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885 DVBl 15. Juli 2012 Stuttgart 21: Empfehlen sich Änderungen des Bau-, Fachplanungs- und Immissionsschutzrechts? – Beschlüsse des Arbeitskreises VIIII des 4. Deutschen Baugerichtstags 2012 – von Rechtsanwalt und Notar Prof. Dr. Bernhard Stüer, Richter am BGH-Senat für Anwaltssachen, Münster/Osnabrück* »Stuttgart 21« ist eine Zäsur in der Geschichte der Planfest- stellung und mahnt dazu, das gewohnte und in die Jahre ge- kommene Planfeststellungsverfahren zu überdenken, wurden die Proteste um das Bahnprojekt kommentiert. Auch andere Großprojekte wie Einkaufszentren, Energietrassen, große Windparks, Autobahnen, Flughäfen, Braunkohlentagebau, Kraftwerke oder andere Industrieprojekte stehen stärker als bisher im Blickpunkt eines kontroversen öffentlichen Interes- ses. Zugleich werden die Planungsprozesse durch steigende Anforderungen vor allem an den Umwelt- und Naturschutz aus dem europäischen und deutschen Recht komplizierter. Auch die durch den Gesetzgeber eingeleitete Energiewende stellt an die Planungsprozesse neue Anforderungen. In der Öffentlichkeit entsteht zudem der Eindruck, dass die eigent- lichen Planungsentscheidungen bereits gefallen sind, bevor die förmlichen Verfahren eröffnet werden. Oft sind die Pla- nungsprozesse auch durch Entscheidungen auf höherer Ebene vorgeprägt, ohne dass hier effektive Beteiligungsrechte beste- hen. Es stellt sich daher die Frage, ob das Planungsrecht nicht ent- sprechend umgebaut und die Beteiligungsrechte der Öffent- lichkeit gestärkt werden sollen. Auch könnte das Rechts- schutzsystem angereichert werden. Das Bauplanungsrecht enthält bereits in der vorgezogenen und förmlichen Öffent- lichkeitsbeteiligung ein zweigestuftes Verfahren. Im Fachpla- nungs- und Immissionsschutzrecht ist nur eine Öffentlich- keits- und Behördenbeteiligung vorgesehen, die durch einen Erörterungstermin ergänzt wird. Die bisherigen Planungsver- fahren könnten durch neue Elemente der Beteiligung, insbe- sondere auch durch die Nutzung neuer Informationstechno- logien über das Internet, angereichert werden. Auch in den vorgelagerten Verfahren könnten die Informationen der Öf- fentlichkeit und deren Beteiligungsrechte gestärkt werden. Dabei ist auch zu überlegen, ob stärker als bisher plebiszitäre Elemente in den Planungsprozess eingebracht oder auch Me- diationsverfahren genutzt werden können. Zugleich muss al- lerdings auch die notwendige Investitionssicherheit für eine zeitnahe Projektverwirklichung gewährleistet und damit der Standort Deutschland gesichert werden. Diesem Spannungs- feld von Recht und Politik hat sich der Arbeitskreis VIII des 4. Deutschen Baugerichtstags in der Zeit vom 11. bis 12.05.2012 gewidmet und zugleich Vorschläge für den Ge- setzgeber und vor allem für die Verwaltungspraxis entwickelt. Die Beratungen sind zu folgenden Ergebnissen gekommen: 1. Selbstverwaltung und Bürgerbeteiligung Bürgerbeteiligung ist Grundlage und gelebte Praxis kommu- naler Selbstverantwortung. Eine umfassende und qualitätvol- le Beteiligung der Bürger