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4 Alle Macht den Mitarbeitern? Hierarchien abschaffen, den Chef wählen, über alles abstimmen: Manche Unternehmen wagen besonders viel Demokratie. Wenn das mal keine falschen Erwartungen weckt. Von Nadine Bös und Lisa Kuner F.A.Z. VOM 23. MÄRZ 2019

Alle Macht den Mitarbeitern? - faz.media · 2019-12-06 · Alle Macht den Mitarbeitern? Hierarchien abschaffen, den Chef wählen, über alles abstimmen: Manche Unternehmen wagen besonders

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Alle Macht den Mitarbeitern?

Hierarchien abschaffen, den Chef wählen, über alles abstimmen: Manche Unternehmen wagen besonders viel Demokratie. Wenn das

mal keine falschen Erwartungen weckt. Von Nadine Bös und Lisa Kuner

F.A.Z. VOM 23. MÄRZ 2019

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Auf den ersten Blick klingen die Arbeits-bedingungen des IT-Unternehmens

Praemandatum in Hannover paradiesisch: Die Mitarbeiter entscheiden selbst, wann sie kommen und gehen. Sie bestimmen, wie viel Urlaub sie sich gönnen. Sie wählen ihre Füh-rungskräfte. Strategische Entscheidungen treffen nicht die Chefs, sondern sie fallen per Mehrheitsbeschluss. Wie genau – das be-stimmt eine ausführliche Satzung, die nur mit der Zweidrittelmehrheit aller Mitarbei-ter geändert werden darf. Der 41 Jahre alte Gründer und Geschäftsführer Peter Leppelt findet all das mit Blick auf den Zweck seines Unternehmens nur konsequent: Praeman-datum ist eine Beratung für Datenschutz und Privatsphäre und bietet Unternehmen entsprechende Softwarelösungen an. „Was wir tun, hat entscheidend mit persönlicher Freiheit zu tun“, sagt Leppelt. „Ich wollte meinen Mitarbeitern und Kunden nicht ständig von Freiheit erzählen und gleichzei-tig im eigenen Betrieb eine Diktatur errich-ten.“ Auf diese Art schafft er, was vielen IT-Unternehmen oder IT-Abteilungen nur schwerlich gelingt: „Wir zahlen bei weitem nicht die Gehälter, die sich in großen Kon-zernen erzielen lassen, aber wir haben kein Problem damit, genügend Fachkräfte für uns zu gewinnen. Unser System ist sehr Nerd-konform.“

Weil es derzeit in vielen Bereichen an Fach-kräften und insbesondere an innovativem Personal mangelt, ist Leppelt mittlerweile ein gern gesehener Berater über die IT-Branche hinaus. Und längst nicht mehr nur in IT-Fra-gen: Auf einmal ist er auch gefragt, wenn es um Personalthemen geht. Im vergangenen Jahr referierte er etwa beim Fraunhofer-Ins-titut für Arbeitswirtschaft und Organisation während einer Veranstaltung zu Führung in Zeiten der Digitalisierung. „Wir haben auch

immer wieder Führungskräfte hier zu Gast, die sich erkundigen, wie wir arbeiten“, er-zählt Leppelt. Er habe beispielsweise schon die Sparkasse Hannover in diesen Fragen beraten und sogar einen Dax-30-Konzern.

Dahinter steht die Idee, dass die Gewin-nung und Sicherung von Fachkräften dem-jenigen besser gelingen könnte, der bieten kann, was sich viele Arbeitnehmer heute wünschen: Eigenverantwortlichkeit und ei-nen „tieferen Sinn“ dessen, was sie tun. „Purpose“ nennt sich das im Manage-ment-Jargon. Der Gedanke dahinter: Dass Arbeitnehmer den „Purpose“ ihres Schaf-fens erkennen, sei in einer Zeit, in der Arbeit und Freizeit aufgrund des digitalen Fort-schritts zunehmend verschwimmen, beson-ders wichtig. Demokratische Strukturen in Unternehmen einzubringen gilt als ein Weg dorthin. Das könne unterschiedlich aus-sehen, sagt Andreas Zeuch, Unternehmens-berater und Autor. „Häufig gibt es eine Ver-wechslung: Demokratie im Unternehmen bedeutet nicht zwangsläufig Basisdemo kra-tie. Nicht alle sollen alles entscheiden.“

