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In Kooperation mit Ärzte für das Leben e.V. und Treffen Christlicher Lebensrecht-Gruppen e.V. (TCLG) L EBENS F ORUM Zeitschrift der Aktion Lebensrecht für Alle e.V. (ALfA) Nr. 123 | 3. Quartal 2017 | ISSN 0945-4586 | Einzelpreis 4,– E B 42890 Ausland Streit um Tötung auf Verlangen In memoriam Erzbischof, Kardinal und Lebensrechtler Medizin Von Risiken und Nebenwirkungen Lasst die Hände vom Genom! CRISPR/Cas9

CRISPR/Cas9 Lasst die Hände vom Genom! - alfa-ev.de · L e b e n s F o r u m 1 2 3 3 EDITORIAL terschaft. Dringend debattiert und ge-regelt werden müs-sen die Möglichkei-ten der

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In Kooperation mit Ärzte für das Leben e.V. und Treffen Christlicher Lebensrecht-Gruppen e.V. (TCLG)

LEBENSFORUMZeitschrift der Aktion Lebensrecht für Alle e.V. (ALfA)

Nr. 123 | 3. Quartal 2017 | ISSN 0945-4586 | Einzelpreis 4,– E B 42890

AuslandStreit um Tötungauf Verlangen

In memoriamErzbischof, Kardinalund Lebensrechtler

MedizinVon Risiken undNebenwirkungen

Lasst die Hände vom Genom!

CRISPR/Cas9

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I N H A LT

LEBENSFORUM 123 EDITORIAL

Wir bleiben dran 3Alexandra Maria Linder

TITEL

Nach uns die Sintflut 4 Stefan Rehder

BIOETHIK-SPLITTER 8

AUSLAND

Drei Gründe 10 Sebastian Sander

Brüder der Sterbehilfe 12 Eckhardt Meister

NACHRUF

Gelegen oder ungelegen 14 Joachim Kardinal Meisner

Ein Nachruf in Zitaten 17

POLITIK

Hornberger Schießen 18Urs Rotthaus

MARSCH FÜR DAS LEBEN

Gänsehaut und Geschrei 20Stefan Rehder

Jeder hat das Recht auf Leben 22Bischof Dr. Rudolf Voderholzer

MEDIZIN

Von Risiken und Nebenwirkungen 24 Prof. Dr. med. Christoph von Ritter

DOKUMENTATION

Prävention statt Unterstützung 28

BÜCHERFORUM 30KURZ VOR SCHLUSS 32IMPRESSUM 35

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Das Embryonenschutzgesetzsteht wieder unter Beschuss.Dabei hat es Frauen vor vielenAuswüchsen der modernenReproduktionsmedizinzuverlässig bewahrt.

Selbst dem Deutschen Ethikrat geht das zu weit: Mit CRISPR/Cas9 drohen Forscher Fakten beim Eingriff in die menschliche Keimbahn zu schaffen.

Katholische Posse: Der belgische Ordenszweig eines katholischen Männerordens will »Tötung auf Verlangen« in seinen Kliniken nicht länger ausschließen.

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4 - 7

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E D I T O R I A L

terschaft. Dringend debattiert und ge-regelt werden müs-sen die Möglichkei-ten der genetischen Manipulation, die aktuell alte Heils-versprechen wieder aufleben lassen: Me-diziner, Techniker und Forscher wol-len es endlich schaf-fen, alle Krankhei-ten und Behinde-rungen zu beseitigen, indem sie das ent-sprechende kranke Gen reparieren oder ausschalten. Sie versprechen die Besei-tigung des Leids – meistens aber, siehe Präimplantationsdiagnostik oder nicht-invasive Pränataldiagnostik, enden die-se Versprechen eher in der Beseitigung der Leidenden.

Zum wiederholten Mal ist die Abtrei-bungsgesetzgebung in Chi-le hier Thema, leider mit schlechten Nachrichten – erneut hat ein Land ent-schieden, die Abtreibung in bestimmten Fällen zuzu-lassen. In Chile gibt es im Vergleich zu anderen Staa-

ten besonders viele minderjährige Mäd-chen, die aufgrund sexuellen Missbrauchs schwanger werden. Statt aber das Übel, nämlich den massenhaften Kindesmiss-brauch, an der Wurzel zu packen, bietet man den vergewaltigten Mädchen eine Abtreibung an. Diese frauenfeindliche Negierung des wahren Verbrechens wird die Lage der Mädchen nicht bessern, die Kinder opfern und die Täter schützen.

Auch am Ende des Lebens bleiben die Themen aktuell: Belgien zum Beispiel hat im Bereich der Euthanasie eine verhee-rende Bilanz und auch katholische Ein-richtungen bieten sie an.

Es geht weiter im Humankulturkampf und wir sind mittendrin. Bleiben wir en-gagiert dran.

Ihre

Alexandra Maria Linder M. A.Bundesvorsitzende der ALfA e. V.

Wir bleiben dranLiebe Leserin, lieber Leser!

Die Bundestagswahl ist vorbei, die Zu-sammensetzung des neuen Bundestags verspricht für die kommenden vier Jah-re mehr Opposition und mehr Debatte. Welche Parteien sich in der politischen Wirklichkeit zu bioethischen Themen wie positionieren, werden wir bald erleben: Der »Marsch für das Leben« am 16. Sep-tember, an dem 7.500 mutige, engagier-te Menschen teilgenommen haben, dar-unter viele junge Leute und viele Fami-lien, hat neun konkrete Forderungen an den neuen Bundestag gestellt. Sie kön-nen die Forderungen in diesem »Lebens-Forum« nachlesen, ebenso wie einen Bericht über die-se größte Lebensrechtsde-monstration in Deutschland. Die Predigt des Regensbur-ger Bischofs Prof. Dr. Ru-dolf Voderholzer beim ab-schließenden ökumenischen Gottesdienst drucken wir ebenfalls im Wortlaut ab.

Ein anderer unermüdlicher Kämpfer für das Lebensrecht aus dem kirchlichen Bereich ist im Sommer verstorben: Joa-chim Kardinal Meisner hat Predigten und Zitate hinterlassen, die wir nicht verges-sen sollten und in diesem Heft auszugs-weise als Vermächtnis dokumentieren. Requiescat in pace.

Im Wahlkampf 2017 waren weder Ab-treibung noch PraenaTest, Genmanipu-lation oder die Lücken in der Regelung des assistierten Suizids ein Thema. Das braucht uns nicht zu entmutigen, denn viele andere wichtige, die Menschen be-treffende und interessierende Themen kamen ebenso wenig vor. Man stritt sich lieber auf gesellschaftspolitisch weniger vermintem Gelände, zum Beispiel um Diesel oder Elektrofahrzeuge. Der neue Bundestag wird nichtsdestoweniger viel zu tun, zu diskutieren und zu entschei-den haben – auch in unserem Bereich. In der »Reproduktionsmedizin« geht es zum Beispiel um das Stichwort »Recht auf Kind« und folglich die eventuelle Zu-lassung von Eizellspende und Leihmut-

Neun Forderungenan den Bundestag

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Statt eines Nachrufs: »LebensForum« gedenktdes Lebensrechtlers und Alterzbischofs von Köln Joachim Kardinal Meisner.

Auf der Reichstagswiese und durch dasBrandenburger Tor: Impressionen vomdiesjährigen »Marsch für das Leben«

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D ie Einschläge kommen näher. Hatten bisher nur chinesische Forscher zweimal über Eingrif-

fe in die menschliche Keimbahn mittels CRISPR/Cas9 berichtet, so publizierten in diesem Sommer erstmals auch Wis-senschaftler aus den USA und Großbri-tannien die Ergebnisse von Experimen-ten, bei denen sie menschlichen Emb-ryonen mit den neuartigen molekularen Genscheren auf den Leib gerückt wa-ren. Auch in Schweden sollen Forscher längst mit den neuartigen Genscheren in

der Keimbahn von menschlichen Emb-ryonen experimentieren. Die Publikati-on ihrer Forschungsergebnisse steht noch aus und wird nicht nur in der »scienti-fic community« mit Spannung erwartet.

Das Besondere bei all dem: Anders als bei Methoden der somatischen Gen-therapie, mit der sich »lediglich« reife Körperzellen genetisch verändern las-sen, führen genetische Manipulationen der Keimbahn im Erfolgsfalle dazu, dass sich die dabei veränderten Gene später nicht nur in jeder Zelle des Körpers wie-

derfinden, sondern auch auf sämtliche nachkommenden Generationen vererbt werden. Anders formuliert: Während bei der somatischen Gentherapie ein Indivi-duum für die Dauer seiner Existenz ge-netisch verändert wird, sind Keimbahn-manipulationen dazu angetan, diese zu überdauern. Statt bloß zu einer geneti-schen Modifikation von Individuen füh-ren sie darüber hinaus zu einer Verände-rung des Genpools.

»Correction of a pathogenic gene mu-tation in human embyros« (dt.: Korrek-

Ende 2015 diskutierten Forscher noch über ein Moratorium für Eingriffe in die menschliche Keimbahn. Inzwischen erproben neben chinesischen auch US-amerikanische und europäische

Forscher munter die CRISPR/Cas9-Technologie in menschlichen Embryonen. Das geht selbst dem prinzipiell forschungsfreundlich eingestellten Deutschen Ethikrat zu weit.

Und das aus mehr als nur einem guten Grund.

Von Stefan Rehder

Nach uns die Sintflut

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tur einer pathogenen Genmutation in menschlichen Embryonen) lautet der für eine naturwissenschaftliche Publikation beinah schon triumphal anmutende Ti-tel, die das Wissenschaftsmagazin »Na-ture« Anfang August (doi: 10.1038/na-ture23305) veröffentlichte. In ihr berich-ten Wissenschaftler der Oregon Health and Science University in Portland, es sei ihnen mit Hilfe der CRISPR/Cas9-Tech-nologie erstmals gelungen, in 42 von 58 menschlichen Embryonen ein mutiertes Gen erfolgreich zu korrigieren.

Die Mutation, die auch als MYBPC3 bezeichnet wird, kann eine hypertrophe Kardiomyopathie auslösen. Eine solche einseitige Verdickung des Herzmuskels kann dessen Pumpleistung verringern und – im schlimmsten Fall – zu einem plötz-lichen Herzstillstand führen. Anders als die beiden Forscherteams aus China, de-ren Experimente noch als Fehlschläge be-trachtet werden konnten, weil die Gen-scheren den DNA-Doppelstrang in den Embryonen auch an zahlreichen anderen Stellen durchtrennten als an den von den Forschern gewünschten (Off-Target-Ef-fekt), brachten die Wissenschaftler der Arbeitsgruppe um den US-amerikani-schen Klonforscher Shoukhrat Mitali-pov die molekularen Genscheren statt in die Embryonen in noch unbefruchte-te Eizellen gesunder Spenderinnen ein. Erst dann befruchteten sie diese mit den Samenzellen von Spendern, die das mu-tierte Gen vererben, das die Forscher zu korrigieren trachten.

Mit anderen Worten: Das Team um Mitalipov erschuf also absichtlich mensch-liche Embryonen mit einem genetischen Defekt, um diesen anschließend zu behe-ben. Damit nicht genug: Am fünften Tag sezierten die Forscher die so manipulier-ten Embryonen. Dabei wollen sie fest-gestellt haben, dass die Genscheren den DNA-Strang exakt an der gewünschten

Stelle durchteilt hätten. Hatten die chi-nesischen Wissenschaftler noch feststel-len müssen, dass die Genscheren in den Embryonen ein wahres Schlachtfest ver-anstalteten und die DNA auch an zahl-reichen anderen Stellen zerteilten als an den beabsichtigten, so wollen die For-scher um Mitalipov keinen einzigen Off-Target-Effekt gefunden haben. Mehr noch: In rund drei Viertel der Embryo-

nen (72,4 %) soll die vererbbare Mutati-on anschließend in keiner einzigen Zel-le mehr nachweisbar gewesen sein. Um den »Fortschritt«, den die Forscher er-zielten, einigermaßen korrekt einschät-zen zu können, muss man wissen, dass die Wahrscheinlichkeit, dass ein Embryo das mutierte Gen erbt, bei diesem Humanex-periment ohnehin »nur« bei 50 Prozent lag. Statistisch gesehen hätte jeder zwei-te Embryo die Mutation auch ohne den Eingriff in die Keimbahn »vermieden«.

Doch auch der womöglich tatsächlich erzielte »Fortschritt« des Teams um Mita-lipov wird von anderen Wissenschaftlern inzwischen offen angezweifelt. Darunter

auch von solchen, die selbst mit CRIS-PR/Cas9 forschen, wie etwa der Geneti-ker George Church von der Harvard Me-dical School. Denn obwohl die Forscher um Mitalipov kurze DNA-Stränge als Vor-lagen für die Reparatur der durchtrenn-ten DNA in die Eizellen miteinbrachten, scheinen diese von den Zellen ignoriert worden zu sein. Jedenfalls fehlten bei al-len Embryonen, wie die Forscher in ih-rer Publikation berichten, diese spezifi-schen Sequenzen.

Woraus das Team um Mitalipov schloss, dass sich die Zellen für die Reparatur der DNA jeweils an dem nicht mutierten Gen der Eizellen orientiert und dieses – durch homologe Rekombination – ge-wissermaßen rekonfiguriert hätten. Ge-nau das jedoch ziehen Church und ande-re jetzt in Zweifel.

In dem Wirbel um die Publikation des Teams um Mitalipov, der inzwischen ange-kündigt hat, »auf die Kritikpunkte Punkt für Punkt« antworten zu wollen, sind die weniger spektakulären CRISPR/Cas9-Experimente, mit welchen Forscher um

Kathy Niakan vom Francis Crick Insti-tute in London menschlichen Embryo-nen auf den Leib rückten, beinah unter-gegangen. Auch bei diesen in der zwei-ten Septemberhälfte ebenfalls in »Na-ture« publizierten Versuchen handelt es sich letztlich um ein Humanexperiment, selbst wenn die Wissenschaftler für die-ses keine menschlichen Embryonen ei-gens erzeugten, sondern sich mit solchen »begnügten«, die ihnen Paare spende-ten, die sich einer künstlichen Befruch-tung unterzogen hatten.

Das Team um Niakan nutzte die Gen-scheren, um in den befruchteten Eizel-len ein Gen abzuschalten, welches für die Synthese des Proteins Oct4 verantwortlich gemacht wird (doi.10.1038/nature24033). Dabei fanden sie heraus, dass die Blocka-de der Proteinsynthese in den Embryo-nen die Aktivität einer Vielzahl anderer

Gene veränderte, die die Forscher für die Steuerung der Embryogenese verantwort-lich machen. Bei 30 der 37 Embryonen (81 %) kam diese ganz zum Stillstand. Wie die Forscher schreiben, erreichten diese Embryonen nicht einmal das Blas-tozystenstadium. Und auch bei den üb-rigen Embryonen verlief die Embryoge-nese nicht mehr in den bekannten Bah-nen. Selbst wenn es den Forschern um Niakan um nicht mehr als die Klärung der Bedeutung des Proteins Oct4 gegan-gen sein sollte, zeigt das Experiment vor allem zweierlei. Nämlich zunächst wie geradezu selbstverständlich inzwischen menschliche Embryonen für scheinbar »hochgradige« Forschungserkenntnis-se verbraucht werden. Und sodann, wel-che gravierenden Wechselwirkungen die Veränderung der Funktion eines einzel-nen Gens im menschlichen Organismus in Gang setzen kann.

Letzteres erfüllt inzwischen auch den Deutschen Ethikrat mit Sorge. Ende Sep-tember veröffentlichte das Gremium, das Bundesregierung und Parlament in bio-ethischen Fragen berät, eine sogenann-te Ad-hoc-Empfehlung. Das sechsseiti-ge und überraschenderweise sogar ein-stimmig verabschiedete Papier schlägt schon in der Überschrift Alarm: »Keim-bahneingriffe am menschlichen Embryo: Deutscher Ethikrat fordert globalen po-litischen Diskurs und internationale Re-gulierung«.

Shoukhrat Mitalipov

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»Am fünften Tag sezierten die Forscher die Embryonen.«

»Ethikrat sieht ›Interessen dergesamten Menschheit berührt‹.«

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Nach Ansicht des Expertengremi-ums, das keineswegs im Ruf steht, eine Versammlung von Lebensrechtlern zu sein oder gar die katholische Lehre von der Heiligkeit menschlichen Lebens zu propagieren, schreitet die Forschung auf dem Gebiet des sogenannten Genome-

Editings inzwischen »erheblich schneller« voran »als erwartet« und drohe »zumin-dest in einigen Staaten« Fakten zu schaf-fen. Und weil damit »nicht nur nationa-le, sondern auch Interessen der gesam-ten Menschheit berührt« würden, seien

nun sowohl eine »weitgespannte Diskus-sion« als auch eine »internationale Re-gulierung« notwendig.

Dem Deutschen Bundestag und der Bundesregierung empfiehlt der Rat denn auch »eindringlich«, in der kürzlich be-gonnenen Legislaturperiode »alsbald die Initiative zu ergreifen« und »das Thema möglicher Keimbahninterventionen beim Menschen auch und vor allem auf der Ebe-ne der Vereinten Nationen zu platzieren«.

Nach Ansicht des Ethikrats werfen »die technischen Möglichkeiten« des

sogenannten Genome-Editings »kom-plexe und grundlegende ethische Fra-gen« auf. Dies gelte vor allem dort, »wo sie eingesetzt werden, um Veränderun-gen der menschlichen Keimbahn vorzu-nehmen«. Ziel solcher Keimbahninter-ventionen sei es, menschliche Embryo-nen zu therapeutischen Zwecken gene-tisch zu verändern und auf diese Weise die Ursachen für Erkrankungen in allen Zellen des Körpers zu beseitigen. Da diese Veränderungen auch an potenziel-le Nachkommen weitergegeben würden, sei die Tragweite derartiger genetischer Manipulationen beim Menschen erheb-lich. Wörtlich heißt es dazu: »Sie kann im Moment nur erahnt werden und ent-zieht sich der Vorhersagekraft wissen-schaftlicher Untersuchungen.«

An anderer Stelle, wenn auch in der-selben Stellungnahme, schreiben die Ex-

perten unter Bezugnahme auf die von verschiedener Seite initiierten, letztlich aber vergeblichen Bemühungen, ein For- schungsmoratorium zu vereinbaren: »Aber mit dem klinischen Einsatz war in absehbarer Zukunft auch nicht zu rech-nen: Die Risiken erschienen als noch lang-fristig unbeherrschbar und die Erfolgs-chancen demgegenüber als zu gering.«

Mit anderen Worten: Der Ethikrat warnt vor Experimenten in der menschli-chen Keimbahn, die zumindest bislang gar nicht anders als nach dem Prinzip »Versuch

und Irrtum« ablaufen können. Und mehr noch: »Erstmals in der Wissenschaftsge-schichte sollen medizinische Maßnahmen entwickelt und gegebenenfalls eingesetzt werden, die nicht allein einen einwilli-gungsfähigen erwachsenen Patienten oder – und schon dies ist ethisch umstritten –

ein noch nicht einwilligungsfähiges gebo-renes oder ungeborenes Kind betreffen, sondern Generationen noch nicht gezeug-ter Nachkommen unbestimmter Zahl.«

Im Gegensatz zum reproduktiven Klo-nen sei beim Genome-Editing »durch die rasanten Entwicklungen der letzten zwei Jahre eine anwendungsnahe Situation ent-standen, die hinsichtlich ihrer potenziel-len Konsequenzen deutlich dringlicher erscheint.« Angesichts »realer Umset-zungsmöglichkeiten« müsse mittlerwei-le »darüber diskutiert und befunden wer-den, ob systematische, generationenüber-greifende Veränderungen des menschli-chen Genoms verboten oder zugelassen und, sofern sie grundsätzlich zugelassen würden, in welchem Maße sie mit Aufla-gen und Einschränkungen begrenzt wer-den müssen«, so der Rat weiter. »Wis-senschaftliche Forschung, deren Ergeb-nisse derart grundlegende Auswirkungen auf das menschliche Selbstverständnis ha-ben könnten«, müssten »gesellschaftlich eingebettet sein«. Sie seien daher weder eine »interne Angelegenheit der wissen-schaftlichen Gemeinschaft« noch die »ei-nes einzelnen Landes«. Und das nicht nur, »weil Forschung international ver-netzt ist, sondern auch, weil die Konse-quenzen solcher Forschungsaktivitäten alle Menschen betreffen«.

Deshalb müsse sich die »Wissenschafts-gemeinschaft ihrerseits um ergebnisoffe-

I N F O

CRISPR/Cas9CRISPR/Cas9 ist ein neuartiges molekulargenetisches Werkzeug, das sich seine Erfinderin-nen, die Französin Emmanuelle Charpentier und die US-Amerikanerin Jennifer Doudna, von Bakterien abgeschaut haben. Mit ihm verteidigen sich Bakterien gegen den Befall von Viren (genauer: Bakteriophagen), die mangels eines eigenen Stoffwechsels einen Wirt brauchen, um sich zu vermehren. Dazu »kapern« die Viren ein Bakterium, schleusen ihre DNA in die Wirtszelle ein und »zwingen« sie, statt der Bakterien- die Phagen-DNA zu replizieren. Doud-na und Charpentier fanden nicht nur heraus, dass die Bakterien, die einen solchen Angriff überlebten, kurze Fragmente der Phagen-DNA in ihre eigenen einbauten, sondern auch, wo. Der Einbau erfolgt jeweils zwischen Sequenzen, die japanische Forscher bereits Ende der 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts entdeckten und die sie CRISPR tauften.CRISPR ist ein Akronym und steht für »Clustered Regulary Interspaced Short Palindromic Re-peat«. Die Archivierung der dort abgelegten Phagen-DNA erlaubt es den Bakterien, einmal besiegte Angreifer im Falle eines neuen Angriffs wiederzuerkennen und ein Protein (Cas9) herzustellen, das die Phagen-DNA aus der eigenen herausschneidet.Die von Charpentier und Doudna nach diesem Vorbild entwickelten Genscheren nutzen ei-ne von Forschern programmierbare Guide-RNA, die genau der DNA-Abfolge der Zielsequenz entspricht. Wenn die Genschere diese Stelle gefunden hat, trennt das Protein Cas9 den DNA-Doppelstrang an dieser Stelle auf. Anschließend flicken die zelleigenen Reparaturme-chanismen die Enden wieder zusammen. Dabei können die Scheren nicht nur einzelne DNA-Bausteine ausschneiden, sondern auch austauschen oder neue einfügen. Weil mit CRISPR/Cas9 der genetische Code jedes Lebewesens wie in einem Textverarbeitungsprogramm kor-rigiert oder auch umgeschrieben werden kann und es zudem weitere Genscheren gibt, die nicht ganz so potent sind, spricht man hier auch gerne vom Genome-Editing.

