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Das Amt und die Vergangenheit

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    Inhaltsverzeichnis Titel Wissenschaftliche Mitarbeiter der Kommission Einleitung Erster Teil - Die Vergangenheit des Amts Das Auswrtige Amt und die Errichtung der Diktatur Traditionen und Strukturen Unvereinbar mit einer gesunden Auenpolitik Erste Manahmen gegen Juden Entlassungen und Neueinstellungen Selbstgleichschaltung Die Jahre bis zum Krieg Verfolgung, Emigration, Ausbrgerung Ribbentrop ad portas Diplomatie, Ideologie und Rassenpolitik Das Haavara-Abkommen Blockbildung gegen Ribbentrop SS und Auswrtiges Amt Von Neurath zu Ribbentrop Wien, Mnchen, Prag Alte und neue Diplomaten Die Personalstruktur in den Kriegsjahren Personalpolitik und interne Netzwerke Mitgliedschaften in Partei, SS und SA Das Auswrtige Amt im Krieg Auswanderung, Ausbrgerung, Abschiebung: Die Lsung der Judenfrage 1939-1941 Das Unternehmen Barbarossa und die Endlsung der Juden-frage Propaganda und Mitwisserschaft Auf verlorenem Posten: Das Amt in der Sowjetunion Die Vertreter des Auswrtigen Amtes bei der Wehrmacht

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    Sonderkommando Knsberg Besatzung - Ausplnderung - Holocaust Tschechoslowakei und Polen Frankreich Niederlande und Belgien Dnemark und Norwegen Serbien und Griechenland Ungarn Verbndete und Vasallen Auslndische Juden und Schutzjuden Spuren der Resistenz, Formen des Widerstands Die zentrale Bedeutung der Informationsabteilung Die Formierung der Opposition 1943/44 Der 20. Juli 1944 Auenseiter: Fritz Kolbe und Gerhard Feine Zweiter Teil - Das Amt und die Vergangenheit Die Auflsung des alten Dienstes Verhaftungen, Internierungen, Repatriierungen Verhre in der Mlltonne Die Entlastungsfabrik Berufswechsel und Netzwerke Noch einmal gegen Osten Vor Gericht Diplomaten im Visier Prozessverlauf und gespaltenes Urteil Arbeit am Mythos Nrnberger Netzwerke Das Vermchtnis der Ehemaligen John McCloy und die Verurteilten aus dem Amt Tradition und Neuanfang Die Alliierten formieren sich Personeller und institutioneller Wiederaufbau Debatten und Prioritten

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    Untersuchungsausschuss Nr. 47 Die Neuen, die Alten und die Ehemaligen Personalpolitik Auenseiter und Laufbahnbeamte Der Nachwuchs Wiedergutmachung und Erinnerung Wiedereinstellung als Wiedergutmachung? Verweigerte Wiedergutmachung Bitte dringend abraten: Der Fall Fritz Kolbe Zweierlei Widerstand: Der Fall Rudolf von Scheliha Die Vergangenheit als auenpolitische Herausforderung Verhandlungen mit Israel Zeitgeschichtsforschung und DDR-Kampagnen Braune Internationale Der Eichmann-Prozess Hier braut sich ein Skandal zusammen Neue Diplomatie Internationalisierung und Multilateralisierung Externe Zirkel und Institutionen Loyalitt und Gewissen Diplomatischer Stil Wandel, Reform und alte Probleme Personalpolitik unter Brandt Neue Ermittlungen Reformen und Gesetz ber den Auswrtigen Dienst Von der Ungenauigkeit der Schuldzuweisungen zur Einsetzung der Historikerkommission Anhang Nachwort und Dank Anmerkungen Quellen- und Literaturverzeichnis Verzeichnis der Abkrzungen Amtsbezeichnungen im hheren Auswrtigen Dienst

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    Namenregister Copyright

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    Wissenschaftliche Mitarbeiter der Kommission

    Dr. Jochen Bhler Dr. Irith Dublon-Knebel Prof. Dr. Astrid M. Eckert Prof. Dr. Norman Goda Prof. Dr. William Gray Lars Ldicke M.A. Prof. Dr. Thomas Maulucci Prof. Dr. Katrin Paehler Dr. Jan-Erik Schulte Daniel Stahl M.A. Dr. Annette Weinke Andrea Wiegeshoff M.A. Endredaktion: Thomas Karlauf

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    Einleitung Franz Krapf wurde 1911 geboren. 1938 trat er in den Auswrti-gen Dienst ein. Bereits seit 1933 gehrte er der SS an, 1936 wur-de er Mitglied der NSDAP, seit 1938 war er Untersturmfhrer im Stab des SS-Hauptamts. Von 1940 an verbrachte er die Kriegs-jahre an der deutschen Botschaft in Tokio und wirkte dort auch als Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes (SD) der SS. ber Krapfs Ttigkeit ist wenig bekannt, aber klar ist: Selbst im fernen Ost-asien waren deutsche Diplomaten mit der Endlsung der Ju-denfrage befasst. Im Herbst 1947 kehrte Krapf nach Deutschland zurck, hielt sich dann aber fr einige Jahre in der Heimat seiner schwedischen Frau auf. Bestens vernetzt, bernahm er 1950 zu-nchst eine Stelle im Presse- und Informationsamt der Bundesre-gierung, bevor er ein Jahr spter in den soeben gegrndeten Aus-wrtigen Dienst der Bundesrepublik Deutschland berufen wurde. Als Diplomat diente er in der Bonner Zentrale, in Paris und Was-hington. Er war Botschafter in Tokio und leitete zuletzt die Stn-dige Vertretung der Bundesrepublik bei der NATO. 1976 trat er in den Ruhestand. Hochbetagt und geehrt starb Krapf im Herbst 2004.

    Fritz Kolbe wurde 1900 geboren. In den Auswrtigen Dienst trat er 1925 ein und diente als Konsulatssekretr an der deutschen Botschaft in Madrid, spter auch in Kapstadt. Bei Kriegsbeginn in die Berliner AA-Zentrale zurckgekehrt, wirkte er dort als Per-snlicher Referent von Botschafter Karl Ritter. Der NSDAP bei-zutreten, weigerte sich Kolbe. Schockiert angesichts der national-sozialistischen Verbrechen und berzeugt, dass der NS-Terror nur von auen zu berwinden sei, lieferte er seit 1943 geheime Nach-richten und Dokumente an den amerikanischen Geheimdienst. Nach Kriegsende untersttzte er die Vereinigten Staaten bei der Vorbereitung des Nrnberger Prozesses. Nach einigen Jahren in der Schweiz und in den USA, wo er nicht Fu fassen konnte, kehrte er 1949 nach Deutschland zurck. Der angestrebte Wie-dereinstieg in den ffentlichen Dienst gelang ihm nicht, man

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    stigmatisierte ihn als Verrter und verwehrte ihm einen Eintritt in das Auswrtige Amt der Bundesrepublik. Dort wird die Wider-standsttigkeit Kolbes erst seit 2004 offiziell gewrdigt.

    Franz Nlein, Jahrgang 1909, trat nach seinem Jura-Studium 1937 der NSDAP bei und wurde im Oktober 1939 als Erster Staatsanwalt zur Gruppe Justiz bei der Behrde des Reichspro-tektors in Bhmen und Mhren abgeordnet. 1942 wurde er, pro-tegiert von Reinhard Heydrich, im Alter von nur 32 Jahren zum Oberstaatsanwalt befrdert. Seit 1943 Generalreferent fr Ange-legenheiten der deutschen Strafjustiz beim Deutschen Staatsmi-nisterium fr Bhmen und Mhren, gehrten vor allem Gnaden-sachen zu seinem Aufgabengebiet; insbesondere in diesem Zu-sammenhang war Nlein fr die Besttigung zahlreicher Todes-urteile gegen tschechische Brger verantwortlich. Bei Kriegsende floh er nach Bayern, wurde von den Amerikanern verhaftet und an die Tschechoslowakei ausgeliefert. Dort verurteilte man ihn 1948 zu 20 Jahren Zuchthaus. Als nicht amnestierter Kriegsver-brecher wurde er 1955 in die Bundesrepublik abgeschoben. Nicht zuletzt aufgrund persnlicher Beziehungen gelang ihm noch im gleichen Jahr der Eintritt in den Auswrtigen Dienst, wo er unter anderem als Referent in der Personalabteilung wirkte. Von 1962 bis zu seiner Pensionierung 1974 war Nlein deutsch-er Generalkonsul in Barcelona.

    Bei seinem Tod 2003 widmete ihm das Auswrtige Amt in sei-ner Mitarbeiterzeitschrift einen ehrenden Nachruf, so wie ihn bis dahin jeder verstorbene Angehrige des Auswrtigen Dienstes erhielt. Als Kritik an der postumen Ehrung des verurteilten Kriegsverbrechers Nlein laut wurde, nderte Bundesauenmi-nister Joschka Fischer die Nachrufpraxis: Ehemalige NSDAP-Mitglieder, so verfgte er, sollten in der AA-Zeitschrift keinen Nachruf mehr erhalten. Einer der Ersten, die von dieser Regelung betroffen waren, war Franz Krapf.

    Drei verschiedene Biographien, drei verschiedene Perspekti-ven. Die Geschichte, die dieses Buch zum Gegenstand hat, ist

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    unabgeschlossen. Das Buch selbst, sein Zustandekommen und seine Rezeption sind unauflslich verbunden mit der Thematik, die es behandelt: Es geht um die Geschichte des Auswrtigen Dienstes in der Zeit des Nationalsozialismus, um den Umgang mit dieser Geschichte nach 1945 und um die Wirkungen der NS-Vergangenheit des Auswrtigen Amtes auf seine Entwicklung nach der Wiedergrndung 1951.

    Schon 1948/49 gelangte der amerikanische Militrgerichtshof im so genannten Wilhelmstraenprozess, bei dem AA-Staatssekretr Ernst von Weizscker und andere hohe Diplomaten auf der Anklagebank saen, zu dem Urteil, das Amt sei an den Verbrechen des Nationalsozialismus und insbesondere an der Ermordung der europischen Juden beteiligt gewesen.

    Das AA selbst war in den Nachkriegsjahrzehnten wieder und wieder mit seiner Geschichte in der Zeit zwischen 1933 und 1945 konfrontiert und stand vor allem wegen der hohen personellen Kontinuitt in der Kritik. Immer wieder boten sich in dieser Zeit Anlsse, die eigene Geschichte aufzuarbeiten oder fr eine unab-hngige Aufarbeitung zu sorgen, doch das Amt fand dazu nicht die Kraft. Im Geleitwort zu einer Festschrift zum 100-jhrigen Bestehen des Auswrtigen Amts im Jahr 1970 kndigte der da-malige Bundesauenminister Walter Scheel eine solche umfas-sende Darstellung zwar an, geschrieben indes wurde sie nicht.

    Dennoch kam seit den siebziger Jahren die historische Erfor-schung der NS-Vergangenheit des Amtes und damit auch seiner Beteiligung am Holocaust langsam in Gang. Den Anfang bildete dabei die Untersuchung des amerikanischen Historikers Christo-pher Browning ber das Judenreferat des Auswrtigen Amtes in den Jahren des Zweiten Weltkriegs. Deutsche Historiker folg-ten ihm, allen voran Hans-Jrgen Dscher, der 1987 seine viel beachtete Studie ber die Diplomatie im Schatten der Endl-sung vorlegte und in den folgenden Jahren der Thematik weitere Untersuchungen widmete. ber Dscher und Browning hinaus, dessen Buch von 1978 mit 32-jhriger Versptung soeben in

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    deutscher bersetzung erschienen ist, sind in den letzten Jahren verschiedene Arbeiten zu Einzelaspekten der Geschichte des Auswrtigen Amts im Dritten Reich, zu einzelnen Protagonisten, zur Beteiligung deutscher Diplomaten an Besatzungsherrschaft und Holocaust, aber auch zur Grndungs- und Frhgeschichte des Auswrtigen Amts der Bundesrepublik erschienen; nicht nur deutsche Historiker, sondern die internationale Forschung hat sich dieser Themen zunehmend angenommen. Nach wie vor fehlt jedoch eine aus den Quellen und der verstreuten Forschungslite-ratur gearbeitete systematische und integrierende Gesamtdarstel-lung.

    Das vorliegende Buch versucht, dieses Defizit zu beheben. Der Auftrag, den Bundesauenminister Joschka Fischer im Jahr 2005 der von ihm berufenen Unabhngigen Historikerkommission er-teilte, schuf dafr die Mglichkeit und den Rahmen. Die Kom-mission, so heit es in dem im Sommer 2006 unterzeichneten Vertrag, sollte die Geschichte des Auswrtigen Dienstes in der Zeit des Nationalsozialismus, den Umgang mit dieser Vergan-genheit nach der Wiedergrndung des Auswrtigen Amtes 1951 und die Frage personeller Kontinuitt beziehungsweise Diskonti-nuitt nach 1945 aufarbeiten. Dieser Auftrag bestimmt auch die Gliederung des Buches, das entsprechend aus zwei Teilen be-steht.

