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70 5 Uberlichtschnelle und zeitlose Phanomene
sich auch beim Tunnelvorgang nicht vertauschen. Wir werdendieses instantan ablaufende Phanomen, den sogenannten Tun-nelprozess, im folgenden ausfuhrlich erlautern.
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Abb. 5.1: Der Tunneleffekt. Wie gelangt ein”
bisschen“ Ball durch die Mauerhindurch?
5.1 Der Tunnelprozess: Raume ohne Zeit
5.1.1 Der Tunneleffekt
Der Tunneleffekt wurde mathematisch erklarbar durch eine An-fang des letzten Jahrhunderts entwickelte neue physikalische Theo-rie: die Quantentheorie. Sie bildet derzeit die Grundlage der ge-samten modernen Physik.
Zufallig verhalf bei dieser revolutionierenden Forschung diegerade aufstrebenden Beleuchtungsindustrie mit der Entwick-lung der Gluhlampe ein wenig zum Erfolg. Sie war damals neuauf dem Markt und verdrangte allmahlich die Gaslaterne. An derBerliner Physikalisch–Technischen Reichsanstalt (PTR) wurdean der Erforschung der Strahlungseigenschaften der Gluhlampegearbeitet. Man wollte verstehen, wie und warum sich die aus-
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gesandte Lichtmenge und die Farbe eines heißen Korpers mitsteigender Temperatur verandern. Je hoher die Temperatur desStrahlers stieg, desto mehr verschob sich die Farbe des abge-strahlten Lichtes vom Roten ins Weiße.
Dem Mitarbeiter der Reichsanstalt Wilhelm K. W. Wien (1864–1928) gelang es 1896 ein empirisches, d.h. ein auf Beobachtun-gen beruhendes, Gesetz der spektralen Energieverteilung, d.h.der Farbenzusammensetzung der Strahlung, in Abhangigkeit vonder Temperatur aufzustellen. Dieses Gesetz wird nach ihm Wien-sches Verschiebungsgesetz genannt.
Abb. 5.2: Max Planck, Begrunder der Quantenmechanik. Foto: Deutsches Mu-seum Munchen
Max Planck (1858–1947) leitete drei Jahre spater dieses Ver-halten eines sogenannten thermischen Strahlers auch theoretischab. Da sich aber bei Prazisionsmessungen vor allem im langwelli-gen Bereich große Abweichungen vom Wien–Planckschen Strah-lungsgesetz ergaben, nahm sich Planck dieser Formel erneut an.
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Zuerst am 8. Mai. 1899 vor der Koniglich Preussischen Akade-mie der Wissenschaften und spater am 14. Dezember 1900 auf derSitzung der Physikalischen Gesellschaft in Berlin schlug Planckeine theoretisch begrundete Formel vor, die die Messdaten nunvollstandig beschrieb. Dazu musste er von der bisherigen physi-kalischen Auffassung abweichen, die Energie sei eine kontinuier-liche Große. In seiner Formel nahm die Strahlungsenergie E zurFrequenz f proportionale diskrete Werte an (E = hf). Dazu wardie Einfuhrung einer Naturkonstanten h mit h = 6, 6 · 10−34 Jserforderlich, sie wird seither als Plancksches Wirkungsquantumbezeichnet.
Planck fuhlte sich mit seiner Formel nicht besonders wohl, siewidersprach schließlich ganzlich der Grunduberzeugung der klas-sischen Physik, in der die Natur keine
”Sprunge“ macht. Er tat
dies alles nur, um”
koste es, was es wolle, ein positives Resultat“herbeizufuhren. Spater schrieb er, er konne
”die ganze Tat nur
als einen Akt der Verzweiflung bezeichnen“.
Weder Planck noch seine Kollegen erkannten sofort die un-geheure Tragweite dieser Annahme der gequantelten Natur. Erstweitere funf Jahre spater stellte Albert Einstein (1879–1955) sei-ne noch viel radikalere Lichtquantenhypothese vor, die schließlichzum endgultigen Bruch mit den althergebrachten Naturvorstel-lungen fuhrte. In seiner Hypothese mit dem Titel
”Uber einen
die Erzeugung und Verwandlung von Licht betreffenden heuri-stischen Gesichtspunkt“ betrachtete er das Licht als
”Bombar-
dement von Teilchen“. Seine Theorie wurde von ihm zur Deu-tung des photoelektrischen Effektes erfolgreich eingesetzt. Ein-stein zeigte, dass ein von einem Atom absorbiertes Photon (Licht-quant) seine Energie nur an ein einzelnes Elektron abgibt. Wie inAbbildung 5.4 skizziert, lost ein Photon mit seinem Energiequan-tum hf ein Elektron von dem Atom ab. Die Energie des Photonswird bei diesem Prozess vollstandig an das Elektron ubergeben.Einstein bekam fur diese Erklarung des photoelektrischen Quan-
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Abb. 5.3: Albert Einstein,1912. Er erweitert die Quantentheorie von MaxPlanck um die Hypothese der Lichtquanten. Foto: Deutsches Museum Munchen
teneffektes (nicht fur seine beruhmte Relativitatstheorie) 1921den Nobelpreis verliehen.
In diesem Zusammenhang ist es interessant, dass schon vor300 Jahren Newton das Licht als Teilchen beschrieb und nichtals eine Welle ansah. Er hatte damals mit seiner Annahme einenschweren Stand, denn alle Experimente wiesen zu dieser Zeitausschließlich auf die Wellennatur des Lichtes hin.