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»Tragweite der Gen-Manipulationkann derzeit nur erahnt werden.«

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ne Gespräche mit allen relevanten Grup-pen der gesellschaftlichen Öffentlichkeit« bemühen. »Parallel dazu« könnten und müssten »die politischen Institutionen Wege finden und Verfahren einleiten, um die zahlreichen noch offenen Fragen und möglichen Konsequenzen systemati-scher Genom-Manipulationen durch Ge-nome-Editing intensiv, differenziert und vor allem weltweit zu erörtern und gebo-tene regulatorische Standards möglichst schnell und umfassend zu etablieren«.

Nach Ansicht des Ethikrats sind hier »unterschiedliche Formate denkbar«:

Sie reichen »von einer großen interna-tionalen Konferenz, die deutlich machen könnte, dass Genome-Editing zum Zwe-cke der therapeutisch motivierten Keim-bahnveränderung eine Frage von grund-sätzlich weltgesellschaftlicher und nicht nur wissenschaftlicher Bedeutung ist, über die Festlegung von global verbindlichen

Sicherheitsstandards bis hin zu mögli-chen Resolutionen oder völkerrechtli-chen Konventionen«. Dass ein solcher Prozess »mühsam und schwerfällig zu werden« verspreche, dürfe »angesichts der Wichtigkeit des Themas kein Vor-wand sein, solche Initiativen gar nicht erst zu ergreifen«.

Das klingt ein wenig hilflos und ist es wohl auch. Noch erschreckender als das Tempo, das die Forscher und ihre Finan-

ziers bei der Erforschung von Eingrif-fen in die menschliche Keimbahn an den Tag legen, ist jedoch etwas ganz anderes.

Denn selbst wenn die Forscher da-von überzeugt wären, ihre Forschungen könnten der Menschheit einmal bei der Bekämpfung von Krankheiten zugute-kommen, realistisch sind solche Szena-rien nicht. Denn weil sich menschliche Embryonen mittels Präimplantationsdi-agnostik (PID) längst auf genetische De-fekte untersuchen und die genetisch auf-fälligen selektieren lassen, wird sich in der Praxis niemand die Mühe machen, sie zu

»korrigieren«. Dies umso mehr, als die Überprüfung, ob die Genscheren die ih-nen zugedachte Arbeit auch korrekt er-ledigt haben, ohnehin die Durchführung einer PID erfordern würde.

Die Ökonomisierung der Medizin ist längst derart weit gediehen, dass heu-te niemand einen maximalen Einsatz an Zeit und Kraft aufwendet, wenn sich das-selbe Ergebnis – in diesem Fall, Eltern ein genetisch gesundes Kind zu verspre-chen – auch mit einem Minimum an bei-dem erreichen lässt.

Ökonomisch gesehen macht der Ein-satz von CRISPR/Cas9 beim Menschen, der das Ziel verfolgt, vererbbare Krank-heiten durch die Korrektur des geneti-schen Codes zu eliminieren, allenfalls bei Geborenen Sinn. Nach dem derzei-tigen Stand der Technik – und womög-lich für alle Zeit – verhindert dies jedoch das sogenannte »Off-Targeting«. Und bei Licht betrachtet hat auch das Team um Mitalipov das Problem, dass die mole-kularen Scheren das Erbgut auch an an-deren Stellen zertrennen als nur den ge-wünschten, keineswegs gelöst. Es hat es,

indem es die Genscheren erstmals nicht den Embryonen, sondern bereits den Ei-zellen vor deren Befruchtung injizierte, lediglich umgangen.

Wenn aber die Heilung von im Labor erzeugten Embryonen von genetischen Defekten unwirtschaftlich ist, eine rela-tive Sicherheit der Technologie aber nur in einem Stadium gegeben ist, in dem der Embryo erst aus wenigen Zellen besteht, dann ist auch klar, worin der mögliche Nutzen von CRISPR/Cas9 beim Men-schen allein bestehen könnte: Nämlich nicht in der Heilung von Menschen mit unerwünschten, sondern in der Labor-zeugung von Menschen mit gewünsch-ten Merkmalen.

Die »schöne neue Welt« lässt grüßen. Mag es für einen Abgesang auf den Men-

schen, der bislang bloß sein »Dasein« und nicht auch noch sein »Sosein« dem planerischen Willen anderer Menschen verdankt, derzeit auch noch zu früh sein. In den Köpfen vieler Molekularbiologen und der CEOs der Kinderwunschindus- trie finden sich derartige Szenarien längst implantiert. Und deshalb lautet die Frage inzwischen auch gar nicht, ob es einmal echte Designerbabys geben wird, son-dern nur noch: wann und wo?

Kathy Niakan

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I M P O R T R A I T

Stefan Rehder, M.A.Der Autor, geboren 1967, ist »Chef vom Dienst« der überregionalen, katholischen Tageszeitung »Die Tagespost«, Redakti-

onsleiter von »Le-bensForum« und Leiter der Rehder Medienagentur. Er studierte Ge-schichte, Germa-nistik und Philoso-

phie an den Universitäten Köln und München und hat mehrere bioethische Bücher verfasst, darunter »Grauzone Hirntod. Organspende verantworten« und »Die Todesengel. Euthanasie auf dem Vormarsch.« Sankt Ulrich Verlag, Augsburg 2010 bzw. 2009. Stefan Reh-der ist verheiratet und Vater von drei Kindern.

»Betroffen: Generation noch nichtgezeugter Nachkommen.«

»Mitalipov hat das Off-Targetingnicht gelöst, sondern umgangen.«

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B I O E T H I K - S P L I T T E R

Päpstliche Akademie für das Lebenmit neuer Agenda

Rom (ALfA). Der Präsident der Päpst-lichen Akademie für das Leben, Erzbi-schof Vincenzo Paglia, hat im Interview mit dem englischsprachigen Online-Ma-gazin »Cruxnow.com«, das der katholi-schen Laienvereinigung der Kolumbus-ritter nahe steht, die neue Agenda der

Päpstlichen Akademie erläutert. Dem-nach will Paglia, anders als von Kritikern unterstellt, nicht die Lehre der Kirche in Fragen des Lebensschutzes aufweichen, sondern künftig einen breiteren und um-fassenderen Zugang zu Fragen verfolgen, die den Lebensschutz betreffen.

Das bedeute nicht, dass man Kompro-misse in Fragen der Abtreibung und der Euthanasie machen müsse, betonte Pa-glia. Vielmehr stünden ethische Fragen, die das Leben betreffen, in engem Zu-sammenhang miteinander. Der Schutz des Lebens umfasse auch den Einsatz gegen die Todesstrafe und für den Um-weltschutz. »Ich kann nicht pro-life sein und die Atmosphäre vergiften. Ich kann nicht pro-life sein und die Alten weg-werfen. Ich kann nicht pro-life sein und mich für Genmanipulationen einsetzen, das ist gegen die Würde des Lebens. Ich kann nicht pro-life sein und eine Toch-ter im Reagenzglas erzeugen«, so Paglia.

In dem Interview vertritt der Erzbi-schof die Ansicht, die Kirche dürfe nicht allein von den Gefahren für das Leben sprechen, sondern müsse auch die Schön-heit des Lebendigen in seinen vielen As-pekten hervorheben. Dagegen hätten der

enge Fokus und der endlose Streit zwi-schen Mitgliedern der Päpstlichen Aka-demie für das Leben dazu geführt, dass die Akademie seit Jahren eine »selbstre-ferentielle« Kirche verkörpere, die ei-ne »Kultur der ideologischen Reinheit« und sogar »Fanatismus« erschaffen habe, was beides sowohl »unattraktiv« als auch »unwirksam« sei, um die Welt zu beein-flussen. Ohne Namen zu nennen, erklärte Paglia, es gebe »eine bestimmte Art, das Leben zu verteidigen, die es nicht vertei-digt.« Es reiche nicht, sich »in eine Fes-tung zurückzuziehen und dort die Flag-gen einiger Prinzipien zu hissen«.

US-Demokraten überdenken liberalePosition zur Abtreibung

Washington (ALfA). Die demokrati-sche Partei in den USA will ihre liberale Haltung zu vorgeburtlichen Kindstötun-gen überprüfen. Das berichtet das Kölner Domradio unter Berufung auf ein Tref-fen des Parteivorsitzenden der Demo-kraten, Tom Perez, mit der zur US-Le-bensrechtsbewegung gehörenden Partei-gruppierung »Democrats for Life«. Bei dem Treffen soll die Parteiführung ihre Bereitschaft signalisiert haben, ihre bis-herige Haltung zur Abtreibung kritisch zu hinterfragen. Demnach sind sich die Lebensschützer in den Reihen der De-mokraten und das Democratic National Committee (DNC) einig, dass die Partei die vergangenen Wahlen auch wegen ih-rer starren Haltung für eine liberale Ab-treibungspraxis verloren hat. Vor allem im Mittleren Westen und Süden des Landes habe dies die Demokraten, die nur noch in vier Bundesstaaten die Gouverneure stellen, Stimmen gekostet.

In der katholischen Online-Publikation »Crux« fordert das Vorstandsmitglied der »Democrats for Life«, Charles C. Camo-sy, zudem mehr Toleranz gegenüber Le-bensrechtlern innerhalb der Partei. Ca-mosy, Professor für Theologie und So-zialethik an der Fordham University in New York, schreibt in seinem Meinungs-beitrag, rund ein Drittel der Parteimit-glieder seien »Pro-life«-Demokraten. Tatsächlich aber werde das Meinungs-bild zur Abtreibungsfrage vom linken Flügel bestimmt, der die »Küstenstaa-ten« dominiere.

Die Abtreibungsposition der Demokra-ten habe die Partei vor allem dort Stim-

men gekostet, wo »Pro-life«-Demokra-ten Mandate hielten. Diese hätten sich damit angreifbar gemacht und ihre Äm-ter an republikanische Herausforderer verloren. Camosy empfiehlt den Demo-kraten insbesondere zu überdenken, ob sie weiterhin fundamentalistische Positi-onen im Stile der Abtreibungslobbygrup-pe NARAL (NARAL = National Aborti-on & Reproductive Rights Action League) vertreten wollten, die keinerlei Beschrän-kungen des Zugangs von Frauen zu Ab-treibungen dulden will.

England: Sieg für die Gewissensfreiheitvon Apothekern

London (ALfA). Nach Intervention christlicher Lebensrechtler hat das Gene-ral Pharmaceutical Council (GPhC), eine Behörde, die Apotheker im Vereinigten Königreich beaufsichtigt, die vorgesehene Änderung seiner Richtlinien korrigiert. Das berichtet das britische Internetpor-tal »Christian Concern«. Dem Bericht zufolge hätte die Änderung der Richt-linien Apotheker des Rechts auf Gewis-sensfreiheit beraubt.

Dem Internetportal des christlichen Radiosenders »Premier« zufolge bestä-tigte das GPhC jetzt, dass christliche Apotheker nicht gezwungen würden, Abtreibungspräparate gegen ihren Wil-len abzugeben. Zuvor hatte ein Kampa-gnenteam des »Christian Institute« dem GPhC glaubhaft vermittelt, es sei bereit, die durch den ursprünglichen Entwurf der Richtlinie gefährdete Glaubens- und Gewissensfreiheit auf dem Rechtsweg zu verteidigen.

Wie das GPhC erklärte, würden die neuen Richtlinien nun die Stellungnah-men berücksichtigen, die während des Konsultationsprozesses eingegangen sei-en. Wie der Leiter des Rechtsverteidi-gungsfonds des »Christian Institute« Sam Webster gegenüber dem Internetportal des Senders erklärte, danke das Institut dem GPhC dafür, dass es bereit gewesen sei, sich mit seinen Vertretern zu treffen und deren Forderungen zu diskutieren. Allerdings sei das Institut auch willens gewesen, die Angelegenheit erforderli-chenfalls bis zur letzten Instanz zu klä-ren, und hätte dies in der vorangegange-nen Rechtskorrespondenz, die mit den Anwälten des GPhC ausgetauscht wor-den sei, auch deutlich gemacht.

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Erzbischof Vincenzo Paglia

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Olympiasiegerin berichtet überAbtreibungen im Spitzensport

New York (ALfA). Die frühere US-Leichtathletin Sanya Richards-Ross, mehrfache Olympiasiegerin und Welt-meisterin, hat sich dazu bekannt, zwei Wochen vor den Olympischen Spielen in Peking 2008 ein ungeborenes Kind abgetrieben zu haben. Im Interview mit der Sendung »Now« erzählte Richards-Ross, die im vergangenen Jahr ihre sport-liche Karriere beendet hatte, dem Sen-der »Sports Illustrated TV«, dass der-gleichen im Spitzensport häufig vorkom-me. »Ich kenne keine einzige Leichtath-letin, die nicht abgetrieben hat«, sagte Richards-Ross. Sportlerinnen verzich-teten oft auf die Pille, weil sie fürchte-ten, dadurch Wasser einzulagern und so an Gewicht zuzunehmen. Außerdem sei unter Sportlerinnen der Mythos verbrei-tet, Spitzensportlerinnen könnten nicht

schwanger werden, weil ihr Zyklus we-gen des harten Trainings kürzer sei oder teilweise ganz aussetze, so die 32-Jähri-ge, die ihre damalige Entscheidung nach eigenen Worten heute bereut.

Familienministerium meldet 335»vertrauliche Geburten«

Berlin (ALfA). Seit Mai 2014 hat es in Deutschland 335 sogenannte »vertrauli-che Geburten« gegeben. Das teilte das Bundesministerium für Familie, Senio-ren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) Mit-te Juli in Berlin mit. Der Bericht, den zu-vor das Bundeskabinett beschlossen hatte, erfasst die Anzahl der vertraulichen Ge-burten bis September 2016. Das »Gesetz zum Ausbau der Hilfen und zur Regelung der vertraulichen Geburt« trat im Mai

2014 in Kraft. Es sichert Schwangeren eine anonyme Beratung sowie eine ano-nyme, medizinisch betreute Entbindung zu. Zugleich wird ein Nachweis hinter-

legt, der gewährleisten soll, dass das Kind ab dem 16. Lebensjahr den Namen sei-ner Mutter erfahren kann.

Bei den zuvor lediglich geduldeten an-onymen Geburten wurde das Recht des Kindes auf Kenntnis seiner Herkunft nicht berücksichtigt. Bei der nun gesetz-lich geregelten vertraulichen Geburt kön-nen Mütter ihre Anonymität nur noch in besonders begründeten Fällen wahren.

Laut dem BMFSFJ haben sich 60 Pro-zent der Frauen, die zu einer Beratung kamen, »für eine Lösung im Sinne des Kindes entschieden«. Bei 20 Prozent der Beratungen sei der Ausgang noch offen gewesen, acht Prozent hätten sich für ei-ne Abtreibung, vier Prozent für eine an-onyme Kindsabgabe in einer Babyklappe entschieden. Acht Prozent hätten keine Angaben gemacht. Rund 80 Prozent der Frauen zwischen 15 und 45 Jahren kennen den Angaben zufolge die Angebote aus den Schwangerschaftsberatungsstellen.

DSO: Erneut weniger OrganspendenFrankfurt (ALfA). Die Zahl der Or-

ganspenden in Deutschland sinkt wei-ter. Das berichtet die katholische Nach-richtenagentur KNA unter Berufung auf die Deutsche Stiftung Organtransplanta-tion (DSO). Danach spendeten im ers-ten Halbjahr 412 Menschen Organe. Das sei die geringste Zahl an Spendern in ei-nem Halbjahr, die jemals gemessen wur-de. Im Vergleichszeitraum des Vorjahres seien es 421 Spender gewesen, 2011 noch 575. Auch die Zahl der gespendeten Or-gane sei deutlich weiter gesunken und von 1.397 im ersten Halbjahr 2016 auf

jetzt 1.331 zurückgegangen. Die Zahl der transplantierten Organe sank im gleichen Zeitraum von 1.448 auf 1.410.

Exit will Abgabe von Suizidpräparaten fürLebensmüde prüfen

Zürich (ALfA). Die Schweizer Suizid-begleitungsorganisation Exit will auch le-bensmüden Menschen den Zugang zu Su-izidpräparaten ermöglichen. Das berich-tet die »Neue Züricher Zeitung« (NZZ). Demnach beschloss Exit auf seiner dies-jährigen Generalversammlung in Zürich, eine vereinsinterne Kommission einzu-richten, die Gutachten bei Ethikern und Juristen einholen und den Mitgliedern der Organisation im kommenden Jahr einen Maßnahmenkatalog präsentieren soll.

Bislang begleite Exit nur Menschen beim Suizid, die eine schwere Krankheit besäßen oder polymorbid seien, das heißt unter mehreren Altersgebrechen litten. Ob dies zutreffe, beurteile sowohl Exit als auch ein Arzt, der das Suizidpräparat verschreibe, so die Zeitung weiter. Be-gründet wurde die Errichtung der Kom-mission damit, es sei nicht länger hinzu-nehmen, dass ein Suizid nur mit ärzt-

licher Genehmigung möglich sei. Die heutigen Verhältnisse müssten im Sinne einer echten Selbstbestimmung liberali-siert werden. »Betagte und hochbetagte Menschen, die das Gesundheitssystem am Ende ihres Lebens nicht ausreizen oder 24 Stunden am Tag pflegebedürf-tig sein wollten«, benötigten »unbürokra-tische Hilfen«, gibt die NZZ den Tenor der Aussprache zu einem entsprechen-den Antrag wieder.

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Leichtathletin Sanya Richards-Ross

Rettet Leben: »Vertrauliche Geburt«

Ist therapierbar: Lebensmüdigkeit

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28 Jahre lang waren Abtreibun-gen in Chile ausnahmslos ver-boten. Nun ist damit bald

Schluss. Denn Mitte Dezember tritt in dem Andenstaat ein heftig umstrittenes Gesetz in Kraft, das vorgeburtliche Kinds- tötungen in drei Fällen für legal erklärt: in solchen, in denen der Fortgang der Schwangerschaft das Leben der Mut-ter gefährdet, in solchen, bei denen das Kind im Zuge einer Vergewaltigung ge-zeugt wurde, und in solchen, in denen Ärzte bei dem Kind eine schwere Schä-digung diagnostizieren, die sein Überle-ben außerhalb des Mutterleibes als un-wahrscheinlich erscheinen lässt.

In weltanschaulich neutralen Staaten ließe sich auch mit Lebensrechtlern über die ersten beiden dieser Ausnahmen dis-

kutieren. Denn bei Licht betrachtet darf der Staat von seinen Bürgern nur die Ein-haltung von Rechtspflichten verlangen. Religionsgemeinschaften hingegen dür-fen von ihren Mitgliedern auch die Beach-

tung von Tugendpflichten fordern. Zu-mal man in eine Religionsgemeinschaft – anders als in ein Gemeinwesen – in aller Regel auch nicht einfach hineingeboren wird und diese obendrein – ebenfalls in aller Regel – auch jederzeit wieder ver-

lassen kann. Wie auch immer: Ein Kind auszutragen, an dessen Zeugung die Mut-ter nicht willentlich beteiligt war, oder den Verlust des eigenen Lebens hinzu-nehmen, um das des Kindes zu sichern, ist zweifellos tugendhaft und insofern al-ler Unterstützung – auch der des Staates – wert. Aber es ist eben auch nichts, wo-rauf ein weltanschaulich neutraler Staat seine Bürger ohne Rückgriff auf das, was sich außerhalb seiner eigenen Sphäre be-findet – wie den Gedanken der Gottese-benbildlichkeit des Menschen –, ohne Weiteres verpflichten könnte.

Dass solche Debatten in der Praxis je-doch gar nicht zustande kommen, liegt nicht etwa daran, dass Lebensrechtler »Fundamentalisten« wären, sondern da-ran, dass Abtreibungsbefürworter Fäl-

»Es geht darum, ein Frauenrechtauf Abtreibung zu etablieren.«

In Chile ist das totale Abtreibungsverbot Geschichte. Mitte Dezember tritt in dem Andenstaat eine Teillegalisierung vorgeburtlicher Kindstötungen in Kraft, die sich auf drei klar umgrenzte

Szenarien beschränkt. Doch die Initiatoren der Gesetzesnovelle wollen viel mehr. Die sogenannten »Tres Causales« dienen ihnen dabei lediglich als »Türöffner«.

Von Sebastian Sander

Drei Gründe

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le wie die oben genannten lediglich als »Türöffner« auf dem Weg zur totalen Freigabe vorgeburtlicher Kindstötun-gen begreifen.

Auch Chiles sozialistische Präsidentin Michelle Bachelet, geboren 1951, macht da keine Ausnahme. Anfang 2015 brach-te sie einen Gesetzentwurf ins Parlament ein, der nach einigem Hin und Her erst im August 2017 die erforderlichen Mehr-heiten in beiden Kammern des Parla-ments fand.

Nachdem dann auch noch das chile-nische Verfassungsgericht mit sechs ge-gen vier Richterstimmen zwei Anfech-

tungsklagen abgelehnt hatte, mit denen die konservative Opposition die umstrit-tene Gesetzesnovelle noch auf den letz-ten Metern zu Fall zu bringen suchte, war der Weg frei. Bei der feierlichen Unter-zeichnung der umstrittenen Gesetzesno-velle erklärte die gelernte Medizinerin, die von 2006 bis 2010 als geschäftsfüh-rende Direktorin der Frauenorganisati-on der Vereinten Nationen »UN Wo-men« arbeitete: »Heute unterschreiben wir endlich das Gesetz, das das Recht je-der Frau, über ihren Körper und über ihre Schwangerschaft zu entscheiden, in drei ausgesprochen präzisen und menschlich schwierigen Fällen verankert.«

Ein Satz, den man ruhig zweimal lesen darf. Spätestens dann sieht man, dass das »Recht«, das Bachelet vorschwebt, sich keineswegs auf die genannten Fälle be-schränkt, sondern dort bloß »verankert« wird, also prinzipiell weit darüber hinaus-reicht. Auch dass Bachelet zwischen dem »Körper« einer Frau und einer »Schwan-gerschaft« unterscheidet, lohnt einer ge-naueren Betrachtung. Denn gemeint ist damit keineswegs, dass Frauen über ih-ren Körper entscheiden können müs-sen, sondern dass sie über »ihren Kör-per und ihre Schwangerschaft« entschei-den können sollen. Der Begriff »Schwan-gerschaft« wird hier als Synonym für das noch »ungeborene Kind« gebraucht. Ge-meint ist also, dass die (schwangere) Frau über dieses genauso wie über ihren Kör-per verfügen dürfe. Und zwar nicht bloß in den drei »ausgesprochen präzisen und menschlich schwierigen Fällen«, wo die-ses Recht jetzt lediglich erstmalig ver-ankert wird, sondern prinzipiell immer und überall.