    In einer Broschre ber Auswrtige Politik heute, die das Amt 1979 herausgab - ein Jahr nach Erscheinen der unmissver-stndlichen Studie von Browning -, wird die Geschichte des Mi-nisteriums zwischen 1933 und 1945 in wenigen Stzen zusam-mengefasst: Das AA leistete den Plnen der NS-Machthaber z-hen, hinhaltenden Widerstand, ohne jedoch das Schlimmste ver-hten zu knnen. Das Amt blieb lange eine unpolitische Behr-de und galt den Nationalsozialisten als eine Sttte der Opposition. In der Eingangshalle des neuen Amtes in Bonn befindet sich eine Gedenktafel, die an diejenigen Mitarbeiter des AA erinnert, die im Kampf gegen das Hitler-Regime ihr Leben gaben. Das war

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    bestenfalls die halbe damals bekannte Wahrheit. Denn die Ge-schichte des Auswrtigen Dienstes in der Zeit des Nationalsozia-lismus bestand nicht vorwiegend aus Widerstand und Opposition. Das ber Jahrzehnte gepflegte Selbst- und Geschichtsbild des Auswrtigen Dienstes der Bundesrepublik ist ein Mythos.

    Auch die gerne zitierte These von der Verdrngung und Mar-ginalisierung der traditionellen diplomatischen Elite durch natio-nalsozialistische Karrieristen und SS-Angehrige greift viel zu kurz. Diese Deutung, die sogar in der wissenschaftlichen Litera-tur ihre Spuren hinterlassen hat, wurde schon unmittelbar nach Kriegsende im Kreise ehemaliger deutscher Diplomaten entwi-ckelt. Sie war ein Ablenkungsmanver und ein wichtiges Mittel, Angehrigen der alten Wilhelmstraen-Diplomatie den Weg in einen wieder entstehenden Auswrtigen Dienst der Nachkriegs-zeit zu bahnen. Denn dass es frher oder spter wieder einen deutschen Auswrtigen Dienst geben wrde, darber war man sich einig. Wilhelm Melchers, vor 1945 Leiter des Orientreferats im AA und seit Ende 1949 im entstehenden Auenamt der Bun-desrepublik fr Personalfragen zustndig, lieferte in einer Auf-zeichnung ber den 20. Juli 1944 im Auswrtigen Amt die zent-ralen Elemente des NS-bezogenen Selbstbilds des Auswrtigen Amtes und seiner hheren Diplomaten. Als Kronzeuge diente da-bei der nach dem 20. Juli hingerichtete Adam von Trott zu Solz, von dem Melchers unmittelbar vor dem missglckten Attentat auf Hitler gehrt haben will, die alte Beamtenschaft habe sich den Nazifizierungsversuchen Ribbentrops entzogen und knne da-her nach einem erfolgreichen Coup bernommen werden. Der Kern des Amtes, so angeblich Trott, sei gesund.

    Doch wie verhielten sich die Angehrigen des Auswrtigen Amtes nach der nationalsozialistischen Machtbernahme 1933 tatschlich? Welche Rolle spielte der Auswrtige Dienst im na-tionalsozialistischen Herrschaftssystem und Terrorapparat? Wie war das Auswrtige Amt an der deutschen Herrschaft ber weite Teile Europas im Zweiten Weltkrieg beteiligt? Welchen Anteil

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    hatten deutsche Diplomaten seit 1933 an der Verfolgung und Er-mordung der deutschen und europischen Juden? Diese Fragen leiten die Darstellung im ersten Teil des vorliegenden Buches.

    Von wenigen Ausnahmen abgesehen, fhrten die deutschen Diplomaten auch im bergang von der Weimarer Republik zum Dritten Reich ihre Ttigkeit bruchlos fort. Die Motive dafr war-en vielgestaltig. Sie reichten von einer patriotisch bestimmten Mentalitt des Dienstes - Man lsst sein Land nicht im Stich, weil es eine schlechte Regierung hat - ber Hoffnungen auf ei-nen autoritr gesttzten machtpolitischen Wiederaufstieg Deutschlands bis hin zur bereinstimmung mit den Prmissen der nationalsozialistischen Politik: von der Demokratiefeind-schaft bis zum Antisemitismus. Es gab eine weitreichende Teil-identitt der Ziele; sie hilft, das Weiterfunktionieren gerade der Spitzendiplomaten zu erklren. Deswegen schirmten deutsche Diplomaten die systematische und gewaltsame Entrechtungs- und Diskriminierungspolitik des Dritten Reiches gegenber den Juden nicht nur nach auen ab, sondern sie waren von 1933 an aktiv an ihr beteiligt.

    Seit dem 30. Januar 1933 war das Auswrtige Amt das Aus-wrtige Amt des Dritten Reiches, und als solches funktionierte es bis 1945. Es gestaltete zentrale Politikbereiche und verkrperte in diesem Sinne das Dritte Reich nicht nur im Ausland. Das Amt reprsentierte, dachte und handelte im Namen des Regimes. Der diplomatische Apparat, den die Nationalsozialisten 1933 ber-nahmen, war routiniert und erfahren, die deutsche Diplomatie war hoch professionalisiert. Auch deshalb wurde sie zu einer wichti-gen Sttze der nationalsozialistischen Herrschaft. Zugleich je-doch whnten sich viele Diplomaten angesichts der Ansprche rivalisierender Institutionen - von der NSDAP-Auslandsorganisation bis zur Dienststelle Ribbentrop - mit ei-nem schleichenden Funktionsverlust konfrontiert. Dagegen setzte sich das Amt zur Wehr, indem es wieder und wieder seine eigene Unentbehrlichkeit zu demonstrieren versuchte und dabei auch

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    seine Handlungsfelder betrchtlich erweiterte. Nicht erst in den Kriegsjahren kooperierte das Amt mit der Gestapo: Die deutschen Auslandsmissionen wirkten mit an der Erfassung und berwa-chung von Emigranten; bei der Ausbrgerung von Deutschen - Albert Einstein, Thomas Mann, Willy Brandt und vielen anderen - spielte die Zentrale in Berlin ebenso eine aktive Rolle wie beim Raub des Vermgens der Ausgebrgerten, darunter vieler Juden.

    Ziel unserer Darstellung musste es sein, sowohl individuelles Verhalten zu erklren als auch die strukturellen Rahmenbedin-gungen und ihre Dynamik zu bercksichtigen. Die Herausforde-rung liegt dabei in der Verknpfung beider Ebenen. Welche indi-viduellen berzeugungen oder Dispositionen waren notwendig, um fr den einzelnen Diplomaten die Politik und die Verbrechen des Dritten Reiches akzeptabel zu machen, sie geschehen zu las-sen, sie in vielen Fllen aber auch aktiv mitzugestalten, ja zu for-cieren? Und wie wirkten umgekehrt strukturelle Entwicklungen - die institutionelle Konkurrenz, die Dynamik des militrischen Erfolges oder die Handlungszwnge in einer Diktatur - auf das Verhalten Einzelner ein? Solche Fragen unterstreichen, dass es diesem Buch nicht, wie gelegentlich gemutmat wurde, um eine zweite Entnazifizierung geht, sondern um die allerdings emi-nente Frage, warum und in welcher Weise das Auswrtige Amt und seine Angehrigen an der nationalsozialistischen Gewaltpoli-tik und an den nationalsozialistischen Verbrechen beteiligt gewe-sen sind. Die Antwort auf diese Frage erschpft sich indes nicht im Verweis auf institutionelle Bedingungen und strukturelle Fak-toren, sondern sie muss zwingend auch individuelles Verhalten, individuelle Handlungsspielrume und Handlungsmglichkeiten mit in den Blick nehmen.

    Fr die neue Diplomatie des Auswrtigen Amtes, wie sie sich sukzessive in den Jahren nach 1933 herausbildete - keines-wegs nur durch den Wechsel von Neurath zu Ribbentrop im Amt des Auenministers 1938 -, standen nicht nur neue Diplomaten, sondern auch sehr viele alte. Gerade auf der Fhrungsebene war

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    das Ausma der Personalvernderungen, die Ribbentrop nach seiner Amtsbernahme vornahm, denkbar gering. Stattdessen kam es 1937 und 1940 bei den deutschen Spitzendiplomaten zu regelrechten Eintrittswellen in die NSDAP. Zugleich - und nicht nur mit Blick auf das Auswrtige Amt - lsten sich seit den sp-ten dreiiger Jahren zunehmend die Grenzen zwischen allgemei-ner Verwaltung, Parteistellen und dem von der SS kontrollierten Sicherheitsapparat auf. Auch wenn sich keine integrierte SS-Weltanschauungsbrokratie (Michael Wildt) herausbildete, so waren doch die in den Kriegsjahren zunehmende Kompetenzver-flechtung und Instanzenrivalitt eine entscheidende Vorausset-zung fr die sich unter Beteiligung auch des Auswrtigen Amtes radikalisierende Dynamik der Judenvernichtung und ihren Voll-zug.

    Im Oktober 1941 entsandte das Auswrtige Amt seinen Ju-denreferenten Franz Rademacher - den Mann, der ein Jahr zuvor mageblich an den Planungen beteiligt gewesen war, alle europ-ischen Juden nach Madagaskar zu vertreiben, nach Belgrad, um dort mit Vertretern anderer deutscher Behrden, darunter dem Reichssicherheitshauptamt, die Behandlung der serbischen Juden zu koordinieren. Worum es ging, verrt nicht ein Geheimdoku-ment, sondern die Reisekostenabrechnung, die Rademacher nach seiner Rckkehr in Berlin einreichte. Jeder Buchhalter in der Rei-sekostenstelle des AA konnte es lesen: Reisezweck war die Li-quidation von Juden in Belgrad.

    Von Anfang an war das Auswrtige Amt ber die deutschen Verbrechen in dem 1939 begonnenen Eroberungs- und Vernich-tungskrieg umfassend informiert. Diplomatische Beobachter do-kumentierten die verbrecherischen Methoden der deutschen Kriegfhrung ebenso wie die brutale Besatzungsherrschaft. Ein enger Informationsaustausch mit dem Reichssicherheitshauptamt, der Zentrale von Terror und Vlkermord, versorgte das Amt auch mit Kenntnissen ber die Endlsung der Judenfrage, die De-portation und Vernichtung von sechs Millionen europischen Ju-

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    den. Mit Unterstaatssekretr Martin Luther war das Amt im Ja-nuar 1942 bei der Wannsee-Konferenz vertreten, die das Schick-sal der Juden in Europa besiegelte und ihre Vernichtung koordi-nierte. Das einzige Exemplar des Protokolls dieser Konferenz fand sich nach 1945 in den Akten des Auswrtigen Amtes.

    Die Mitwisser im Amt waren auch Mittter. Nicht nur beschf-tigten sich eigene Abteilungen im AA mit der Organisation mo-derner Sklavenarbeit und mit Kunstraub. Die deutsche auswrtige Politik machte sich die Lsung der Judenfrage in Deutschland, dann die Endlsung, zu ihrer Aufgabe, die Mitwirkung daran wurde zu einem Ttigkeitsfeld deutscher Diplomaten berall in Europa. In vielen Fllen waren Angehrige des Auswrtigen Dienstes - und nicht nur Seiteneinsteiger aus der Zeit nach 1933 - an der Deportation von Juden unmittelbar beteiligt, mitunter er-griffen sie sogar die Initiative. Je grer der Herrschaftsbereich des Dritten Reiches wurde, desto mehr war auch das Auswrtige Amt mit der Politik der Endlsung befasst. Neue, ja przedenz-lose Aufgabenfelder, der berkommenen Auenpolitik und Dip-lomatie ganz fremd, wuchsen den deutschen Diplomaten zu: Plnderung, Raub, Verfolgung und Massenmord. Zugleich um-gab das Amt sein Handeln mit dem Schein brokratischer Konti-nuitt, Professionalitt und damit Legitimitt - und trug so dazu bei, moralische Bedenken angesichts ungeheurer Verbrechen zu relativieren. Einzelne Flle von Kritik knnen darber nicht hin-wegtuschen.

    Grundlegende Debatten ber den Holocaust, an deren Ende der Entschluss zum Widerstand htte stehen knnen, hat es auf der Leitungsebene des Auswrtigen Amtes so wenig gegeben wie in anderen deutschen Behrden. Debatten und Dissens gab es mit Blick auf auenpolitische Zielsetzungen und Vorgehensweisen, auf die Besatzungspolitik und die Rolle des Amtes dabei, nicht jedoch mit Blick auf die Verbrechen des Regimes. Individuell abweichendes und oppositionelles Verhalten war dennoch mg-lich und konnte auch aus der verbrecherischen Politik des Dritten

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    Reiches resultieren. Um nur ein Beispiel zu nennen: Gerhart Fei-ne, Gesandtschaftsrat an der deutschen Gesandtschaft in Buda-pest, half 1944 mit, zahlreiche ungarische Juden vor dem Ab-transport in die deutschen Vernichtungslager zu bewahren.

