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Mediadaten Nr. 17 gültig ab 01. Januar 2018
Das Lebensmagazin
1
im gespräch
ANNA GOLDSWORTHY Mein Weg in die Musik
SANKT PETERSBURG Gesichter einer Großstadt
GOETHES Unterhaltungen
märz | 2018
Freies GeisteslebenUrachhaus
zum mitnehmenE 51125nr. 219
Das Lebensmagazin
32_01_atempo_03_2018_01_40.QXD 22.12.17 15:59 Seite 2
februar | 2018
Freies GeisteslebenUrachhaus
zum mitnehmenE 51125nr. 218
Das Lebensmagazin
KLAUS STAECKAnwalt des Gewissens
ZWEI SEITEN DER SEELE
im gespräch
SIMIN TANDER Singen ist ein heiliger Ort
32_01_atempo_02_2018.qxp_01_40.QXD 22.12.17 15:58 Seite 2
im gespräch
GERALD HÄFNER Brücken bauen: DeutschlandsAufgabe in Europa
DIE GEBURT DER KUNST
januar | 2018
Freies GeisteslebenUrachhaus
zum mitnehmenE 51125nr. 217
Das Lebensmagazin
32_01_atempo_01_2018.qxp_01_40.QXD 08.12.17 20:01 Seite 2
Wendepunkt und roter Faden
im gespräch mit Anna Goldsworthy Dunja Hayali Maja Lunde Dennis Scheck …augenblicke
redseelig vom zauber der Sprache
thema
lebenskunst familie im fokus
kalendarium
sprechstunde
am schreibtisch
literatur für junge leser
kulturtipp
weiterkommen
suchen & finden
2018Wie wir bleibend uns entwickeln
Ab Januar 2018 ist a tempo auch als e Pub-Magazin erhältlich*
* erhältlich in allen bekannten eBook-Shops
Mediadaten Nr. 17 gültig ab 01. Januar 2018
Das Lebensmagazin
22
Was ist a tempo ?
• a tempo ist das Magazin für das Leben mit der Zeit.• a tempo weckt Aufmerksamkeit für die Momente und feinen Unterschiede, die unsere Zeit erlebenswert machen.• a tempo bringt Reportagen, Interviews über und mit Menschen, die ihre Lebenszeit und ihr Lebensumfeld zukunftsweisend gestalten.• a tempo lenkt den Blick auf Dinge, die auch morgen noch Bestand haben werden.
Wo liegt a tempo aus ?
• a tempo liegt zur Mitnahme in über 3.000 Buchhandlungen und
Einrichtungen des Kulturlebens und der Wirtschaft aus: z.B. in Kindergärten, Schulen, Arztpraxen, Thera peutika, Hochschulen, Fort- und Ausbildungs-Seminaren, Tagungsstätten, Museen, Galerien sowie Drogeriemärkten und im hochwertigen Lebensmittel- und Spielzeughandel.• ab Januar 2018 ist a tempo auch als e Pub-Magazin erhältlich.
Ein Blick ins Heft
im gespräch mit
kalendarium
augenblicke
thema
Simin Tander, in Köln aufgewachsen und auch
heute wieder in Köln zu Hause, blickt auf eine
bitterschöne Kindheit und Jugend zurück –
mit dem Vater, in Afghanistan geborener
Journalist, der Mutter, engagierter Sonder-
pädagogin, und mit ihrer kaum zwei Jahre
älteren Schwester Mina. Simin Tander erin-
nert sich «an sehr viel Innigkeit und Lebens-
bejahung», jäh verschattet durch den frühen
Tod des herzkranken Vaters. «Trotz allem
besaß meine Mutter ein ungebrochenes
Urvertrauen und schuf eine Atmosphäre
der Kreativität, in der wir unseren eigenen
Weg finden konnten.» Während ihre ältere
Schwester eine erfolgreiche Schauspielerin
wurde, zählt Simin Tander inzwischen zu den
bekanntesten deutschen Jazz-Sängerinnen:
www.simintander.com
Ralf Lilienthal | Liebe Sinim Tander, keineKünstlerin und kein Künstler bleibt von dentiefen Erfahrungen der eigenen Kindheit unberührt – in welchen Verwandlungenhaben sich die Kinder- und Jugendjahre inIhrem Singen niedergeschlagen?Simin Tander | Meiner Stimme wurde mehrals einmal das Etikett «Sehnsucht» ange hängt.Und tatsächlich beschreibt das etwas, das sichdurch meine ganze Persönlichkeit zieht. Eswar immer etwas da, das nicht da war. Zumeinen natürlich mein Vater und mein Halb-afghanisch-Sein. Aber auch, anfangs nochganz unbestimmt, die Möglichkeit, etwas zusein – wie ein weiter Raum, der auf michwartete. Das habe ich zuerst beim Singen ge-spürt. Singen wurde mir eine Art zweites Zuhause, in dem ich mich immer zugleich
SINGEN IST EIN HEILIGER ORTfrei, selbstbestimmt und geschützt gefühlthabe. Und mitten darin, wie eine starke In-spirationsquelle, die Trauer, eine sanfte Dunkelheit, die durch das Singen mit einertiefen Freude in Berührung kommt.
