61
1 ANTIGONE von JEAN ANOUILH Deutsch von Franz Geiger Bearbeitung Rob Vriens Stand 20.07. Als unverkäufliches Manuskript vervielfältigt. Dieses Buch darf weder verkauft noch verliehen noch sonst irgendwie weitergegeben werden. Alle Rechte, insbesondere die der Übersetzung, Verfilmung und Übertragung durch Rundfunk, Fernsehen, der mechanischen Vervielfältigung, insbesondere auch der Vertonung und Veroperung vorbehalten. Dieses Buch darf zu Bühnenzwecken, Vorlesungen und Vereinsaufführungen nur benutzt werden, wenn vorher das Aufführungsrecht einschließlich des Materials rechtmäßig von uns erworben ist. Das Ausschreiben der Rollen ist nicht gestattet. Die Übertretung dieser Bestimmungen verstößt gegen das Urheberrechtsgesetz. Wird das Stück nicht zur Aufführung angenommen, so ist das Buch umgehend zurückzusenden an: GUSTAV KIEPENHEUER BÜHNEN VERTRIEB S-GmbH Schweinfurthstr. 60, D-14195 Berlin (Dahlem) Telefon 0 30-89 71 84-0, Telefax 030-8 23 39 11 e-mail: [email protected] www.kiepenheuer-medien.de PERSONEN: ANTIGONE, KREON, HÄMON, ISMENE, DIE AMME, DER WÄCHTER, DER SPRECHER

ANTIGONE - tak.li · vorher das Aufführungsrecht einschließlich des Materials rechtmäßig von uns erworben ist. ... Ich bin zwar nur deine Amme, Gü/Wi: und du behandelst mich

Embed Size (px)

Citation preview

1

ANTIGONE

von JEAN ANOUILH

Deutsch von Franz Geiger Bearbeitung Rob Vriens

Stand 20.07. Als unverkäufliches Manuskript vervielfältigt. Dieses Buch darf weder verkauft noch verliehen noch sonst irgendwie weitergegeben werden. Alle Rechte, insbesondere die der Übersetzung, Verfilmung und Übertragung durch Rundfunk, Fernsehen, der mechanischen Vervielfältigung, insbesondere auch der Vertonung und Veroperung vorbehalten. Dieses Buch darf zu Bühnenzwecken, Vorlesungen und Vereinsaufführungen nur benutzt werden, wenn vorher das Aufführungsrecht einschließlich des Materials rechtmäßig von uns erworben ist. Das Ausschreiben der Rollen ist nicht gestattet. Die Übertretung dieser Bestimmungen verstößt gegen das Urheberrechtsgesetz. Wird das Stück nicht zur Aufführung angenommen, so ist das Buch umgehend zurückzusenden an:

GUSTAV KIEPENHEUER BÜHNEN VERTRIEB S-GmbH

Schweinfurthstr. 60, D-14195 Berlin (Dahlem) Telefon 0 30-89 71 84-0, Telefax 030-8 23 39 11

e-mail: [email protected] www.kiepenheuer-medien.de

PERSONEN: ANTIGONE, KREON, HÄMON, ISMENE, DIE AMME, DER WÄCHTER, DER SPRECHER

2

Prolog Sprecher: alle Sprecher:

Mi: So. Wi: Wir werden euch jetzt die Geschichte der Antigone

spielen. Ve: Wir wissen dass wir gleich ein Teil von Antigone sein

werden. Sa: Dass wir zwar nichts von diesem jungen, schmächtigen,

verschlossenen Mädchen haben, Ut: aber vielleicht gleichzeitig auch alles. Fr: Keiner hier, eh… beziehungsweise, keiner in ihrer Familie

nimmt Antigone ernst. Si: Sie muss sich allein gegen die Welt stellen und vor allem

gegen Kreon, Gü: ihren Onkel, der König ist.

Gü: Am Anfang des Stückes sitzt Antigone alleine und

schweigt. Wi: Starr blickt sie vor sich hin und denkt. Si: Denkt daran, dass sie bald sterben muss. Mi: Und - weil Antigone ja noch jung ist - dass auch sie gerne

noch leben möchte. Gü: Aber man kann ihr nicht helfen. Wi: Wir können ihr nicht helfen. Si: Sie heißt Antigone und muss ihre Rolle durchhalten bis

zum Ende. Mi: Wir müssen durchhalten, bis zum Ende. Gü: Antigone fühlt, wie beängstigend schnell sie sich von ihrer

Schwester Ismene entfernt. Si: Sie löst sich eigentlich von uns allen, die heute Abend

nicht zu sterben brauchen und ihr ruhig zusehen können.

Ut: Der Mann, der dort nachdenklich guckt, das ist Kreon. Ve: Er ist, wie gesagt, der König. Fr: Er versucht sich in dem mühsamen Spiel, die Menschen

zu führen. Sa: Früher liebte er Musik, schöne Bücher und lange

Streifzüge durch die Antiquariate von Theben. Fr: Aber sein Schwager Ödipus und dessen beide Söhne

sind tot. Ut: Er verließ seine Bücher und Sammlungen, krempelte die

Ärmel auf und begann zu regieren. Ve: Abends, wenn er dann müde ist, fragt er sich oft, ob es

3

nicht sinnlos sei, die Menschen führen zu wollen, Sa: ob es nicht ein schmutziges Geschäft sei, das man

weniger empfindsamen Naturen überlassen solle. Fr: Doch am nächsten Morgen erwarten ihn neue Aufgaben, Ut: und er steht auf, Ve: gelassen wie ein Arbeiter, Sa: der an sein Tagewerk geht.

Si: Der Mann da, mit dem die schöne, glückliche Ismene

spricht, ist Hämon, Kreons Sohn, und Verlobter Antigones. Eines Abends auf einem Ball, nachdem er nur mit Ismene getanzt hatte - ging er plötzlich zu Antigone und bat sie, seine Frau zu werden.

Wi: Keiner konnte jemals begreifen, warum er das getan hatte. Aber Antigone blickte mit ihren ernsten Augen ohne Überraschung zu ihm auf und sagte: "Ja" - mit einem kleinen traurigen Lächeln.

Si: Die Musik spielte zu einem neuen Tanz auf, und Ismene, umgeben von mehreren jungen Herren, lachte ihr lautes Lachen.

Wi: Und nun soll Hämon Antigone heiraten.

Si: Er weiß ja nicht, dass es nie einen Gemahl Antigones geben wird auf dieser Welt und dass sein fürstlicher Stand ihm nur das Sterben erlaubt.

Ut: Dann haben wir noch die Amme, die die beiden Mädchen

aufzog, Ve: Euridike, Kreons Frau, über die wir erst am Ende der

Geschichte erfahren werden, Sa: und drei Wächter. Ve: Es sind keine schlechten Kerle. Aber mit der größten

Gelassenheit werden sie demnächst die Angeklagten festnehmen.

Gü: Sie riechen nach Knoblauch, Rotwein und Leder und sind völlig phantasielos.

Mi: Sie sind die unschuldigen und immer selbstzufriedenen Handlanger der Gerichtsbarkeit.

Fr: Augenblicklich dienen sie Kreon, bis sie ihn eines Tages auf Befehl irgendeines neuen Chefs von Theben seinerseits verhaften werden.

Mi: So, nun kennt ihr sie alle, Gü: und die Geschichte kann beginnen. Ut: Sie fängt damit an, dass die zwei Söhne von Ödipus,

Eteokles und Polyneikes, in Streit geraten waren und sich vor den Stadtmauern gegenseitig erschlagen hatten.

4

Denn jeder sollte, nach den Tod ihres Vaters, abwechselnd ein Jahr über Theben regieren. Aber nachdem das erste Jahr verstrichen war, hatte sich Eteokles, der ältere, geweigert, die Herrschaft seinem Bruder zu übergeben.

Sa: Im Kampf um die Stadt, brachten die beiden Brüder sich gegenseitig um.

Si: Kreon, der neue König, ordnete für den einen Bruder

Eteokles ein großartiges Begräbnis an. Sa: Polyneikes aber, in Kreons Augen der Taugenichts, Fr: der Aufrührer, Sa: soll unbeweint und unbestattet auf dem Schlachtfeld

liegen bleiben, den Raben und Schakalen zum Fraß. Gü: Jeder, der sich unterstehen sollte, ihm den letzten Dienst

zu erweisen, wird erbarmungslos mit dem Tode bestraft.

5

Szene 1: Amme: Günther; Willy; Micha; Sigi Antigone: Friederike; Uta; Sanne; Verena Amme:

Gü/Wi/Mi/Si: Wo kommst du her? Antigone:

Sa: Ich? Sa/Ut: Ich ging spazieren, Amme. Fr: Es war schön, alles so grau. Jetzt kannst du es nicht

mehr sehen. Inzwischen ist alles schon rot, gelb und grün wie auf einer Postkarte.

Ve: Wenn du eine Welt ohne Farben sehen willst, musst du früher aufstehen.

Amme:

Gü/Wi/Mi/Si: Ich stehe mitten in der Nacht auf, weil ich nach-sehen will, ob du dich im Schlaf nicht aufgedeckt hast… und da bist du nicht mehr im Bett.

Antigone:

Ve: Der Garten schlief noch. Ut: Ich betrachtete ihn, ohne dass er es merkte. Fr/Ut/Sa/Ve: Schön so ein Garten, der noch nicht an die

Menschen denkt. Amme:

Gü/Wi/Mi/Si: Du warst ausgegangen. Ich ging zur Hintertüre und fand sie offen.

Antigone:

Fr: Die Felder waren noch nass, Ve: und alles schien zu warten. Fr: Meine Schritte machten so viel Lärm auf der ver-

lassenen Straße. Ve: Ich zog meine Schuhe aus und schlich mich

unbemerkt über die Felder. Ut: Meinst du, es ist jeden Tag so schön, wenn man so zeitig aufsteht und als erste draußen ist?

Amme:

Gü/Wi/Mi/Si: Es war Nacht! Und da soll ich glauben, dass du nur spazieren gegangen bist! Wo kommst du her?

Antigone:

Fr/Ut/Sa/Ve: Ja, es war Nacht.

6

Sa: Nur ich glaubte als einzige, es sei schon Morgen. Fr: Es ist wunderbar, Amme. Ut/Ve: Heute war ich die erste, die an den Tag glaubte.

Amme:

Gü/Wi/Mi/Si: Gib zu, du hast dich mit jemandem getroffen? Antigone:

Fr: Ja - das habe ich. Amme: Gü/Wi/Mi/Si: Huch? Antigone: Ut: Ja - das habe ich. Amme:

Gü/Wi/Mi/Si: Nee! Antigone: Sa: Ja – das habe ich. Amme: Gü/Wi/Mi/Si: Was? Antigone: Ve: Ja – das habe ich. Amme:

Gü/Wi/Mi/Si: Hast du einen Liebhaber? Antigone:

Fr: Ja, Ut: Amme…

Amme:

Gü/Wi/Mi/Si: oooohhhh! Antigone:

Ve: der Ärmste. Fr/Ut/Sa/Ve: Ich habe einen Liebhaber.

Amme:

Mi: Das ist ja reizend! Si: Eine feine Geschichte! Wi: Du, eine Königstochter! Gü: Da gibt man sich die größte Mühe, die Kinder

7

ordentlich zu erziehen. Gü/Wi/Mi/Si: Aber es ist ja eine wie die andere! Wi/Mi: Trotzdem - so ganz wie die anderen warst du nicht.

Gü: Du hast eigentlich nie in den Spiegel gegafft und

dich geputzt und geschminkt. Si: Du hast auch nie auffallen wollen. Wi/Mi: Immer läufst du in alten Kleidern herum und bist

schlecht frisiert. Gü/Si: Die jungen Herren werden nur Augen für Ismene

haben. Wi/Mi: Wer ist es denn, dass du dich zu nachtschlafender

Zeit aus dem Haus stehlen musst? Gü/Si: Gewiss einer, den du niemals deiner Familie

vorstellen darfst Wi: und von dem du auch nie sagen kannst: Gü: Hier, Mi: das ist er, Si: ich habe ihn lieb Wi: und will ihn heiraten. Gü: So ist es doch? Gü/Wi/Mi/Si: Gib Antwort.