Auf der 1. Solvay–Konferenz in Griechenland, einer Gipfelkon-ferenz der damals fuhrenden Physiker, kam im Herbst 1911 derDurchbruch fur die Plancksche Quantenhypothese. Die Quan-tentheorie ruckte nun in den Mittelpunkt der zeitgenossischenphysikalischen Forschung.
Viele Effekte in der Optik, Elektronik oder auch in der moder-nen Nanotechnologie sind nur mit der Quantentheorie erklarbar,
74 5 Uberlichtschnelle und zeitlose Phanomene
I ph UB
hf
hf
Abb. 5.4: Der photoelektrische Effekt. Das Photon ubertragt beim Stoß miteinem Elektron seine gesamte Energie in Form diskreter Energiequantenhf . Ist die Energie hoch genug, wird das Elektron von der Metalloberflacheabgelost, es fließt ein elektrischer Strom.
aber auch viele chemische oder molekularbiologische Prozessesind quantenphysikalischer Natur. So erklart z.B. erst die Quan-tenphysik wie Laser funktionieren, warum Metalle den Strombesser leiten als andere Festkorper oder, eine bis zur Einfuhrungder Quantenphysik ungeklarte grundsatzliche Frage, warum Ato-me uberhaupt stabil sind. Weshalb fallen die Elektronen nichtauf den anziehenden positiv geladenen Atomkern?
Der Elektromagnetismus, einer der vier fundamentalen Wech-selwirkungsprozesse, wird durch die 1873 von James Clerk Max-well (1831–1879) aufgestellte Maxwell–Theorie ausgezeichnet undelegant beschrieben. Eine Unvollstandigkeit dieser Theorie wur-de erst bei der Beschreibung des Wasserstoffatoms bemerkt. DieAnziehung eines (negativ geladenen) Elektrons und eines (positivgeladenen) Protons bilden zusammen das Wasserstoffatom. DieMaxwellsche Theorie beschreibt hierbei jedoch nicht, weshalbsich das Elektron satellitenartig stabil auf Bahnen um das Pro-ton, d.h. den Atomkern, bewegt und nicht innerhalb von 3·10−13
Sekunden auf das Proton sturzt. Die beobachtete Bahnstabilitat
5.1 Der Tunnelprozess: Raume ohne Zeit 75
Poincare
Goldschmidt Planck Rubens LindemannNernst Brillouin Sommerfeld De Broglie
Hasenohrl
HosteletSolvay Knudsen Herzen Jeans Rutherford
Lorentz Warburg Wien Einstein LangevinPerrin Madame Currie Kamerlingh Onnes
Abb. 5.5: 1. Solvay–Konferenz im Herbst 1911. Sie brachte den Durchbruchfur die Plancksche Quantenhypothese. c©Hulton-Deutsch Collection/CORBIS
und die Eigenschaft uberhaupt, dass sich Elektronen nur aufgewissen Bahnen um den Atomkern bewegen konnen, hat dieTheorie der Quantenmechanik erklart.
Wichtige Unterschiede der Quantentheorie gegenuber der klas-sischen Physik sind z.B.:
• Die QuantisierungAlle physikalischen Felder sind quantisiert. Sie existieren nurin Vielfachen minimaler Energiemengen, den sogenannten
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Quanten. Felder konnen nur uber diese Energiequanten wir-ken und damit gemessen werden.
• Der Welle–Teilchen–DualismusIst ein Elektron teilchenartig wie eine Billardkugel oder be-sitzt es Wellennatur wie eine Wasserwelle? Den in der Quan-tenphysik untersuchten Quanten (d.h. Teilchen wie z.B. Elek-tronen, Neutronen oder Photonen) werden sowohl Teilchen–als auch Welleneigenschaften zugeschrieben. Welle und Teil-chen bilden in der Mikrowelt eine untrennbare Einheit. Sokonnen z.B. Lichtquanten aufgrund ihrer Teilcheneigenschaf-ten beim Aufprall auf eine Metallplatte ihre Energie an ein-zelne Elektronen abgeben und diese dadurch vom Metall-atom ablosen. Sie konnen aber auch aufgrund ihrer Wellen-eigenschaften an einem Spalt von ihrer Bahn abgebeugt wer-den, sich uberlagern (interferieren) und dabei ortlich aus-loschen oder verstarken. Welche Erscheinung (ob Teilchenoder Welle) beobachtet wird, ist, so erstaunlich es klingenmag, abhangig vom jeweils durchgefuhrten Experiment.
• Das Ende der eindeutigen Vorhersagbarkeit eines Ereignis-ses, d.h. des DeterminismusDie klassische Physik erlaubt uns, das Verhalten eines Teil-chens im voraus zu bestimmen. Das Teilchen besitzt einegewisse Energie und bewegt sich in einer bestimmten Rich-tung zu einem Zeitpunkt und damit ist auch das Verhaltendes Teilchens in der Zukunft festgelegt. In der Quantenphy-sik ist dies nicht mehr moglich: Das zukunftige Verhalteneines Teilchens ist zufallig und lasst sich nur noch mit einerbestimmten Wahrscheinlichkeit vorhersagen. Die Quanten-mechanik sagt z.B. nur aus, dass von 1000 Atomen etwa 10zu einer gewissen Zeit zerfallen werden. Wir konnen abernicht sagen, welche von den 1000 radioaktiven Atomen zuwelchem Zeitpunkt zerfallen werden.