RL | Wie muss man sich das singende Mäd-chen Simin vorstellen?ST | Es war ein Singen ohne jede Einengungund Vorgabe. Laut und Klang haben mich fasziniert, auch alltägliche Geräusche, wieetwa unsere Waschmaschine. Dieses langsame,bis in die Tiefe gehende Glissando habe ichbegeistert imitiert. Anfangs habe ich aus-schließlich daheim gesungen. Nicht weil ichschüchtern war – ich habe immerhin an unserer Schule die Karnevalsveranstaltungenmoderiert –, sondern weil das wirkliche
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im gespräch | simin tander 04 | 05
�
SiminTanderim Gespräch mit Ralf Lilienthal
Fotos: Wolfgang Schmidt
02 | 2018
Singen etwas ganz Intimes war, das ich unter -bewusst schützen wollte. Ich war wirklich rigoros: Denn obwohl ich an einem Musik-gymnasium war, wusste bis zum Abiball niemand in der Schule, dass ich singen kann.Ich war, und bin es immer noch, mit wichti-gen Dingen langsam, gründlich – wohl auchverträumt – und brauche meine Zeit.
RL | Heute sind Sie als professionelle Sänge-rin international unterwegs und leben vonIhrer «veröffentlichten Stimme». Auf welchenWegen haben Sie aus der reinen Innerlichkeitherausgefunden?ST | Ich sah mich immer singend auf großenBühnen und vor Publikum, traute mich abernicht, Unterricht zu nehmen. Den erstenAnstoß gab meine Schwester Mina, die er-
kannte, wie wichtig mir das Singen war.«Simin, nimm Gesangsunterricht!», wieder-holte sie so lange, bis ich gegen Ende derSchulzeit Stunden bei einer Opernsängerinnahm. Wichtig war auch der studienvor -bereitende Kurs an der Offenen Jazz HausSchule. Ein Jahr, bevor ich schließlich in Arnhem Jazzgesang studiert habe, habe ichdort zum ersten Mal in einer Band unddurch ein Mikrofon gesungen!
RL | Warum haben Sie sich fürs eher beschau-liche niederländische Arnhem entschieden?ST | Unter anderem, weil man dort stilistischnicht so festgelegt wurde. Ich liebe Jazzwegen der Freiheit beim Improvisieren – mitund ohne Worte. Gesanglich beeinflusstwurde ich von Jazzgrößen wie Al Jarreau,
später Betty Carter, von Popsängern wieBjörk und Sting und immer wieder auch vonfolkloristischen Stimmen aus aller Welt. Ichhabe viel ausprobiert. Mit einem Athener Gitarristen habe ich Griechisch gesungenund mit einem Israeli Hebräisch.