Antigone:

Sa: Ja - so ist es, Amme. Amme:

Gü/Wi/Mi/Si: Oooohh! Mi: Sie sagt glatt ja! Gü/Wi/Mi/Si: Oh, du heilige Barmherzigkeit! Wi: Ich bin zwar nur deine Amme, Gü/Wi: und du behandelst mich wie ein altes Möbel – Mi: aber dein Onkel Kreon wird es erfahren, Gü/Wi/Mi/Si: das verspreche ich dir.

Antigone:

Sa: Ja, Onkel Kreon wird es erfahren. Fr/Ut/Sa/Ve: Jetzt lass mich in Ruhe.

Amme:

Gü/Wi/Mi/Si: Du wirst schon sehen, was er sagt, wenn er hört, dass du nachts davonläufst. Und Hämon erst, dein Verlobter. Verlobt ist sie ja auch noch! Und da schleicht sie um vier Uhr in der Frühe aus dem Haus und streunt mit einem anderen herum!

8

Antigone: Ve: Bitte schrei nicht! Fr: Bitte schrei nicht! Sa/Ut: Bitte schrei nicht!

Amme:

Gü/Wi/Mi/Si: Da soll man obendrein noch nicht schreien. Wo ich doch deiner Mutter versprochen habe, dass ich dich ordentlich erziehe. Mein Gott, was würde sie sagen, wenn sie das erlebte? Ooooohhhh!

Antigone:

Fr: Du kannst Mama ruhig in die Augen sehen, wenn du zu ihr kommst. Sie wird sagen: ’’Amme. Vielen Dank für alles, was du für die kleine Antigone getan hast! Du hast gut auf sie aufgepasst.’’

Ve: Sie weiß, warum ich heute ausgegangen bin. Amme:

Gü: Hu? Wi: Hu? Mi: Hu? Si: Hu? Gü/Wi/Mi/Si: Du hast also keinen Liebhaber?

Antigone:

Ut: Du guter, alter Apfel. Sa: Lass deine Tränen nicht durch die vielen Rinnen

laufen wegen so einer Kleinigkeit. Ve: Ich bin nicht schlecht, und ich schwöre dir: Fr/Ut/Sa/Ve: ich liebe nur Hämon, Sa: meinen Verlobten. Ut: Und wenn du willst, schwöre ich auch, dass ich nie

einen anderen haben werde. Fr: Spar deine Tränen – ich bin mir sicher, Fr/Ve: du brauchst sie noch.

9

Szene 2: Ismene: Verena Antigone: Friederike/Uta/Sanne Amme: Günther; Willy; Micha; Sigi Ismene: Ve: Ich weiß nicht, was ich will

Ich wusste noch nie, was ich will Dinge geschehen Ich habe noch nie das Gefühl gehabt, dass ich... etwas beeinflussen könne Sie findet, dass man sich entscheiden muss Aber wofür muss man sich entscheiden Für das Beste Was weiß ich, was das Beste ist? Ich habe immer das Gefühl, dass das „Beste“ nicht existiert Alles ist gut Und gleichzeitig schlecht „Es gibt Dinge, die muss man tun“ Ist das so?

Wir können es nicht tun. Antigone:

Sa/Ut/Ve: Warum nicht? Ismene:

Ve: Er wird uns töten lassen. Antigone:

Fr/Ut/Sa: Sicher. Denn jeder tut, was er muss. Er muss uns töten lassen, und wir müssen unseren Bruder bestatten.

Sa: So sind die Rollen verteilt. Fr/Ut: Was sollen wir sonst tun?

Ismene:

Ve: Ich will nicht sterben. Antigone:

Sa: Glaubst du, ich möchte gerne sterben? Ismene:

Ve: Höre, ich habe die ganze Nacht nachgedacht. Ich bin die Ältere- und jeder weiss, die Vernünftigere. Du stürzt dich immer auf den nächst besten Gedanken - auch wenn es

10

die größte Dummheit ist. Ich bin viel abwägender und überlegter.

Antigone:

Ut: Manchmal soll man gar nicht so viel überlegen. Ismene:

Ve: Natürlich ist es grauenhaft, und unser Bruder tut mir genauso Leid wie dir. Aber ich kann auch unseren Onkel verstehen.

Antigone:

Fr/Ut/Sa: Ich will nicht verstehen. Ismene:

Ve: Er ist der König. Er muss ein Beispiel geben. Antigone:

Ut: Und ich bin kein König und muss kein Beispiel geben. Fr: Ich weiß schon, wie man sagen wird: die kleine, dick-

köpfige Antigone. Fr/Sa: Und dann schließt man mich irgendwo ein. Sa: Ganz recht geschieht mir, warum war ich so ungehorsam!

Ismene:

Ve: Sei nicht so eigensinnig, schau nicht so starr und höre. Ich habe öfter recht als du.

Antigone:

Fr/Ut/Sa: Ich will gar nicht Recht haben. Ismene:

Ve: Dann versuche wenigstens zu verstehen. Antigone:

Fr/Ut/Sa: Verstehen. Sa: Seit ich klein bin, höre ich von euch nichts als dieses

Wort. +Fr: Ich musste verstehen, dass man nicht mit dem kühlen,

lustig plätschernden Wasser spielen darf, weil sonst die Fliesen nass werden.

+Ut: Dass man Erde nicht aufhebt, weil man sonst die Kleider schmutzig macht.

Ich musste verstehen, dass man nicht alles auf einmal essen darf,

dass man dem erstbesten Bettler ein Almosen geben muss,

11

dass man nicht mit dem Wind über die Felder laufen und sich dann ermattet auf den Boden legen darf.

Dass man nicht trinken darf, wenn man erhitzt ist, dass man nicht baden darf, wenn man Lust hat, weil es zu früh oder zu spät ist, ich musste verstehen,

dass man sich gerade halten und ’’Guten Tag, gnädige Frau’’ sagen muss und dass man sich stets ordentlich zu kämmen hat. Verstehen! Immer verstehen. Ich will nicht verstehen.

Sa: Vielleicht später, Ut: wenn ich alt bin – Fr: wenn ich alt werde. Fr/Ut/Sa: Jetzt nicht.

Ismene:

Ve: Antigone, er ist der König und ist stärker als wir. Und die ganze Stadt denkt so wie er. All die Tausende, die in den Straßen Thebens wimmeln, sind seiner Meinung.

Antigone:

Fr/Ut/Sa: Ich will nichts davon hören! Ismene:

Ve: Sie werden hinter uns herjohlen, mit tausend Armen, tau-send Mündern, und uns ins Gesicht spucken. Durch ihren Hass, ihr Gestänk und ihr rohes Lachen wird man uns auf einem armseligen Karren zur Richtstätte zerren. Dort werden uns die Schergen übernehmen, mit ihren stupiden, verkrampften Gesichtern. Und wir werden leiden müssen, wir werden fühlen, wie der Schmerz und die Angst in uns steigen, so dass es den Atem schnürt. Man glaubt, es muss aufhören, aber es hält nicht ein und steigt und steigt, wie ein Schrei, der immer schriller wird. Man kann sagen, dass ich Angst habe, ja Angst Zu sterben, ja Aber kann man mir das vorwerfen? Dass ich nicht sterben will? Kann man mir das vorwerfen? Jeder normale Mensch will leben Das ist doch so Wer von Euch sagt zum Tod: Tritt ein, schön, dass Du gekommen bist Oder: Komm und hol mich Vielleicht wenn man sehr krank ist Schmerzen ja

12

Oder alt, ja Aber ich bin jung Mein Leben soll doch erst beginnen

Oh - nein, ich kann nicht, ich kann nicht. Weißt du, ich bin eben nicht sehr mutig.

Antigone:

Sa: Ich auch nicht. Ut: Aber was tut das?

Ismene:

Ve: Hast du denn keine Freude mehr am Leben? Antigone:

Fr: Wer stand morgens als erste auf, um die kühle Luft auf der nackten Haut zu fühlen?

Sa: Wer legte sich erschöpft vor Müdigkeit als letzte schlafen, um die Nacht zu erleben?

Ut: Wer weinte schon als kleines Kind, weil es soviel Tiere und Gräser und Blumen auf der Wiese gab, die man nicht alle mitnehmen konnte?

Ismene:

Ve: Du. Antigone:

Fr/Ut/Sa: Keine Freude am Leben... Ismene:

Ve: Dein Glück liegt vor dir. Du brauchst nur zuzugreifen. Du bist verlobt, du bist jung, du bist schön. Und dein Verlobter?

Antigone:

Ut: Ich werde mit Hämon sprechen und alles mit ihm regeln. Ismene:

Ve: Du bist wahnsinnig. Antigone:

Fr: Geh, lege dich hin. Sa: Du musst schlafen. Sa/Ut/Fr: Sonst bist du morgen nicht schön.

13

Ismene: Ve: Lach mich nicht aus. Antigone: Ut: Ich lache dich nicht aus. Sa: Aber es beruhigt mich, Ut/Fr: wenn du schön bist.

Fr: Jetzt, wo es schon tagt, kann ich nichts mehr tun. Unser toter Bruder ist von Wächtern umgeben, als ob es ihm gelungen wäre, König zu werden.

Ismene:

Ve: Und du? Antigone:

Sa: Ich kann nicht schlafen. Fr/Sa: Aber ich verspreche dir, dass ich hier bleibe, bis du

wieder aufwachst. Sa: Ruhe dich noch etwas aus. Fr/Sa: Sieh, jetzt erst geht die Sonne auf. Ut: Du hast ja ganz kleine Augen vor Schlaf. Fr/Ut/Sa: Geh!

Ismene:

Ve: Du wirst dich überzeugen lassen, nicht wahr? Ich darf nochmals mit dir darüber sprechen? Ja? Antigone:

Fr: Ja, gut - wir werden es nochmals besprechen. Ut: Ja, gut - wir werden es nochmals besprechen. Sa: Ja, das werden wir.

Ismene: Ve: Versteht Ihr

Ich will einfach glücklich sein Mit einem Vater und einer Mutter ein paar Brüdern und einer Schwester Ich will ganz normale Dinge Wie einen Mann, der mich liebt Oder nicht Wie auch immer Einfach einen Mann Ein Zuhause Eine kleine Familie oder so was Normalität Montags Waschtag

14

Mittwochs Putztag Und freitags Fisch Solche Dinge eben

(Ismene ab. Amme auf.) Amme:

Gü: Fehlt dir etwas? Wi: Fehlt dir etwas? Mi: Fehlt dir etwas? Si: Fehlt dir etwas?

Antigone:

Fr: Amme, verhätschle mich, als ob ich krank wäre. Halte mir die Hand, als säßest du bei mir am Bett. So hast du mir immer das böse Fieber verjagt: da hatte ich keine Angst mehr vor schweren Träumen, vor dem dunklen Schatten des großen Schrankes an der Wand, der oft so unheimlich stöhnte. Da fürchtete ich mich nicht mehr vor der unheimlich stillen, schwarzen Nacht.

Sa: Gib mir die Hand, als säßest du an meinem Krankenbett. Amme:

Gü/Wi/Mi/Si: Was hast du denn, mein Täubchen? Antigone:

Fr/Sa: Nichts. Sa: Ich bin nur noch ein wenig zu klein für alles.

Amme:

Gü/Wi/Mi/Si: Was kann ich für dich tun, Gü: sag? Wi: sag? Mi: sag? Si: sag?

Antigone:

Fr/Sa: Nichts. Sa: Ja, lass deine Hand so auf meiner Wange. Fr: Siehst du, jetzt habe ich keine Angst mehr, vor gar

nichts. Ut: Da kommt Hämon. Lass uns jetzt allein, Amme.

15

Szene 3: Antigone: Uta (Friederike, Sanne) Hämon: Micha Ismene: Verena Antigone:

Ut: Hämon, verzeih mir unsern lächerlichen Streit von gestern Abend. Verzeih mir alles. Ich war im Unrecht. Bitte verzeih!

Hämon:

Mi: Du weißt genau, dass ich dir schon verziehen hatte, als du die Tür hinter dir ins Schloss warfst. Ich habe dir gleich verziehen.

Antigone:

Ut: Wie war ich doch dumm gestern! Ein ganzer Abend vertan! Ein schöner, langer Abend.

Hämon:

Mi: Wir haben noch viele andere vor uns, Antigone. Antigone:

Ut: Vielleicht nicht. Hämon:

Mi: Auch war es nicht unser letzter kleiner Streit. So was gehört doch zum wirklichen Glück.