Auch wenn die Novelle des Abtrei-bungsgesetzes in dem zurückliegenden, sich über mehrere Jahre hinziehenden Gesetz-gebungsverfahren anders beworben wurde, geben sich seine Befürworter eben gerade nicht damit zufrieden, Frauen von den als Unrecht betrachteten Bürden zu befrei-en, die ein totales Abtreibungsverbot ih-nen in wenigen, »menschlich schwierigen« Fällen zweifellos auflud. Es ging und geht darum, ein sogenanntes »Frauenrecht auf Abtreibung« zu etablieren.

Dafür spricht auch die Genese des Ge-setzes. An dessen Entwurf beteiligt war die Organisation MILES, die wiederum von »Catholics for a choice« unterstützt wird, einer Vereinigung, die sich in den Vereinigten Staaten von Amerika für ein »Recht auf Abtreibung« starkmacht und

die dort geltende, ungleich liberale Ab-treibungsgesetzgebung gegen Kritik von Bischöfen und Lebensrechtlern vertei-digt. MILES steht für »Tausende« und soll die Zahl der Unterstützer verdeutli-chen, die hinter der kleinen, schlagkräf-tigen Lobbyorganisation stünden. Und in der Tat: In dem katholisch geprägten Staat unterstützten Umfragen zufolge 70 Prozent der Befragten das Gesetz der »Tres Causales« – der »drei Gründe«.

Nur, dass deren Initiatoren eben viel weiterreichende Pläne haben: »Es han-delt sich um einen historischen Prozess,

der während der Militärdiktatur aufge-halten wurde. Aber heute haben wir eine Stimme, um zu kämpfen, und die Mög-lichkeit des Wandels, damit das Parlament endlich für uns spricht«, erklärt MILES-Mitarbeiterin Constanza Fernandez. MI-LES-Leiterin Claudia Dides wird sogar noch deutlicher: »Seit 25 Jahren wird ein negatives Image der Abtreibung konstru-iert und die Regierung hat nichts dagegen getan. In dieser Zeit haben konservative Gruppen dieses Image nicht nur in Chi-

le, sondern weltweit verbreitet. Das ist ein sehr starker Gegenangriff.«

Teile der Regierung wollen sogar noch weiter gehen. Wie die katholische Zei-tung »Die Tagespost« im Sommer dieses Jahres berichtete, wollte der progressive Flügel der Regierung Bachelet das Recht von Ärzten einschränken, die Mitwirkung an einer Abtreibung unter Berufung auf das Gewissen zu verweigern. Selbst das Universitätsklinikum der Päpstlichen Uni-versität, eines der größten Krankenhäu-ser des Landes, sollte verpflichtet wer-den, Abtreibungen vorzunehmen, wenn Patientinnen diese begehrten.

Vor diesem Hintergrund muss auch die Haltung der Katholischen Kirche in der Causa gesehen werden. Wie »Radio Va-tikan« berichtet, traf das Gesetz bei der chilenischen Bischofskonferenz auf hef-tige Kritik. So bezeichneten die katholi-schen Bischöfe Chiles das Vorhaben als eine »ungerechte Diskriminierung wehr-loser menschlicher Wesen, deren Leben der Staat garantieren und schützen soll-te«. Auch sei die Teillegalisierung der Ab-treibung keine »humanitäre Antwort auf die großen Dramen, die Frauen in Ext-remsituationen erleben«.

»Seit 25 Jahren wird ein negativesImage der Abtreibung konstruiert.«

»Keine humanitäre Antwort aufdie Dramen, die Frauen erleben.«

Präsidentin Michelle Bachelet unterzeichnet Chiles neue Abtreibungsgesetzgebung

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Man kann nicht aus Nächstenliebe töten. Was spontan so gut wie niemand bestreiten wird, trifft – wenn es um konkrete Interessen geht – nicht mehr überall auf Zustimmung. Dass aber

ausgerechnet einige katholische Ordensleute nach Schleichpfaden suchen und die »Tötung auf Verlangen« an den ordenseigenen Kliniken nicht mehr ausschließen wollen, ist vor

allem eines – nämlich dreist. Über ein katholisches Possenspiel.

Von Eckhardt Meister

Brüder der Sterbehilfe

Sie nennen sich »Broeders van Lief-de« (dt.: »Brüder der Nächsten-liebe«). Gegründet 1807 von dem

»Diener Gottes« Peter Joseph Triest im belgischen Gent, ist der Orden der Brü-der der Nächstenliebe heute in 31 Län-dern der Welt vertreten. Sein Wahlspruch »Deus caritas est« (dt.: »Gott ist die Lie-be«) flößt Vertrauen ein. Und das ist auch gut so. Denn zum spezifischen Charisma des katholischen Männerordens gehört die Pflege psychisch kranker Menschen. Nun aber hat der Orden ein Problem. Und zwar ein eklatantes. Der Grund: Der belgische Mutterzweig hat angekündigt, die in Belgien legale Tötung auf Verlan-gen in den von ihm betreuten Kliniken nicht länger auszuschließen. Genauer: Der dem belgischen Ordenszweig ange-schlossene Trägerverein »VZW Provin-cialaat der Broeders van Liefde«, der für die Brüder der Nächstenliebe in Belgien 15 Kliniken mit rund 5.500 Betten ver-waltet, will das nicht mehr.

In Belgien wurde die Tötung auf Ver-langen im Jahr 2002 legalisiert und in den vergangenen 15 Jahren mehrfach liberali-

siert. Galt die 2002 beschlossene Regelung ursprünglich praktisch »nur« für Kranken-hausärzte, so dürfen seit 2005 auch Haus-ärzte mit einem sogenannten »Euthana-sie-Kit« Patienten auf deren Verlangen tö-ten. Um dieses zu ermöglichen, wurden Apotheken in Belgien gesetzlich verpflich-tet, Päckchen mit Barbituraten vorzuhal-ten. Ein nachträglich eingefügter »Artikel 3bis« des belgischen Euthanasiegesetzes si-chert deshalb auch Apothekern Straflosig-keit zu. Er sieht vor, dass »ein Apotheker, der eine todbringende Substanz abgibt«, keine Straftat begeht, »wenn er dies auf der Grundlage einer Verschreibung tut, in der der Arzt ausdrücklich vermerkt, dass er in Übereinstimmung mit dem vorlie-genden Gesetz handelt«. Auch Jugendli-che und Demenz-Patienten können in-zwischen in Belgien ihre Tötung verlan-gen. Ärzte, die sich weigern, die tödliche Spitze zu setzen, sind gesetzlich verpflich-tet, Patienten, die sie darum ersuchen, an Kollegen zu überweisen, die ein elastische-res Gewissen besitzen.

Die Folgen sind bekannt: Von Jahr zu Jahr steigt die Zahl der Menschen, die sich

von Ärzten aus der Welt spritzen lassen. Allein 2015 starben in Belgien 2022 Men-schen durch die Tötung auf Verlangen. Die Dunkelziffer dürfte weit höher lie-gen und noch mindestens einmal so hoch sein. Sogar die belgische Kontrollkom-mission geht davon aus, dass ihr nur etwa jede zweite Tötung auf Verlangen auch gemeldet wird. Nach offiziellen Angaben wurden zwischen 2002 und 2015 offizi-ell insgesamt 12.726 Menschen auf Ver-langen getötet. Selbstverständlich stirbt auch heute noch die Mehrheit der Bel-gier eines natürlichen Todes. Und doch wird genau das immer schwieriger und zunehmend begründungspflichtig.

Dass die Tötung auf Verlangen heute als etwas Normales betrachtet wird, er-höht auch den Druck auf Krankenhäuser und Kliniken in katholischer Trägerschaft. Nicht nur, dass immer mehr Patienten da-nach fragen. Auch Mitarbeiter fürchten um ihren Arbeitsplatz, wenn solchen Pa-tienten die Tür gewiesen wird. Laut einer Studie aus dem Jahr 2006 lehnt in Flan-dern nur noch ein Fünftel der Einrich-tungen in katholischer Trägerschaft die

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gezielt herbeigeführte Beendigung des Lebens von Patienten kategorisch ab. In rund vier Fünftel der katholischen Ein-richtungen Flanderns erklärten hausin-terne ethische Richtlinien die Euthana-sie – wenn auch überwiegend in eng be-grenzten Ausnahmefällen – inzwischen für prinzipiell möglich.

Vor zwei Jahren schließlich sollen sich Patienten und Mitarbeiter an den »VZW Provincialaat der Broeders van Liefde« gewandt und eine Neuausrichtung der von dem Orden betreuten Kliniken ge-fordert haben. So jedenfalls begründet Raf de Rycke, Vorstandsvorsitzender des Trägervereins, die Ausarbeitung eines Positionspapiers, in dem die Tötung auf Verlangen für psychisch kranke Patien-ten nicht mehr ausgeschlossen wird. Er sei kein Fan oder Förderer der Tötung auf Verlangen. In Belgien habe es jedoch eine Entwicklung in dieser ethischen Fra-ge gegeben und darauf müsse seine Or-ganisation eine Antwort geben, lässt de Rycke sich zitieren.

Im April schließlich kündigte der belgi-sche Ordenszweig dann auf seiner Home-page an, die von ihm getragenen Klini-ken schlössen die Tötung auf Verlangen nicht mehr kategorisch aus. Trotzdem wolle man das Leben schützen und die Tötung auf Verlangen nur dann durch-führen, wenn es keine anderen Behand-lungsperspektiven mehr gebe, so die Or-densbrüder weiter.

Der Generalsuperior des Ordens, Re-ne Stockmann, kritisierte kurz darauf die Entscheidung des belgischen Zweigs. Es sei nicht akzeptabel, in Einrichtungen des Ordens Euthanasie durchzuführen, erklär-te der Ordensobere in Rom und kündig-te an, nun mit der Führung des Ordens im Vatikan und den belgischen Bischöfen über mögliche Konsequenzen zu beraten.

Sowohl die vatikanische Glaubens-kongregation als auch Stockmann for-derten von dem belgischen Ordenszweig und dem ihm angeschlossenen Verein die Rückkehr zur Lehre der Katholischen Kirche. Sollte sich der Verein stattdes-sen entschließen, die Tötung auf Ver-langen in den von ihm getragenen Kli-niken zu dulden, müsse sich der Orden von dem Verein trennen. »Das wäre sehr schlimm, weil 15 unserer psychiatrischen Krankenhäuser ihre katholische Identi-tät verlieren würden«, sagte Stockmann der in Paris editierten katholischen Zei-tung »La Croix«.

Im August meldete sich dann auch Papst Franziskus zu Wort und forderte die »Brüder der Nächstenliebe« auf, kei-ne Tötung auf Verlangen in den von dem Orden getragenen Kliniken mehr anzu-

bieten. Der Vatikan setzte den Ordens-brüdern eine Frist bis Ende August, bis zu der sie eine entsprechende Erklärung abzugeben hätten.

Um den Forderungen des Papstes zu genügen, müsste jedes Ordensmitglied im Vorstand des Vereins, der die Klini-ken betreibt, einen gemeinsamen Brief an den Ordensoberen unterzeichnen. In dem Schreiben sollten die Ordensbrü-der erklären, dass sie vollständig hinter der Lehre der Katholischen Kirche stün-den, die »zu jeder Zeit bekräftigt hat,

dass menschliches Leben unbedingt res-pektiert werden muss, von dem Moment der Empfängnis an bis zu seinem natür-lichen Ende«.

Ordensbrüder, die die Unterzeich-nung verweigerten, drohte der Vatikan mit kirchenrechtlichen Sanktionen. So-gar eine Aberkennung des Ordensstatus könne dann nicht mehr ausgeschlossen werden. »Die Zeiten von ›Roma locuta, causa finita‹ (dt.: ›Rom hat gesprochen, die Sache ist erledigt‹) sind lange vorbei«, twitterte daraufhin der frühere EU-Rats-präsident und ehemalige belgische Minis-terpräsident Herman van Rumpoy. Der Katholik sitzt ebenfalls im Vorstand des Vereins, der die Kliniken des belgischen Ordenszweigs verwaltet. Dem Vorstand des Vereins gehören elf Laien und drei Brüder des belgischen Ordenszweigs an.

Die Fronten sind verhärtet und ein Einlenken des belgischen Ordenszweigs und des die Kliniken tragenden Vereins nicht in Sicht. Im Gegenteil. Nachdem der Vatikan die von ihm gesetzte Frist bis zur nächsten Sitzung des Vereins-vorstands verlängerte, erklärte dieser, bei seiner Entscheidung bleiben zu wollen.

Mehr noch: Der Verein vertrat gar die Position, sich im Einklang mit der Leh-re der Katholischen Kirche zu befinden.

Die Begründung für diese steile The-se lautet in etwa so: Es sei guter katho-lischer Brauch, die kirchliche Lehre an die kulturellen Gegebenheiten anzupas-sen. Und da die Tötung auf Verlangen als Teil der belgischen Kultur angese-hen werden könne, sei das, was dem bel-gischen Zweig an seinen Kliniken vor-schwebe, gelebte Inkulturation der ka-tholischen Lehre.

Selbst für Nichtkatholiken ist das star-ker Tobak. Die Antwort des Generalsupe-riors ließ denn auch nicht lange auf sich warten. Er »schäme« sich für Position sei-ner belgischen Mitbrüder, ließ Stockmann wissen und zeigte sich »überrascht«, dass die Brüder glaubten, ihre Entscheidung lasse sich mit der katholischen Lehre ver-einbaren. Der absolute Respekt gegen-über menschlichem Leben sei ein »uni-versaler Wert«, der nicht »kulturspezi-fisch« abgetan werden könne. Der Vati-kan und die Generalverwaltung nähmen das Thema sehr ernst. Sie hätten sicher-zustellen, dass die Bezeichnung »katho-lisch« nicht erodiere oder missbräuch-lich verwendet werde. Die Kongregati-on habe dafür zu sorgen, dass das »Cha-risma der Nächstenliebe auch weiterhin auf wirklicher Barmherzigkeit begründet ist und sich nicht in eine Karikatur ver-wandelt«, so Stockmann.

Mit anderen Worten: Weder der Va-tikan noch die Ordenszentrale der »Brü-der der Nächstenliebe« in Rom ist gewillt, sich von dem belgischen Zweig und dem ihm angeschlossenen Verein auf der Na-se herumtanzen zu lassen.

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Liebe Schwestern, liebe Brüder!

1. Kurz nach dem letzten Weltkrieg schmerzten die Folgen des Krieges die Menschen noch zutiefst, und vielen war dabei überdeutlich geworden, wohin der Wahn von Ideologen und die Feigheit der Guten führen kann, jene Feigheit, von der der hl. Johannes Don Bosco sagt, dass sie die häufigste Ursache der bösen Taten ist. In dieser Zeit, 1949, verfasste der berühmte Theologe Romano Guar-dini eine kleine Schrift über das Recht des ungeborenen Menschenlebens. Es lohnt sich, diese Schrift – leider – ange-sichts der Debatte um die Präimplanta-tionsdiagnostik/PID heute wieder erneut zur Kenntnis zu nehmen. Im Abschnitt mit dem Titel »Der entscheidende Ge-sichtspunkt« schreibt Romano Guardini: »Die endgültige Antwort liegt im Hin-weis auf die Tatsache, dass das heranrei-fende Leben ein Mensch ist. Den Men-schen aber darf man nicht töten, es sei denn in der Notwehr (...) und der Grund dafür liegt in der Würde seiner Person.« Mit anderen Worten: Der Mensch entwi-ckelt sich nicht zum Menschen, sondern als Mensch, weil er Person ist. Denn, so Guardini weiter: »Nicht deshalb ist der Mensch unantastbar, weil er lebt und da-her ein Recht auf Leben hat. Ein solches Recht hätte auch das Tier, denn das lebt ebenfalls (...) Sondern das Leben des Men-schen darf nicht angetastet werden, weil er Person ist.« Dann definiert Guardini diesen Begriff der Person und fügt hin-zu: »Sie ist nicht psychologischer, son-dern existentieller Natur. Grundsätzlich hängt sie weder am Alter, noch am kör-perlich-seelischen Zustand, noch an der Begabung, sondern an der geistigen Seele, die in jedem Menschen ist. Die Persona-

lität kann unbewusst sein wie beim Schla-fenden; trotzdem ist sie da und muss ge-achtet werden. Sie kann unentfaltet sein wie beim Kinde; trotzdem beansprucht sie bereits den sittlichen Schutz. Es ist sogar möglich, dass sie überhaupt nicht in den Akt tritt, weil die physisch-psychischen Voraussetzungen dafür fehlen wie beim Geisteskranken ... Dadurch aber unter-scheidet sich der gesittete Mensch vom Barbaren, dass er sie auch in dieser Ver-hüllung achtet. So kann sie auch verbor-gen sein wie beim Embryo, ist aber in ihm

bereits angelegt und hat ihr Recht. Die-se Personalität gibt dem Menschen seine Würde (...). Die Achtung vor dem Men-schen als Person gehört zu den Forde-rungen, die nicht diskutiert werden dür-fen. Wird sie, die Würde, in Frage ge-stellt, gleitet alles in die Barbarei.« (Ro-mano Guardini, Das Recht des werden-den Menschenlebens. Zur Diskussion um den § 218 des Strafgesetzbuches, aus der vom Presseamt des Erzbistums Köln he-rausgegebenen Reihe »Zeitfragen« Heft 9, Seite 11f., Köln 1981).

2. Liebe Schwestern, liebe Brüder, dar-an hat sich bis heute nichts geändert, auch nicht im Zeitalter des medizinischen und biotechnischen Fortschritts. Im Gegenteil, diese Errungenschaften können auch vom Heil ins Unheil, in die Barbarei kippen. Es gibt keine Würde zum Verramschen, zum Menschenschlussverkauf. Denn die-se Würde wurzelt in dem Faktum, dass

der Mensch von Gott erschaffen ist nach seinem Ebenbild. Im Ebenbild – verges-sen wir das nicht! – ist Gott als Urbild ge-genwärtig. Deshalb, so heißt es im Buch der Weisheit, betrachtet der Kreator sein Geschöpf auch »mit großer Ehrfurcht«, denn er erkennt sich selbst im Menschen. Wer Hand an den Menschen legt, in wel-cher Phase seiner biologischen Entwick-lung auch immer, trifft Gott. Das ahnen gottlob auch viele Zeitgenossen, wie die letzten Diskussionen über die PID zeigen. Auch die Bundeskanzlerin hat sich ja für ein striktes Verbot der Präimplantations-diagnostik ausgesprochen. Hier gibt es keinen Mittelweg, keinen Kompromiss. Der Mensch in seiner Würde ist von dem Moment an da, wo die Eizelle befruchtet ist. Ab diesem Moment ist nicht nur neu-es Leben vorhanden, das sich als Mensch entwickelt. Ab diesem Moment stehen wir vor einer neuen genetischen Identität, d. h. einem einzigartigen neuen Ebenbild Got-tes. Und niemand hat das Recht, hier ei-ne Auswahl zu treffen, weil ihm die Ver-hüllung dieser Identität nicht passt. PID zieht immer Selektion und Tötung nach sich. Wer PID zulässt, sagt Nein zum Le-ben und damit Nein zum Schöpfer und damit Nein zu Gott selbst. Dieses Nein aber bedingt gleichsam lawinenartig eine weitere Lockerung des Lebensschutzes: Der Präsident der Bundesärztekammer, Hoppe, geht jetzt davon aus, dass auch der Bundestag 2011 für eine bedingte Zu-lassung von PID stimmen wird. Gleich-zeitig erklärte Hoppe, auch das ärztliche Berufsrecht sollte in dem Sinne geändert werden, dass eine assistierte Selbsttötung durch Ärzte nicht mehr strafrechtlich ver-folgt wird.

Warum treffen sich denn viele verant-wortungsbewusste und bedrückte Chris-

»Liebe akzeptiert den Menschen,seine Person, so wie sie ist.«

Der am 5. Juli 2017 verstorbene Joachim Kardinal Meisner war nicht nur ein großer Mann Gottes und der Kirche, sondern auch ein leidenschaftlicher Streiter für den Schutz menschlichen Lebens – von dessen Anfang bis zu dessen natürlichem Tod. In Dankbarkeit für das immerwährende Interesse des

Kardinals an Lebensrechtsthemen und seines großen Einsatzes für eben diese, dokumentiert »LebensForum« eine Predigt Meisners, die dieser am Fest der Unschuldigen Kinder im

Hohen Dom zu Köln am 28. Dezember 2010 gehalten hat und die exemplarisch den Stellenwert verdeutlicht, den der frühere Erzbischof von Köln dem Lebensschutz stets beimaß.

Von Joachim Kardinal Meisner

Gelegen oder ungelegen

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ten gerade am Fest der Unschuldigen Kin-der, um ihre Stimme besonders für das Leben und die ungeborenen Kinder zu erheben? Sie sehen mit Recht, dass auch Herodes damals eine Selektion vorge-nommen hat: »Er ließ in Bethlehem und der ganzen Umgebung alle Knaben bis zum Alter von zwei Jahren töten, genau der Zeit entsprechend, die er von den Sterndeutern erfahren hatte« (Mt 2,16). So haben wir es soeben im Evangelium bei Matthäus 2,16 gehört. Die Kriteri-en des Herodes waren: Ort, Alter, Ge-schlecht, Stand der Forschung. Die Be-fürworter der PID haben auch ihre Kri-

terien, und sie machen sich auch den Stand der Forschung zunutze. Gewiss, es ist politisch unkorrekt, diesen Vergleich zu ziehen, weil die Befürworter von PID um ihre Entscheidung gerungen haben. Aber bei allem Ringen: Diese Entschei-dung ist falsch! Sie tötet genetische Iden-titäten, sie tötet die Einzigartigkeit die-ser Identitäten, sie tötet Personen, Men-schen, sie tötet Abbilder Gottes, sie ver-greift sich an Gott selbst.

3. Die Befürworter der PID verwei-sen oftmals auf die absurde Situation, dass ein künstlich gezeugtes Kind spä-ter doch noch abgetrieben werden kann, wenn während der Schwangerschaft ge-sundheitliche Schäden festgestellt werden können. Was in der Petrischale verboten sein soll, ist aber im Mutterleib möglich, so wird argumentiert. Das ist in der Tat absurd. Hier liegt die Absurdität der gan-zen gesetzlichen Abtreibungsproblema-tik. Das kann aber niemals ein Argument für die PID sein, denn hier wird der ei-ne Tötungszeitpunkt gegen den anderen ins Feld geführt. Wahr ist einzig und al-lein: Der Mensch darf ab dem Zeitpunkt seiner Zeugung niemals getötet werden.

Hier kommen die Befürworter der PID und sagen: Bei der PID sterbe ein etwa 150 Mikrometer großer Embryo vor der Ein-nistung. Den könne man mit bloßem Auge gar nicht sehen. Kann man denn die See-le des Menschen sehen? Kann man seine Würde sehen? Kann man seine Persona-lität sehen? Dann kommen sie und sagen: Euer beinhartes PID-Verbot ist herzlos, ihr versteht die Gefühle der Betroffenen nicht, ihr seid intolerant. Geht es hier um Gefühle oder Leben? Geht es um Gefüh-le oder Wahrheit? Sicher ist: Es geht bei diesem Thema nicht vorrangig um Ge-fühle. Es geht zuerst um den Logos, um

die Vernunft. »Der christli-che Glaube ist die Option für die Priorität der Vernunft«, schrieb der heutige Papst Be-nedikt XVI. vor zehn Jahren in einem Buch über »Glau-be, Wahrheit, Toleranz«. Es ist keine Toleranz, eine Per-son aus Angst töten zu lassen.