    Gewiss, es gab Widerstand aus dem Auswrtigen Amt heraus und Widerstand von Diplomaten. Doch dieser Widerstand blieb individuell und die Ausnahme. Ulrich von Hassell, der den dip-lomatischen Dienst schon 1938 quittiert hatte, Adam von Trott zu Solz, der als Quereinsteiger und Wissenschaftlicher Hilfsarbeiter in den Kriegsjahren ins Auswrtige Amt gekommen war, oder Hans Bernd von Haeften, Vertrauensmann von Claus Graf Stauf-fenberg im Auswrtigen Amt, waren Auenseiter, nicht die fh-renden Kpfe einer breiten Oppositionsbewegung in der Wil-helmstrae. Albrecht Graf Bernstorff, den die SS im April 1945 ermordete, hatte den Auswrtigen Dienst als einer von ganz we-nigen schon 1933 verlassen. Dass Hassell, Trott, Haeften und Bernstorff und wenige andere nach 1945 fr die Traditionsbil-dung des Auswrtigen Dienstes der Bundesrepublik in Anspruch genommen wurden, ist legitim und nachvollziehbar. Viele Dip-lomaten, mit denen eine solch positive Identifikation mglich war, gab es indes nicht.

    berdies waren es im Zweifelsfall die Nationalkonservativen aus der Wilhelmstrae, die in den traditionsbildenden Kreisen des Auswrtigen Dienstes der jungen Bundesrepublik den Ton anga-ben. Fritz Kolbe galt ihnen als Landesverrter, der 1942 hinge-richtete Rudolf von Scheliha wurde mit dem kommunistischen Widerstand in Verbindung gebracht. Was blieb, war der Kreis um den ehemaligen Staatssekretr Ernst von Weizscker, der sich 1939 zwar bemht hatte, den Krieg zu verhindern, der aber bis 1945 mit der deutschen Gewaltpolitik eng verbunden war. Weiz-scker konnte fr all jene stehen, die den Dienst nicht quittiert und bis zum Ende des Krieges auf ihren Posten ausgeharrt hatten, vorgeblich in dem Bemhen, von innen, aus dem Amt heraus,

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    Sand ins Getriebe der nationalsozialistischen Kriegs- und Mord-politik streuen zu knnen.

    Auch darum richteten sich nach 1945 die konzertierten Bem-hungen vieler Ehemaliger darauf, einen Freispruch Weizsckers zu erreichen, der 1948/49 im Nrnberger Wilhelmstraenprozess auf der Anklagebank sa. Konnte man den ehemaligen Staatssek-retr entlasten, der 1942 mit seiner Paraphe die Deportation fran-zsischer Juden in den Osten abgezeichnet hatte, dann war man selbst entlastet und durfte auf eine Verwendung im Auswrtigen Dienst des 1949 gegrndeten westdeutschen Staates hoffen. Doch die Anstrengungen hatten nicht den gewnschten Erfolg. Weizs-cker wurde 1949 als Kriegsverbrecher zu sieben Jahren Haft ver-urteilt. Selbst ein Militrtribunal, das der Anklage beraus skep-tisch gegenberstand, zweifelte nicht an seiner Mitschuld an Ver-brechen gegen die Menschlichkeit.

    Das Nrnberger Verfahren wird am Beginn des zweiten Teils des Buches ausfhrlich analysiert. Dahinter steht die Erkenntnis, dass der Wilhelmstraenprozess fr die Entstehung und frhe Entwicklung des Selbstbildes des AA und die Deutung seiner NS-Vergangenheit von konstitutiver Bedeutung gewesen ist. In Nrnberg - und das gilt auch fr andere Kriegsverbrecherprozesse - waren hochrangige Vertreter des NS-Regimes oftmals ber Mo-nate auf engstem Raum zusammen, standen Angeklagte in inten-siver Kommunikation mit Zeugen und Verteidigern. Das waren geradezu ideale Bedingungen fr die Konstruktion und die Ab-stimmung von Geschichtsdeutungen und Schuldzuschreibungen. Was wir in den Selbstdarstellungen des Auswrtigen Amtes bis in die siebziger, achtziger Jahre ber seine Geschichte nach 1933 lesen knnen und was seine Traditionsbildung ber Jahrzehnte bestimmte, mag zwar schon im Kontext der Entnazifizierung zur individuellen Rechtfertigung artikuliert worden sein. Doch in Nrnberg hat es sich zum Topos verdichtet - um fortan auf das Amt im Ganzen und auf so gut wie alle seine Angehrigen bezo-gen zu werden.

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    Welche Rolle spielte die NS-Vergangenheit des Amtes und seiner Diplomaten nach 1945? Seine Vergangenheit hat das Aus-wrtige Amt der Bundesrepublik seit 1951 immer wieder einge-holt. Ein ums andere Mal rckte vor allem die hohe personelle Kontinuitt zwischen der Wilhelmstrae in Berlin und der Kob-lenzer Strae in Bonn in den Fokus der ffentlichen Aufmerk-samkeit. Parlamentarische Untersuchungsausschsse befassten sich mit dieser Kontinuitt und ihren Folgen ebenso wie die westdeutschen Medien. In den vergangenheitspolitischen Ent-wicklungen der jungen Bundesrepublik war der Auswrtige Dienst keine Ausnahme. Doch wie kam es, dass Adenauers Wunsch von 1949 nicht in Erfllung ging: ein neues Amt aufzu-bauen, das mit den alten Leuten mglichst wenig zu tun hat?

    Vor dem Hintergrund des Ost-West-Konflikts standen die Au-enpolitik der Bundesrepublik und mit ihr das Auswrtige Amt unter Dauerbeschuss aus dem Osten, vor allem aus der DDR. Nicht nur deren Braunbuch von 1965 verwies auf die hohe per-sonelle Kontinuitt zwischen dem alten und dem neuen Amt und auf die NS-Belastung fhrender westdeutscher Diplomaten. Die Angaben in dem Buch trafen zum allergrten Teil zu; aber weil die Vorwrfe aus der DDR kamen, halfen sie, wie auch der Fall Franz Nlein zeigt, im antikommunistischen Klima des Kalten Krieges den Beschuldigten eher, als dass sie ihnen schadeten. Und sie trugen dazu bei, dass die in den spten vierziger und fnfziger Jahren entstandenen Geschichtsbilder und Geschichts-legenden erhalten blieben und fortwirkten.

    Zwar war der institutionelle Wiederbeginn des Auswrtigen Amtes nach Grndung der Bundesrepublik insofern ein Neuan-fang, als sich das Amt in das demokratische Gefge des jungen westdeutschen Staates einpassen musste. Doch gerade die Perso-nalpolitik des in Bonn wiedergegrndeten Amtes stand von An-fang an in einem Spannungsverhltnis von Kontinuitt und Neu-beginn. Das fhrte immer wieder zu amtsinternen Konflikten, aber auch zu ffentlichen Kontroversen und Skandalen, in deren

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    Zentrum stets aufs Neue die NS-Vergangenheit des Amtes und vieler seiner Diplomaten stand. Ernst Kutscher, in der Berliner Zentrale des AA 1944 mit antijdischer Auslandsaktion be-fasst, wirkte noch in den sechziger Jahren als Botschaftsrat in Pa-ris, spter bei der EWG in Brssel. Werner von Bargen, als Ver-treter des Auswrtigen Amtes an der Deportation von Juden in Belgien beteiligt, beendete seine diplomatische Karriere als Bot-schafter der Bundesrepublik in Bagdad. Auerhalb des Auswrti-gen Amtes stieg Ernst Achenbach, seit 1940 Leiter der politi-schen Abteilung der deutschen Botschaft in Paris, mitverantwort-lich fr die Deportation franzsischer Juden, nach 1945 Verteidi-ger im Wilhelmstraenprozess, als Bundestagsabgeordneter zu einem der fhrenden Auenpolitiker der FDP auf - und 1970 bei-nahe zum deutschen EWG-Kommissar.

    Weil das Auswrtige Amt fr die Auenpolitik des westdeut-schen Staates zustndig war, stand es unter besonderer Beobach-tung. Hochsensibel verfolgte man im Ausland den Wiederaufbau des deutschen diplomatischen Dienstes. Man suchte zu prfen, wen die Bundesrepublik an ihre konsularischen und diplomati-schen Missionen entsandte. Kein auenpolitisches Thema, kein Thema der bilateralen Beziehungen der Bundesrepublik zu ande-ren Staaten war ohne Bezge zur nationalsozialistischen Vergan-genheit - weit ber das deutsch-israelische Verhltnis hinaus, mit dem deutsche Diplomaten allerdings auch schon vor der Auf-nahme diplomatischer Beziehungen befasst waren. Das erforderte permanente Selbstverstndigungsprozesse innerhalb des diploma-tischen Personals, deren Vernderung und Wirkmchtigkeit in unterschiedlichen Politikbereichen zu den Themen dieses Buches gehren. Die deutsche Auenpolitik hatte - und hat - eine vergan-genheitspolitische Dimension, und insofern ist die Geschichte des Auswrtigen Dienstes der Bundesrepublik auch ein Beitrag zur Geschichte ihrer auswrtigen Politik.

    Wo aber lagen die auenpolitischen Zielsetzungen und ber-zeugungen jener Wilhelmstraen-Beamten, die in den Auswrti-

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    gen Dienst der Bundesrepublik bernommen wurden? Fr welche Politik traten sie ein, welche lehnten sie ab? Wie verhielten sie sich zu Adenauers Kurs der Westintegration? Aus solchen Fragen die These einer von Diplomaten getragenen Kontinuitt national-sozialistischer Auenpolitik zu konstruieren, luft ins Leere. Na-trlich gab es keine Kontinuitt nationalsozialistischer Auenpo-litik. Wohl aber waren auenpolitische und diplomatische Denk-traditionen, die nicht nur um die Idee und Realitt der Nation kreisten, sondern auch um die Denkfigur des autonomen nationa-len Machtstaats, von der die deutsche Auenpolitik seit 1870 be-stimmt war, nach 1945 noch lange nicht abgerissen. Gerade die deutsche Teilung und das Ziel der Wiedervereinigung trugen zum Erhalt solcher auenpolitischen Grundberzeugungen bei.

    Doch Einstellungen knnen sich verndern, und trotz schwerer Belastungen hat der Auswrtige Dienst der Bundesrepublik Deutschland im Laufe der Jahrzehnte seinen Platz im liberal-demokratischen Institutionengefge der Bundesrepublik gefun-den. Auch diese Entwicklung versucht das Buch nachzuzeichnen, nicht zuletzt mit Blick auf Vernderungen der Rekrutierungspra-xis und der Diplomatenausbildung. Fr die diplomatischen Eliten im bergang vom Dritten Reich zur Nachkriegszeit gilt wohl, was bereits fr andere Eliten und Personengruppen herausgear-beitet worden ist: Je erfolgreicher die Politik und hier vor allem die Auenpolitik der Bundesrepublik war, desto grer wurde die Wahrscheinlichkeit, dass gerade die Angehrigen belasteter Eli-ten von einem anfnglichen Opportunismus voller Vorbehalte zu einer wirklichen Zustimmung gelangen konnten. Gewiss spielte in diesen Wandlungsprozessen auch der Kalte Krieg eine wichti-ge Rolle, der die Kontinuitt antikommunistischer berzeugun-gen erlaubte, ja geradezu einforderte, und zugleich den Hinter-grund bildete fr eine zunchst (auen-)politische, spter auch ideelle Westorientierung.

    Man mag bestreiten, dass es je ein Monopol des Auswrtigen Dienstes fr auswrtige Beziehungen gegeben hat, und gerade der

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    Nationalsozialismus hat, wie dieses Buch zeigt, den Alleinstel-lungs- und Dominanzanspruch des Auswrtigen Amtes bei der Vertretung der auswrtigen Politik gebrochen. In der Bundesre-publik trug der Verlust dieser Vorrangstellung in Verbindung mit dem Aufstieg neuer Krfte und Institutionen auf diesem Gebiet einerseits dazu bei, dass sich der Auswrtige Dienst fr seinen fhrenden Anspruch in der Pflege der internationalen Beziehun-gen eines demokratischen Staates mit einer pluralistischen Ge-sellschaft immer wieder aufs Neue rechtfertigen musste. So ge-langten berkommene berzeugungen auf den Prfstand und be-gannen sich zu wandeln. Andererseits fhrten der - tatschliche oder vermeintliche - Bedeutungsverlust des Auswrtigen Dienstes und die Angst vor einer Marginalisierung intern auch zu einem Festhalten am traditionellen Selbstverstndnis. Zu diesem Selbst-verstndnis gehrte ein homogenes und positives Geschichtsbild eindeutig dazu.