Antigone:

Ut: Ja... zum Glück. Höre, Hämon... Hämon:

Mi: Was gibt's, meine kleine Närrin? Antigone:

Ut: Ohne dass du immer ´meine kleine Närrin´ sagst und mich auslachst.

Hämon:

Mi: Was hast du mir denn zu sagen? Das ist wieder so ein Einfall von dir, dass du mich kurz nach Sonnenaufgang zu dir bestellst. Und wenn ich jetzt verschlafen hätte?

Antigone:

Ut: Das wäre furchtbar gewesen.

16

Hämon: Mi: (sie im Arm haltend) Gefällt es dir so?

Antigone:

Ut: Ja. Eine Minute noch so. Hämon:

Mi: Nur eine Minute? Antigone:

Ut: Ja - aber weißt du, eine Minute ist lang. Wenn man die Augen schließt kann sie ein ganzes Leben dauern.

Hämon:

Mi: Meine kleine Närrin. Antigone:

Ut: Immer sagst du ´meine kleine Närrin´. In Wirklichkeit bin ich doch gar nicht verrückt.

Hämon:

Mi: Nein, Liebling, in Wirklichkeit nicht. Antigone:

Ut: Die anderen denken es aber, und du sagst es auch, weil du trotz deines Mutes Angst hast vor allem, was dich von ihnen unterscheidet. Aber du weißt doch ganz genau, dass im Grunde immer ich Recht habe.

Hämon:

Mi: Ja, im Grunde, so ganz im Grunde. Antigone:

Ut: Lach jetzt nicht. Sei ernst. Hämon:

Mi: Ich bin es. Antigone:

Ut: Halte mich ganz fest. So fest wie noch nie, dass ich deine ganze Kraft in mir aufnehme.

Hämon:

Mi: So, ganz fest. Antigone:

Ut: Schön. Höre, Hämon!

17

Hämon:

Mi: Ja? Antigone:

Ut: Weißt du, der kleine Junge, den wir haben wollten... Hämon:

Mi: Ja? Antigone:

Ut: Wie hätte ich ihn gegen alles beschützt und verteidigt! Ganz fest hätte ich ihn an mich gedrückt, dass er sich nie vor etwas gefürchtet hätte. Unser Junge, Hämon! Er hätte zwar eine kleine, zerzauste Mutter gehabt, aber vielleicht wäre sie besser gewesen als alle anderen mit ihren prallen Brüsten und ihren großen Schürzen. Das glaubst du doch auch, nicht wahr?

Hämon:

Mi: Doch, Liebling. Antigone:

Ut: Und glaubst du auch, dass ich eine richtige Frau gewesen wäre?

Hämon:

Mi: Eine richtige Frau. Antigone:

Ut: Die anderen sind alle größer und schöner. Sie denken nur an ihre Kleider und ihre Frisuren. Aber ich kleide mich einfach und bin schlecht frisiert. Aber es hat dir doch damals gefallen?

Hämon:

Mi: Du weißt doch, dass ich dich gern habe... so wie du bist. Antigone:

Ut: Und du hast mich wirklich geliebt, nicht wahr, an jenem Abend? Hämon:

Mi: An welchem Abend?

Antigone:

Fr: Hattest du dich auch wirklich nicht getäuscht, als du damals auf dem Ball zu mir in meine Ecke kamst? Hast du es seitdem niemals bedauert? Hast du nie gedacht, vielleicht nur einen

18

Augenblick lang, du hättest zu Ismene gehen sollen? Hämon:

Mi: Was denkst du nur für dummes Zeug! Antigone:

Sa: Deine starken Arme, die mich umschließen, sie lügen nicht? Und deine Hände auf meinen Schultern, die schöne Wärme, das unendliche Vertrauen, das mich erfüllt, sobald ich meinen Kopf an deiner Brust berge - das alles lügt nicht?

Hämon:

Mi: Ich hab dich lieb, Antigone, so wie ein Mann eine Frau lieb hat. Antigone:

Ve: Vielleicht wäre dir doch eine richtige Frau lieber gewesen? Sag die Wahrheit.

Hämon:

Mi: Nein, Antigone. Antigone:

Ut: Wie stolz wäre ich gewesen, deine Frau zu sein - so ganz deine Frau, auf die du, ohne zu denken, deine Hände legen kannst wie auf etwas, was dir ganz sicher gehört! Und nun möchte ich dir noch zwei Dinge sagen. Aber dann musst du sofort hinaus-gehen, ohne mich zu fragen. Auch wenn es dir weh tut oder ungeheuerlich erscheint. Versprich es mir.

Hämon:

Mi: Was willst du mir denn noch sagen? Antigone:

Ut: Schwöre mir erst, dass du hinausgehen wirst ohne ein Wort. Sogar ohne mich anzusehen. Wenn du mich liebst, dann schwörst du es. Du siehst, wie sehr ich dich bitte. Hämon, bitte schwöre es. Es ist die letzte Verrücktheit, die du mir noch erlauben sollst.

Hämon:

Mi: Gut. Ich schwöre es. Antigone:

Ut: Danke. Also, du hast mich gefragt, warum ich gestern gekommen war. Es war dumm von mir. Aber ich wusste nicht genau, ob du mich wirklich begehrst.

19

Hämon: Mi: Deshalb?

Antigone:

Ut: Ich war gekommen, weil du mich ganz nehmen solltest, weil ich schon vorher deine Frau werden sollte. Ich will dir sagen, warum. Ich wollte schon vorher deine Frau sein, weil ich dich sehr lieb habe und weil... Jetzt werde ich dir sehr wehtun, Liebster - weil ich dich niemals heiraten werde - niemals. Hämon, du hast es geschworen! Geh! Geh hinaus und sag kein Wort. Wenn du sprichst oder auch nur einen Schritt zu mir tust, stürze ich mich aus diesem Fenster.

Fr/Sa/Ve: Glaub mir, ich tu`s, Ut: Hämon, bei dem kleinen Jungen, den wir beide in

Gedanken hatten, bei allem, was uns teuer ist, glaub mir, ich tu es. Geh jetzt! Morgen wirst du mehr wissen. Vielleicht schon in ein paar Stunden. Hämon, das ist das einzige, was du für mich tun kannst, wenn du mich lieb hast.

Antigone:

Ut: So, Hämon hat es hinter sich. Ismene:

Ve: Ich hatte solche Angst, du könntest fortlaufen und sogar am helllichten Tag versuchen, ihn zu bestatten. Antigone, liebe Schwester, sieh, wir sind doch alle bei dir, Hämon, die Amme und ich. Wir alle haben dich lieb und brauchen dich zu unserem Leben. Der tote Polyneikes aber liebte dich nicht. Er war für uns alle ein Fremder. Vergiss ihn, Antigone, so wie er uns vergessen hatte. Und wenn es Kreons Gesetz verlangt, dann eben soll sein Schatten ewig ohne Grab umherirren. Versuche nicht etwas, was deine Kräfte übersteigt. Ich bitte dich.

Antigone:

Ut: Es ist zu spät. Als du mich heute Morgen sahst, kam ich davon zurück.

Ismene:

Ve: Oh, Antigone.

20

Szene 4: Kreon: Willy, Günther (Hämon: Micha) Wächter: Sigi Sprecher: alle Kreon:

Wi: Was gibt's? Wächter:

Si: Die Sache ist so. Wir haben gelost, wer gehen soll. Es traf mich. Also, ich bin gekommen, weil es doch besser ist, wenn nur einer den ganzen Vorgang erklärt, und weil wir nicht alle drei unsern Posten verlassen können. Wir sind nämlich zu dritt auf der Wache bei der Leiche.

Kreon:

Gü: Und was hast du mir zu berichten? Wächter:

Si: Wir sind zu dritt. Ich bin nicht allein dort. Soll ich den Oberwachmann holen?

Kreon:

Wi/Gü: Nein, wenn du schon da bist, Gü: dann sprich.

Wächter:

Si: Ich bin jetzt im siebzehnten Dienstjahr. Ich habe mich seinerzeit als Freiwilliger verpflichtet. Dreimal verwundet, zwei Belobigungen bei guter Führung. Ich weiß, was ein Befehl ist und was Dienst heißt. Meine Vorgesetzten sagen immer: Auf den Jonas kann man sich verlassen. Kreon:

Gü: Das freut mich. Aber nun sprich. Wi: Oder hast du Angst?

Wächter:

Si: Eigentlich hätte ja der Oberwachmann kommen müssen. Ich bin zwar auch schon zum Oberwachmann eingereicht, aber noch nicht befördert. Im Juni soll ich befördert werden. Kreon:

Gü: Willst du jetzt endlich sprechen? Wi: Wenn etwas vorgekommen ist, seid ihr alle drei verantwortlich.

21

Wächter: Si: Also, das war so. Wir hatten die Wache bei der Leiche. Um

zwei Uhr lösten wir ab. Die Ablösung ist die schlimmste, wenn die Nacht so langsam ins Morgengrauen übergeht. Die Augen möchten einem zufallen, und im Nacken fühlt man ein Zentnergewicht. Der erste Nebel steigt auf, die Schatten sehen aus, als ob sie sich bewegten. Sie haben sich wirklich den besten Augenblick herausgesucht. Wir standen da, unterhielten uns und stampften uns dann und wann die Füße warm. Geschlafen hat niemand, das kann ich schwören - keiner von uns hat geschlafen! Außerdem war es viel zu kalt. Da schaute ich mir den Toten genauer an. Ich stand ungefähr zwei Schritte von ihm weg und besah ihn mir von Zeit zu Zeit. So bin ich immer, so gewissenhaft. Deshalb sagen meine Vorgesetzten auch, auf den Jonas kann... Ich habe es als erster bemerkt. Die anderen können bezeugen, dass ich als erster Alarm gegeben habe.

Kreon:

Gü/Wi: Alarm? Wächter:

Si: Wegen der Leiche. Jemand hatte Erde darauf geworfen. Nicht viel natürlich. Sie konnten nicht viel ausrichten, wo wir doch daneben standen. Nur so ein bisschen Erde. Aber es reichte, um die Geier abzuhalten. Kreon:

Wi: Bist du sicher, Gü: dass es nicht irgendein Tier war?

Wächter:

Si: Zuerst hofften wir es auch. Aber die Erde war richtig auf ihn geworfen. So, wie es der Brauch verlangt. Sie wussten genau, was sie wollten.

Kreon:

Gü: Hast du Wi: irgendwelche Spuren bemerkt?

Wächter:

Si: Nichts, gar nichts, nur ein ganz schwacher Fußabdruck im Boden, leichter als der eines Vogels. Später, als wir die Umgebung genauer absuchten, fand Wachmann Bauch eine Schaufel, eine ganz alte, kleine, verrostete Kinderschaufel. Wir dachten dann auch, dass nur ein Kind so etwas getan haben konnte. Der Oberwachmann nahm wegen weiterer

22

Nachforschungen die Schaufel an sich. Kreon:

Gü: Ein Kind … Die Opposition wühlt und rumort schon wieder überall.

Wi/Gü: Ein Kind! Wi: Sie dachten wohl, das würde am rührendsten wirken. Gü: Ich kann mir das Kind schon lebhaft vorstellen. Wi: Ein altes Gaunergesicht mit der sorgfältig eingewickelten

Schaufel unter der Jacke. Gü: Das heißt, wenn sie nicht wirklich ein Kind dazu

abgerichtet haben. Wi: Ein Unschuldsengel, hinter dem man sich verbergen

kann, ist unschätzbar wertvoll für eine Partei. Gü: Ein kleiner schmächtiger Junge, Wi: der meinen Richtern vor die Füße spuckt, ein frisches,

unschuldiges Blut, Gü: das dann an meinen Händen kleben soll... Wi: Nicht schlecht ausgedacht! Gü: Wem habt ihr von dieser Sache schon erzählt?

Wächter:

Si: Niemandem. Wir haben gelost, und ich bin sofort gekommen. Kreon:

Wi: Hör zu. Gü: Wenn ihr sprecht, Wi: wenn es in der Stadt bekannt wird, Gü: dass die Leiche Polyneikes mit Erde bedeckt wurde, Gü/Wi: dann seid ihr alle drei des Todes!

