islamischer Herkunft entweder den sogenannten Kulturmuslimen (ohne
jegliche Bindung an Moschee-Gemeinden) sowie der nicht unbeträchtlichen
Zahl der Atheisten zuzurechnen. Etwa 150.000 frühere Muslime sind
zwischenzeitlich zum Christentum konvertiert.
Auf Grund der seit 2015 explosionsartig anwachsenden Zahl von
Bürgerkriegsflüchtlingen aus Syrien, aber auch aus anderen islamischen
Herkunftsländern (insbesondere aus Afghanistan, Pakistan, Algerien und
Marokko), muss tendenziell innerhalb der nächsten fünf Jahre (Wegfall der
gegenwärtigen Suspendierung des Familiennachzuges) mit einem Anwachsen
auf dann mindestens 10 Millionen Menschen muslimischer Herkunft in
Deutschland gerechnet werden.
Derzeit besitzen, begünstigt durch die erweiterten Möglichkeiten des Erwerbs
der doppelten Staatsbürgerschaft, bereits mindestens 3 Millionen Menschen
muslimischer Herkunft die deutsche Staatsangehörigkeit mit rasch steigender
Tendenz.
Zuvor war erstmals in den 1960er Jahren ein nennenswerter Zustrom von
Menschen aus islamischen Herkunftsländern als Gastarbeiter nach Deutschland
zu verzeichnen gewesen. Die Bundesrepublik Deutschland hatte seit 1961 mit
einer Reihe islamisch geprägter Staaten Arbeitskräfte-Anwerbeabkommen
abgeschlossen (so mit der Türkei, Jugoslawien, mit Tunesien und mit Marokko).
-2-
Nachdem die Möglichkeit eines Familiennachzuges erleichtert worden war,
blieben nicht nur viele der früheren Gastarbeitern auf Dauer in Deutschland,
sondern sie holten auch ihre Familien nach.
In den 1980er – und 1990er-Jahren kamen schließlich auch vielfach Muslime
aus anderen Staaten, wobei es sich zum Teil um politisch verfolgte
Asylsuchende handelte. Hierunter befanden sich beispielsweise viele Iraner,
die im Zuge der Islamischen Revolution 1979 in die Bundesrepublik geflüchtet
waren, oder Afghanen, die infolge des Bürgerkriegs bzw. des Sowjetisch-
Afghanischen Krieges in großer Zahl in Westdeutschland Zuflucht suchten. Auch
bei Libanesen, Bosniern und Kosovo-Albanern war Krieg im Heimatland der
Grund für deren Emigration nach Deutschland. Hinzu kamen noch eine Vielzahl
von aus der Türkei geflüchtete Kurden .
Da eine Rückkehr in ihr Heimatland bei vielen Muslimen aus den
verschiedensten Gründen immer mehr in den Hintergrund trat, entstand
zwangsläufig allmählich auch eine gewisse religiöse Infrastruktur, die allerdings
der Vielfalt islamisch religiöser Gruppen Tribut zollen musste. Dabei war und ist
der Organisationsgrad der Muslime immer noch sehr niedrig und dürfte kaum
25% der muslimischgeprägten Gesamtbevölkerung erreichen.
Etwa 75% der in Deutschland lebenden und sich zum Islam bekennenden
Muslime sind Sunniten; die Aleviten machen etwa 13% aus, die Zwölfer-
Schiiten 6%, die Alawiten 3% und die Mitglieder der Ahmadiyya 1%.
Die restlichen 2 Prozent gehören anderen muslimischen Strömungen wie
beispielsweise den Zaiditen, Ibaditen, Sufis oder den Ismailiten an.
Die Sunniten bilden weltweit die größte islamische Glaubensrichtung,
allerdings ist deren Anteil in Deutschland etwas geringer als im weltweiten
Durchschnitt . Der Grund dafür liegt darin, dass in vielen von Sunniten
dominierten Staaten islamische Minderheiten abweichender
Glaubensrichtungen als Häretiker unterdrückt und verfolgt werden und daher
als Asylbewerber zum Bleiben berechtigte Aufenthaltstitel in Deutschland
-3-
erhielten. Dies gilt insbesondere für viele Aleviten und Mitglieder der
Ahmadiyya Gemeinschaft.
Die Sunniten stellen in Deutschland wiederum organisatorisch keine
einheitliche Glaubensgemeinschaft dar, unterscheiden sich doch die
praktizierenden Sunniten in Deutschland je nach der von ihnen besuchten
Moschee-Gemeinde in der Glaubenslehre .
Die in Deutschland ihren Glauben praktizierenden Sunniten lassen sich in 4
verschiedene theologische Richtungs- bzw. Rechtsschulen einteilen. Dabei
werden oft Moscheen von Muslimen einer Herkunftsnation besucht und
teilweise auch aus Mitteln des Herkunftsstaates finanziert:
- Hanefiten: Türkische Muslime organisiert in der Ditib und der radikalen
Milli Görus, aber auch überwiegend bosnisch-albanische Moschee-
Vereine
-
- Hanbaliten: Gläubige aus dem arabischen und teilweise aus dem
nordafrikanischen Bereich, geleitet von Imame aus Saudi-Arabien,
darunter Wahabiten bzw. Salafisten
-
- Malikiten: Nordwestafrikanische Muslime. Viele marokkanischen
Moscheenvereine folgen dieser Rechtsschule
-
- Schafiiten: Kurdische Muslime
Die Anhänger des aus den ölreichen Golfstaaten stammenden Salafismus
stellen innerhalb der sunnitischen Gemeinde zwar eine noch relativ kleine, aber
stark wachsende Minderheit dar, die besonders unter jüngeren in Deutschland
lebenden Muslimen, aber auch bei einer Vielzahl von jüngeren christlichen
Konvertiten großen Zuspruch gewinnt. Grund hierfür ist nicht nur die starke
Internetpräsenz, sondern auch die Förderung durch die ölreichen und
finanzstarken Golfstaaten.
-4-
II. Islamische Organisationen in Deutschland
Islamische Organisationen entstanden in Deutschland sowohl durch die
Entsendung von Missionaren als auch durch die sogenannten
Arbeitsmigranten und muslimische Flüchtlingen, die an ihren jeweiligen
Wohnorten in Eigeninitiative Gebetsstätten einrichteten.
Sie haben sich überwiegend in religiösen Moschee-Vereinen nach dem
deutschen Vereinsrecht zusammengeschlossen, die sich zumeist an den
religiösen Strömungen und Institutionen in ihren Herkunftsländern orientieren.
Im Laufe der Zeit haben sich dann weitere Interessengruppen und
Organisationen von Muslimen in Deutschland herausgebildet.
1. Körperschaften des öffentlichen Rechts
Die Ahmadiyya Muslim Jamaat Deutschland KdöR , die seit den frühen
1920er Jahren in Deutschland vertreten ist, hat als erste islamische
Glaubensgemeinschaft seit 2013 den Körperschaftsstatus inne, wonach
auch eine Vielzahl anderer islamischer Vereine und Verbände streben.
Denn die Körperschaften des öffentlichen Rechts (KdöR) genießen vom
Staat gewährte Sonderrechte, u.a.:
(1) Körperschaften können vom Staat Steuern erheben und von ihren
Mitgliedern abführen lassen (Steuererhebungsrecht),
(2) Kirchenbeamten ernennen (Dienstherrenfähigkeit)
(3) Zuziehende Gemeinschaftsmitglieder am neuen Wohnort in Anspruch
nehmen (Parochialrecht) sowie
(4) Eigene Friedhöfe anlegen
Einige türkische Vereine und Dachverbände (z.B. die Ditib) haben bereits
vor längerer Zeit Anträge auf Anerkennung des Kirchenstatus gestellt.
Bisher wurden ihnen allerdings eine Anerkennung verwehrt.
-5-
2. Organisationen nach dem Vereinsrecht
2.1 Sunnitischer Islam
2.2
2.1.1. Türkisch-Sunnitische Dachverbände
Die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion e.V.(Ditib) ist
der mitgliederstärkste islamische Verein in Deutschland. Sie wurde 1984 als
Ableger der türkischen Religionsbehörde Diyanet in Deutschland gegründet.
Die Rolle der Ditib ist sehr umstritten, da mit ihr ein ausländischer Staat,
nämlich die Türkei, direkten Einfluss auf das islamische Leben in Deutschland
nimmt.
Die Islamische Gemeinschaft Milli Görüs ist der deutsche Ableger der
türkischen religiös-islamischen Partei unter Necmettin Erbakan, dem Ziehvater
des derzeitigen türkischen Präsidenten Erdogan. Sie wurde 1976 in Köln
gegründet. Mehrere Verfassungsschutzämter beobachten diese Vereinigung
und berichten über verfassungsfeindliche Tendenzen. Die
Organisationsstruktur ist schwer zu durchschauen, worin Kritiker eine bewusste
Verschleierungsstrategie sehen.
Die ATiB (Union Türkisch-Islamischer Kulturvereine in Europa e.V.)
ist ein nationalistischer Dachverband von Kulturvereinen, die sich 1987
zusammengeschlossen haben.
Der Verband der Islamischen Kulturzentren (VIKZ) ist der
islamische Verband, der auf den Lehren von Süleyman Hilmi Tunnahan (1888-
1959) beruht. Der Verband wurde 1973 gegründet und ist damit die älteste
dauerhaft existierende türkisch-islamische Vereinigung in Deutschland. Im
Mittelpunkt der Aktivitäten steht religiöse Meditation, unmittelbar politisch
aktiv ist die Bewegung nicht.