    Franz Krapf, Fritz Kolbe und Franz Nlein - ihre Biographien stehen in gewisser Weise exemplarisch fr die Geschichte, die dieses Buch schreibt. In ihren Lebenswegen spiegelt sich die Ge-schichte einer Institution, die in der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts tiefe Spuren hinterlassen hat. Das Buch will diese Spuren identifizieren, und es will sie lesen. Eine Erfolgsgeschich-te schreibt es nicht. Es schreibt eine typische deutsche, eine para-digmatische Geschichte sowohl mit Blick auf den Nationalsozia-lismus als auch mit Blick auf die Nachwirkungen des Dritten Reiches und den Umgang mit der NS-Vergangenheit nach 1945.

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    Erster Teil

    Die Vergangenheit des Amts Das Auswrtige Amt und die Errichtung

    der Diktatur Als sich am Tag von Potsdam der neue Reichskanzler Adolf Hitler vor der Garnisonkirche vor Reichsprsident Paul von Hin-denburg verbeugte, traf in Washington ein Telegramm aus Berlin ein. An diesem 21. Mrz 1933, genau 50 Tage nach Hitlers Er-nennung zum Reichskanzler, drahtete der Staatssekretr des Auswrtigen Amts, Bernhard von Blow, an die Deutsche Bot-schaft in den USA: Teil der auslndischen Presse verffentlicht unsinnigste von angeblichen Flchtlingen stammende Gerchte aus Deutschland. Danach sollen u. a. Verhaftete in grausamer Weise misshandelt und insbesondere Auslnder vielfach tglich angegriffen werden. Es liegt auf der Hand, dass diese Gerchte von den Feinden der nationalen Regierung in bswilliger Absicht verbreitet werden, um in Ermangelung anderer Mittel durch eine wohl organisierte Greuelpropaganda das Ansehen und die Autori-tt der nationalen Regierung zu untergraben. Mit allem Nach-druck muss festgestellt werden, dass alle solchen Gerchte in das Reich der Fabel gehren. Im brigen ist der Reichskanzler, wie er in seinen ffentlichen Erklrung betont hat, fest entschlossen, die bisherige Disziplin der nationalen Revolution mit aller Energie auch weiterhin aufrechtzuerhalten. Die bergriffe Einzelner, die vorwiegend auf Provokateure zurckzufhren sind, sind fr die Zukunft durch scharfe Kontrollmanahmen unterbunden. Bitte in jeder Weise verwerten.1

    Blows Telegramm war ein beredtes Zeugnis fr das Verhalten der deutschen Diplomaten in der Anfangsphase der nationalsozia-

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    listischen Machteroberung. Mit technokratischer Selbstverstnd-lichkeit trugen sie der neuen Regierung ihre Dienste an und lie-en keinerlei Skrupel erkennen, den unmittelbar nach dem 30. Januar 1933 einsetzenden Terror gegenber dem Ausland zu ba-gatellisieren und zu rechtfertigen. Blows Anweisung war eine direkte Reaktion auf vor allem aus den USA eintreffende Nach-richten, wonach die jngsten Entwicklungen in Deutschland international auf viel Kritik stieen.

    Acht Tage zuvor hatte der deutsche Generalkonsul in Chicago an die Botschaft in Washington telegrafiert, dass die Stimmung in der hiesigen Bevlkerung und der Presse neuerdings unter dem Eindruck der aus Deutschland kommenden Pressemeldungen von Terrorakten gegen Angehrige jdischen Glaubens immer unfreundlicher werde. Das Generalkonsulat werde tglich von Personen, insbesondere jdischen Glaubens, mit Anfragen ber-laufen, die fr die Sicherheit ihrer Angehrigen in Deutschland besorgt sind; es sei zu befrchten, dass dem Ansehen Deutsch-lands durch die Vorgnge ein Schaden entsteht, der in Jahren nicht wieder gutzumachen ist.

    Vier Tage spter berichtete der Generalkonsul aus New York, eine akute deutschfeindliche Stimmung beherrsche die stark jdischdurchsetzte Presse und Bevlkerung. Da die Meldungen ber erfolgte Judenmisshandlungen sowie ber Masseninter-nierungen politischer Gefangener in Konzentrationslagern nicht abrissen, sehe sich das Konsulat von Beschwerden und Emp-rungsuerungen einflussreicher Persnlichkeiten und Organisa-tionen, wie von besorgten Warnungen und Mahnungen aus deutschfreundlichen und deutschinteressierten Kreisen ber-schwemmt.2

    Aus allen deutschen Konsulaten in den USA trafen seit Mitte Mrz 1933 beinahe tglich hnlich lautende Meldungen in der Botschaft Washington ein, der Botschafter Friedrich von Prittwitz und Gaffron unterrichtete seinerseits fortlaufend das Auswrtige Amt in Berlin. Aufgrund seiner Berichte war die Zentrale genau

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    darber im Bilde, wie die amerikanische ffentlichkeit, aber auch wie Politik und Wirtschaft in den USA auf die Nachrichten ber die Gewaltaktionen in Deutschland reagierten. Aus den groen europischen Hauptstdten berichteten die Botschafter hnliches. Leopold von Hoesch, der deutsche Botschafter in Grobritannien, rief aus London an, um mitzuteilen, dass sich immer mehr Perso-nen an ihn wendeten, um Auskunft ber die Vorgnge in Deutschland und die Behandlung gewisser Persnlichkeiten des ffentlichen Lebens zu erhalten.3 Aus Paris telegrafierte Botschafter Roland Kster, bei ihm wrden Erkundigungen ber Personen eingeholt, ber deren Schicksal alarmierende Ge-rchte in Paris umliefen. Jdische Emigranten, die nach Paris und Elsass-Lothringen ziehen, wrden ihren dort ansssigen Glaubensgenossen die unglaublichsten Fabeln erzhlen von der Terror- und Greuelwirtschaft in Berlin und Deutschland sowie insbesondere von antisemitischen Ausschreitungen. 4

    Schwerpunkt der Proteste aber blieben die USA. Auenminis-ter Constantin von Neurath wandte sich daher ber die Presse di-rekt an den Bostoner Kardinal William Henry OConnell, der zu den Mitorganisatoren einer geplanten Protestkundgebung im Ma-dison Square Garden zhlte. Die angeblichen Pogrome an deut-schen Juden, so Neurath, wrden jeder Grundlage entbehren. Die nationale Revolution in Deutschland, die die Ausrottung der kommunistischen Gefahr und die Suberung des ffentlichen Le-bens von marxistischen Elementen zum Ziele hat, hat sich mit vorbildlicher Ordnung vollzogen. Flle ordnungswidrigen Ver-haltens waren bemerkenswert selten und unbedeutend. Hundert-tausende von Juden gehen in ganz Deutschland ihrer Beschfti-gung wie bisher nach, Tausende von jdischen Geschften sind jeden Tag geffnet, groe jdische Zeitungen erscheinen tg-lich, die Synagogen und jdischen Friedhfe bleiben unbehel-ligt.5 Der amerikanischen Nachrichtenagentur Associated Press gab er ein Interview, in dem er die Gewalt als bergriffe Ein-zelner bagatellisierte und die erpresserisch klingende Drohung

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    aussprach, die jdische Propaganda im Ausland erweise ihren Glaubensgenossen in Deutschland keinen Dienst, wenn sie durch entstellte und falsche Nachrichten ber Judenverfolgungen, Folter etc. der deutschen ffentlichkeit den Eindruck gebe, dass sie tatschlich vor keinem Mittel, selbst vor Lge und Ver-leumdung, zurckschrecke, um die neue deutsche Regierung zu bekmpfen. 6

    In der Tat hatte die Auslandspresse auch Meldungen verbreitet, welche die schreckliche Realitt noch berboten. Daraufhin ver-ffentlichte der Central-Verein deutscher Staatsbrger jdischen Glaubens, mit mehr als 500 000 Mitgliedern die bedeutendste Organisation assimilierter Juden in Deutschland, am 24. Mrz 1933 eine Erklrung, in der die unverantwortlichen Entstellun-gen in der auslndischen Berichterstattung aufs schwerste verurteilt wurden. Zwar sei es zu politischen Racheakten und Ausschreitungen auch gegen Juden gekommen, aber vor allem der Befehl des Reichskanzlers, Einzelaktionen zu unterlassen, hat seine Wirkung getan.7 Die Presseerklrung wurde vom Auswr-tigen Amt eilends nach Washington bermittelt, wo sie Botschaf-ter Prittwitz dazu diente, davor zu warnen, jedem Verbreiter bertriebener und falscher Meldungen Glauben zu schenken.8

    Eine Absage der New Yorker Protestveranstaltung zu errei-chen, gelang allerdings weder dem Auswrtigen Amt noch dem Central-Verein, dem das AA die Verantwortung fr diese Aktion zuzuschieben suchte. Am 26. Mrz 1933 versammelten sich 250 000 Menschen in New York und mehr als eine Million berall in den USA zu einer groen Demonstration gegen die Verfolgung und Diskriminierung der Juden in Deutschland. Das Auswrtige Amt hatte alle Hnde voll damit zu tun, fr Schadensbegrenzung zu sorgen. Im Sinne einer objektiven Berichterstattung ber die Vorgnge in Deutschland habe man auf die Korrespondenten der ansssigen Zeitungen einzuwirken versucht. In Einzelfllen sei es sogar gelungen, mit Chefredakteuren persnlich zu spre-chen und Informationen zu lancieren. Unter dem Strich, so

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    Prittwitz, sei es der Botschaft und den Konsularbehrden, auch dank der Mithilfe jdischer Organisationen in Deutschland, ge-lungen, die Greuelpropaganda merklich einzudmmen.9

    Sich ein realistisches Bild von den Zustnden in Deutschland zu machen, war fr Prittwitz kaum mglich. Angewiesen auf die amtliche Berichterstattung und Pressemeldungen aus Berlin, hielt er die Berichte der Auslandspresse fr gehssige Meldungen. Dennoch schien ihm manches nicht vllig aus der Luft gegriffen. Das Auswrtige Amt, mahnte er in einem bemerkenswerten Te-legramm, msse dafr sorgen, dass Deutschlands Ruf als Ord-nungsstaat gewahrt bleibe, denn die auslndischen Hetzer wer-den sich keine Gelegenheit entgehen lassen, wirkliche Gescheh-nisse aufzugreifen, zu entstellen, aufzubauschen. Hitler ms-se der antisemitischen Agitation Einhalt gebieten und das Aus-land davon berzeugen, dass Recht und Gerechtigkeit immer noch oberstes Gesetz im Deutschen Reich seien.10

    Als die Meldungen aus Deutschland nicht abrissen, erneuerte er seine Mahnung zur Migung. Lngst htten in den USA die Protestaktionen gegen die angeblichen Judenverfolgungen in Deutschland den Charakter einer gefhrlichen Deutschhetze angenommen und wrden inzwischen sogar von dem politisch und wirtschaftlich sehr einflussreichen amerikanischen Judentum unter Fhrung des American Jewish Congress organisiert. Auch auf Prsident Roosevelt werde starker Druck ausgebt. Anlass zur Sorge gebe vor allem die Boykottbewegung gegen deutsche Waren und deutsche Schiffe, die sich bereits bemerkbar ma-che.11

    Die Berichterstattung von Prittwitz bewirkte in Berlin das Ge-genteil dessen, was der Botschafter beabsichtigt hatte. Indem er explizit auf die amerikanischen Juden als Trger der Proteste verwies und andeutete, dass in den USA der Eindruck herrsche, die Regierung in Berlin sei nicht mehr Herr der Lage, lieferte er Hitler den entscheidenden Vorwand fr einen Gegenboykott. In einer reichsweiten Aktion gegen jdische Geschfte sollten

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    nicht nur die deutschen Juden fr die Auslandsproteste gewisser-maen in Geiselhaft genommen, sondern auch die Gewaltttigkeit der SA auf ein definiertes Ziel gelenkt und damit dem Eindruck von Fhrungsschwche entgegengewirkt werden. Die Berichters-tattung der Deutschen Botschaft in Washington wurde damit indi-rekt zum Auslser fr den Boykott jdischer Geschfte am 1. Ap-ril 1933.