RL | Sie sind nach Abschluss Ihres Studiumsnoch drei Jahre in den Niederlanden ge -blieben – wie kam das?ST | Bei allem Zweifeln und Verträumtseinwar ich, wenn es um meine Musik ging, äußerst zielorientiert und fleißig. Deswegenhabe ich mich von Arnhem aus in der niederländischen Jazz-Szene umgetan unddort wirklich etwas aufgebaut. Ich war auf diversen Messen, habe Demos verschickt, warimmer ganz wach und hatte keine Scheu, viel
04_05_06_07_atempo_02_2018.qxp_a tempo 2016neu 07.12.17 16:16 Seite 2
01 | 2018
JANUAR SO 31 38. Woche nach Ostern 4a5 14h
L 08:27 / 16:24 4 15:15 / 06:04 Silvester
MO 01 KW 014a0 11h, 5 größte westl. Elongation
Namensgebung JesuNeujahrstag
DI 02 q Vollmond 03:24, 4a6 0h
1918 Willi Graf *, Mitglied der Weißen Rose († 12.10.1943).
Melchior
MI 03Erde im kleinsten Abstand von der SonneVor 30 Jahren (1988) starb die in Czernowitz am 11. Mai1901 geborene Dichterin Rose Ausländer in Düsseldorf.
Kaspar
DO 04
Balthasar
FR 05Vor 151 Jahren (1867 in Marburg an der Lahn) wurde derMaler, Radierer und geniale Illustrator der GrimmschenMärchen Otto Ubbelohde geboren. Er starb am 8. Mai1922 in Goßfelden bei Marburg.
Letzter der 13 Heiligen Nächte
SA 06 1918 Georg Cantor †, dt. Mathematiker und Logiker (* 03.03.1845).
Taufe Jesu im JordanEpiphanias / Drei Könige. Gesetzl. Feiertag in Baden-
Württemberg, Bayern und Sachsen-Anhalt.
SO 07 39. Woche nach Ostern7F8 2h
1968 Maria Krück von Poturzyn †, österr. Schriftstellerin(* 08.10.1896). Zu ihren bekanntesten Werken zählt ihrRoman «Das Mädchen Jeanne d’Arc».L 08:25 / 16:32z 23:33 / 11:34
MO 08 KW 02Z Letztes ViertelVor 70 Jahren (1948) starb der dt. Maler, Werbegrafiker undVorreiter des Surrealismus und Dadaismus Kurt Schwittersin Kendal/Nordengland (* 20.06.1887 in Hannover).
DI 09
MI 10
DO 11 Vor 77 Jahren (1941) starb Emanuel Lasker in New York. Der Mathematiker, Philosoph und bisher einzige deut-sche Schachweltmeister konnte noch als gebürtiger Judedem Zugriff der Nationalsozialisten entfliehen. 27 Jahre (von 1894 bis 1921) blieb er Weltmeister (* 24.12.1868 in Berlinchen/Neumark).
FR 12 Vor 20 Jahren (1998) starb die tschechische SchriftstellerinLibuše Moniková in Berlin (* 30.08.1945 in Prag).
SA 13 Vor 77 (1941) starb der im Zürcher Exil lebenden irischenSchriftsteller James Joyce. Geboren wurde der Verfasserdes maßgeblichsten Werkes der literarischen Moderne,des Romans «Ulysses», in Dublin am 2. Februar 1882.
Unser Freund James Joyce 1:
Niemand weiß, und Joyce schon gar nicht, wieman Literatur und Kunst überhaupt angemessenvermittelt. Doch zum Glück gelingt es bei ihmvon fast jeder beliebigen Stelle aus. Die kleinstenTeilchen enthalten etwas vom ganzen Komplexoder führen zumindest dorthin. Aus dieser Sichtist Joyce ein kaltes Buffet zur Selbstbedienung (sokalt auch wieder nicht); man holt sich, wozu manVerwendung hat oder was ergiebig scheint. Es ist
in der Tat für alle etwas da, und genug davon. Undschon haben wir (auch dafür schärft Joyce denBlick) ein falsches Bild. Joyce bietet geradezu eineSchulung der Skepsis an. Denn es geht nicht umDinge (‹für jeden etwas›), Gegenstände, Substan-zen, Eigenschaften usw., sondern um Hergänge.»
