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ABB Technik 1/2002 25
s gehört schon viel Vertrauen dazu,
einer Fluggesellschaft einen Koffer
voll persönlicher Gegenstände in der Gewiss-
heit zu überlassen, ihn Tausende von Kilo-
metern entfernt und vielleicht sogar auf
einem anderen Kontinent wieder in Empfang
nehmen zu können. Aus genau diesem
Grund besteht ein direkter Zusammenhang
zwischen dem Image der Luftverkehrs-
unternehmen und der Zuverlässigkeit und
Professionalität, mit der das Gepäck abgefer-
tigt wird. Umso überraschender erscheint es,
dass das Einladen des Gepäcks in die Trans-
portcontainer, die so genannten Unit Load
Devices (ULDs), und auch das Ausladen
noch immer von Hand erfolgt. Das liegt
daran, dass der gesamte Ablauf für eine Auto-
matisierung bisher einfach zu komplex war.
Doch die sorgfältige Abfertigung des
Gepäcks ist nur ein Aspekt. Ebenso wichtig
ist das Wohl der Menschen, die das Gepäck
von Hand verladen. Die Gepäckverladung
ist eine harte und gefährliche Tätigkeit, die
durch die Monotonie der Bewegungen
Gewichtheber
Sie checken Ihr Gepäck an einem Flughafenschalter ein. Es verschwindet auf einem Laufband, und das nächste Mal
sehen Sie es an einem anderen Flughafen, vielleicht sogar am anderen Ende der Welt, wieder. Hinter den Kulissen
sorgt eine Rechenleistung von der Größenordnung eines Supercomputers dafür, dass Ihr Gepäck durch ein regel-
rechtes Labyrinth aus Sortiervorgängen an den richtigen Bestimmungsort gelangt.
Ein Wunder der Automatisierung? Nicht ganz. Trotz der erstaunlichen Technologie im übrigen Abfertigungs-
system erfolgt die eigentliche Gepäckverladung noch immer von Hand. Dies erfordert den Einsatz von vielen Arbeits-
kräften, die viel nützlicher eingesetzt werden könnten als für diese anstrengende, gefährliche und monotone Tätigkeit.
Aber die Zeiten haben sich geändert! Das automatische Gepäckverladesystem von ABB reduziert die manuellen
Tätigkeiten erheblich und sorgt gleichzeitig für mehr Sicherheit, eine zügigere Abwicklung und eine höhere Qualität
bei niedrigeren Kosten. Der robotergesteuerte Gepäckverlader hat seine Feuertaufe kürzlich in einer Versuchsanlage
am Zürcher Flughafen erfolgreich bestanden.
E
Robotertechnologie von ABB hilft beim
effizienten Gepäck-verladen auf Flughäfen
Gewichtheber
Staff Report
26 ABB Technik 1/2002
noch erschwert wird. Ein großer Koffer wiegt
meist mehr als 20 Kilo und ein Gepäck-
verlader bewegt so stündlich oft eine Tonne.
«Im Vergleich zu den übrigen Arbeitsprozes-
sen an einem Flughafen erscheint mir dieser
Arbeitsschritt wie aus der Steinzeit», sagt
Dr. Günther Nagel, produktverantwortlicher
Leiter bei ABB Airport Technologies.
Bei dieser harten körperlichen Arbeit
sind Krankheitsausfälle und langwierige
Arbeitsschäden unvermeidbare Konsequen-
zen. Mit dem automatischen Gepäckverlade-
system von ABB können Flughafenbetreiber
eine ihre Mitarbeiter stark belastende
manuelle Arbeit beträchtlich reduzieren und
gleichzeitig einen wichtigen Arbeitsprozess
am Flughafen deutlich effizienter gestalten.
Dabei macht das automatische Gepäck-
verladesystem den Arbeiter nicht überflüssig,
sondern erhöht die Qualität seiner
Arbeit.
Außerdem hilft die rasche Abfertigung,
die durch das automatische Verladesystem
ermöglicht wird, die Transferzeiten so kurz
wie möglich zu halten (ein wichtiger Faktor
für die Wettbewerbsfähigkeit eines moder-
nen Flughafens). Und kurze Wartezeiten an
der Gepäckausgabe wirken sich natürlich
entsprechend positiv auf die
Kundenzufriedenheit aus.
Neben einer Reduzierung der Kosten und
einer Verbesserung der Servicequalität
ermöglicht die automatische Gepäckverla-
dung von ABB auch erhebliche Verbesserun-
gen in einem Bereich, der gerade heute von
besonderer Bedeutung ist: der Sicherheit.
