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THEMENHEFT FORSCHUNG LEICHTBAU 70 Entwerfen im Leichtbau Warum Leichtbau? könnte man fragen, und eine Antwort jenseits der Erkenntnis der Notwendigkeit von Leichtbau im Bauwesen als Vor- aussetzung zur Überbrückung von Grenzhöhen und Grenzspann- weiten würde lauten: Weil es keine bessere Schule für das Verstehen der tragenden Konstruktionen in der lebenden und der nicht leben- den Natur sowie in der von Menschen gestalteten Welt gibt. Die Suche nach den leichten Konstruktionen ist die Suche nach den Grenzen. Das Entwerfen der leichtestmöglichen Konstruktionen ist das Herantasten an das physikalisch und das technisch Machbare. Es hat zu tun mit der Ästhetik des Minimalen, mit der Suche nach dem Unbekannten und mit dem Überschreiten von durch Wissen- schaftsdisziplinen gezogenen Grenzen.

70 THEMENHEFT FORSCHUNG LEICHTBAU Entwerfen im Leichtbau · 2.3 Systemleichtbau Unter Systemleichtbau ver-steht man das Prinzip, in einem Bauteil neben der lastabtragenden auch noch

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Entwerfen imLeichtbau

Warum Leichtbau? könnte man fragen, und eine Antwort jenseits der

Erkenntnis der Notwendigkeit von Leichtbau im Bauwesen als Vor-

aussetzung zur Überbrückung von Grenzhöhen und Grenzspann-

weiten würde lauten: Weil es keine bessere Schule für das Verstehen

der tragenden Konstruktionen in der lebenden und der nicht leben-

den Natur sowie in der von Menschen gestalteten Welt gibt.

Die Suche nach den leichten Konstruktionen ist die Suche nach den

Grenzen. Das Entwerfen der leichtestmöglichen Konstruktionen ist

das Herantasten an das physikalisch und das technisch Machbare.

Es hat zu tun mit der Ästhetik des Minimalen, mit der Suche nach

dem Unbekannten und mit dem Überschreiten von durch Wissen-

schaftsdisziplinen gezogenen Grenzen.

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Bei Konstruktionen, diegroße Spannweiten über-brücken, die große Höhenerreichen oder die sichbewegen bzw. die bewegtwerden, ist die Reduktiondes Eigengewichtes ökono-mischer Zwang, häufiggenug auch Voraussetzungfür die Realisierbarkeitselbst. Bei den eher alltägli-cheren Konstruktionenkleinerer Abmessungen,bei temporären und ephe-meren Bauten bedeutetLeichtbau eine Ersparnis aneingesetzter Masse, zumeistauch an eingesetzterEnergie. Spätestens hierscheint der ökologischeAspekt auf: Leicht zubauen wird zur Haltung.

Konsequenter Leichtbau be-dingt deutliche Modifi-kationen in den tradier-ten Strukturen des Ent-wurfsprozesses: Die Festlegungen derSystemgeometrie, die Ausformung und dieProportionierung der tragenden Struk-turen sowie deren Materialbelegung habenprimär der Forderung nach Gewichts-ersparnis und erst sekundär denjenigenForderungen zu folgen, die sich beispiels-weise aus architektonischen Überlegun-gen, aus Überlegungen zur Herstellungs-technik und aus Kostenüberlegungenergeben. Darüber hinaus lässt sich derEntwurf gewichtsminimaler Tragsystemenicht auf der Basis einer Addition bzw.gekonnter Kombination von Grundbau-steinen wie Stützen, Balken, Bögen,Platten, Scheiben etc., allgemein gesagtalso geometrisch determinierter Bauteile,gestalten. Vielmehr entwirft man imLeichtbau räumliche Kräftepfade, also aus-schließlich statisch konditionierte Struk-turen, die man anschließend mit geeigne-ten Werkstoffen belegt. Entwerfen alsProjektion eines im Geist auf unterschied-lichste Weise geschaffenen, gesehenenBildes, zusammengesetzt aus Bildern,Worten und Empfindungen, aus teilweisenichtverbaler, nichtvisueller oder nicht-akustischer Information, wird im Leicht-bau durch Einflechten der erstrangigenForderung nach Gewichtsminimalität umeinen weiteren, physikalisch fassbarenKomplexitätsgrad gesteigert.

2. Kategorien im Leichtbau

Es gibt drei grundlegend unterschiedlicheKategorien im Leichtbau, die beimEntwerfen von Leichtbaukonstruktionenauf unterschiedliche Art miteinanderkombiniert werden: Materialleichtbau,Strukturleichtbau und Systemleichtbau.Ihre nachfolgende Erläuterung undDiskussion soll einer ersten Skizzierungder Leichtbauprinzipien dienen.

2.1 Materialleichtbau

Unter Materialleichtbau versteht man dieVerwendung von Baustoffen mit einemgünstigen Verhältnis von spezifischemGewicht zur ausnutzbaren Festigkeit, zurausnutzbaren Dehnung, zur ausnutzbarenSteifigkeit etc.. Ein Leichtbauwerkstoff istdementsprechend durch mehr als eineKennzahl, z.B. den Quotienten Steifig-keit/spez. Gewicht, gekennzeichnet; dieKlassifizierung von Werkstoffen hat damitstets in einem mehrdimensionalen Feld zuerfolgen. Welcher Kenngrößenquotientmaßgebend wird, hängt davon ab, ob dieDimensionierung eines Bauteils aufFestigkeit, Steifigkeit, Duktilität,Dämpfung, Stabilität etc. erfolgt. Zu-sätzlich ist gerade bei den Leichtbau-werkstoffen wie Kunststoffen oder Alu-

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Ein Beispiel aus der Natur: DasNetz einer Spinne als vorgespanntes,ausschließlich zugbeanspruchtesFadensystem

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miniumlegierungen zu beachten, dassdiese nicht nur gegen Spitzenwerte derBeanspruchung, sondern auch gegen stän-dig vorhandene Lasten, in ihrer zeitlichenEinwirkung zu akkumulierende Last-kollektive, gegen Grenzwerte der akku-mulierten plastischen Deformationen etc.zu dimensionieren sind. Eine differenzierteBetrachtungsweise ist also nötig. Die Ver-hältnisse sind de facto komplexer als dieimmer wieder in die Diskussion gebrach-ten einfachen Verhältniszahlen über die„Leistungsfähigkeit'“ von Werkstoffen, bei-spielsweise die sog. „Leichtbaukennzahl“,der „Bic“ oder die „Reißlänge“, dies sugge-rieren.