Fritz Senn, geb. am 1. Januar 1928 in BaselNoch mehr über Joyce. StreiflichterSchöffling & Co., Frankfurt am Main 2012
Otto Ubbelohde, Einsame Brücke, Federzeichnung
«Aus Wald und Feld», 1919
Liebhaber älterer Ausgaben der «Kinder- und Haus-
märchen» der Brüder Grimm werden ihn vielleicht wegen
der so charakteristischen Linienführung wiedererkennen:
Otto Ubbelohde. Seine 447 Federzeichnungen, die er für
die dreibändige, im Leipziger Turm-Verlag zwischen
1908 und 1910 erscheinende Jubiläumsausgabe der
Grimmschen Märchen schuf, bilden das umfassendste
Illustrationswerk dieser Märchen und wurden von ihrem
Schöpfer so stark als organische Einheit empfunden, dass
er sich stets dem Einzelverkauf der Originalillustrationen
widersetzte. Otto Ubbelohde wurde am 5. Januar 1867 in
Marburg an der Lahn als einziges Kind geboren, studierte
an der Kunstakademie in München, lernte die Künstler
von Worpswede kennen, war Mitbegründer der Münchner
Sezession und zog, nach seiner am 2. November 1897
geschlossenen Ehe mit Hanna Unger, schließlich nach
Goßfelden bei Marburg, wo er ein eigenes Haus und
Atelier bauen ließ, in dem er erst 55-jährig am 8. Mai 1922
starb. Zwölf seiner kleinen, aber so großartig atmos-
phärischen, in der dynamischen Linienführung wie im
kompositorischen Aufbau so ausdrucksstarken Feder-
zeichnungen werden uns in diesem Jahr begleiten.
«
16_17_atempo_01_2018.qxp_a tempo 2016 08.12.17 20:21 Seite 1
kalendarium 16 | 17
SO 14 40. Woche nach Ostern
L 08:21 / 16:41 z 06:00 / 14:48
MO 15 KW 03 1918 Gamal Abdel Nasser *, ägypt. Staatsmann (ermordet am 28.09.1970).
DI 16
MI 17 w Neumond 03:17, fF6 8h
1318 Erwin von Steinbach †, Steinmetz am StraßburgerMünster (* um 1244).
DO 18
FR 19
SA 20 5 Sonne tritt in das astronomische Sternbild Steinbock.Q Sonne tritt in das astrologische Tierkreiszeichen Wasser-mann. Beginne mit der Monatstugend: «Diskretion – wird zuMeditationskraft.»
SO 21 41. Woche nach Ostern
L 08:14 / 16:534 10:20 / 21:37
MO 22 KW 04 MO 29 KW 054a0 3h
DI 23
MI 24X Erstes Viertel
DO 25
Gedenktag für die Schauung des Auferstandenen Christusbeim Verfolger der Christen Saulus vor den Toren von Damaskus, die ihn zum Christen Paulus verwandelte.
DI 304a5 18h
1933 «Machtergreifung» der Nationalsozialisten inDeutschland.
FR 26 4a8 3h, 4a7 19h
SA 27
Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus.
MI 31q Vollmond 14:27, totale Mondfinsternis, 4a6 24h
Tu be Schewat (Neujahr der Bäume), israelischer Festtag.
DO 01 Februar1918 Muriel Spark * in Edinburgh, schottische Schriftstellerin(† 13.04.2006 in Florenz). Die Tochter eines jüdischen Vatersund einer presbyterianischen Mutter konvertierte zum Katho -lizismus. Ihre Romane, insb. «Die Blütezeit der Miss JeanBrodie», zählen zu den bedeutendsten der brit. Literatur.
FR 021918 Hella Serafia Haasse * in Batavia/Niederländisch Indien,Schriftstellerin († 29.09.2011 in Amsterdam). Sie gehört zuden bekanntesten und meistgelesenen niederländischen Autorinnen.
SA 03 1468 Johannes Gutenberg †, Erfinder des Buchdrucks inEuropa (* vor 1400).
SO 28 42. Woche nach Ostern 1868 Adalbert Stifter † in Linz, österr. Schriftsteller (* 23.10.1805 in Oberplan/Böhmen). 1857 erschien seindreibändiger Roman «Der Nachsommer», von 1865 – 1867sein ebenfalls dreibändiger zweiter großer Roman «Witiko».L 08:06 / 17:05 4 13:52 / 04:53
Redaktion: Lin
Noch im alten Jahrdein Jamacht die Kirche neu
Jean-Claude LinHeimkehren. Die Kunst des HaikuVerlag Freies Geistesleben, Stuttgart 2017
Die (für Sonntag) angegebenen Zeiten für Auf- und Unter-gang von Sonne und Mond sind in mitteleuropäischer Zeit(MEZ) und gelten genau für Kassel. Bei Konjunktion (:)und Opposition (a) der Wandelsterne (Sonne L undMond x und Planeten: SaturnP, Jupiter r, Mars =,Venus U, Merkur I) ist die Zeit in ganzen Stunden eben-falls in MEZ angegeben. Der zunehmende Mond ist durchdas Zeichen x, der abnehmende durch das Zeichen zgekennzeichnet.