5.1 Der Tunnelprozess: Raume ohne Zeit 77
• Die Unmoglichkeit der prazisen Messung (Unbestimmtheits-relation, auch Unscharferelation genannt)Es ist nicht moglich, wie in der klassischen Physik den Ortund die Geschwindigkeit oder die Energie und die Zeit einesQuants zugleich exakt zu bestimmen. Je genauer man deneinen Wert ermittelt, desto unbestimmter wird der andere.
Die Unscharferelation lasst sich auf folgende Weise anschau-lich erklaren: Je genauer man den Ort eines Teilchen messenwill, umso kleiner muss die Wellenlange des benutzten Lich-tes sein. Damit wachst jedoch umgekehrt proportional zurWellenlange die Energie des Lichtquants und stort bei derMessung entsprechend die Geschwindigkeit des Messobjek-tes.
Diese Unbestimmtheitsrelation zwischen Energie und Zeit kannals Ursache des Tunneleffekts angesehen werden. Sie ermoglichtes theoretisch, einem Teilchen fur extrem kurze Zeit einen Ener-gieschub zu verleihen, der ausreicht, zuvor unuberwindbare Bar-rieren zu uberschreiten. Diese Relation erklart jedoch nicht dasZeitverhalten beim Tunnelvorgang, wie spater noch gezeigt wird.
Wir wollen das Tunnel–Phanomen nun an einigen Beispielenerlautern. Der Tunneleffekt wurde um 1926 erstmals beim radio-aktiven Zerfall von Uran beobachtet und, wie in der Einleitungbereits erwahnt, um 1928 quantitativ durch die Quantenmecha-nik erklart.
Große Atomkerne mit vielen Bausteinen sind nicht stabil, siezerfallen mit der Zeit in kleinere. Riesenatomkerne, die nach demUrknall existierten, sind schon lange zerfallen und in der heuti-gen Natur nicht mehr anzutreffen. Ihre Lebensdauer, d.h. ihreZerfallszeit, war kurzer als das Alter unserer heutigen Welt.
Eines der stabilsten Elemente ist das Eisenatom. Es bestehtaus 82 Kernbausteinen, namlich aus 26 Protonen und 56 Neutro-nen sowie aus 26 Elektronen in der Atomhulle auf quantisiertenUmlaufbahnen. Bei dieser Anordnung sich elektrisch abstoßen-
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Alpha-Teilchen
Atomkern
Protonen und zweiNeutronen fehlen
Atomkern, dem zwei
Abb. 5.6: Kernzerfall beim Uran–Atom. Ein α–Teilchen lost sich aus demAtomkern, obwohl seine Energie eigentlich zu gering ist, um die Kernkraftezu uberwinden.
der geladener Protonen und abschirmender neutraler Neutronenwird gerade der energetisch gunstigste Zustand fur Atomker-ne erreicht. Alle naturlichen radioaktiven Prozesse fuhren, wennauch zum Teil in gewaltigen Zeitraumen, dazu, dass großere Ele-mente zu Eisenatomen zerfallen oder kleinere Atome mit wenigerBausteinen in Richtung Eisenatom fusionieren (z.B. Wasserstoffzu Helium usw.). Beim radioaktiven Alpha–Zerfall lost sich ausdem Urankern ein Kernbaustein, das sogenannte α–Teilchen, be-stehend aus zwei positiv geladenen Protonen und zwei Neutro-nen, obwohl die Kernkrafte das Teilchen eigentlich im Innerendes Atomkerns halten mussten (siehe Abbildung 5.6). Es ent-stehen zwei neue Teilchen, das fortfliegende α–Teilchen und einneues zuruckbleibendes Atom, das Thorium. Da auch Thoriumnoch radioaktiv ist, geht der Kernzerfall weiter. Es strahlt, wie inAbbildung 5.7 dargestellt, weiter Elektronen, γ–Quanten, Pro-tonen und andere Elementarteilchen ab und zerfallt solange, bisdas erste nichtradioaktive d.h. stabile (genauer ausgedruckt: sehrlanglebige) Element Blei entstanden ist.
5.1 Der Tunnelprozess: Raume ohne Zeit 79
Uran ThoriumTh232
90U23892
ProtaktiniumPa231
91
PoloniumPo209
84
BleiPb207
82
radioaktive Strahlung
Abb. 5.7: Zerfall eines radioaktiven Urankernes zum viel langlebigeren Ele-ment Blei.
In Abbildung 5.8 ist der Tunnelprozess beim Kernzerfall desUran–Atoms stark vereinfacht schematisch dargestellt. Ein α–Teilchen, hier als Wellenpaket dargestellt, kann aus dem Ener-gietal des Urankerns auf die andere Seite eines Berges, d.h. ausdem Tal des Atomkerns hinaus gelangen, obwohl seine Energiezu gering ist, den Berg zu uberwinden. Die Berge bilden hier dieanziehenden Kernkrafte.
Eine Analogie zu diesem Beispiel ware der Versuch einer Per-son, einen Ball so hoch zu werfen, dass dieser die Anziehungskraftder Erde uberwindet und nicht mehr zuruckfallt. Die Erdanzie-hung zu uberwinden bedeutet hier in anderen Worten ausge-druckt, den Gravitationsberg der Erde zu erklimmen, das Talbildet bei dieser Kraft fur uns die Erdoberflache. Um den Bergzu uberwinden ist eine Energie notwendig, die einer Abschussge-schwindigkeit von 11,2 km/s (40 320 km/h) entspricht. Auf dieseFluchtgeschwindigkeit von der Erde, muss eine Rakete gebrachtwerden, um beispielsweise den Jupiter oder den Mars erreichenzu konnen. Ist die Abschussgeschwindigkeit zu gering und damitdie Energie zu klein, wird es nicht gelingen, der Anziehungskraftder Erde zu entfliehen. Ball bzw. Rakete sturzen auf die Erdezuruck oder umkreisen sie als Satellit. Sie fallen in das Tal der
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α? ?