2.1.1 Der Bauweisenbegriff

Materialleichtbau muss prinzipiell unterEinbeziehung der konstruktiven Durch-bildung der Bauteile diskutiert werden. Esgenügt nicht, eine günstige Gesamtgeo-metrie und eine gewichtsoptimale Werk-stoffbelegung eines Bauteils zu entwickeln,um danach aufgrund der teilweise erhebli-chen konstruktiven Probleme in denKrafteinleitungsbereichen Massen-mehrungen infolge komplizierter undmassebehafteter Details hinnehmen zumüssen. Den Fragen der Detaillierung, derFügetechnik und der Werkstoffkom-binationen kommt gerade im Leichtbaubesondere Bedeutung zu.

Bedauerlicherweise fehlen im Bauwesen bisheute sowohl eine werkstoffübergreifendeKonstruktions-, Entwurfs- und Bemes-sungslehre wie auch durchgehende Kon-zepte zum Recycling der Bauten und ihrerEinzelteile. Für die Behandlung der Fragender Detaillierung, Fügetechnik und Werk-stoffkombination, ansatzweise auch denendes Recycling im Leichtbau, hat der Autordeshalb bereits 1990 den in der Flugzeug-und Kraftfahrzeugtechnik angewandtenBauweisenbegriff in das Bauschaffen einge-führt. Als Bauweise wird dabei die Art undWeise bezeichnet, in der einzelne Werk-stoffe geformt und miteinander zu Bau-teilen (höhere Fügungsebene: Tragwerke)verbunden werden.

Die Einteilung in:– Differentialbauweisen– Integralbauweisen

– Integrierende Bauweisen – Verbundbauweisen

ist Grundlegung für werkstoffübergreifen-des Entwerfen und Konstruieren. Der Bau-weisenbegriff erlaubt eine schnelleBewertung der statisch-konstruktivenEigenschaften eines Bauteils sowie derBesonderheiten seines Montage-,Demontage- und Rezyklierverhaltens.

Ein in Differentialbauweise hergestelltesBauteil besteht aus mehreren, vergleichs-weise einfach gestalteten Elementen. Diegegebenenfalls aus unterschiedlichenWerkstoffen bestehenden Elemente wer-den durch punktförmige Verbindungen zuBauteilen gefügt. Die punktuelle Fügungist prinzipiell mit Spannungskonzen-trationen im Verbindungsbereich verbun-den, ein Effekt, den man im Leichtbaunatürlich gern vermeiden würde und dersich nur mit entsprechend aufwendigenMethoden, wenn überhaupt, in seinenAuswirkungen reduzieren lässt. Demgrundlegenden statisch-konstruktivenNachteil der Spannungskonzentration imFügungsbereich stehen die Vorteile dereinfachen Fügung (auch auf der Baustelle)und der optimalen Anpassbarkeit derunterschiedlichen Elemente an das jeweili-ge Anforderungsprofil entgegen. De-montage- und Rezyklierverhalten inDifferentialbauweise erstellter Tragwerkesind grundsätzlich vorteilhaft, da punktu-elle Verbindungen üblicherweise leichtlösbar sind und die anschließende Sor-tierung der Ein-Stoff-Elemente einfach ist.

Ein in Integralbauweise hergestelltes Bauteilist ein zu einem Stück geformtes Einstoff-Bauteil. Mit entsprechenden Technologienwie Gießen, Schmieden oder spanabheben-den Verfahren können dabei sehr kompli-ziert geformte Bauteile hergestellt werden.Bauteilgeometrie und Wandstärkenverlaufsind optimal an den Kraftfluss anpassbar,wodurch eine sehr homogene Werkstoff-ausnutzung unter nahezu völligem Aus-schluss von Spannungskonzentrationeninnerhalb des Bauteils erzielt wird. Da einin Integralbauweise hergestelltes Bauteilnur aus einem Werkstoff besteht, besitzt esentsprechend positive Rezykliereigen-schaften.

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Mit der integrierenden Bauweise versuchtman, die fertigungstechnisch bedingteBeschränktheit der Stückgrößen durchkontinuierliches Fügen der Einzelelementezu einem quasi-homogenen Bauteil zuumgehen. Mit Fügetechniken wie Klebenoder Schweißen wird eine entsprechendeHomogenisierung der Spannungsfelderinnerhalb des Bauteils möglich. DasRezyklierverhalten ist je nach Fügungsartunterschiedlich. Natürlich sind insbeson-dere Schweißverbindungen positiv zubewerten; die Verwendung mengenmäßighoch dosierter Leime und Kleber hingegenkann unter Umständen zuRezyklierproblemen führen.

Bei der Verbundbauweise werden Bauteileaus mehreren unterschiedlichenWerkstoffen zu einem Stück zusammenge-setzt. Im Gegensatz zur Integralbauweisewerden jedoch mehrere Werkstoffe zueinem Mehrstoff-Bauteil kombiniert.Auswahl und Anordnung der Werkstoffeerfolgen dabei nach derenEigenschaftsprofil und inAbhängigkeit vom Bean-spruchungsverlauf innerhalb desBauteils. Dies erlaubt die sehr effizi-ente Gestaltung von tragendenTeilen. Die Verbundbauweisen be-inhalten die Kategorien

– Allgemeine Verbundbauweise,– Faserverbund- und

Hybridbauweise sowie– Sandwichbauweise

Verbundkonstruktionen könnengenau dann sehr effizient undleicht gestaltet werden, wenndie eingesetzten Werkstoffe dasan das Bauteil gestellteAnforderungsprofil imVerbund, also gemeinsam (!)bestmöglich erfüllen. DerQualität des Verbundes zwi-schen den Werkstoffen, alsoz.B. der Qualität des Verbundes zwischenArmierungsfaser und Matrix, kommtdabei eine entscheidende Bedeutung zu: Jebesser der Verbund, desto kürzer könnenbeispielsweise die Krafteinleitungslängengestaltet werden. Dies führt zu Ge-wichtseinsparungen. Andererseits kanneine zu hohe Haftung zwischen denVerbundpartnern zu einem ungünstigenLastabtragungsverhalten führen. Eine

hohe Verbundwirkung führt darüber hin-aus dazu, dass sich das Zweistoff-Bauteilnur schwer in seine Ausgangsstoffe zerle-gen lässt. Am Beispiel des weltweit men-genmäßig am meisten verbreiteten Ver-bundwerkstoffes, des Stahlbetons, lässtsich dies sehr anschaulich erläutern: In-folge der extrem schlechten Verbund-wirkung zwischen Bewehrungsstahl undBeton werden signifikant größere Mehr-längen (d.h. Mehrmassen), die sog. Veran-kerungslängen, an Bewehrungsstahl erfor-derlich, um den Kraftübertrag von der Be-tonmatrix in den Bewehrungsstahl bzw.umgekehrt zu gewährleisten. Diesem sogut wie nie ausgesprochenen, ökonomischwie ökologisch nicht zu unterschätzendenNachteil steht der große Vorteil eines ein-fachen Recyclings durch ein - infolge desschlechten Verbundes - prozesstechnischeinfaches Trennen der beiden Verbund-partner Beton und Stahl gegenüber.