wird immer mehr zum Schlüssel für die Realisierbarkeit von Infrastrukturmaßnahmen wie die Energiewende. Bürgerengagement und Bürgerbeteiligung be- dingen jedoch gerade in den Kommunen, dass diese einen sachlichen und auch finanziellen Gestaltungsspielraum ha- ben. Eine verstärkte Bürgerbeteiligung in Planungsverfahren muss die repräsentative Demokratie, die sich auf der Grund- lage des Grundgesetzes in über 60 Jahren bewährt hat, stärken und durch eine frühe, umfassende sowie nachhaltige Partizi- pation der Bürger mit Leben erfüllen. Gründe: Die Herausforderungen in den Kommunen können nur gemeinsam mit den Bürgern bewältigt werden. Eine Stadt- entwicklung, die an den Menschen vorbeiplant und deren Mei- nungen und deren Wissen nicht einbezieht, wie etwa nicht sel- ten beim Stadtumbau, findet nicht die Akzeptanz der Bürger. Grundvoraussetzung für ein breites Bürgerengagement und eine Bürgerbeteiligung ist, dass die Kommunen einen (finan- ziellen) Gestaltungsspielraum haben und nicht auf ihre Pflicht- aufgaben reduziert werden. 2. Bauleitplanung Die BauGB-Normen mit einer zweistufigen und frühzeitigen Bürgerbeteiligung sind grundsätzlich ausreichend. Vorgaben, wie die frühzeitige Beteiligung gestaltet werden sollte, führen zu Einengungen und sind nicht erforderlich. Eine – auch ge- setzliche – Stärkung der Mediationsverfahren oder die Ein- bindung eines Projektmanagers kann den Interessenausgleich verbessern, zeitintensive Gerichtsverfahren vermeiden und damit Kosten senken helfen. Gründe: Das BauGB ist Vorreiter einer modernen zweistufi- gen und frühen Bürgerbeteiligung. Zwar kann die Gemeinde schon heute Dritte mit der Durchführung beauftragen (§ 4b BauGB). Dennoch sollte die Mediation rechtlich und tat- sächlich mit dem Ziel, die Interessen aller Parteien besser zu wahren und kostenintensive Gerichtsverfahren zu vermeiden, gestärkt werden. Die Art der Gestaltung der Bürgerbeteili- gung muss frei sein. 3. Umweltprüfung Die bestehenden Regelungen zur Öffentlichkeitsbeteiligung im Rahmen der Strategischen Umweltprüfung und die Ab- sicht des Gesetzgebers, auch für Großvorhaben eine frühzei- tige Beteiligung durch den (öffentlichen) Vorhabenträger vor- zusehen (§ 25 Abs. 3 VwVfG), gehen in diese Richtung. Die Wirkungen solcher zusätzlicher Beteiligungsformen können allerdings nicht alle Probleme lösen. Berichte * An der Vorbereitung und Durchführung des Arbeitskreises, der am 11. und 12.05.2012 im Kurhaus Bad Hamm tagte, haben mitgewirkt: Prof. Dr. Michael Krautzberger, Ministerialdirektor a.D. Bonn/Berlin und Prof. Dr. Bernhard Stüer, Münster/Osnabrück als Arbeitskreisleiter, Prof. Dr. Dr. Wolfgang Durner, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, Dr. Stephan Gatz, Richter am Bundesverwaltungsgericht, Leipzig, Norbert Portz, Beigeordneter beim Deutschen Städte- und Gemeindebund, Bonn, Prof. Dr. Michael Quaas, Rechtsanwalt, Stuttgart und Dr. Alexander Schink, Rechtsanwalt, Bonn, als Referenten. Die Beschlüsse sind mit Gründen versehen. Zu den Zusätzen ergab sich jeweils ein etwa hälftig geteiltes Meinungsbild.