-6-
2.1.2. Verbände arabischer Sunniten
Die Islamische Gemeinschaft in Deutschland (IGD) wurde 1958 in München
gegründet als Moscheebaukommission e.V. . Ihren jetzigen Namen trägt die
Organisation seit 1982. Die IGD wird der fundamentalistischen Muslim-
bruderschaft zugerechnet.
2.1.3. Verbände europäischer Muslime
Vereinigung islamischer Gemeinden der Bosniaken in Deutschland:
Gemeinden der in Deutschland lebenden Muslime aus Bosnien-Herzegowina
schlossen sich 1994 in diesem Verband zusammen. Er ist Mitglied im Zentralrat
der Muslime in Deutschland. Bosnische Muslime leben vor allem in Nordrhein-
Westfalen, Bayern und Baden-Württemberg.
Die Union der Islamisch Albanischen Zentren in Deutschland hat ihren Sitz in
Hamburg. Über Mitgliederzahl und Organisationsstruktur ist wenig bekannt.
Die Organisation gehört dem Zentralrat der Muslime in Deutschland an.
2.2. Organisationen schiitischer Muslime
2.2.1 Islamisches Zentrum Hamburg: Einflussreichste schiitische Institution
Europas. Es gilt als Verbindungszentrum zur Islamischen Republik Iran.
2.2.2 Islamischer Rat der Ahl-ul-Bayt Gemeinschaften
2.2.3 Islamische Gemeinschaft der schiitischen Gemeinden Deutschlands (IGS)
ist ein im Jahre 2009 gegründeter schiitischer Dachverband mit mehr als 100
schiitischen Gemeinden mit Sitz in Berlin.
-7-
2.3. Konvertiten
2.3.1 Deutsche Muslim-Liga und Deutsche Muslim-Liga Bonn:
Wichtige Organisationen, in denen sich in erster Linie Konvertiten zum Islam
zusammengefunden haben, sind die Deutsche Muslim-Liga mit Sitz in Hamburg
und die stark vom Sufismus geprägte Deutsche Muslim-Liga Bonn e.V.
2.3.2 Naqschbandi: Die wohl größte Gruppe deutschstämmiger Muslime hatte
sich unter dem Sufi-Scheidh Nazim Adil al-Qubrusi al-Haqqani
zusammengefunden. Ihr Hauptsitz in Deutschland liegt in der Eifel in Kall-
Sötenich.
2.4. Sondergruppen
2.4.1 Alevitische Gemeinde Deutschland (AABF):
Die neben den türkischen Sunniten zweitgrößte Gruppe türkischer Muslime in
Deutschland besteht seit 1992. Bei den Aleviten handelt es sich um eine
liberale Glaubensgemeinschaft. Für sie gilt z.B. das islamische Rechtssystem
Scharia nicht. Die AABF unterhält mehr als 100 Vereine mit insgesamt über
20.000 Mitgliedern. In Deutschland leben zwischen 750.000 – 1.000.000
Aleviten. Die AABF, in der auch eine Vielzahl türkischer Kurden Mitglieder sind,
sieht die Trennung von Staat und Religion als wichtig an.
2.4.2 Liberal-Islamischer Bund
Liberale Muslime haben 2010 den Liberal-Islamischen Bund unter dem Vorsitz
von Lamya Kaddor gegründet, der liberale Positionen vertritt z.B. die
gleichgeschlechtliche Ehe anerkennt und auch eine religiöse Verpflichtung zum
Tragen des Kopftuches ablehnt. Der Bund lehnt auch jede Form von
antichristlicher, antisemitischer und antiislamischer Diskriminierung ab und
befürwortet eine dogmenfreie und zeitgemäße Auslegung des Korans.
-8-
Auf die diversen muslimischen Jugendorganisationen (u.a. Bund der
Alevitischen Jugendlichen in Deutschland, Bund Moslemischer Pfadfinder und
Pfadfinderinnen Deutschlands sowie Muslimische Jugend in Deutschland e.V.)
sowie diverse muslimischer Bildungsorganisationen sei hingewiesen, ohne an
dieser Stelle näher darauf einzugehen.
3. Dach- und Spitzenverbände
Als Ansprechpartner insbesondere für deutsche Bundes- und
Landesinstitutionen wurde der Spitzenverband Koordinationsrat der Muslime
(KRM) 2006 gegründet. Ihm gehören die Scharia gebundenen Dachverbände
lSLAMRAT für die Bundesrepublik Deutschland und Z e n t r a l r a t der
Muslime in Deutschland , sowie die beiden gleichfalls Scharia gebundenen
Organisationen Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion (Ditib) und
Verband der islamischen Kulturzentren an.
In Dachverbänden sind mehrere islamische Organisationen
zusammengeschlossen:
- Der Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland e.V. ist ein Verband,
dessen größte Mitgliedsorganisation die Islamische Gemeinschaft Milli
Görüs ist.
- Zentralrat der Muslime in Deutschland: Diese Organisation vertritt,
anders als ihr Name suggeriert, nur eine Minderheit der Muslime in
Deutschland, ist aber der ethnisch vielfältigste Verband von Muslimen in
Deutschland.
Islamkonferenz
Unter dem Vorsitz von Innenminister Schäuble begann in Berlin am 27.
September 2006 die Deutsche Islamkonferenz. Sie wurde seitdem in
verschiedenen Zusammensetzungen und zu unterschiedlichen Fragestellungen
einberufen.
-9-
B. Der Islam und der säkulare Staat – eine kritische Bestandsaufnahme
I. Islamische autoritative Texte (Koran, Sunna und Hadith) und das
Grundgesetz
Es ist unumstritten, dass zahlreiche Aussagen des K o r a n s, der nach
sunnitischer und schiitischer Glaubenslehre Allahs wortwörtliche und
übergeschichtlich gültige Rede und als solche die oberste Lebens- und
Gesetzesnorm ist, sowie umfangreiche Passage des „gesunden“ H a d i t h,
dessen Inhalt nächst dem Koran als verpflichtendes Vorbild gilt, nicht im
Einklang mit den Normen und Werten einer auf Pluralismus aufbauenden
freiheitlich-demokratischen Verfassung stehen.
Ebenso unumstritten ist, dass Koran und Hadith im Gemeindeleben wie im
häuslichen Milieu der sich an die Scharia gebunden fühlenden Muslime eine die
Mentalität und Weltanschauung prägende Rolle innehaben: Koranrezitationen
stehen auf Tonträgern zur Verfügung, sie begleiten den Ritenvollzug.
Den Koran auswendig zu kennen, wird als ein Zeichen löblicher
Glaubensfestigkeit verstanden usw. In gleicher Weise ist das Prophetenhadith
ein wesentliches Element der Formung und Deutung des Alltags.
Für die zahlreichen säkularisierten Muslime steht außer Frage, dass den in
diesen Texten enthaltenen, die Weltanschauung und den Lebensvollzug
bestimmenden Aussagen, kein verpflichtender Charakter eigen ist.
Anderes scheint aber bspw. für die im Koordinationsrat der Muslime (KRM)
zusammengeschlossenen Interessenverbände zu gelten. Denn sie vertreten
nach eigenem Bekunden Muslime, die die auf dem Koran und dem Hadith
basierende Scharia als die einzig wahre und letzten Endes ausschlaggebende
Lebensnorm betrachten. Somit wird die Frage unabweisbar, ob und inwieweit
die erwähnten Verbände bzw. ihre führenden Persönlichkeiten ihrer
Beteuerung gemäß im Kreise ihrer Mitglieder und auch allgemein unter den
sich an die Scharia gebunden fühlende n Muslimen in Deutschland auf die
Verbreitung der Einsicht hinwirken, dass die im folgenden
-10-
angeführten Abschnitte sowie sinnverwandte Passagen des Korans und des
Hadith keine überzeitlich wahren und ewiggültigen Aussagen sind, sondern
Vorstellungen propagieren, über die die weltanschauliche, gesellschaftliche
und politische Entwicklung der Menschheit hinaus gelangt. Mit anderen
Worten: Wie vermitteln die den Verbänden angehörenden Imame und
Moschee-Prediger ihrer Zuhörern, dass sich weite Teile der autoritativen Texte
des Islams lediglich auf die unwiederbringlich vergangene Lebenswelt Arabien
im frühen 7. Jahrhundert beziehen und daher für die Verhältnisse im
gegenwärtigen Deutschland im Zweifel keinerlei normative Kraft besitzen?
Welche Anstrengungen unternehmen die genannten Verbände, um sowohl in
der in ihrer Verantwortung betriebenen religiösen Unterweisung
(“Koranschule“) als auch bei der Ausarbeitung von Lehrplänen für den
islamischen Religionsunterricht ihren Einfluss zur Förderung der erwähnten
Einsicht geltend zu machen? Oder, um ein konkretes Beispiel zu nennen: Wie
verdeutlichen die Verantwortlichen einem muslimischen Schüler, dem beim
vielfach wiederholten Lesen und Rezitieren des Korans immer aufs neue ins
Gedächtnis gerufen wird, die Andersgläubigen seien „törichter als das Vieh“
(vgl. unten , 1. Sicht „Andersgläubiger …), dass diese Aussage der „Rede Allahs“
im Hinblick auf die freiheitlich-pluralistische Gesellschaft Deutschlands nicht
nur keine Wahrheit, sondern sogar eine mit Sanktionen bedrohte Verleumdung
Andersdenkender darstellt?
Wie dringlich es insbesondere ist, gerade die muslimische Jugend in
Deutschland über die durch das Grundgesetz begrenzte Reichweite der
Autorität von Koran und Hadith aufzuklären, bedarf eigentlich keiner näheren
Ausführungen. Gleichwohl sollte ihr – der muslimischen Jugend – auch
vermittelt werden, dass der „Werteordnung der Verfassung“ grundsätzlich der
Vorrang zukommt, nicht etwa nur vorübergehend bzw. aus taktischen
Erwägungen.