Abb. 5.8: Eine Skizze zum Tunneleffekt. Die Ordinatenrichtung zeigt dieEnergiegroße an, die Abszisse den Ort. Im Energietal eines Kernpotenzi-als ist ein α–Teilchen eingefangen. Nach unseren Alltagserfahrungen kann eswegen seiner zu geringen Energie den Berg nicht ubersteigen. Trotzdem wirdbei vielen Prozessen beobachtet, dass das Teilchen (hier das α–Teilchen) dasTal verlassen hat und auf der anderen Seite des Berges angetroffen wird. DasTeilchen ist getunnelt. Es stellt sich nun die spannende Frage: Wieviel Zeitverbrachte das Teilchen im Berg, d.h. wie lang dauert das “Tunneln”?
Erdanziehung zuruck, statt in den Anziehungsbereich von Jupi-ter oder Mars zu gelangen.
In der Theorie der Quantenmechanik gibt es also den Tun-neleffekt, der eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafur angibt, dassTeilchen auch außerhalb des Energietales anzutreffen sind, ohnedass ihre Energie zum Uberschreiten des Berges ausgereicht hat.
Oft dauert es viele Jahre, bis ein Teilchen aufgrund der gerin-gen Tunnelwahrscheinlichkeit das Tal eines Atomkernes verlasst.Beim Kohlenstoffisotop C14 lost sich z.B. nur durchschnittlichalle 5 600 Jahre ein Teilchen aus dem Kern.
Auf dem radioaktiven Zerfall des Kohlenstoffisotops C14 be-ruht ubrigens eine sehr hilfreiche und genaue Methode der Al-tersbestimmung von Fossilien, die sogenannte Radio–Karbon–Methode oder C14–Methode fur organisches Material. Sie wurdevon Prof. Willard F. Libby (1949) an der Universitat von Chicagoentwickelt. 1960 erhielt Libby fur seine
”C14–Methode der Alters-
bestimmungen in Archaologie, Geologie, Geophysik und anderen
5.1 Der Tunnelprozess: Raume ohne Zeit 81
Wissenschaften“ den Nobelpreis fur Chemie.
Die Methode funktioniert auf folgende Weise: In unserer At-mosphare kommt Kohlenstoff in drei Isotopenformen unterschied-licher Mengen vor, dem C12 (98,89%), dem C13 (1,11%) und demC14 (0,0000000001%). Der Index der Isotope steht hier fur dieAnzahl der Kernbauteilchen (Protonen und Neutronen), denn einAtom kann mit verschiedener Neutronenanzahl im Kern vorkom-men. Diese unterschiedliche Neutronenanzahl bei derselben Pro-tonenanzahl erlaubt, dass ein Atom unterschiedlich große Kernebesitzen kann. Diese chemisch identischen Atome werden Isotopegenannt. Im Kohlenstoffkern befinden sich 6 Protonen, um denin der Atomhulle 6 Elektronen kreisen. Das Isotop C12 besitztdemzufolge noch zusatzlich 6 Neutronen, das Isotop C13 7 unddas Isotop C14 8 Neutronen zu den 6 Protonen im Atomkern.
Die Isotope C12 und C13 sind stabil, das C14 dagegen ist radio-aktiv, also instabil. Die Stabilitat eines Atoms wird durch seineKernzusammensetzung bestimmt. Bei dem Isotop C14 verursachtdas achte Neutron im Kern den weniger dauerhaften Zustand imVergleich zu C12 mit seinen nur 6 Neutronen.
Alle Lebewesen nehmen nun im Laufe ihrer Existenz C14–Isotope aus der Umgebung durch Photosynthese, Atmung oderdie Nahrungskette auf. Die C14–Konzentration in den Lebewe-sen steht dadurch im physikalischen Gleichgewicht mit der At-mosphare. Stirbt ein Lebewesen, wird kein weiterer Kohlenstoffmehr aufgenommen, und die vorhandene C14–Konzentration nim-mt durch den radioaktiven Zerfall mit einer konstanten Rate ab(siehe Abbildung 5.9). Durch die Messung der Restaktivitatder C14–Kohlenstoffisotope kann jetzt die Altersbestimmung er-folgen. Nach etwa 5600 Jahren ist in einem fossilen Lebewesennur noch die Halfte der ursprunglichen Konzentration des C14–Isotops vorhanden, nach weiteren 5600 Jahren ist nur noch einViertel der Strahlung messbar. Somit lasst sich anhand des Zer-falls des C14–Isotops im Vergleich mit der heutigen Luftzusam-
82 5 Uberlichtschnelle und zeitlose Phanomene
14C
−
Kon
zent
ratio
n in
%
C −Konzentration in allen Lebewesen anbeliebigen Orten zubeliebigen Zeiten aufder Erde
14
0−6000 −4000 −2000 0 2000
20
40
60
80
100
Jahrtausende
Stoffwechsel desLebewesens istbeendet
Die C −Konzentration nimmt durch radioaktivenZerfall exponentiell ab
14
Zeitdifferenz
Restaktivitätwird bestimmt
Akt
ivitä
tsab
nahm
e
Abb. 5.9: Der radioaktive Zerfall von C14–Isotopen in Fossilien ermoglichtihre genaue Altersbestimmung.
mensetzung das Alter von organischem Material bis zu 70 000Jahre zuruckbestimmen. Zu den Triumphen der C14–Methodezahlt die Altersbestimmung der Mumien der Pharaonen.