2012 14 report 1. - T-Online · DVBl15.Juli2012 885 Stuttgart21:EmpfehlensichÄnderungendesBau-, Fachplanungs-undImmissionsschutzrechts? –BeschlüssedesArbeitskreisesVIIIIdes4

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Page 1: 2012 14 report 1. - T-Online · DVBl15.Juli2012 885 Stuttgart21:EmpfehlensichÄnderungendesBau-, Fachplanungs-undImmissionsschutzrechts? –BeschlüssedesArbeitskreisesVIIIIdes4

885DVBl 15. Juli 2012

Stuttgart 21: Empfehlen sich Änderungen des Bau-,Fachplanungs- und Immissionsschutzrechts?– Beschlüsse des Arbeitskreises VIIII des 4. Deutschen Baugerichtstags 2012 –von Rechtsanwalt und Notar Prof. Dr. Bernhard Stüer, Richter am BGH-Senat für Anwaltssachen,Münster/Osnabrück*

»Stuttgart 21« ist eine Zäsur in der Geschichte der Planfest-stellung und mahnt dazu, das gewohnte und in die Jahre ge-kommene Planfeststellungsverfahren zu überdenken, wurdendie Proteste um das Bahnprojekt kommentiert. Auch andereGroßprojekte wie Einkaufszentren, Energietrassen, großeWindparks, Autobahnen, Flughäfen, Braunkohlentagebau,Kraftwerke oder andere Industrieprojekte stehen stärker alsbisher im Blickpunkt eines kontroversen öffentlichen Interes-ses. Zugleich werden die Planungsprozesse durch steigendeAnforderungen vor allem an den Umwelt- und Naturschutzaus dem europäischen und deutschen Recht komplizierter.Auch die durch den Gesetzgeber eingeleitete Energiewendestellt an die Planungsprozesse neue Anforderungen. In derÖffentlichkeit entsteht zudem der Eindruck, dass die eigent-lichen Planungsentscheidungen bereits gefallen sind, bevordie förmlichen Verfahren eröffnet werden. Oft sind die Pla-nungsprozesse auch durch Entscheidungen auf höherer Ebenevorgeprägt, ohne dass hier effektive Beteiligungsrechte beste-hen.

Es stellt sich daher die Frage, ob das Planungsrecht nicht ent-sprechend umgebaut und die Beteiligungsrechte der Öffent-lichkeit gestärkt werden sollen. Auch könnte das Rechts-schutzsystem angereichert werden. Das Bauplanungsrechtenthält bereits in der vorgezogenen und förmlichen Öffent-lichkeitsbeteiligung ein zweigestuftes Verfahren. Im Fachpla-nungs- und Immissionsschutzrecht ist nur eine Öffentlich-keits- und Behördenbeteiligung vorgesehen, die durch einenErörterungstermin ergänzt wird. Die bisherigen Planungsver-fahren könnten durch neue Elemente der Beteiligung, insbe-sondere auch durch die Nutzung neuer Informationstechno-logien über das Internet, angereichert werden. Auch in denvorgelagerten Verfahren könnten die Informationen der Öf-fentlichkeit und deren Beteiligungsrechte gestärkt werden.Dabei ist auch zu überlegen, ob stärker als bisher plebiszitäreElemente in den Planungsprozess eingebracht oder auch Me-diationsverfahren genutzt werden können. Zugleich muss al-lerdings auch die notwendige Investitionssicherheit für einezeitnahe Projektverwirklichung gewährleistet und damit derStandort Deutschland gesichert werden. Diesem Spannungs-feld von Recht und Politik hat sich der Arbeitskreis VIII des4. Deutschen Baugerichtstags in der Zeit vom 11. bis12.05.2012 gewidmet und zugleich Vorschläge für den Ge-setzgeber und vor allem für die Verwaltungspraxis entwickelt.Die Beratungen sind zu folgenden Ergebnissen gekommen:

1. Selbstverwaltung und BürgerbeteiligungBürgerbeteiligung ist Grundlage und gelebte Praxis kommu-naler Selbstverantwortung. Eine umfassende und qualitätvol-le Beteiligung der Bürger wird immer mehr zum Schlüssel fürdie Realisierbarkeit von Infrastrukturmaßnahmen wie dieEnergiewende. Bürgerengagement und Bürgerbeteiligung be-dingen jedoch gerade in den Kommunen, dass diese einensachlichen und auch finanziellen Gestaltungsspielraum ha-

ben. Eine verstärkte Bürgerbeteiligung in Planungsverfahrenmuss die repräsentative Demokratie, die sich auf der Grund-lage des Grundgesetzes in über 60 Jahren bewährt hat, stärkenund durch eine frühe, umfassende sowie nachhaltige Partizi-pation der Bürger mit Leben erfüllen.

Gründe: Die Herausforderungen in den Kommunen könnennur gemeinsam mit den Bürgern bewältigt werden. Eine Stadt-entwicklung, die an denMenschen vorbeiplantundderen Mei-nungen und deren Wissen nicht einbezieht, wie etwa nicht sel-ten beim Stadtumbau, findet nicht die Akzeptanz der Bürger.Grundvoraussetzung für ein breites Bürgerengagement undeine Bürgerbeteiligung ist, dass die Kommunen einen (finan-ziellen) Gestaltungsspielraum haben und nicht auf ihre Pflicht-aufgaben reduziert werden.