Wächter:

Si: Wir haben kein Wort gesagt. Ich schwöre es. Kreon:

Gü: Geh jetzt zurück. Wi: Wenn niemand davon erfährt, Gü/Wi: wird dir nichts passieren. Wi: Ein Kind... Gü: Das gibt eine feine Geschichte. Gü/Wi: Ein Kind...

Sprecher:

Fr: So weit wären wir also: Fr/Wi: das Uhrwerk ist aufgezogen. Si: Jetzt schnurrt es von allein ab. Ut: Das ist das Praktische bei einer Tragödie.

23

Sa: Ein kleiner Stups mit dem Finger, Sa/Ve: und die Sache läuft. Sa: Die Geschichte läuft von allein ab. Ve: Es ist alles bis ins kleinste ausgetüftelt und von Anfang an

gut geschmiert.

Wi: Tod, Gü: Verrat, Wi/Gü: Verzweiflung, Wi/Gü/Mi: donnernde Gewitter, Wi: alles ist da, Gü/Wi: je nach Bedarf. Sa: Auch alle Arten von Schweigen – Gü: das tödliche Schweigen, wenn der Arm des Henkers zum

letzten Streich ausholt; Sa: das Schweigen, wenn sich die beiden Liebenden zum

ersten Male nackt gegenüberstehen und sich im dunklen Raum nicht zu rühren wagen;

Gü: das Schweigen, bevor das Gebrüll der Menge dem Sieger entgegenschlägt;

Mi: es ist wie bei einem Film, dessen Ton ausfällt: Ve: zum Sprechen aufgerissene Münder, Ve/Fr: die keinen Laut von sich geben. Alle: Das ist schon etwas Feines, die Tragödie.

Mi: Bei der Tragödie kann man beruhigt sein. Si: Da gibt es keinen Ausweg. Wi: Außerdem befindet man sich in bester Gesellschaft, denn

im Grunde sind alle gleich unschuldig. Ut: Wenn da einer jemanden umbringt und ein anderer

umgebracht wird, dann ist das lediglich eine Frage der Rollenverteilung.

Ve: Vor allem hat die Tragödie gar nichts Aufregendes. Fr: Es gibt von vornherein keine trügerischen Hoffnungen

mehr. Ve: Man weiß, dass man wie eine Maus in der Falle gefangen

wird. Ut: Man braucht nur mehr zu schreien - aber bitte nicht

seufzen und jammern -, man muss nur noch schnell brüllen, was bisher noch nicht gesagt wurde, weil man es vielleicht selbst noch nicht gewusst hatte.

Wi: Nun haben sie die kleine Antigone erwischt. Fr: Zum ersten Mal in ihrem Leben wird sie ganz sie selbst

sein können.

24

Szene 5: Wächter: Willy, Micha, Sigi Antigone: Friederike, Uta, Sanne, Verena Kreon: Günther

Wächter:

Wi: Vorwärts, keine Geschichten da! Mi: Das können Sie alles unserm Chef erzählen. Si: Ich kenne nur meinen Befehl. Wi: Was Sie dort anstellen wollten, will ich gar nicht wissen. Mi: Da hätte jeder immer seine Ausreden und etwas einzuwenden. Si: Wo kämen wir denn da hin, wenn wir alle Leute anhören

müssten oder uns gar bemühen wollten, sie zu verstehen? Wi: Los, vorwärts! Mi: Nur keine langen Geschichten machen. Si: Ich will gar nicht hören, was sie uns alles erzählen möchte.

Antigone: Sie sollen mich loslassen. Ich bin Antigone, Ödipus` Tochter. Ich laufe euch nicht davon. Wächter:

Wi: Ja, ja, schon gut, Ödipus` Tochter! Mi: Jede Hure, die man auf der Straße mitnimmt, sagt einem, sie

wäre eine gute Freundin des Polizeipräsidenten und man solle sich in Acht nehmen!

Antigone: Ich will gerne sterben - aber anrühren sollen sie mich nicht. Wächter:

Si: Aber die Leiche und die Erde waren dir wohl nicht zu unappetitlich?

Wi: Du sprichst von schmutzigen Händen! Mi: Sieh dir doch deine eigenen an. Si: Ich drehe mich nur einen Augenblick um, und in der Zeit, war

sie schon da und kratzt wie eine Hyäne am Boden herum. Wi: Am helllichten Tag! Mi: Und wie sie um sich schlug, als ich sie greifen wollte! Si: Die Augen hätte sie mir bald ausgekratzt. Wi: Sie schrie dabei, sie müsse es vollenden. Mi: Ich glaube, sie ist verrückt.

Antigone: Ich möchte mich gerne ein wenig setzen, bitte. Wächter:

Si: Meinetwegen, aber lasst sie nicht los.

(Kreon auf)

25

Kreon: Lasst sofort das Mädchen los! Was soll denn das heißen?

Wer ist jetzt bei der Leiche? Wächter:

Wi/Mi/Si: Unsere Ablösung. Kreon: Ich habe euch doch befohlen, dass ihr sie wegschickt. Außerdem habe ich ausdrücklich gesagt, dass ihr kein Wort verlauten lassen dürft. Wächter:

Wi/Mi/Si: (durcheinander)Wir haben auch nichts gesagt. Aber wie wir die da verhaftet haben, dachten wir, es wäre besser, wenn wir alle mitkämen. Dieses Mal haben wir nicht gelost. Wir sind lieber gleich gekommen.

Kreon: Idioten! (zu Antigone) Wo haben sie dich denn festgenommen? Wächter:

Wi/Mi/Si: Bei dem Toten natürlich. Kreon: Was wolltest du bei der Leiche deines Bruders? Du weißt genau, ich habe verboten, dass man sich ihr nähert. Wächter:

Wi/Mi/Si: (durcheinander) Was sie dort tat? Deswegen bringe ich sie ja her. Mit ihren Händen kratzte sie in der Erde herum. Sie wollte ihn schon wieder zuschaufeln.

Kreon: (zu Antigone) Ist das wahr? Antigone: Ja, es ist wahr. Kreon: Und heute Nacht, beim ersten Mal, da warst du es auch? Antigone: Ja, da war ich es auch. Mit der Eisenschaufel, mit der wir am

Strand unsere Sandburgen bauten. Die Schaufel gehörte Polyneikes. Er hatte mit einem Messer seinen Namen in den Stiel eingekerbt. Deswegen ließ ich sie auch bei ihm liegen. Aber man nahm sie weg. Darum musste ich das zweite Mal mit den Händen arbeiten.

Wächter: Sie sah aus wie ein Tier, das herumwühlte. Beim ersten schnellen Hinsehen, als die heiße Luft so zitterte, sagte mein

26

Kamerad sogar: 'Aber nein, das ist doch ein Tier.’ ’Denkst du’, sagte ich darauf, ’für ein Tier ist es viel zu zierlich. Das ist ein Mädchen.' Kreon: Jetzt lasst mich allein mit ihr. Wächter:

Wi/Mi/Si: Sollen wir ihr Handschellen anlegen? Kreon: Nein, nicht nötig.

(Wächter gehen)

27

Szene 6: Kreon: Günther, Willy, Micha, Sigi Antigone: Friederike, Uta, Sanne, Verena Kreon:

Si: Hast du jemand von deinem Vorhaben erzählt?

Antigone: Sa: Nein.

Kreon: Si: Hast du jemand unterwegs getroffen?

Antigone: Sa: Nein, niemand.

Kreon: Wi: Hast du jemand von deinem Vorhaben erzählt? Gü: Hast du?

Antigone: Ve: Nein. Ut: Nein.

Kreon: Mi: Hast du jemand von deinem Vorhaben erzählt?

Antigone: Fr: Nein.

Kreon: Gü: Hast du jemand unterwegs getroffen?

Antigone: Ve: Nein, niemand.

Kreon: Wi: Hast du jemand unterwegs getroffen? Mi: Hast du jemand unterwegs getroffen?

Antigone:

Ut: Nein. Fr: Niemand.

Kreon:

Mi: Bist du sicher?

28

Antigone: Fr: Ja.

Kreon:

Wi: Bist du sicher? Si: Bist du sicher?

Antigone:

Sa/Ut: Ja. Kreon:

Gü: Bist du …? Antigone:

Ve: Ja! Kreon:

Si: Du gehst jetzt augenblicklich auf dein Zimmer. Wi: Du legst dich ins Bett. Mi: Du gehst jetzt augenblicklich auf dein Zimmer und legst …

dich ins Bett. Gü: Du gehst jetzt augenblicklich auf dein Zimmer und legst

dich ins Bett. Du sagst, du wärst krank und hättest das Haus seit

gestern nicht mehr verlassen. Mi: Du hättest das Haus seit gestern nicht mehr verlassen. Wi: Du sagst, du wärst krank.

Si: Du hättest das Haus seit gestern nicht mehr verlassen.

Wi/Mi/Si: Deine Amme wird das gleiche sagen. Gü: Deine Amme wird das gleiche sagen. Wi: Warum wolltest du deinen Bruder beerdigen?

Antigone:

Ut: Weil ich es muss. Kreon:

Wi: Du weißt, dass ich es verbot. Antigone:

Ut: Und trotzdem musste ich es tun. Kreon:

Si: Warum wolltest du deinen Bruder beerdigen?

29

Antigone: Sa: Weil ich es muss.

Kreon:

Gü: Warum wolltest du deinen Bruder beerdigen? Antigone:

Ve: Weil ich es muss. Kreon:

Si: Du weißt, dass ich es verbot. Antigone:

Sa: Und trotzdem musste ich es tun. Kreon:

Mi: Du weißt, dass ich es verbot. Antigone:

Fr: Und trotzdem musste ich es tun. Kreon:

Mi: (unterbricht) Du weißt, dass ich es verbot. Antigone:

Fr: Und trotzdem musste ich es tun. Kreon:

Gü: Du weißt, dass ich es verbot. Antigone:

Ve: Und trotzdem musste ich es tun.

Sa: Du weißt, dass die Unbeerdigten ewig herumirren, ohne jemals Ruhe zu finden. Wenn mein Bruder noch lebte und von einer Jagd nach Hause gekommen wäre, hätte ich ihm die Schuhe ausgezogen, hätte ihm zu essen gegeben und ihm sein Bett bereitet.

Fr: Heute ist Polyneikes am Ende seiner Jagd angelangt.

Ve: Er kehrt in das Haus zurück, wo mein Vater, meine Mutter

und auch Eteokles ihn erwarten. Fr: Es ist sein Recht, sich auszuruhen. Sa: Es ist sein Recht, sich auszuruhen.

Ve: Es ist sein Recht, sich auszuruhen.

30

Ut: Du weißt, dass die Unbeerdigten ewig herumirren, ohne

jemals Ruhe zu finden. Wenn mein Bruder noch lebte und von einer Jagd nach Hause gekommen wäre, hätte ich ihm die Schuhe ausgezogen, hätte ihm zu essen gegeben und ihm sein Bett bereitet. Heute ist Polyneikes am Ende seiner Jagd angelangt. Er kehrt in das Haus zurück, wo mein Vater, meine Mutter und auch Eteokles ihn erwarten. Es ist sein Recht, sich auszuruhen.

Kreon:

Si: Er war ein Aufrührer und Verräter. Antigone:

Ut: Er war mein Bruder. Kreon:

Wi: Er war ein Aufrührer und Verräter. Gü: Er war ein Aufrührer und Verräter. Mi: Er war ein Aufrührer und Verräter.

Antigone:

Ve: Es ist sein Recht, sich auszuruhen. Sa: Er war mein Bruder. Fr: Er war mein Bruder. Ve: Er war mein Bruder.

Kreon:

Mi: Hast du nicht gehört, was ich auf allen Straßen und Plätzen verkünden ließ?

Antigone:

Fr: Doch. Kreon:

Wi: Wusstest du auch, welches Schicksal jeden erwartet, der es wagen sollte, ihn zu beerdigen?

Antigone:

Ut: Ja, ich wusste es. Sa: Ja.

Kreon:

Gü: Hast du nicht gehört, was ich auf allen Straßen und Plätzen verkünden ließ?

31

Antigone: Ve: Doch.

Kreon:

Gü: Wusstest du auch, welches Schicksal jeden erwartet, der es wagen sollte, ihn zu beerdigen?