Ein anderer, fur das Leben existentieller Tunnelprozess lauftseit Milliarden Jahren in der Sonne und in den Sternen ab: dieKernfusion. Die Kernfusion ist ein energiefreisetzender Prozess,bei dem zwei Atomkerne zu einem neuen Atomkern verschmel-zen und dabei die Sonnenwarme erzeugen. Er findet bei außer-ordentlich hohen Temperaturen statt, bei denen sich die Materieim vierten Aggregatzustand, dem sogenannten Plasma, befindet.Dies bedeutet, die Atome besitzen eine so große Bewegungsener-gie, dass sie sich in ihre Bestandteile, die Elektronen und Kerne,
5.1 Der Tunnelprozess: Raume ohne Zeit 83
zerlegen. Im Plasma sind also die Elektronen der Atome vomAtomkern getrennt, sie sind ionisiert. Die Elektronen (negativgeladen) und die Atomkerne (positiv geladene Ionen) bewegensich mit großer Geschwindigkeit unabhangig voneinander. Dieelektrische Anziehungsenergie der geladenen Teilchen ist im Plas-mazustand kleiner als ihre Bewegungsenergie.
Zur Verschmelzung zweier Kerne mussen diese nahe genugzusammenkommen, damit die anziehend wirkenden Kernkraftestarker werden, als die Coulomb–Abstoßung (entspricht hier demTunnelberg) durch die gleichnamige, positive, elektrische Ladungder Atomkerne. Um diese elektrische Abstoßung zu uberwinden,musste die Temperatur 560 Millionen Grad betragen. Da aberdie Bewegungsenergie (sie ist ein Maß fur die Temperatur) selbstim Inneren der Sonne nur etwa 15 Millionen Grad betragt, reichtsie nicht aus, um die Coulomb–Abstoßung zu uberwinden. DieKerne des schweren Wasserstoffs Deuterium konnen ausschließ-lich aufgrund des Tunneleffekts mit den Kernen des uberschwe-ren Wasserstoffs Tritium zu einem Helium–4–Kern, einem sog.α–Teilchen fusionieren. Das α–Teilchen besteht aus zwei Proto-nen und zwei Neutronen. Diese Teilchen werden auch Nukleonengenannt. Bei dem Fusionsvorgang wird ca. viermal soviel Ener-gie pro Nukleon frei wie bei der Spaltung eines Urankerns. DieseEnergiefreisetzung verursacht die eingangs erwahnte gewaltigeWirkung der Wasserstoffbombe.
In Abbildung 5.10 ist die Fusion zweier Wasserstoffkerne (Deu-terium = ein Proton und ein Neutron und Tritium = ein Protonund zwei Neutronen) zu einem Heliumkern dargestellt. Deuteri-um H2 und Tritium H3 sind Isotope des Wasserstoffs.
Eine technische Anwendung des Tunneleffektes gibt es seit1960 in der Halbleiterelektronik: die Tunneldiode, nach ihremEntdecker oft auch Esaki–Diode genannt. Dieses Bauelement be-findet sich heute in zahlreichen mikroelektronischen Schaltun-gen. Als Halbleiter bezeichnet man solche Materialien, die bei
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Energie
Heliumkern
Tritonkern
Deuteronkern
p
p
2p
n
n
n
n
n
n
Abb. 5.10: Kernfusion zweier Wasserstoffkerne zu einem Heliumkern. Bei derVerschmelzung der Protonen p wird ein Neutron n mit enormer Energiefreigesetzt.
tiefen Temperaturen elektrisch gut isolieren, bei hohen Tempe-raturen aber elektrische Leiter sind.
Aufgrund der raumlichen Nahe und der periodischen Anord-nung sehr vieler gleichartiger Atome sowie deren Elektronen ineinem Festkorper gruppieren sich energetisch eng benachbarteElektronenbahnen zu sogenannten Energiebandern. Die Elektro-nenbahnen sind dann nicht mehr scharf bestimmt, sondern bil-den ein breites Band von moglichen Kreisbahnen. Diese Bah-nenbander entsprechen erlaubten Energiebandern. Elektronen,die sich in diesen Energiebandern bewegen, konnen nicht mehreinzelnen Atomen, sondern nur noch dem ganzen Halbleiter-Kristall zugeordnet werden. Man spricht deshalb auch von einemElektronengas zwischen den Atomrumpfen des Kristalls. Die ein-zelnen Energiebander sind je nach Halbleitermaterial durch mehroder weniger große Lucken getrennt. Der Grund fur das von ei-nem Metall abweichende Stromleitungsverhalten der Halbleiterist eine solche sogenannte verbotene Energielucke, die das ener-getisch hochste, voll mit Elektronen besetzte Energieband, das
5.1 Der Tunnelprozess: Raume ohne Zeit 85
Valenzband, vom nachst hoheren, dem Leitungsband, trennt (sie-he Abbildung 5.11).
Elektronen Leitungsband
Löcher Valenzband
Energielückeverbotene
Ene
rgie
Ort
Abb. 5.11: Energieband–Modell eines Halbleiters. In der verbotenen Ener-gielucke kann in Ubereinstimmung mit der Quantenmechanik kein Elektronexistieren. Diese Energielucke entspricht einem Potenzialberg, der bei aus-reichender thermischer Energie ubersprungen werden kann oder sonst nurdurch Tunneln uberwindbar ist. Nur Elektronen mit großerer oder geringe-rer Energie als die Energielucke konnen sich in einem Halbleiter aufhalten.