2. BauleitplanungDie BauGB-Normen mit einer zweistufigen und frühzeitigenBürgerbeteiligung sind grundsätzlich ausreichend. Vorgaben,wie die frühzeitige Beteiligung gestaltet werden sollte, führenzu Einengungen und sind nicht erforderlich. Eine – auch ge-setzliche – Stärkung der Mediationsverfahren oder die Ein-bindung eines Projektmanagers kann den Interessenausgleichverbessern, zeitintensive Gerichtsverfahren vermeiden unddamit Kosten senken helfen.

Gründe: Das BauGB ist Vorreiter einer modernen zweistufi-gen und frühen Bürgerbeteiligung. Zwar kann die Gemeindeschon heute Dritte mit der Durchführung beauftragen (§ 4bBauGB). Dennoch sollte die Mediation rechtlich und tat-sächlich mit dem Ziel, die Interessen aller Parteien besser zuwahren und kostenintensive Gerichtsverfahren zu vermeiden,gestärkt werden. Die Art der Gestaltung der Bürgerbeteili-gung muss frei sein.

3. UmweltprüfungDie bestehenden Regelungen zur Öffentlichkeitsbeteiligungim Rahmen der Strategischen Umweltprüfung und die Ab-sicht des Gesetzgebers, auch für Großvorhaben eine frühzei-tige Beteiligung durch den (öffentlichen) Vorhabenträger vor-zusehen (§ 25 Abs. 3 VwVfG), gehen in diese Richtung. DieWirkungen solcher zusätzlicher Beteiligungsformen könnenallerdings nicht alle Probleme lösen.

Berichte

* An der Vorbereitung und Durchführung des Arbeitskreises, der am 11. und12.05.2012 im Kurhaus Bad Hamm tagte, haben mitgewirkt: Prof. Dr. MichaelKrautzberger, Ministerialdirektor a.D. Bonn/Berlin und Prof. Dr. BernhardStüer, Münster/Osnabrück als Arbeitskreisleiter, Prof. Dr. Dr. WolfgangDurner, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, Dr. Stephan Gatz,Richter am Bundesverwaltungsgericht, Leipzig, Norbert Portz, Beigeordneterbeim Deutschen Städte- und Gemeindebund, Bonn, Prof. Dr. Michael Quaas,Rechtsanwalt, Stuttgart und Dr. Alexander Schink, Rechtsanwalt, Bonn, alsReferenten. Die Beschlüsse sind mit Gründen versehen. Zu den Zusätzen ergabsich jeweils ein etwa hälftig geteiltes Meinungsbild.

WK/DVBl, Ausgabe 14/2012 #5868 25.06.2012, 12:52 Uhr – hzo –S:/3d/heymann/zeitschriften/DVBl/2012_14/2012_14.3d [S. 885/936] 1

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Zusatz: Die frühzeitige Beteiligung soll für öffentliche Vorha-benträger verpflichtend sein.

Gründe: Planfeststellungsverfahren und andere Zulassungs-vorhaben für Großvorhaben (wie Energiewirtschaftstrassenoder Flughäfen etc.) bedingen eine frühzeitige Bürgerbeteili-gung in einem Stadium, in dem noch ein Verzicht auf dasVorhaben (Nullvariante) sowie Alternativen möglich sind.Dies vermeidet Fehlplanungen und unnötige Kosten.

4. Bringschuld der VerwaltungEs ist vor allem Aufgabe der kommunalen Praxis und der Trä-ger UVP-pflichtiger Vorhaben, die Beteiligungsverfahren at-traktiv zu gestalten. Da die überwältigende Mehrheit derÖffentlichkeit keine oder wenig Kenntnis von komplexenPlanungsverfahren hat, liegt hier eine Bringschuld der pla-nenden Verwaltung. Eine Beteiligung über »Schwarze Bret-ter« oder Amtsblätter reicht nicht aus. Vielmehr sind auchunmittelbare Beteiligungsformen einschließlich der elektro-nischen Kommunikation über das Internet zu nutzen.

Gründe: Gerade für frühzeitige Grundlagenbeteiligungen isteine klare Regelung für die Zuordnung der entstehenden Kos-ten nötig.