2.2 Strukturleichtbau

Geht man von der Ebene der Werkstoffesowie deren Kombination und Fügung zuderjenigen der Bauteile und der aus ihnenzusammengesetzten Tragwerke über, sostellt hier der Strukturleichtbau die Auf-gabe, ein gegebenes Beanspruchungs-kollektiv mit einem Minimum an Eigen-

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Strukturleichtbau: Die „StuttgarterSchale“ ist lediglich 10 mm dick. Siestellt mit einem Bauteildicken/Spann-weitenverhältnis von 1/850 die dünn-ste je gebaute Glasschale dar.

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gewicht der Konstruktionunter Einhaltung einerReihe vorgegebenerRestriktionen zu gegebenenAuflagerpunkten zu leiten.Strukturleichtbau beschäf-tigt sich also mit Art,Anzahl und Anordnung derBauteile, aus denen einetragende Struktur minima-len Gewichts gebildet wird.Strukturleichtbau bedeutetdeshalb letztendlich dieLösung eines Minimie-rungs-, d.h. Optimierungs-problems in einem mitRestriktionen versehenenEntwurfsraum. Das Trag-werk hat dabei ausschließ-lich die Funktion derAbtragung von Lasten.

2.3 Systemleichtbau

Unter Systemleichtbau ver-steht man das Prinzip, ineinem Bauteil neben derlastabtragenden auch nochandere, wie zum Beispielraumabschließende, spei-

chernde, dämmende oder vergleichbareFunktionen zu vereinigen. Die tragendenBauteile werden somit multifunktional,eine im Bauwesen immer wieder, wennauch nicht oft genug bewusst benutzteLösung. Viele mögliche Anwendungs-bereiche sind noch unerschlossen, wie dasBeispiel einer Beteiligung der Glasein-deckung filigraner Stabkuppeln an derLastabtragung zeigt – ein Konstruktions-prinzip, das man in der Kraftfahrzeug-technik bereits vorfindet: Dort werdenzunehmend die Glasscheiben als ausstei-fende Elemente herangezogen.

3. Entwerfen im Leichtbau

Entwerfen im Leichtbau bedeutet primär dieEntwicklung räumlicher Kräftepfade undderen anschließende Materialisierungunter der Zielsetzung, ein möglichst nied-riges oder sogar minimales Gewicht derKonstruktion zu erzielen. GewichtsarmeKonstruktionen lassen sich aber, vonwenigen Sonderfällen abgesehen, nichtmehr mit den tradierten Entwurfs-

methoden, also quasi „von Hand“ ent-wickeln. Die tradierten Entwurfsmetho-den ermöglichen zwar die Darstellungoder gar die Entwicklung geometrischkomplizierter Gebilde, versagen jedochvöllig bei der Aufgabe, im Gleichgewichtbefindliche, gewichtsminimale räumlicheKraftsysteme zu entwickeln.

Wo immer man sich das Ziel setzte, ge-wichtsminimale Konstruktionen oderauch Konstruktionen, bei denen die tra-gende Struktur nur ganz bestimmtenSpannungszuständen – wie beispielsweiseeiner ausschließlichen Druckbeanspru-chung – ausgesetzt wird, zu entwerfen,verwendete man zumeist individuell ent-wickelte Methoden. Die Seifenhautstudienvon Plateau im Zusammenhang mit derErforschung der Minimalflächen, dieberühmten Hängemodelle des spanischenBaumeisters Antonio Gaudi, die er unteranderem zur Erarbeitung der Geometrieder Kirche Sagrada Familia in Barcelonaverwendete, die Analogieschlüsse vond’Arcy Thompson, in denen er das Trag-verhalten lebender und nicht lebenderObjekte analysierte, die Minimalstruk-turen von Maxwell [1] und Mitchell [2]oder auch die berühmten Hängeversuchedes Schweizer Ingenieurs Heinz Islergehören zur Vielzahl der im Verlauf vielerJahrzehnte unabhängig voneinander ent-wickelten Insellösungen.

Es war das Verdienst von Frei Otto, die aufexperimentellem Arbeiten basierendenMethoden zusammenzutragen, diese umeine Reihe weiterer Methoden zu ergän-zen und erstmals eine Kategorisierung derunterschiedlichen, von Frei Otto als„Formfindungsmethoden" bezeichnetenMethoden vorzulegen [3]. In den seithervergangenen fünf Jahrzehnten wurdendiese Methoden insbesondere an derUniversität Stuttgart detailliert unter-sucht, ergänzt und weiterentwickelt. Dassder Begriff „Formfindung“ etwas unglück-lich gewählt ist, wird zwischenzeitlich all-gemein akzeptiert. Der Term „Finden"beinhaltet letztlich einen Zufallscharakter,der bei diesen nachstehend ausführlicherbeschriebenen und wissenschaftlich alle-samt fundierten Methoden, die man besserals „Formentwicklungsmethoden“bezeichnet hätte, definitiv nicht vorhan-den ist.

Lightweight construction means the search forlimits. The design of the lightest constructionsapproaches the physically and the technically feasi-ble. Lightweight construction often is not only a pre-condition for demanding constructions; it also signi-ficantly reduces materials and energy employed andhas therefore clear ecological consequences. The useof adaptive systems will further push the limits ofthe lightweight construction in the future and, at thesame time, will enable optimizations in the area ofconventional structures or components.

Leichtbau ist die Suche nach den Grenzen. DasEntwerfen der leichtestmöglichen Konstruktionen istdas Herantasten an das physikalisch und das tech-nisch Machbare. Leichtbau ist bei vielen anspruchs-vollen Konstruktionen nicht nur eineGrundvoraussetzung für deren Realisierbarkeit; erbedeutet in der Regel auch eine markante Ersparnisan eingesetzter Masse und Energie und hat somitklare ökologische Auswirkungen. Der Einsatz adap-tiver Systeme wird in den kommenden Jahren dieGrenzen des Leichtbaus noch weiter hinausschiebenund gleichzeitig Optimierungen im Bereich konven-tioneller Strukturen oder Bauteile ermöglichen.