Mi: Wusstest du auch, welches Schicksal jeden erwartet, der es wagen sollte, ihn zu beerdigen?

Antigone:

Fr: Ja, ich wusste es. Ve: Ja.

Kreon:

Mi: Oder glaubtest du vielleicht, weil du die Tochter des Ödipus bist, des hochmütigen Ödipus, dass du deshalb über meinen Gesetzen stündest?

Antigone:

Fr: Nein, daran dachte ich nicht. Kreon:

Si: Oder glaubtest du vielleicht, weil du die Tochter des Ödipus bist, dass du deshalb über meinen Gesetzen stündest?

Antigone:

Sa: Nein, daran dachte ich nicht. Kreon:

Wi: Du als Königstochter hast als erste das Gesetz zu achten. Antigone:

Ut: Selbst wenn ich ein ganz gewöhnliches Dienstmädchen gewesen wäre …

Fr: und gerade beim Geschirrspülen von der Anordnung gehört hätte …

Sa: so hätte ich mir das schmierige Wasser von den Händen gewischt …

Ve: und wäre hinausgelaufen mit meiner Schürze, um meinen Bruder zu bestatten.

Kreon

Gü/Wi/Mi/Si: Das ist nicht wahr!

Mi: Wenn du ein Dienstmädchen gewesen wärst, hättest du sehr gut gewusst …

32

Wi: dass du dann sterben müsstest. Gü: Du hättest deinen Bruder beweint, aber du wärst zu

Hause geblieben. Si: So aber dachtest du, ich könnte es niemals wagen, dich

töten zu lassen, weil du von königlichem Blute, Gü/Wi/Mi: meine Nichte und die Verlobte meines Sohnes Si: meine Nichte und die Verlobte meines Sohnes bist.

Antigone:

Fr: Du täuschst dich. Ut: Im Gegenteil Fr: Ich wusste sehr wohl, dass du mich töten lassen musst. Ut: Ich wusste sehr wohl, dass du mich töten lassen musst. Sa: Du täuschst dich. Ich wusste, dass du mich töten lassen

musst. Ve: Ich wusste es.

Kreon: Gü/Wi/Mi/Si: Du dachtest wirklich, ich ließe dich sterben?

Gü: Du hättest das sogar für ein ganz natürliches Ende gehalten.

Wi: Auch deinem Vater schien menschliches Unglück sehr unzulänglich.

Wi/Gü/Si: Vom Glück ganz zu schweigen. Mi: Das Menschliche, das sich um euch herum abspielt,

ist euch unbehaglich. Si/Gü: Nun höre mir gut zu.

Gü/Wi/Mi/Si: Du bist Antigone, die Tochter des Ödipus. Aber du bist erst zwanzig Jahre alt, und es ist noch gar nicht so lange her, da wäre die ganze Geschichte mit Hausarrest und ein paar Ohrfeigen abgetan worden.

Gü: Dich töten lassen! Wi: Sieh dich doch erst einmal an, Gü/Wi/Mi/Si: du Spatz. Si: Mein Gott, wie bist du mager!

Gü: Du musst etwas dicker werden, damit du Hämon einen kräftigen Jungen geben kannst.

Mi: Das hat Theben nötiger als deinen Tod, Gü/Wi/Mi/Si: glaub mir.

Si: Du gehst jetzt auf dein Zimmer, tust, was ich dir gesagt habe,

Si/Mi: und erzählst niemandem ein Wort. Wi: Ich sorge dafür, dass auch die anderen

schweigen… Mi: Ich weiß, du hälst mich für einen Rohling und

denkst, dass ich sehr prosaisch bin.

33

Gü: Aber trotz deines schlechten Charakters habe ich dich sehr gern.

Weißt du nicht mehr, dass ich es war, der dir deine erste Puppe schenkte?

Wi/Si: Das ist noch gar nicht so lange her. Gü: Das ist noch gar nicht so lange her. Gü/Wi/Mi/Si: Begreifst du denn nicht, dass ich dich töten lassen

muss, Gü/Wi/Si: sobald außer diesen dreien noch jemand von

deinem Vorhaben erfährt? Gü/Wi/Mi/Si: Wenn du jetzt still bist und dir diese verrückte Idee

aus dem Kopf schlägst, kann ich dich noch retten. Fünf Minuten später werde ich es nicht mehr

können. Verstehst du denn das nicht?

34

Szene 7: Antigone: Friederike Kreon: Sigi Antigone:

Fr: Ich muss jetzt meinen Bruder beerdigen, den diese Männer wieder aufgedeckt haben. Kreon:

Si: Willst du wirklich diese unsinnige Tat wiederholen? Es steht jetzt eine neue Wache bei der Leiche. Selbst wenn es dir gelänge, sie noch einmal zuzuschütten, so würde man sie eben wieder freilegen, das weißt du doch. Du kannst dir höchstens dabei die Fingernägel blutig reißen und dich ergreifen lassen. Antigone:

Fr: Ich weiß. Aber ich muss tun, was ich kann. Kreon:

Si: Jetzt willst du dein Leben aufs Spiel setzen, weil ich deinen Bruder diesem scheinheiligen Getue, diesem hohlen Gewäsch über seiner Leiche, diesem Possenspiel entzogen habe, bei dem du als erste Schande empfunden hättest? Das ist ja verrückt! Antigone:

Fr: Ja, es ist verrückt. Kreon:

Si: Warum willst du es dann trotzdem tun? Für die anderen, die daran glauben? Um sie gegen mich aufzubringen? Antigone:

Fr: Nein. Kreon:

Si: Also weder für die anderen noch für deinen Bruder? Für wen denn dann? Antigone:

Fr: Für niemand. Für mich. Kreon:

Si: Möchtest du denn so gerne sterben? Antigone:

Fr: Nein; aber ich weiß, dass ich nur so meine Pflicht erfüllen kann.

35

Kreon:

Si: Deine Pflicht! Wer hat sie dir denn auferlegt, diese Pflicht? Antigone:

Fr: Niemand, ich mir selbst. Kreon:

Si: Du hast zuviel Empfindsamkeit und Phantasie. Mi: Wahrscheinlich erschien dir in der Nacht der

verzweifelte Schatten des Polyneikes mit seinen klaffenden Wunden.

Gü: Und in der Dunkelheit sagtest du dir immer wieder vor:

Si/Wi: Ich bin seine Schwester, ich bin seine Schwester, Gü/Wi/Mi/Si: ich muss, ich muss es tun. Si: Bis du dir selbst genügend Mut gemacht hattest.

Und jetzt stehst du vor mir, die Nerven angespannt, blickst mich mit deinen Augen wild an und willst mir trotzen.

Gü: Deine ganzen Kräfte, die noch viel zu schwach sind, verwendest du auf dieses Spiel.

Gü/Wi/Mi/Si: Aber wenn nachher meine Wächter kommen Mi: und dich ergreifen, Si: dann wirst du zusammenbrechen und weinen.

Antigone:

Fr: Das ist möglich. Aber was tut das? Dann muss man mich eben weinen lassen. Kreon:

Si: Du siehst jetzt schon aus wie ein kleines gehetztes Reh. Antigone:

Fr: Werde nur nicht rührselig. Mach es so wie ich. Tu, was du für notwendig hältst. Und wenn du menschlich fühlst, dann tu es schnell. Mehr will ich gar nicht von dir.

Fr/Ut/Sa/Ve: Ich kann nicht immerfort so mutig sein. Kreon:

Si: Ich will dich retten, Antigone. Antigone:

Fr: Du bist König und vermagst alles, aber das - nein - das kannst du nicht.

36

Kreon:

Si: Glaubst du! Antigone:

Fr: Du kannst mich weder retten noch zu etwas zwingen. Kreon:

Si: Dieser Hochmut! Antigone:

Fr: Mich töten lassen ist das einzige, was du kannst. Kreon:

Si: Und wenn ich dich foltern ließe? Antigone:

Fr: Warum? Sa: Damit ich um Gnade bitte, Ut: damit ich alles schwöre, was man von mir verlangt, Ve: um dann doch wieder zu tun, was ich will, Fr: sobald die Schmerzen vorbei sind?

37

Szene 8: Antigone: Sanne Kreon: Günther Kreon:

Gü: Höre gut zu. Ich bin in die böse Rolle gedrängt, während du die gute spielst. Du fühlst das sehr genau. Aber nütze das nicht zu sehr aus, du kleiner Teufel. Wenn ich ein gewöhnlicher Rohling oder Tyrann wäre, hätte ich dir schon längst die Zunge herausreißen oder dir die Glieder ausrenken und dich in ein finsteres Loch werfen lassen. Aber du siehst mir an den Augen an, dass ich noch zögere, dass ich mit mir reden lasse, anstatt sofort meine Soldaten zu rufen. Deswegen verhöhnst du mich und greifst mich an. Was bezweckst du damit, du kleine Furie?

Antigone:

Sa: Lass mich los, du tust mir weh. Kreon:

Gü: Nein - so bin ich der Stärkere, und das nütze ich aus. Antigone:

Sa: Au! Kreon:

Gü: Ich bin zwar dein Onkel, aber in unserer Familie ist man nicht zärtlich zueinander. Findest du es nicht komisch, dass ich als König ruhig dastehe und dir zuhöre, wie du mich verspottest! Ich, der schon ganz andere sterben sah, die mindestens ebenso rührend wirkten wie du - das kannst du glauben. Und da gebe ich mir jetzt die größte Mühe, dich vom Sterben abzuhalten.

Antigone:

Sa: Du drückst zu fest. Kreon:

Gü: Glaubst du nicht, dass das Fleisch, das da draußen in der Sonne fault, mich genau so anekelt wie dich? Wenn abends der Wind von der Seeseite kommt, riecht man es sogar schon im Palast. Mir wird oft ganz übel. Wie wird das erst in acht Tagen sein, bei dieser Hitze! Es ist widerlich, und - dir kann ich es ja sagen -, und ich finde es auch dumm, wahnsinnig dumm sogar.

Gü/Mi: Aber ganz Theben soll es in der nächsten Zeit riechen. Si: Sonst hätte ich deinen Bruder längst beerdigen lassen Si/Wi: schon der Hygiene wegen.

38

Gü: Aber diese Dickköpfe, die ich jetzt regieren soll, müssen zu einer besseren Einsicht gebracht werden. Und deswegen muss es in der ganzen Stadt einen Monat lang nach Polyneikes stinken!

Antigone:

Sa: Du bist niederträchtig! Kreon:

Gü: Ja, mein Kind, ich bin1s, das verlangt mein Beruf. Man kann sich zwar darüber streiten, ob man ihn ausüben soll oder nicht. Aber wenn man ihn ausübt, dann schon richtig. Antigone:

Sa: Und warum willst du ihn ausüben? Kreon:

Gü: Als ich eines Morgens aufwachte, stellte ich fest, dass ich König von Theben geworden war. Gott weiß, dass es mich noch nie in meinem Leben nach Macht gelüstet hat. Antigone:

Sa: Dann hättest du eben nein sagen sollen! Kreon:

Gü: Ich hätte es wohl gekonnt. Aber ich wäre mir vorgekommen wie ein Arbeiter, der sich weigert, sein Tagwerk zu verrichten. Das schien mir unehrenhaft. Ich sagte ja. Antigone:

Sa: Gut, so ist das deine Sache. Ich, ich habe nicht ja gesagt! Was gehen mich deine Politik, deine Notwendigkeiten und die ganzen armseligen Geschichten an? Ich kann noch nein sagen zu allem, was mir missfällt. Ich bin mein eigener Richter. Und du, mit deiner Krone, mit deinen Wächtern und deinem ganzen Staat, du kannst mich nur noch töten lassen, weil du einmal ja gesagt hast! Kreon:

Gü: Höre! Antigone:

Sa: Ich will nicht, ich will nichts hören. Du hast ja gesagt! Du hast mir nichts mehr zu sagen, du nicht! Warum hörst du mir so ruhig zu? Willst du, dass ich dir alles ins Gesicht sage, weil du deine Wächter nicht rufst?

39

Kreon: Gü: Du amüsierst mich!

Antigone:

Sa: Du willst mich nur retten, weil es sicher viel bequemer ist, eine kleine, schweigsame Antigone irgendwo im Palast zu halten.

Ut: Du bist noch etwas zu empfindlich, um einen guten Tyrannen abzugeben.