    Die Durchfhrung der Aktion bernahm ein Zentralkomitee zur Abwehr der jdischen Greuel- und Boykotthetze unter der Regie des Reichsministers fr Volksaufklrung und Propaganda Joseph Goebbels. Obwohl die Manahmen als Vergeltung fr jdische Provokationen aus dem Ausland dargestellt wurden, zeigte der Boykott keineswegs die Wirkung, die sich Goebbels erhofft hatte. Das Ausland aber reagierte mit tiefer Emprung. Vier Tage nachdem in Deutschland die Fensterscheiben jdischer Geschfte zerschlagen, die Auslagen demoliert und Kunden am Betreten jdischer Geschfte gehindert worden waren, berichtete Prittwitz von einem erneuten Aufleben der Protestbewegung. Weil der Boykott auf einen Tag beschrnkt gewesen und offenbar mavoll durchgefhrt worden sei, knne inzwischen allerdings ein Abflauen der Erregung festgestellt werden.12 In Paris seien groe Mengen deutschen Porzellans inzwischen zerschlagen, meldete Kster, und es werde viel Aufklrungsarbeit ntig sein, um die Beunruhigung zu beseitigen. Hoesch mahnte, dass Deutschland in den letzten Wochen auerordentlich viel Terrain in England verloren habe.13

    Was dem Propagandaminister als ein groer moralischer Sieg erschien, markierte - fr jeden erkennbar - den bergang zur staatlich legitimierten Ausgrenzung und Unterdrckung der Juden in Deutschland. 14 War der Antisemitismus das eigentlich Spezifische des neuen Regimes, so stie er jedenfalls bei den Diplomaten auf keinen grundstzlichen Widerspruch. Sie sorgten sich lediglich um den guten Ruf Deutschlands. Die anti-jdische Aktion zu begreifen, fllt dem Ausland besonders schwer, denn

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    es hat diese Judenberschwemmung eben nicht am eigenen Leibe versprt, notierte der aufstrebende Gesandte Ernst von Weizs-cker mit Blick auf den Boykott. Das Faktum besteht, dass unsere Position in der Welt darunter gelitten hat und dass die Folgen sich schon zeigen und in politische und andere Mnze umsetzen. Weizscker gehrte zu jenen Beamten, die sich ber die weitere Entwicklung Sorgen machten, weil sie frchteten, das Ganze knne aus dem Ruder laufen, wenn die radikalen Krfte innerhalb der NS-Bewegung jetzt Oberhand bekmen. Man msse dem Re-gime deshalb alle Hilfe und Erfahrung angedeihen lassen und mit dafr sorgen, dass die jetzt einsetzende zweite Etappe der neuen Revolution eine ernsthaft konstruktive wird.15

    Mit seiner Ansicht, der Fachmann drfe das Feld nicht ein-fach rumen, sei er in guter Gesellschaft gewesen, schrieb Weizscker rckblickend. 16Wie Weizscker fhrten die meisten Laufbahndiplomaten, die mehrheitlich bereits im Kaiserreich in den Auswrtigen Dienst eingetreten waren, ihre Arbeit bruchlos auch unter dem neuen Regime fort. Noch ber jeden Regie-rungswechsel hinweg hatte das Amt seine Aufgaben erledigt, und in der 63-jhrigen Geschichte hatte es einige gegeben. Zweifellos war die Regierung am 30. Januar 1933 auf verfassungsmigem Wege ernannt worden, aber von Anfang an hat sie den Terror le-gitimiert. Als der gewaltttige Charakter des Regimes immer deutlicher hervortrat, quittierten die Mitglieder der alten AA-Garde indes mitnichten den Dienst, und viele von ihnen gehrten auch im Krieg noch dem Auswrtigen Amt an. Es war die gleiche Elite, die unter dem Kaiser gedient und die Weimarer Republik - aus ihrer Sicht - berstanden hatte, die 1941 zum Trger der na-tionalsozialistischen Eroberungs-und Vernichtungspolitik werden sollte.

    Traditionen und Strukturen

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    Reichsminister des Auswrtigen in dem am 30. Januar 1933 er-nannten Kabinett der nationalen Konzentration wurde Constan-tin Freiherr von Neurath, der bereits seit Juni 1932 das Auswrti-ge Amt leitete, in das er 1901 eingetreten war. Im Vertrauen dar-auf, dass personelle Kontinuitt auenpolitische Stetigkeit ver-brge, hatte Hindenburg auf Neuraths bernahme besonderen Wert gelegt. Auch sonst blieb im Amt alles beim Alten.

    Seit seiner Grndung im Jahr 1871 bestand das Auswrtige Amt als Reichsbehrde. Hervorgegangen war es aus dem Minis-terium der auswrtigen Angelegenheiten des Knigreichs Preu-en, das 1870 zum Auswrtigen Amt des Norddeutschen Bundes und im Folgejahr zum Auswrtigen Amt des Deutschen Reiches umgewandelt worden war. Es war neben dem Kanzleramt das lteste Reichsamt und galt als vornehmste Behrde. In der Tat hatte das Auswrtige Amt eine homogene Sozialstruktur aufzu-weisen, in keiner anderen Behrde wurde ein so exklusives und korporatives Selbstverstndnis gepflegt. Der Korpsgeist der Wil-helmstrae, wie das Amt nach seiner Adresse im Zentrum Berlins direkt neben dem Reichskanzleramt genannt wurde, war geradezu sprichwrtlich, und entsprechend ausgeprgt war auch der Dn-kel.

    Die Vertreter des hheren Auswrtigen Dienstes, Botschafter, Gesandte und Ministerresidenten, genossen eine Reihe unge-whnlicher Privilegien. Sie waren die persnlichen Abgesandten des Kaisers und beim Staatsoberhaupt des Landes, in dem sie Seine Majestt vertraten, persnlich akkreditiert. Sie genossen diplomatische Immunitt, nahmen hoheitliche Aufgaben wahr und hatten Anspruch auf die gleichen Ehrenbezeigungen wie der Souvern. Ihr Status, als stndige Vertreter in einem fremden Land die Interessen des eigenen Staates wahrzunehmen und zu-gleich ber die Entwicklung dort regelmig nach Hause zu be-richten, war im Grunde so alt wie Staatengeschichte selbst und reichte bis in das 15. Jahrhundert zurck.

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    Vor diesem Hintergrund war die Diplomatie ein Bettigungs-feld, das bis weit ins 20. Jahrhundert hinein dem Adel vorbehal-ten blieb. Vor allem fr die Ernennung zum Botschafter, die hchste Klasse unter den Gesandten, die nur von den Gromch-ten entsandt und empfangen wurden, galt die Formel: Je feiner der Stammbaum, desto grer die Chancen. Da die prestigetrch-tigen Botschafterposten im Regelfall nur beim Ausscheiden eines Diplomaten aus dem Dienst fr Nachrckende frei wurden, um-fasste der Kreis der Personen, die zwischen der Reichsgrndung und dem Ersten Weltkrieg als Botschafter ttig waren, weniger als 50 Diplomaten. Ausschlielich Adelige fanden zwischen 1871 und 1914 als Botschafter Verwendung; auf den europischen Ge-sandtenposten dienten immerhin 93 Prozent, auf den auereuro-pischen 71 Prozent Adlige als Missionschefs. Wie adelige Ab-stammung unerlssliche Voraussetzung war, um auf bestimmten Auslandsposten akzeptiert zu werden, so verliehen Adelige dem Berufsstand des Diplomaten das besondere Flair der Exklusivitt.

    Aber auch die Zusammensetzung des Auswrtigen Amts in-sgesamt blieb whrend des Kaiserreichs strker vom Adel geprgt als die jedes anderen Reichsamtes. Whrend Adelige mit einem Anteil von etwa 0,15 Prozent an der Gesamtbevlkerung eine kleine Minderheit stellten, dominierten sie den Auswrtigen Dienst. Der Adel hatte sich hier eine nach auen wirkungsvoll abgeschirmte Bastion geschaffen, die seinen Niedergang im Zuge der Industrialisierung und Modernisierung aufhielt. Auch wenn im Amt die Normen und Kriterien des Adels wie ein anachronis-tisches Herrschaftssystem tradiert wurden, war adelige Abstam-mung allerdings kein formelles Zulassungskriterium, sondern ge-hrte lediglich zu den informellen Kompetenzen. Zu den in-formellen Rekrutierungs- und Befrderungskriterien zhlte auch die Mitgliedschaft in einer der angesehenen Studentenverbindun-gen, mglichst einer schlagenden; zudem galt der Besitz des Re-serveoffizierspatents als selbstverstndliche Zugangsvorausset-zung.

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    Offiziell wurde von einem Bewerber fr den hheren Dienst zunchst ein mit dem Referendarexamen abgeschlossenes Jura-studium verlangt. Je nach Laufbahn mussten Erfahrungen im Jus-tiz- oder Verwaltungsdienst belegt sowie englische und franzsi-sche Sprachkenntnisse nachgewiesen werden. Darber hinaus musste der Militrdienst abgeleistet sein. Weil ein Anwrter wh-rend seiner Ausbildungszeit keine oder nur eine unzureichende Vergtung erhielt, hatte er zuletzt ein nicht unbetrchtliches Vermgen nachzuweisen, das eine standesgeme Lebensfh-rung whrend der Ausbildung und auch spter sicherstellte. Nach Art selbstreferenzieller Systeme stellten diese Auslesemechanis-men zusammen mit den informellen Kriterien jene soziale Ho-mogenitt und gesinnungsethische Loyalitt sicher, die den hhe-ren Dienst des Auswrtigen Amts vom Kaiserreich ber den Un-tergang der Monarchie und das Ende des Weimarer Demokratie-versuchs hinaus bis ins Dritte Reich kennzeichnete.

    Im Januar 1933 war noch gut die Hlfte der Spitzendiplomaten adeliger Abstammung. Der lteste Angehrige des hheren Dienstes war zu diesem Zeitpunkt 70 Jahre alt, der jngste 48, das Durchschnittsalter lag bei 56 Jahren. Die Gruppe der Spitzen-diplomaten vom Gesandten I. Klasse aufwrts - Besoldungsgrup-pe B5, Generalmajor aufwrts - bestand zum Stichtag 30. Januar 1933 aus 40 Personen inklusive Minister. Drei Viertel von ihnen waren in das kaiserliche Auswrtige Amt eingetreten, nmlich 14 der 22 Gesandten I. Klasse, alle neun Botschafter sowie die ge-samte Fhrungsebene in der Zentrale, zu der neben dem Minister und dem Staatsekretr die sechs Abteilungsleiter im Rang eines Ministerialdirektors gezhlt werden (der Leiter der Wirtschaftsab-teilung war nicht in das Auswrtige Amt, sondern in das Reichs-kolonialamt eingetreten).

    Sowohl die leitenden Beamten in der Zentrale als auch die neun Botschafter waren whrend der Weimarer Republik in die Spitzenpositionen aufgestiegen, und mageblichen Anteil daran hatte Hindenburg, der seit seiner Wahl zum Reichsprsidenten im

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    April 1925 zielgerichtet die Karrieren betont national gesinnter Diplomaten frderte. In extensiver Auslegung der ihm nach Arti-kel 46 der Reichsverfassung zukommenden Rechte hatte er sich nicht nur die Entscheidung ber die Befrderung oder Versetzung eines Diplomaten vorbehalten, sondern auch das Vorschlagsrecht beansprucht. Die Folge war, dass sich antidemokratisches und revisionistisches Denken in der Wilhelmstrae unter besonders gnstigen Bedingungen entfalten und verbreiten konnte.

    Als Hindenburg von 1925 an die nationalkonservative Ums-trukturierung des Auswrtigen Dienstes einleitete, hatte das Amt allerdings bereits selbst einige personalpolitische Weichen um-gestellt. Mit Grndung der Republik war das Auswrtige Amt nicht nur zu einem Reichsministerium geworden, das ein dem Reichstag verantwortlicher Reichsminister leitete, sondern auch in einer groen Reform demokratisiert worden. Die grundlegen-den Vernderungen des Jahres 1920, die nach Edmund Schler, dem Leiter der Personal- und Verwaltungsabteilung, benannt wurden, hatten das bis dahin gltige Real- zugunsten des Regio-nalsystems beseitigt und die Geschftsverteilung nach Sachgebie-ten zu einem nach Lnderabteilungen gegliederten System umor-ganisiert. Nur die Sachabteilungen fr Personal und Verwaltung, Auenhandel und Recht waren erhalten geblieben; neue Referate, etwa das fr innere Angelegenheiten zustndige Deutschlandrefe-rat oder das Sonderreferat Vlkerbund, waren hinzugekommen. Die vormals bestehenden, strikt getrennten Laufbahnen - entwe-der in der prestigetrchtigen Abteilung I fr politische Angele-genheiten oder in der fr Handels-, Rechts- und Konsularsachen zustndigen Abteilung II - waren zu einer diplomatisch-konsularischen Laufbahn im hheren Auswrtigen Dienst zu-sammengelegt und vereinheitlicht worden. Es wurden Querein-steiger einberufen, auerdem verbreiterte man die Rekrutierungs-basis fr den Nachwuchs, indem Attachs fortan zu besolden waren.