16_17_atempo_01_2018.qxp_a tempo 2016 08.12.17 20:21 Seite 2
Höhlenerkundungen in die Vergangenheit
DIE GEBURT DER KUNST
12 | 13 augenblicke von Christian Hillengaß (Text) & Wolfgang Schmidt (Fotos) 01 | 2018
08_09_10_11_atempo_01_2018.qxp_a tempo 2016 08.12.17 20:10 Seite 1
�
Die Schwäbische Alb – ein Ronja-Räubertochter-Land im Süden
Deutschlands. Karstige Schluchten, Burgruinen, Wasserfälle, weite
Wälder, rauhe Hochebenen und – wundervolle Höhlen. Sechs davon –
im Blaubeurer Urdonautal und dem Tal der Lone gelegen – haben
seit Juli 2017 den Welterbestatus der Unesco. Hier wurden die ersten
Belege für ein künstlerisches Schaffen des Menschen gefunden.
Die Objekte aus der Eiszeit erzählen viel, denn sie zeugen von einem
großen Schritt im Werden der Menschheit. Gleichzeitig geben sie
Rätsel auf. Eine Annäherung an das Geheimnis der ersten Kunst.
08_09_10_11_atempo_01_2018.qxp_a tempo 2016 08.12.17 20:10 Seite 2
DIE VOR-WILLI-ZEIT UND DAS JETZTvon Birte Müller
08 | 09 thema : wendepunkt & roter faden 02 | 2018
das Greifen seiner Händchen und seinenBlick in unsere Augen in ein schwarzes Lochverschwinden ließ.
Es war, als würde man mir das Herz ausdem Leibe reißen! Warum musste unseremKind all das zustoßen? Warum war uns nichteinmal das Glück vergönnt, uns an einemkleinen Geräusch unseres Babys zu erfreuen?Wie konnte es sein, dass uns sein Lächelnentrissen wurde, das uns doch in derschlimmsten Not die Kraft gegeben hatteweiterzuleben? Wann immer ich erwachte,war es, als würde ein Albtraum beginnen –und ich wollte nur noch schreien vorSchmerz und Angst.
Ich habe bis heute keine Antworten aufdie Frage nach dem Warum. Warum geradeunser Kind? Und ich halte die Frage auch fürsinnlos. Sie hat mich immer nur Kraft ge -kostet und nie weitergebracht.
Manche Leute meinen, dass das Schick-sal uns Aufgaben gibt, aus denen wir als«bes serer Mensch» hervorgehen können. Persönlich wehre ich mich aber gegen denGedanken, dass eine höhere Macht meinKind so leiden ließ, um mich reifen zu las-sen. Trotzdem möchte ich nicht wieder derMensch sein, der ich vor Willis Geburt war.
Ich hatte Freunde, die davon ausgingen,ich müsse sehr unzufrieden sein, weil meinbehindertes Kind mich im sozialen Leben
und bei der Arbeit stark einschränkt. Sie nah-men es mir förmlich übel, dass ich mich damitabfinden kann – wohl, weil sie sich nichtdamit abfinden konnten, dass ich für sie keineZeit mehr habe.
Willi machte einen klaren Schnitt zwi-schen mein altes und mein neues Leben. Ichnenne die beiden Abschnitte auch so: «vor-Willi» und «jetzt.»
Viele Menschen aus der Vor-Willi-Zeithaben unser Leben abrupt oder schleichendverlassen. Andere Freundschaften haben Be-stand, auch ohne Urlaubskarten und Weih-nachtsgeschenke. Neue Freundschaften sinddazu gekommen, einige mit Familien, die vergleichbare Erfahrungen gemacht habenwie wir. Und es gibt Menschen, die ichschon lange «vor-Willi» kannte, aber wirklicherst durch ihn kennengelernt habe. Ich ahnteihre Tiefe nicht, nicht ihre besonderen Ge-schichten, und ich hätte sie ohne Willi nie erfahren.