5. Kommunikation mit dem BürgerDie Öffentlichkeitsbeteiligung muss anschaulich, transparentund unmittelbar (zusammenfassende Erklärung) sowohl aufder Planungs- als auch der Zulassungsebene gestaltet werden.Zugleich ist die Kommunikation mit dem Bürger zu verbes-sern und durch ein professionalisiertes Verfahrensmanage-ment zu begleiten. Dazu kann auch eine stärkere Einbezie-hung Externer sinnvoll sein. Gesetzliche Regelungen sindhierfür überwiegend nicht erforderlich; sie sollten sich in je-dem Fall auf das »Ob« der Kommunikation beschränken,Zeitpunkt und Ausgestaltung jedoch den Beteiligten überlas-sen.

Gründe: Eine transparente und anschauliche Darstellung dergeplanten Projekte durch »zusammenfassende Erklärungen«,verbunden mit dem Vorziehen des Baugenehmigungszeit-punktes (»virtueller Bagger«), muss auf der Planungs- undder Zulassungsebene erfolgen. Hierzu gehört eine unmittel-bare Unterrichtung der Betroffenen. Möglichkeiten zur Erör-terung im Internet, Zukunftswerkstätten, Modellpräsentatio-nen oder vielleicht auch durch soziale Netzwerke können zurVerbesserung der Planung beitragen und sollten genutzt wer-den. Die konkrete Durchführung hängt von der Zielgruppe,dem Aufwand und der Aufgabe ab. Die elektronische(Schrift-) Kommunikation sollte mit Präsenzbeteiligungen(Kommunikationsmix) kombiniert werden.

6. Politischer InteressenausgleichInsbesondere bei Großvorhaben müssen mit dem Ziel derStärkung von Allgemeinwohlbelangen vermehrt die »leisenBürger«, speziell jene, die sich nicht nur wegen der unmittel-baren Betroffenheit und damit häufig ablehnend zu einemProjekt äußern, frühzeitig eingebunden werden. Die erforder-liche gesamtgesellschaftliche Zustimmung für Großvorhabenkann nur durch die Politik geschaffen und erhalten werden.

Gründe: Die eigene Betroffenheit und die Angst vor Ver-schlechterungen des unmittelbaren Lebensumfelds sind nicht

selten maßgebliche Gründe für Proteste gegen Großprojekte.Durch eine Aktivierung der »leisen Bürger« können verstärktAllgemeinwohlbelange in Planungsprozesse eingebracht wer-den. Hier sind Bürgergutachten als ein Votum für die Verwal-tung und die Politik oder die Auswahl der Bürger nach demZufallsprinzip ein gangbarer Weg. Insofern bieten sich geradeBeteiligungsverfahren an, in denen ein Planungsteam unterEinbeziehung von Bürgern, Vertretern wichtiger gesellschaft-licher Gruppen, Vereinen, Entscheidungsträgern sowie Fach-experten gemeinsam nach der besten Lösung suchen. Zu-gleich erhalten hierdurch die Planungsträger sowie Investorenbessere Kenntnisse über die Akzeptanz der Planung und derenrechtliche Risiken.

7. Vereinfachung des PlanungsrechtsEine materielle Entschlackung des geltenden Rechts kannPlanungsprozesse unter Wahrung der betroffenen Belange be-schleunigen.

Zusatz: Angesichts der erheblichen Kosten umfassender undinsbesondere früher Öffentlichkeitsbeteiligungen empfehlensich klare Regelungen zur Finanzierung und Übertragbarkeitdieser Kosten sowie Ausgleichszahlungen für die Betroffenen.

Gründe: Eine Entschlackung des materiellen Rechts und derhierdurch bewirkten Anforderungen bzw. der Umsetzung wiebeispielsweise der Prüfung von Artenschutz und geforderteGutachten kann zur Beschleunigung des Planungsprozessesbeitragen. Dies bedingt u.a., dass EU-Vorgaben, speziell imUmweltbereich, nicht über das EU-Recht hinaus in das na-tionale Recht umgesetzt werden.

Zusatz: Auch sollten Ausgleichszahlungen bei großen Infra-strukturprojekten durch die Vorhabenträger zugunsten derunmittelbar betroffenen Kommunen und der Bürger erfol-gen. Kommunen und Bürgern ist nicht zu vermitteln, warumsie etwa ihre Landschaft durch Stromtrassen und vergleich-bare Infrastruktureinrichtungen beeinträchtigen lassen sol-len, ohne dass ein entsprechender Ausgleich gewährt wird.