Das fleischgewordene Wort, das ist der Mensch, ist mehr wert als Gefüh-le. Wer seine Vernunft ge-braucht und glaubt, der kann auch Ängste überwinden, der kann auch Hoffnung le-ben. Das schmerzliche The-ma PID zeigt einmal wie-der: Es gibt bei Gott kei-ne halben Sachen. Das gilt

auch für sein Abbild. Gott wird Mensch, damit der Mensch wie Gott werde. Das ist das Thema zu Weihnachten. Es kann nicht göttlich sein, zu töten. Es kann nicht göttlich sein, zu selektieren. Es kann nicht göttlich sein, Angst triumphieren zu las-sen. Es kann nicht göttlich sein, die Grö-ße des Menschen auf ein Design zu redu-zieren, auf ein Modell nach Maß unserer begrenzten Vorstellungen, nach dem Maß des Misstrauens gegenüber dem Leben. Und es kann nicht göttlich sein, das Le-ben nach dem Markt auszurichten, nach Angebot und Nachfrage.

4. Das gilt auch für größere Lebensfra-gen. Man entschließt sich nicht, ein Kind zu bekommen, sondern »schafft« es sich an. Und das möglichst spät. Natürlich ist der Mensch frei, diese Entscheidung nach seinen persönlichen Umständen zu tref-fen. Aber die Selbstverständlichkeit, mit der eine Liebesbeziehung auch diese Ge-danken verfolgte, ist mit der Schwächung der christlichen Substanz in der Gesell-schaft verloren gegangen. Sicher stellte man sich früher auch die Frage, was ein Kind kostet. Aber die Frage lautete eher: »Wie schaffen wir es?« Und in dieser Fra-

ge ist das Beziehungsdreieck Mutter-Va-ter-Kind schon enthalten. Heute lautet die Frage eher: »Was bringt es? Was kos-tet es? Sollen wir überhaupt eins haben?« Und darin schwingt die Abwägung Kind-Konsum-Optionsverlust mit. Wer kleine Kinder hat, kann nicht mehr so ohne wei-teres auf Partys, in die Oper, ins Theater, auf den Markt der Freizeitgesellschaft zie-hen. Dass die Beziehung zu einem Men-schen auch Leid mit sich bringen kann, spielt in der generativen Überlegung in-sofern noch eine Rolle, dass man dieses Leid ausklammern will, selbst um den Preis des Lebens. Das Preis-Leistungs-Verhält-nis und das Kosten-Nutzen-Denken ha-ben den Faktor Kind objektiviert. Beson-ders deutlich wird das bei der PID-De-batte und – nebenbei bemerkt – auch bei der Scheidung, wenn die Besuchs-, Sor-ge- oder Umgangsrechte mit dem Kind wie Claimrechte abgesteckt, eingeschränkt oder gar verboten werden.

5. Liebe Schwestern, liebe Brüder, merken wir, wie sehr dieses Marktden-ken von heute bei uns in Fleisch und Blut übergegangen ist? Zuerst wird die Ange-botslage gesichtet, bevor man sich fest-legt. Früher war die Beziehung zu Per-sonen ausschlaggebend, heute ist es der »Konsum- und Freizeitwert«, manch-mal auch nur der persönliche Nutzen für die Karriere. Hier offenbart sich ein Verlust an Menschlichkeit. Unmerklich hat sich dieses optionale Denken auch in die Unfähigkeit eingeschlichen, klare Aussagen zu treffen, zum Beispiel »Ja« zu sagen zum Leben, so wie es kommt, so wie Gott es schickt. Das Schicksal ist kein Schlag, den der Christ nicht ertragen könnte. Natürlich, eine Gesellschaft, die permanent nach Konsens und Kompro-missen sucht, ist das nicht mehr gewohnt.

Gesundheit ist gewiss ein hohes Gut, das höchste Gut des Menschen ist sie nicht. Das höchste Gut ist die Beziehung zu Gott, die Liebesfähigkeit. Sie bringt schließlich das wirkliche Glück, die Erfüllung. Das kann man bei vielen Familien sehen, die ein behindertes Kind in ihrer Mitte haben. Liebe ist stärker als Leid, Liebe selektiert nicht, Liebe akzeptiert den ganzen Men-schen, seine Person, so wie sie ist. Einen Menschen annehmen und lieben, schrieb Dostojewskij, heißt, ihn so zu sehen, wie Gott ihn gemeint hat. Nicht wie wir ihn wollen, nicht wie der Mensch ihn sich zu-rechtbasteln will. Deshalb ist das Nein zur PID nicht nur ein Nein zur Anmaßung des Menschen, das Ebenbild Gottes nach sei-nem Bild zu schaffen. Es ist ganz beson-ders ein Ja zur Schöpfung, ein Ja zur Lie-be. Dazu sind wir da und berufen. Amen.

Joachim Kardinal Meisner (25.12.1933-5.7.2017)

DPA

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»Wenn eine Frau eine Abtreibung er-wägt, dann besteht eine Not zweier Men-schen: eine Not der Frau und eine Not des in ihr wachsenden Kindes. Die Kirche wird niemals dafür plädieren, die Not eines die-ser beiden Menschen zu vermehren, aber sie muss darauf hinweisen, dass die Nö-te sich qualitativ in einem ganz entschei-denden Punkt unterscheiden: Das Kind ist in jedem Fall in Lebensgefahr. Nicht aus Missachtung für Frauen in Not, sondern aus dem allgemeinen menschlichen Prin-zip, da zu helfen, wo die Not am größten ist, richtet daher die Kirche zunächst den Blick auf dieses in Lebensgefahr befindliche unschuldige Kind. Und wenn überhaupt über ›schonende Abtreibungsmethoden‹ geredet werden kann, dann muss die Kir-che also zunächst nach der Wirkung auf das Kind fragen. Dabei ist zuzugestehen, dass es bei der Tötung von Menschen Me-thoden unterschiedlichen Grausamkeits-grades gibt, aber es ist klar, dass der Aus-druck ›schonend‹ in jedem Fall zynisch ist. Es gibt nämlich für das Kind keine wirk-lich schonende Methode, denn der Effekt jeder beliebigen Abtreibungsmethode ist die Vernichtung des Kindes.«

»Man hat in der Abtreibungsdiskus-sion der siebziger Jahre stets bestritten, dass die Aufgabe des prinzipiellen Le-bensschutzes am Anfang des Lebens kon-sequenterweise auch Folgen für den Le-bensschutz am Ende des Lebens haben wird. Der Kirche, die schon damals auf diese Gefahren hingewiesen hat, wurde die Beschwörung von Horrorszenarien vor-geworfen. Heute sind unsere schlimms-ten Befürchtungen bereits übertroffen. In den Niederlanden, die schon bei der Frei-gabe von Abtreibungen die zunehmen-de Einschränkung der Menschenrechte für Niederländer demagogisch als ›Fort-schrittlichkeit‹ deklariert haben, werden inzwischen mehrere tausend Menschen jedes Jahr ohne eigene Zustimmung nach dem Beschluss von ›Kommissionen‹ ge-

gebenenfalls unter Zuziehung von Ange-hörigen totgespritzt. Die in anderen Län-dern viel weiter fortgeschrittene moderne Schmerzmedizin führt hier ein Schatten-dasein, da man Schmerzen am sichersten durch Tötung ›vermeiden‹ kann. Dieser Zynismus ist kaum mehr zu überbieten.«

»Ich habe den Weg, den die deutschen Bischöfe nach der Neufassung der Abtrei-bungsgesetze 1993 bzw. 1995 mehrheit-

lich beschritten haben, von Anfang an als problematisch angesehen. Im Hinblick auf die Einheit der Kirche in Deutschland und die Chance, schwangeren Frauen in Not- und Konfliktsituationen wirksam beiste-hen zu können, war ich jedoch bereit, eine Mitwirkung in der gesetzlichen Schwan-gerschaftskonfliktberatung zu erproben. Unsere Richtlinien, die hierzu 1995 von der Bischofskonferenz erlassen wurden, waren bewusst nur als ›vorläufige Richt-linien‹ gekennzeichnet. Denn wir waren uns von Anfang an klar darüber, dass die Grundfrage, ob die Kirche überhaupt im System der staatlichen Beratung bleiben

könnte, noch zu klären bliebe – und dass dies nicht ohne die Hilfe des Papstes ging. Weil das in den Medien oft nicht klar he-rausgestellt wird, will ich hier noch ein-mal darauf hinweisen: Es waren also die deutschen Bischöfe, die im Gespräch mit dem Heiligen Stuhl nach einer endgülti-gen Lösung gesucht haben.«

»Es ist doch skandalös, wenn in unse-rer Gesellschaft immer mehr Menschen von einem ›Recht auf Abtreibung‹ spre-chen, nur weil die ,rechtswidrige Abtrei-bung’ nach dem Willen des Gesetzgebers unter bestimmten Bedingungen ›straffrei‹ bleiben soll. Hier muss die Kirche doch ein sichtbares Zeichen für die gesamte Gesell-schaft setzen. Und genau das tut sie jetzt. Unsere Beratung soll nicht länger inner-halb eines gesetzlichen Systems bleiben, in dem sie als Bedingung für die straffreie Tötung ungeborener Kinder wirkt.«

»Man kann aber auch hoffen, dass der himmelschreiende Kontrast zwischen der Sensibilität für die Umwelt und der Gleich-gültigkeit gegenüber dem Lebensrecht von unerwünschten Menschen irgendwann so schrill wird, dass die Menschen wie-der nachdenklich werden. Das geschieht manchmal schon heute. So hat die Partei Bündnis 90/Die Grünen in der Diskus-sion über den sogenannten Hirntod und auch über die sogenannte Bioethik-Kon-vention respektable Positionen bezogen. Der Embryonenschutz wird sehr ernst ge-nommen. Manche Politiker dieser Partei bemerken bereits den Widerspruch zwi-schen der strikten Ablehnung jeder Ma-nipulation des Embryos und der wider-spruchslosen Akzeptanz der größtmög-lichen Manipulation des Embryos, näm-lich seiner Tötung. Wir Christen müssen das Tabu, über Abtreibung zu reden, so lange brechen, bis solche Widersprüche nicht mehr übersehen werden können.«

N A C H R U F

Statt eines klassischen Nachrufes dokumentiert »LebensForum« einen solchen in Zitaten, die demvergriffenen Buch »Mit dem Herzen sehen – Chance und Auftrag der Kirche zu Beginn des dritten

Jahrtausends« (MM-Verlag, Aachen 1999) entnommen sind. In dem Interviewbuch antwortete Joachim Kardinal Meisner auf Fragen, die ihm der Journalist und Publizist Stefan Rehder stellte.

Ein Nachruf in Zitaten

Joachim Kardinal Meisner =

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Die Bundesregierung hat ihren »Siebten Erfahrungsbericht über die Durchführung des Stamm-

zellgesetzes« (Bundestagsdrucksache 18/12761) vorgelegt. Der 40-seitige Be-richt umfasst den Zeitraum vom 1. Ja-nuar 2014 bis zum 31. Dezember 2015. Demnach hat die beim Robert-Koch-In-stitut angesiedelte Zentrale Ethik-Kom-mission für Stammzellforschung (ZES) in den Jahren 2014/2015 ganze 17 neue An-träge auf den Import humaner embryo-naler Stammzellen (hES-Zellen) geneh-migt. Damit steigt die Zahl der deutschen Forschern genehmigten Importe embry-onaler Stammzelllinien seit dem Inkraft-treten des umstrittenen Gesetzes im Jahr 2002 auf 105. In 19 weiteren Fällen hät-ten Forscher, so der Bericht weiter, eine Ausweitung bereits erteilter Genehmi-gungen beantragt.

Laut dem 2002 verabschiedeten Stammzellgesetz ist die Forschung mit embryonalen Stammzellen in Deutschland grundsätzlich verboten. In als Ausnahmen deklarierten Fällen können Forscher in Deutschland jedoch den Import im Aus-land gewonnener embryonaler Stamm-zellen beantragen. Über die Bewilligung der Anträge entscheidet jeweils die ZES. Seit 2002 gibt es allerdings keinen ein-zigen dokumentierten Fall, in dem For-schern der Import embryonaler Stamm-zellen verweigert wurde.

hES-Zellen werden aus menschlichen Embryonen gewonnen, die ursprünglich für künstliche Befruchtungen erzeugt wur-den, dann aber für eine solche aus unter-schiedlichen Gründen nicht mehr benö-tigt wurden.

Seit der Ermöglichung der Präimplan-tationsdiagnostik (PID) steigt die Zahl solcher »verwaisten« Embryonen auch in Deutschland an. Der Grund: Für die erfolgreiche Durchführung einer PID, bei der ein im Labor erzeugter Embryo

noch vor dem Transfer in die Gebärmut-ter auf genetische Auffälligkeiten unter-sucht wird, wird international die Erzeu-gung von sieben bis zwölf Embryonen für erforderlich erachtet.

Ursprünglich wurde in Deutschland nach der sogenannten »Dreierregel« ver-fahren. Nach dieser durften bei künstli-chen Befruchtungen maximal drei Em-bryonen erzeugt werden. Damit sollte verhindert werden, dass durch künstli-che Befruchtungen eine Vielzahl »über-zähliger Embryonen« entsteht.

Die Forschung mit humanen embryo-nalen Stammzellen ist ethisch hoch um-stritten. Der Grund hier: Bei der Ent-nahme der embryonalen Stammzellen

wird der Embryo zerstört. Weil das in Deutschland seit 1991 geltende Embry-onenschutzgesetz (ESchG) jede Verwen-dung von Embryonen verbietet, die nicht ihrem Erhalt dienen, sollte das Stamm-zellgesetz Wissenschaftlern die Forschung mit embryonalen Stammzellen ermög-lichen, ohne dass dafür in Deutschland Embryonen getötet werden.

Wie in »LebensForum« berichtet, wol-len Wissenschaftler um den Rechtsmedi-ziner Jochen Taupitz das jedoch ändern. Sie fordern, dass verwaiste Embryonen, die ursprünglich zu reproduktiven Zwe-cken erzeugt wurden, künftig der For-schung zur Verfügung gestellt werden können. Dafür müsste das ESchG geän-dert werden. Das schreibt nämlich in Pa-ragraf 2, Absatz 1 unter der Überschrift »Missbräuchliche Verwendung mensch-licher Embryonen« vor: »Wer einen ext-

rakorporal erzeugten oder einer Frau vor Abschluss seiner Einnistung in der Ge-bärmutter entnommenen menschlichen Embryo veräußert oder zu einem nicht seiner Erhaltung dienenden Zweck ab-gibt, erwirbt oder verwendet, wird mit

Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.«

Laut dem Stammzellgesetz müssen die mit dem Import embryonaler Stammzel-len verfolgten Forschungsziele »hochran-gig« sein. Auch darf sich der angestrebte Erkenntnisgewinn nicht anders als durch die Forschung mit embryonalen Stamm-zellen erzielen lassen. Ferner müssen die zu klärenden Fragestellungen zuvor im Tierversuch vorgeklärt worden sein.

Laut dem Bericht der Bundesregie-rung arbeiten in Deutschland derzeit 75 Arbeitsgruppen in 53 Forschungseinrich-

Lange ist es her. Um die Jahrtausendwende galten die aus menschlichen Embryonen gewonnenen embryonalen Stammzellen als der »heilige Gral« der regenerativen Medizin. Ein aus dem Boden ge-

stampftes Stammzellgesetz sollte sicherstellen, dass deutsche Forscher von den vermeintlichen Segnungen profitieren können, ohne selbst Embryonen töten zu müssen. In diesem Jahr hat die

Bundesregierung ihren siebten Erfahrungsbericht über die Durchführung dieses Gesetzes vorgelegt.

Von Urs Rotthaus

Hornberger Schießen

P O L I T I K

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»17 neue Anträge auf den Importembryonaler Stammzellen.«

James A. Thomson

L e b e n s F o r u m 1 2 3 19

tungen mit aus dem Ausland importier-ten hES-Zellen. Weltweit sollen nach An-gaben des Human Pluripotent Stem Cell Registry derzeit mehr als 3.000 Zelllini-en aus humanen embryonalen Stamm-zellen verfügbar sein.

Interessanterweise hält der aktuelle Erfahrungsbericht der Bundesregierung über die Durchführung des Stammzell-gesetzes hierzu jedoch fest: »Etwas im Gegensatz zu diesem Anstieg an verfüg-baren neuen hES-Zellen lässt sich aller-dings weiterhin eine Fokussierung der in-ternationalen Forschung auf eine über-schaubare Anzahl von Standard- bzw. Referenz-hES-Zelllinien beobachten« (S.17). Ursache hierfür könnte sein, dass

sich noch »keine substantiell neuen Be-dingungen zur Ableitung und zur weite-ren Kultivierung von hES-Zellen durch-gesetzt haben und daher die Verwendung von gut charakterisierten Linien nahelie-gend erscheint«. Dieser Trend zeige sich »auch bei der Forschung an hES-Zellen in Deutschland. So wurden in allen 17 während des aktuellen Berichtszeitrau-mes (2014/2015) genehmigten Anträ-gen nach dem Stammzellgesetz auch je-weils die Einfuhr und Verwendung eini-ger der ersten von James Thomson eta-blierten hES-Zellen genehmigt.« Dem US-Stammzellforscher gelang es 1998 als Erstem, embryonale Stammzellen des Menschen dauerhaft im Labor zu kultivieren.

Zur Erinnerung: In der Debatte im Vorfeld der Änderung des ohnehin um-strittenen Stammzellgesetzes im Früh-jahr 2008 war die vom Deutschen Bun-destag mehrheitlich beschlossene Verle-gung des Stichtags vom 1. Januar 2002 auf den 1. Mai 2007 unter anderem mit der mangelnden Qualität der bis dahin etablierten embryonalen Stammzelllini-en begründet worden.

Aber mit der Wahrheit nahm man es in der Stammzelldebatte ohnehin nicht sonderlich genau. Von den damals noch als »Alleskönnern« gehandelten Zellty-pen erwartete zum Beispiel Thomson ei-ne »unbegrenzte Versorgung mit spezifi-schen Zelltypen zu Transplantationszwe-cken für eine ganze Reihe von Erkran-kungen, vom Herzinfarkt über Morbus Parkinson bis zur Leukämie«. Und der Bonner Stammzellforscher Oliver Brüst-

le, der als Erster in Deutschland mit die-sen Zellen zu arbeiten begann (weshalb das Stammzellgesetz von manchen auch »Lex Brüstle« genannt wird), versprach damals »Nervenzellen für Parkinson-Patienten, Herzmuskulatur für Infarkt-opfer, insulinbildende Zellen für Diabe-tiker und blutbildende Zellen für Leuk-ämiekranke«.

Bis heute gibt es keine einzige Thera-pie mit embryonalen Stammzellen. Das Einzige, wozu die aus menschlichen Em-bryonen gewonnenen Zellen bisher tat-sächlich taugen, ist ein Substitut: Als Testsysteme für Wirkstoffe von Medi-kamenten helfen embryonale Stammzel-

len heute Pharmafirmen dabei, die Kos-ten für die vergleichsweise teuren Tier-versuche zu drücken.

Verschwiegen wurden dagegen, dass humane embryonale Stammzellen ein bis zu 100-prozentiges Risiko besitzen, zu Tu-moren zu entarten. »Alle embryonalen Stammzellen bilden Tumore aus, wenn sie im undifferenzierten Zustand in ein ande-res Umfeld als das der frühen Embryonal-entwicklung verpflanzt werden. Daher ist an eine aus diesen Zellen hergestellte Kul-

tur die Bedingung absoluter Reinheit zu stellen, die bislang noch in keinem Ansatz (...) sicher« erreicht wurde, schrieb Gisela Badura-Lotter bereits 2005.

Ein Problem, das, wie auch der aktuelle Erfahrungsbericht der Bundesregierung zeigt, auch zehn Jahre später noch nicht zufriedenstellend gelöst werden konn-te. Was die Autoren des Berichts jedoch

nicht daran hindert, bereits die nächste bioethische Sau durchs Dorf zu treiben: »Angesichts der im Berichtszeitraum ent-standenen Verfügbarkeit sehr effektiver Werkzeuge zur genetischen Manipula-tion von Zellen in vitro (insbesondere CRISPR/Cas) ist die genetische Verän-derung von hES-Zellen mit deutlich ge-ringerem Aufwand verbunden, als dies in der Vergangenheit der Fall war. Aus die-sen Arbeiten werden neue Erkenntnisse über Veränderungen erwartet, die bei der jeweiligen Erkrankung auf molekularer und zellulärer Ebene auftreten, was zu einem besseren Verständnis der Patho-geneseprozesse und ggf. zu neuen The-rapieansätzen« für Erkrankungen führen könne, die »derzeit nur inadäquat« be-handelbar seien.

Die derzeit nur inadäquate Behand-lung von beispielsweise degenerativen Krankheiten wie Alzheimer, Parkinson und dergleichen mehr führte um die Jahr-tausendwende zu einer fiebrigen Gold-gräberstimmung. Nicht nur, aber auch in Deutschland. Gelernt scheint man dar-aus noch nicht zu haben.