Bei niedrigen Temperaturen (d.h. kleiner Bewegungsenergie)besetzen die Elektronen der Halbleiteratome das Valenzbandvollstandig. Damit besteht fur die Elektronen keine Bewegungs-moglichkeit, alle Platze sind besetzt. Mit steigender Temperaturgelangen jedoch mehr und mehr Elektronen in das Leitungsband.Nun konnen sich die Elektronen im Leitungsband wie in einemGas bewegen, und auch die freien Platze im Valenzband (sie wer-den Locher genannt) konnen durch ein elektrisches Feld bewegtwerden.
Das Grundprinzip eines Halbleiters kann gut mit folgenderAnalogie erklart werden. Man stelle sich ein Haus mit zwei Stock-werken, einem Eingang und einem gegenuberliegenden Ausgangvor. Das Erdgeschoss ist mit Menschen gefullt, die Pakete vom
86 5 Uberlichtschnelle und zeitlose Phanomene
Eingang zum Ausgang transportieren sollen. Das Erdgeschossentspricht in diesem Modell dem Valenzband, der erste Stockdem Leitungsband und die Menschen den Elektronen. Befindensich nun nur wenige Menschen im Erdgeschoss, ist der Transportkein Problem, das Gebaude verhalt sich wie ein guter Leiter. Istdas Erdgeschoss komplett mit Menschen gefullt und der ersteStock gesperrt, kann kein Transport stattfinden, das Gebaudeentspricht einem guten Isolator. Ist aber der erste Stock fur dieMenschen, die die Energie aufbringen, uber ihn zum Ausgangzu gelangen, geoffnet, so kann doch ein Transport stattfinden.Im ersten Stock ist das Durchqueren kein Problem, und auchim Erdgeschoss wird wieder etwas mehr Platz fur den Transportfrei, denn im Halbleiter entsprechen die dort fehlenden Elektro-nen sogenannten Lochern, die auch zur Leitfahigkeit beitragen.
Wie schon erwahnt, gewinnen also einige Elektronen durchdie Warmebewegung der Atome die notwendige Energie, um dieEnergielucke zu uberqueren und ins Leitungsband zu gelangen.
Um die Leitfahigkeit eines Halbleiters zu erhohen, fugt manihm oft durch den Einbau von Fremdatomen zusatzliche Elek-tronen (n–Leitung = Menschen im ersten Stock) oder Locher(p–Leitung = weniger Menschen im Erdgeschoss) hinzu. Kom-biniert man n– und p–leitendes Material, so erhalt man einegleichrichtende Diode. Der Strom durch diese Halbleiterstruk-tur ist nun von der Polung der angelegten Spannung abhangig:Die Strom–Spannungs–Kennlinie ist jetzt unsymmetrisch1. Je
1Eine Strom–Spannungskennlinie gibt die Abhangigkeit des Stromes durch dieProbe in Abhangigkeit von der Große der angelegten Spannung an. Wachst derStrom proportional mit der angelegten Spannung, dann nennt man das Verhaltenohmsch. Ist der Strom nicht proportional zur angelegten Spannung, dann sprichtman von nicht-ohmschem oder nicht-linearem Verhalten. Hangt die Stromgroßevon der Spannungspolung ab, dann ist die Strom–Spannungskennlinie asymme-trisch. Eine solche Asymmetrie hatte bereits Karl Ferdinand Braun (1850-1918),der Erfinder der Elektronenstrahlrohre im 19. Jahrhundert entdeckt. Er untersuch-te das Strom–Spannungsverhalten verschiedener halbleitenden Mineralien und be-obachtete dabei die Stromabhangigkeit von der Polung der angelegten Spannung.
5.1 Der Tunnelprozess: Raume ohne Zeit 87
nach Dotierung der beiden Halbleiterstucke kann die in Abbil-dung 5.12 a dargestellte Energie–Bandstruktur entstehen. Im n–leitenden Gebiet ist die Energie des Leitungsbandes abgesenkt,im p–leitenden Gebiet ist dagegen die Energie des Valenzban-des angehoben worden. Den Elektronen des Leitungsbandes imn–Halbleiter stehen nun durch eine verbotene Energie–Zone (Po-tenzialberg) getrennt, Locher des Valenzbandes im p–Halbleitergegenuber. Obwohl ihre Energie Eg nicht ausreicht, um vom Va-lenzband direkt ins Leitungsband aufzusteigen, sind die Elektro-nen jetzt in der Lage, durch diesen verbotenen Bereich, sowohlvom Leitungs– in das Valenzband als auch umgekehrt zu tun-neln.
Der Tunnelstrom bewirkt eine stark nichtlineare Strom–Span-nungskennlinie, wie sie fur zahlreiche technische Anwendungenbenotigt wird (siehe Abbildung 5.12 b).