8. Verkürzung der PlanungsprozessePlanungsprozesse insbesondere für Großprojekte könntendurch eine Stärkung der informellen Verfahren sowie durchVerfallsdaten beschleunigt werden. Dabei sollten die Anfor-derungen der Gerichte an die Planungsträger und die von denPlanungsträgern vorzunehmende Gesamtabwägung der ver-schiedenen öffentlichen und privaten Belange unter Wahrungder richterlichen Unabhängigkeit nicht überzogen werden.

Gründe: Jahrzehntelange Planungsprozesse bei Großprojek-ten sind nicht akzeptanzfördernd. Sie stellen die Projekte inihren Grundlagen in Frage. Bei Stärkung der informellen Be-teiligungsverfahren durch Abschichtung könnten die formel-len Planungsverfahren mit dem Ziel der Verkürzung be-schleunigt werden. Für Großprojekte, bei denen die Unan-fechtbarkeit des Plans gegeben ist, könnten zudem angemes-sene Verfallszeiträume für die Umsetzung des Plans durch denProjektträger zur Beschleunigung führen.

9. MediationMediation in Zulassungsverfahren ist kein Allheilmittel. Ein-gesetzt werden sollte sie begleitend vor der Zulassungsent-scheidung, und zwar in der Regel vor Stellung des Zulas-

Berichte Stüer · Empfehlen sich Änderungen des Bau-, Fachplanungs- und Immissionsschutzrechts?

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WK/DVBl, Ausgabe 14/2012 #5868 25.06.2012, 12:52 Uhr – hzo –S:/3d/heymann/zeitschriften/DVBl/2012_14/2012_14.3d [S. 886/936] 1

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sungsantrages. Dann bietet die Mediation die Chance dermitgestaltenden Einflussnahme der Öffentlichkeit.

Zusatz: Die Ergebnisse können allerdings nicht verbindlichsein, denn dies würde jedenfalls in der Planfeststellung eineunzulässige Vorwegbindung der Planfeststellungsbehörde be-deuten. Hier können die Ergebnisse der Mediation nur überden Zulassungsantrag in die Entscheidung eingehen.

Gründe: Die Öffentlichkeitsbeteiligung sollte bei öffentli-chen Infrastrukturvorhaben zu einer (auch) mitgestaltendenBeteiligung fortentwickelt werden. Im Rahmen einer frühzei-tigen Beteiligung sollte die Möglichkeit zu einer inhaltlichenÄnderung des Vorhabens eröffnet werden. Diese Beteiligungsollte zu einem Zeitpunkt erfolgen, zu dem eine Einfluss-nahme auf das Projekt noch möglich ist.

10. Städtebaulicher VertragDer Abschluss städtebaulicher Verträge ist für die Planungund Verwirklichung vor allem von städtebaulichen und sons-tigen infrastrukturellen Großvorhaben ein in der planungs-und baurechtlichen Praxis sehr wichtiges Gestaltungsmittel.

Gründe: Im Vergleich zum hoheitlichen Planungs- und Plan-feststellungsverfahren sind städtebauliche Verträge eher geeig-net, politische Kompromisslösungen und flexible Regularienin der Gestaltung eines zu Beginn des Planungsprozesses nochoffenen Projekts zu erreichen. Städtebauliche Verträge kön-nen erheblich zum Rechtsfrieden und zur Akzeptanz des je-weiligen vertraglich vereinbarten Vorhabens beitragen.

11. Öffentlichkeitsbeteiligung und Vertrags-gestaltungStädtebauliche Verträge müssen von einer Öffentlichkeitsbe-teiligung begleitet sein, mit der sie in einem prozeduralen Aus-tauschverhältnis stehen. Sie sind soweit wie möglich offen zulegen. Anpassungs-, Risiko-, Wertsicherungs(verzinsungs-) so-wie Rücksichts- und Kündigungsklauseln sollten im Sinneeiner »Crash-Vorsorge« eingebunden werden und ggf. durchSchiedsvereinbarungen sowie einen wechselseitigen Verzicht

auf Ersatzansprüche bei fehlgeschlagenen Vorhaben begleitetwerden.