So sieht es auch Peter Leppelt. Anfangs, als er im Jahr 2006 sein Unternehmen mit sechs Mitarbeitern gründete, sei es bei ihm tatsächlich so gewesen, dass alle alles ent-schieden haben. „Damals hatten wir gar kei-ne Führungskräfte“, erzählt er. „Alle waren gleichberechtigt.“ Heute ist Praemandatum auf 40 Angestellte gewachsen. „Irgendwann gingen unsere Team-Meetings über vier Stunden, das war nicht mehr zielführend. Wir haben gemerkt: Wir brauchen mehr Tempo, und wir brauchen Führungsrollen.“ Mittlerweile werden die Führungskräfte ge-wählt und können mit einer 75-Prozent- Mehrheit „wegrevoltiert“ werden, berichtet Leppelt. Passiert ist solch eine Revolte in der Praxis allerdings noch nie. „Vorgekommen

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ist es aber schon, dass Führungskräfte nach ei-niger Zeit wieder zurückgegangen sind in Nicht führungsrollen“, sagt er. „Ganz freiwil-lig, denn nicht jeder hat Lust, das auf Dauer zu machen. Und bei uns ist das komplett okay und bedeutet keinen Gesichtsverlust.“

Versuche, Hierarchien abzuschaffen und Demokratie ins Unternehmen einziehen zu lassen, gibt es häufiger und zum Teil sogar noch extremer als bei Praemandatum: Bei dem Getränkehersteller Premium in Ham-burg trifft zum Beispiel ein Kollektiv alle unter nehmerischen Entscheidungen in Konsensdemokratie. Und das schon seit 17 Jahren. „Wir sind kein Hippie-Projekt, son-dern wir versuchen, die Welt zu verändern“, sagt der Gründer und Geschäftsführer Uwe Lübbermann. Das Unternehmen wächst, und zwar be wusst langsam. Es vertreibt Li-monade, Mate, Cola und Bier, Gewinnerzie-lung stehe dabei aber nicht im Vordergrund. „Unser Haupt zweck ist, sich um alle Betrof-fenen des Unter nehmens zu kümmern“, sagt Lübbermann.

Demokratisch entschieden wird in allen Fragen: Wie groß wird das Etikett? Was kos-tet das Getränk? Welchen Lohn bezahlen wir unseren Mitarbeitern? Nicht nur die Mitarbeiter, auch gewerbliche Partner wie Abfüller oder Getränkemärkte sowie Konsu-menten können sich an solchen Entschei-dungen des Kollektivs beteiligen. Dafür gibt es ein Online-Forum. 236 Mitglieder sind dort angemeldet, jeder kann Vorschläge ein-bringen, bei konkreten Fragen diskutieren dann im Schnitt fünf bis zehn Leute mit.

Weniger radikal, aber dafür schon seit mehr als 40 Jahren setzt die Autowelt Hopp-mann demokratische Prozesse im Unterneh-men um. Die Autohäuser gehören einer Stif-tung, und es gibt dort Arbeitsteams, die in Entscheidungen mit einbezogen werden.

Ein paritätisch mit Führungskräften und Mitarbeitern besetzter Wirtschaftsausschuss entscheidet über das strategische und opera-tive Tagesgeschäft. Auch finanzielle Ent-scheidungen werden hier getroffen, nur in personellen Fragen haben die Mitarbeiter kein Mitspracherecht. Auch wurden im Un-ternehmen mit der Demokratisierung keine Hierarchien abgebaut. Trotzdem sagt Proku-rist Martin Schneider: „Demokratisierung im Unternehmen ist ein radikaler Wandel.“ Damit das funktionieren könne, sei vor al-lem wichtig, dass die Unternehmen und die Führung hinter der Idee stehen. Er selbst ist Führungskraft und nach mehr als 20 Jahren im Unternehmen von diesem Modell über-zeugt. „Die Entscheidungsfindung dauert zwar länger, aber die Qualität der Entschei-