SUM MARY

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Neben den experimentellenMethoden haben die sog.mathematisch-numerischenFormfindungsmethoden inden vergangenen Jahren, ins-besondere auch aufgrund derLeistungs- und Preisentwick-lung in der Computertechnik,enorm an Wichtigkeit gewon-nen. Die grundlegendenArbeiten hierzu entstandenbereits in den sechziger Jahrendes 20. Jahrhunderts, ebenfallsan der Universität Stuttgart.Hier wurden die wenigen bisdato bekannten analytischenMethoden zur Entwicklunggewichtsminimaler oder span-nungsrestringierter Struk-turen aufgearbeitet und, insbe-sondere durch die bahnbre-chenden Arbeiten von Link-witz und Argyris, grundlegenderweitert.

3.1 ExperimentelleFormfindungsmethoden

Unter experimentellen Formfindungs-methoden versteht man die Gruppe derje-nigen Methoden, bei denen die tragendeStruktur einer Konstruktion durch Zu-hilfenahme geeigneter physikalischer Mo-delle bei gleichzeitiger Beachtung vonMaßstabs- und/oder Modelleffekten ent-wickelt wird.

Üblicherweise werden die experimentellenMethoden in folgende Gruppen eingeteilt:– Hängemodelle – mechanisch vorgespannte Strukturen– pneumatisch gebildete Formen– Fließformen

Während die Hängemodelle, die mechanischaufgespannten und die pneumatisch auf-gespannten Strukturen einer Einteilungnach der Art der Lastaufbringung folgen,stellt die Gruppe der Fließformen einedazu nicht kompatible Kategorie dar.Fließformen, die mit Werkstoffen realisiertwerden, die während der Formfindungausgeprägt viskoelastisches bzw. viskopla-stisches Verhalten zeigen, sind entspre-chend mit den vorgenannten dreiMethoden kombinierbar.

Interessanterweise sind alle Ergebnisse dervorstehend genannten experimentellenFormfindungsmethoden zugbeanspruchteKonstruktionen. Der Grund hierfür liegtdarin, dass sich eine stabile Gleichge-wichtsform bei einer zugbeanspruchtenStruktur im Experiment sehr einfach, beieiner druckbeanspruchten Struktur auf-grund der stets vorhandenen (In-) Stabi-litätsproblematik nur in sehr wenigenFällen erarbeiten lässt: Die Modelle wür-den zumeist während der Formentwick-lungsphase infolge von (In-) Stabilitäts-problemen versagen. Die Formfindungdruckbeanspruchter Konstruktionenerfolgt deshalb üblicherweise über die sogenannte „Umkehrform“. Der dabei zuGrunde gelegte Ansatz lautet: Eine untereiner bestimmten Belastung ausschließlichzugbeanspruchte Konstruktion steht beiUmkehr der Lastrichtung oder der Um-kehr der Wirkungsrichtung des Gravi-tationsvektors unter einer ausschließ-lichen Druckbeanspruchung. Zur Form-findung einer Schale, die bei Eigenge-wichtsbelastung unter Druckbeanspru-chung steht, genüge es also beispielsweise,die Form einer „auf dem Kopf“ stehenden,ausschließlich zugbeanspruchten Kon-struktion zu ermitteln.

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Experimentelle Formfindung amBeispiel einer Seifenhautlamelle.Seifenhautlamellen besitzen eineverschwindende mittlereKrümmung, sie sindMinimalflächen. Seifenhäuteweisen isotensoidischeSpannungsfelder auf.

Die vorstehend beschriebene Methode der„Umkehrform“ liegt zunächst nahe.Dementsprechend war sie über Jahrzehntehin Bestandteil der akademischen Lehr-meinung. Bedauerlicherweise wurde beiihrer Formulierung jedoch ein grundle-gender, erst 1987 in [6] entdeckter und spä-ter als „erweitertes Kompensations-problem“ beschriebener Effekt übersehen(siehe Kap. 3.5). Die Entdeckung des erwei-terten Kompensationsproblems bedeuteteletztlich die Falsifikation der Methode derUmkehrform in ihrer bisherigen, als allge-meingültig postulierten Formulierung.Für einige Ausnahmefälle konnte gezeigtwerden, dass die Anwendung des Prinzips,wenn auch eher zufälligerweise, zur prog-nostizierten Lösung führt. Für die Kom-plementärmenge der mit der Methodeentwickelten Konstruktionen ist jedochfestzustellen, dass die diesen zugesproche-nen Spannungsfelder nicht mit der Wirk-lichkeit übereinstimmen.

3.2 Mathematisch-numerischeFormfindungsmethoden

Die computergestützten mathematisch-numerischen Formfindungsmethoden las-sen sich in folgende Kategorien einteilen:– Indirekte Methoden

(Deformationsmethoden)– Direkte Methoden

Die indirekten oder Deformationsmethodenstellen faktisch eine numerische Simu-lation der experimentellen Methoden dar.Bei ihnen wird eine vorgegebene Aus-gangsform durch Aufbringen einer Be-lastung so lange verformt, bis die sich ein-stellende Geometrie auch die übrigenEntwurfsanforderungen erfüllt. Durch dieArt der Belastung und durch die Ma-terialeigenschaften, die der zu verformen-den Struktur gegeben sind, lassen sichHängemodelle, Fließformen, mechanischaufgespannte Strukturen oder pneuma-tisch vorgespannte Formen berechnen.

Die am häufigsten verwendete Deforma-tionsmethode beruht auf der Methode derFiniten Elemente in der geometrischnichtlinearen Formulierung. Verfahrenauf der Basis der Vektoranalysis sowie aufSonderformen beschränkte Algorithmenwerden ebenfalls verwendet.

Ähnlich wie bei den experimentellenMethoden lässt sich bei den indirektenMethoden ein nicht vollständig befriedi-gendes Endergebnis einer Berechnung nurdurch Änderung der Vorgabedaten undanschließende Neuberechnung, also aufindirektem Weg, verbessern. Dabei ist esschwierig, teilweise auch unmöglich,bestimmte Spannungszustände in derStruktur zu erzeugen. Ein Beispiel hierfürist die Aufgabe, eine unter Eigengewichtisostatisch druckbeanspruchte Betonschaledurch Verformen einer ursprünglich ebe-nen Haut zu berechnen. Zwar lässt sichdurch Zuschalten eines Steuerungs-algorithmus die Ergebnisqualität verbes-sern, die indirekten Methoden sind aller-dings vom Ansatz her zur Lösung derarti-ger Probleme weniger geeignet und des-halb den direkten Methoden weit unterle-gen.