Im folgenden sollen die wichtigsten Themenbereiche, in denen eine fehlende
Kompatibilität von Koranaussagen und Normen und Werten einer
pluralistischen, freiheitlichen Verfassung offenkundig sind, namhaft gemacht
-11-
werden, ohne dabei den Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben:
1. Sicht „ Andersgläubiger und Glaubensloser“ in den islamisch
autoritativen Texten vs Diskriminierungsverbot im GG
„Welch ein übles Beispiel geben die Leute ab, die unsere (d.h. Allahs) Zeichen für
Lüge erklären und (damit) wider sich selber unrecht handeln! Wen Allah auf den
rechten Weg führt, der geht diesen rechten Weg, und wen er in die Irre führt,
der zählt zu den Verlierern. Für die Hölle haben wir viele Dschinnen und
Menschen geschaffen – sie haben Herzen, mit denen sie nicht begreifen, Augen,
mit denen sie nichts sehen, Ohren, mit denen sie nicht hören. Sie sind wie das
Vieh, ja , sie gehen noch mehr in die Irre, sie geben nicht (auf Allahs Zeichen)
acht“ (Sure 7, Verse 177-179; vgl. auch 4.“ Austritt aus dem Islam“). Diesen
Versen sind beispielhaft Sure 25, Vers 44 an die Seite zu stellen (wer nicht auf
die von Mohammed verkündete Botschaft hört , ist stumpfsinniger als das
Vieh) , desweiteren Sure 2, Vers 171, Sure 6, Vers 39 und Sure 17, Verse 96-99.
Eine schrecklichere Diskriminierung Andersgläubiger bzw. Andersdenkender
ist schwerlich vorstellbar. Die in diesen Passagen des Korans zutage tretende
Gesinnung ist geeignet, immer aufs neue das Verhältnis zwischen den
Muslimen und anderen Menschen zu vergiften.
2. Sicht der „Pluralität“ in Koran und GG
Die Pluralität von Ansichten und Anschauungen ist laut Koran eine
verhängnisvolle Folge der teilweisen oder vollständigen Abwendung von der
Anleitung durch Allah , vom „Wissen“ schlechthin.
-12-
Die Pluralität von Ansichten stellt demgemäß einen Unheilzustand dar, der
durch die Verkündigung der koranischen Botschaft rückgängig gemacht
werden soll.
Mohammed und seiner Verkündigung zu folgen , bedeutet nicht nur die
Errettung von dem Höllenfeuer, sondern führt schon hier und jetzt zu einem
Gemeinwesen ohne Meinungsstreit. Vielfach mahnt der Koran die Muslime
daher, „Allah und seinem Gesandten“ zu gehorchen (z.B. Sure 3, Vers 32 und
132; Sure 48, Vers 13); dies nicht zu tun bedeutet „Unglauben“ (z.B. Sure3,
Vers 32). Wer Allah und seinem Gesandten gehorcht, gewinnt das Paradies
(Sure 4, Verse 13 und 69).“Ihr , die ihr glaubt! Gehorcht Allah und gehorcht
dem Gesandten und denjenigen unter euch, die etwas zu sagen haben. Und
wenn ihr über etwas verschiedener Meinung seid, dann legt es Allah und
seinem Gesandten vor!“ (Sure 4, Vers 59). Die von Allah stammende
Entscheidung gilt,, denn sie garantiert die Eintracht. Zwar mag es einmal
vorteilhaft sein, den Rat Betroffener einzuholen, doch am Ende entscheidet
Mohammed, der sich stets auf Allah verlässt (Sure 3, Vers 159).
Bereits in Mekka entstand die Koranpassage, die heutzutage stets dafür
angeführt wird, dass Mohammed schon eine „demokratische“
Herrschaftsform im Auge gehabt habe. Sie lautet: „Alles, was ihr (in dieser
Welt) erhaltet, das sind nur die Güter des diesseitigen Lebens. Was bei Allah
(bereitsteht), ist besser und dauerhafter – für diejenigen, die gläubig wurden
und auf ihren Herrn vertrauen, (für) diejenigen, die schwere Verfehlungen
und verwerfliche Taten meiden, (für) diejenigen, die, wenn sie zürnen,
verzeihen, (für) diejenigen, deren (gemeinsame) Angelegenheit ein
Gegenstand der Beratung untereinander ist und die von dem, was wir (d.h.
Allah) ihnen als Unterhalt zuteilen, Spenden abführen.“ (Sure 42, Verse 36-
38).Es geht in dieser Passage allein um eine formlose Solidarität unter den
„Gläubigen“; nicht wird darüber ausgesagt, was mit dem Ergebnis einer
solchen Beratung geschehen soll; dass es die in medinensischen Versen so
oft erwähnten Anordnungen Allahs, „seines Gesandten und derjenigen, die
etwas zu sagen haben“ , beeinflussen oder gar bestimmen könnte, wird
nirgends auch nur angedeutet. Niemals hat diese Passage in der
-13-
islamischen Geschichte irgendwelche auch nur entfernt als „demokratisch“
zu bezeichnenden Herrschaftsformen angeregt oder legitimiert. In der
Gegenwart wird sie oft dazu missbraucht, despotischen Regimen den
Anschein einer Offenheit für Mitbestimmung zu verschaffen. Denn befasst
man sich näher mit dem unter dem Stichwort der Beratung entwickelten
Vorstellungen, so ergibt sich folgendes: Das Beratergremium geht nicht aus
freien, allgemeinen und geheimen Wahlen hervor,; die Kandidaten
durchlaufen eine Vorauswahl, in der sie ihre Bindung an den Islam, ihr
schariatreues „Expertentum“ unter Beweis zu stellen haben. Dies alles ist
keineswegs bloß Spekulation. So ist beispielsweise die Geschichte des
Parlamentarismus in Pakistan die Geschichte der Unterwerfung der
Entscheidungen der Abgeordneten unter die Regelungen der Scharia. Im
Iran ist das Parlament der Kontrolle der Rechtsgelehrten unterstellt, wie
Chomeini es in seiner programmatischen Schrift „Die Herrschaft des
Rechtsgelehrten“ angekündigt hatte; voller Abscheu äußerte er sich darin
über den westlichen Parlamentarismus, der den Abgeordneten gestatte, zu
beschließen, was sie für gut und richtig erachteten , und diese ihre
Beschlüsse der Bevölkerung aufzuerlegen; das sei, eben weil die
Entscheidungen nicht durch Allahs Gesetz gerechtfertigt seien, blanker
Despotismus. Damit wird der Pluralismus als unislamisch verworfen.
Demgegenüber bedeutet das demokratische Prinzip im Grundgesetz
Volkssouveränität im Sinne der Herrschaft der Volksmehrheit.
Minderheitenschutz wird gesichert durch die Grundrechte und den freien
Meinungsbildungsprozess in der Demokratie, der den Wettstreit der
Meinungen garantiert und damit für die Minderheit die Chance sichert,
selbst zur Mehrheit zu werden.
3. Religionsfreiheit aus der Sicht des Korans und der Hadithen vs GG
„Wer nicht an Allah glaubt, nachdem er (zuvor) gläubig geworden war – nicht
(der ist gemeint), der (zum Unglauben) gezwungen wurde, im Herzen aber
zuversichtlich dem Glauben verhaftet blieb, sondern der, der sich (aus freien
-14-
Stücken) dem Unglauben öffnet – über den kommt Allahs Zorn und er hat eine
furchtbare Strafe zu gewärtigen!“ (Sure 16, Vers 106). Solche Leute, unterstellt
Mohammed, geben dem Diesseits den Vorzug: Allah versiegelte ihnen das Herz
und die Sinne, und daher werden sie im Jenseits zu den Verlierern zählen ( Sure
16, Verse 107-109). Dies ist die die älteste Stelle im Koran (spätmekkanische
Periode), an der vom Aufgeben des durch Mohammed verkündeten Glaubens
gesprochen wird. In Medina greift Mohammed dann dieses Thema mehrfach
auf:
Ursprünglich bildeten die Menschen eine einzige Gemeinschaft, behauptet er,
aufkommender Zwist wurde zu wieder holten Malen durch die von Allah
entsandten Propheten beigelegt, doch glaubten ihnen viele nicht, weswegen
die betroffenen Gemeinschaften von Unheil heimgesucht wurden.. Stets
bezeugte die Gemeinschaft, zu der ein Prophet geschickt wurde, die Wahrheit
der Botschaft, aber etliche wandten sich danach von ihrem Propheten ab; sie
werden das im Jenseits bereuen müssen (Sure 3, Verse 81-85). Wer zunächst
gläubig wird, dann aber vom Glauben abfällt, dem wird Allah das nicht
verzeihen (Sure 4, Verse 136-137). Allah verwandelte Leute, die seine Botschaft
verwarfen in Affen (Sure 7, Vers 166). Daran erinnert Mohammed die
„Schriftbesitzer“ in Sure 5, Vers 59-60. Sie empfingen einst von Allah die wahre
Botschaft, beherzigten sie aber nicht, und nun nehmen sie den Anhängern
Mohammeds übel, dass diese sich gemäß der Rede Allahs verhalten: Frevler
aber verwandelte Allah in Affen, Schweine und Götzendiener.
Während im Koran der Austritt aus dem Islam vor allem mit Jenseitsstrafen
bedroht wird und eine Ahndung im Diesseits allein durch Allah
vorgenommen wird, und zwar zu einem unbekannten Zeitpunkt, ist im
„gesunden“ Hadith eine durch die Muslime selber zu vollstreckende
diesseitige Bestrafung , nämlich die Tötung, vorgesehen. Hier setzten sich
die Schariagelehrten, wenn es ihnen opportun erscheint, über den Koran
hinweg und dies bereits kurz nach Mohammeds Tod.