In unserer schweren Anfangszeit fühlteich mich der Welt nicht zugehörig. Es war fürmich sehr schwierig, mich unter Menschenzu begeben. Es schien mir unvorstellbar, dassmein Kind so schwer krank war und die Weltsich weiterdrehte, als sei nichts geschehen. Ichwäre am liebsten auf der Straße mit einemSchild umhergelaufen, auf dem stand: «MeinBaby hatte heute 50 epileptische Anfälle und
Viel zu selten wundere ich mich, warum ichdas unendliche Glück habe, zu dieser Zeitund an diesem Ort leben zu dürfen. AndereEltern müssen mit ihren Kindern in Ländernleben, in denen Krieg und Hunger herrschen.
Tatsächlich habe ich mir die Warum-ich-Frage zum ersten Mal in voller Eindringlich-keit vor zehn Jahren gestellt. Es war nichtGlück, sondern unsägliche Trauer, Hilflosig-keit und Wut, die mich zu der Warum-Fragebewegten. Unser Sohn Willi wurde mit demDown-Syndrom geboren. Wir konnten dasnach einem ersten Schock gut annehmen –seine Haut war so zart, sein kleiner Körperauf unserer Brust das schönste Gefühl derWelt, und immer, wenn er nieste, machte erein kleines süßes Geräusch, das für uns dasSchönste war, was wir jemals gehört hatten.Ich erinnere mich, wie mein Mann und ichauf Willi blickten und wir uns ganz sicherwaren, dass alles gut werden würde, wenn unsdieses kleine Geräusch unseres Kindes soglücklich machen konnte!
Aber dann erfuhren wir, dass er ge-lähmte Stimmbänder hatte, und man mussteunserem Baby einen Luftröhrenschnitt ma-chen – es atmete von da an durch ein Lochim Hals und war stumm. Und als wir nachschweren Monaten auch damit zu lebenlernten, bekam unser Willi eine Epilepsie, diedas Lächeln aus seinem Gesicht löschte und
Als unsere Tochter Olivia vier Jahre alt war, beschäftigte sie das Wunder ihrer Existenz sehr, und sie stellte mir philosophische Fragen: «Wo waren
wir, bevor wir geboren wurden?» Und: «Warum sind wir eigentlich genau der Mensch, der wir sind?» Einmal saß sie wieder lange und träumend
auf der Toilette, schaute dann aufmerksam um sich und fragte: «Mama, warum sind wir gerade HIER auf der Erde und nicht irgendwo anders?»
Was für eine gute Frage.
08_09_atempo_02_2018.qxp_a tempo 2016neu 07.12.17 16:17 Seite 1
Birte Müller wurde in Hamburg geboren, studierte Buchillustration und Malerei und arbeitet als Bilderbuchillustratorin,
Autorin und Kolumnistin: www.illuland.de
wird niemals gehen, sprechen oder uns wie-der anlächeln können, wenn das nicht end-lich aufhört. Ich habe solche Angst.»
Heute weiß ich, dass ich damals garnicht alleine war. Um mich herum warenMenschen, die meinen Schmerz kannten.Menschen, die selbst schwer krank sind oderwaren. Menschen, die ihre Eltern, Ge-schwister oder ihr Kind verloren haben.Menschen, deren Heimat zerstört ist, undMenschen, die mit Depressionen leben undnicht mal einen äußeren Anlass für ihreTrauer vorweisen können. Und Menschen,die die Gabe haben, mit anderen mitzufüh-len, einfach so.
Willi ist in der Lage, mir einen Blick ausden Herzen dieser Menschen zu schenken. –Und Willi berührt andere Menschen, auchim wörtlichen Sinn. Ich habe eine Freundin,die seit vielen Jahren allein lebt. Sie erzähltemir, dass Zeit mit Willi für sie ganz besonderssei, denn sie werde so selten von anderenMenschen berührt. Und dann wird mir klar,wie viel Menschlichkeit so ein Kind in dieWelt bringt, an dem doch so vieles medizi-nisch gesehen gar nicht «richtig» funktio-niert. Willi, ein Mensch mit den genetischenEigenschaften, die auf der Liste der «aus -zusortierenden Menschen» steht: Er sollfalsch sein, so wie er ist? Er, der uns beibringt, was bedingungslose Liebe bedeutet, der
Menschen zueinander bringt in einer Gesell-schaft, die doch Liebe und Nähe so dringendbenötigt, um gesund und glücklich zu blei-ben oder zu werden?