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    Strukturell nderte sich mit der Schlerschen Reform aller-dings sehr viel weniger, als es den Anschein hatte. In einer hoch industrialisierten, arbeitsteilig organisierten Gesellschaft bedurfte es der Kontinuitt einer spezialisierten und effizienten Funktions-elite, um den bergang von der Monarchie zur Republik ohne grere Reibungsverluste zu gewhrleisten. Zwar wurden Spit-zenposten in der Berliner Zentrale sowie auf den Auslandsmis-sionen mit Mitarbeitern besetzt, die gegenber der neuen Repub-lik Loyalitt an den Tag legten und bei denen es sich meist um sogenannte Quereinsteiger handelte. Das hohe Ma an personel-ler Kontinuitt wurde damit aber nur berdeckt, der eigentliche Apparat blieb vllig intakt. Auch wenn man ab und zu, um der republikanischen Form in der Heimat Rechnung zu tragen, an die Spitze der Mission einen brgerlichen Funktionr gestellt habe, sei nach wie vor eine exklusive Garde beinahe unve-rndert an der Macht, urteilte die republiknahe Presse kritisch.17

    Der Kern des alten Beamtenkrpers, mit dem zugleich ein kon-servativ-reaktionrer Geist erhalten wurde, der dem Obrigkeits-staat nachtrauerte, wurde zu Beginn der zwanziger Jahre konti-nuierlich ausgebaut. Bereits 1921 war Neurath, zu diesem Zeit-punkt deutscher Gesandter in Kopenhagen, mit der Reorganisati-on der Schlerschen Reform beauftragt worden. Seine Aufgabe hatte er dahingehend interpretiert, das Auswrtiges Amt von un-liebsamen Neulingen ohne geeignete Vorbildung, darunter diver-se Juden, zu reinigen.18 Es war dieser traditionelle Antisemitis-mus der konservativen Eliten, der sie, neben der gemeinsamen Frontstellung gegen Republik, Demokratie, Parteienstaat und Par-lamentarismus und der von Hitler in Aussicht gestellten Revision des Versailler Vertrages, im Januar 1933 so anfllig machte. Da-bei verschwammen zunehmend die Grenzen zwischen dem spezi-fischen Oberklassen-Antisemitismus des Kaiserreichs, der sich gegen die vermeintliche berreprsentation von Juden in Schls-selbereichen des ffentlichen Lebens richtete, und dem Rassis-mus auf vlkischer Grundlage.

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    Trotz formaler Gleichstellung waren die Juden im Kaiserreich vom Auswrtigen Dienst weitgehend ausgeschlossen gewesen. Die wenigen Juden im Amt, deren Aufnahme sich zumeist unmit-telbarer Protektion verdankte und die vornehmlich auf nach-geordneten Posten unterkamen, besttigten die Regel, dass im politischen Klima des wilhelminischen Deutschland Juden nur in Ausnahmefllen ressierten. Weil unter allen Konfessionen die Juden den hchsten Anteil an Hochschulabsolventen aufwiesen, htten sie theoretisch in viel hherem Mae Zugang zu ffentli-chen mtern haben mssen. In den Bewerberakten des Auswrti-gen Amtes fand die Diskriminierung zwar keinen Niederschlag, aber die Denkmuster waren allgemein internalisiert. Noch auf der Nrnberger Anklagebank behauptete Neurath, niemals Antise-mit gewesen zu sein. Eine Zurckdrngung des bermigen Einflusses der Juden auf allen Gebieten des ffentlichen und kul-turellen Lebens habe er aber durchaus als erwnscht betrach-tet.19

    Unvereinbar mit einer gesunden Auenpolitik

    An der Spitze des Auswrtigen Amts stand mit Constantin Frei-herr von Neurath ein Karrierediplomat, der sich das Vertrauen und die Frsprache Hindenburgs erworben hatte. Ein ausgeprg-ter Antiintellektualismus und eine politische Haltung, die vom Primat des Militrischen bestimmt war, bildeten die Schnittmen-ge zwischen beiden Mnnern. Eine freundschaftliche Sympathie grndete darber hinaus in der gemeinsamen Leidenschaft fr die Jagd. Von 1922 bis 1930 war Neurath als Botschafter in Rom t-tig gewesen, im Juni des gleichen Jahres hatte er auf Hindenburgs Wunsch den Posten in London bernommen, den wichtigsten Botschafterposten des Auswrtigen Amts. In der zweiten Hlfte der zwanziger Jahre dank Hindenburgs Protektion zum Primus inter pares unter den Spitzendiplomaten aufgestiegen, galt Neu-

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    rath bereits 1929 als Wunschkandidat des Reichsprsidenten fr die Nachfolge Stresemanns im Ministeramt, war zu diesem Zeit-punkt politisch aber noch nicht durchsetzbar. Im Juni 1932 muss-te Hindenburg ihn dann regelrecht zum Eintritt in das Kabinett Papen berreden; Neurath tauschte den sicheren Londoner Posten nur ungern gegen ein Ministeramt in einer Regierung, der er kei-ne lange Lebensdauer zutraute. Ein gutes halbes Jahr spter hie der neue Reichskanzler Adolf Hitler.

    Mit Neurath war ein Mann an die Spitze des Auswrtigen Amts getreten, der nach seiner ganzen Biographie die Gewhr dafr bot, dass die forcierte Pressionspolitik des Prsidialkabi-netts Brning fortgesetzt wurde. Als Botschafter am Quirinal hat-te er aus nchster Nhe mitverfolgen knnen, wie Mussolini das krisengeschttelte Italien in die Stabilitt einer Diktatur ber-fhrte. Seither galt ihm das faschistische Italien als Vorbild fr das Reich. Eines Tages msse doch auch bei uns ein Mussolini kommen, hatte er sich 1923, im ersten Krisenjahr der Weimarer Republik, gewnscht, und zehn Jahre spter war er bereit, alles dafr zu tun, um aus Hitler einen zweiten Mussolini zu ma-chen.20 Neurath, der im Nationalsozialismus nur die deutsche Va-riante des Faschismus sah, vertraute wie andere im Kabinett der nationalen Konzentration auf die Tragfhigkeit des Einrah-mungskonzeptes und erhoffte sich von der Einigung der nationa-len Rechten einen Staatsumbau, der den Weg zu einer autoritren, vom Parlament weitgehend unabhngigen, militrgesttzten Re-visionspolitik ebnen sollte. Deshalb setzte er sich dafr ein, die neue Regierung zu stabilisieren und international zu etablieren.

    Diese Einstellung teilten viele unter den Spitzendiplomaten, besonders prononciert Ulrich von Hassell, Neuraths Nachfolger als Botschafter in Rom. Bereits seinen Eintritt in den Auswrti-gen Dienst im April 1909 hatte er vor allem der Patronage seines Corpsbruders Neurath zu verdanken. Im September 1914 schwer verwundet, hatte er eine Zeit lang seinem Schwiegervater, Gro-admiral Tirpitz, als Privatsekretr gedient. Im Auswrtigen Amt

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    zhlte er zu den beredtesten Befrwortern einer Wirtschafts- und Handelspolitik, deren erklrtes Ziel eine deutsche Hegemonie in Sdosteuropa war. Deutschlands Wiederaufstieg zu einer Gro-macht mit Weltgeltung sollte durch eine Annherung an das fa-schistische Italien flankiert werden. Beide Lnder mssten schon deshalb zusammenarbeiten, weil sie ihre territorialen Ziele nur durchsetzen knnten, wenn sie gemeinsam gegen Frankreich vor-gingen, das wie kein anderes Land an der Aufrechterhaltung des Status quo festhalte. Wie Neurath knpfte Hassell an die Macht-bernahme der Nationalsozialisten die Hoffnung auf Stabilitt nicht nur fr unsere Innen-, sondern auch fr unsere Auenpoli-tik. Von starkem Ehrgeiz getrieben, wollte er unter der neuen Regierung eine fhrende Rolle spielen, oder, wie er an seine Frau schrieb, aktiver Kmpfer sein, d.h. mitbestimmen. 1944 endete diese Karriere vor dem Volksgerichtshof, wo Hassell wegen sei-ner Beteiligung am Attentat vom 20. Juli anklagt war; den siche-ren Tod vor Augen, erklrte er, er sei nicht mit dem Weimarer System einverstanden gewesen und habe deshalb auch 1933 den Nationalsozialismus begrt.21

    Den Gegenpol zu Neurath und Hassell bildete Friedrich von Prittwitz und Gaffron. Er war der einzige Spitzendiplomat, der im Frhjahr 1933 den Dienst quittierte. Bevor er den Botschafterpos-ten in Washington angetreten hatte, war er sechs Jahre als Bot-schaftsrat in Rom der Stellvertreter Neuraths gewesen. Schon in dieser Zeit war die unterschiedliche politische Einstellung der beiden immer wieder hervorgetreten. Whrend Prittwitz die konsequente Einhaltung der Verstndigungslinie beschwor, setzte Neurath auf Konfrontation.22 Es war von hoher Symbol-kraft, dass Prittwitz sein Demissionsgesuch im Mrz 1933 ausge-rechnet an Neurath richtete. Er habe nie einen Hehl aus seiner politischen Einstellung gemacht, die in einer freiheitlichen Staatsauffassung und republikanischen Grundstzen wurzele, schrieb Prittwitz; da diese Prinzipien nach Ansicht fhrender Mitglieder der neuen Reichsregierung aber zu verurteilen seien,

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    knne er sowohl aus Grnden des persnlichen Anstandes wie solchen der sachlichen Aufgaben nicht weiter seinen Dienst ausben, ohne sich selbst zu verleugnen. Er habe, so trug Prittwitz spter noch nach, auf die Amerikaner einzuwirken ver-sucht, nicht allen Sensationsmeldungen aus Europa Glauben zu schenken - der Loyalittskonflikt, den verantwortungsbewusste Diplomaten in diesen ersten Monaten der Regierung Hitler aus-zuhalten hatten, lsst sich an diesem Dokument eindrucksvoll ab-lesen.23

    Der entschlossene Schritt des erst 49-jhrigen Prittwitz, dessen steile Karriere damit vom einen auf den anderen Tag beendet war, fand gegen seine Erwartung keine Nachahmer. Charakteris-tisch fr die vorherrschende Haltung innerhalb der Spitzendiplo-matie war das Beispiel Bernhard von Blows, des seit 1930 am-tierenden Staatssekretrs. Blow, ein Neffe des ehemaligen Reichskanzlers und Patensohn Wilhelms II., stand dem National-sozialismus unverkennbar ablehnend gegenber. Kurioserweise waren es gerade die in der Endphase der Weimarer Republik er-zielten Revisionserfolge, die ihn gegen den Nationalsozialismus Stellung beziehen lieen, weil er die Fortschritte durch die Politik Hitlers gefhrdet sah. Andererseits war er der berzeugung, dass das Auswrtige Amt selbst eine Nazi-Regierung ohne sehr we-sentlichen direkten Schaden fr die Auenpolitik durchhalten werde, wie er ein Jahr vor der nationalsozialistischen Machtber-nahme an seinen Duzfreund Prittwitz schrieb.24 In dieser Formu-lierung deutete sich an, was Blows Haltung nach dem 30. Januar auszeichnete: die Gewissheit, dass es sich um eine bergangspe-riode handeln und Hitler im Amt scheitern werde. Durch das fehlgeschlagene Experiment25 wrden die Nationalsozialisten ihre Bedeutung als zentraler politischer Faktor verlieren und die Krfteverhltnisse neu verteilt werden; dann liee sich ein gesell-schaftlicher Rckhalt fr einen Staatsumbau nach konservativ-autoritrem Ideal organisieren. Wunsch und Wirklichkeit htten kaum deutlicher auseinanderfallen knnen. Dafr, dass er trotz

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    unberwindbarer Vorbehalte gegen den Nationalsozialismus im Amt verblieb, lieferte Blow kurz vor seinem Tod 1936 eine Be-grndung, die von der Mehrheit der Diplomaten mit Sicherheit geteilt worden wre und die nach dem Krieg dann auch in mehr oder weniger allen Rechtfertigungsversuchen auftauchte: Man lsst sein Land nicht im Stich, weil es eine schlechte Regierung hat.26

    Die Herrschaftsstruktur des NS-Regimes lie eine derartige Unterscheidung zwischen Staat und Regierung allerdings gar nicht zu. Blow, nach Einschtzung des franzsischen Botschaf-ters in Berlin von einem fast religisen Vaterlandsgefhl durchdrungen, muss sich dieses Dilemmas sehr wohl bewusst gewesen sein.27 Jedenfalls entwarf er im Mai 1933 handschrift-lich ein Rcktrittsgesuch, das er jedoch nicht einreichte. Der Entwurf lsst darauf schlieen, dass Blow eine Reihe von Spit-zendiplomaten zur Abgabe gleichlautender Demissionen bewe-gen wollte, um auf diese Weise verlorenen Einfluss zurckzuge-winnen. In einer - spter wieder gestrichenen - Passage hie es, er, Blow, gebe sein Entlassungsgesuch zugleich im Namen der Botschafter in Paris, London und Moskau ab.28

    Mit Roland Kster in Paris, Leopold von Hoesch in London und Herbert von Dirksen in Moskau wollte Blow die Botschaf-ter der wichtigsten Missionen zum kollektiven Rcktritt bewegen. Die drei verkrperten die Spitzendiplomatie der Weimarer Re-publik. Nahezu gleich alt und untereinander freundschaftlich ver-bunden, waren sie noch in den Auswrtigen Dienst des Kaiserrei-ches eingetreten und nach 1918/19 in hchste Positionen aufges-tiegen. Sie entstammten privilegierten und vermgenden Fami-lien, waren evangelischer Konfession, promovierte Juristen, Ein-jhrig-Freiwilligeninhaber und Inhaber des Reserveoffizierspa-tents. Der pbelhaften Massenbewegung des Nationalsozialismus standen sie kritisch distanziert gegenber. Aber anders als der entschlossene Prittwitz, der zgernde Blow oder der hyperaktive Hassell, mit denen sie nicht nur viele politische berzeugungen

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    teilten, sondern auch die Grundauffassung der Diplomaten, die politische Entwicklung beeinflussen zu knnen, waren sie kei-neswegs bereit, dem Rad der Geschichte in die Speichen zu grei-fen.