Aufsehen erregte insbesondere auch die am 6. Februar 2005 von dem
Fernsehsender al-Dschazira im Rahmen der regelmäßig ausgestrahlten
-15-
Sendereihe „Die Scharia und das Leben“ mit muslimischen Ansichten zur
Religionsfreiheit gehaltene Rede von Jusuf al-Qaradawi, u.a. Vorsitzender
des „Europäischen Fetwarats. “Unter Berufung auf die Überlieferungen
verlangte er die Tötung von Muslimen, die ihren Glauben aufgeben. Wegen
der Gefährdung der muslimischen Gemeinschaft sei in den meisten Fällen
eine Hinrichtung nicht zu umgehen; vereinzelt, räumt al-Qaradawi ein, mag
eine „moralische Hinrichtung“ ausreichen, etwa die Zwangsscheidung von
der Ehefrau und der Verlust des Rechts des Umgangs mit den Kindern.
Eine Kommentierung dieser Auffassungen unter dem Blickwinkel des
Grundgesetzes erübrigt sich, gehört doch die Glaubens- und
Bekenntnisfreiheit zu den Kern-Grundrechten (Art.4 GG).
Gleiches gilt auch für die Gewalt gegen Andersgläubige.
Demgegenüber ist im Koran die Gewaltanwendung gegen Andersgläubige
etwas Selbstverständliches. „Tötet sie, wo immer ihr sie trefft! Und vertreibt sie,
von wo sie euch vertrieben haben!“.Diese Passage , kurz nach der Hedschra
entstanden, nimmt einen künftigen Kampf um den Besitz Mekkas ins Visier,
dessen Ergebnis die Vertreibung der Heiden aus Mekka sein soll, derjenigen,
die zuvor Mohammed vertrieben haben (vgl. Sure 47. Vers 13). – „Wenn ihr mit
den Ungläubigen zusammentrefft, dann schlagt ihnen den Nacken (ab)!“ –
Gemäß den Korankommentaren ist das Töten der Ungläubigen gemeint.
Davon unterscheidet sich die Gewaltanwendung gegen die „Schriftbesitzer
(Christen, Juden, Zarathustra-Anhänger)“, deren Ziel nicht , wie im Falle der
Heiden, deren Tötung bzw. deren unter Zwang erfolgter Übertritt zum
Islam ist, sondern „nur“ die Unterwerfung unter islamischer Herrschaft und
die Entrichtung der Kopfsteuer: „Bekämpft unter den Schriftbesitzern
diejenigen, die nicht an Allah und den Jüngsten Tag glauben, nicht verbieten,
was Allah und sein Gesandter verboten haben und nicht der wahren
Glaubenspraxis folgen , bis sie demütig, ein jeder eigenhändig, die
Kopfsteuer entrichten!“ (Sure 9, Vers 29).
-16-
Nirgends werden Andersgläubige auch nur andeutungsweise als
gleichberechtigte Partner der Gemeinschaft der „Gläubigen“ aufgefasst.
Der Begriff des „Glaubens“ wird nach der Schlacht bei Badr im Jahre 624
unmittelbar mit dem der Kampfbereitschaft verknüpft. In der kurz vor Badr
entstandenen Sure 2 stößt man noch auf eine andere Definition von „Glauben“.
In Sure 2, Vers 285 schreibt Mohammed seinen Anhängern den Glauben an
Allah, die Engel, die offenbarten Schriften und alle Propheten vor.
In Sure 1 - 4 wird Glaube auch als eine Verhaltensweise verstanden,; die Schrift
(dh der Koran) enthält rechte Anweisungen für die Gottesfürchtigen, „die an
den verborgenen Seinsbereich glauben, das rituelle Gebet vollziehen und von
dem, was wir (d.h. Allah) ihnen als Lebensunterhalt geben, Spenden leisten ; die
an das glauben , was dir herab gesandt wurde, und an das , was vor dir herab
gesandt wurde, und die Gewissheit über das Jenseits haben.“
Eine vergleichbare Formulierung begegnet man schon in der mekkanischen
Sure 35, Vers 29, wie denn überhaupt das rituelle Gebet und das Spenden,
meist mit dem Wort zakat bezeichnet, viele Male als die charakteristischen
Bräuche der Anhängerschaft Mohammeds genannt werden.
Sobald Mohammed nach dem Überfall bei Badr die Rache der ihm
überlegenen Mekkaner fürchten musste, änderte sich in den von ihm
verkündeten Offenbarungen der Inhalt des Wortes „Glaube“ einschneidend.
Den Ritualpflichten nachzukommen, zu denen zakat zählt genügt nun nicht
mehr, und das Geschäft mit Allah erstreckt sich nicht mehr nur auf
materielle Werte, die man Mohammed übergibt.
Vielmehr unterscheidet der Koran von nun an genau zwischen Muslimen
und „Gläubigen“. Muslime sind alle diejenigen, die die Riten des Islams
vollziehen. „Gläubigkeit „ setzt darüber hinaus die Teilnahme am
bewaffneten Kampf voraus. Klar ausgesprochen wird dieser Gedanke in Sure
49, Vers 14-15:“Die Beduinen sagen: Wir sind gläubig geworden.(Du,
Prophet) sprich: Ihr seid nicht gläubig geworden! Sagt vielmehr: Wir sind
Muslime geworden! Denn der Glaube ist euch noch nicht ins Herz
-17-
gedrungen. Erst wenn ihr Allah und seinem Gesandten gehorcht, wird Allah
euch eure Taten voll anrechnen. Allah ist verzeihend und barmherzig. Die
Gläubigen sind nämlich nur die, die an Allah und seinen Gesandten glauben
und danach nicht wieder zweifeln.; die mit ihrem Vermögen und ihrem Leben
auf dem Pfade Allahs den Dschihad führen – sie sind die Aufrichtigen.“
Die Beduinen , die mir ihrem Vieh von Weide zu Weide ziehen, haben nicht
die Möglichkeit, sich dem Propheten Mohammed für seine Kriegszüge zur
Verfügung zu halten, erst wenn sie dies könnten, wären sie
wahre„Gläubige“.
Was hier mit Bezug auf die Beduinen gesagt wurde, finden wir in
allgemeiner Form in Sure 22, Vers 78 wieder. Die Anhänger der neuen
Religion sollen sich dem Dschihad widmen: denn die islamische
Glaubenspraxis an sich enthält nichts Bedrückendes, Beschwerliches, da es
sich um die die schon von Abraham für richtig erkannte Urreligion handelt,
die völlig der Natur des Menschen entspricht.
Vielfach wird behauptet, der koranische Begriff D s c h i h a d meine ein
Ringen des Muslims gegen seine eigene Trägheit und Unvollkommenheit,
zumindest der im Koran erwähnte „große Dschihad“ (Sure 25, Vers 42) sei
so aufzufassen.
In der im Westen geführten Islampropaganda ist diese angeblich durch
Mohammed angeordnete Zweiteilung des Dschihad in einen kleinen, mit
Waffengewalt ausgetragenen und den großen, der die Selbstislamisierung
des Individuums meine, ein beliebter Topos geworden. Er passt schließlich
so schön zu der Behauptung, Islam bedeute Friede (Anm.:arab.richtig
übersetzt: Ergebung), und taugt als immer wieder nutzbarer Scheinbeleg
für die von der politisch-medialen Klasse so zäh festgehaltene
Unterscheidung zwischen einem friedfertigen Islam und einem nur von einer
Minderheit verfochtenen militanten Islamismus. Bedauerlich ist freilich, dass
es jenen Satz in den für innerislamischen Diskurs einschlägigen autoritativen
Texten überhaupt nicht gibt . Er fehlt im Koran, dessen medinensische Suren
durchweg die kriegerische Gläubigkeit rühmen.
-18-
In den sechs kanonischen Hadithsammlungen sucht man ihn vergebens und
ebenso in verwandtem Schrifttum. Auch in der historiographischen
Überlieferung ist er nicht zu entdecken, und ebenso wenig in der neueren
muslimischen Geschichtsschreibung über Mohammed, die den Propheten
des Islams vielfach als einen Militärführer zeichnet, von dessen Vorbild sich
die heutigen Muslime leiten lassen sollten, um die einstige Macht des Islams
zu restaurieren.
Auch die klassische Schariawissenschaft kennt die Zweiteilung nicht: dies
lehrt beispielsweise ein Blick in das Inhaltsverzeichnis der von Ibn abi Zaid
al-Qairawani (gest. 996) dem Dschihad gewidmeten Abhandlung (Vgl. die
Inhaltsübersicht bei Mathias von Bredow: „ Der heilige Krieg aus der Sicht
der malikitischen Rechsschule“).
Hingegen findet sich jener Ausspruch lediglich in einer allgemeinen, nicht
auf die Schlacht bei Badr bezogenen Fassung der Kurzbiographie eines Sufis,
der ihn im Jahre 1058 in Bagdad verbreitete, nachdem er ihn angeblich in
Buchara gehört hatte. Etwa zur gleichen Zeit wird dieser Satz in ein dem
sufischen Ideal der Askese gewidmetem Werk erwähnt. Die damals im
Entstehen begriffenen Sufi-Gemeinschaften verschrieben sich einer
Vertiefung der schariatischen Frömmigkeitspraxis, die die Ausübung von
Waffengewalt gegen Andersgläubige einschloss, da sie ja durchaus dem
Vorbild Mohammeds entsprach. In Belegen aus frühislamischer Zeit ist
übrigens von strenger Askese als einem probaten Mittel zur Schärfung der
Kampfesleidenschaft, zur Förderung des Dschihads die Rede.