Im letzten Herbst hat ABB Airport
Technology in enger Zusammenarbeit mit
ABB Corporate Research versuchsweise ein
automatisiertes Gepäckverladesystem am
Zürcher Flughafen installiert. Der sehr erfolg-
reiche Einsatz der Anlage hat gezeigt, dass
die Kombination bekannter Technologien
(wie IT, Messtechnik, Robotik und Mechatro-
nik) mit anwendungsbezogenem Know-how
ABB die Führung auf diesem neuen und
wachstumsstarken Markt beschert hat. Denn
kein anderes Unternehmen bietet eine ver-
gleichbare Lösung.
Doch der Roboter selbst ist nur ein Teil
der Lösung. Vor der eigentlichen Verladung
sind noch zwei weitere Arbeitsschritte erfor-
derlich – die Gepäckanalyse und die Planung
der Verladefolge .
Gepäckanalyse
Das Gepäck-Screening-System, in dem
Gewicht, Größe, Bestimmungsort, Flugklasse
und die so genannte Bounding Box (der
kleinste ein Objekt umhüllende Quader) für
jedes Gepäckstück bestimmt werden, stellt
eine bedeutende technologische Innovation
dar. Mit Hilfe der beim Screening ermittelten
Daten ist der Roboter in der Lage, Stape-
lungsmodelle für eine optimale Beladung,
d.h. unter bestmöglicher Nutzung des in den
ULDs verfügbaren Platzes, zu erstellen.
Auf ihrem Weg durch die Analysestation
passieren die Gepäckstücke insgesamt drei
Sensoreinheiten : Zuerst liest ein Strich-
codescanner die Gepäckanhänger, um die
2
1
Sensoren erfassen Gewicht, Größe,
Bestimmungsort und Flugklasse
der vorbeifahrenden Gepäckstücke.
2
Analysis
Strichcodescanner
Waage
VMS
Sortieren Verladen Rückmeldung
Gepäckanalysestation
Pro
zess
Har
dw
are
So
ftw
are
Load Manager Bag Handler Load Controller
Förderbänder
Puffertürme
Ausrichteinheit
Sensoren
LCMBCM FCM
PLC
DBM
TLM
Roboter
Steuerung
Handhabungs-werkzeug
Werkzeug-aufbewahrung
Containerscanner
Die automatische Gepäckverladung umfasst vier Hauptprozesse: Gepäck-
analyse, Planung der Verladefolge, das physische Verladen der Gepäckstücke
durch einen Roboter und die Überprüfung der Daten.
BCM Baggage Classification Manager
FCM Feedback Control Manager
LCM Load Control Manager
TLM Transfer and Load Manager
1
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einzelnen Gepäckstücke zu identifizieren
und mit den Flugdaten des Abflugkontroll-
systems abzugleichen. Dann werden die
Gepäckstücke während des Weitertransports
von einer dynamischen Waage gewogen. Der
Wägevorgang kann auf Förderbändern mit
einer Geschwindigkeit von bis zu 2 m/sec
erfolgen. Danach wird mit Hilfe von Scan-
nern die Geometrie des Gepäckstücks
bestimmt. Sämtliche Sensoreingaben werden
dazu verwendet, das Gepäckstück in ein
Schema einzuordnen, das die vollautoma-
tische Verladung vereinfacht. Die erforder-
lichen Berechnungen werden in Echtzeit
durchgeführt, während die Gepäckstücke
durch die Analysestation laufen.
Dieses intelligente Softwaremodul mit der
Bezeichnung Baggage Classification Manager
(BCM) wurde von ABB speziell für dieses
Produkt entwickelt.
Load Control Manager
Nachdem der BCM die verschiedenen
Parameter der Gepäckstücke ermittelt hat,
entscheidet der Load Control Manager (LCM),
in welcher Reihenfolge die Gepäckstücke
in den ULD verladen werden. Nicht alle
Gepäckstücke werden in der Reihenfolge
verladen, in der sie ankommen. Gepäckstü-
cke, die bestimmten Standardvorgaben ent-
sprechen, werden schnell und sicher in die
ULDs gepackt. Gepäckstücke mit ungewöhn-
lichen Formen oder Gewichten werden in
einem Regal zwischengelagert, bis es im
Gepäckcontainer eine passende Lücke
dafür gibt.
Das System ist eng mit dem logistischen
Gepäckhandhabungsprozess des Flughafens
verbunden. Neben den Daten vom BCM
erhält der LCM auch Informationen vom
Fluginformationssystem des Flughafens.
Damit kann zum Beispiel festgestellt werden,
ob ein Fluggast bereits eingecheckt hat
und das Gepäckstück verladen werden
kann.