Mit den direkten Methoden wird versucht,eine Form, die – bei gegebenen geometri-schen Randbedingungen – unter demformbestimmenden Lastfall einen ganzbestimmten, vorgegebenen Spannungs-zustand besitzt, zu entwickeln. DieAusgangsform im üblichen Sinn ist unbe-kannt oder ohne Belang, da sie lediglichals durch Überlegungen zur numerischenStabilität bedingter „Startwert“ für dieBerechnung vorgegeben werden muss unddaher manchmal physikalisch nicht zuläs-sig zu sein braucht (z. B. Verstoß gegen dieGleichgewichtsbedingungen).

Die bekanntesten der direkten Methodensind:– die Kraftdichtemethode, die von

Linkwitz, Preuss und Schek entwickeltwurde;

– die numerische Lösung des dieMembranschale beschreibendenDifferentialgleichungssystems;

– indirekte Methoden in Kombinationmit einer Optimierungsstrategie.

Mit den direkten Methoden lassen sich„spannungsoptimale“ Strukturen entwer-fen, also beispielsweise Seifenhäute alsMembranen gleicher Spannung (Isoten-soide), Türme mit konstanter Spannungim Schaft oder auch Fachwerkstrukturen,bei denen die einzelnen Elemente be-stimmte Spannungsvorgaben erfüllen.

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Prinzipiell gilt für die direkten Methoden,dass die Existenz einer Lösung nicht a pri-ori vorhersagbar ist. Abhängig vom vorge-gebenen, also vom „gewünschten“Spannungszustand stellt sich vielmehrerst im Verlauf einer Berechnung heraus,ob das Problem keine, eine oder mehrereLösungen besitzt. Im letzteren Fall lässtsich durch Hinzufügen der Forderungnach Gewichtsminimalität die 'leichteste'Lösung ermitteln. Interessanterweise gibtes häufig auch Mehrfachlösungen, wie bei-spielsweise zwei Seifenhautflächen inner-halb des gleichen Drahtrahmens, die alledas gleiche Minimalgewicht besitzen.

Prinzipiell lassen sich alle experimentellenModelle in mathematisch-numerischenModellen abbilden. Letztere haben aller-dings neben dem Vorteil einer hohenGenauigkeit in der Aussage zu Kraft undGeometrie den Nachteil einer geringerenAnschaulichkeit; aus diesem Grund stelltman die experimentellen Methoden gernan den Anfang der Entwurfsarbeit undgeht erst in der zweiten Phase des Ent-wurfs zu den mathematisch-numerischenMethoden über.

Bei vorgegebener Wahl eines Tragsystemsoder -prinzips lassen sich mit den bekann-ten experimentellen Formfindungs-methoden gewichtsarme Tragwerke ent-wickeln. Zum Entwurf gewichtsminimalerTragwerke erweisen sich die meisten expe-rimentellen Methoden als untauglich.(Die Seifenhautmodelle stellen hier eineAusnahme dar). Die mit einer zusätzli-chen Minimalbedingung versehenenmathematisch-numerischen Methodenerfahren hierdurch eine besondereBedeutung, denn nur in wenigen Fällen,wie z. B. bei den Maxwellstrukturen, las-sen sich gewichtsminimale Tragwerkeohne sie entwickeln.

3.3 Der 'FormbestimmendeLastfall'

Die klassischen Formfindungsmethodenbasieren alle auf der Vorgabe einer als„Formbestimmender Lastfall“ [6,7] be-zeichneten Laststellung. Die während derFormfindung „gefundene“ Form besitztdie gewünschten Eigenschaften in genaudiesem Lastfall. Der „richtigen“ Wahl desformbestimmenden Lastfalls fällt damitgrundlegende Bedeutung zu. Im Bereich

der relativ massiven Konstruktionen, wiez. B. den Betonschalen, wurde häufig undvöllig zurecht der Lastfall Eigengewicht alsdominanter und damit formbestimmen-der Lastfall angesetzt. Im extremen Leicht-bau jedoch entfällt häufig die Dominanzeines einzelnen Lastfalls. Ein Automobil-kotflügel wiegt nur Bruchteile der auf ihnwirkenden Windlast, die textile Überda-chung eines Stadions nur Bruchteile dervon ihr abgetragenen Belastungen ausWind und Schnee. Während die bisherpublizierten Arbeiten für die Formfindunggewichtsarmer und gewichtsminimalerKonstruktionen stets die Existenz einesdominanten und deshalb als „formbestim-mend“ verwendbaren Lastfalles voraus-setzten, ist die eindeutige Existenz einessolchen Lastfalles bei den extrem leichtenKonstruktionen üblicherweise gar nichtgegeben. Das Problem nichteindeutigerbzw. multipler formbestimmender Last-fälle führt in einen bisher wissenschaftlichnoch nicht ausreichend untersuchtenProblemkreis, aus dem aus heutiger Sichtnur zwei Wege führen: Der erste benutztdie bekannte Vielparameteroptimierung,bei der unter Zugrundelegung aller mögli-cherweise auftretenden Lastfallkombina-tionen auch geringer Eintretenswahr-scheinlichkeit eine Lösung des Form-findungsproblems ermittelt wird. Derzweite Weg wurde in Stuttgart entwickelt[10,11] und weist in eine völlig andereRichtung: Der Existenz multipler formbe-stimmender Lastfälle wird mit der „Form-findung“ (wobei der Begriff spätestens hierseine Sinnhaftigkeit endgültig verliert)einer adaptiven, d.h. in ihren Eigenschaf-ten kontinuierlich manipulierbarenStrukturen begegnet. Wie in Kapitel 4gezeigt werden wird, bedeutet dieserAnsatz nicht nur eine wesentlich elegante-re Lösung des Problems – er führt viel-mehr in eine vollkommen neueDimension von Leichtigkeit.