Kaum ein Passus des Korans wird heute so gern zitiert wie das Bruchstück von
Sure 2, Vers 256: „Im Glauben gibt es keinen Zwang.“ Man legt diese Worte als
ein Zeugnis für die umfassende Toleranz Mohammeds und seiner Botschaft
aus.
-19-
So hatte Jusuf al-Qaradawi in seiner bereits erwähnten der Religionsfreiheit
gewidmeten Sendung vom 6. Februar 2005 aus diesen Worten etwas ganz
anderes herausgelesen. Indem er auch den zweiten Teil des Verses zitierte –
„Der rechte (religiöse) Weg ist nunmehr deutlich vom Irrtum unterschieden.
Wer daher an den Götzen nicht mehr glaubt, wohl aber an Allah, der klammert
sich an die festeste Schlinge, die sich nicht auflösen wird“.- hob er hervor: Der
rettende Griff nach dieser Schlinge dürfe nicht in einer Zwangslage erfolgen,
die keinen anderen Ausweg mehr erkennen lasse, sondern müsse freiwillig
geschehen.
Von einer freien Wahl unter mehreren gleichberechtigten Religionen ist in
Sure 2, Vers 256 nicht die Rede, vielmehr wird der Schritt zum Islam hin als die
unumgängliche Folge der laut Mohammed durch die Verkündigung der
koranischen Botschaft jedermann erkennbar gewordenen Wahrheit aufgefasst.
Die Heiden und die Schriftbesitzer verweigern diesen Schritt, weil sie töricht
wie das Vieh sind.
4. Stellung der Frau im orthodoxen Islam und im GG
Dass die Vorschriften des Korans den Frauen zwar die (religiöse)
Gleichwertigkeit zubilligt, aber gleichzeitig die Gleichberechtigung mit den
Männern absprechen , ist eine weithin bekannte Tatsache und bedarf keiner
ausführlichen Dokumentation.
Demgegenüber gehört die Gleichberechtigung von Mann und Frau nach Art. 3
Abs.2 GG als unabdingbares Kern-Grundrecht zum Menschenbild unserer
gesellschaftlichen Verfasstheit.
-20-
II. Das Problem des schariatischen Islam mit dem säkularen Denken
Der willkürliche Gebrauch bestimmter Argumentationsverfahren –
metamorphorischer Sinn, Leugnung der Maxime „Religion und Politik sind
eins“, Wahl eines „schonenden“ Begriffs, Diesseits-Jenseits-Rabulistik,
„Kontextbezogenheit“ – dient dem Zweck, zum einen von Fall zu Fall die
Behauptung zu verteidigen, die ewig wahren Aussagen der autoritativen Texte
entsprächen den freiheitlich-demokratischen Grundsätzen unseres
Gemeinwesens. Zum anderen soll er alle Personen ins Unrecht setzen, die dies
unter Hinweis auf zahlreiche einschlägige Belege in Abrede stellen und darüber
Aufklärung verlangen, wie die Verbandsvertreter des Islams sich zu diesem
eklatanten Widerspruch zu verhalten gedenken. Es geht also um die
Vorbereitung des die intellektuelle Not zum Schein behebenden argumentum
ad hominem. Disputation, ja jegliche Form von Dialog bedeutet in dieser Sicht
nichts anderes, als dass die Wahrheit der – angeblich auf Allah zurückgehenden
– Aussagen des Islams stets stillschweigend vorausgesetzt ist. Am Beginn des
Dialogs mag sie dem Gesprächspartner noch nicht bewusst sein; implizit ist sie
bereits gegeben, wie immer die erörterte Frage auch lauten mag. Das
Streitgespräch findet seinen Abschluss, indem sie durch den Kenner der Scharia
in einem der geschilderten Verfahren oder in einer Kombination aus mehreren
dieser Verfahren seinem Partner explizit gemacht wird. Ein ergebnisoffener
Diskurs, bei dem alle Teilnehmer von der Wahrheit gleich weit entfernt sind,
alle wissen, dass sie sie niemals ganz erreichen werden, und alle im gleichen
Ernst um eine Annäherung an sie ringen, ist den Schariakennern nicht nur ein
Gräuel, sie sind in der Regel zu solch einer Gesprächsführung nicht bereit und
wegen der Ausrichtung ihrer Ausbildung auch nicht in der Lage.
Allerdings ist sie ihnen bislang auch noch nie ernsthaft abverlangt worden. Die
Dialogpartner der Vertreter des Islams haben sich aus falsch verstandener
Nachsicht mit ihrem eingangs erwähnten Unbehagen abgefunden. Vielfach
fehlen ihnen die Hintergrundkenntnisse, um die Behauptungen, mit denen sie
sich konfrontiert sehen , ins rechte Licht zu rücken. Bisweilen lassen sie sich
durch die Forschheit des Auftretens beeindrucken und beruhigen sich bei dem
-21-
Gedanken, die Tugend der Toleranz gebiete es, dem anderen nicht mit Fragen
zu nahe zu treten, die ihm unangenehm sein könnten.
Solchermaßen nie zur Rechtfertigung ihrer Positionen gegenüber
Andersdenkenden in einem Dialog von gleich zu gleich genötigt, müssen die
Vertreter der Scharia freundlichen KRM-Verbände an die Unanfechtbarkeit
dieser Positionen zu glauben beginnen. Es kommt hinzu, dass sie sich als die
Avantgarde der Islamisierung des Westens betrachten, auf die man in der
islamischen Welt große Hoffnungen setzt.
Dies gilt insbesondere für die Ditib. Ihre türkische Mutterinstitution Diyanet
Isleri Baskanligi erklärt in ihrem türkischsprachigen Internetauftritt offen, dass
es zu ihren Zielen gehöre, im Ausland die in der Türkei auf dem Gebiet der
Religion gesammelten Erfahrungen bekanntzumachen, auf diese Weise das
„richtige“ Verständnis des Islams durchzusetzen und der öffentlichen Meinung
im Westen das „richtige“ Wissen vom Islam zu vermitteln; überdies lasse sie es
sich angelegen sein, die im türkisch interpretierten Islam wurzelnde Identität
der im Ausland lebenden Landsleute zu festigen. In diesem Zusammenhang
verdient die Tatsache Erwähnung , dass für die weltweite Förderung des
Scharia-Islams gigantische Mittel aufgewendet werden, so wurden alleine in
den beiden letzten Dekaden von Saudi-Arabien nach offiziellen Angaben jeweils
100 Milliarden US-Dollar für die weltweite Missionierung zur Verfügung
gestellt. Daneben sind vielfältige Bemühungen zu registrieren, eine ins
Grundsätzliche gehende Kritik am Scharia-Islam als „ I s l a m o p h o b i e“ zu
kriminalisieren, mithin zugunsten eines bestimmten politisch-religiösen
Systems die freie Meinungsäußerung und die Freiheit der wissenschaftlichen
Forschung einzuschränken.
In diesem Zusammenhang sei auch auf die mit 21 zu 10 Stimmen bei 14
Enthaltungen angenommene Resolution des UN-Menschenrats vom 27. März
2008 hingewiesen, die „Islamophobie“ mit Rassendiskriminierung auf gleicher
Ebene abhandelt, mithin erstmalig ein Gedankengebäude unter eben den
Schutz stellt, der bislang allein dem Menschen und seinen Rechten galt;
immerhin gehört Deutschland zu den Staaten, die diese Resolution ablehnten.
-22.
Aus der Sicht der KRM-Verbände gab es also bisher keinen Anlass , sich einer
Grundsatzdiskussion zu stellen .
Eine besondere Rolle war bzw. ist der erstmals 2006 einberufenen Deutschen
Islamkonferenz (DIK) zugedacht, um die Integration der Muslime, auch der
schariagebundenen, in die freiheitliche Wertegemeinschaft Deutschlands
voranzubringen. Dieses Ziel kann nur erreicht werden, wenn die religiös-
ideologischen Hemmnisse, die der Integration entgegenstehen, auch
tatsächlich zur Sprache gebracht werden. Dies ist eine der wichtigsten
Aufgaben. Außerdem müssen eine Reihe wesentlicher Fragen, die bis jetzt noch
völlig offen sind, behandelt werden, u.a.:
- Wie kann sichergestellt werden, dass die Muslime, die dem Scharia-Islam
ablehnend gegenüberstehen und sich unserer freiheitlich-
demokratischen Werteordnung und dem in ihr wurzelnden
Gemeinwesen verpflichtet fühlen, in der den Islam betreffenden
öffentlichen Diskussion und vor allem in den staatlicherseits zur
Erörterung islamischer Angelegenheiten einberufenen Gremien
entsprechend ihrer Bedeutung vertreten sind, stellen sie doch mehr als
die Hälfte der Zuwanderer aus islamischen Herkunftsstaaten.
- Wie kann sichergestellt werden, dass die muslimischen Schüler mit der
freiheitlichen, ergebnisoffenen Streitkultur vertraut gemacht werden?
- Wie haben sich die in diesen Fragen enthaltenen Prinzipien im
Curriculum der Ausbildung islamischer Religionslehrer und im Curriculum
der Ausbildung deutscher Imame niederzuschlagen?
- Was bedeuten diese Prinzipien für die Integrationsarbeit?
Wie wichtig eine zufriedenstellende Lösung auf diesem Gebiet ist, dürfte
sich auch jedem in Anbetracht des noch zu erwartenden weiteren
Zustroms mehrerer Millionenen Flüchtlinge mit islamischem Hintergrund
in diesem und den nächsten Jahren aufdrängen.