DPA

»Deutsche Forscher importiertendie ältesten Stammzelllinien.«

»Auch nach 15 Jahren gibt es keineeinzige Therapie mit hES-Zellen«

So wandlungsfähig wie eine Stammzelle: Oliver Brüstle

L e b e n s F o r u m 1 2 320

G änsehaut« habe er gehabt, erzählt Sebastian, als die Teilnehmer des diesjährigen »Marsches für das

Leben« das Gelände vor dem Berliner Reichstag wieder verlassen. Der 38-Jäh-rige ist zum fünften Mal beim Marsch da-bei. Auf der Bühne vor dem Reichstagsge-bäude hat die Band »Gnadensohn« gerade ihren Song »Silber und Gold« intoniert. Der eingezäunte Bereich, den die Polizei den Marschteilnehmern zu ihrem Schutz auf der Wiese vor dem Reichstag zuge-

wiesen hat, ist bereits zu gut Dreiviertel gefüllt. Ein Stück Niemandsland trennt den eingezäunten Bereich von der offe-nen Wiese. Dort skandieren einige Ge-gendemonstranten lautstark: »My body, my choice. Raise your voice!« (»Mein Körper, meine Wahl. Erhebt Eure Stim-me!«) oder »Wir sind die Perversen! Wir sind Euch auf den Fersen!« Die Band »Gnadensohn« singt derweil: »Ich bin Licht auf Deinem Weg/ Die Schulter,

an der Du lehnst/ Bei mir darfst Du ein-fach sein/ So ohne Plan, nur Du allein/ Wenn Du fällst, bin ich da/ Bist Du fern, bin ich nah/ Ich teile Deinen Schmerz/ denn ich seh Dein Herz.«

Die Gegendemonstranten erhöhen ih-re Lautstärke. Dann verstummen sie völ-lig unvermittelt. Die Band singt: »Lass mich Deinen Herzschlag spüren/ und Deine Worte hören/ Du bist Liebe und Licht/ Du bist alles für mich/ Zeig mir Deine Welt/ denn ich hab Dich gewählt/

Du bist Silber und Gold/ Du bist abso-lut gewollt.« »Ich weiß nicht«, sagt Se-bastian, »ob die verstanden haben, dass sie mitgemeint waren. Aber für mich war das ein Gänsehaut-Moment.«

»Wir sind eine Provokation. Aber wir lassen uns nicht provozieren«, lautet die Devise, die Hartmut Steeb, Generalsekre-tär der Evangelischen Allianz und Stell-vertretender Vorsitzender des Bundesver-bands Lebensrecht (BVL), ausgibt, bevor

sich der Marsch, der in diesem Jahr unter dem Motto: »Die Schwächsten schützen. Ja, zu jedem Kind« steht, am Ende der Kundgebung in Bewegung setzt und auf die Scheidemannstraße Richtung Doro-theenstraße einbiegt.

Die Route, die die Lebensrechtler nehmen, ist nicht einmal dem Veranstal-ter bekannt. Sie wurde, heißt es, diesmal geheim gehalten, um auch den Gegende-monstranten, die in diesem Jahr deutlich stärker vertreten sind als noch in vergan-genen, die Störung des Marsches nicht zu einfach zu machen. 850 Beamte, ei-nige davon in zivil, wurden nach An-gaben der Polizei aufgeboten, um den Marsch zu schützen. Trotzdem gelingt es einer Handvoll Gegendemonstran-ten, die sich mit bürgerlicher Kleidung getarnt und unter die Marschteilnehmer gemischt haben, in der Dorotheenstra-ße, kurz vor der Kreuzung Wilhelmstra-ße, einer Teilnehmerin ein weißes Holz-kreuz zu entreißen. Sofort ist ein Trupp Polizisten zur Stelle, kreist die chancen-losen Gegendemonstranten ein, drängt sie auf den Bürgersteig und stellt sie an der Gebäudewand. Die ganze Unterneh-mung dauert nur wenige Sekunden und läuft so geordnet und so sachlich ab, dass an Eskalation nicht einmal zu denken ist.

Nach Angaben des BVL nahmen an diesem Marsch, wie im vergangenen Jahr, erneut 7.500 Menschen teil. »So vie-le junge Menschen«, meint ein aus dem Rheinland angereister Familienvater, der »zum ersten Mal« dabei ist und strahlt. »Und so viele junge Priester«, ergänzt seine Frau. Und in der Tat: Der Anteil beider Personengruppen ist ebenso auf-fällig gestiegen wie eine neue Personen-gruppe hinzugekommen ist: Menschen mit offensichtlichem Migrationshinter-grund. An der Kreuzung Friedrichstra-ße biegt der Marsch, angeführt von der BVL-Vorsitzenden Alexandra Linder, rechts ab auf die Prachtallee Unter den Linden und nimmt Kurs auf das Branden-burger Tor. Der scheidende Bundestags-präsident Norbert Lammert (CDU) hat

Auf der Wiese vor dem Reichstag und durch das Brandenburger Tor – Impressionen vom diesjährigen »Marsch für das Leben« in Berlin

Von Stefan Rehder

Gänsehaut und Geschrei

M A R S C H F Ü R D A S L E B E N

Berlin 2017: Erneut nahmen 7.500 Menschen am »Marsch für das Leben« teil

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den Lebensrechtlern ein Grußwort ge-schickt. Gleiches gilt für Bundestagsvize-präsident Johannes Singhammer (CSU), Bundeslandwirtschaftsminister Christi-an Schmidt (CSU), Unionsfraktionschef Volker Kauder sowie die CDU-Bundes-tagsabgeordneten Wolfgang Bosbach, Ma-rie-Luise Dött, Franz Josef Jung, Hubert Hüppe, Volkmar Klein, Philipp Lengs-feld, Patrick Sensburg und Marian Wendt.

Viele Lebensrechtler registrieren sehr aufmerksam, wer in Politik und Kir-che den »Marsch für das Leben« un-terstützt. Dass neben Papst Franziskus auch der Vorsitzende der Deutschen Bi-schofskonferenz Reinhard Kardinal Marx und ZDK-Präsident Thomas Sternberg sich mit den Anliegen der Lebensrecht-ler öffentlich solidarisieren, tut vielen sichtbar gut. Mit viel Applaus wird das Grußwort von Berlins Erzbischof Hei-ner Koch bedacht, das von Weihbischof Matthias Heinrich verlesen wird und in dem Koch den Lebensrechtlern beschei-nigt, »völlig zu Unrecht« in »die rechte Ecke« gestellt zu werden.

Mit Spannung verfolgen viele Jahr für Jahr, welche Bischöfe an dem »Marsch für das Leben« teilnehmen. Dass der Re-gensburger Bischof Rudolf Voderholzer, der beim Ökumenischen Abschlussgottes-dienst auf der Wiese vor dem Reichstag die Predigt hielt, schon zum dritten Mal in Folge zum Marsch nach Berlin gekommen ist, wird mit Hochachtung kommentiert. Auch die Anwesenheit der Weihbischöfe

Hubert Berenbrinker (Paderborn), Mat-thias Heinrich (Berlin) und Florian Wör-ner (Augsburg) sind Gesprächsthemen.

Auch dass der Berliner Diözesanrat nicht zur Teilnahme an dem Marsch auf-rufen wollte, ist Thema und hat viele ver-

ärgert. »Ich fühle mich von denen nicht vertreten«, sagt ein Berliner Arzt und Ka-tholik. An der Liebfrauenschule, einem Berliner Gymnasium in katholischer Trä-gerschaft, sei sogar vor der Teilnahme am

»Marsch für das Leben« gewarnt worden, berichten Teilnehmer. Wegen »rechter Elemente« solle man daran besser nicht teilnehmen, habe es geheißen.

Applaus brandet auf, als Voderhol-zer in seiner Predigt »aus ganzem Her-

zen allen Polizisten und Polizistinnen« dankt. »Sie haben uns beschützt und so-mit das staatsbürgerliche Recht auf freie Meinungsäußerung verteidigt«, so Vo-derholzer weiter. »Das lautstarke Ge-schrei und die Obszönität des Protestes, der uns entgegenschlägt«, sei »ein un-trüglicher Beweis dafür, dass wir etwas Wichtiges zu sagen, etwas Notwendiges zu vertreten, etwas Heiliges zu schützen haben«. Dabei könnten sich Christen nicht nur auf die »Position ihres Glau-bens« stützen, sondern auch auf das Na-turrecht und die Philosophie, betonte Vo-derholzer. Der Regensburger Oberhirte lobte, dass Menschen mit Behinderun-gen »noch nie so viel Fürsorge« erhiel-ten wie heute. Bei ungeborenen Kindern gebe es jedoch eine »unbarmherzige und gnadenlose Selektion«. So würden heute neun von zehn Embryonen mit Down-Syndrom abgetrieben. Zugleich mahnte er, beim Schutz des Lebens auch für die Menschen einzutreten, »die sich nach ei-ner lebenswerten Heimat sehnen«.

Der Vorsitzende der Deutschen Evan-gelischen Allianz, Ekkehart Vetter, der dem Gottesdienst vorstand, betonte eben-falls unter dem Applaus, dass das Enga-gement für das Leben unteilbar sei und auch verfolgte und geflüchtete Menschen umfassen müsse. Von »rechten Elemen-ten« auch hier keine Spur.

Bei vielen erregte der laute und obszöne Protest der Gegendemonstranten Mitleid

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9 Forderungen an den neuen BundestagBei der diesjährigen Kundgebung verabschiedeten die Teilnehmer des »Marsches für das Leben« die folgenden Forderungen an den neu gewählten Deutschen Bun-destag:

1. Seien Sie familienfreundlich: Unterstützen Sie Eltern, die ein Kind erwarten, statt Abtrei-bung aus Steuergeldern zu finanzieren!

2. Seien Sie gerecht: Das Recht jedes Menschen auf Leben ist grundlegend – ein »Recht auf Abtreibung« gibt es nicht!

3. Starten Sie eine Bildungsoffensive: Alle sollen wissen, dass der Mensch von der Zeugung an einmalig ist und Menschenwürde hat!

4. Fördern Sie das Recht von Schwangeren auf Information: Kostenlose Ultraschallbilder schon bei Feststellung der Schwangerschaft!

5. Seien Sie ehrlich: Analysieren Sie die hohen Abtreibungszahlen und ziehen Sie die Konse-quenzen, um Kinder und Mütter zu schützen!

6. Handeln Sie inklusiv: Gentests an Embryonen (NIPD) sind nur zulässig, wenn sie dem Le-ben und der Gesundheit von Mutter und Kind dienen!

7. Bewahren Sie das Embryonenschutzgesetz: Verbieten Sie Genmanipulationen und »repro-duktive« Verfahren wie PID, Eizellspende und Leihmutterschaft!

8. Respektieren Sie das Gewissen: Keine Ausgrenzung von Menschen, die in medizinischen Berufen tätig sind und sich nicht an Abtreibung und assistiertem Suizid beteiligen!

9. Achten Sie Alte und Kranke: Weiten Sie die palliative Versorgung für Menschen am Le-bensende aus, statt den assistierten Suizid straffrei zuzulassen!

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W ir sind am Ende unseres Mar-sches durch die Berliner In-nenstadt angekommen und

zwar beim Höhepunkt, nämlich der ge-meinsamen Gottesdienstfeier. Wir hö-ren gemeinsam auf Gottes Wort und mit Psalmen, Hymnen und Liedern loben und preisen wir den Schöpfer und Erlö-ser. Lassen Sie mich zunächst Ihnen allen ein herzliches bayerisches »Grüß Gott« sagen und ein herzliches »Vergelt’s Gott«, dass Sie in so großer Zahl nach Berlin ge-kommen sind, um dem Lebensrecht auch der Schwächsten eine Stimme zu verlei-hen. Danke aus ganzem Herzen auch an alle Polizistinnen und Polizisten, die uns beschützt und somit das staatsbürgerli-che Recht auf freie Meinungsäußerung verteidigt haben. Danke auch dafür, dass wir durch das Brandenburger Tor ziehen durften. Das Anliegen, das uns verbin-det, entspricht diesem Symbol der Frei-heit und der Einheit des deutschen Vol-kes. Das lautstarke Geschrei und die Ob-szönität des Protestes, der uns entgegen-schlägt, ist ein untrüglicher Beweis dafür, dass wir etwas Wichtiges zu sagen, etwas Notwendiges zu vertreten, etwas Heili-ges zu schützen haben.

Für mich ist dieser ökumenisch ge-tragene Marsch für das Leben ein gro-ßes ökumenisches Hoffnungszeichen, ein Stück schon verwirklichter, sichtba-rer Einheit der Kirche, besonders in die-sem Jahr des 500-jährigen Reformations-gedenkens. Danke für dieses ökumenisch ermutigende Zeichen.

Gerne greifen wir die Bitte unserer Schweizer Freunde auf, mit Ihnen zu beten für das Leben. Ja, wir sind gekom-men, um zu beten für Frauen in schwie-rigen Entscheidungssituationen, dass sie die richtigen Ratgeber bekommen, um zu beten für Familien, die sich materiell und ideell schwertun zu überleben, um zu be-ten für die Beraterinnen, um zu beten für die Frauen, die unter einem Post-Aborti-

on-Syndrom leiden, wovon nur wenig ge-sprochen wird, um zu beten für alle, die heimatlos sind, kein Dach über dem Kopf haben und sich sehnen nach einer lebens-werten Heimat und um zu beten für alle, die Dienst in den Hospizen und auf den Palliativstationen tun, um Menschen einen lebenswürdigen Lebensabend zu schen-

ken, damit sie nicht durch die Hand an-derer, sondern gehalten von der Hand an-derer den letzten Weg antreten können.

Wenn wir zusammen gekommen sind, um zu beten und Gottes Wort zu hören, dann dürfen wir uns ruhig zuerst bewusst machen, dass uns nicht erst Gottes Wort und unser christlicher Glaube verpflich-ten, die Stimme zu erheben für das Le-ben, insbesondere für die Schwächsten in unserer Gesellschaft, sondern erst schon einmal die Vernunft und das natürliche Sittengesetz, das uns als Handlungsregel

nahelegt, mit anderen so umzugehen, wie wir selbst es für uns wünschten: die Golde-ne Regel. Darüber hinaus hat das Grund-gesetz unseres Landes – unter dem Ein-druck der Folgen einer menschenverach-tenden Ideologie – im ersten Artikel fest-gehalten: »Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schüt-

zen ist Verpflichtung der staatlichen Ge-walt.« In Artikel 2 heißt es: »Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unver-sehrtheit. Die Freiheit der Person ist un-verletzlich.« (Grundgesetz der Bundesre-publik Deutschland)

Diese Rechte gelten für das Leben je-der menschlichen Person vom ersten Au-genblick der Empfängnis bis zu ihrem letzten Atemzug, unabhängig davon, ob die betreffende Person den ästhetischen, ökonomischen oder sonstigen Erwartun-gen und Vorstellungen anderer oder der

Nachfolgend veröffentlichen wir die Predigt, die der Regensburger Bischof, Prof. Dr. Rudolf Voderholzer, am 16. September beim diesjährigen »Marsch für das Leben« in Berlin während des ökumenischen Abschlussgottesdienstes gehalten hat. Bei dem Text handelt sich um eine sprachlich

leicht überarbeitete und im biblischen Teil erweiterte Fassung, die die Pressestelle der Diözese Regensburg »LebensForum« zur Verfügung gestellt hat.

Von Bischof Dr. Rudolf Voderholzer

Jeder hat das Recht auf Leben

M A R S C H F Ü R D A S L E B E N

Bischof Dr. Rudolf Voderholzer bei einer Messe im Regensburger Dom

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Gesellschaft entspricht. Jede menschli-che Person ist ein Zweck an sich selbst, darf dementsprechend auch nicht ande-ren Interessen geopfert werden. Diese ele-mentaren Einsichten, erarbeitet vor allem von der großen deutschen Philosophie, sind der menschlichen Vernunft evident. Und sie gehören zum Fundament unse-rer freiheitlichen Gesellschaft. Wir soll-ten sie und ihren philosophisch einsich-tigen Geltungsanspruch nicht leichtfertig preisgeben und uns nicht zu früh auf die Position des Glaubens stützen. Das The-ma Lebensrecht ist nicht erst ein christ-liches Thema, es ist ein Menschheitsthe-ma. Es geht um das Recht, um die Aner-kenntnis des Rechtes anderer, die mei-nem Handeln Grenzen setzen. Und es geht letzten Endes um das Funktionie-ren des Rechtsstaates.

Wir stehen in diesem Zusammenhang vor dem Paradox, dass postnatal große und größte Anstrengungen unternom-men werden für die Inklusion, für die Integration von behinderten Menschen in unsere Gesellschaft, sie teilhaben zu lassen an unserem Leben. Und ich kann hier nur allen Einrichtungen in unserem Land, den kirchlichen und den staatli-chen mit ihren Tausenden von Mitarbei-terinnen und Mitarbeitern, von Herzen danken, dass sie mithelfen, dass unsere Gesellschaft ein so menschliches Antlitz zeigt. Ja, noch nie wurde Menschen mit Behinderung so viel Fürsorge zuteil wie in unseren Tagen und in unserem Land – postnatal. Pränatal haben wir gleichzeitig eine unbarmherzige und gnadenlose Ex-klusion und Selektion. Ich stelle die Fra-ge: Kann man wirklich gleichzeitig Trä-nen der Rührung vergießen beim Verle-sen eines Briefes aus dem Jahr 1943 durch einen Schauspieler mit Down-Syndrom – so geschehen hier neben uns in diesem ho-hen Hause am 27. Januar 2017, dem Tag des Gedenkens an die Opfer des Natio-nalsozialismus, und gleichzeitig schwei-gen über die pränatale Selektion unserer Tage? Mindestens neun von zehn Tri-somie 21 diagnostizierte Embryos dür-fen das Licht der Welt nicht mehr erbli-cken in unserem Land. Von einem Au-genblick zum anderen scheint sich die Rechtsposition einer menschlichen Per-son um einhundertachtzig Grad zu ver-ändern. Ist das nicht irrationale Willkür? Ich kann in diesem Zusammenhang nur unterstreichen, was der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Reinhard Kardinal Marx im Grußwort zum diesjäh-rigen Marsch für das Leben geschrieben hat: »Die modernen vorgeburtlichen Di-agnosemethoden entwickeln sich rasant. So wird es in unserer Gesellschaft zu-

nehmend ›normal‹, Kinder während der Schwangerschaft auf ihre Gesundheit zu testen. Den vorgeburtlichen diagnosti-schen Möglichkeiten entsprechen jedoch nicht immer auch therapeutische Hand-lungsoptionen, so dass nicht selten eine Abtreibung an die Stelle fehlender The-rapiemöglichkeiten gestellt wird. Dem gilt es klar zu widersprechen.«

Wir sind gekommen, denen eine Stim-me zu geben, die ihr Selbstbestimmungs-recht über ihre Leiblichkeit und über ih-re Sexualität noch nicht selbst zum Aus-druck bringen können. Sie brauchen uns.

Die biblische Botschaft, auf die sich unser christlicher Glaube stützt, hat we-sentlich zur Erkenntnis und zur vertieften Begründung der unveräußerlichen Rech-te der menschlichen Person beigetragen. Wenn jeder Mensch ein Bild Gottes ist, berufen zum Dialog und zur Gemein-schaft mit ihm, hat er auch teil an seiner göttlichen Würde. Wenn Gott in seiner

Menschwerdung unser aller Menschen-bruder geworden ist, unsere menschli-che Natur angenommen hat, hat er da-mit den Menschen erhöht und geadelt. Jeden Menschen. Die Schrifttexte unse-rer ökumenischen Andacht jetzt hier und heute haben uns zwei herrliche Details der göttlichen Wertschätzung des Mensch-seins vor Augen gestellt. Psalm 139 be-schreibt das Heranwachsen des Kindes im Mutterleib als göttliches Kunstschaf-fen: »Du hast mein Inneres geschaffen, / mich gewoben im Schoß meiner Mut-ter. / Ich danke Dir, dass du mich so wun-derbar gestaltet hast.« Und weiter geht es mit der Vorstellung, dass jedes mensch-liche Wesen vom ersten Augenblick sei-nes Daseins bei Gott Ansehen hat, weil Er auf ihn schaut: »Als ich geformt wur-de im Dunkeln / kunstvoll gewirkt in den Tiefen der Erde, / waren meine Glieder dir nicht verborgen. / Deine Augen sa-hen, wie ich entstand, …«

Unser Ja zum Leben ist der Mitvoll-zug des göttlichen Ja zum Leben, ist Ant-wort auf sein Schöpfungshandeln. In die-sem Glauben wird in der ganzen jüdisch-christlichen Tradition das Kind als ein Se-gen betrachtet, und jede Geburt als Be-weis, dass Gott ein Freund des Lebens ist. Mit Papst Franziskus rufe ich Ihnen zu: »Jedes Leben ist unantastbar! Bringen wir die Kultur des Lebens als Antwort auf die

Logik des Wegwerfens und auf den de-mographischen Rückgang voran; stehen wir zusammen und beten wir gemeinsam für die Kinder, deren Leben durch einen Schwangerschaftsabbruch bedroht ist, wie auch für die Menschen, die am Ende des Lebens angelangt sind – jedes Leben ist unantastbar! –, dass niemand alleine ge-lassen werde und die Liebe den Sinn des Lebens verteidige. Rufen wir die Worte Mutter Teresas in Erinnerung: ›Das Le-ben ist Schönheit, bewundere es; das Le-ben ist Leben, verteidige es!‹ sei es beim Kind, das kurz vor der Geburt steht, sei es bei dem Menschen, der dem Tod nahe ist: jedes Leben ist unantastbar!«

Unser Herr Jesus, der selbst als hilfs-bedürftiges und wehrloses Kind in der Krippe geboren wurde, hat noch einmal in besonderer Weise das Kindsein ins Zen-trum unserer Aufmerksamkeit gerückt. In einer Zeit, in der das »Kind-sein« als »noch-nicht-erwachsen-sein« galt, hat er die Haltung der Kindlichkeit den Erwach-senen zum Vorbild gemacht. »Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder.« Ohne das Kindsein naiv idealisieren zu wollen, gilt doch: Kindlich sein im guten Sinne, das bedeutet: Staunen können, große Augen machen können über die kleinen und gro-ßen Wunder dieser Welt, sich gerne be-schenken lassen und nicht gleich auf Re-vanche (Rache!) sinnen (wie die Erwach-senen), die Abhängigkeit vom Größeren (von Papa und Mama, Oma und Opa) anerkennen, sich gerne tragen lassen im Wissen, dadurch nicht klein, sondern im Aufblick selbst wahrhaft groß zu werden.

Der Geist schenke uns allen immer wie-der diese Haltung echter Kindlichkeit, die wir – meiner Erfahrung nach – oft gerade noch einmal auch bei Menschen mit ei-ner Behinderung in besonders herzlicher Weise erleben können. Der Herr sagt uns, wir haben es im Evangelium vorhin ge-hört, der Größte im Himmelreich muss sein wie ein Kind, das dankbar die Gna-de der Erlösung annimmt. Und schließ-lich fügt er noch hinzu: »Wer ein solches Kind um meinetwillen aufnimmt, der nimmt mich auf.« (Mt 18,5) Hier klingt schon die Verheißung des großen Ge-richtsgleichnisses von Mt 25 auf: »Was ihr dem geringsten meiner Schwestern und Brüder getan habt, das habt ihr mir getan« – die Identifizierung des Herrn mit den Schwachen und Hilfsbedürfti-gen gilt in besonderer Weise im Blick auf die Kinder. Dem wissen wir uns ver-pflichtet, und bei all diesem unseren Tun wissen wir uns dem Herrn in besonderer Weise nahe. »Wer ein solches Kind um meinetwillen aufnimmt, der nimmt mich auf.« (Mt 18,5) Amen.