Zusatz: Dies soll nur geschehen, soweit die städtebaulichenVerträge abwägungsrelevante Elemente enthalten.

Gründe: Bei der inhaltlichen Gestaltung von städtebaulichenVerträgen und dem Zeitpunkt ihres Wirksamwerdens ist aufden Planungsprozess und die Interessen der von der PlanungBetroffenen Rücksicht zu nehmen. Mit dem Abschluss städ-tebaulicher Verträge werden häufig vollendete Tatsachen ge-schaffen, die sich sowohl für die Planung und den Planungs-verlauf als auch für die spätere Realisierung des Vorhabens alsErschwernis oder sogar als Hinderungsgrund erweisen kön-nen.

12. VolksabstimmungenDurch Volksabstimmungen können z.B. Bauleitplanungs-verfahren eingeleitet oder eingestellt werden. Auch könnenEmpfehlungen abgegeben werden. Bindende Vorgaben fürdie Abwägungsentscheidung oder gar die Abwägung selbstsind rechtlich nicht möglich.

Gründe: Im Gegensatz zu vielen anderen europäischen Staa-ten sieht das deutsche Baurecht keine Beteiligung im Bauge-nehmigungsverfahren vor. Umso mehr ist die Partizipationauf der Ebene der Vorbereitung von Planungen effizient aus-zugestalten.

13. Alltagshandeln gefragtEine stärkere Beteiligung der Öffentlichkeit ist nicht nur fürdie Umsetzung von Großprojekten unverzichtbar. Auch inden täglichen Planungsprozessen vor Ort ist eine Stärkungder Partizipation wichtig. Dabei sind keine großen gesetz-geberischen Leitentscheidungen erforderlich. Vielmehr istein Handeln im Alltag der planenden Verwaltung, der Inves-toren und der Politik geboten, die hier wichtige Aufgaben inder Bündelung und im Ausgleich unterschiedlicher Interessenwahrnehmen müssen. Bei der Beteiligung selbst ist auch unterNutzung neuer Kommunikationsmittel durchaus Vielfaltund Ideenreichtum statt Uniformität gefragt.

4. Speyerer Tage zu kommunalen Infrastrukturen –Kommunales Straßennetz: Planung, Nutzung, Unterhaltungvon Wiss. Mit. Olivia Seifert, Speyer

Unter dem Titel »Kommunales Straßennetz: Planung, Nut-zung, Unterhaltung« fanden am 8./09.03.2012 bereits zumvierten Mal die »Speyerer Tage zu kommunalen Infrastruk-turen« unter der wissenschaftlichen Leitung von Prof. Dr.Ulrich Stelkens statt. Ziel der Tagungsreihe ist es, für Fragender infrastrukturfördernden und infrastrukturgestaltendenTätigkeit der Kommunen ein Diskussionsforum vornehm-lich zu aktuellen rechtlichen Problemen zu bilden. Gegen-stand der diesjährigen Tagung war der Rechtsrahmen für diePlanung, Nutzung und Unterhaltung des kommunalen Stra-ßennetzes unter besonderer Berücksichtigung überschuldeterKommunalhaushalte und wachsender Ansprüche der Stra-ßennutzer.

1. Kommunale StraßenplanungEröffnet wurde die Veranstaltung von Dr. Andreas Geiger(Rechtsanwalt, München) mit seinem Vortrag über die »For-men kommunaler Straßenplanung«. Im Vordergrund stan-den ausschließlich Planungsrechtsfragen und besonders dieFrage, wie sich im Wege positiver kommunaler Straßenpla-nung Spannungen zur Verkehrswegeplanung anderer Trägerlösen lassen. In einem ersten Teil befasste sich der Referentmit den einzelnen Straßenklassen, den maßgeblichen Einstu-fungskriterien und der Bedeutung der Klassifizierung für dieBestimmung des Baulastträgers und für die Formen der Pla-nung. Im Anschluss präsentierte er konkrete Möglichkeitender kommunalen Straßenplanung, wobei zunächst die Bau-leitplanung und speziell Formen der Koordinations-, Koope-

WK/DVBl, Ausgabe 14/2012 #5868 25.06.2012, 12:52 Uhr – hzo –S:/3d/heymann/zeitschriften/DVBl/2012_14/2012_14.3d [S. 887/936] 1