Fr: Aber im Grunde weißt du genau, dass du mich töten lassen musst.

Ve: Und weil du es weißt, deswegen hast du Angst. Fr/Ut/Sa/Ve: Ein König, der Angst hat, ist erbärmlich!

Kreon:

Gü: Ja, ich habe Angst. Bist du jetzt zufrieden? Ich habe Angst, dass ich dich töten lassen muss, wenn du nicht nachgibst. Ich möchte es nicht. Antigone:

Sa: Ich, ich muss nicht tun, was ich nicht möchte. Wolltest du vielleicht auch meinem Bruder das Grab nicht verweigern? Jetzt sage nur, dass du es nicht wolltest! Kreon:

Gü: Ich habe es dir schon gesagt. Antigone:

Sa: Und trotzdem hast du es getan. Und jetzt wirst du mich töten lassen, ohne es zu wollen. Und das heißt König sein! Kreon:

Gü: Ja, so ist es. Antigone:

Sa: Armer Kreon! Mit meinen verrissenen, erdigen Fingernägeln, mit den blauen Flecken am Arm vom Griff deiner Wächter und mit meiner ganzen Angst, die mir die Eingeweide zerwühlt, bin ich doch Königin! Kreon:

Gü: Dann hab Mitleid mit mir. Ruhe und Ordnung in Theben sind teuer genug bezahlt mit dem faulenden Leichnam vor meinem Haus. Sieh, mein Sohn liebt dich. Ich will dich nicht auch noch opfern müssen. Ich habe wirklich schon genug bezahlt.

40

Antigone: Sa: Nein – Fr/Ut/Sa/Ve: denn du hast ja gesagt. Sa: Dafür wirst du von jetzt an immer bezahlen müssen.

Kreon:

Gü: Mein Gott, versuche doch endlich zu begreifen. Ich gebe mir ja auch Mühe, dich zu verstehen.

Antigone:

Fr/Ut/Sa/Ve: Ich will nicht verstehen! Sa: Das ist etwas für dich. Ich bin nicht da, um zu

verstehen. Ich muss nein sagen und sterben. Kreon:

Gü: Nein sagen ist oft leicht. Antigone:

Sa: Nicht immer! Kreon:

Gü: Wer ja sagt, Gü/Wi/Mi/Si: muss das Leben fest mit beiden Fäusten anpacken

und sich in die Arbeit knien, Gü: dass der Schweiß rinnt. Nein sagen ist leicht, Mi: selbst wenn man dabei sterben muss. Gü: Man braucht nur ruhig dazusitzen und zu warten – Si: auf das Leben oder bis man eben umgebracht wird. Si/Gü: Wie feig ist das! Wi: Nur Menschen können so sein. Gü: Was wäre, wenn die Bäume nein sagten zum Saft,

der aus ihren Wurzeln emporsteigt? Wi: Wenn die Tiere nein sagten und aufhörten, sich zu

fressen und sich zu paaren? Si: Die Tiere sind wenigstens gut, einfach und

beständig. Gü: Sie trotten unverzagt schiebend und drängend ihren

Weg. Wenn eines fällt, gehen die anderen darüber hinweg, und es können noch so viele umkommen,

Wi/Mi: immer bleiben einige jeder Gattung übrig, die wieder Junge werfen

Si: und furchtlos den Weg fortsetzen, Gü: den die anderen vor ihnen gegangen waren.

Antigone:

Sa: Ein herrlicher Traum für einen KönigI König der Tiere! Da wäre alles so einfach!

41

Kreon:

Gü: Mach dich nur lustig! Trotzdem werde ich weiter an eurem Glück arbeiten, selbst wenn ihr es nicht wollt. Es ist schwer, und manchmal erscheint es euch gemein. Und wie oft stürzt alles wieder zusammen - dann heißt es von neuem beginnen. Und kein Mensch hilft dabei. Doch ich werde euer Glück schaffen, trotz eures Hasses - ich werd es. Antigone:

Sa: Dann beeile dich, Kreon! Noch hab ich den Mut zum Sterben! Kreon:

Gü: Du verachtest mich, nicht wahr? Antigone:

Sa: Und wenn ich dir sage, dass es nicht so ist? Ve: Glaubst du, dass dadurch die Dinge einfacher würden? Fr/Ut: Erfülle du deine Aufgabe Sa/Ve/Ut: und hindere mich nicht an der meinen.

Kreon:

Gü: Ich weiß, meine Rolle ist nicht sehr edel - aber sie ist eben meine Rolle, und ich werde dich also töten lassen. Nur möchte ich, dass du vorher auch deiner Rolle sicher bist. Weißt du, warum du sterben wirst? Weißt du auch, unter welche schmutzige Geschichte du für immer deinen blutigen Namen setzen willst?

Antigone:

Fr/Ut/Sa/Ve: (versetzt) Was für eine Geschichte? Kreon:

Gü: Die von deinen Brüdern Eteokles und Polyneikes. Du glaubst sie zwar zu kennen, aber du kennst sie nicht. Außer mir kennt sie niemand in Theben. Aber ich denke, heute hast auch du das Recht, sie zu hören. Du wirst sehen, sie ist nicht sehr schön.

Wi: Welches Bild von deinen Brüdern trägst du in dir? Si: Zwei Spielkameraden, die dich nicht für voll nahmen, Gü: die dir deine Puppen zerbrachen, um dich zu ärgern.

Antigone:

Sa: Sie waren älter... Kreon:

Gü: Später musstest du sie bewundern mit ihren ersten Zigaretten, mit ihren ersten langen Hosen,

42

Mi: und dann fingen sie an, abends auszugehen und nach Mann zu riechen.

Gü: Schließlich wurdest du von ihnen überhaupt nicht mehr beachtet.

Antigone:

Sa: Ich war ein kleines Mädchen. Kreon:

Gü: Aber du bemerktest doch, dass deine Mutter öfters verweint aussah, dass dein Vater zuweilen Wutanfälle bekam, du hörtest, wie sie die Türen zuschlugen, wenn sie abends nach Hause kamen, und wie sie in den Gängen albern lachten.

Sie gingen an dir vorbei, spöttelnd, gemein und nach Wein stinkend. Si: Weißt du auch, was für ein Mensch dein Bruder war?

Antigone:

Sa: Darauf war ich schon gefasst, dass du ihn jetzt schlecht machen wirst. Kreon:

Gü: Er war ein dummer, liederlicher Bursche, Mi: ein hartherziger, seelenloser Rohling, Wi: der nur mit seinem Wagen schneller als die anderen

fahren konnte Wi/Si: und sein Geld in den Kneipen ausgeben. Gü/Si: Sonst konnte er nichts.

Antigone:

Sa: Ich gehe auf mein Zimmer. Kreon:

Gü: Dein ganzes Leben liegt noch vor dir. So viel Schönes wartet auf dich. Antigone:

Fr/Ut/Sa/Ve: Ja. Kreon:

Gü: Heirate, Antigone, und werde glücklich. Das Leben sieht anders aus, als du glaubst.

Si: Es ist wie ein schnelles, flüchtiges Wasser, das der Jugend durch die geöffneten Finger entrinnt.

Gü: Greife es fest mit deinen Händen, halte es auf. Du wirst sehen, dann nimmt es eine einfache Gestalt an.

43

Mi: Du wirst einsehen – Wi: hoffentlich nicht zu spät -, Mi/Gü: dass das Leben oft nur ein Buch ist, Mi: das man gerne liest, Gü: ein Kind, das zu deinen Füßen spielt, ein

Gegenstand, der sicher in der Hand ruht, oder ein verlöschender Abend, wenn du vor dem Haus sitzt. Du verachtest mich vielleicht, aber eines Tages -wirst du es ganz von selbst entdecken.

Gü/Wi/Mi/Si: Und wenn du alt wirst, kann es dich trösten. Gü: Vielleicht ist das ganze Leben nur ein bisschen

Glück. Antigone:

Sa: Glück... Kreon:

Gü: Ein armseliges Wort, nicht wahr? Antigone:

Sa: Was wird mein Glück sein? Was für eine glückliche Frau soll aus der kleinen Antigone werden?

Ut: Welche Niedrigkeiten werde ich Tag für Tag begehen müssen, um dem Leben mit den Zähnen ein kleines Petzchen Glück zu entreißen?

Sa/Ve: Sag doch, wen werde ich belügen, Sa: wem falsch ins Gesicht lächeln und an wen mich

verkaufen müssen? Fr: Bei wem muss ich mich abwenden Fr/Sa: und ihn sterben lassen?

Kreon:

Gü: Du bist verrückt. Sei still. Antigone:

Sa: Nein, ich bin nicht still! Ich will wissen, was ich tun muss, um glücklich zu werden.

Fr/Sa: Jetzt will ich es wissen, Sa/Fr/Ve: denn ich habe nicht lange Zeit, mich zu entscheiden. Sa/Ut: Du sagst, das Leben sei schön. Fr/Ut/Sa/Ve: Ich möchte jetzt wissen, wie ich es anstellen muss.

44

Szene 9: Kreon: Günther, Willy, Michael, Sigi Antigone: Uta (Sanne und Verena flüstern) Kreon:

Gü/Wi/Mi/Si: Liebst du Hämon? Antigone:

Ut/(Sa): Ja, ich liebe Hämon. Ich liebe einen Hämon, der jung und stark ist, einen Hämon, der anspruchsvoll und treu ist wie ich. Aber ich liebe ihn nicht nach euren Begriffen vom Leben und vom Glück. Wenn er nicht mehr erbleichen darf, wenn ich erbleiche, wenn er mich nicht tot glaubt, wenn ich nur fünf Minuten zu spät komme, wenn er mich nicht mehr hasst und sich allein fühlt, wenn ich lache, ohne dass er weiß warum, wenn er für mich der Herr Hämon wird und wenn auch er das Jasagen lernen muss - nein - dann liebe ich ihn nicht mehr.

Kreon:

Gü/Wi/Mi/Si: Du weißt nicht was du sagst. Sei still. Antigone:

Ut/(Sa): O doch, ich weiß es sehr gut - aber du verstehst mich nicht mehr. Ich bin zu weit weg von dir - meine Stimme spricht aus einer Welt, die dir mit deinen Sorgenfalten, mit deiner Weisheit für immer verschlossen ist.

Kreon:

Gü/Wi/Mi/Si: Bist du jetzt endlich still! Antigone:

Ut/(Sa): Schlag zu, Kreon. Du kannst ja nichts anderes. Schlag mich, denn du weißt, dass ich Recht habe. Glaubst du, ich sehe es dir nicht an den Augen an, dass du es weißt? Nur zu gut weißt du, dass ich Recht habe, aber zugeben wirst du es nie - denn jetzt verteidigst du dein Glück wie ein Hund seinen Knochen.

Kreon:

Gü/Wi/Mi/Si: Und das deine damit, du Dummkopf. Antigone:

Ut/(Sa) Ihr seid mir alle widerlich mit eurem Glück und eurer Lebensauffassung. Gemein seid ihr! Wie Hunde, die geifernd ablecken, was sie auf ihrem Weg finden. Ein bescheidenes Alltagsglück und nur nicht zu

45

anspruchsvoll sein! Fr/Ut/Sa/Ve: Ich, ich will alles, sofort und vollkommen - oder ich

will nichts. Ut/(Sa): Ich kann nicht bescheiden sein und mich mit einem

kleinen Stückchen begnügen, das man mir gibt, weil ich so brav war. Ich will die Gewissheit haben, dass es so schön wird, wie meine Kindheit war, oder ich will lieber sterben.

Kreon:

Gü/Wi/Mi/Si: Sei still. Du solltest sehen, wie hässlich du bist, wenn du so redest.

Antigone:

Ut/(Sa) Ja, ich bin hässlich. Du findest es gewöhnlich, mein Schreien, mein Auffahren, diesen lauten Streit, nicht wahr? Mein Vater wurde auch dann erst schön, als er gewiss war, dass er seinen Vater getötet hatte und dass es wirklich seine Mutter war, bei der er die Nacht verbracht hatte - und als er wusste, dass ihn nichts mehr retten konnte. Da beruhigten sich seine unsteten Züge, sie bekamen ein leichtes Lächeln - er wurde schön. Hab Geduld, Kreon! Sie sind zäh, deine niedrigen Hoffnungen, aber sie werden dir doch nichts nützen. Ich brauche euch alle nur anzusehen mit eueren armseligen Köpfen - ihr Glückskandidaten! Ihr seid hässlich, selbst die Schönsten unter euch. Ihr habt alle etwas Gemeines in den Augen und um die Mundwinkel - und Köpfe wie die feisten Köche.