Neulich hat Willis kleine SchwesterOlivia mir die Frage gestellt: «Warum istmein Bruder behindert?» Eigentlich halte iches für einen bloßen Zufall – aber vielleichtist der Grund doch, weil wir ihn lieben, sowie er ist, auch wenn er noch so anstrengendsein kann.
Ich würde nicht zurückgehen wollen,in meine Vor-Willi-Zeit. Und um keinenPreis möchte ich in einer Ohne-Willi-Zeitleben müssen, in der man sich dafür entschie-den hat, behindertes Leben vorgeburtlich zuvernichten. Auf die grauenhafte Idee, dassman auf behinderte Menschen verzichtenkönnte – oder wir auf Willi –, ist Olivia abernie gekommen. Einmal habe ich nach einemSo-etwas-muss-doch-heute-nicht-mehr-sein-Vorfall vorsichtig versucht, Olivia zu er-klären, dass manche Menschen meinen, mansolle behinderte Babys im Mutterleib töten.Auf Olivias fassungslose Frage, warum dasjemand tun sollte, konnte ich ihr auch nichtantworten. – Und warum gerade ich so vielGlück habe, genau hier und jetzt leben zu dürfen mit genau meiner wunderbaren Familie? Ich weiß es ebenfalls nicht, aber ichbin dafür sehr dankbar! �
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Birte Müller: Willis Welt. Der nicht mehr ganz normale Wahnsinn.Mit farbigen Bildern von Birte Müller.228 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag€ 19,90 (D) | ISBN 978-3-7725-2608-4
Birte Müller: Wo ein Willi ist, ist auch ein WegMit farbigen Bildern von Birte Müller.247 Seiten, gebunden mit SU€ 19,90 (D) | ISBN 978-3-7725-2788-3
Beide Bücher als eBook erhältlichwww.geistesleben.com
Birte Müller erzählt vom Familienalltagmit ihren beiden Kindern (eines mitDown-Syndrom und eines mit Normal-Syndrom): von Freud und Leid, von nervigen Kommentaren und wunder-vollen Begegnungen und von den Selbstzweifeln einer Mutter. Mit viel Witz und Selbstironie sind ihr zwei Bücher gelungen, die eine Liebeserklärung an ihre Tochter Olivia und ihren Sohn Willisind – ja, an das Leben selbst sind.
Birte Müller
Wo ein Willi ist, ist auch ein Weg
08_09_atempo_02_2018.qxp_a tempo 2016neu 07.12.17 16:17 Seite 2
februar | 2018
Freies GeisteslebenUrachhaus
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SIMIN TANDER Singen ist ein heiliger Ort
32_01_atempo_02_2018.qxp_01_40.QXD 22.12.17 15:58 Seite 2
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Das Lebensmagazin
33
1 / 1 ( 222 x 297 mm )+ 5 mm Beschnitt umlaufend
E 3.980,–*
1 / 3 (68x 297 mm )+ 5 mm Beschnitt umlaufend
E 1.400,–*
U 3 ( 222 x 297 mm )+ 5 mm Beschnitt umlaufend
E 4.200,–*
U 4 ( 222 x 297 mm )+ 5 mm Beschnitt umlaufend
E 4.800,–*
Anzeigen im redaktionellen Teil – Formate und Preise
Anzeigenteil «suchen & finden» – Formate und Preise
10 / 15130 x 250 mm
9 / 15199 x 148 mm
8 / 15130 x 200 mm
6 / 15 hoch130 x 148 mm
6 / 15 quer199 x 98 mm
5 / 1563 x 250 mm
2 / 15 hoch63 x 98 mm
4 / 15 hoch63 x 200 mm
2 / 15 quer130 x 46 mm
4 / 15 quer130 x 98 mm
1 / 1563 x 46 mm
3 / 15 hoch63 x 148 mm
3 / 15 quer199 x 46 mm
* alle Preise netto, zzgl. gesetzl. MwSt.