Strichcode Geometrie Gewicht Scannereinheit
Schnittstelle zumGepäckinformations-
systemBSM
Schnittstelle zurFlughafen-
FörderbandsteuerungE-Stop
Sensoren&
Antriebe
TransportControl
Application
Roboter-Steuerung
S4CRoboter
SPS
EthernetTCP/IP
EthernetTCP/IP
EthernetTCP/IP
ProfibusDP
ProfibusDP
ProfibusDP
EthernetTCP/IP
EthernetTCP/IP
RS422
FCMBCM
LoadingManager
Analysieren, Planen und Transportieren: Der BCM gleicht die Daten aus der Gepäckstückanalyse ab und übergibt diese dem
LCM, der sie an die ‹Transport Control Application› weiterleitet. Diese versorgt die Robotersteuerung mit den notwendigen Daten für
die Beladung des ULD (Gepäckdaten und weitere Informationen aus den Flughafensystemen). Mit Hilfe von Laserscannern prüft der
FCM die Richtigkeit der Ergebnisse und alarmiert den LCM, wenn Gepäckstücke sich unerwartet verschieben, sodass der LCM dies
beim nächsten Ladevorgang entsprechend berücksichtigen kann.
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«Im Vergleich zu den übrigen Arbeits-prozessen an einem Flughafen erscheint mirdieser Arbeitsschritt wie aus der Steinzeit».
Dr. Günther Nagel, produktverantwortlicher Leiter bei ABB Airport Technologies.
Darüber hinaus registriert der Feedback
Control Manager (FCM) mit Hilfe von Laser-
scannern den noch verfügbaren Platz im
ULD und dessen Form und gibt diese Infor-
mation an den LCM weiter . Dadurch
wird der gesamte Prozess flexibler und noch
zuverlässiger. Sollten sich Gepäckstücke ein-
mal unerwartet verschieben, werden die
Daten unverzüglich an den LCM weitergege-
ben, der sofort reagiert und dies bei der Posi-
tionierung der nächsten Ladung entspre-
chend berücksichtigt, indem er ein anderes
Gepäckstück wählt oder in kritischen Situa-
tionen den Eingriff des Bedieners erzwingt.
Zusätzlich wird eine «Ladeliste» erstellt,
in der das genaue Gewicht jedes ULD und
genaue Angaben dazu, wo jedes Gepäck-
stück zu finden ist, aufgeführt sind. Dies
erleichtert die Arbeit erheblich, wenn einmal
ein Gepäckstück wieder entladen werden
muss (weil das Flugzeug z.B. nicht starten
darf, wenn der Besitzer eines Gepäckstücks
nicht an Bord ist). Ein Grund für viele
Verspätungen ist, dass die Gepäckverlader
die Gepäckräume eines Flugzeugs nach
einem bestimmten Gepäckstück durchsuchen
müssen.
Gepäckverladung
Der Roboter ist in zwei Grundkonfigurati-
onen lieferbar: als ortsfeste und als mobile
Einheit . Bei der ortsfesten Konfiguration
steht der Roboter fest an einer Stelle, um-
geben von mehreren ULDs, und wird von
zwei Förderbändern «versorgt».
In der mobilen Anordnung bewegt sich
der Roboter entlang einer Bahn mit jeweils
einer Gepäckbandzuführung an jedem Ende
. Der Roboter nimmt die Gepäckstücke
auf und verlädt sie in die ULDs, die rechts
und links der Bahn stehen. Der Vorteil der
mobilen Konfiguration ist, dass mehr ULDs
gleichzeitig bedient werden.
Welche Konfiguration für einen Standort
am besten geeignet ist, richtet sich nach der
Intensität der Arbeitsprozesse und nach den
topografischen Gegebenheiten vor Ort.
Verschiedene Werkzeuge ermöglichen es
dem Roboter, die Gepäckstücke vom Förder-
band aufzunehmen und in den ULDs zu ver-
stauen . Diese Werkzeuge können wäh-
rend des Betriebs in der Werkzeugwechsel-
station, die sich ebenfalls innerhalb der
Roboterzelle befindet, ausgetauscht werden.
Die Wahl des Werkzeugs wird unter
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Ortsfeste (links) und mobile (rechts) Roboterkonfigurationen4
Bei der mobilen Roboterkonfiguration bewegt sich der Roboter entlang einer
Bahn und kann so mehr ULDs bedienen.