    Offenbar war Kster am ehesten entschlossen, gemeinsam mit Blow Konsequenzen aus der Entwicklung nach dem 30. Januar zu ziehen. Zu dem Zeitpunkt, an dem Blow sein Rcktrittsge-such aufsetzte, reiste er zwei Mal mit Wissen, vielleicht auch im Auftrag des Staatssekretrs zu Gesprchen mit Hoesch nach Lon-don. Was auch immer besprochen wurde, fr eine kollektive Rcktrittsdrohung fehlte letztlich die Grundlage. Im Ergebnis blieben alle vier im Dienst des Regimes, das sie ablehnten, und halfen mit, eine Brcke zu schlagen von der nationalistischen Gromachtpolitik, die sie mit berzeugung vertraten, zu der ras-sistischweltanschaulich fundierten Auenpolitik des Dritten Reichs. Die nach 1933 zunehmende Isolierung des Reiches schien ihren Handlungsspielraum zwar einzuschrnken, bot ihnen andererseits aber eine willkommene Begrndung fr das Verblei-ben im Amt. Ihre Ablehnung der Weimarer Demokratie machte sie empfnglich fr die Versprechungen eines autoritren Macht-staats, der die Politik gegen Versailles zunehmend forcierte. Die mit Hitlers Machtbernahme verbundenen Gewaltexzesse hielten sie fr Revolutionserscheinungen, die sich mit der Zeit all-mhlich abschleifen wrden.29 Die Neugestaltung Deutschlands habe Erscheinungen und Vorgnge gezeitigt, die mit der Wrde und Sicherheit des Reiches und mit der Fortfhrung einer gesun-den Auenpolitik unvereinbar sind, hie es in Blows Entwurf seines Rcktrittsgesuchs.30

    Bereits Mitte Mrz hatte Kster vor dem Anstieg der Fieber-kurve in Paris gewarnt: Der Gedanke einer gewaltsamen rech-tzeitigen Verhinderung der vermeintlich drohenden Gefahr ge-winne in Frankreich zunehmend an Bedeutung.31 Nahezu zeit-gleich telegrafierte Dirksen aus Moskau, es sei eine sehr ernste Lage entstanden und er msse vor der Gefahr eines tiefgreifen-

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    den, dauernden, auf alle Teile der Beziehungen sich ausdehnen-den Konflikts warnen. Die neuen Zwischenflle der letzten Ta-ge htten den Becher zum berlaufen gebracht.32 Moskau war ber die brutale Verfolgung deutscher Kommunisten und die gesteigerte antibolschewistische Propaganda ebenso irritiert wie ber die sich hufenden bergriffe auf Sowjetbrger, Haussu-chungen in sowjetischen Handelsinstitutionen oder die Boykott- und Requirierungsmanahmen bei der Benzingesellschaft Derop, dem wichtigsten sowjetischen Unternehmen in Deutschland.

    Noch bedrohlicher klangen die Signale aus Polen, das wegen der Territorialregelungen des Versailler Vertrages zum Hauptziel des deutschen Revisionismus geworden war und mit demonstra-tiven Gesten auf die Ereignisse im Nachbarland reagierte. Bereits im Sommer 1932 hatte Polen einen Zerstrer in den Hafen der Freien Stadt Danzig einlaufen lassen und damit auf Papens Vor-sto zu einer Lsung der Frage des Korridors reagiert, der Ost-preuen vom Reich trennte. In Berlin rechnete man damit, dass Polen deutsche Gebiete als Faustpfand besetzen knnte; die u-erung des polnischen Gesandten bei einem Besuch im Auswr-tigen Amt am 17. Februar, er sehe beide Lnder am Vorabend eines Krieges, bot Anlass zu erheblicher Sorge.33

    Angesichts dieser durchaus krisenhaften Zuspitzung waren die Diplomaten bemht, jede weitere Eskalation abzuwenden. Ober-ste Prioritt hatte die Verhinderung eines militrischen Konflikts, der nur mit einer Niederlage und Besetzung Deutschlands enden konnte. Allein die Tatsache, dass angesehene Diplomaten wie Blow, Dirksen oder Hoesch auf ihrem Posten verblieben, wirkte im Ausland beruhigend, schienen sie doch die Kontinuitt und Berechenbarkeit deutscher Auenpolitik zu verbrgen. Doch mehr noch: Wo immer die deutschen Diplomaten in diesen Wo-chen mit Auslandsvertretern zusammenkamen, ob in Berlin oder in den Reprsentanten drauen, stets vertraten sie mit Routine und Geschick eine Politik der Deeskalation. Whrend etwa Neu-rath dem sowjetischen Botschafter in Berlin ein ums andere Mal

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    versicherte, eine nderung der politischen Linie gegenber Russ-land werde nicht erfolgen, wiederholte der in diesem Sinne in-struierte Dirksen in Moskau das immer gleiche Argument, es handele sich bei der Verfolgung der Kommunisten um eine in-nerdeutsche Angelegenheit, die fr die bilateralen Beziehungen keinerlei Bedeutung habe.34 Die Anregung zu Hitlers Rede vom 17. Mai 1933, die als Friedensrede im Ausland wohlwollende Beachtung fand, ging nicht zufllig auf eine Empfehlung Neu-raths zurck. Dass sich die Lage allmhlich entspannte, hing al-lerdings weniger mit wohlfeilen Reden als mit konkreten auen-politischen Projekten zusammen: den Verhandlungen ber den von Mussolini vorgeschlagenen Viermchtepakt, dem Abschluss des Reichskonkordats oder der Verlngerung des 1926 mit der Sowjetunion geschlossenen Berliner Vertrages.

    In den ersten Monaten des Dritten Reichs waren es die Spit-zendiplomaten im Auswrtigen Amt, die selbstbewusst auenpo-litische Akzente setzten. Vorstzlich wurde dabei bisweilen auch der neue Kanzler bergangen, der keine Erfahrung auf auenpoli-tischem Terrain besa und entsprechend verhalten agierte. Nach-dem Neurath im Zusammenspiel mit Reichwehrminister Werner von Blomberg das Reich auf der Genfer Abrstungskonferenz in eine prekre Isolation manvriert hatte, gingen die auenpoliti-schen Initiativen jedoch immer strker von Hitler aus. Von ihm eingeleitet, von Neurath in die Tat umgesetzt und von den Spit-zendiplomaten abgewickelt, gelang dem Reich jetzt eine Reihe auenpolitischer berraschungsmanver: Im Oktober 1933 ver-kndete Deutschland den Rckzug von der Genfer Abrstungs-konferenz und den Austritt aus dem Vlkerbund, im Januar 1934 schloss es einen als Sensation empfundenen Nichtangriffspakt mit Polen.

    Damit waren jedoch grundstzliche berlegungen durchkreuzt, die Blow im Mrz 1933 ausgearbeitet hatte. In einer Denkschrift hatte der Staatssekretr den Kurs der Auenpolitik auf die alten Ziele verpflichten wollen und dafr die taktischen Leitlinien skiz-

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    ziert. Ein Stufenplan sah vor, dass Deutschland in einer ersten Phase militrisch, finanziell und wirtschaftlich erstarken msse, bevor in einer zweiten Phase territoriale Revisionen vorgenom-men werden konnten. Dabei war auch an den Erwerb alter wie neuer Kolonien gedacht. Zu einem spteren Zeitpunkt sei dann im Westen die Rckgliederung von Elsass-Lothringen, im Norden die Revision der schleswigschen Grenze und im Sdosten der Anschluss sterreichs anzustreben. Vorher sei die Umgestal-tung der Ostgrenze in die Wege zu leiten, wobei die Wieder-gewinnung smtlicher in Frage kommenden polnischen Gebiete gleichzeitig anzustreben und Teil- oder Zwischenlsungen abzu-lehnen sind (Nur noch eine Teilung Polens).35

    Blows Denkschrift enthielt keine auf Kooperation und Wan-del angelegte Konzeption, sondern zielte auf ein imperialistisch-expansionistisches Wiedererstarken Deutschlands. In der Formu-lierung der Ziele zeichneten sich sowohl die Voraussetzungen als auch die Grenzen der Kooperation zwischen den alten Eliten und den neuen Machthabern ab. Manfred Messerschmidt sprach in diesem Zusammenhang von einer Teilidentitt der Ziele, durch die sich die Beamten des Auswrtigen Amts zur aktiven Mitarbeit motiviert fhlten. Gleichzeitig bestanden unterschiedliche Vor-stellungen ber die dabei einzusetzenden Mittel und Methoden.

    Erste Manahmen gegen Juden

    Als sich nach der Reichstagswahl vom 6. Mrz 1933 die ber-griffe auf jdische Brger zu hufen begannen, sah sich das Auswrtige Amt gezwungen, auf die Ausschreitungen zu reagie-ren. Also bastelten die Diplomaten an einer Rechtfertigung. Noch unmittelbar nach dem Krieg vertrat Ernst von Weizscker die Auffassung, Deutschland habe zu Beginn der zwanziger Jahre im Osten die Grenzen zu weit aufgemacht. Die Inflation hatte viele Juden angezogen, die sich zu einer Gromacht entwi-

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    ckelt htten.36 In diesem Sinne uerte sich im Mrz 1933 auch Staatssekretr Blow: Er habe in Gesprchen mit Diplomaten immer auf den starken Zustrom von Ostjuden hingewiesen, die im sozialdemokratisch regierten Preuen massenweise eingebr-gert worden seien. Die Stadtverwaltung von Berlin und die stdti-schen Krankenhuser seien vollkommen verjudet gewesen, auch das Vordringen der Juden in Justiz, Universitten, Schulen u. a. m. seit 1918 habe man nicht bersehen knnen. Zu alledem mssten Zahlen erhltlich sein, mit denen die Auenposten etwas anfangen knnten. Vielleicht knnten Parteistellen oder die inneren Behrden unter der Hand Fakten und Zahlen lie-fern. Mit einer Anzahl handgreiflicher Beispiele lasse sich ge-genber den in Berlin akkreditierten Auslandsvertretern, die in ihrer Mehrzahl durchaus nicht philosemitisch gesinnt seien, jedenfalls besser argumentieren.37

    Der Auftrag des Staatssekretrs, Material zusammenzustellen, das als Unterlage fr Gesprche mit Auslndern dienen und die Ursachen der antisemitischen Bewegung in Deutschland erlutern sollte, ging an seinen Neffen Vicco von Blow-Schwante, der soeben in das Auswrtige Amt berufen und dort an die Spitze des wiedererrichteten Referats Deutschland gestellt worden war. Als Spross einer weitverzweigten Familie von Diplomaten und Mili-trs hatte der 1891 geborene Blow-Schwante zunchst die Mili-trlaufbahn eingeschlagen. Bei einem Reitunfall verunglckt, war er felddienstuntauglich im Ersten Weltkrieg an verschiedene Aus-landsmissionen abkommandiert worden. Nach dem Krieg hatte er sich aus antirepublikanischer berzeugung aus dem Militr- und Diplomatendienst zurckgezogen und sich auf die Verwaltung seiner Gter verlegt. Seit 1928 Mitglied der rechtskonservativen Deutschnationalen Volkspartei, hatte er im Vorstand des parami-litrischen Stahlhelms die Auslandsabteilung geleitet. In dieser Funktion hatte er eine Partnerschaft zwischen seinem Bund der Frontsoldaten und den Fasci di Combattimento, den faschisti-schen Kampfbnden, aufzubauen und den Kontakt zu Mussolini

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    zu intensivieren versucht. Auch um partielle Zusammenarbeit mit der NSDAP hatte sich Blow-Schwante frhzeitig bemht und bereits Ende 1929 Hitler fr die Zusammenarbeit mit einer von DNVP und Stahlhelm initiierten Propagandakampagne gewinnen knnen. Seine Aufnahme in den Auswrtigen Dienst als Leiter des neuen Referats Deutschland unterstrich die von Hindenburg gewnschte Einigung der Nationalen Rechten.38

    Der Ernennung Blow-Schwantes war eine heftige Diskussion zwischen dem Auenminister und seinem Staatssekretr voraus-gegangen. Anfang Februar 1933 hatte sich der Vorsitzende des Stahlhelms und neue Arbeitsminister, Franz Seldte, an seinen Kabinettskollegen Neurath gewandt und ihn gebeten, Blow-Schwante in das Auswrtige Amt zu bernehmen.39 Der Auen-minister kannte Blow-Schwante seit fast zwanzig Jahren und schtzte ihn wegen seiner nationalen Gesinnung. Er nahm ihn zu-nchst fr den Posten des Dirigenten der Personalabteilung in Aussicht, aber da hatte er die Rechnung ohne den Staatssekretr gemacht. Er halte es fr seine Pflicht, auf die gefhrlichen Fol-gen einer derartigen Politisierung des auswrtigen Dienstes hin-zuweisen, schrieb Blow an Neurath. Obgleich er mit seinem Neffen seit vielen Jahren befreundet sei und gegen dessen morali-sche und charakterliche Eigenschaften nicht das Mindeste einzu-wenden habe, msse er gegen dessen Einberufung protestieren, da damit ein Nichtbeamter ohne entsprechende Vorbildung zu einer der hchsten Dienststellen des Auswrtigen Amts befr-dert werde, lediglich weil er der Stahlhelmfhrung angehre und in dieser Funktion das Vertrauen der Regierungsparteien erwor-ben habe.