»Das Leben ist Schönheit,bewundere es!«

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Der Kinderwunsch ist ein ele-mentares menschliches Bedürf-nis. Die Sorge, dass der Kin-

derwunsch unerfüllt bleibt, beschäftigt die Menschen seit eh und je. Im europä-ischen Raum nimmt der unerfüllte Kin-derwunsch zu. Schätzungen gehen von zehn bis 15 Prozent der Bevölkerung aus. Rund 400 Kinderwunschkliniken bemü-hen sich allein in Deutschland um kinder-lose Paare. Diese Kliniken können unter anderem mit der medikamentösen Be-handlung eines Prolaktinoms, der hor-monellen Behandlung des polyzystischen Ovars oder auch der chirurgischen Be-handlung der Endometriose helfen. Bei Letzterer kommt es zu einer Verspren-gung von Schleimhaut der Gebärmutter in den Bauchraum. Auch den Männern kann und muss bei Infertilität häufig mit unterschiedlichen Methoden geholfen werden. Vielfältige psychosoziale Bera-tungsmöglichkeiten bestehen. Ganz ge-nerell gilt, dass ein wichtiger Grund für die Zunahme des unerfüllten Kinderwun-sches die gesellschaftlich bedingte Ver-lagerung der ersten Schwangerschaft ins höhere Lebensalter ist. Derzeit bekom-men in Deutschland Frauen im Mittel erst mit rund 29 Jahren ihr erstes Kind.

Ungeachtet der vielen Möglichkeiten, auf einen unerfüllten Kinderwunsch ein-zuwirken, wird heutzutage mit der Be-handlung der Kinderlosigkeit fast aus-schließlich die sogenannte Reprodukti-onsmedizin assoziiert. Alleine der Na-me Re-»Produktions«-Medizin verrät viel. Statt als Geschenk, wird das ersehn-te Kind als Produkt einer medizinischen Leistung definiert. Aus einem Kinder-

wunsch wird schnell die Bestellung ei-nes Wunschkindes. Die Reproduktions-medizin weckt Erwartungen, dass ein sol-ches Wunschkind mit beliebigen Eigen-schaften ausgestattet werden kann, ganz in der Art eines Designerbabys. Vor die-sem Hintergrund behandelte auch die diesjährige ökumenische »Woche für das Leben« mit dem Motto »Kinderwunsch-Wunschkind-Designerbaby« die grundle-genden medizinischen, gesellschaftlichen und ethischen Probleme der modernen Fortpflanzungstechniken.

Im Jahr 1990 wurde in Deutschland das Embryonenschutzgesetz (ESchG) verabschiedet. Es handelt sich um ein

in mehrerer Hinsicht bemerkenswertes Gesetzeswerk. In erstaunlich weiser Vor-aussicht wurden die vielfältigen Möglich-keiten, aber auch Risiken der modernen Fortpflanzungstechniken beschrieben und beurteilt. International wird das ESchG häufig zitiert und diskutiert und respekt-voll als Reaktion der Deutschen auf ihre leidvollen Erfahrungen mit der eugeni-schen Ideologie der Nazizeit angesehen. In Deutschland wird das Gesetz dagegen häufig als veraltet und verbesserungswür-dig heftig kritisiert oder von den Repro-duktionsmedizinern einfach ignoriert.

Das ESchG beschert Deutschland ei-ne erfreulich klare Festlegung zum Be-

ginn des Lebens eines Menschen mit der Verschmelzung von Samen- und Eizelle (§ 8 Nr.1 EschG): »Als Embryo im Sin-ne dieses Gesetzes gilt bereits die be-fruchtete, entwicklungsfähige menschli-che Eizelle vom Zeitpunkt der Kernver-schmelzung an (...).« In gleicher Weise legte sich die Große Kammer des Euro-päischen Gerichtshofs (EuGH) im Fall C-34/10 »Brüstle vs. Greenpeace« fest und entschied, dass die Menschenwürde des Embryos zu schützen und der Emb-ryo keiner Patentierung zugänglich sei. Die bisher erfolgreichste europäische Bürgerinitiative »One of us« hat auf der Basis der Rechtsprechung des EuGH mit über 1,7 Millionen Unterschriften einen durchgehenden Schutz des menschli-chen Lebens vom Zeitpunkt der Game-tenfusion an in allen Mitgliedsländern der EU gefordert. Unabhängig von der Gesetzeslage gibt es naturwissenschaft-lich nur eine belastbare Definition für den Beginn des menschlichen Lebens. Alle sogenannten »SKIP-Kriterien« für den Beginn unseres Lebens sind mit der Verschmelzung der Samen- und Eizel-le erfüllt: die eindeutige Zugehörigkeit zur Spezies Mensch, die ungebrochene Kontinuität bis hin zum erwachsenen Menschen, die Entstehung einer neuen, einmaligen Identität und die Potentiali-tät des Embryos, sich zum erwachsenen Menschen zu entwickeln. Trotz aller ju-ristischen und naturwissenschaftlichen Festlegungen des genauen Zeitpunkts, zu dem ein menschliches Leben beginnt, wird in der öffentlichen Diskussion dieser Zeitpunkt häufig als vollständig ungeklärt bezeichnet. Nicht selten sekundär moti-

Überall in der Medizin werden Patienten sorgfältig über Risiken und Nebenwirkungen aufgeklärt, nur nicht in der Reproduktionsmedizin. Warum das so ist und welche Bedeutung dem

deutschen Embryonenschutzgesetz auch deshalb zukommt, behandelt der nachfolgende Beitrag.

Von Professor Dr. med. Christoph von Ritter

Von Risiken undNebenwirkungen

M E D I Z I N

»Statt als Geschenk, wird dasKind als Produkt definiert.«

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viert, wird eine große Zahl anderer will-kürlicher Festlegungen vorgeschlagen: 14 Tage, Nidation, 28 Tage, drei Mona-te oder ganz generell erst, wenn Selbst-bestimmung zu erkennen ist, wie es etwa der Utilitarist Peter Singer postuliert und damit sogar das Lebensrecht des Neuge-borenen relativiert. Mit der Festlegung im ESchG bleibt Deutschland der leid-volle Kampf um einen Konsensus in Sa-chen »Personhood«, der in unterschiedli-

chen Staaten der USA derzeit ausgefoch-ten wird, erspart.

Eindeutig verboten ist im ESchG die Erzeugung von mehr Embryonen, als auf die Frau übertragen werden sollen, und damit jede Art von Vorratshaltung (§1 Nr. 5 ESchG). Damit eng verbunden ist das Verbot zur Befruchtung zu ande-ren Zwecken als der Herbeiführung ei-ner Schwangerschaft (§ 1 Nr. 2, II, § 2 ESchG). Einigermaßen kurios beklagen sich trotz dieser klaren Verbote die Re-produktionsmediziner häufig in der deut-schen Öffentlichkeit über das ungelöste Problem »überzähliger Embryonen«, die man gerne für Forschungszwecke »ver-brauchen« würde. Hellsichtig haben die Gesetzgeber dieses Begehren vorausge-ahnt und im § 2 ESchG schon beim Ver-such der missbräuchlichen Verwendung von Embryonen mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren gedroht: »ESchG § 2: Missbräuchliche Verwendung mensch-licher Embryonen (1) Wer einen extra-korporal erzeugten oder einer Frau vor Abschluss seiner Einnistung in der Ge-bärmutter entnommenen menschlichen Embryo veräußert oder zu einem nicht seiner Erhaltung dienenden Zweck ab-

gibt, erwirbt oder verwendet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft (...). (3) Der Ver-such ist strafbar.«

Das Verbot einer genetischen Unter-suchung des Embryos vor dem Transfer (§ 3 EschG) besteht zwar weiterhin, wur-de aber vom Gesetzgeber im Jahr 2011 mit der Erlaubnis zur sogenannten »Prä-implantationsdiagnostik« in Einzelfällen relativiert. Solche Entscheidungen haben

natürlich die Bemühungen interessierter Kreise unterstützt, das Gesetz nach Be-lieben auszulegen. Man geht so weit, den vom Gesetzgeber beabsichtigten privile-gierten Schutz des ungeborenen Men-schen mit dem Argument zu kritisieren, dass das Gesetz einen »Fertilitätstouris-mus« ins Ausland notwendig mache. Die Möglichkeit, vernünftige Gesetze einfach strikt zu befolgen, wird in der munteren Diskussion um den »Fertilitätstourismus« nur ganz zuletzt in Erwägung gezogen.

Warum wird das ESchG mit solcher Energie attackiert? Nun, ganz eindeu-tig behindert das Gesetz die Reproduk-tionsmedizin in Deutschland im inter-nationalen Wettbewerb. Zwei Maßnah-men, die für die Fertilitätsindustrie be-sonders wichtig und lukrativ, in Deutsch-land aber verboten sind, sind in diesem Zusammenhang von besonderer Bedeu-tung: die Eizellspende und die Leihmut-terschaft.

Für die Reproduktionsmediziner ist die Verfügbarkeit von Eizellen von jun-gen Spenderinnen von zentraler Bedeu-tung. Wegen der schwindenden Fertili-tätsreserve, die bei Frauen ab dem Alter von 35 Jahren immer weniger gesunde,

fertile Eizellen vorhält, sind nur mit ge-spendeten Eizellen Erfolgsraten in ei-nem einigermaßen akzeptablen Bereich von rund 30 Prozent zu erzielen.

Im ESchG ist ein Verbot der Eizell-spende in Deutschland festgelegt (§ 1 Nr. 1, II ESchG). Argumente gegen die-ses Verbot beinhalten den Vorwurf ei-ner Geschlechterungerechtigkeit, weil ja die Samenspende erlaubt sei und ei-ne Benachteiligung von deutschen Ehe-paaren im internationalen Vergleich den belastenden »Fertilitätstourismus« not-wendig mache. Die Kuriosität, die Um-gehung deutscher Gesetze als Benach-teiligung der Gesetzesbrecher zu bekla-gen, wurde schon oben erwähnt. Für die Diskussion von größerer Bedeutung ist,

dass die Eizellspende in Ländern, in de-nen sie erlaubt ist, einer zunehmenden Kritik gerade von Frauen ausgesetzt ist. Die Kritik zielt auf die Risiken und Ne-benwirkungen der Eizellspende und den rechtsfreien Raum, in dem sich die jun-gen Eizellspenderinnen bewegen. Ganz konkret wird die mangelnde Aufklärung zu den Nebenwirkungen der extrem star-ken Hormongabe kritisiert, die zur Folli-kelstimulation notwendig ist. Die Medi-kamente sind für die Eizellspende nicht zugelassen. Die standardmäßig für jedes Medikament geforderten Langzeitstudien fehlen. Haftungsfragen und Kostenüber-nahme bei Komplikationen sind weitge-hend ungeklärt. Weiterhin besteht Un-klarheit, inwieweit der Spenderin eine dauerhafte Anonymität garantiert wer-den kann und ob eine solche überhaupt angesichts des Rechts eines jeden, sei-ne genetischen Vorfahren zu kennen, gewährt werden darf. Dieses Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung er-gibt sich aus dem allgemeinen Persönlich-keitsrecht und ist durch die UN-Kinder-rechtskonvention geschützt. Belastend für eine Spenderin ist weiterhin die Pflicht, ihr persönliches Profil mit vielen priva-ten Details öffentlich zu machen. Nur so kann die gespendete Eizelle auf dem An-bietermarkt die volle Attraktivität entfal-ten und für den Reproduktionsmediziner die höchste Rendite erzielen. Schließlich wird es als trügerisch empfunden, die Ei-zellspende mit der karitativen Idee zu be-werben, die Spende werde ausschließlich zur Erfüllung eines Kinderwunsches ver-

»›Eizellvermarktung‹ wäre wohldie zutreffendere Bezeichnung.«

Das ESchG behindert die Reproduktionsmedizin im internationalen Wettbewerb

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wendet, während tatsächlich viele der Ei-zellen nach der Befruchtung lukrativ für Forschungszwecke »verbraucht« werden. »Eizellvermarktung« statt »Eizellspen-de« wäre wohl vor diesem Hintergrund die zutreffendere Bezeichnung.

Die Situation einer Eizellspenderin kann tragisch enden und sie selbst in die Not eines unerfüllten Kinderwunsches geraten: wenn sie nämlich nach einer Ei-

zellspende zur Finanzierung ihres Studi-ums und der anschließend meist erfolg-reichen und längeren beruflichen Tätig-keit ihren eigenen Kinderwunsch erfüllen will, ist ihre Fertilitätsreserve möglicher-weise schon aufgebraucht. In dieser Si-tuation ist sie gezwungen, für sich selbst eine Eizellspenderin zu finden und teu-er zu finanzieren. Sie muss dann hoffen, dass sie trotz der in ihrem Alter niedri-gen Erfolgsrate von der Reproduktions-medizin ihren Kinderwunsch erfüllt be-kommt. Die Ähnlichkeit der Kollektive ist tatsächlich eindrucksvoll: Die große Mehrzahl der Kunden der Reprodukti-onsmedizin in den USA sind weiße Akade-mikerinnen, genauso wie die große Mehr-heit der Eizellspenderinnen. Die autologe Eizellspende, das »Social Freezing«, das von großen US-Unternehmen wie App-le und Facebook bei dem gleichen Kol-lektiv erfolgreicher weißer Akademike-rinnen beworben wird, kann natürlich ebenfalls in die oben beschriebene tra-gische Situation führen.

Angesichts der offenen Fragen bei der Eizellspende wundert es überhaupt nicht, dass sich in den USA besonders bei den Frauen heftiger ziviler Widerstand regt. Blogs wie »Hands of my Ovaries« und der preisgekrönte Film »Eggsploitation« fordern deutlich mehr Aufklärung und

Schutz im Zusammenhang mit der Ei-zellspende. Trotz derart starker und gut begründeter Kritik an der Praxis der Ei-zellspende im Ausland wird hierzulande eine Erlaubnis der Eizellspende speziell von Frauen lautstark gefordert. Man muss hoffen, dass die wenig altruistischen, rein ökonomischen Interessen der Reproduk-tionsmedizin in diesem Zusammenhang nicht übersehen werden.

Wichtiger und besonders lukrativer Teil der modernen Fertilitätsindustrie ist die Bereitstellung von Leihmüttern, den sogenannten Surrogat- bzw. Ersatzmüt-tern. Mit der Leihmutterschaft gerät ein eherner gesellschaftlicher Konsens in Ge-fahr: »Mater semper certa est«: die un-geteilte Mutterschaft. Schutz der »unge-teilten Mutterschaft« war eine wichtige Triebfeder für die Verabschiedung des

ESchG. Leihmutterschaft ist konsequen-terweise in Deutschland nach ESchG § 1 Abs. 1 Nr. 7 verboten. Auch die Ver-mittlung einer Leihmutter ist strafbar. Der Gesetzgeber fand es wichtig, dass für ein Kind Klarheit bezüglich seiner Mut-ter besteht und eine Frau ihren Körper nicht zum Austragen eines Kindes gegen Bezahlung verleiht.

Die Rechtslage ist aber in Europa der-zeit sehr unterschiedlich und selbst in Deutschland verwirrend und komplex. So hat der BGH in einer richtungswei-senden Entscheidung (BGH, Beschl. v.

10.12.2014, XII ZB 463/13) einem ho-mosexuellen Paar die Elternschaft zuge-sprochen, nachdem sie das in Kalifornien »bestellte« Kind mit schriftlichem Einver-ständnis der Leihmutter nach Deutschland gebracht hatten. Für das Gericht war es entscheidend, dass sich die Mutter als le-dig bezeichnete. Es postulierte, dass zwi-schen dem »Besteller« und der von ihm bezahlten Leihmutter ein eheähnliches Verhältnis bestanden habe und der »frei-willige« Verzicht der Leihmutter auf ihr Kind nicht nur das Sorgerecht, sondern auch die alleinige Elternschaft des »Be-stellers« und genetischen Vaters zwei-felsfrei begründe. Im Rahmen der »Stief-kindadoption« war es im Weiteren mög-lich, eine komplette Elternschaft der bei-den Väter zu etablieren. Ein ordentliches Maß an Naivität der richterlichen Ent-

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SKIP-ArgumenteIn der Debatte um den moralischen Status von Embryonen werden vier klassische Argumente immer wieder herangeführt und diskutiert. Sie werden auch als SKIP-Argumente bezeichnet:

S – Das Speziesargument: Da Embryonen als Mitglieder der Spezies Homo sapiens sapiens Menschen sind, besitzen sie Würde.

K – Das Kontinuitätsargument: Embryonen entwickeln sich kontinuierlich, d. h. ohne moralrele-vante Einschnitte, zu erwachsenen Menschen, die Würde besitzen.

I – Das Identitätsargument: Embryonen sind in moralrelevanter Hinsicht identisch mit erwach-senen Menschen, die Würde besitzen.

P – Das Potentialitätsargument: Embryonen haben das Potential, Menschen zu werden, und dieses Potential ist uneingeschränkt schützenswert.

Quelle: Gregor Damschen / Dieter Schönecker (Hrsg.): Der moralische Status menschlicher Embryonen. Verlag Walter De Gruyter, Berlin 2002. 332 Seiten.

»Es ist leicht, den verzweifeltenKinderwunsch auszubeuten.«

Mit der Leihmutterschaft gerät ein eherner gesellschaftlicher Konsens in Gefahr

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scheidung lässt sich unter anderem auch daran ablesen, dass vollständig unkritisch und ungeprüft von einem »Spontanabort« des ungeborenen Zwillings des Kindes in der 30. Schwangerschaftswoche (SSW) ausgegangen wird. Es ist kein vertieftes Spezialwissen notwendig, um zu wissen, dass Spontanaborte von Zwillingen nach der zwölften SSW eine extreme Rarität, die tragische selektive Tötung eines Zwil-lingskindes von Leihmüttern aber häufig verlangt wird, um den vertraglich fixier-ten Anspruch des »Bestellers« auf nur ein Kind zu befriedigen.

Ganz anders als der BGH entschied am 24. Januar 2017 die Große Kam-mer des EuGH in Sachen »Paradiso und Campanelli vs. Italien« (Beschwer-de Nr. 25358/12). Es bestätigte die Ent-scheidung der italienischen Richter, ei-nem »Besteller«-Ehepaar das in Russ-land von einer Leihmutter erworbene Kind zu entziehen. Begründung: Mit der Beauftragung der Leihmutter sei natio-nales Recht gebrochen worden. Um das Kindeswohl nicht zu gefährden, wurde das Kind in einem gesetzeskonformen Adoptionsverfahren neuen Pflegeeltern zugesprochen.

Die Reproduktionsmedizin leidet an einer massiven sozialen Asymmetrie mit gravierender Benachteiligung der sozi-al Schwachen zugunsten einer privile-gierten Oberschicht. Nicht selten wird die finanzielle Not von Frauen im Rah-men der Leihmutterschaft rücksichtslos ausgenutzt. Die Verträge, die mit Leih-müttern abgeschlossen werden, entmün-digen die Frau in einer inakzeptablen Art und Weise. So muss sich die Leihmut-ter nicht nur zu einem bestimmten Le-bensstil inklusive sexueller Enthaltsam-keit verpflichten, sondern auch ihr Ein-verständnis zur Tötung des ungeborenen Kindes im Rahmen einer Abtreibung im Falle einer vermuteten Erkrankung ge-ben. Mehr noch muss die Leihmutter einer sogenannten »selektiven Reduk-tion« eines ihrer gesunden Kinder bis kurz vor der Geburt zustimmen. Mehr-lingsschwangerschaften kommen in der Reproduktionsmedizin in bis zu 30 Pro-zent wegen der üblichen Implantation von mehreren Embryonen vor. Etwa 20 Prozent davon sind Zwillingsschwanger-schaften. Eine aktuelle Studie berichtet, dass Zwillingsschwangerschaften 30 Pro-zent der Tötungen im Rahmen der »se-lektiven Reduktion« ausmachen (Evans, Fetal Diagn Ther 2014;35:69-82). Oh-ne jede medizinische Notwendigkeit, wie etwa einer Gefährdung von Mutter oder Kindern, wird hier also eine geziel-te Selektion von einem der zwei gesun-

den, ungeborenen Kinder mittels einer Kaliumchlorid-Injektion ins Herz vor-genommen. Diese Tötung findet aus-schließlich zum Zweck der Erfüllung des unsittlichen »Baby-Take-Home«-Vertra-ges zwischen »Besteller« und Reproduk-tionsmediziner statt.

»Es ist leicht, den verzweifelten Kin-derwunsch von Menschen auszubeuten, und wir haben die Technologie dafür«, darf man den berühmten Reproduktions-mediziner Sir Robert Winston, Profes-sor am Imperial College, London, zitie-ren (Daily Mail, 01.05.2007). In der Tat locken in der Reproduktionsmedizin ho-

he Profite. Es kann getrost von einer Fer-tilitätsindustrie gesprochen werden. Ein Geschäftsvolumen von 24 Milliarden US-Dollar wird diesem Wirtschaftszweig für das Jahr 2022 prognostiziert. Eine mäch-tige Lobby sorgt in Politik und Gesell-schaft dafür, Hindernisse beim unbegrenz-ten Einsatz der Fortpflanzungstechniken möglichst gering zu halten. Es hat sich bewährt, Bedenken gegen einen Miss-brauch der Techniken als frauenfeind-lich und herzlos angesichts eines uner-füllten Kinderwunsches zu stigmatisie-ren. Tatsächlich finden die Sorgen der Frauen und Kinder in der Reprodukti-onsmedizin aber wenig Beachtung. Ne-benwirkungen, niedrige Erfolgsrate, Aus-beutung im Rahmen von Leihmutter-schaft und der Eizellspende, finanzielle und psychische Belastung werden unzu-reichend berücksichtigt und nur selten thematisiert. Vollständig unberücksich-tigt scheint das Anliegen des ungebore-nen Kindes zu bleiben. Weder wird der Verletzung der ungeteilten Mutterschaft

noch dem Recht auf Kenntnis der geneti-schen Eltern ausreichend Rechnung ge-tragen. Mehr noch: Um vertragsgemäß nur ein gesundes Baby dem finanzstarken »Besteller« liefern zu können, ist man so-gar zur Tötung von ungeborenen Babys bis kurz vor der Geburt bereit. Absurd! Behauptet man doch, dabei zu helfen, ei-nen Kinderwunsch zu erfüllen.

Zusammenfassend muss eine zuneh-mende Maßlosigkeit im Bereich der Re-produktionsmedizin festgestellt werden. Schwerwiegende Nebenwirkungen für alle Beteiligten werden in Kauf genom-men, nicht selten bleiben vernünftige me-

dizinische, gesellschaftliche und ethische Bedenken unberücksichtigt. Das ESchG hat in kluger Vorsicht schon 1990 ei-nen Schutz vor einem »Missbrauch der Fortpflanzungstechniken« ins Gesetz-buch geschrieben. Diesen Schutz für die Schwächsten in unserer Gesellschaft gilt es zu verteidigen!

I M P O R T R A I T

Prof. Dr. Christoph von RitterProfessor Dr. med. Christoph von Ritter, PhD ist Chefarzt für Innere Medizin an

der RoMed Klinik Prien am Chiem-see und Dozent an der Ludwig-Maxi-milians-Universität München. Er ist in nationalen und in-

ternationalen Organisationen zu Fragen der Bioethik tätig.