5.1.2 Die Tunnelzeit
Nachdem wir den Prozess des Tunnelns naher betrachtet undsein haufiges Auftreten in Natur und Technik an einigen Bei-spielen besprochen haben, kommen wir nun zu einem weiterenerstaunlichen Aspekt des Tunnelvorganges. Der Tunnelprozessverbluffte zunachst dadurch, dass Teilchen Berge uberwindenkonnen, ohne die notwendige Energie zu besitzen. Die andereaußergewohnliche Eigenschaft betrifft sein Zeitverhalten. Erst inden letzten Jahren begann man mit der systematischen, experi-mentellen Untersuchung der Frage:
”Wieviel Zeit verbringt das
Teilchen, also z.B. ein Elektron, ein α–Teilchen oder ein Pho-ton in dem Berg, d.h. wieviel Zeit benotigt das Teilchen zumDurchqueren des Tunnels?“ Diese Frage hatte weniger Bedeu-tung fur die Kernphysik als fur die moderne Mikroelektronik undinsbesondere fur die Grundlagenforschung, d.h. fur die Quan-tenmechanik: Sind ihre klassisch unphysikalischen Vorhersagenkorrekt?
88 5 Uberlichtschnelle und zeitlose Phanomene
g
E
E
L
V
E
a)
dOrt
n-Halbleiter
p-HalbleiterSpannung (U)
Strom (I)Tunnelbereich
b)
Abb. 5.12: a) Energiebander–Schema und b) Strom–Spannungs–Kennlinie ei-ner Tunneldiode (schwarze Linie) sowie einer normalen Diode (gepunkteteLinie). Die Strich–Punkt–Linie zeigt das lineare Verhalten eines normalenelektrischen Widerstandes (Ohmsches Verhalten). Anders als bei einer nor-malen Diode taucht durch einen großen Dotierungssprung des Halbleitersbei der Tunneldiode im n–Halbleiter das Leitungsband unter die Valenz-bandkante und die Elektronen konnen den Bandabstand Eg (entspricht ei-nem Coulomb–Berg der Lange d) durchtunneln. Bei zu hoher Spannungwird der Tunnelprozess abgebrochen und der Strom verhalt sich wie beieiner normalen Halbleiterdiode.
Aus der beruhmten Schrodinger–Gleichung folgt fur den Auf-enthalt in einem Tunnelraum eine imaginare Zeit. Was ist eineimaginare Zeit? Quantenmechanische Berechnungen des Physi-kers Thomas Hartman deuteten schon 1962 auf eine rein ima-ginare, nicht messbare, also nicht reell erfahrbare Zeit in einemTunnel hin [18]. Allerdings hatte bisher niemand diese Berech-nungen der Zeitlosigkeit konsequent interpretiert oder gar ernstgenommen. Hat die quantentheoretische Vorhersage recht, soll-te es Raume geben, die in einer imaginaren, d.h. nicht messba-ren Zeit von Elektronen, Photonen, Atomen oder gar Molekulendurcheilt werden konnen?
5.1 Der Tunnelprozess: Raume ohne Zeit 89
Empirische Erkenntnisse uber die Große der Tunnelzeit gabes bislang nicht. Die experimentelle Bestimmung der Tunnelzeitvon Elektronen in Halbleiter– oder in Supraleiter–Strukturenscheiterte bis heute an sogenannten parasitaren Zeitverlusten.In den Halbleitern und den Supraleiterbauteilen gibt es chemi-sche Verunreingungen und strukturelle Defekte, mit denen dieElektronen zeitraubend wechselwirken. Diese parasitaren Zeit-verluste bestimmen bzw. tauschen eine große Tunnelzeit vor.Die sogenannten Halbleiter–Tunnel–Dioden werden also schonlange in der Mikroelektronik eingesetzt, ohne dass man weiß,wie schnell die Elektronen durch den Berg tunneln, und damit,wie schnell das elektronische Mikrobauelement letztlich schaltenoder schwingen kann. Vor kurzem gelang nun den zwei russi-schen Forschern Sekatskii und Letokhov mit einem Elektronen-mikroskop eine Elektronen-Tunnelzeit abzuschatzen. Wir kom-men noch ausfuhrlicher auf dieses erste erfolgreiche Elektronen–Tunnelzeit–Experiment zuruck.
Eine Moglichkeit, die oben beschriebenen experimentellenSchwierigkeiten in elektronischen Systemen zu umgehen, liefertdie Mathematik. Es zeigt sich, dass die mathematische Beschrei-bung des Tunnelns z.B. von Elektronen oder α-Teilchen die glei-che ist, wie die des Tunnelns von Photonen, d.h. von Lichtteil-chen bzw. Lichtwellen. (In der klassischen Physik wird das Tun-neln von Licht als das Ausbreiten sogenannter evaneszenter Mo-den bezeichnet). Mathematisch formal gesehen sollten also dieMessergebnisse der Tunnelzeiten von Photonen (d.h. von elek-tromagnetischen Wellen) auf die Tunnelzeiten von Elektronenund anderen Materieteilchen ubertragbar sein.
Photonen konnen, wie schon erwahnt, sowohl als Lichtteil-chen als auch als Lichtwellen bzw. allgemeiner als elektromagne-tische Wellen beschrieben werden. Warmestrahlung, Licht, Mi-krowellen, Rontgenstrahlen oder Fernseh– und Radiowellen sindalles elektromagnetische Strahlen, die sich lediglich in ihrer Wel-
90 5 Uberlichtschnelle und zeitlose Phanomene
lenlangen unterscheiden. Die Wellenlange λ der ausgesendetenLichtwellen bzw. ihrer Quanten den Photonen, ist dabei um-gekehrt proportional zur Frequenz f und damit auch zu ihrerEnergie E = hf = hc/λ. h ist das zuvor eingefuhrte, konstantePlancksche Wirkungsquantum und c die Vakuumlichtgeschwin-digkeit.
Der Energiewert E = hf ist die kleinste Energie eines Feldesbei der Frequenz f . Dieser Wert wird im elektromagnetischenFeld Photon genannt. Die Energie eines Feldes kommt also nurin Vielfachen dieses Wertes (Quants) vor.