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dungen ist besser.“ Durch das Einbeziehen der Betroffenen könnten Ansätze entwickelt werden, an die ein Einzelner nicht gedacht hätte. Außerdem sei die Entscheidungsfin-dung nachhaltiger, weil die getroffenen Ent-schlüsse von der Belegschaft besser getragen würden. Auch die Mitarbeiter scheinen da-mit zufrieden zu sein: Es gibt wenig Fluktu-ation, die durchschnittliche Betriebszugehö-rigkeit liegt bei mehr als 20 Jahren. „Die Einbeziehung und Mitwirkung der Mitar-beiter und Mitarbeiterinnen führt zu einer besseren Atmosphäre“, sagt Schneider.

Demokratisierung in Unternehmen hat aber Grenzen. Rechtlich vor allem eine: Es muss einen Geschäftsführer geben, der die Haf-tung übernimmt, je nach Unternehmensform ist auch ein Vorstand notwendig. Außerdem

müssen auch im Streitfall Entscheidungen getroffen werden. Bei Hoppmann wird im Zweifelsfall die Minderheit überstimmt, bei Premium entscheidet Lübbermann, bevor sich das Unternehmen selbst blockiert.

Einige Organisationssoziologen bezweifeln darüber hinaus, dass demokratische Struk-turen in Unternehmen zu besseren Ergeb-nissen führen. Finn-Rasmus Bull, der an der Universität Bielefeld zum Thema forscht, sagt, ein entscheidender Vorteil von Hierar-chie sei, „dass sie taktlos entscheiden kann“. Es müsse keine Rücksicht darauf genommen werden, dass am Ende alle glücklich sind. Das könne entscheidend zum Erfolg eines Unternehmens beitragen. „Demokratie läuft immer auf Konsensfindung heraus“, sagt er. „Eine formelle Gleichrangigkeit im Unter-

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nehmen führt dazu, dass sich Machtspiele ins Informelle verlagern.“ Zudem gehe Kon-sensfindung oft auf Kosten der Geschwindig-keit von Entscheidungen. Selbst wenn Füh-rungspersonen von der Mehrheit gewählt werden, ist Bull skeptisch: „Ein entscheiden-der Nachteil ist, dass gewählte Chefs abhän-gig sind von der Gunst ihrer Mitarbeiter. Sie haben es schwer, unpopuläre Entscheidungen zu treffen. Und Mitarbeiter haben manch-mal auch ganz andere Interessen als nur den Unternehmenserfolg.“ Beispielsweise könne sich in einem Unternehmen mit vielen Win-tersportlern in der Belegschaft ein gutes „Wählerpotential“ ergeben für Chefs, die ver-sprechen, in der Skisaison viele Extra-Urlaubs-wochen zu gewähren. Im Interesse des Be-triebes sei es aber womöglich nicht, dass im Winter sehr viele Leute gleichzeitig lange weg sind.

Stefan Kühl, ebenfalls Organisations-soziologe in Bielefeld und Bulls Doktorvater, merkt außerdem immer wieder an, dass es nicht nur Vorteile hat, wenn sich Mitarbeiter mit dem Unternehmenszweck allzu sehr identifizieren. Auf den ersten Blick steigere das zwar die Motivation, sagt Kühl. „Auf den zweiten Blick kann die Identifikation der Mitarbeiter mit dem Zweck ihrer Organisa-tion jedoch auch erhebliche Nachteile mit sich bringen“, schrieb er jüngst in einem Gastbeitrag für die F.A.Z. Die Organisation büße durch die Zweckidentifikation ihrer Mitglieder stark an Wandlungsfähigkeit ein. Der Grund: Für Mitarbeiter sei es schwer einzusehen, dass sie Veränderungen akzep-tieren sollen, die nicht ihren Vorstellungen entsprechen. „Ein Vertriebsmitarbeiter, der stolz auf ein ihm besonders sinnhaft erschei-nendes Produkt ist, würde einen Moti va-tions einbruch erleiden, wenn die Unterneh-mensleitung dieses Produkt zum Beispiel

aufgrund mangelnder Marktakzeptanz wie-der vom Markt nimmt“, so Kühl.