3.4 Über die Mannigfaltigkeit vonSpannungszuständen

In einer innerlich und/oder äußerlich sta-tisch unbestimmten Struktur kann unterein- und demselben Lastfall eine Mannig-faltigkeit innerer Kraft- bzw. Spannungs-felder existieren. Welches dieser möglichenSpannungsfelder sich in einer Struktureinstellt, ist abhängig von der Verteilung

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der Steifigkeiten innerhalb der Strukturbzw. an deren Auflagern. Überträgt mandiese Aussage auf das Formfindungs-problem, so gewinnt sie in zweierleiHinsicht Bedeutung: Zunächst einmalerkennt man, dass man an einer auf expe-rimentellem Wege gefundenen Form deninneren Beanspruchungszustand in denmeisten Fällen nicht ablesen, d.h. keinentieferen Aufschluss über deren innerenBeanspruchungszustand gewinnen kann.Bereits am denkbar einfachsten Fall einerin einen räumlich verwundenen Rahmeneingespannten Seifenhautlamelle, alsoeines Isotensoids, erkennt man, dass dieGeometrie der Seifenhautlamelle unab-hängig von der Oberflächenspannung derSeifenhautlösung selbst ist, oder, in ande-ren Worten, dass sich das Ergebnis desFormfindungsprozesses, also die Geo-metrie der Seifenhaut, bei Multiplikationdes inneren Spannungszustandes derLamelle mit einem Skalar nicht ändert.Die Multiplikation des Spannungsfeldesmit einem Skalar führt auch bei allenanderen mechanisch vorgespanntenKonstruktionen, die – durch den Form-findungsprozess bedingt – üblicherweisevergleichsweise inhomogene, in keinemFall jedoch isotensoidische Spannungs-felder aufweisen, zu keiner neuen Geo-metrie. Darüber hinaus lässt sich aufzei-gen [6], dass in einer Membrane oder einerSchale allein durch Manipulation derAuflagersteifigkeiten und/oder derStruktursteifigkeiten eine Vielzahl unter-schiedlicher Spannungsfelder in derStruktur eingestellt werden können, ohnedass dies eine andere Geometrie bedingt.Die Verunsicherung, die man durch dieErkenntnis der möglichen Mannig-faltigkeit der Spannungsfelder in einer„gefundenen“ Struktur erfährt, bedeutetRisiko und Chance zugleich, woraus sichauch die zweite Bedeutung der eingangsgewonnenen Erkenntnis ableitet: Bei derRealisierung, d.h. bei der bautechnischenUmsetzung einer in einem Formfindungs-prozess entwickelten Struktur kommt esin entscheidender Weise darauf an, dasssich der in der Struktur erwartete, in derFormfindung entwickelte Spannungs-zustand auch tatsächlich einstellt. Dassletzteres eine nichttriviale Forderung ist,liegt auf der Hand: Nur innerhalb be-stimmter Genauigkeiten erfassbare Auf-lagersteifigkeiten, zeitabhängige Phäno-mene wie Kriechen und Schwinden der

Werkstoffe und, nicht zuletzt und vonbesonderem Einfluss, der Baufortschrittselbst, beeinflussen, neben vielen anderenEinflussgrößen, den sich tatsächlich ineiner Struktur einstellenden Bean-spruchungszustand.

3.5 Das (klassische)Kompensationsproblem

Beim Bauen zugbeanspruchter Konstruk-tionen ist es seit langem bekannt, dass diein der Formfindung ermittelte Geometrie(„Sollgeometrie“), die mit dem in derFormfindung entstandenen bzw. zugrundegelegten Spannungszustand behaftet ist,zunächst in eine spannungsfreie Form(„Nullgeometrie“) überführt werdenmuss, um hergestellt bzw. gebaut werdenzu können. Die mit dem Entspannungs-vorgang einhergehende Geometrieände-rung wird als Kompensation bezeichnet.Bei den zugbeanspruchten Konstruk-tionen (Seilnetze, Membranen) weist dieNullgeometrie typischerweise einen klei-neren Flächeninhalt als die Sollgeometrieauf: Beim Übergang vom unbelasteten inden belasteten, spannungsbehaftetenZugspannungszustand wird das Materialüblicherweise gedehnt, indem die Kon-struktion zu ihren Auflagern gezogen bzw.gegen diese verspannt wird.

Das bei Seilnetzen und Membranen bisherzur Anwendung gekommene Kompens-ationsverfahren besteht darin, die span-nungsbehaftete Sollgeometrie mit geeig-neten Verfahren und unter Zugrunde-legung der (und hier liegt eine derSchwierigkeiten!) zutreffenden Werkstoff-gesetze zu entspannen und sie dabei ineine - üblicherweise mit Falten behaftete -Nullgeometrie zu überführen. Manbezeichnet diese Vorgehensweise auch als„klassisches“ Kompensationsproblem.

3.6 Das erweiterteKompensationsproblem

Die Arbeiten an unserem Institut zeigtenbereits zu Anfang der 1990er Jahre, dass dielange vertretene Annahme, jede eigen-spannungsbehaftete (Formfindung!) Formkönne durch eine Veränderung ihrer Geo-metrie in eine spannungsfreie Form über-führt werden, falsch ist. Seilnetze undMembranen bilden eher zufälligerweiseund wegen ihrer ganz besonderen Werk-

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stoffeigenschaften eine Ausnahme vondieser Einschränkung. Sie sind stets kom-pensierbar. Bei Konstruktionen aus ande-ren Baustoffen, beispielsweise bei Schalen-tragwerken aus Beton, tritt jedoch dasProblem der Nichtexistenz einer durchKompensation der Sollgeometrie abzulei-tenden „spannungsfreien Nullgeometrie“sehr häufig auf. Bei der planerischen undbautechnischen Umsetzung der in einemFormfindungsprozess entstandenen Formgeht es in solchen Fällen darum, einespannungsfreie Nullgeometrie so zu fin-den, dass beim Übergang dieser Nullgeo-metrie in die spannungsbehaftete Endformeinerseits eine weitestgehende Annähe-rung an die in der Formfindung ent-wickelte Sollgeometrie stattfindet und sichandererseits eine möglichst geringeAbweichung von dem in der Formfindungfixierten Sollspannungszustand ergibt.Dieses alles andere als triviale Problemwird als „erweitertes“ Kompensations-problem bezeichnet.

4. Adaptive Systeme

Die tragenden Konstruktionen in der nichtlebenden Natur und der Technik besitzenüblicherweise Bauteile mit invariantenphysikalischen Eigenschaften, beispielswei-se eine konstante Bruchfestigkeit oder -und dies ist für die nachfolgenden Überle-gungen von Bedeutung - eine zeitunab-hängige, also invariante Steifigkeit. BeimEntwurf einer Struktur mit invarianterSteifigkeitsbelegung sind die innerenBeanspruchungen der Konstruktion unterdem formbestimmenden Lastfall entwerf-bar, d.h. wählbar. Mit der Festlegung desstatischen Systems und dessen Steifig-keitsbelegung liegen gleichzeitig alle inden einzelnen Bauteilen unter der Ein-wirkung äußerer Lasten auftretendenBeanspruchungen fest, wobei die Dimen-sionierung der einzelnen Bauteile gegendie ungünstigsten Beanspruchungszu-stände, typischerweise Spannungsmaxima,erfolgt.