-23-
Denn zieht man eine vor wenigen Jahren erhobene Umfrage unter den
an österreichischen Schulen tätigen Lehrern für dem islamischen
Religionsunterricht zugrunde – zum damaligen Zeitpunkt war das
Verhältnis zwischen Mehrheitsgesellschaft und Islam noch wesentlich
entspannter - so sahen damals bereits 28,4% einen Widerspruch darin,
Muslim und Europäer zu sein; 21,9% hielten Islam und Demokratie für
unvereinbar; 14,7% lehnten die österreichische Verfassung ab (Quelle:
Die Presse, 28.1.2009).
Ansonsten kann nur Ernst-Wolfgang Bockenförde zugestimmt werden,
wenn er in seiner ausführlichen Buch-Besprechung der unter dem Titel
„Islam und Verfassungsstaat“ veröffentlichten Dissertation von Lukas
Wick (in FAZ, 23.4.2009, S.35) feststellt:
…“dass der säkulare Staat, solange die scharia-islamischen Vorbehalte
gegen ihn nicht ausgeräumt werden, dafür Sorge zu tragen habe, dass
die Angehörigen des Islams durch geeignete Maßnahmen im Bereich von
Freizügigkeit und Migration – nicht zuletzt im Hinblick auf die Türkei – in
ihrer Minderheitenposition verbleiben, ihnen mithin der Weg verlegt ist,
über die Ausnutzung demokratischer politischer Möglichkeiten seine auf
Offenheit angelegte Ordnung von innen her aufzurollen. Darin liegt nicht
mehr als eine Selbstverteidigung, die der freiheitliche Verfassungsstaat
sich schuldig ist.“
III. Der „Organisierte Islam“ im Spannungsfeld zwischen Scharia
(Islamismus) und Demokratie (säkulare Rechtsordnung) in
Deutschland
1. Allgemeine Kriterien zur Einschätzung von Vereinen und
Gesprächspartnern aus dem Bereich des „Organisierten Islam“
Eine kontextuale Analyse kann sich z.B. auf die öffentlichen
Bekundungen muslimischer Vereine und Verbände, auf ihre
-24-
Führungspersonen, ihre Funktionäre und ihre Versammlungsorte,
auf ihre organisatorischen Vernetzungen mit europäischen bzw.
internationalen islamischen Institutionen und auf die Inhalte von
Bildungsangeboten (Druckerzeugnisse, Websites) richten. Daraus
entsteht ein zwar immer noch fragmentarisches , aber doch in der
Grundtendenz aussagekräftiges Bild: Auch wenn man davon
ausgeht, dass der „organisierte“ Islam mehrheitlich nicht
islamistisch orientiert ist, muss doch festgehalten werden, dass
ein ausgeprägter pragmatischer Konservatismus mit zunehmend
breiteren sich radikalisierenden Rändern dominiert.
2. Islam und Islamismus – Grundmerkmale des Islamismus
Es gibt keine geschichtliche Notwendigkeit, dass aus dem Islam Islamismus
wird, aber es besteht die Möglichkeit. Es kann also einen Islam ohne
Islamismus, aber keinen Islamismus ohne Islam geben. Für den Zusammenhang
von Islam und Islamismus ist es wichtig zu wissen, dass der „Islam“ (arab.
„Hingabe“, „Ergebung“) nicht nur eine Religion ist, sondern immer auch ein
politisches Projekt der Gesellschaftsveränderung.
Die geistigen Ursprünge, Grundorientierungen und Ziele des Islamismus lassen
sich im Wesentlichen auf drei Grundmerkmale zuspitzen. Der Islamismus ist
eine
-politisch-extremistische Herrschaftsideologie, deren Kern eine
Ideologie der Ungleichheit bildet: Andere Religionen, Weltanschauungen
und Lebensorientierungen werden abgewertet, und ihnen wird eine
gleichberechtigte Existenz neben dem Islam, der als die einzig „wahre“
Religion verstanden wird, verweigert. Politische Herrschaft wird aus der
Religion (Scharia) begründet. Universale Menschenrechte, so wie sie in
der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“ von 1948 formuliert
sind, werden als „unislamisch“ zurückgewiesen und das Prinzip der
Säkularität, dh. der Trennung von Staat und Religion , verworfen;
-25-
-politische Protest- und Oppositionsbewegung gegen muslimische
diktatorische Regime, die als „unislamisch“ verurteilt werden („der nahe
Feind“) und gegen „den Westen“ als die Verkörperung der
„islamfeindlichen“, „ungläubigen“ Mächte („der ferne Feind“);
-soziale Bewegung, die soziale Dienstleistungen (z.B. Arbeit, Bildung,
Kultur, Freizeit) anbietet, nicht zuletzt um Sympathisanten für die
Bewegung und Rekruten für den „dschihad“ zu gewinnen.
3.Die Anfälligkeit des „organisierten Islam“ und seiner Mitglieder für
den Islamismus
Der organisierte Islam bietet für islamistische Einfluss-Strategien Andockpunkte
und offene Flanken:
Der Islam, wie er von den Verbänden präsentiert wird, zeigt sich ganz
konservativ: als ein „ganzheitliches“ System, geschlossen, vermeintlich rational
erfassbar, alle Sinnfragen und praktischen Probleme des Lebens beantwortend.
Sichtbar wird vielfach auch eine apologetische Grundhaltung, die wenig Raum
für (selbst-)kritische Diskurse lässt.
Die eigentümliche Abstinenz, wichtige Themen zu diskutieren, ist nicht nur
beklagenswert, sondern auch gefährlich. Wenn z.B. im Blick auf das Verhältnis
des Islam zur Trennung von Staat und Religion, zum Gewaltproblem oder zur
Frage der Geschlechtergerechtigkeit und der Religionsfreiheit statt einer
offenen , kritischen Debatte eine Abwehrhaltung, plakative Selbstgerechtigkeit,
Opferposen und aggressive Gegenangriffe auf Kritiker dominieren, ohne dass
der Versuch gemacht würde, sich tatsächlich tiefgehend mit diesen Fragen zu
befassen, dann wird es den Islamisten leicht gemacht.
Es ist z.B. völlig unverständlich, warum es im Rahmen der „Deutschen
Islamkonferenz“ (2006 – 2009) erst nach Jahren möglich war, das Thema
„Islamismus“ auf die Tagesordnung zu setzen, wobei die dann endlich erreichte
Diskussion deutlich von Abwehr und apologetischen Positionen geprägt war.
-27-
Nicht streitiger Dialog, sondern die Sicherung der eigenen „islamischen
Identität steht ganz im Vordergrund, und insofern ist der verbandlich verfasste
Islam eher „Identitätswächter“ eines überwiegend konservativen Islam denn
„Integrationslotse“ für die demokratische Gesellschaft.
Das Bild, das viele der „Organisierten“ von der „westlichen“ demokratischen
Gesellschaft haben, in der sie leben, weist zudem eine beunruhigende Tendenz
zu Distanz und (mitunter abwertender) Abgrenzung auf. Dies liegt keineswegs
nur an tatsächlichen persönlichen Diskriminierungserfahrungen und/oder
vermuteten Erscheinungen von gesellschaftlicher Exklusion, Ausgrenzung und
Verweigerung von „Anerkennung“. Es gibt auch eine hausgemachte
Abschottung (Parallelgesellschaft) in die versiegelte Geisteswelt muslimischer
Identitäten. Außenstehende, d.h. Nichtmuslime, werden letztlich keinen
Zugang finden, allen „Dialogaktivitäten“ und Bereitschaftserklärungen zu
Offenheit und Transparenz zum Trotz. Wenn die Trennlinie zu den
„Ungläubigen“ scharf gezogen wird und ein massives
Überlegenheitsbewusstsein zur Abwertung anderer Religionen führt, wenn
bewusst oder unbewusst der Scharia gelenkte islamische Staat als islamisches
Staatsideal in den Köpfen spukt, wenn ferner unter dem Druck islamistischer
Gruppen eine dogmatische Orthopraxis als allgemeingültig „islamisch“
durchgesetzt werden soll (der „Kopftuchstreit“ 2003 war ein beredtes Beispiel
dafür) , dann haben die Islamisten Oberwasser. Sie können an einen solchen,
von einem buchstäblichen Verständnis des Koran und einer traditionalistischen
religiösen Praxis geprägten sowie zur gesellschaftlichen Abgrenzung
tendierenden Islam problemlos anknüpfen.
Wenn muslimische Verbände im Verhältnis zu Demokratie und Rechtsstaat
deutliche U n k l a r h e i t e n zeigen, so ist hier ein weiteres Einfallstor für
islamistische Ideologien geöffnet. Ein bedeutendes Beispiel ist die vom
„Zentralrat der Muslime in Deutschland“ (ZMD) am 20. Februar 2002
veröffentlichte „Islamische Charta“. Adressaten der Charta sind Nichtmuslime
und Muslime gleichermaßen, sie ist sowohl Selbstdarstellung des ZMD nach
außen als auch Dokumentation des internen muslimischen
Selbstverständnisdiskurses, der auch zwischenzeitlich von allen KRM-
Verbänden stillschweigend übernommen wurde.
-28-
Sie will Aufschluss über die Grundhaltung des ZMD und der übrigen KRM-
Verbänden zur Demokratie geben und fordert die „Anerkennung“ des Islam in
Deutschland. Obwohl die Diskussion über die Charta (anscheinend ganz im
Sinne des ZMD) inzwischen weitgehend eingeschlafen ist, muss hier darauf
eingegangen .
Demokratietheoretisch ist die Charta ein höchst ambivalentes Dokument.