Ein Beispiel: Wer seine ganze Zufrieden-heit daraus zieht, Gummistiefel herzustellen, ist vielleicht vollkommen enttäuscht, wenn sich das Unternehmen entschließt, künftig Lederstiefel zu fertigen – selbst wenn Markt und Mode neuerdings nur noch nach Leder-stiefeln verlangen. „Immer da, wo die Identi-fikation der Mitarbeiter mit einem Zweck besonders ausgeprägt ist, wird der Wandel besonders schwierig“, argumentiert Kühl.

Für diejenigen, die ihre Mitarbeiter im Konsens entscheiden lassen, zählen solche Überlegungen wenig. Für den Getränkefir-ma-Gründer Lübbermann ist sein Unterneh-men Premium ein Herzenprojekt. „Ich finde es gut, dass sich auch Laien einbringen“, sagt er. „Die schauen da frisch drauf, das führt dann zu anderen Ergebnissen, als wenn sich nur Fachleute einbringen.“ Bisher sei es auch bloß zweimal dazu gekommen, dass im Kon-sens keine Entscheidung getroffen werden konnte. Das eine Mal ging es um die Gestal-tung der Etiketten.

„Entscheidungen aussitzen ist keine Frage von Unternehmensdemokratie oder Top-down“, glaubt Zeuch. „Das kann überall vor-kommen.“ Auch dass demokratische Un ter -nehmen langsamer und weniger handlungs fähig sind, sei ein Trugschluss. „Das stimmt nur, wenn bloß der Entscheidungsprozess be-trachtet wird. Bei demokratischen Entschei-dungen funktioniert nachher die Umsetzung besser“, behauptet er. Bei Premium dauert die Entscheidungsfindung meistens etwa zwei Wochen, über eine Preiserhöhung wurde aber auch schon mal zwei Monate diskutiert: Danach hätten laut Lübbermann dann aber auch alle hinter der Entscheidung gestanden.

Worauf sich Fachleute einigermaßen einigen können: Je größer Unternehmen werden,

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desto schwieriger wird es, alle Mitarbeiter in Entscheidungen einzubeziehen. „Unser Sys-tem würde ab 50 Leuten zu komplex wer-den“, sagt etwa Praemandatum-Gründer Peter Leppelt. „Aber es könnte trotzdem auch ein Weg für größere Unternehmen sein, wenn sie sich in kleine Einheiten aufspalten.“ Der-zeit diskutieren viele Unternehmen darüber, sich kleine innovative Einheiten innerhalb des Hauses zu schaffen, die funktionieren wie Start-ups und weniger Hierarchien und weitreichende Mitspracherechte für Mitar-beiter haben. Gerade Großunternehmen verbinden damit die Hoffnung, innovativer zu werden; gern wird die Metapher vom Schnellboot innerhalb des großen, trägen Tankschiffs bemüht.

Finn-Rasmus Bull glaubt, dass solche Schnell-boote womöglich unhierarchischer und de-

mokratischer organisiert sein können. Als „eine Art Spielwiese“ im Unternehmen. Al-lerdings warnt er auch: „Man sollte damit nicht die Hoffnung auf Ausstrahlungseffekte auf den Gesamtkonzern verbinden.“ Bull hat mehrere Unternehmen näher untersucht, die mit solchen Strukturen experimentieren, und festgestellt, dass viele unter Absprache-problemen zwischen der kleinen Innovati-onseinheit und dem Restkonzern leiden. „Oft wissen die Mitarbeiter im traditionellen Konzern zum Beispiel nicht, wer der richtige Ansprechpartner in der Innovationseinheit ist“, sagt Bull. In seinen Studien ist ihm sogar ein Unternehmen begegnet, das sich ge-zwungen sah, einen eigentlich schon abge-schafften Abteilungsleiter wieder einzusetzen – im Sinne einer besseren Kommunikation.

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