Kreon:

Gü/Wi/Mi/Si: Ich befehle dir zu schweigen, verstehst du? Antigone:

Fr/Ut: Glaubst du wirklich, du könntest mir etwas befehlen? Kreon:

Gü/Wi/Mi/Si: Das Vorzimmer ist voller Leute - sie hören dich doch!

Antigone:

Fr/Ut/Sa/Ve: Mach die Türen auf, sie sollen mich hören! Kreon:

Gü/Wi/Mi/Si: Willst du jetzt endlich still sein, um Himmels willen?

46

Szene 10: Ismene: Verena Antigone: Friederike, Uta, Sanne Ismene:

Ve: Antigone, verzeih mir. Du siehst, ich komme. Jetzt hab ich den Mut. Ich werde mit dir gehen. Antigone:

Sa: Wohin wirst du mit mir gehen? Ismene:

Ve: (zu Kreon) Wenn du sie töten lässt, dann musst du mich mit ihr sterben lassen. Ich bin auch dort gewesen, auch ich habe versucht, meinen Bruder einzugraben. Antigone:

Fr/Ut/Sa: Nein. Fr: Das ist nicht wahr! Sa: Du bist nicht dort gewesen. Ut: Glaube nur nicht, dass du jetzt mit mir sterben kannst. Fr/Ut/Sa: Das wäre zu einfach!

Ismene:

Ve: Ich will nicht mehr leben, wenn du stirbst. Ich kann nicht ohne dich sein. Antigone:

Ut: Du hast das Leben gewählt – Sa/Fr: ich den Tod. Fr: Lasse mich jetzt mit deinem Gejammer zufrieden. Ut: Heute Morgen hättest du hingehen sollen, als es noch

dunkel war. Sa: Mit den Nägeln hättest du in der Erde herumkratzen

sollen, während die Wächter daneben standen - bis sie dich wie eine Diebin ergriffen hätten!

Ismene:

Ve: Nun gut, dann gehe ich morgen hin. Antigone:

Fr/Ut/Sa: Hörst du sie, Kreon? Ut/Fr: Sie ist schon angesteckt! Sa: Und wer weiß, ob nicht auch noch andere angesteckt

werden, wenn sie mich hören? Ut: Auf was wartest du noch, Ut/Fr: bis du mich zum Schweigen bringst?

47

Fr: Warum zögerst du? Fr/Ut/Sa: Rufe deine Wächter. Sa: Komm, Kreon, nur noch ein bisschen Mut! Ut: Nur ein kurzer, unangenehmer Augenblick muss

überwunden werden. Fr: Komm, Sa/Ut: rufe – Fr: wenn es schon sein muss.

Kreon:

Gü/Wi/Mi/Si: Wache! Si: Führt sie ab!

Antigone:

Fr/Ut/Sa: Endlich, Kreon!

48

Szene 11: Kreon: Willy Hämon: Micha Sprecher: Willy, Micha, Günther, Sigi Sprecher:

Wi: Kreon, was hast du getan? Kreon:

Wi: Sie selbst wollte sterben. Keiner von uns war stark genug, sie daran zu hindern. Jetzt begreife ich. Antigone war dieser Tod vorbestimmt. Vielleicht wusste sie es selbst nicht, aber Polyneikes war nur ein Vorwand. Und als sie nicht mehr für ihn sterben konnte, fand sie sofort einen anderen Grund. Ihr war die Hauptsache, dass sie nein sagen und sterben durfte. Sprecher:

Wi: Aber sie ist noch ein Kind! Kreon:

Wi: Was soll ich für sie tun? Sie zum Leben verurteilen? Hämon:

Mi: Vater! Kreon:

Wi: Vergiss, Hämon, vergiss sie, mein Junge. Hämon:

Mi: Du bist wahnsinnig, Vater. Kreon:

Wi: Ich habe versucht, sie zu retten. Alles habe ich versucht, ich schwöre es dir. Aber sie liebt dich nicht. Sie hätte leben können, aber Wahnsinn und Tod waren ihr lieber.

Hämon:

Mi: Vater, hast du gesehen, wie sie abgeführt wurde? Rufe diese Männer zurück! Kreon:

Wi: Zu spät. Sie hat gesprochen. Ganz Theben weiß jetzt, was sie getan hat. Sie muss sterben. Sprecher:

Gü: Kann man nicht schnell irgendetwas erfinden? Si: Sagen, dass sie verrückt ist?

49

Si/Gü: Sie einsperren? Kreon:

Wi: Alle werden sagen, dass es nicht wahr ist. Dass ich sie nur rette, weil sie die Frau meines Sohnes werden soll. Ich kann nicht. Hämon:

Mi: Aber ich liebe sie. Sie wird meine Frau. Vater, du darfst sie mir nicht entreißen! Kreon:

Wi: Du musst jetzt tapfer sein. Antigone kann nicht weiterleben. Sie hat uns alle schon längst verlassen. Hämon:

Mi: Ich kann nicht ohne Antigone leben! Die langen Tage allein sein, ohne sie - und dabei dein Getue, dein Gerede und deine Nichtigkeit. Das mutest du mir zu, Vater!

Kreon:

Wi: Du musst dich damit abfinden, Hämon. Einmal kommt für jeden der Tag - beim einen früher, beim anderen später -, da er sich damit abfinden muss, dass er nun erwachsen ist. Heute bist du an der Reihe. Zum letzten Mal stehst du vor mir wie ein kleiner Junge, mit nassen Augen und einem schweren Herzen. Wenn du dich nachher abwenden und diese Schwelle überschreiten wirst, dann ist alles zu Ende. Hämon:

Mi: Es ist schon zu Ende. Kreon:

Wi: Verurteile mich nicht, Hämon. Verurteile mich nicht auch, du. Hämon:

Wi: Diese große Kraft, dieser Mut, dieser göttliche Riese, der mich auf seinen Armen vor Ungeheuern und drohenden Schatten rettete... das alles warst du? Dieser heimelige Geruch und das gute Brot am Abend, wenn du mir in deinem Arbeitszimmer bei Lampenlicht deine Bücher zeigtest, das sollst du gewesen sein?

Kreon:

Wi: Ja, Hämon. Hämon:

Mi: Diese ganze Mühe, der ganze Stolz und Bücher voller Helden,

50

das alles soll keinen anderen Sinn gehabt haben, als dass man sich eines Tages mit dem Erwachsensein abfinden und sich glücklich schätzen muss, wenn man überhaupt leben darf?

Kreon:

Wi: Ja, Hämon. Hämon:

Mi: Vater, das ist nicht wahr! Das bist nicht du, den heutigen Tag träume ich doch nur! Stehen wir denn wirklich ausweglos vor einer Mauer, wo wir bloß noch ja sagen können? Du bist doch stark und mächtig, so wie damals, als ich noch klein war! Glaub mir, ich bewundere dich, ich bewundere dich noch heute! Wenn ich dich nicht mehr bewundern kann, bin ich allein, in einer leeren, nackten Welt. Kreon:

Wi: Man ist immer allein, Hämon, und die Welt ist leer und nackt. Du hast mich schon viel zu lange bewundert. Sieh mich an. Erwachsen sein bedeutet, dass man eines Tages das Gesicht seines Vaters so sieht, wie es wirklich ist.

Hämon:

Mi: Antigone! Hilf mir! Sprecher:

Gü/Si: Er ist hinausgerannt wie ein Wahnsinniger. Kreon:

Wi: Ja... der Arme. Wi/Si: Er liebt sie.

Sprecher: Gü/Wi/Si/Fr/Ut/Sa/Ve: Kreon, du musst etwas unternehmen. Kreon:

Wi: Es geht nicht mehr. Sprecher:

Wi/Gü: Er ist davon wie vom Tode gezeichnet. Kreon:

Gü/Wi/Si: Ja - wir alle - sind vom Tode gezeichnet.

51

Szene 12: Wächter: Sigi Antigone: Friederike, Uta, Sanne, Verena Kreon: ? Antigone:

Ve: Kreon, ich will niemand mehr sehen, Sa/Ve: weder meine Schwester Sa/Ve/Fr: noch die Amme, Sa/Ve/Fr/Ut: noch Hämon. Sa: Und wenn Menschlichkeit in dir ist, dann beende es

schnell. Fr: Du weißt, dass ich sterben muss. Ut: Lass mich niemand mehr sehen, Ve: bis alles vorbei ist.

(Kreon:

???: Die Wache vor die Türen! Räumt den Palast! Und du bleibst bei ihr zurück.)

Antigone: Sa: Also - du bist es?

Wächter:

Si: Was, ich? Antigone:

Sa: Das letzte Menschenantlitz für mich. Wächter:

Si: Es ist anzunehmen. Antigone:

Sa: Lass dich ansehen. Wächter:

Si: Unterlassen Sie das. Antigone:

Ut: Hast du mich zuerst festgenommen? Wächter:

Si: Ja, das war ich. Antigone:

Ut/Sa: Du hast mir wehgetan. Fr: Das war nicht notwendig. Ve: Oder sah ich so aus, als ob ich davonlaufen wollte?

52

Wächter:

Si: Erzählen Sie mir keine Geschichten. Wenn ich Sie nicht ergriffen hätte, dann hätte eben ich daran glauben müssen. Antigone:

Ve: Wie alt bist du? Wächter:

Si: Neununddreißig. Antigone:

Ve: Hast du Kinder? Wächter:

Si: Ja, zwei. Antigone:

Ut: Hast du sie lieb? Wächter:

Si: Das geht Sie nichts an. Antigone:

Fr: Bist du schon lange beim Wachregiment? Wächter:

Si: Seit dem Krieg. Da war ich Unteroffizier. Danach habe ich mich zum Wachregiment verpflichtet. Antigone:

Sa: Muss man denn Unteroffizier gewesen sein, um Wachmann zu werden? Wächter:

Si: Im Prinzip ja. Unteroffizier. Oder wenigstens muss man einen Sonderlehrgang mitmachen. Aber als Wachmann verliert der Unteroffizier seinen früheren Dienstgrad. Zum Beispiel, ich begegne einem Rekruten der Armee, so muss er mich nicht grüßen.

Antigone:

Sa: So? Wächter:

Si: Ja. Aber wissen Sie, im Allgemeinen tut er es doch. Denn der Rekrut weiß genau, dass der Wachmann früher ein Dienstgrad

53

war. Bei der Löhnung bekommen wir den normalen Sold als Wachmann und während sechs Monaten als Ausgleich den Fehlbetrag bis zum vollen Unteroffiziersgehalt. Aber als Wachmann hat man noch andere Vorteile: Wohnung, Heizung und Familienunterstützung. Alles in allem steht sich ein verheirateter Wachmann mit zwei Kindern besser als ein Unteroffizier der aktiven Truppe. Antigone:

Ve: So? Wächter:

Si: O ja. Daher kommen auch die dauernden Spannungen zwischen dem Wachregiment und dem Unteroffizierskorps. Vielleicht haben Sie schon bemerkt, dass die Unteroffiziere oft so tun, als wären die Leute vom Wachregiment für sie Luft. Hauptsächlich bilden sie sich wegen der Beförderung so viel ein. Einesteils haben sie ja Recht. Die Beförderung beim Wachregiment geht viel langsamer und schwieriger vor sich als bei der Armee. Aber man muss dabei berücksichtigen, dass ein Gefreiter beim Wachregiment doch schon etwas ganz anderes ist als ein gewöhnlicher Unteroffizier. Antigone:

Fr: Höre... Wächter:

Si: Ja. Antigone:

Fr/Sa: Ich werde bald sterben. Wächter:

Si: Deshalb ist auch ein Mann vom Wachregiment viel angesehener als ein Unteroffizier. Der Wachmann ist ein Soldat, aber zugleich fast schon ein Beamter.

Antigone:

Ut: Meinst du, dass es wehtun wird – Fr/Ut/Sa/Ve: das Sterben?

Wächter:

Si: Während des Krieges hatten vor allem die Leute mit Bauchschüssen große Schmerzen. Ich bin nie verwundet worden. Das hat mir auf der anderen Seite doch etwas geschadet bei der Beförderung.