Die elektromagnetische Strahlung ist dabei um so energierei-cher, je hoher ihre Frequenz und desto geringer ihre Wellenlangeist. Es gilt fur die Frequenz f und die Wellenlange λ uber dieLichtgeschwindigkeit c die eben schon verwendete, einfache Be-ziehung: f = c/λ bzw. λ = c/f . In Abbildung 5.13 ist das Spek-trum der elektromagnetischen Wellen dargestellt.
5.1 Der Tunnelprozess: Raume ohne Zeit 91
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92 5 Uberlichtschnelle und zeitlose Phanomene
Bei noch relativ niedrigen Frequenzen strahlen Radiosender.Die Haushaltsspannung schwingt sogar bei nur 50 Hz. Radiowel-len sind mehrere hundert Meter lang. Mikrowellen (oft auch Ra-darwellen genannt) haben dagegen Wellenlangen im Zentimeter-bereich2. Nach der Infrarot–Strahlung im Bereich von einigenMikrometern, die wir als Warmestrahlung empfinden, folgt mitWellenlangen zwischen 0,4µm und 0,7µm das fur uns sichtbareLicht. Hier befindet sich das Strahlungsmaximum der Sonnen-oberflache entsprechend dem Wienschen Verschiebungsgesetz. DieSonnenoberflachentemperatur betragt rund 6 000 ◦C, offenbar hatsich das menschliche Auge diesem maximalen Stralungsbereichangepasst. Betrachtet man noch kleinere Wellenlangen bzw. hohe-re Frequenzen, gelangt man uber die ultraviolette Strahlung zurRontgenstrahlung und schließlich zur hochenergetischen Gam-mastrahlung, wie sie beim Zerfall von Atomkernen entsteht.
Zum Vergleich werden hier Wellenlangen von Elektronen an-gegeben. Die Wellenlange eines Elektrons ist von seiner Bewe-gungsenergie abhangig und betragt z.B. bei einer Beschleuni-gungsspannung von einem Volt nur etwa 0,001µm. Hochenerge-tische Elektronen, wie sie in modernen Beschleunigern mit Be-schleunigungsspannungen um 100 GV (=GigaVolt, 1 Giga = 1 000000 000) vorkommen, haben Wellenlangen von weit weniger als10−17 m. Mit Licht dieser Wellenlange konnten folglich Struktu-ren im Bereich von 10−17 m betrachtet, d.h. optisch aufgelost,werden. (Ein Gegenstand kann nur gesehen werden, wenn ergroßer als die Wellenlange des Lichtes ist. Beim Elektronenmi-kroskop dient ein Elektronenstrahl als Licht.) Das positiv gela-dene Proton, Baustein des Atomkerns, hat einen Durchmesservon ca. 10−15 m, so dass mit solch hochenergetischen Elektronendie inneren Strukturen des Protons untersucht werden konnen.
2Unsere Haushaltsmikrowelle arbeitet bei einer Schwingungsfrequenz von2,45 GHz. Dies entspricht einer Wellenlange von etwa 12,2 Zentimetern. Satelliten–Fernsehubertragung findet bei 10 GHz mit der entsprechenden Wellenlange von 3Zentimetern statt.
5.2 Photonische Tunnelstrukturen 93
Tunnelexperimente mit Photonen im Mikrowellenbereich ha-ben gegenuber dem Elektronentunneln mehrere entscheidendeVorteile. Zum einen besitzen Lichtteilchen keine Masse. Sie ha-ben sehr kleine Energiequanten und sind im Gegensatz zu Elek-tronen einfacher erzeugbar und nachweisbar. Zum anderen tra-gen sie keine Ladung, d.h. sie wechselwirken weder untereinan-der noch mit anderen elektromagnetischen Storstellen. Verwen-det man nun zum Tunneln statt sichtbarem Licht Photonen imFrequenzbereich von Mikrowellen, haben diese außerdem eine re-lativ große, handliche Wellenlange (Zentimeterbereich), eine Ei-genschaft, die das Messen wesentlich erleichtert. Messungen vonDistanzen sind im Zentimeterbereich praziser durchfuhrbar alsim Mikrometerbereich. Die notwendige hochempfindliche Mes-stechnik fur solche Mikrowellenexperimente zur Zeitauflosungsteht seit rund 10 Jahren zur Verfugung.
Es war also sehr verlockend, statt des ElektronentunnelnsAnalogieexperimente zur Tunnelzeitbestimmung mit Mikrowel-len durchzufuhren, deren Ergebnisse aufgrund der mathemati-schen Aquivalenz auf Elektronen, ja ganz allgemein auf alle phy-sikalischen Teilchen ubertragbar sind. Wie in der Einleitung schonerwahnt, machten italienische Physiker und Ingenieure im Jahr1991 den (zunachst fehlerbehafteten) Start hierzu.
5.2 Photonische Tunnelstrukturen
Fur Elektronen entstehen Berge durch Kernkrafte die beim ra-dioaktiven Kernzerfall durchtunnelt werden. Abstoßende elektri-sche Coulomb–Krafte bilden Berge bei der Kernfusion und nochweniger anschaulich bilden beim Halbleiter quantenmechanischeInterferenzeffekte verbotene Energielucken, die es zu uberwin-den gilt. Wie sehen nun Tunnelberge fur die Lichtteilchen aus?In Abbildung 5.14 sind drei unterschiedliche photonische Tun-nelbarrieren dargestellt.