    Die drohende Politisierung der Beamtenschaft war fr Blow ein Graus. Selbst in den besonders marxistischen Jahren - ge-meint war die Zeit der Schlerschen Reform - sei der Versuch der Einflussnahme durch die Parteien erfolgreich abgewehrt wor-den; selbst damals konnte der gerade fr den auswrtigen Dienst besonders wichtige Grundsatz, dass die Beamten Diener der Ge-

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    samtheit und nicht einer Partei sein sollen, im wesentlichen ge-whrleistet werden. An diesem Grundsatz sei mit allen Mitteln festzuhalten. Die Arbeit des Auswrtigen Amts werde generell infrage gestellt, wenn man die Leitung der Personalabteilung ei-ner Persnlichkeit bertrage, die weder die Beamten und ihre Qualifikation noch die Erfordernisse der einzelnen Posten und des Dienstes berhaupt gengend kenne und die deshalb von vor-nherein im Ruf stehe, die politischen Ziele und Ideen derjenigen zu frdern, die gerade an der Regierung seien.40

    Deutlicher konnte die Kritik kaum ausfallen. Das von Blow beschworene Ideal einer unpolitischen Beamtenschaft entsprach allerdings keineswegs dem Selbstverstndnis der Diplomaten. Das Leitbild vom unpolitischen, ausschlielich professionell ur-teilenden Beamten war erst mit Grndung der Republik entstan-den und in erster Linie Ausdruck des Protests gegen das parla-mentarische System. Dahinter verbarg sich ein hochpolitisches Selbstverstndnis, das sich an einem abstrakten Staatsideal orien-tierte, das irgendwo zwischen glorifizierter Vergangenheit und ersehnter Zukunft verortet wurde. Um die politisch unerfllte Gegenwart einigermaen unbeschadet zu berstehen, musste sich das Auswrtige Amt gegen jeden Versuch der Politisierung zur Wehr setzen. Blows Einsatz fr den Erhalt eines unpolitischen Beamtentums im Februar 1933 spiegelte insofern auch seine Ein-schtzung wider, dass der Nationalsozialismus eine vorberge-hende Erscheinung sei, die man dank einer unabhngigen und selbststndig arbeitenden Beamtenschaft berdauern werde.

    Mit der Wiedereinrichtung des Sonderreferats Deutschland deutete sich jedoch an, dass auch fr das Auswrtige Amt eine neue Zeitrechnung angebrochen war. Ein Referat, dem die Beo-bachtung fr die Auenpolitik wichtiger innerpolitischer Vorgn-ge in Deutschland sowie umgekehrt die Beobachtung von Ein-wirkungen des Auslandes auf innerpolitische Verhltnisse Deutschlands oblag, konnte nach Lage der Dinge nur als Ein-griff in die Autonomie des Amts verstanden werden.41 Auch die

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    eigens erwhnte Bearbeitung der Judenfrage fiel in den Bereich des Deutschlandreferats und lie nichts Gutes ahnen.42 Indem B-low - hchstwahrscheinlich - die Berufung seines Vetters auf den Schlsselposten des Personalchefs verhinderte, befrderte er ihn unwillentlich zum Leiter dieses fr die weitere Entwicklung des Amtes besonders wichtigen Referats.

    Nun gab es ein fr die Wechselwirkung von Innen- und Au-enpolitik zustndiges Deutschlandreferat bereits seit 1919, erst 1931 war es aufgelst worden. Insofern handelte es sich also nicht um einen Fremdkrper, und auch die Referenten rekru-tierten sich aus dem Amtspersonal. Neu war nur der Quereinstei-ger Blow-Schwante. Die stellvertretende Leitung lag zunchst bei dem auf innenpolitische Fragen spezialisierten Laufbahndip-lomaten Hans Rhrecke, ab 1936 bei Walter Hinrichs, promovier-ten Juristen, die im Weltkrieg als Offiziere gedient hatten und 1919 in den Auswrtigen Dienst eingetreten waren.

    Auf eine hnliche Laufbahn blickte Emil Schumburg zurck, dem im Referat Deutschland die Bearbeitung der Judenfrage bertragen wurde. 43Geboren 1898 als Sohn eines Generalarztes, hatte der 18-Jhrige das Notabitur erworben und sich anschlie-end zum Militrdienst gemeldet, aus dem er 1919 ausschied. Nach seinem Jurastudium, anschlieender Promotion und ver-schiedenen Auslandsaufenthalten war Schumburg zum 1. Januar 1926 als Attach in das Auswrtige Amt einberufen worden. 1928 hatte er die diplomatisch-konsularische Prfung absolviert und war anschlieend auf verschiedenen Posten im Ausland ver-wendet worden. 1939 bernahm Schumburg die Leitung des Re-ferats Deutschland, aus dem er ein Jahr spter ausschied.44

    Auch der zweite Judenreferent des Auswrtigen Amts, Franz Rademacher, war Jurist; 1906 als Arbeitersohn geboren, hatte er in der Brigade Ehrhardt gedient und war im Mrz 1928 als Ge-richtsreferendar in den Reichsdienst eingetreten. Zum Jahresende 1937 wurde Rademacher als Legationssekretr in das Auswrtige Amt bernommen und zunchst der deutschen Gesandtschaft in

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    Montevideo als Geschftstrger zugeteilt. 45 Schumburg und Ra-demacher gehrten, wie in gewisser Weise auch noch der 1937 einberufene Eberhard von Thadden, der 1943 den Posten des Judenreferenten antrat, zum Personal der ra Neurath.

    Auf dem Weg zur Endlsung der Judenfrage markiert B-lows Weisung vom 13. Mrz 1933, statistisches Material zum berproportionalen Vordringen der Juden im ffentlichen Le-ben Deutschlands zu sammeln, gewissermaen den Anfang. B-low-Schwante setzte den Auftrag des Staatssekretrs sogleich um. Am Rande der Reichstagssitzung vom 24. Mrz, auf der das Er-mchtigungsgesetz beschlossen wurde, bat er Propagandaminister Goebbels um Mithilfe. In einem sich rege entwickelnden Kontakt zwischen dem Deutschlandreferat und dem Propaganda- bezie-hungsweise Reichsinnenministerium wurden Rcksprachen zu Einzelfragen genommen und Statistiken und Traktate zusammen-gestellt. Die Mitarbeiter im Referat Deutschland entwickelten da-bei ein hohes Ma an Eigeninitiative, da sie das vorhandene Ma-terial fr recht drftig und fr die Zwecke der Auslandspropa-ganda nur teilweise verwendbar hielten.46 Am Ende stand dann das Gesellenstck des Deutschlandreferats, das von Blow und Neurath abgesegnet und auf den Tag genau drei Monate nach Hit-lers Machtbernahme an alle Auslandsmissionen verschickt wur-de.

    Mangels Kenntnis der einschlgigen Verhltnisse stehe das Ausland der Judenfrage in Deutschland beinahe verstndnislos gegenber, heit es am Anfang dieses Papiers. Es sei jedoch ei-ne Tatsache, dass seit 1918 das politische Leben, die Regie-rungsgewalt und das geistige Leben der Nation ganz auerordent-lich stark jdischen Einflssen ausgesetzt gewesen seien. Die jetzigen Vorgnge stellten nichts anderes dar als eine Reaktion gegen die seit 1918 erfolgte Entwicklung. Insbesondere die hohe Zahl von jdischen Abgeordneten und Parteifunktionren bei der sozialdemokratischen und kommunistischen Partei habe dafr gesorgt, der Judenschaft im allgemeinen eine ihr nach ih-

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    rem Verhltnis zur Bevlkerungszahl nicht zustehenden Einfluss im ffentlichen Leben, in der Regierung, der Justiz und der Ver-waltung zuzugestehen. Anhand von Zahlenmaterial wurde nicht nur nachzuweisen versucht, dass Juden in bestimmten Berufs-zweigen berreprsentiert seien, sondern auch, dass Juden als Verbrecher sowie als anstaltsbedrftige Geisteskranke eine statistische Signifikanz aufwiesen.47

    In einem weiteren informatorischen Runderlass wurde ein Jahr spter nachgelegt. Die auslndischen Juden sowie die deutschen jdischen Emigranten htten gegen das nationalso-zialistische Deutschland eine seit der Kriegspropaganda der Al-liierten nicht dagewesene Greuel-und Lgenhetze entfesselt. Diese Hetze fhrte schlielich zu einem Boykott deutscher War-en, gegen den sich Deutschland am 1. April 1933 zur Wehr ge-setzt habe. Dabei habe die nationalsozialistische Regierung ihre volle Autoritt unter Beweis gestellt, indem es ihr gelungen sei, den gegen das Judentum in den Revolutionstagen impulsiv aus-brechenden Volkszorn in geregelte Bahnen zu lenken. Seither habe die Judenfrage in Deutschland eine ruhige und stetige Entwicklung genommen, die schrittweise dem politischen Ziel nher komme: Ausschaltung des Judentums von ffentlichen mtern und Diensten bei grundstzlicher Aufrechterhaltung sei-ner wirtschaftlichen und sozialen Freizgigkeit. Trotz der jdi-schen Hetzpropaganda werde die Entjudung des ffentlichen Lebens in Deutschland auch weiterhin in festgelegten Bahnen erfolgen.48

    Solchen Runderlassen, die als Argumentationshilfe fr die Auslandsmissionen gedacht waren, gingen in der Regel umfng-liche Vorarbeiten voraus, die vom Referentenentwurf bis zur Pa-raphierung durch den Staatssekretr oder Minister verschiedene Etappen durchlaufen hatten. Dabei kamen mitunter kleine Meis-terwerke der Dialektik zustande. So war zwei Monate nach dem Aprilboykott in einem Informationserlass zu lesen, dass auch ruhig urteilende deutsche Juden den Tag des Judenboykotts

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    und die folgenden Manamen gegen die jdische berfremdung als Beweis groer Staatskunst ansehen wrden. Die voll-kommen disziplinierte Durchfhrung habe den aufgestauten antisemitischen Tendenzen ein Ventil geffnet. Damit sei der Druck stndiger Angst, was aus den antisemitischen Tendenzen einmal sich explosiv entladen knnte, von dem deutschen Juden-tum weggenommen worden.49

    Die antisemitische Propaganda, die das Auswrtige Amt zur Rechtfertigung der Unrechtspraxis nach auen entfaltete, war weder vom Propagandaministerium oder einer der Parteistellen inspiriert, noch gab es dafr irgendeine Notwendigkeit. Es sei denn die, dass man sich als Reichsbehrde in der Pflicht sah, Schaden abzuwenden. Hierbei ging man allerdings mit der gan-zen Professionalitt einer Traditionsbehrde vor, die sich nicht damit begngte, nur auszufhren, sondern auch begleiten und be-raten wollte. So empfahl Blow-Schwante dem Propagandami-nisterium, aus auenpolitischen Grnden unter allen Umstnden an der rigorosen Linie in der Judenfrage festzuhalten. Es drfe zu keinerlei Annherung an jdische Organisationen kommen. Auch wenn der Boykott deutscher Exporte zu wirtschaftlichen Nachteilen fhre, sei doch der auenpolitische Schaden noch viel grer, sollte auch nur die leiseste Bereitschaft Deutschlands erkennbar werden, mit jdischen Organisationen auch nur Fh-lung zu nehmen, denn dies wrde als Zeichen der Schwche ausgelegt werden. Die deutschen diplomatischen und konsulari-schen Behrden seien gehalten, auf entsprechende Sondierungen unter keinen Umstnden einzugehen.50

    Und nach diesem Grundsatz wurde verfahren. Im September 1934 etwa berichtete die Londoner Botschaft ber einen Sondie-rungsvorschlag eines prominenten jdischen Publizisten. Am An-fang solle eine offizielle deutsche Erklrung stehen, dass man-cher deutsche Brger jdischen Glaubens infolge der Missetaten seiner Glaubensgenossen, die den Anlass zu den gegen das Ju-dentum gerichteten Manahmen der Regierung geben, unberech-

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    tigterweise in Mitleidenschaft gezogen worden sei. Auerdem sei eine Formulierung gewnscht, dass in Zukunft diejenigen deutschen Staatsbrger jdisch