Die Verträge entmündigen die Frau in einer inakzeptablen Art und Weise

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D O K U M E N T AT I O N

Berlin, 1. Juni 2017

Der Umgang mit der Beihilfe zum Su-izid gehört zu den meistdiskutierten ethi-schen Problemen der jüngsten Vergangen-heit und ist auch vom Deutschen Ethikrat bereits thematisiert worden. In seiner Ad-hoc-Empfehlung vom 18. Dezember 2014 (»Zur Regelung der Suizidbeihilfe in einer

offenen Gesellschaft«) hat er sich für eine gesetzliche Stärkung der Suizidprävention ausgesprochen und gleichzeitig unterstri-chen, dass im freiheitlichen Verfassungs-staat keine Rechtspflicht zum Leben be-steht und deshalb auch Suizid nicht abs-trakt-generell als Unrecht zu qualifizieren ist. Eine spezielle, etwa professionsbezoge-ne gesetzliche Regulierung der Suizidbei-hilfe lehnte die Mehrheit des Deutschen Ethikrates mit der Begründung ab, auf diese Weise würden gleichsam »erlaub-te Normalfälle« einer Suizidbeihilfe de-finiert. Betont wurde darüber hinaus, dass eine Suizidbeihilfe, die nicht individuel-le Hilfe in tragischen Ausnahmesituatio-nen, sondern wählbares Regelangebot von

Ärzten oder speziellen Vereinen ist, Ge-fahr läuft, den gesellschaftlichen Respekt vor dem Leben zu schwächen, fremdbe-stimmte Einflussnahmen in Situationen prekärer Selbstbestimmung zu begünsti-gen sowie Anstrengungen der Suizidprä-vention zu konterkarieren. Der Deutsche Ethikrat sprach sich dementsprechend mehrheitlich für ein »Verbot der Suizid-

beihilfe sowie ausdrücklicher Angebote da-für, wenn sie auf Wiederholung angelegt sind und öffentlich erfolgen«, aus. Unter anderem mit Verweis auf diese Stellung-nahme hat der Deutsche Bundestag Ende 2015 das Strafgesetzbuch um eine Rege-lung zur Strafbarkeit der »geschäftsmäßi-gen Förderung der Selbsttötung« ergänzt (§ 217 StGB n. F.).

In seinem Urteil vom 2. März 2017 (Az.: BVerwG 3 c 19.15) hat nun das Bundes-verwaltungsgericht die Auffassung vertre-ten, das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG umfasse »auch das Recht eines schwer und unheilbar Kranken Menschen, zu entschei-den, wie und zu welchem Zeitpunkt sein

Leben enden soll, vorausgesetzt, er kann seinen Willen frei bilden und entspre-chend handeln« (Rn. 24). Für den Fall einer »extremen Notlage« folge hieraus ein Anspruch auf Erteilung einer Erlaub-nis zum Erwerb von Natrium-Pentobarbi-tal zum Zweck der Selbsttötung (Rn. 32).

Diese Entscheidung ist nach Auffas-sung der Mehrheit des Deutschen Ethik-rates nicht zu vereinbaren mit den Grund-wertungen des parlamentarischen Gesetz-gebers, auf denen die Neuregelung des § 217 StGB beruht:

• In ethischer Hinsicht problematisch ist zunächst, dass das Bundesverwaltungs-gericht das einleuchtende Gebot, die staatliche Gemeinschaft dürfe »den hilf-losen Menschen nicht einfach sich selbst überlassen« (Rn. 27) verknüpft mit dem staatlich garantierten Zugang zu Betäu-bungsmitteln. Indem die Entscheidung das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte zum Verpflichtungs-adressaten der Selbsttötungsassistenz macht, macht sie diese von einer staatli-chen »Erlaubnis« abhängig und erweckt so den Anschein, Suizidwünsche müss-ten staatlicherseits bewertet bzw. könn-ten staatlicherseits legitimiert werden. Das aber würde bedeuten, die höchst-persönliche Natur solcher Wünsche in-frage zu stellen. Ferner könnte es dieje-nigen sozialen Normen und Überzeu-gungen schwächen, in denen sich der besondere Respekt vor jedem mensch-lichen Leben ausdrückt.

• Zudem bestehen grundsätzliche Beden-ken dagegen, unter Berufung auf beson-dere Ausnahmesituationen die durch das hierfür zuständige und demokratisch le-gitimierte Parlament festgelegten allge-meinverbindlichen Verhaltensregeln in-frage zu stellen. Der Gesetzgeber hat sich in Übereinstimmung mit der Mehrheit des Deutschen Ethikrates bewusst da-gegen entschieden, die Legitimität der Suizidassistenz an die Erfüllung ma-terieller Kriterien – wie schweres und

Prävention statt UnterstützungAnlässlich der umstrittenen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. LF Nr. 122, 2/2017,

S. 36) erinnert der Deutsche Ethikrat an seine Ad-hoc-Empfehlung »Zur Regelung der Suizidbeihilfe in einer offenen Gesellschaft« vom 18. Dezember 2014.

»LebensForum« dokumentiert nachfolgend ungekürzt die neuerliche Stellungnahme des Gremiums, das Bundesregierung und Parlament in bioethischen Fragen berät.

Spaltet auch den Ethikrat: das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts

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unerträgliches Leiden – zurückzubin-den. Diese zentrale, ethisch fundierte Grundentscheidung wird durch das Ur-teil des Bundesverwaltungsgerichts un-terlaufen. Es zwingt eine staatliche In-stanz, die § 217 StGB wie dem gesam-ten System des (straf-)rechtlichen Le-bensschutzes zugrunde liegende ethische Leitidee der staatlichen Neutralität ge-genüber Lebenswertvorstellungen auf-zugeben. Zugleich wird ihr zugemutet, ohne konkretisierende Vorgaben – die das Bundesverwaltungsgericht für ent-

behrlich hält (Rn. 40) – eigene Erwä-gungen anzustellen über das Kriterium eines »unerträglichen Leidensdruck[s]« (Rn. 31) und die Frage einer anderen zumutbaren Möglichkeit zur Verwirk-lichung des Sterbewunschs.

• Die Entscheidung steht damit schließ-lich auch in einem Spannungsverhältnis zu der Forderung einer Stärkung suizid-präventiver Maßnahmen und Struktu-ren. Die Entscheidung, das eigene Le-ben beenden zu wollen, verweist auf ei-ne individuelle Ausnahmesituation, in der lebensorientierte Antworten nicht (mehr) gesehen werden. Auch im Kon-text schwerster und unheilbarer Erkran-kung ist es dabei durchaus möglich, dass sich Suizidgedanken aktuell auf-drängen und oft nicht auf reflektierten oder bilanzierenden Erwägungen beru-hen. Damit soll nicht in Abrede gestellt werden, dass manche Leidenszustände auch durch eine optimale palliativme-dizinische Versorgung und Unterstüt-zung nicht behoben werden und so Su-izidwünsche begründen können. Doch in vielen Fällen steht der Wunsch, eine subjektiv unerträgliche und durch an-derweitige Maßnahmen nicht mehr zu

lindernde, irreversible Leidenssituati-on durch Suizid zu beenden, in engem Zusammenhang mit der im individuel-len Fall verfügbaren Versorgung und Unterstützung. Denn diese ist in vielen Bereichen, besonders im Hinblick auf Schmerztherapie, rehabilitative Pflege und Psychotherapie, immer noch defi-zitär.

Eine Minderheit des Deutschen Ethi-krates hält das Urteil des Bundesverwal-tungsgerichts dagegen für ethisch wohl

erwogen und begrüßenswert. Ihr zufolge steht es im Einklang mit der dem Not-standsprinzip zugrunde liegenden Moral-pflicht, vor allem in existenziellen Grenz-fällen ein generell begründbares Verbot nicht zum Gebot der Unmenschlichkeit werden zu lassen. In diesem Sinne eröff-net die Entscheidung des Bundesverwal-tungsgerichts die Möglichkeit, in »extre-men« Notsituationen der zwangsrechtli-chen Ausnahmslosigkeit der Strafregelung des § 217 StGB zu begegnen. Eine »staat-liche Verpflichtung« zur Unterstützung von Suiziden liegt darin nicht. Der Staat wird lediglich verpflichtet, in Fällen ext-remer Not seine grundsätzliche Blocka-de dieses Medikaments ausnahmsweise aufzuheben und damit anderen eine Hil-fe nicht (mehr) zu verwehren, zu der sie sich nach den Maximen ihres Gewissens aus verständlichen Gründen verpflichtet fühlen. Auch in Fällen, in denen nach der Entscheidung des Bundesverwaltungsge-richts das Medikament gegebenenfalls di-rekt an den Sterbewilligen herauszugeben wäre, wird der Staat nicht zum Gehilfen eines Suizids.

Es wird ihm lediglich nicht (mehr) ge-stattet, die Verfügbarkeit eines Medika-

ments aktiv zu blockieren, das schließlich nicht er bereitstellt, sondern dem Zugriff Dritter lediglich entzieht. In Notstandsfäl-len das Handeln eines anderen nicht mehr aktiv verhindern zu dürfen, heißt aber kei-neswegs, nun als dessen Unterstützer ver-pflichtet zu sein. Die dem Urteil zugrun-de liegende Notstandserwägung, die auch einer moralischen Pflicht entspricht, soll-te daher nach Auffassung der Minderheit im Sinne einer klarstellenden und präzi-sierenden Regelung in das Betäubungsmit-telgesetz aufgenommen werden.

Ungeachtet dieses Dissenses bekräf-tigt der Deutsche Ethikrat in seiner Ge-samtheit die Forderung nach einer Stär-kung suizidpräventiver Maßnahmen sowie nach einem Ausbau nicht nur der Hospiz- und Palliativversorgung im ambulanten und stationären Bereich, sondern allge-mein der Versorgung von Menschen in der letzten Lebensphase. Zugleich unter-streicht er seine Position, dass eine frei-heitliche Verfassungsordnung freiverant-wortliche Suizidhandlungen zu respektie-ren hat. Ein Anspruch auf entsprechende staatliche Unterstützung besteht hingegen nicht. Der Deutsche Ethikrat hält es des-halb für erforderlich, die Spannung zwi-schen den in § 217 StGB zum Ausdruck gebrachten Regelungsintentionen und der jetzt vom Bundesverwaltungsgericht vor-genommenen Interpretation des Betäu-bungsmittelgesetzes durch eine klarstel-lende Regelung abzubauen. Die Mehr-heit des Ethikrates empfiehlt, entgegen der vom Bundesverwaltungsgericht vorge-schlagenen problematischen Neuausrich-tung des normativen Ordnungsrahmens an dem zuletzt noch einmal legislativ bekräf-tigten ethischen Grundgefüge festzuhal-ten und nicht der gebotenen Achtung in-dividueller Entscheidungen über das eige-ne Lebensende eine staatliche Unterstüt-zungsverpflichtung zur Seite zu stellen.

Der Mehrheitsposition haben sich die folgenden Ratsmitglieder zugeordnet:

Steffen Augsberg, Franz-Josef Bormann, Alena M. Buyx, Peter Dabrock, Christiane Fischer, Sigrid Graumann, Martin Hein, Wolfram Henn, Wolfram Höfling, Ilhan Il-kilic, Andreas Kruse, Adelheid Kuhlmey, Vol-ker Lipp, Andreas Lob-Hüdepohl, Elisabeth Steinhagen-Thiessen, Claudia Wiesemann

Der Minderheitsposition haben sich die folgenden Ratsmitglieder zugeordnet:

Constanze Angerer, Dagmar Coester-Walt-jen, Carl Friedrich Gethmann, Ursula Kling-müller, Stephan Kruip, Leo Latasch, Rein-hard Merkel, Gabriele Meyer, Petra Thorn

Eine Minderheit des Rates hält das Urteil für »ethisch wohl erwogen«

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B Ü C H E R F O R U M

Im Schaufenster

Mensch sein

Auch naturwissen-schaftliche Ergebnis-se müssen sauber in-terpretiert und zuver-lässig eingeordnet werden. Geschieht dies nicht, landen die Wissenschaft-ler selbst – und noch

häufiger das ihnen vertrauende Publikum – beim Reduktionismus und erblicken dann zum Beispiel in einem menschlichen Embryo nur noch einen bloßen Zellhaufen. Insofern kommt dieses Buch also wie gerufen. Denn in »Mensch sein« entfaltet Günter Rager die »Grundzüge einer interdisziplinären Anthro-pologie«. So gerufen wie das Buch daher-kommt, so berufen auch ist sein Verfasser, ein solches Unterfangen erfolgreich und für den Leser gewinnbringend zu meistern. Denn der Mediziner und Philosoph war viele Jahre lang Ordinarius und Direktor des Instituts für Anatomie und spezielle Embryologie an der Universität Fribourg. Von 1999 bis 2006 war er Direktor des Instituts für interdisziplinä-re Forschung der Görres-Gesellschaft. Unver-gessen ist das von ihm herausgegebene und inzwischen in mehrfacher Überarbeitung er-schienene großartige Werk »Beginn, Perso-nalität und Würde des Menschen«. Wer al-so wissen will, was die Wissenschaften heu-te alles über Bewusstsein, Ich, Person, Evo-lution, Sterben und Tod wissen, der kommt auch an seinem neuen Werk nicht vorbei. Ei-ne ausführliche Besprechung folgt. rehFazit: Ein Must-have für Lebensrechtler.

Günter Rager: Mensch sein: Grundzüge einer interdisziplinären Anthropologie. Verlag Karl Alber, Freiburg im Breisgau 2017. Gebunden. 208 Seiten. 24,00 EUR.

Das regulierte Gen

Der Autor, Sebasti-an Schuol, studierte Philosophie und Mo-lekulargenetik in Er-langen und Tübin-gen und war Stipen-diat am DFG-Gra-duiertenkolleg Bio-ethik am Internationa-

len Zentrum für Ethik in den Wissenschaften (IZEW) in Tübingen. Sein lesenswertes Buch

M it »Das Leben nehmen – Sui-zid in der Moderne« ist Tho-mas Macho, Direktor des

Internationalen Forschungszentrums Kulturwissenschaften in Wien, zweifellos ein großer Wurf gelungen. Das gilt auch dann, wenn man die wichtigste Kon-sequenz, die Macho aus seiner Beschäftigung mit dem Thema zieht, ablehnt. Aber der Rei-he nach.

Völlig zu Recht erblickt der österrei-chische Kulturwissenschaftler und Phi-losoph, der auch Kulturgeschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin lehrt, in der »radikalen Umwertung des Suizids« einen »der größten und folgenreichsten Umbrüche des 20. und 21. Jahrhunderts«. Viele Jahrhunderte lang sei der Suizid als »schwere Sünde, so-gar als ›Doppelmord‹ – nämlich an Seele und Körper –, als Verbre-chen, das streng be-straft wurde, nicht al-lein durch Verstüm-melung und Verschar-rung der Leichen, son-dern beispielsweise auch durch Beschlag-nahmung des Famili-envermögens, zumin-dest aber als Effekt des Wahnsinns und als Krankheit bewer-tet« worden. In der Moderne jedoch sei die Frage nach dem Suizid, welcher Wal-ter Benjamin gar als deren »Quintessenz« erschien, zu einem zentralen Leitmo-tiv der Epoche geworden. Macho: »Seit dem Fin de Siècle, spätestens aber nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, hat sich die radikale Umwertung des Suizids – einerseits als Prozess der Enttabuisie-rung, andererseits als Verbreitung einer emanzipatorischen ›Selbsttechnik‹ – auf mehreren kulturellen Feldern vollzogen: als Protest in der Politik, als Strategie des Anschlags und des Attentats in neu-eren Erscheinungsformen des bewaffne-ten Konflikts, als Grundthema der Phi-losophie und der Künste, in Literatur, Malerei und Film.« Auf dem Gebiet des Rechts schließlich seien Suizid und Su-izidversuch entkriminalisiert und ver-schiedene Formen der Selbsttötung so-wie des (ärztlich) assistierten Suizids le-galisiert worden.

Auf allen diesen Feldern spürt Ma-cho der Umwertung des Suizids nach und erzählt so eine lesenswerte (Kul-tur-)Geschichte des Suizids in der Mo-

derne. Wie Journalisten, die sich die Empfehlun-gen von Suizidpräven-tionsforschern zu Her-zen nehmen, spricht Ma-cho überdies in seinem Buch weder vom »Selbst-

mord« noch vom »Freitod« und vermei-det so präskriptive Wertungen ganz. Auch seinem Vorschlag »zwischen suizidfaszi-nierten Kulturen und Epochen, die dem Suizid ein hohes Maß an Aufmerksamkeit schenken, und suizidkritischen Zeiten und Lebensformen, die den Suizid tendenzi-ell tabuisieren und abwerten«, zu unter-scheiden, lässt sich folgen, jedenfalls so-lange es dabei um eine Beschreibung geht,

die das Verstehen und das Einordnen dessen fördert, was der Autor hier zusammenträgt.

Widersprechen aber muss man dem Autor, wenn er aus der Behauptung, dass »nicht alle«, die sich das Leben nähmen, »krank oder verrückt« seien, folgert, der Sui-zid müsse weiter ent-pathologisiert werden. Denn die Evidenz von Studien, die zeigen, dass sich mehr als vier Fünftel der Suizide auf psychische Erkran-kungen zurückfüh-ren lassen, ist schlicht überwältigend.

Wenn aber der Suizid, wie auch Ma-cho feststellt, inzwischen weltweit als ei-ne der Haupttodesursachen gilt und die-se andererseits in aller Regel auf psychi-sche Erkrankungen zurückgeführt wer-den können, ist es gewissermaßen nor-mal geworden, psychisch zu erkranken. Ihnen ist nicht damit geholfen, den Sui-zid – wie Macho anregt – künftig als ei-nen Weg neben anderen zu betrachten, um aus dem Leben zu scheiden. Im Ge-genteil. Sie blieben mehr als jemals zu-vor auf sich selbst verwiesen. Ein schau-riger Gedanke.

Das Lebennehmen

Stefan Rehder

Thomas Macho: Das Leben nehmen – Suizid in der Moderne. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main. Gebunden. 532 Seiten. 28,00 EUR.

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zeigt, wie schwierig die Definition des Be-griffs »Gen« ist und wie sehr sich diese im Zuge der Erkenntnisse, die in letzter Zeit vor allem auf dem Gebiet der Epigenetik gewon-nen wurden, gewandelt hat. Wurde das Gen (allein oder im Verbund mit anderen) bis vor Kurzem noch als monokausale Ursache für die Initiierung und Steuerung biologischer Prozesse und Aktivitäten innerhalb von Orga-nismen betrachtet, so weiß man inzwischen, wie kurzsichtig und unzureichend derarti-ge Erklärungsversuche sind. Mit den Worten Schuols: Das Verständnis von Genen als ei-ner statischen Ding-Einheit ändert sich hin zu dem einer »dynamischen Prozess-Einheit«. In seinem Buch greift Schuol diese Entwicklung auf und diskutiert ihre theoretischen und praktischen Implikationen. Fazit: Für Fachleute. reh Sebastian Schuol: Das regulierte Gen: Implikatio-nen der Epigenetik für Biophilosophie und Bio-ethik. Reihe: Lebenswissenschaften im Dialog, Band 24. Verlag Karl Alber, Freiburg im Breisgau 2017. Ge-bunden. 424 Seiten. 49,00 EUR.

Menschenwürde

In der Philosophie meint Kontingenz das Nichtnotwendi-ge. Wenn wie jetzt ein Buch erschie-nen ist, das die Di-mensionen der Kon-tingenz ausgerech-net bei einem Wert wie der Menschen-

würde diskutiert, heißt es: aufmerken! Denn bereits die bloße Existenz eines Sammelban-des wie des Vorliegenden zeigt: Die Wür-de des Menschen, die das Grundgesetz noch als »unantastbar« und damit als unhintergeh-bar und unverlierbar ausweist, steht – jeden-falls für manche – eben doch zur Dispositi-on. Statt darin nun reflexartig einen Angriff zu vermuten und zur Attacke zu blasen, emp-fiehlt es sich, zur Kenntnis zu nehmen, dass die Begründung der Idee der Menschenwür-de, ebenso wie der ihr eigene Absolutheits-anspruch, manchen brüchig geworden, in Teilen in Vergessenheit geraten sind oder eben schlicht nicht jedem einleuchten. Wem daher an der Menschenwürde etwas liegt, tut gut daran, diesen Sammelband zu studie-ren und nach Antworten auf die dort ausge-breitete Kritik zu suchen. rehFazit: Für Denker. Eva Weber-Guska / Mario Brandhorst (Hrsg.): Men-schenwürde. Eine philosophische Debatte über Dimensionen ihrer Kontingenz. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2017. 363 Seiten. 18,00 EUR.

Treffen sichzwei Gene

Der Wissenschaftshistoriker Ernst Peter Fischer hat wieder zuge-schlagen. In seinem neuesten

Werk »Treffen sich zwei Gene – Vom Wan-del unseres Erbguts und der Natur des Lebens« liefert Fischer nicht weni-ger als einen historischen Abriss der Geschichte der Genetik von ihren Anfän-gen bis heute. So erfährt der Leser unter anderem, wie der Augus-tinermönch Gregor Mendel (1822–1884) bei der Kreuzung von Erbsen im Garten seines Klosters auf die Vererbungsregeln stieß oder wie der US-amerikanische Zoo-loge Thomas Morgan (1866–1945) jahr-zehntelang Taufliegen kreuzte und dabei die Chromosomen entdeckte. Die Entde-ckung des kanadischen Mediziners Oswald Averys (1877–1955), der herausfand, dass sich die Erbinformation in der DNA und nicht etwa in den Proteinen befindet, wird ebenso beschrieben wie die Forschungen des deutschen Biophysikers Max Delbrück (1906–1981) mit Bakteriopha-gen, die die Grundlagen für die moderne Mole-kularbiologie legten. Fischer wurde übrigens bei Delbrück promo-viert und schrieb später dessen Biografie. Selbst-verständlich fehlen auch James D. Watson (ge-boren 1928) und Fran-cis Crick (1916–2004) nicht, die die Struktur des Erbguts entdeckten und das DNA-Modell der Doppelhelix entwarfen, und nicht einmal das Genome-Editing mit-tels der CRISPR/Cas9-Genscheren, die erst 2012 von der Französin Emmanuel-le Charpentier und der US-Amerikanerin Jennifer Doudna entwickelt wurden, wer-den ausgespart.

Wer meint, dass Wissenschaftslitera-tur entweder sterbenslangweilig oder aber notwendig unseriös sein und ungedeckte Schecks ausstellen müsse, den belehrt Fi-scher eines Besseren. Wie bei einer Expe-dition führt der Autor die Leser durch den Dschungel der Genetik, verweilt mal hier und mal dort, um den Blick seiner Leser für das große Ganze zu schärfen, drückt zwischendurch aufs Tempo, um andern-orts ausführlicher zu werden.