In der soeben beschriebenen, für den Trag-werksentwurf üblichen Vorgehensweisewird die Struktur also für innere Bean-spruchungszustände als Ergebnis einesStrukturentwurfes ausgelegt, bei dessenEntstehen eine Ineffektivität der Strukturinsgesamt oder einzelner Bauteile unter

bestimmten Laststellungen üblicherweisenicht vorhersehbar waren oder die prinzi-piell unvermeidbar sind. Andererseits wärees nahe liegend, tragende Konstruktionenso zu konzipieren, dass sie die in ihnenentstehenden Beanspruchungszuständeunter verschiedenen Einwirkungen aufder Basis selbststeuernder Prozesse mani-pulieren. Spitzenbeanspruchungen einzel-ner Bauteile oder Bauteilbereiche könntendann zugunsten einer zeitgleichen Homo-genisierung der Beanspruchungsvertei-lung insgesamt vermieden werden.Natürlich können auf diese Weise in teil-weise erheblichem Umfang das Eigen-gewicht einer Konstruktion vermindert,Verformungen reduziert und Schwin-gungen unter dynamischer Bean-spruchung gedämpft werden [9,10,11].

Systeme, die sich mit Hilfe selbstgesteuerteroder selbstorganisierter Vorgänge aktivverändern, bezeichnet man als adaptiveSysteme. Adaptive Systeme bestehen auseiner mit ihrer Umgebung in Wechsel-wirkung stehenden Struktur. Anpassungs-vorgänge der Struktur erfolgen durch sog.Aktuatoren, die durch einen übergeordne-ten Steuerungs-Regelungsprozess aktiviertwerden. Der Steuerungs-Regelungsprozessselbst wiederum bezieht seine Eingangs-signale von Sensoren, also Elementen, diephysikalische Zustände oder deren Verän-derung erkennen können. Idealerweisekönnen Aktuatoren und Sensoren ineinem multifunktionalen Ele-ment/Material vereint werden.

In Abhängigkeit von der Adaptionsge-schwindigkeit unterscheiden wir drei ver-schiedene Adaptionsklassen [10]:

Kurzzeitadaption: Eine Anpassung derStruktur erfolgt durch sofortige Reaktionauf externe Einflüsse. Die Farbänderungeines Chamäleons als Anpassung auf farb-lich veränderte Umgebungsbedingungengehört hierzu.

Langzeitadaption: Hierzu gehören Wachs-tumsprozesse, die über den gesamten oderteilweisen Lebenszeitraum (von Minutenzu Jahrzehnten) eines natürlichen Systemsauftreten. Durch derartige Prozesse wer-den die Systemeigenschaften verbessert,z. B. werden in Bäumen Spannungs-

spitzen durch lokales Wachstum der hochbeanspruchten Bereiche abgebaut.

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Evolutionäre Adaption: In evolutionärenProzessen werden die Eigenschaften natür-licher Systeme im Verlauf mehrerer Ge-nerationen optimiert, zumeist unter demGesichtspunkt einer Erhöhung der Über-lebenschancen und/bzw. einer Steigerungder Reproduktionsrate. Veränderungender Systeme erfolgen durch Mutations-und Selektionsprozesse. Diese Vorgängekönnen auf mathematisch-numerischerBasis simuliert werden, beispielsweise umso die gewichtsoptimale Geometrie einesFachwerkkragträgers zu bestimmen.

Aus der Vielzahl denkbarer Anwendungs-bereiche adaptiver Systeme in der Archi-tektur werden an unserem Institut seitmehr als zehn Jahren zwei uns sehr inter-essant erscheinende Bereiche näher unter-sucht: Adaptive Gebäudehüllen und adap-tive Tragwerke.

4.1 Adaptive Gebäudehüllen

Die derzeit in Bauwesen eingesetzten Dach-und Fassadensysteme, die wir hier verall-gemeinernd als Gebäudehüllen bezeich-nen wollen, besitzen im Regelfall konstan-te physikalische Eigenschaften. Sie könnendamit prinzipiell nur sehr bedingt aufVeränderungen im Außenbereich, also bei-

spielsweise jahreszeitliche, witterungs-oder umgebungsbedingte Veränderungenreagieren. Dasselbe gilt für Veränderungenim Gebäudeinneren. Letztere können ausNutzungsänderungen, Veränderungen derKomfortansprüche, einem verändertenEmissionsniveau etc. bestehen.

Die Forschung im Bereich der adaptivenGebäudehüllen befasst sich damit, wieGebäudehüllen auf Veränderungen desInnen und des Außen reagieren können,wie man Wärme-/Kältespeicherqualitätenin die Gebäudehüllen einbauen kann undvieles mehr. Der Schwerpunkt der anunserem Institut hierzu gemachten For-schungen liegt hierbei auf der generellenSystementwicklung, der Entwicklungschaltbarer Gläser [12] und der Ent-wicklung reagibler und energiespeichern-den textiler Gebäudehüllen [13].

4.2 Adaptive Tragwerke

Adaptive Tragwerke sind Konstruktionen,welche die in ihnen aufgrund äußerer wieinnerer Einwirkungen entstehendenKräfte (und damit auch zeitabhängige wiezeitunabhängige Verformungen) im Sinneder Adaptivität manipulieren können.Dabei ist zunächst zu unterscheiden zwi-

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Der „Stuttgarter Träger“ stellteine Brücke dar, deren Trägerein Bauhöhe/Spannweiten-verhältnis von 1/600 aufweist.Dank der Adaptivität derKonstruktion weist die Brückeunter der sich bewegenden Last(Hier: Lokomotive) keineVerformung auf.

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schen einer Manipulation der Einwirkungselbst sowie einer Manipulation der Reak-tion der Konstruktion. Beide Manipula-tionen können gleichzeitig auftreten. AmBeispiel einer Brücke erläutert bedeutetdies z.B., dass die adaptive Konstruktioneinerseits die auf sie wirkende Windwir-kung durch gezielte Beeinflussung derUmströmung verändert (Beeinflussungder Einwirkung) und dass sie, ggf. gleich-zeitig, durch interne Steifigkeitsverän-derungen eine Homogenisierung desBeanspruchungszustandes in der Strukturherbeiführt.

Durch die Manipulation der in der Strukturwirkenden Kraftzustände mit der Ziel-setzung einer Homogenisierung der in ihrwirkenden Beanspruchungsverteilunglässt sich das Eigengewicht tragenderStrukturen in bemerkenswerter Größen-ordnung reduzieren. Bei einigen der amInstitut untersuchten Systeme konntenmehr als fünfzig Prozent des ursprüngli-chen Eigengewichts einer bereits unterLeichtbaugesichtspunkten entworfenenKonstruktion eingespart werden. DurchEinführen der Adaptivität lassen sich dieGrenzen des Leichten somit in bishernicht gekannte Bereiche hinausschieben.Material wird eingespart und, bei Auf-treten der Beanspruchung, in seiner Wir-kung durch Energie ersetzt: ExtremerLeichtbau ist Bauen mit Energie.