54

Antigone: Ut: Wie soll ich denn getötet werden?

Wächter:

Si: Ich weiß nicht. Ich habe nur gehört, dass Sie in ein Loch gemauert werden, damit die Stadt nicht mit Ihrem Blut befleckt wird. Antigone:

Fr/Ut/Sa/Ve: Lebend? Wächter:

Si: Zuerst schon. Antigone:

Ve: Ein Grab – Ve/Sa: mein Hochzeitsbett – Ve/Sa/Ut: meine letzte dunkle Stätte… Ve/Sa/Ut/Fr: und ganz allein...

Wächter:

Si: Ja, in den Höhlen des Hades vor den Toren der Stadt - am helllichten Tag. Ein unangenehmer Dienst für die, die dabei sein müssen. Zuerst hat man schon gesagt, Soldaten von der Armee müssten es machen. Aber wie ich zuletzt gehört habe, soll auch hierzu das Wachregiment die Leute abstellen. Dem Wachregiment kann man ja alles aufhalsen. Da braucht man sich gar nicht zu wundern, wenn es zwischen dem Wachregiment und dem Unteroffizierskorps dauernd Eifersüchteleien gibt.

Antigone:

Sa: Zwei Tiere... Wächter:

Si: Was, zwei Tiere? Antigone:

Ut: Zwei Tiere würden ganz eng aneinanderrücken, um sich zu wärmen.

Fr: Ich aber werde ganz allein sein. Wächter:

Si: Benötigen Sie etwas? Soll ich rufen? Antigone:

Fr/Ut/Sa/Ve: Nein.

55

Ve: Ich möchte nur, dass du jemand einen Brief übergibst, wenn ich tot bin. Wächter:

Si: Wie - einen Brief? Antigone:

Fr: Einen Brief, den ich jetzt schreiben werde. Wächter:

Si: Kommt nicht in Frage. Machen Sie keine Geschichten. Einen Brief! Was stellen Sie sich denn vor! Und ich lasse mir dann den Kopf dafür abschneiden? Antigone:

Ut: Du bekommst den Ring, wenn du es tust. Wächter:

Si: Gold? Antigone:

Ut/Sa: Ja, Gold. Wächter:

Si: Aber wenn man mich dabei erwischt? Dann komm ich vors Kriegsgericht. Aber das ist Ihnen wohl gleichgültig.

Ich kann höchstens in mein Notizbuch schreiben, was Sie bestellen wollen. Die Seite reiß ich dann heraus. Mit meiner eigenen Schrift ist es etwas anderes.

Antigone:

Ut: Deine Schrift... Ut/Ve: das ist zu hässlich – Sa: nein. Fr/Ut/Sa/Ve: Das alles ist so hässlich.

Wächter:

Si: Gut, wenn Sie nicht wollen, bitte... Antigone:

Ut: Nein, nein, behalte nur den Ring – Sa: schreib. Fr: Aber schnell. Ve: Ich fürchte, wir werden keine Zeit mehr haben. Ut: Schreib: Fr: Mein Liebster...

56

Wächter: Si: Ist das für Ihren Freund?

Antigone:

Ve: Mein Liebster, Ve/Sa: vielleicht liebst du mich nicht mehr, weil ich

sterben wollte. Wächter:

Si: (wiederholt langsam) Mein Liebster, vielleicht liebst du mich nicht mehr, weil ich sterben wollte. Antigone:

Ve: Kreon hatte Recht – Ut/Ve: es ist furchtbar. Sa: Ich weiß nicht mehr, wofür ich sterbe. Fr/Ut: Ich habe Angst.

Wächter:

Si: Kreon hatte recht, es ist furchtbar... Antigone:

Ut: Oh, Hämon, unser Kind! Jetzt begreife ich erst, wie einfach das Leben war... Wächter:

Si: Hören Sie, Sie diktieren zu schnell. Wie soll ich denn da mitschreiben? Es braucht alles seine Zeit,

Antigone:

Sa: Wo bist du stehen geblieben? Wächter:

Si: Ich weiß nicht mehr... Antigone:

Sa/Ut: Ich weiß nicht mehr, wofür ich sterbe... Wächter:

Si: (schreibt) ... nicht mehr, wofür ich sterbe. Niemand weiß, wofür er stirbt.

Antigone:

Fr: Ich habe Angst. Ve: Nein, streich das aus. Fr/Ve: Das braucht niemand zu wissen.

57

Fr: Das wäre, als sähe man mich nackt, wenn ich tot bin.

Fr/Sa: Streiche es aus und schreibe dafür: Fr/Ut/Sa/Ve: Verzeih!

Wächter:

Si: Dann streiche ich also das Letzte hier durch und schreibe dafür "Verzeih!" hin? Antigone:

Ut: Ja - verzeih, Liebster. Ut/Fr: Ohne die kleine Antigone wärt ihr alle

glücklicher gewesen. Fr/Ut/Sa/Ve: Ich liebe dich...

Wächter:

Si: (schreibt) Ohne die kleine Antigone wärt ihr alle glücklicher gewesen. Ich liebe dich... Ist das alles? Antigone:

Ve/Sa: Ja, das ist alles. Wächter:

Si: Das ist aber ein komischer Brief. Antigone:

Fr/Ut: Ja, sehr komisch. Wächter:

Si: Und an wen ist er gerichtet? Vorwärts! Keine Geschichten.

58

Szene 13: Sprecher: alle Kreon: Günther, Willy, Micha, Sigi Sprecher:

Mi: So - Antigone hat es überstanden. Nun kommt Kreon an die Reihe. Denn keinem bleibt etwas erspart.

Wi: Man hat also Antigone in ihr Verlies geworfen. Man war schon im Begriff, die letzten Steine davor zu rollen.

Mi: Plötzlich hören Kreon und die anderen deutliche Klagelaute aus dem Grab.

Ut/Ve: Alles ist still und lauscht – Fr/Sa: denn es ist nicht die Stimme Antigones. Mi: Es ist ein anderes Klagen, das aus der Tiefe herauf klingt. Wi: Alles blickt Kreon betroffen an. Si: Er, der immer alles vor den anderen weiß, errät als erster. Gü Er schreit plötzlich wie wahnsinnig: ‚Die Steine weg -

schnell, die Steine weg!’ Gü/Ve: Sklaven stürzen sich auf die Blöcke. Sa/Fr: Er selbst hilft mit, Sa: schwitzend, Fr: mit blutigen Händen. Ut: Endlich tut sich eine kleine Öffnung auf, und der

Schlankste zwängt sich hindurch. Wi/Si: Er findet Antigone an ihrem Gürtel erhängt. Fr: Die roten, grünen und blauen Schnüre sehen wie ein

buntes Halsband aus. Mi: Hämon kniet vor ihr, die Arme um ihren Körper

geschlungen, und stöhnt, das Gesicht in ihrem Kleid verborgen.

Gü: Man entfernt einen weiteren Stein, Si: und Kreon kann endlich selbst hinuntersteigen. Wi: Man sieht seine weißen Haare im Dunkel des Grabes. Ut: Er versucht Hämon aufzuheben, Ut/Ve: flehentlich bittet er ihn. – Sa: Hämon hört nichts. Ve: Da - plötzlich steht er auf – Fr: seine schwarzen Augen funkeln - er blickt seinen Vater

schweigend an – Sa: lang – Ut: dann plötzlich spuckt er ihm ins Gesicht und zieht sein

Schwert. Si: Kreon springt zur Seite. Gü: Nochmals blickt ihn Hämon voll Verachtung mit seinen

Kinderaugen an – Wi: Kreon kann seinen Augen nicht ausweichen. Sa: Lange betrachtet Hämon den alten zitternden Mann am

59

anderen Ende des Grabes, und dann - ohne dass ein Laut über seine Lippen kommt - stößt er sich das Schwert in den Leib - taumelt - klammert sich im Stürzen an Antigone und umarmt sie - in einem riesigen purpurnen See.

Kreon:

Wi: Ich habe sie neben einander legen lassen. Mi: Sie sind jetzt gewaschen und sauber. Si: Nur ein wenig bleich sind sie, Gü: aber ganz ruhig. Gü/Wi/Mi/Si: Sie schlafen wie zwei Liebende am Morgen ihrer

ersten Nacht. Si: Sie haben es hinter sich.

(Sprecher:

Ve: Noch weißt du nicht alles. Eurydike, die Königin, deine Frau... Kreon:

Si: Eine gute Frau – Wi: die immer nur von ihrem Garten, von der Küche und von ihren

Strickereien spricht – von ihrem ewigen Gestricke für die Armen. Komisch, dass alle Armen immer Gestricktes brauchen.

Gü: Man könnte meinen, die brauchen nur Gestricktes. Sprecher:

Fr/Ut/Sa/Ve: Diesen Winter werden die Armen in Theben frieren, Kreon.

Fr: Als die Königin den Tod ihres Sohnes erfuhr, legte sie ihre Nadeln zur Seite, nachdem sie die Masche fertig gestrickt hatte.

Ve: Sie war dabei bedächtig wie immer, Sa: vielleicht nur etwas ruhiger als sonst. Sie ging in ihr

Zimmer, wo es immer nach Lavendel riecht und die kleinen gestrickten Deckchen auf den Plüschmöbeln liegen.

Ut: Dort schnitt sie sich die Gurgel durch. Sa: Sie liegt jetzt in dem altmodischen Ehebett – Ut: wo du sie einmal als Junges Mädchen sahst. Sa: Sie hat dasselbe Lächeln, nur etwas trauriger. Fr: Und wenn auf der weißen Wäsche bei ihrem Hals

nicht der große, rote Fleck wäre, könnte man meinen, sie schlafe.

Kreon:

Gü/Wi/Mi/Si: Auch sie... Gü: Jetzt schlafen alle. Gut. Mi: Es war ein harter Tag.)

60

Wi/Si: Schlafen – Gü/Wi/Mi/Si: es muss schön sein.

Sprecher:

Fr/Ut/Sa/Ve: Du bist jetzt allein, Kreon. Kreon:

Gü: Ja. Wi: Allein – Gü: ganz allein. Mi: Ich will dir etwas sagen. Si: Sie wissen es ja nicht, die anderen. Gü: Wenn man vor einem Werk steht, kann man doch

nicht einfach die Arme verschränken. Wi: Alle sagen zwar, es sei eine schmutzige Arbeit – Mi: aber wenn man sie nicht selbst tut, Gü/Wi/Mi/Si: wer soll sie dann tun?

Sprecher:

Fr: Ich weiß es nicht. Kreon:

Si: Gewiss, du weißt es nicht. Gü: Sei froh! Mi: Am besten wäre wohl, Wi: man wüsste nie etwas. (Man hört aus der Ferne eine Uhr schlagen.) Gü: Fünf Uhr. Wi: Was haben wir heute um fünf? Mi: Ministerrat. Si: Gut, wenn wir Ministerrat haben, Gü/Wi/Mi/Si: dann werden wir jetzt hingehen.

Sprecher:

Ut: Das wäre es also. Es stimmt schon, ohne die kleine Antigone hätte jedermann seine Ruhe gehabt.

Sa: Aber nun ist alles vorbei. Ve: Alle haben sie wieder - ihre Ruhe. Ut: Die, die sterben mussten, sind tot. Fr: Die einen, die an etwas glaubten - die anderen, die das

Gegenteil glaubten - selbst jene, die zufällig in die Geschichte hineingezogen wurde, ohne etwas davon zu begreifen –

Ve: sie alle sind tot. Fr: Alle gleich tot, Wi: gleich steif,

61

Si: gleich nutzlos, Gü: gleich verwest. Ve: Und die, die noch leben, beginnen ganz langsam, sie zu

vergessen und ihre Namen zu verwechseln. Mi: Alles ist vorbei. Gü: Antigone ist jetzt ruhig. Ut: Nie werden wir erfahren, von welchem Fieber sie befallen war. Si: Ein tiefer, trauriger Friede legt sich über Theben und den leeren

Palast, Wi: wo Kreon sich anschickt, den Tod zu erwarten.

Si: Nur die Wächter haben es gut überstanden. Ihnen ist alles

gleich, Gü: denn es geht sie nichts an. Wi/Mi: Sie spielen lieber Karten.

ENDE