Nicht immer erschließt sich die vom Autor vorgenommene Gewichtung dem

Leser sofort. So fragt man sich etwa, wa-rum Fischer so lange auf umgangssprach-lichen Nonsens-Formulierungen wie dem »Unternehmer-«, »Stürmer«- oder »Bay-

ern-Gen« herumreitet. Doch schon bald wird klar: Solche Formulie-rungen illustrieren für den Autor, wie tief ver-ankert das völlig falsche Verständnis von Genen

in der Gesellschaft ist.Verantwortlich dafür sind nicht bloß

Vermittler wie die Wissenschaftsjourna-listen, sondern mehr noch die Wissen-schaftler selbst. Es sind ihre Modelle und vollmundigen Ankündigungen und Ver-sprechungen, denen Glauben geschenkt wird. Fischer geht darauf an mehreren Stellen ein, so etwa, wenn er auf das Hu-

mangenomprojekt zu sprechen kommt, oder auch, wenn er sich im Nachwort zu diesem Buch kritisch mit Ri-chard Dawkins »Das egoistische Gen« aus-einandersetzt, dessen Reduktionismus gan-ze Generationen in die Irre geführt und ver-bildet hat. Allerdings fällt Fischers diesbe-zügliche Kritik über-aus verhalten aus. Das ist insofern schade, als zu guter Wissenschaft stets auch gehört, ein zureichendes Bild von den jeweiligen Gren-zen des eigenes Faches und der Reichweiten

der Methoden zu besitzen, derer man sich bedient. Und wer – wenn nicht der Wissenschaftshistoriker – wäre berufener zu beurteilen, ob und in welchem Um-fang dem jeweils Genüge getan wurde?

Wie auch immer. Fischer zeigt, dass der Mensch keine Biomaschine ist. Und dass die Vorstellung, ein Gen sei etwas, auf dem sich der Bauplan oder die Be-triebsanweisung finden ließe, eine irri-ge ist. Oder, um es mit den Worten des Autors zu sagen: »Gene sind nicht. Gene werden. Sie ändern sich, und das Denken über sie wandelt sich mit ihnen.«

Sebastian Sander

Ernst Peter Fischer: Treffen sich zwei Gene. Vom Wandel unseres Erbguts und der Natur des Lebens. Verlag Siedler, München 2017. 336 Seiten. 24,99 EUR.

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K U R Z V O R S C H L U S S

Expressis verbis»Wir können nicht akzeptieren, dass aktive

Sterbehilfe in den Mauern unserer Institu-tion durchgeführt wird.«

Rene Stockmann, Generaloberer des Ordens »Broeders van Liefde« (dt.: Brüder der Nächs-tenliebe), gegenüber dem US-Nachrichten-dienst CNS

Die Zeiten von ›Roma locuta, causa finita‹ sind lange vorbei.«

Der frühere EU-Ratspräsident Herman van Rompuy auf Twitter zur Meldung, der zufolge der Vatikan den Orden aufgerufen hat, »unter keinen Umständen« Euthanasie länger »als Lö-sung für menschliches Leid« in Betracht zu zie-hen

Die aktive Sterbehilfe, wie sie in Belgien, den Niederlanden und Luxemburg prak-tiziert wird, ist und bleibt mit der katholi-schen Lehre nicht vereinbar. Van Rompuys Statement irritiert in seiner Missachtung des christlichen Menschenbildes und in seiner mangelnden Begriffspräszisierung.« ZdK-Präsident Thomas Sternberg

Kardinal Meisner war ein furchtloser Strei-ter, der keine Diskussionen und Konflikte scheute und immer ein klares Bekenntnis abgab, als Bischof wie als Mensch. Gera-de auch im Bereich des Lebensrechts war er eine große, verlässliche Stimme, die vielen Mitgliedern der Lebensrechtsver-bände zusätzlich Mut und Halt gab.« Die ALfA-Bundesvorsitzende Alexandra Ma-ria Linder zum Tod des Alt-Erzbischofs von Köln, Joachim Kardinal Meisner

Kompromisslos in wichtigen Glaubens- und Lebensfragen stellte er deutlich heraus, dass die Würde des Kindes, der Frau und der Wert der Familie nicht einem einseitig interpretierten ›Selbstbestimmungsrecht‹ oder gar einem Recht auf Abtreibung und Suizidbeihilfe geopfert werden dürfe.«

Mechthild Löhr, Bundesvorsitzende der Christ-demokraten für das Leben (CDL), zum selben Anlass

Tops & Flops

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Irlands Ministerpräsident Leo Varadkar will das Volk über eine Verfassungsände-rung abstimmen lassen, die

auf eine nahezu vollständige Freigabe vor-geburtlicher Kindstötungen hinausliefe. Bislang hält die iri-sche Verfassung in ihrem 8. Zusatzarti-kel fest, dass ungebo-rene Kinder die glei-chen Rechte genie-ßen wie ihre Müt-ter. Vorgeburtliche Kindstötungen sind daher nur erlaubt, wenn die Fortset-zung der Schwangerschaft das Leben der Mutter bedroht. Wie der britische Guar-dian berichtet, soll das Referendum ent-weder im Mai oder im Juni stattfinden, in jedem Fall aber bevor Papst Franziskus im August zum Weltfamilientreffen in Dub-lin erwartet wird. reh

Der niederländische Psych-iater und Psychotherapeut Boudewijn Chabot, der als Vorkämpfer und Befürwor-

ter des 2002 in Kraft getretenen nieder-ländischen Euthanasiegesetzes gilt, hat sich schockiert über die Praxis der Eutha-nasie in den Nieder-landen gezeigt. Wie das »NRC Handels-blad«, das zu füh-renden Zeitungen des Landes zählt, berichtet, sei Cha-bot von der raschen Zunahme der Zahl von Menschen, die durch Euthanasie den Tod finden und an einer psychiatrischen Krankheit oder Demenz litten, entsetzt. »Das System in den Niederlanden ist ent-gleist« und »Ich weiß nicht, wie wir den Geist wieder in die Flasche zurückbe-kommen«, wird Chabot zitiert. reh

Boudewijn Chabot Leo Varadkar

wie sollen wir es machen? erst das natrium-pentobarbital und dann die

sterbesakramente oder lieber umgekehrt?

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»Probleme des Lebensschutzes waren lang Zeit kein Gegenstand der Sozialethik. Dies gilt für die klassischen Probleme Ab-treibung und Euthanasie, die es gibt, seit es Menschen gibt. Es gilt aber auch für die modernen Probleme der Kryokonservie-rung von Embryonen, der Präimplanta-tionsdiagnostik, des Klonens und der em-bryonalen Stammzellforschung. Dies war verständlich, solange die Rechts- und Ver-fassungsordnungen der zivilisierten Staa-ten Abtreibung und Euthanasie als Ver-stöße gegen das Menschenrecht auf Le-ben verboten haben. Anfang der 70er Jah-re des vergangenen Jahrhunderts aber hat sich dies grundlegend geändert. Zahlreiche Staaten haben das Abtreibungsverbot und manche, wie Belgien und die Niederlan-de, auch das Euthanasieverbot gelockert oder ganz aufgehoben. Nachdem sich die künstliche Befruchtung in den 80er Jah-ren nahezu weltweit ausbreitete und zu zahllosen kryokonservierten, so genann-ten ›überzähligen‹ Embryonen führte, die keine Chance mehr auf einen Transfer in eine Gebärmutter haben, und nachdem es 1998 erstmals gelang, embryonale Stamm-zellen zu isolieren, legalisierten viele Staa-

ten auch die Forschung mit embryonalen Stammzellen, das (therapeutische) Klo-nen und die Präimplantationsdiagnostik. Forschung mit embryonalen Stammzellen aber bedeutet die Tötung des Embryos. Die Gesetzgeber degradierten damit den ›überzähligen‹ Embryo zu einem biome-dizinischen Rohstoff und beraubten das Verbot privater Gewaltanwendung und der Tötung unschuldiger Menschen sei-ner Verbindlichkeit. (...) Die gesellschaft-lichen und rechtlichen Entwicklungen er-lauben es der Christlichen Gesellschafts-lehre aber nicht länger, die Probleme des Lebensschutzes nur als Randproblem zu behandeln. Sie hat gegenüber der Locke-rung bzw. Aufhebung des Abtreibungs- und Euthanasieverbots und der Legalisierung der embryonalen Stammzellforschung die zentrale Legitimitätsbedingung eines de-mokratischen Rechtsstaates zur Geltung zu bringen: Das Verbot privater Gewalt-anwendung und der Tötung unschuldi-ger Menschen. (...)«

Manfred Spieker (Hrsg.): Biopolitik – Probleme des Le-bensschutzes in der Demokratie. Verlag Ferdinand Schö-ningh, Paderborn 2009. 290 Seiten. 22,90 EUR.

Abstammungsrecht steht vor ReformBerlin (ALfA). Angesichts der Entwicklungen in der Reproduktionsmedizin und der damit einhergehenden möglich gewordenen neuen Familienkonstellationen hat der »Arbeitskreis Abstammungsrecht« grundlegende Reformen des deutschen Abstammungsrechts empfoh-len. Das berichtet die katholische Nachrich-tenagentur KNA. Statt von »Abstammungs-recht« solle künftig von der »rechtlichen Eltern-Kind-Zuordnung« gesprochen werden, da die genetische Abstammung nur noch ei-nes unter mehreren Prinzipien der Zuordnung sei, heißt es in dem Abschlussbericht, den der Arbeitskreis Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) übergab. Der 2015 eingesetzten Kommission unter dem Vorsitz der ehemali-gen Familienrichterin am Bundesgerichtshof, Meo-Micaela Hahne, gehören weitere acht Fachjuristen sowie die Kölner Medizinethi-kerin Christiane Woopen und der Münchner Psychologe Heinz Kindler an. Sie legen 91 Thesen als »Orientierungs- und Entschei-dungshilfe« für den Gesetzgeber vor. Anlass für die Prüfung waren nach Angaben des Ministeriums die zunehmende Vielfalt der heutigen Familienkonstellationen und die Entwicklungen der Reproduktionsmedizin. Das Recht müsse mit diesem Veränderungs-prozess Schritt halten.

Samenspenderregister gebilligtBerlin (ALfA). Menschen, die mittels einer Samenspende entstanden sind, können künftig Informationen über ihre biologische Herkunft verlangen. Nach dem Bundestag billigte auch der Bundesrat ein Gesetz, das den Aufbau eines bundes-weiten Spen-derregisters vorsieht. Das berichtet das Online-Portal des Deutschen Ärzteblatts. In dem Register werden die Daten von Samenspendern und -empfängerinnen für die Dauer von 110 Jahren gespeichert. Gleichzeitig erhalten die Kinder, die durch eine künstliche Befruchtung mit gespendeten Samen gezeugt wurden, einen gesetzlichen Auskunftsanspruch zu Einzelheiten ihrer Abstammung. Bundes-gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) hatte das Gesetzgebungsverfahren damit begründet, dass jeder Mensch erfahren können solle, von wem er abstamme.

Künstliche Befruchtung

Aus der BibliothekManfred Spieker: Biopolitik (2009)

»Ausländer retten deutsche Sozial-versicherung!« Das könnte in der Welt von morgen Deutschlands auflagen-stärkste Boulevardzeitung titeln. Denn wie das »Handelsblatt« kürzlich unter Berufung auf Daten der Deutschen Rentenversicherung berichtete, hat eine wachsende Zahl an Zuwanderern, die vor allem aus EU-Ländern stammen, die Finanzlage der deutschen Sozialver-sicherungen in den letzten Jahren deut-lich verbessert. Und zwar so deutlich, dass die Renten- und Krankenkassen-beiträge trotz kostspieliger Reformen auf absehbare Zeit stabil bleiben. Den Berechnungen zufolge stieg die Zahl der Beitragszahler mit ausländischem Pass zwischen 2008 und 2015 um 1,7 Milli-onen, was einer Zunahme um 53 Pro-zent entspricht. Aber war da nicht mal was? Richtig: »Wer betrügt, der fliegt«, schallte es vor der Europawahl 2014 aus dem Süden durch das Deutschland

von gestern, nachdem Meldungen vom massenhaften Missbrauch von Sozial-leistungen durch Zuwanderer aus Ost-europa die Runde machten. Woraufhin es »Deutschland den Deutschen« aus dem Osten zurückschallte. Dass schon damals die überwiegende Mehrheit der hier lebenden Bulgaren und Rumänen in die sozialen Sicherungssysteme ein-zahlte, statt sich daraus zu bedienen, wollte kaum jemand zur Notiz neh-men. Nicht, dass man sich keine Sor-gen um den Verlust deutscher Identität machen dürfe. Das schon, auch wenn keine Einigkeit darüber besteht, was das ist: deutsche Identität. Goethe, Schil-ler, Kleist oder doch nur Götze, Schuh-beck, Klum? Nur, nach Lage der Din-ge bedeutet »Deutschland den Deut-schen« bislang, dass die Rentner in der Welt von morgen genau eine Alternative haben: Nämlich jene zwischen Eutha-nasie und Pflegeroboter. Stefan Rehder

»Die Welt. Die von morgen« (35)

K U R Z & B Ü N D I G

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G E S E L L S C H A F T

Wenn es »LebensForum« noch nicht gäbe, müsste es erfunden werden. Mein Kompliment zu dieser (wieder mal) sehr gelungen Ausgabe.Hans Richter, Bad Vilbel

FulminantHerzlichen Dank für das neue »Le-

bensForum« mit der fulminanten Titel-geschichte von gleich drei ausgewiesenen Experten. Sie verstehen sicher, dass ich – wie Sie vermutlich auch – trotzdem hof-fe, dass die Autoren Unrecht behalten und sich Politik und Gesellschaft noch für ei-nen anderen Kurs erwärmen lassen.

Dr. med. Matthias Klein, Düsseldorf

Lektion nicht gelerntWenigstens die Deutschen, so sollte man

meinen dürfen, müssten ihre Lektion beim Thema Eugenik doch gelernt haben. Der Beitrag Dr. Kiworrs und der Herren Pro-fessoren Bauer und Cullen zeigt in erschre-ckender Weise, dass dies offenbar keines-wegs der Fall ist. Vielen Dank, dass ALfA das problematisiert und öffentlich macht.

Jesko Jochemsen, Cuxhaven

Ethische AlternativeHaben Sie Dank für den eindrucksvollen

Bericht von Gerhard Steier über die Tagung des Bundesverbands Lebensrecht zum Auf-takt der diesjährigen ökumenischen »Wo-che für das Leben«. Besonders interessant fand ich die Wiedergabe der Äußerungen der Gynäkologin Susanne Van der Velden aus Kleve, die zeigen, dass es auch bei un-erfülltem Kinderwunsch lebensfreundliche Alternativen zu der ethisch unverantwort-baren künstlichen Befruchtung gibt. Das

müsste noch sehr viel stärker bekannt ge-macht werden und hätte daher wohl auch im »LebensForum« mehr Platz verdient. Ich rege hiermit an, das Thema bei ande-rer Gelegenheit noch einmal aufzugrei-fen und dann ausführlicher zu behandeln.

Elvira Mendes, Hamburg

Empörend und verstörendDass der Berliner Diözesanrat nicht zur

Unterstützung des »Marschs für das Le-ben« (vgl. LF 122, 2/2017, S.32) aufrufen will, empfinde ich als empörend und ge-radezu verstörend. Denn damit stellt sich der Berliner Diözesanrat – bewusst oder unbewusst – sowohl gegen Papst Franzis-

kus, der Katholiken verschiedentlich zur Teilnahme an den Märschen für das Leben aufgerufen hat, als auch gegen den eige-nen Ortsbischof. Ich selbst war Zeuge, wie Erzbischof Heiner Koch auf der Kundge-

bung zum Beginn des Marsches im vergan-genen Jahr ein Grußwort gesprochen hat. Auch ich empfinde gelegentlich Äußerun-gen von einigen wenigen Teilnehmern des Marsches als problematisch und zu wenig differenziert. Aber als jemand, der seit acht Jahren immer wieder an dem Marsch teil-genommen hat, erlaube mich mir jedoch, zu behaupten, dass solche Krawall-Lebens-rechtler eine verschwindende Minderheit darstellen. Mein Eindruck ist, dass die gan-ze große Mehrheit der Teilnehmer zwar die Abtreibung als Tötung eines wehrlo-sen Menschen verurteilt, keineswegs je-doch Frauen, die sich genötigt sehen, einen Arzt aufzusuchen, der sie von dem Kind »befreit«. Ich habe jedenfalls in den zu-rückliegenden Jahren immer wieder Teil-nehmer kennengelernt, die sich um Frau-en kümmern, die sich in ihrer Verzweif-lung für eine Abtreibung entschieden ha-ben und nun darunter leiden.

Winfried Horstmann, Münster

A N Z E I G E

Teilnehmer beim »Marsch für das Leben«

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I M P R E S S U M

IMPRESSUMLEBENSFORUMAusgabe Nr. 123, 3. Quartal 2017ISSN 0945-4586

VerlagAktion Lebensrecht für Alle (ALfA) e.V. Ottmarsgäßchen 8, 86152 AugsburgTel.: 08 21 / 51 20 31, Fax: 08 21 / 15 64 07www.alfa-ev.de, E-Mail: [email protected]

HerausgeberAktion Lebensrecht für Alle e.V.Bundesvorsitzende Alexandra Maria Linder M. A. (V. i. S. d. P.)

KooperationÄrzte für das Leben e.V. – Geschäftsstellez.H. Dr. med. Karl RennerSudetenstraße 15, 87616 MarktoberdorfTel.: 0 83 42 / 74 22, E-Mail: [email protected]

Treffen Christlicher Lebensrecht-Gruppen e. V.Fehrbelliner Straße 99, 10119 BerlinTel.: 030 / 521 399 39, Fax 030 / 440 588 67 FaxInternet: www.tclrg.de · E-Mail: [email protected]

RedaktionsleitungStefan Rehder, M.A.

RedaktionAlexandra Maria Linder M. A., Dr. med. Maria Overdick-Gulden, Prof. Dr. med. Paul Cullen (Ärzte für das Leben e.V.)E-Mail: [email protected]

AnzeigenverwaltungAktion Lebensrecht für Alle (ALfA) e.V. Ottmarsgäßchen 8, 86152 AugsburgTel.: 08 21 / 51 20 31, Fax: 08 21 / 15 64 07www.alfa-ev.de, E-Mail: [email protected]

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D ie selektive Abtreibung nach Geschlecht, die bislang vor al-lem in Asien beklagt wird, ist

auch in westlichen Industrienationen auf dem Vormarsch. Nach Ansicht des Wiener Instituts für medizinische An-thropologie und Bioethik (IMABE) ver-schärfen vor allem die von verschiede-nen Herstellern angebotenen, nicht-in-vasiven Gentests diese Problematik. Mit diesen einfachen Bluttests lässt sich das Geschlecht des ungeborenen Kindes be-reits in der neunten Schwangerschafts-woche feststellen. Und damit nicht nur deutlich früher als bei einer Ultraschall-untersuchung, sondern auch innerhalb der gesetzlichen Frist von zehn bis zwölf Wochen, während derer vorgeburtliche Kindstötungen in vielen Ländern als le-gal betrachtet werden.

In der Oktober-Ausgabe seines mo-natlichen Newsletters zitiert das Institut jetzt Daniel Surbek, Chefarzt am Insel-spital Bern. Ihm zufolge kommt es allein in der Schweiz jährlich zu rund 100 Ab-treibungen aufgrund des »falschen Ge-schlechts«. Grund genug für den Schwei-zer Bundesrat, einen Gesetzentwurf zu erarbeiten, der die Mitteilung des Ge-schlechts ungeborener Kinder vor Ab-lauf der zwölften Schwangerschaftswo-che untersagt.

Auch in Schweden und Großbritannien werden laut IMABE Abtreibungen wegen eines von den Eltern nicht gewünschten Geschlechts vorgenommen. Und in den USA offerieren Kinderwunschkliniken Paaren, die sich einer künstlichen Be-fruchtung unterziehen, die Selektion im Labor erzeugter Embryonen nach Ge-schlecht. Möglich ist das, weil sich das Y-Chromosom, das nur Jungen besitzen, unter Neonlicht zweifelsfrei ausmachen lässt. Die Angebote verbergen sich hinter Begriffen wie »social sexing« und »fami-ly balancing« und gehören nach Aussa-gen von Reproduktionsmedizinern längst zum »Lifestyle«.

In Deutschland verbietet das am 1. Februar 2010 in Kraft getretene Gendi-agnostik-Gesetz die Mitteilung des Ge-schlechts ungeborener Kinder vor Ende der Zwölf-Wochen-Frist, innerhalb de-rer Abtreibungen zwar grundsätzlich ver-boten sind, aber nicht bestraft werden, wenn sich die Schwangere zuvor hat be-

raten lassen und dies nachweisen kann.In Indien und China, wo Mädchen seit

Langem massenhaft abgetrieben werden, haben die selektiven Abtreibungen über-wiegend soziale Gründe. So messen Eltern in China, wo jedes Jahr rund eine Million Mädchen gezielt vor der Geburt getötet werden, den männlichen Nachkommen traditionell eine höhere Bedeutung zu. Männer tragen dort nicht nur den Fa-miliennamen weiter, sondern versorgen ihre Eltern auch im Alter.

In Indien, wo jedes Jahr noch mehr Mädchen vor der Geburt getötet werden als in China, ist häufig die obligatorische Mitgift ausschlaggebend, die Eltern bei der Heirat einer Tochter zahlen müssen.

Zeitweise bewarben indische Kliniken die zur Geschlechtsbestimmung erforderli-chen Tests ganz offen mit Slogans wie: »Geben Sie jetzt 800 Rupien aus, damit Sie später 50.000 Rupien sparen.«

Expertenschätzungen zufolge fehlen für eine gesunde demografische Entwicklung weltweit inzwischen 90 bis 150 Millionen

Frauen, überwiegend in Asien. In China etwa beträgt der Männerüberschuss mitt-lerweile rund 100 Millionen. Eine solche Vermännlichung der Gesellschaft müsste gerade Feministinnen ein Dorn im Auge sein. Erstaunlicherweise gibt es jedoch aus diesem Lager kaum wahrnehmbare Kri-tik an selektiven Abtreibungen.

»Wer Abtreibungen wegen des Ge-schlechts toleriert, forciert eine diskrimi-nierende Sicht auf Mädchen und Frauen. Geschlechterselektion ist keine Lappalie, sondern eine Menschenrechtsverletzung, die unter allen Umständen unterbunden werden muss«, erklärt die Bioethikerin und IMABE-Geschäftsführerin Susan-ne Kummer.

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Feministinnenaufgepasst!

Selektive Abtreibungensind keine rein asiatisches

Phänomen mehr

Von Sebastian Sander

Durch gezielte Abtreibung von Mädchen gibt es dramatisch weniger Frauen als Männer

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