Selbstverständlich werden beieiner Manipulation der in derStruktur wirkenden Kraftzu-stände mit der Zielsetzungeiner Homogenisierung der inder Struktur wirkendenBeanspruchungsverteilungauch die „natürlicherweise“auftretenden Struktur-verformungen verändert.Führt man eine Adaption einertragenden Struktur mit dem(Optimierungs-) Ziel einerMinimierung des Eigen-gewichts der Struktur durch,so treten diese Verformungen alsNebeneffekt auf. Die genannten Ver-formungen lassen sich aber natürlich auchbegrenzen, indem man sie als Neben-bedingungen der Optimierungsaufgabeeinführt. Im Grenzfall kann so eineVerformungsnebenbedingung auch das

Verschwinden einer Verformung an gewis-sen Punkten einer Konstruktion fordern.So lässt sich beispielsweise erzielen, was inder Natur unmöglich ist: Keine Verfor-mung. Der an unserem Institut entwickel-te sog. „Stuttgarter Träger“ gilt heute alsdas Standardbeispiel für die Demonstra-tion der Möglichkeiten einer Beein-flussung einer Konstruktion, die multi-plen bzw. instationären Lastfällen ausge-setzt ist [10].

Adaptive Strukturen werden in wenigenJahren ein fester Bestandteil des täglichenLebens sein. Aktive Prothesen und Im-plantate mit sensorischen Funktionen undAktuatoren sind in der Entwicklung; dieRaumfahrt arbeitet an adaptiven Fach-werkstrukturen, bei denen aktive (z. B.piezokeramische) Elemente verwendetwerden, um eine genaue Positionierungoder Schwingungsisolierung von Sa-tellitenreflektoren zu erreichen. DieArbeiten des Instituts werden zu adaptivenTragwerken im Bauwesen führen, die zumeinen die Grenzen des Leichtbaus weiterhinausschieben und zum anderen auchOptimierungen im Bereich konventionel-ler Strukturen oder Bauteile ermöglichen,seien es nun Augstäbe im Metallbau,dünne Glasscheiben oder Bauteile ausBeton. •

Werner Sobek

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Adaptivität im Kleinen: Wenige Aktuatorengenügen, um die Spannungskonzentrationenam Rand einer Bohrung, die in eine biaxialbeanspruchte dünne Scheibe eingebracht wur-den, deutlich zu dämpfen.

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Literatur

1 Maxwell, C.: Scientific Papers II.Cambridge: Cambridge University Press(1869) 175.

2 Michell, A.G.M.: The limits of economyof material in frame structures.Philosoph. Mag. 8 (1904) 589-597.

3 Otto, F.: Zugbeanspruchte Konstruk-tionen. Bd. 1+2. Berlin: Ullstein 1962.

4 Hertel, H.: Leichtbau. Berlin, Göttingen,Heidelberg: Springer 1960.

5 Wiedenmann, J.: Leichtbau.Bd. 1+2.Berlin, Heidelberg, New York, Tokio:Springer (1989).

6 Sobek, W.: Auf pneumatisch gestütztenSchalungen hergestellte Betonschalen.Dissertation Universität Stuttgart.Stuttgart (1987).

7 Sobek, W.: Zum Entwerfen im Leichtbau.Bauingenieur 70 (1995) S.323-329.

8 Klein, B.: Leichtbaukonstruktionen.Braunschweig/Wiesbaden: FriedrichVieweg & Sohn (1997).

9 Janocha, H. Ed.: Adaptronics and SmartStructures, Berlin: Springer (1999).

10 Sobek, W.; Haase, W.; Teuffel, P:“Adaptive Systeme”, Stahlbau 69(7) (2000),544-555.

11 Sobek, W.; Teuffel, P. (2001): “AdaptiveStructures in Architecture andStructural Engineering“, Smart Structuresand Materials – Smart Systems for Bridges,Structures, and Highways (SPIE Vol. 4330):Proceedings of the SPIE 8th Annual InternationalSymposium on Smart Structures and Materials, 4-8 March 2001, Newport Beach, CA, USA. Ed.Liu, S. C., Bellingham: SPIE.

12 Haase, W.: Adaptive Strahlungstrans-mission von Verglasungen mit Flüssig-kristallen. Dissertation Universität Stutt-gart. Stuttgart (2004).

13 Holzbach, M.: Adaptive und konditionie-rende textile Gebäudehüllen auf Basishochintegrativer Bauteile. DissertationUniversität Stuttgart (in Vorbereitung).

DER AUTOR

Prof. Dr.-Ing. Werner Sobek

studierte Bauingenieurwesen und Architektur an der Universität Stuttgart, unter anderem beiProf. Frei Otto. In dieser Zeit begann seine Beschäftigung mit dem Leichtbau, insbesonderemit textilen Konstruktionen. Nach dem Diplom bei Prof. Dr.-Ing. Jörg Schlaich arbeitete erin den USA und im Ingenieurbüro Schlaich, Bergermann und Partner in Stuttgart. Seit 1995ist er Direktor des Instituts für Leichte Flächentragwerke und Nachfolger auf dem Lehrstuhlvon Frei Otto. Im Jahr 2000 trat er auch die Nachfolge von Prof. Dr. Schlaich an und fusio-nierte die beiden Lehrstühle zum Institut für Leichtbau Entwerfen und Konstruieren. 1992gründete er ein eigenes Ingenieurbüro, inzwischen mit Ablegern in New York und Frankfurta.M., aus dem zahlreiche preisgekrönte Werke hervorgegangen sind. Einen Einblick vermit-telte 2004 die Ausstellung “show me the future – engineering and design by werner sobek”in der Pinakothek der Moderne in München. Werner Sobek ist Vorsitzender des Hoch-schulrats der HafenCity-Universität in Hamburg und lehrt 2007 als Gastprofessor an derHarvard University in Cambridge/Massachusetts.

KontaktUniversität Stuttgart, Institut für Leichtbau Entwerfen und KonstruierenPfaffenwaldring 7 und 14, 70569 StuttgartTel +49.711.685 6 62 26 / -6 35 99Fax +49.711.685 6 69 68 / -6 37 89E-Mail: [email protected]://www.uni-stuttgart.de/ilek/