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10 / 15
9 / 15
8 / 15
6 / 15
5 / 15
4 / 15
3 / 15
2 / 15
1 / 15
E 1.720,–*
E 1.580,–*
E 1.420,–*
E 1.080,–*
E 920,–*
E 780,–*
E 580,–*
E 400,–*
E 220,–*
Format Preis
Mediadaten Nr. 17 gültig ab 01. Januar 2018
Das Lebensmagazin
44
Kosten (Gesamtauflage)pro 1000 Stück: E 90,– (inkl. Portomehrkosten, zzgl. MwSt.) bei einem Gewicht bis 25 g E 120,– (inkl. Portomehrkosten, zzgl. MwSt.) bei einem Gewicht bis 50 g
Kosten (Teilauflage)pro 1000 Stück: E 100,– (inkl. Portomehrkosten, zzgl. MwSt.) bei einem Gewicht bis 25 g E 130,– (inkl. Portomehrkosten, zzgl. MwSt.) bei einem Gewicht bis 50 g
Einzelheiten, Mindestmengen und Termine bitte beim Verlag erfragen.
E 16,– | Zeile (ca. 40 Zeichen)Chiffregebühr E 6,–(zzgl. MwSt.)
Kleinanzeigen können online unter www.a-tempo.de aufgegeben werdenoder per E-Mail an: [email protected]
Zahlungsmöglichkeiten• per Einzugsermächtigung• per Überweisung
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Das Lebensmagazin
55
Auflage: Druckauflage: 60.000 Exemplare
vertriebene Auflage: 59.000
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Erscheinungsweise: monatlich, zum Ende des Vormonats
Anzeigenschluss: 1. des Vormonats
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Möglichkeiten berücksichtigt
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offene Dateien aus: Mac/QuarkXpress, Mac/InDesign oder Mac/PageMaker;
Bilddateien als TIFF-, JPEG-, PDF- oder EPS-Dateien im SW- oder CMYK-Modus
für 60er-Raster
Satz: Der Satz für Textanzeigen im Anzeigenteil (Stellenangebote, Stellengesuche etc.)
kann zu einer Pauschale von E 16,– übernommen werden.
Textvorlage per E-Mail, Fax oder als Word-Dokument
(rtf-Format ohne eingebundene Logos, Grafiken etc.)
reprofähige Vorlage Ihres Logos (unbedingt separat als TIFF-, JPEG-, PDF- oder
EPS-Dateien im SW- oder CMYK-Modus für 60er-Raster, 300 dpi)
Probeabzüge werden nur auf ausdrücklichen Wunsch zugesandt
Rabatte: 3 – 5 Schaltungen 5 %
6 – 10 Schaltungen 10 %
11 – 12 Schaltungen 20 %
(Nachlässe gelten nur für gestaltete gewerbliche Anzeigen)
Stornogebühren: 20 % des Nettoanzeigentarifs nach Anzeigenschluss
Für Mängel, die entstehen, weil die von Ihnen gelieferten Druckunterlagen bereits
Fehler aufweisen oder nicht den Angaben in unseren Mediadaten entsprechen,
gewährt der Verlag keine Reklamationsansprüche.
Allgemeine und technische Daten
Mediadaten Nr. 17 gültig ab 01. Januar 2018
Das Lebensmagazin
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Herausgeber
Jean-Claude Lin
für die Verlage
Freies Geistesleben und Urachhaus
Landhausstraße 82
70190 Stuttgart
www.geistesleben.com
www.urachhaus.com
Redaktion
Maria A. Kafitz | Jean-Claude Lin
Landhausstraße 82
70190 Stuttgart
www.a-tempo.de
Ansprechpartner
Anzeigenservice
Christiane Woltmann
Telefon 07 11 – 2 85 32 34 | Fax 07 11 – 2 85 32 11
Satz und technische Details
Maria A. Kafitz
Telefon 07 11 – 2 85 32 20 | Fax 07 11 – 2 85 32 10
im gespräch
GERALD HÄFNER Brücken bauen: DeutschlandsAufgabe in Europa
DIE GEBURT DER KUNST
januar | 2018
Freies GeisteslebenUrachhaus
zum mitnehmenE 51125nr. 217
Das Lebensmagazin
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