Einerseits wird eine grundsätzliche Bejahung der Demokratie des
Grundgesetzes formuliert, andererseits wird dieses positive Votum durch eine
Reihe von Unklarheiten verdunkelt und durch die Formulierung von
Bedingungen wieder eingeschränkt:
In § 11 der Charta wird die „vom Grundgesetz garantierte gewaltenteilige,
rechtsstaatliche und demokratische Grundordnung der Bundesrepublik
Deutschland, einschließlich des Parteienpluralismus, des aktiven und passiven
Wahlrechts der Frau sowie der Religionsfreiheit“ bejaht. Die auffällige
Betonung des „aktiven und passiven Wahlrechts der Frau“ lässt allerdings
vermuten, dass der Artikel 3 des Grundgesetzes („Männer und Frauen sind
gleichberechtigt“) im ZMD nicht konsensfähig war. Das deckt sich mit Aussagen
in Verlautbarungen und Publikationen muslimischer Verbände, in denen auf die
„Gleichwertigkeit“ der Frau vor Gott und die von Gott gegebenen
unterschiedlichen Pflichten verwiesen wird. Die Rede von der „Gleichwertigkeit
vor Gott“ bedeutet jedoch keineswegs die Gleichheit vor dem Gesetz und die
Akzeptanz gesellschaftlicher Gleichberechtigung in Familie und Gesellschaft,
sondern geht von der schariarechtlich festgeschriebenen Ungleichbehandlung
der Frau aufgrund gottgegebener biologischer Anlagen und dadurch
begründeten unterschiedlichen Rechten und Pflichten aus.
Weiter heißt es in § 11: „Daher akzeptieren sie auch das Recht, die Religion zu
wechseln, eine andere oder gar keine Religion zu haben. Der Koran untersagt
jede Gewaltausübung und jeden Zwang in Angelegenheiten des Glaubens.“ Das
Bekenntnis zum Religionswechsel ist ein durchaus mutiger Schritt, gilt doch der
„Abfall“ (Apostasie) vom Islam als Sünde gegen Gott und „Verrat“ an der
muslimischen Gemeinschaft und wird in einigen islamischen Staaten
-29-
strafrechtlich mit der Todesstrafe verfolgt. Gleichwohl scheint die Akzeptanz
von Rechtsstaat und Demokratie in erster Linie von der Bedingung abhängig
gemacht zu werden, dass den Muslimen eine Religionsfreiheit nach ihren
Vorstellungen gesichert wird, was mit dem Wort „daher“ angedeutet wird.
Weil das Grundgesetz in Art. 4 den Muslimen Religionsfreiheit garantiert,
sodass sie „ihren religiösen Hauptpflichten nachkommen können“, deshalb
akzeptiert der ZMD das Grundgesetz. Nur deshalb ? Nur der ihnen gewährten
Religionsfreiheit ?
Der religionsgeschichtliche Hintergrund dieser Argumentation ist die in der
islamischen Tradition diskutierte Problematik, ob Muslime dauerhaft auch in
einem nichtmuslimischen Land leben können. Die Debatte der Rechtsgelehrten
dazu ist bis heute kontrovers. Der ZMD signalisiert mit dieser Formulierung
also, dass er die Akzeptanz von Rechtsstaat und Demokratie offenbar auf
kollektive vertragliche Beziehungen zwischen dem Staat und der muslimischen
Minderheit gegründet sieht.
So heißt es in These 10: „Muslime dürfen sich in jedem beliebigen Land
aufhalten, solange sie ihren religiösen Hauptpflichten nachkommen können.
Das islamische Recht verpflichtet Muslime in der Diaspora, sich grundsätzlich
an die lokale Rechtsordnung zu halten. In diesem Sinne gelten Visumerteilung,
Aufenthaltsgenehmigung und Einbürgerung als Verträge, die von der
muslimischen Minderheit einzuhalten sind.“
Hier wird nicht von einzelnen Muslimen als Staatsbürgern im Rechtsstaat
gesprochen, sondern von „der muslimischen Minderheit“ als Kollektiv. Die
Bezeichnung der genannten staatlichen Rechtsakte (Visumerteilung,
Aufenthaltsgenehmigung und Einbürgerung) als „Verträge“ zur Bestimmung
des Verhältnisses von Staatsbürgern und Staat ist unserer Rechtsauffassung
fremd und außerdem für als Deutsche geborene Muslime ohne Bedeutung. Die
Bundesrepublik Deutschland schließt in diesen Rechtsangelegenheiten keine
Verträge mit Individuen und/oder Kollektiven („den Muslimen“), sondern
erwartet selbstverständlich die Akzeptanz der Rechtsordnung und
Gesetzesgehorsam. Visumserteilung, Aufenthaltsgenehmigung und
-30-
Einbürgerung beruhen auf gesetzlichen Regelungen und Verordnungen, die für
alle, die diese hoheitlichen Rechtsakte begehren, in gleicher Weise gelten.
Davon zu unterscheiden sind vertraglich vereinbarte Kooperationen zwischen
dem Staat und nicht-staatlichen Akteuren – z.B. wenn der deutsche Staat im
Rahmen seines staatskirchenrechtlichen Regelwerkes vertragliche
Vereinbarungen mit Religionsgemeinschaften trifft, etwa im Blick auf soziale
Dienstleistungen (z.B. Diakonie und Caritas), die Bildung (Religionsunterricht,
theologische Fakultäten) oder die Militärseelsorge. Dieses Regelwerk steht –
bei Vorliegen der rechtlichen Voraussetzungen – auch muslimischen
Religionsgemeinschaften offen. An diesem Punkt wird besonders deutlich
sichtbar, dass der ZMD bemüht ist, der eigenen Klientel in der Sprache
islamischen Rechts, d.h. mit den Kategorien islamischer Rechtstheorien, die
Akzeptanz der deutschen Rechtsordnung nahezubringen. Doch geht dieser –
durchaus wohlmeinende und im Blick auf den innerislamischen
Klärungsprozess verständliche – Kompromissversuch an den grundlegenden
Legitimationsgrundlagen des demokratischen Staates vorbei. Er erzeugt den
fatalen Eindruck, der ZMD betrachte staatliche Rechtsakte unter einem
kollektiven Vertragsvorbehalt, d.h. auch als kündbar, und somit die deutsche
Rechtsordnung nur als Provisorium auf dem Weg zu einem islamischen Staat
und Gemeinwesen.
Dieser Kritik begegnet der ZMD mit dem Hinweis, dass das islamische Recht
unbedingt zur Einhaltung von Verträgen verpflichte. Er zeigte damit , dass er
tatsächlich die islamrechtliche Vertragskonstruktion als Legitimationsgrundlage
muslimischer Existenz im nichtmuslimischen Staat betrachtete. Doch eine
solche Rechtsauffassung ist nicht akzeptabel. Es wäre ja nicht auszuschließen,
dass die „im Zentralrat vertretenen Muslime (so die Charta) zu der Meinung
gelangen könnten, dass die Vertragsbedingungen von dem „Vertragspartner“
(der Bundesrepublik Deutschland) verletzt worden seien, etwa durch
Versagung einer Baugenehmigung für den Bau einer Moschee oder ein
Kopftuchverbot. Eine solche vermeintliche Behinderung der Religionsfreiheit
könnte als „Vertragsverletzung“ interpretiert werden, ja wäre gemäß Sure 8
-31-
,Verse 56 -58 „Verrat“ und zöge die Vertragsaufkündigung seitens der Muslime
zwingend nach sich.
Hier zeigt sich eine befremdliche Demokratieauffassung. Es kann ja nicht sein,
dass eine religiöse Minderheit die Bedingungen diktiert, unter denen sie bereit
ist, fundamentale Verfassungsprinzipien anzuerkennen, und sich vorbehält,
diese Anerkennung auch wieder zurückzunehmen, wenn der „Vertragspartner“
angeblich die „Geschäftsgrundlage“ verlässt. Diese liefe darauf hinaus, den
Muslimen eine islamrechtliche Deutungshoheit über die Beziehungen
zwischen dem Staat und dem Islam in Deutschland zuzugestehen. Völlig
ungeklärt bliebe auch die Frage, wer denn legitimiert sei, im Namen „der“
Muslime mit dem nichtmuslimischen demokratischen Rechtsstaat „Verträge“
zu schließen und auch wieder zu lösen. Die „lokale Rechtsordnung“ (das
Grundgesetz) wird vom ZMD somit nur deshalb akzeptiert, weil das islamische
Recht sie dazu vertraglich verpflichtet und man offensichtlich darauf hofft,
ggf. durch vertragliche Vereinbarungen weitere Spielräume für die
Anwendung islamrechtlicher Bestimmungen (z.B. im Ehe-, Familien- und
Erbrecht) zu gewinnen. Das wird durch die Formulierung, dass das islamische
Recht die Muslime verpflichte, die „lokale Rechtsordnung grundsätzlich“
anzuerkennen, noch bekräftigt.
Die einschränkende Formulierung „grundsätzlich“ ist erklärungsbedürftig.
Welche Bestimmungen der Rechtsordnung können Muslime ggf. nicht
anerkennen? Welche „Sonderregelungen“ soll es für „die im ZMD vertretenen
Muslime“ geben ? Der ZMD bleibt eine konkrete Antwort schuldig.