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ABB Technik 1/2002 29
Berücksichtigung der Gepäckstückklasse und
der berechneten Ladeposition vom LCM
bestimmt. So gesehen ist der Roboter
«dumm», denn er nimmt lediglich Instruk-
tionen vom LCM entgegen und verfügt selbst
über keine intelligenten optischen
Erkennungssysteme.
Eine menschliche Arbeitskraft verlädt
durchschnittlich 20–30 Gepäckstücke in der
Stunde. Je nach Gestalt der Roboterzelle liegt
die Kapazität des automatischen Gepäckver-
ladesystems zwischen 120 und 300 Gepäck-
stücken pro Stunde. Während das manuelle
Verladen in drei Schichten erfolgt, kann der
Roboter fast ohne Unterbrechung arbeiten
(bei einer voraussichtlichen Verfügbarkeit
von 95 %).
Doch trotz aller Effizienz ist der Mensch
nicht ganz überflüssig. Ein Bediener, der bis
zu 4 Stationen beaufsichtigen kann, muss
jederzeit verfügbar sein. Falls notwendig,
kann der Bediener den Roboter in seine
Ausgangsposition zurückfahren und neu
initialisieren.
Ein Schritt in die Zukunft
Der technologische Ansatz für dieses Produkt
beruht auf einer sorgfältig durchdachten
Verknüpfung bekannter Technologien mit
anwendungsbezogenem Know-how. Das
Ergebnis ist die erste und bisher einzige
Lösung dieser Art. Nach Dr. Axel Stepken,
Geschäftsführer von ABB Airport Technolo-
gies, ist das automatische Gepäckverlade-
system «ein ausgezeichnetes Beispiel dafür,
wie Kenntnisse innerhalb der ABB-Gruppe
synergetisch zusammenwirken können:
Im automatischen Gepäckverladesystem
verschmelzen das Wissen von ABB im
Automatisierungsbereich und das Know-how
in der Flughafenindustrie.»
Als wichtiger Bestandteil seiner um-
fassenden Unternehmensstrategie setzt ABB
auf die Entwicklung eines breiten Produktan-
gebots unter dem Dach der IndustrialIT-
Initiative. Ziel dieser Initiative ist die Standar-
disierung von ABB-Produkten zu «Bau-
steinen» für größere Lösungen mit integrierter
Funktionalität, die ein nahtloses Zusammen-
wirken mehrerer Produkte als Komponenten
von Echtzeit-Automatisierungs- und Informa-
tionssystemen ermöglichen. Weit mehr als
eine Marketingstrategie, ist das IndustrialIT-
Konzept praktisch richtungsweisend für den
unternehmerischen Weg von ABB in die
Zukunft. Es ist gerade das langfristige
Bekenntnis von ABB zu diesem Ziel, das das
IndustrialIT-Konzept von seinen Nachahmern
unterscheiden wird. Auch das automatische
Gepäckverladesystem wurde als Bestandteil
der IndustrialIT-Initiative entwickelt.
Darüber hinaus lässt sich die für die
Gepäckverladung verwendete Technologie
ohne weiteres an eine Vielzahl von Anwen-
dungen, z.B. für die Warenverteilung oder
Kommissionierung, anpassen.
Das automatische Gepäckverladesystem
ist nur ein Produkt, das ABB die technologi-
sche Führung in diesem Kernbereich des
Flughafenbetriebs sichert. Zurzeit wird eine
Lösung für das Entladen von Gepäckstücken
entwickelt, die sich eine einfachere, aber
ebenso wirksame Technologie zu Nutze
macht (die Gepäckstücke werden über eine
Kippvorrichtung aus dem Rampenfahrzeug
oder ULD auf Förderbänder geladen).
Die Installation der ersten Versuchsanlage
ist für 2002 geplant.
Zwei austauschbare Grundwerkzeuge reichen aus, um die meisten Probleme
bei der Gepäckverladung zu lösen.
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Daniel Thévenaz, CEO of Swissport Baggage Sorting AG, kommentiert:
«Für mich stellt die automatisierte Gepäckverladung einen entscheidenden Schritt
zur Verbesserung der Arbeitsqualität in der Gepäckabfertigung dar. Solche moder-
nen Technologien helfen uns hier bei der Eliminierung von schädlicher Arbeit.»
Dr. Axel Stepken, Geschäftsführer von ABB Airport Technologies, fügt hinzu: «Das
automatische Gepäckverladesystem ist ein ausgezeichnetes Beispiel dafür, wie
Kenntnisse innerhalb der ABB-Gruppe synergetisch zusammenwirken können:
Im automatisierten Gepäckverladesystem verschmelzen das Wissen von ABB im
Automatisierungsbereich mit dem Know-how in der Flughafenindustrie.»
Comment. . .