„Grundsätzlich“ scheint zu gelten: Das „islamische Recht“ bildet, wie es in
These 3 heißt, zusammen mit der „islamischen Lebensweise“ die „Grundlage
des islamischen Glaubens“. Ist dieser Bezug auf das islamische Recht, die
Scharia, eine islamistische Position? Sicherlich nicht, denn dann wären alle
Muslime Islamisten . Aus der Sicht des ZMD ist die S c h a r i a aber die
maßgebliche und verbindliche Grundregel muslimischen Lebens in
Deutschland . obwohl in der Charta die Reizvokabel „Scharia“ bewusst
vermieden wird. Die Rede von dem „islamischen Recht“ und der „islamischen
Lebensweise“ als Basis des „islamischen Glaubens“ deutet darauf hin, dass der
-32-
ZMD die Scharia als ein ganzheitliches Korpus von Glaubensprinzipien,
moralisch-ethischen Orientierungen und rechtlichen Bestimmungen versteht,
der von den Anweisungen für den Gottesdienst über Speise- und
Bekleidungsvorschriften bis zur Regelung von Rechtsmaterien wie Straf-,
Vertrags-, Ehe-, Familien- und Erbrecht reicht. Wie ist eine solche Position , in
der auch ein politischer Geltungs- und Gestaltungsanspruch steckt, mit den
fundamentalen Verfassungsprinzipien des Grundgesetzes in Einklang zu
bringen ? Ist die Scharia t e i l b a r, und zwar in einen hier im säkularen Staat
frei praktizierten „rituellen Pflichtteil“ (Glaubensbekenntnis, tägliches
fünfmaliges Gebet, Fasten, Almosengeben und die Pilgerfahrt nach Mekka) und
einen zurzeit suspendierten Teil (Ehe-, Familien-, Erb- und Strafrecht), der aber
im Falle einer muslimischen Mehrheit zur Anwendung käme? Eine höchst
ungemütliche Vorstellung!
Das Spannungsfeld zwischen Scharia und säkularer Rechtsordnung wird durch
die Formulierungen in der These 13 noch einmal unterstrichen: „Zwischen den
im Koran verankerten, von Gott gewährten Individualrechten und dem
Kernbestand der westlichen Menschenrechtserklärung besteht kein
Widerspruch. Der beabsichtigte Schutz des Individuums vor dem Missbrauch
staatlicher Gewalt wird auch von uns unterstützt. Das islamische Recht
gebietet, Gleiches gleich zu behandeln und erlaubt , Ungleiches ungleich zu
behandeln. Das Gebot des islamischen Rechts, die jeweilige lokale
Rechtsordnung anzuerkennen, schließt die Anerkennung des deutschen Ehe-,
Erb- und Prozessrechts ein.“
Der ZMD sieht Individualrechte im Koran verankert und „von Gott gewährt“. Es
ist zu fragen, ob die Formulierung „von Gott gewährt“ auf eine theologische
Letztbegründung der unverlierbaren Würde des Menschen abzielt. Bekanntlich
lässt die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948 die Begründung
der „Würde“ des Menschen offen, ja musste sie offenlassen, weil die Erklärung
ein Kompromiss von Staaten war, deren Vertreter aus sehr verschiedenen
religiösen und philosophischen Traditionen kamen. Die einen begründeten die
Menschenrechte religiös, die anderen philosophisch (z.B. Naturrecht,
Aufklärung). Muslime Rechtsgelehrte haben auch eine Begründung der
-33-
Menschenwürde vorgelegt und dabei auf den Gnadenakt Gottes gegenüber
dem Menschen abgehoben. Der Mensch sei von Gott mit einer Vorzugsstellung
gegenüber allen anderen Geschöpfen ausgestattet und als „Stellvertreter
Gottes“ („khalifa“) „geehrt“ worden. Daraus könnte die „gleiche Würde“ der
Menschen ungeachtet der Differenzen von Geschlecht, Rasse und ethnischer
Herkunft abgeleitet werden. Doch an diese bedeutsame Überlegung schließt
die Charta nicht an und konkretisiert sie nicht, sondern formuliert zwei
grundlegende Einschränkungen, die in den Formulierungen „Kernbestand“ und
„westlich“ sichtbar werden. Was versteht der ZMD unter „Kernbestand“?
Welche Teile der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte gehören nicht
dazu?
Ferner verweist die Einschränkung „westlich“ darauf, dass die Autoren der
Charta den Universalismus der Menschenrechte, der nicht kulturalistisch auf
„christlich-abendländische“ Werte reduziert werden darf, unberücksichtigt
lassen. Sie verkennen, dass der Universalismus der Menschenrechte nicht allein
das Ergebnis „westlichen“ Menschenrechtsdenkens ist, so sehr auch
„westliche“ Prägungen in der historischen Genese der Menschenrechtsidee
aufscheinen mögen. Der Universalismus der Allgemeinen Erklärung der
Menschenrechte ist ein politisch-pragmatischer Konsens zwischen Partnern, die
aus verschiedenen religiösen und philosophischen Strömungen und Traditionen
kommen. Sie haben sich auf den Begriff der „Menschwürde“ als ein
anthropologisches Minimum verständigt:“ Alle Menschen sind frei und gleich
an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt
und sollen einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen“ (Art.1). Im Konsens
ist ferner ein Katalog von unverlierbaren und unveräußerlichen
Menschenrechten definiert worden, wobei die Menschenwürde sowie
Ursprung und Herkunft der Menschenrechte unterschiedlich (religiös und/oder
philosophisch) begründet werden.
Der ZMD steht mit seiner Charta ganz offensichtlich in der Tradition der
Islamischen Menschenrechtserklärungen von 1981 und 1990, welche die
Geltung der Menschenrechte unter einen Scharia-Vorbehalt stellen. Es ist sehr
aufschlussreich, wenn Axel Ayyub Köhler, der frühere Vorsitzende des ZMD, der
-34-
auch an der Charta beteiligt war, zur Begründung von Menschenwürde
schreibt: „Die Würde ist dem Menschen unter erheblichen Auflagen von Gott
verliehen worden. Alle Rechte des Menschen – auch die Menschenrechte (!) –
sind damit an Pflichten gebunden. Die Vermittlung und Verinnerlichung der
Regel, dass islamische Rechte immer an Pflichten gebunden sind, gehört zu den
wesentlichen Erziehungszielen“. Dass Köhler die Würde des Menschen als von
Gott, dem Schöpfer menschlichen Lebens, „unter erheblichen Auflagen“
(welchen?) verliehen betrachtet, ist eine noch legitime Letztbegründung.
Problematisch wird es aber, wenn der Eindruck erzeugt wird, dass die Erfüllung
von „Pflichten“ gegenüber Gott zur Bedingung der Berufung auf die und der
tatsächlichen Wahrnehmung von universal geltenden Menschenrechten erklärt
wird. Dieser Argumentation zufolge können dann areligiöse Menschen,
zumindest in einem islamischen Staat, nicht in den Genuss von
Menschenrechten kommen, denn sie akzeptieren ja weder die religiöse
Letztbegründung noch die sich aus dieser ergebenen Verpflichtungen. Auch
Andersgläubige kämen nicht in den vollen Genuss der Menschenrechte, da sie
zwar eine „religiöse Letztbegründung“ anerkennen, aber in der Frage der
Pflichterfüllung den islamischen Geboten und Verboten natürlich nicht folgen
können. Einer der Mitautoren der Islamischen Charta, der Konvertit Murat
Wilfried Hofmann, in dessen Schriften der Ausdruck „Kernbestand“ der
Menschenrechte vorkommt, stellt fest, „dass die Menschenrechte im Islam
nicht voll mit den Menschenrechtspakten übereinstimmen.“ Der Islam ist für
ihn ein „komplementäres Menschenrechtssystem“. Er behauptet gar, dass der
Islam nicht nur „alle klassischen Menschenrechte schon seit 1400 Jahren
kenne, sondern diese „besser verankert „ habe „als der Okzident mit allen
seinen Pakten.“ Auch er formuliert die Bedingung des Glaubens an Gott als
Voraussetzung für die Respektierung und die Gewährleistung von
Menschenrechten: Die „Respektierung der Menschenrechte steht und fällt
damit letztlich mit dem Glauben an Gott“. Wenn somit die Scharia, die nach
Hofmann „als göttliches Recht letztlich nicht zur Disposition steht und die
Berufung auf und die Inanspruchnahme von Menschenrechten an die Erfüllung
von religiösen Pflichten gebunden wird, so gelten diese nur für religiöse
Menschen. Insofern bleibt ein grundlegender Widerspruch zwischen der
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Scharia, dem göttlichen „Grundgesetz“ für die Muslime, und den universalen
Menschenrechten bestehen.
Weder der ZMD noch der „Koordinationsrat der Muslime in Deutschland“
haben es bis heute für notwendig befunden, die hier aufgezeigten Schwächen
vertrauensbildend zu korrigieren. Auch die Diskussionen in der „Deutschen
Islamkonferenz“ seit 2006 haben an der Charta nichts verändert.
F a z i t
Abschließend ist mit großer Dringlichkeit noch einmal zu fragen, wie sich die
KRM-Verbände den Umgang mit den angesprochenen Themen denn nun
denken. Die gemeinsame Plattform der KRM-Verbände, die Islam- Charta (des
ZMD) von 2002, die sich vorgeblich mit der Lebensgestaltung gläubiger
Muslime in einer säkularen Gesellschaft befasst, lässt mehr Fragen offen, als
sie Antworten gibt, wie oben näher darzustellen war. Wollen sie mit den von
ihnen vorgetragenen taktischen Argumenten künftig in der Öffentlichkeit gegen
Glaubensbrüder auftreten, die sich nicht nehmen lassen, die betreffenden
Aussagen der autoritativen Texte wörtlich zu verstehen? Der freiheitliche
Verfassungsstaat hat das Recht und die Pflicht, auf einer klaren Antwort zu
beharren, denn es geht um nicht mehr und nicht weniger als um die Abwehr
demokratiefeindlicher Strömungen in unserer Gesellschaft, die geeignet sind,
unsere freiheitlich demokratische Grundordnung wirkungsvoll zu
unterwandern und letztlich zu zerstören.
Dieter Kellermann
Kommission Freiheit und Ethik
Bundesfachausschuss Kirche, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften