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7 1. Masseauauphase Der Imperativ: »Du mußt dein Leben ändern!« impliziert nun: sich selbst in die Hand nehmen, um aus dem eigenen Dasein einen Gegenstand der Bewunderung zu formen 1 (Peter Sloterdijk) 1.1 Warm Up: Vom Bodybuilder zum Bodybild Auch wenn Arnold Schwarzenegger in seiner New Encyclopedia of Modern Bodybuilding 2 von rustikalen Methoden wie der folgenden abrät, so werden sie doch von den meisten Bodybuildern prakti- ziert. Wenn die Tage kürzer werden und die Nächte länger, wenn die Temperaturen es nicht mehr gestatten, T-Shirts und Shorts zu tra- gen, dann füllt der Bodybuilder seinen Kühlschrank so voll er nur kann und beginnt zu essen. Er isst möglichst viel, möglichst oſt und möglichst nahrhaſt. Komplexe Kohlenhydrate, gute Fette, hochwer- 1 Peter Sloterdijk, Du mußt dein Leben ändern, Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 2009, S. 512. 2 Arnold Schwarzenegger und Bill Dobbins, e New Encyclopedia of Modern Bodybuilding: e Bible of Bodybuilding, Fully Updated and Revised, New York: Simon & Schuster, 1998, S. 703.

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1.Masseaufbauphase

Der Imperativ: »Du mußt dein Leben ändern!« impliziert nun: sich selbst in die Hand

nehmen, um aus dem eigenen Dasein einen Gegenstand der Bewunderung zu formen1

(Peter Sloterdijk)

1.1WarmUp:VomBodybuilderzumBodybild

AuchwennArnoldSchwarzeneggerinseinerNew Encyclopedia of Modern Bodybuilding2vonrustikalenMethodenwiederfolgendenabrät, so werden sie doch von den meisten Bodybuildern prakti-ziert.WenndieTagekürzerwerdenunddieNächtelänger,wenndieTemperaturenesnichtmehrgestatten,T-ShirtsundShortszutra-gen,dannfülltderBodybuilderseinenKühlschranksovollernurkannundbeginntzuessen.Erisstmöglichstviel,möglichstoftundmöglichstnahrhaft.KomplexeKohlenhydrate,guteFette,hochwer-

1 Peter Sloterdijk, Du mußt dein Leben ändern, Frankfurt a.M.: Suhrkamp,2009,S.512.

2 ArnoldSchwarzeneggerundBillDobbins,The New Encyclopedia of Modern Bodybuilding: The Bible of Bodybuilding, Fully Updated and Revised, NewYork:Simon&Schuster,1998,S.703.

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Masseaufbauphase8

tige Eiweiße. Hohe Gewichte stemmt er bei niedrigen Wiederho-lungszahlen, das Ausdauertraining wird auf ein Minimum redu-ziert.DieeigentlichkörperfeindlicheJahreszeitWinternutztersozumAufbauvonKörpermasse.DiesePhasenenntmanMasseauf-bauphase.NahtderFrühlingodereinWettkampf,sonahtdieDefi-nitionsphase.DerBodybuildersteigtumaufkohlenhydratarme,ei-weißreiche,fettmodifizierteKost,erintensiviertdasCardiotrainingundsteigertdieWiederholungszahlen.ErformtseinenKörper;esgilt,dieMuskelmassezubewahren,dieKonturenzuschärfen,dieProportionen zu harmonisieren, das überflüssige Fett zu verbren-nen.EingutesBeispielhierfüristderimJahr1996aneinembun-tenDopingcocktailverstorbeneBodybuilderAndreasMünzer.DerSpiegel berichtetedamalsunterdemreißerischenTitelBlond, stark und totüberdenösterreichischenAthleten:

DennähnlichwiederSteinmetzeinenhinreichendgroßenBlockfüreineSkulptur benötigt, braucht der Bodybuilder möglichst viel Muskelmasse,dieeranschließendbearbeitenkann.IndieserPhaseißtMünzerwiedreiNormalbürgerzusammen:biszu8000KilokalorienamTag–dassindetwasechsPizzen.AmEndewiegterrund115Kilogramm.Inderdarauffolgen-denPhase,dieetwadreiMonatevordemWettkampfbeginnt,mußMünzerbeiunveränderthohemTrainingsaufwandstrengeDiäthalten.ErverzehrtnurnochFischundPutenfleisch,dazuReis,manchmalnocheinbißchenObstundSalat.AufFetthaterganzzuverzichten.3

IndieserEinleitungbefindenwirunsgewissermaßen imStadiumeinerakademischenMasseaufbauphase,wenngleichauf intellektu-elles Doping weitgehend verzichtet werden soll. Ich sammle undhäufe Material, das ich noch nicht klar definiere, doch ich werdedieseMaterialmassebenötigen,umausdemrohenBlockimnächs-tenKapiteleinewohlgeformteDenkfigurzumeißeln.Zunächstgiltes,dasnötigeBasisvolumenzuerreichen.

Die Geschichte des Bodybuildings wurde bereits geschrieben.DochmanschriebsiealsSport-undKulturgeschichte.EinGroß-teilderLiteratur rücktüberdiespsychologischeundsoziologische

3 KeinAutorgenannt,»Blond,starkundtot«,in:Der Spiegel 17/1996,S.143.

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WarmUp 9

Aspekte indenVordergrund.MaldefiniertmandenBodybuilderals wandelnde Männerphantasie, trunken von der eigenen KraftundvondereigenenPotenz,malalszumLebenerweckteComic-figur,malalsdashypertrophe,hypermaskulinePendantzurAno-rektikerin.DafürprägtederamerikanischePsychiaterHarrisonG.PopeBegriffewie»Adonis-Komplex«und»Bigorexia«–dasfataleStrebennachschiererGrößeundmuskulärerPerfektionumjedenPreis. Wenn schließlich in den Massenmedien vom BodybuildingdieRedeist,sogehteszumeistumDoping.VordemFernseherbe-rauschtmansichamExzessdesFleischesundwähntsichselbstimsicherenHafenderreinenVernunft.

DerhiervertreteneAnsatzweichtabvondiesenwohlmeinen-den Interventionen, ohne ihre Berechtigung gänzlich in Abredestellenzuwollen.ErbasiertaufdernüchternenundzunächstwohletwasseltsamerscheinendenThese,dassdieGeschichtedesBody-buildingsvorallemeineKunst-Geschichtedarstellt.UmempörtenkunstreligiösenInvektivengleichvorabzubegegnen:DieRede istnichtvon»ArtwithacapitalA«,sondernvon»artwithalowercasea«4.IchmeinenichtjeneshartnäckigePhantasmadergroßenundedlen Kunst, das von Philosophen, Pädagogen, KunsthistorikernundKunstvermittlerndurchzahlreicherhetorischeSondengespeistwird.GemeintistdieKunstalsÄsthetikderExistenz,dieKunstderSelbstgestaltungundderSelbstvervollkommnungunterimmanen-ten,körperzentriertenVorzeichen.IndenWortenMichelFoucaultslässtsichfragen:»AberkönntenichtdasLebeneinesjedenIndivi-duums ein Kunstwerk sein? Warum sind Gemälde oder ein HausKunstobjekte,abernichtunserLeben?«5

NatürlichsollhiernichtdienaiveFormelLeben=Kunstvoraus-gesetztwerden.Sehrwohlabergilt,dasssichdasLebenimmerdanneinem Kunstprojekt annähert, wenn es sich außerhalb der Reali-tätszwängezubewegenbeginnt;wennesTransformationanstrebt;wenneseinenWillenzumSchöpferischenentwickelt;wenneseine

4 HubertLocher,»Talkingornot talkingaboutArtwithacapitalA:Gom-brich,Schlosser,Warburg«,auf:Leitmotivonline,www.ledonline.it./leitmo-tiv.14.10.2009.

5 MichelFoucault,Ästhetik der Existenz, Frankfurta.M.:Suhrkamp,2007,S.202.

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Masseaufbauphase10

existenzielleForm,einenexistenziellenStilausprägt.MeineHypo-theselautet,dassdiesgeradeimBodybuildingderFallist.Jederin-dividuelleLebensentwurf,der sichmitästhetischenMittelngegentradierteZweckmäßigkeitenundDeterminantenstemmt,kannmitRechtalseinkünstlerischerLebensentwurfoder,indergesteigertenVariante,als»existenzielleKunst,beiderdasLebeninsgesamtnachErhöhungundVerklärungstrebt«6angesehenwerden.WennKunstweiterhin eine gezielte schöpferische Tätigkeit ist, deren ProdukteimGegensatzzuKühlschränkenoderPenispumpenaufkeineein-deutigeFunktionreduziertwerdenkönnen,sokönntedieseFunk-tionslosigkeit eine weitere Spur hin zur Logik des Bodybuildingsbilden.

DarüberhinaussollenauchformalästhetischeAspektedermo-dernen und postmodernen Körperkultur beleuchtet werden, dieinteressanteVerwandtschaftenzwischenBodybuildingundKunst-stilenvomKlassizismusbishinzumAbstraktenExpressionismuszuTagefördernwerden.DasKunstschaffenwirddabeistetsmitBlickauf das Wissen, die Mentalitäten und die Diskurse der jeweiligenPeriodeanalysiert.ZwargibtdieKunstoftan,voneinemanderenStern zu stammen und gänzlich eigenen Gesetzen zu folgen, tat-sächlichaberunterwirftauchsiesichdenBedingungenundMög-lichkeitenihrerZeit.Kunsttheorie,KunstpraxisundKunstbetrach-tungstehen,wieunteranderemderKunsthistorikerJonathanCrarybetont,ineinemreziprokenVerhältniszuInstitutionen,Konventi-onen,TechnologienundDiskursen,dieihrerseitsdemhistorischenWandel unterliegen – aber auch das menschliche Subjekt selbstdurchläuft mannigfaltige Evolutionen des Denkens, Wissens undBegehrens.7

Meine kontextuell angelegte Kunst-Geschichte des Bodybuil-dings beschreibt, wie sich der Körper im Körper und am Körper vom Körper löst und sich als eine Selbstskulptur positioniert, die,ausdenZwängenderNaturundderGeschichte entrückt, in eine»Zweckmäßigkeit ohne Zweck« (Immanuel Kant) überführt wird.

6 Sloterdijk,Du mußt dein Leben ändern,S.385.7 Vgl. JonathanCrary,Techniques of the Observer: On vision and modernity

in the nineteenth century,Cambridge,London:MITPress/OctoberBooks,1992,S.3–6.

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WarmUp 11

Da ichdieseGeschichte inder ihrangemessenenTiefepräsentie-renmöchte,sollhierauchvonderklandestinenVorgeschichtedesBodybuildings die Rede sein, von seinen geistesgeschichtlichenEinflüsterern.DerVersuch,denBodybuildernichtnuralsaktuel-lesPhänomen,sondernauchalsgeschichtlichesGefäßzubegreifen,darf dabei nicht als exakte Wissenschaft verstanden werden. HiergehteswederumBeweise,nochumKausalitäten,nochumdirekteTransfers.DieserEssayisteinessai imwörtlichenSinne.Erbildetmit seinem Methodenpluralismus und seinen teils widersprüchli-chenTheseneineheuristischeVersuchsanordnung,diedasZielhat,überhaupterstneuePerspektivenzueröffnen.

Heuristik wird hier im philosophischen Sinne verstanden alseinears inveniendi,diemitHilfevonModellen,AnalogienundGe-dankenexperimenten operiert, wenn noch kein RoutineverfahrenentwickeltistodersicheinRoutineverfahrenalsunzulänglicherwie-senhat.HeuristikbegründetSachverhaltenichtimSinnederLogik,sondernentwickeltvielmehrStrategiendeserkennendenLernens.IchmöchtezumeinendiediachroneDimensioneinesvergleichs-weiseneuenPhänomenswiedesBodybuildingsaufexperimentelleWeisezurDiskussionstellenunddabeidietopographischunspezi-fischeNachträglichkeitgeistesgeschichtlicherMotivethematisieren.Zum anderen wende ich eine komparatistische Methodik an, umeinendynamischenundambivalentenBegriffdesBodybuildingszuentwickeln, der es nicht bei vorschnellen Zuschreibungen belässt.Die empirische Erdung ist durchaus gegeben. Wenn ich etwa dasBodybuilding auf seine freimaurerischen Einflüsse untersuche, sodeshalb,weilsichkonkreteVerbindungennachweisenlassen.

Zunächst: Warum eigentlich Kunst? Wie gezeigt werden soll,trennt einepistemischerundmentalitätsgeschichtlicherBruchdiePraxisdeshistorischenKraftsportsvomBodybuilding,dassicherstauf Grundlage des postmodernen Ästhetizismus in den liberalde-mokratischenKonsumkulturenentfaltet.Imspäten19.Jahrhundertbeginnt die Ausdifferenzierung des Bodybuildings, weg von einerhybridenKraftartistikhinzueinemsozialenSubsegment,dassichnach 1945 in den westlichen Gesellschaften als selbstreferenziellesSpektakeletabliert.IndiesemSubsegmentbleibtdieKraftzwarpo-tenziellerhalten,indes,überwölbtvomBildderKraft.DerMuskel

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Masseaufbauphase12

behältdieSpannungbei,dochdieÄsthetikdieserSpannungistnunmaßgeblich, nicht die Leistung der Spannung. Die Analyse diesesSubsegments erfordert demzufolge eine geschärfte und differen-zierte Terminologie, vor allem aber eine neue KontextualisierunginnerhalbderakademischenDisziplinen–BodybuildingistprimäreinGegenstandderÄsthetik,derKunstwissenschaftundderPhilo-sophie.DervorliegendeEssaykanndahingehendgelesenwerdenalsBeitragzurGeschichtederKunstaußerhalbdesKunstsystems,dergleichwohl auf den methodologischen Fundus von Kunstwissen-schaftundPhilosophiezurückgreift.

Es geht also nur vordergründig um Bodybuilder. Tatsächlichgeht es um Bodybilder.8 Wie die Builder erst zu Bildern wurden,werde ich anhand der wechselvollen Vorgeschichte des Bodybuil-dingsuntersuchen.AmEndedieserVorgeschichte,dasheißt,inderheutigenZeit,stehenStatuenausFleischundSehnen,erblickenwirschimmernd-somatischeLandschafteninÖl:BildervongewaltigenKörpernundKörper,diegewaltigeBildersind.IchwerdedieGe-schichtedesBodybuildingsimSpiegelmodernerundpostmodernerKunst(theorie)betrachtenundaufdieseWeiseversuchen,dempsy-chopathologischüberfrachtetenDiskurseinwenigLuftzuverschaf-fen. Wenn dabei von dem Bodybuilder die Rede ist, so nicht, umalleBodybuilderaufeinenBegriffzureduzieren.VielmehrgehtesumdieQuintessenzdesBodybuildings,umdennichtreduzierbarenKern, der ungeachtet individueller Ausprägungen bestehen bleibt.Deshalbwirdhierauchnurdannzwischenweiblichemundmännli-chemBodybuilderunterschieden,wennDiskursethematisiertwer-den,diedieseUnterscheidungexplizittreffen(vgl.Kapitel4.3).

Wohlgemerkt: Die Rede ist vom Bodybuilder, nicht vom fi-ligranen Fitnesssportler. Anders als dieser ist der Bodybuildernicht zum Typus des »athletischen, neo-liberalen, modellschönenSiegertypus«9zurechnen.EinerstesIndizliefertderdeutscheBody-builderMarkusRühl,deraufseinerDVDMade in Germanygleich

8 DenBegriff»Bodybilder«verdankenwirdemSchriftstellerBodoKirchhoff,vgl.Kapitel1.2.

9 PeterSloterdijk,Der starke Grund zusammen zu sein,Frankfurta.M.:Suhr-kamp,1997,S.43.

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WarmUp 13

zuBeginnsagt:»Iwouldsaybodybuilding,notfitness.«10BeimFit-nesssportlerstehenzwarauchästhetischeKriterienhochimKurs,dochzugleichformterseinenKörper,umbisinshoheAlterflexi-bler, ausdauernder, attraktiver und viriler durch den Wohlstands-stressmanövrierenzukönnen.DerKörperdesBodybuildershin-gegenistimAlltagschlechtzugebrauchen.Eristschwer,kostetvielGeldundZeit,benötigtUnmengenanNahrungundSupplementen,dieMuskelnsindständigimWeg,nurwenigeMenschenfindenihnattraktiv.DerKörperdesFitnesssportlersisteinKompromiss.DerKörperdesBodybuildersaber istkompromisslos.DerKörperdesFitnesssportlerswillgefallen.DerKörperdesBodybuildersaberwillauffallen.SchonhierzeigensichersteÜberschneidungenmitdemHabitusdermodernistischen11Kunst.Dennwasdieprogressivisti-schenKunstströmungenderModernezuvorderstcharakterisiert,istihreAbkehrvomPrimatdesSchönen.Fürsiegiltdastrotzexistenzi-alistischePrinzip:Wirkönnenauchanders.

BodybuildergehörennichtzurSpeziesderurbanenApollsmitPulsuhrundBlackberry,die leichtfüßig imNaherholungsparkdieEntentümpelumrundenundnachEinbruchderDunkelheitalsme-trosexuelle Eroberer in Chill-Out-Lounges reüssieren. Geschmei-digeEpilistenwieDavidBeckhamundbiegbareHupfdollswieJaneFonda repräsentieren das Ideal von Fitness. Schwerfällige Kolossewie Schwarzenegger, Dorian Yates und Ronnie Coleman besetzenspätestensseitden1960erJahrendieVorstellungvomBodybuilder.KörperwiedieihrigenhabeninunsererGesellschaftkeineFunktion –esseidenn,alsspektakuläreKunstwerkeundKommunikations-medien,diefürEmpörungundVerblüffungsorgen.Dennesistof-fensichtlich,dass»kraftstrotzendeMänner[…]inderneoliberalen

10 Markus Ruehl, Made in Germany, DVD, 2003, Eibon Films und MarkusRuehl.

11 IchgebrauchedenBegriff»modernistisch«immerdann,wenneinexplizi-ter Anspruch auf Modernität und Fortschrittlichkeit ausgedrückt werdensoll.DerBegriff»modern«verweistindiesemEssayimhistorischenSinneaufdieZeitnachderfranzösischenRevolutionbisundeinschließlichheute.Weiterhinwird»Postmoderne«hiernichtalsGegensatzzurModernever-standen, sondern als kritisch-reflektierender Teil der Moderne, der sichgrobaufdieUS-amerikanischgeprägteZeitnachdemZweitenWeltkriegdatierenlässtundüberwiegendeinwestliches,urbanesPhänomendarstellt.

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Masseaufbauphase14

Arbeitswelt immer seltener »gebraucht« [werden]«12. Gefragt sindeher »smarte und clevere, in Fitness-Studios gestylte Finanz- undBusiness-Männer«13.

Eine Analogie aus der Psychoanalyse, die ich in diesem Essayjedochnichtweiterverfolgenmöchte,drängtsichförmlichauf:DerFitnesssportlerbildetdieserzufolgedasIchderPostmoderne,well designed, stromlinienförmig, moderat, vernunftbetont, sexy. DerBodybuilderhingegenvisualisiertdasdunkleEs,nichtwenigerauf-wändiggestaltet,dochextrem,radikal,erhaben,maßlosundverstö-rendinseinerÄsthetik.DieseAnalogieführtjedochindieIrre.Wiesich herausstellen wird, mutet der Körper des Bodybuilders zwarnachgeradesurrealistischan.InWahrheitaberistderBodybuildereinApologetneuzeitlicherRationalität.An seinemKörpergibt eskeineStelle,dienichtminutiösberechnet ist. IndenKrafträumenbegegnen wir Bodybuildern, die gerade noch mit verzerrtem Ge-sicht unter schweren Gewichten keuchten, um anschließend einBüchlein zu zücken, in dem der Trainingsfortschritt säuberlichnotiert wird. Form, Fleisch und Zahl gehen eine Symbiose ein.VielleichtzeigtsichgeradeamBeispieldesBodybuilders,dassdasSurrealenichtetwadasAnderederRationalitätmarkiert,sonderndessenKulminationspunktbildet.

KeinesfallsmöchteichdenBodybuilderinkulturpathologischerManier als alarmierendes Symptom einer Verfallszeit definieren.DerBodybuilderistkeinGeisteskrüppelaufMuskelkrücken.Inhis-torischer Perspektive war Dummheit niemals auf Expander ange-wiesen,umzuexpandieren.IcherkenneimBodybuilderauchkeinIndizfürdenbevorstehendenUntergangdesdekadenten,nurmehrumdaskörperlicheHeilbesorgtenAbendlandes.IchbetrachteihnganzwertfreialseinenuntervielenEffekten neuzeitlicher,moder-nerundpostmodernerDiskurse.Andersausgedrückt:SeineGestaltund seine Selbsttechnologie sind Resultate einer weitreichendenTransformation des neuzeitlichen und modernen Denkens unterdembuntenScheinwerferlichtderPostmoderne.Ichmöchtezeigen,wiesichimundmitdemBodybuildingdergeistesgeschichtlicheTo-

12 http://evakreisky.at/onlinetexte/koerpergefuehle_kreisky.pdf.10.11.2009.13 Ebd.

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WarmUp 15

posvonder»bildhauerischenArbeitanderinnerenStatue«14ineinebildhauerische Arbeit an der äußeren Statue verwandelt. Die Ide-engeschichtevomMenschen,derseinLebenmeißeltwieeinBild-hauereineSkulptur,reichtzurückbisindieAntikeundkannhiernur ansatzweise wiedergegeben werden. Ich beschränke mich inmeinerDarstellungaufNeuzeit,ModerneundPostmoderne,weiseaber darauf hin, dass bereits Platon die Arbeit am Selbst mit derBildhauerei vergleicht; dass auch Plotin argumentiert, man könnedie Schichten des Lasters von sich abschlagen wie die OberflächeeinesSteinsunddaruntereinemoralischeSchönheitzutagefördern;dassdieseMetapher imMittelalterwiederumalsSinnbildfürdenGläubigendient,derstetigundunterQualenansicharbeitet.15

MögenalsofürsorglichereAutorensichdenethischenundmo-ralischenDimensionendesBodybuildingsannehmen.Einemgemä-ßigtenPublikumaufsNeuezuerzählen,dassBodybuilderobskureSubstanzenkonsumierenundeinemsomatischenExtremismusfrö-nen,istgleichbedeutendmitpreaching to the converted.Ja,siesindextrem.Ja,siesindirgendwieanders.Natürlichistdas»dochnicht

14 Sloterdijk,Du mußt dein Leben ändern, S.450.15 Vgl. Joseph Imorde, Vorlesungsskript, unveröffentlicht: »In Platons ›Po-

liteia‹ hatte Sokrates den Prozeß der Selbstperfektionierung eben mit derBildhauerei verglichen. Hier wie dort ginge es darum, die verborgenenWerte,dieTugendendurchharteArbeitfreizulegen.DieserGedankesolltevonhieraustopischenCharakterannehmen.Plotinmeinteetwa,wennmansichselbstnichtalsschönempfinde,müssemanesebensohalten,wiejener,dereineStatueinArbeithabe,nieaufhörenzumeißeln,ohneUnterlaßdasHäßlichefortnehmen,bisendlichdieSchönheitdochnochzumVorscheinkomme. Solch einen zuerst moralisierenden Vergleich konnte sich diechristlicheTugendlehrenatürlichnichtentgehenlassen.GregorderGroßenahmdasBildgerneaufundgabesandasMittelalterweiter.JederdersichimGlaubenperfektionierenwolle,müsseesmitsichsohalten,wiederBild-hauermitseinemStein:langeaufsicheinschlagen,sichkasteien,dasÜber-flüssigeundÜberschüssigeabmeißelnunddanndasgrobBehauenenochsofeinpolierenbisdasgoldeneAbbildGottes ineinemselbstzuglänzenbeginne.DieserGemeinplatzderarbeitsamenabergewinnversprechendenSelbstüberwindung,dieseVorstellungvonderkünstlerischenBearbeitungder eigenen Persönlichkeit überdauerte auch noch die Renaissance undüberliefertesichbisindendeutschenIdealismus,ja–wennmansowill–bisindieJetztzeithinein.«

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Masseaufbauphase16

mehrschön«.Natürlichistdas»dochnichtmehrgesund«.Wirallewissendas.

Deshalb möchte ich lieber die bislang selten behandelte Fragenach den geistesgeschichtlichen Bedingungen der Möglichkeit desBodybuildingszurDispositionstellen–selbstredend jedochnichtintranszendentalerHinsicht.DiewirklichinteressantenFragenlau-tenvielmehr:WelcheUmbrücheinderKulturderErkenntnis,desWissensundderWahrheitwarennotwendig,umdieselbstreferen-zielleKörperpraxisderBodybuilderinderabendländischenKulturzuverankern?InwelchemgeistesgeschichtlichenBodenwurzeltdasBodybuildingeigentlich?

In allgemeiner historischer Perspektive haben Bodybuilderzunächst einmal Anteil an einem Prozess, den die Kunstwissen-schaftlerin Christiane Kruse in ihrem Aufsatz Nach den Bildern: Das Phantasma des ›Lebendigen‹ Bildes in Zeiten des Iconic Turn16beschreibt. Kruse entwickelt eine Genealogie der verlebendigtenBilder, von den Mythen des Zeuxis und des Pygmalion über effi-gies,Mönchsautomatenundtableaux vivants,bishinzumheutigenRoboter mit Gesichtsfunktion oder dem Klonschaf Dolly. In derAnthologieIconic turn: Die neue Macht der Bilder(2004)entdecktKruse Autoren, die »nichts anderes als die Frage beschäftigt, wiemandieBilderüberwindenkann,näherhin,wiemanKulturtech-nikenerfindet,diedievorgefundene,natürlicheWeltderartnach-ahmen, nachbauen, simulieren, dass sich die künstlich gemachtenicht mehr von der natürlich geschaffenen Welt unterscheidet«17.Kruse bezeichnet diese Tendenz als den »transikonischen ImpulsderKunst-undTechnikgeschichte«18.

DiesenImpulszurTilgungderDifferenzzwischen›natürlicher‹und›künstlicherWelt‹,zwischen›totem‹BildundLebewesenfindenwirauchimBodybuilding.InderimJahr1946inMontrealgegrün-detenundbisheutedieglobaleSzenedominierendenInternational Federation of Bodybuilding and Fitness (IFBB) wird der Körper als

16 ChristianeKruse,»NachdenBildern:DasPhantasmades›Lebendigen‹Bil-desinZeitendesIconicTurn«,in:HansBelting(Hrsg.),Bilderfragen: Die Bildwissenschaften im Aufbruch,München:Fink,2008,S.178.

17 Ebd.,S.166.18 Ebd.,S.166.

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WarmUp 17

KunstwerkzurzentralenReferenz,wenngleichsichdieIFBBselbstalsSportverbanddefiniert.ImRegelwerkderOrganisationsindje-doch ausschließlich formalästhetische Kriterien ausschlaggebend(vgl.Kapitel2.4).MitdenKraftwettbewerbenwieim19.undfrühen20.JahrhundertistesinderIFBBvorbei,siesindallenfallsTeildesRahmenprogramms.

Gezielt löst sich die IFBB aus der schweißnassen Umarmungder Gewichtheberverbände. Entrüstet diffamieren diese die Sepa-ratisten daraufhin als »Sissies« und »Boobiebuilder«19. Die reineZurschaustellung des skulpturalen Körpers passt nicht ins Selbst-verständnis der Gewichtheber. Bilden die Bodybuilder nicht bloßab,wasdieKraftsportlerin realiter auszeichnet?SindihreakribischgemeißeltenKörpernichtbloßeinschwacherundzugleichunver-schämtschillernderAbglanzdeswahren,nämlichdesfunktionalenKörpers?WirerlebenandieserStelleeinenerstenFallvonBilder-stürmerei in der Körperkultur. Die Gewichtheber geben sich alsstrengePlatonikerzuerkennen,dieimKörper-BildnichtsweiteralseinedefizitäreSimulationdesLebenserkennen.SokommteszumSchismazwischenIkonoklasten(Gewichthebern)undIkonodulen(Bodybuildern).

HeutetrenntdieIFBBklarzwischendenDisziplinenBodybuil-ding,Classic Bodybuilding, Women Fitness,Men FitnessundWomen Bodyfitness. Auf diese Terminologie wird im Folgenden durchwegBezuggenommen.DieIFBB-BodybuildersollendenRegularienge-mäßihreMuskulaturganzheitlich,aberbiszur»maximumsize«20entwickelnunddabeigleichzeitigihrenKörperfettanteilsowiedenWassergehaltderHautaufeinNiveau»aslowaspossible«21reduzie-ren,umdie»density,separationanddefinition«22derMuskelfasernzur Geltung zu bringen. Außerdem sollen die Schultern breit, dieTaille schlanksein.AuchderLaieerkennt sofort:MitGesundheitoderSportlichkeithatdasnicht imGeringstenzu tun.Wohlabermiteinemgenuinkünstlerischen,bildnerischenKonzept.23

19 Anm.:»Boobs«stehtimAmerikanischenumgangssprachlichfürBrüste.20 http://ifbb.com/page.php?id=12.09.08.2008.21 Ebd.22 Ebd.23 ÄhnlichausdifferenziertsinddiePublikationen.DasMagazinFlex istdas

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Masseaufbauphase18

Wenn man das Bodybuilding in der Tradition des transikoni-schen Impulses verortet, so stellt man fest, dass Bodybuilder die-semImpuls inumgekehrterRichtungfolgen.AnstattArtefaktezuverlebendigen,ästhetisierensieeinlebendigesSubjekt/Objekt,denmenschlichenKörper,hinzueinemBild.AufdereinenSeitealsoPygmalion,dessenStatuezumLebenerwacht,undderMönchsau-tomatdes 16. Jahrhunderts,der sichzubewegenbeginnt.AufderanderenSeitederBodybuilderdes20.und21.Jahrhunderts,derdiePoseeinerStatueeinnimmt.VerlebendigungdesTechnischenundKünstlerischenaufdereinenSeite,ÄsthetisierungdesLebendigenaufderanderen.InbeidenFällengehtesumdieÜberbrückungderKluftzwischendemBereichderKunst,desGemachten,desHerge-stellten,undjenemBereich,denmanetwasunbeholfendas›Leben‹oderdas›Natürliche‹nennt.

Geht es bei Pygmalion darum, die spezifischen Beschränkun-genundBegrenzungeneinesArtefaktszuüberwinden–undnichtsanderes heißt, dieses zu beleben –, so geht es beim Bodybuildingdarum,dieimmerschonlatentvorhandene,anthropologischkons-tanteÄsthetikdesKörpers,sprich:einesTeilsdesKörpers,nämlichder Muskelmasse, herauszustellen und bis ins Groteske zu über-steigern.DerBodybuildergestaltetdenKörperwieeinBild.IndenWortenHansBeltingskönntemansagen,derKörperseihier»selbsteinBild,nochbevorerinBildernnachgebildetwird«24.

Die ästhetische Praxis des Bodybuilders, den Körper als Bildaufzuführen, lässtsichauchinAnalogiesetzenzudentransikoni-schenBildernderBodyArt,diezurselbenZeitihrenSiegeszugimKunstbetriebfeiert,alsdasBodybuildingseinegrößtenmassenme-dialenErfolgeverzeichnet,nämlichinden1960erund-70erJahren.

Zentralorgan des Bodybuildings. Hier werden wahre Monster geboren.Muscle & FitnesskönntemandemTypusdesClassicBodybuilderszuord-nen,dergleichwohlmiteinemAugenachdenIdealkörpernderFlexschielt.In beiden Publikationen kolumnierte Schwarzenegger bis zum Jahr 2005höchstpersönlich. Auch die Sport Revue richtet sich an Bodybuilder undpräsentiert das Extrem als Ideal. Für die Fitnessfraktion hingegen bietensichMagazinewieShape oderMen’s Health an.

24 HansBelting,Bild-Anthropologie: Entwürfe für eine Bildwissenschaft,Mün-chen:Fink,2001,S.88.

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InderBodyArt,etwabeiMarinaAbramovicoderTiborHajas,wirdderKörperalsMediumderKunsteingesetzt,umdenzeichenhaf-tenCharakterderbürgerlichenKunstgattungenabzustreifen.Indemder Künstler seinen eigenen Körper in die Waagschale wirft, ihnextremen Belastungen aussetzt oder gar willentlich verletzt, zeigter:IchmacheErnst.KunstistmehralsgerahmteSymbolikmitho-

Abb . 1: Der Schmerz als Quelle der Kunst: Profi-Bodybuilder Markus Becht beim Training

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hemVersicherungswert.Kunstwillwirken!KunstsolljeneradikaleIntensitätwiederzumLebenerwecken,welchedieaufBesitzerhaltundaufkörperlicheUnversehrtheitkapriziertebürgerlicheGesell-schaftvermissenlässt.

DerBodybuildersetztseinenKörperzwarauchalsMediumein,nimmt extreme Anstrengungen auf sich und propagiert in seinerSelbstdarstellungultimativeIntensität,dochnichtmitdemZiel,seinFleischzuverletzen,sonderneszukonservieren.PeinundMühsalalsNachweisderauthentischenAskesewerdennichtdurchWun-den, sondern mit Hilfe von Fotostrecken dokumentiert, die denBodybuilder als Schmerzensmann beim Training zeigen (Abb.  1).Dieser Arbeitsnachweis beinhaltet gleichzeitig eine Genderkom-ponente, soll sodochder ›harte‹Bodybuildervonder tendenziell›weicheren‹Bodybuilderinabgegrenztwerden,dieaufFotografienseltenerbeimekstatischenWorkoutzusehenist(Abb.2).

Darüber hinaus florieren Body Art und Bodybuilding geradein der mediatisierten Gesellschaft. Radio, Fernseher, Telefon undInternet komplementieren und ersetzen in den KonsumkulturenzunehmenddieKommunikationzwischenkörperlichanwesendenMenschen.VordiesemHintergrundlässt»diePraxisderKünstler,den eigenen Körper als Medium der Kunst einzusetzen, […] denSchlußzu,daßesdieverlorenenKörperbildersind,aufwelchedieseStellvertretung in corpore reagiert«25. Der Künstler benutzt denKörperalsBildmaschine,»umsichdurchdiese›Realpräsenz‹gegendieKrisederanalogenundmimetischenBilderzubehaupten.Stattim gewohnten ›Werk‹ weist er im eigenen Körper auf sich selbst,um den Betrachter zur Aufmerksamkeit zu zwingen«26. Mit demeigenen Körper auf sich selbst verweisen, sich gewissermaßen imKörperalsBildverkörpern, istzugleichdasgrundlegendePrinzipdesBodybuildings.InderBodyArtwieauchimBodybuildingstehtnichtdieRepräsentation imVordergrund,sonderndieunmittelbarePräsentation.

Esistbereitsangeklungen,dassdieGliederungdiesesEssaysei-nemmimetischenPrinzipfolgtundinihremVerlaufdenTrainings-

25 Ebd.,S.89.26 Ebd.,S.90.

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undDiätplaneinesprofessionellenBodybuildersnachvollzieht.Aufdie Masseaufbauphase folgt die Definitionsphase, die den größtenTeileinnimmt . Hierstehendieneuzeitlichenundmodernengeis-tesgeschichtlichenBedingungenderMöglichkeitdesBodybuildingsimVordergrund.AlsdiskurshistorischeFoliendienendabeiunter

Abb . 2: Eher schmerzfrei: Bodybuilderin Skadi Frei-Seifert posiert auf der Fitness-Messe FIBO 2010

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anderem Martin Heideggers Definition der Neuzeit als »ZeitalterdesWeltbildes«undMichelFoucaultsThesevomAufstiegderBio-Macht.MitdemBegriffBio-MachtbezeichnetFoucault,vereinfachtausgedrückt,jenekomplexenMachttechnologienundDiskurse,dieseitderNeuzeitdenFokusaufdieVerwaltung,OptimierungundOrganisation des Lebens und der Körper richten und somit eineAbkehr von der jenseitig ausgerichteten Ordnung des Mittelaltersmarkieren.

Während für Foucault und für den italienischen PhilosophenGiorgioAgamben,dermitseinemBuchHomo Sacer FoucaultsErbeangetreten hat, vorrangig die politisch-sozialen Folgen der Bio-Macht von Belang sind, untersuche ich deren somatisch-ästheti-scheKonsequenzenvordemHintergrundderSäkularisierung:denmuskulösen Messias, den monströsen Herkules, den Heiligen mitprallemBizeps,dieturnendenNationalistenundschwärmerischenLebensreformerdes19.undfrühen20.Jahrhunderts,dieindividu-alisierte Selbstskulptur im heutigen Bodybuilding. Denn Körper,KunstundLebenverhaltensichzueinanderwieNachbarnineinemanonymenMietshaus.SiewohnenTüranTürinfastidentischent-worfenenAppartements,dochsiebegegnensichhöchstenseinmalflüchtiganderBushaltestelle.Wiewohlsiesichaberkaumkennen,sindsiesichähnlicher,alssiedenken.Esgilt,einTreffenundeinenAustauschzuarrangieren.

DasKapitelPump UphandeltvonEugenSandow,dem1867ge-borenenGründervaterdesBodybuildings.DabeiwerdendieKör-perästhetikunddieästhetischeMentalitätSandowsimKontextvonKunst und Kunsttheorie seiner Zeit untersucht. Es soll herausge-stelltwerden,dassgeradederbefremdlichwirkendeVergleichzwi-scheneinemKörperkünstlerwieSandowunddenbildendenKünst-lern der klassischen Avantgarde die für die Moderne konstitutive»GleichzeitigkeitdesUngleichzeitigen«(MarcBloch)zuTagetretenlässt.

AuchdaspostmoderneBodybuildingwirdimKapitelPosedownkunstwissenschaftlichuntersucht.EinerseitseignetdemBodybuil-ding seit der Nachkriegszeit ein radikalkapitalistischer Charakter:Bigger! Better! Faster! More! Der Kult um den Muskel wird be-zeichnenderweise indenUSAmcdonaldisiert, aberauchentideo-

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logisiert, insofernunterIdeologieeinexklusivesweltanschaulichesDogma verstanden wird. Beschleunigtes Wachstum, maximaleMasseundmaximalesVolumenentwickelnsichzudenmaßgebli-chenCharakteristikaimBodybuilding,unabhängigvonpolitischeroderreligiöserGesinnung.DieAkkumulationvonMuskelfasernbeigleichzeitigerEntschlackungundEntfettungderKörpersowiedieimmerperfidereEffizienzsteigerungdesTrainingskorrespondierenmitderneoliberalenWirtschaftslehre–undunterlaufendiesezu-gleich,wiederbraveSoldatSchwejk,durchblindenGehorsam.EinungleichinteressanteresPhänomenaberist,dassdasBodybuildingunwissentlicheinenpopkulturellenPaktmitmodernistisch-puristi-schenKünstenundderKunsttheoriedesamerikanischenKritikersClementGreenbergschließt.Waszunächstwidersinnigerscheinenmag,ergibtbeinähererBetrachtungnichtnurmitBlickaufforma-lästhetischeAnalogienSinn.

AbgesehenvoneinerfruchtbarenPhaseinden1970erund-80erJahren, als die beiden Bodybuilding-Dokumentarfilme Pumping Iron (1977, Regie: George Butler und Robert Fiore, Buch: CharlesGaines) und Pumping Iron II: The Women (1985, Regie: GeorgeButler)erscheinenunddieÄsthetikdesBodybuildingseinebreiteAufmerksamkeit auch von Intellektuellen und Künstlern erfährt,schicktmansichheuteseltenan,dieErscheinungdesBodybuildersimkünstlerischenundästhetischenBereichzuverorten,geschweigedennihrenepistemischenStammbaumzustudieren.MitdemEndederfröhlichenästhetischenAufbruchstimmungsetzteineHalbgöt-terdämmerung ein. Erneut zeigt man sich peinlich berührt ange-sichts des Gegenstands und pathologisiert ihn zunehmend. MannähertsichungernjenenquellendenDamenundHerreninihrenwinzigenSlips,dieaufdenBühnenschillerndeÖlfleckenhinterlas-sen und vermeintlich unreflektiert, ja ohne volkswirtschaftlichenNutzenihreEnergiedaraufverwenden,inendlosenSerienHantel-scheibenaufundabzubewegen–vielleichtistdieseSoma-Suchtjaansteckend?

Wenn einmal vom Bodybuilding als Kunstform gesprochenwird, so verstummen die Äußerungen meist ab diesem Punkt: ir-gendwiehabeBodybuildingetwasmitBildhauereiameigenenLeibzu tun. Diese Sonderform der Bildhauerei wird hinsichtlich ihrer

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ÄsthetikundihrererkenntnistheoretischenGrundlagenjedochnurunzureichenderfasst.GreifenwiringebotenerKürzedreiAutorenheraus, die sich der Analyse des Bodybuildings angenommen ha-ben. IhreAnsätzemögendie soziologischenundpsychologischenLesartenverdeutlichen,diebislangdenDiskursüberdasBodybuil-dingdominieren.

1.2DerpsychologischeAnsatz:ImSchattendesUnmöglichen

Im Jahr 1979 nähert sich Bodo Kirchhoff in seinem Band Body-Building demPhänomenausderPerspektivederpoststrukturalisti-schenPsychologieundPhilosophie,beeinflusstvonSigmundFreud,Jacques Derrida und Jacques Lacan. Kirchhoffs Kernthese lautet,dass »was ich für meinen Körper halte, von jeher entwendet war;ausschließlichverkörpert,inbedeutungsvolleEinheitenzerstückelt,durch einen getrennten Körper des Anderen«27. Hier schimmertDerridas»verlorenerUrtext«durch:dasunendlicheSpielderZei-chen,diestetsnuraufeinanderverweisen,nichtjedochaufeinon-tologischesZentrum.

DerKörperistfürKirchhofffolglichkeineEinheit,sondernbe-steht aus verschiedenartig konnotierten Zonen. Im Bodybuildingwird Kirchhoff zufolge versucht, die Einheit wieder herzustellen.DerBodybuilderseibestrebt,wiederzumAutorzuwerden,erver-suchegewissermaßen,gegendieSignaturenseinerMutterundderGesellschaft anzuschreiben. Für Kirchhoff ist das »der mühseligeVersuch,einenMangelanVerkörperung,vielleichteinenelementa-renMangel,aufgrunddessendasSubjektalsRanderscheinungexis-tiert,mitverkehrterSelbstbestimmungslogikzuplombieren[…]inderHoffnungaufeinvollkommenesDouble«28.

DiepsychologischeGrundannahmeist,dassdiePraxisdesBo-dybuildings aus einem Mangel heraus entstehe. Ein primär kom-pensatorischesBedürfnisliegeihrzugrunde.DieseTheseziehtsichals roter Faden durch sämtliche psychologischen und meist auchsoziologischenStudien.Doch ist esnicht so,dassalleLeistungen,

27 Bodo Kirchhoff, Body-Building: Erzählung, Schauspiel, Essay, Frankfurta.M.:Suhrkamp,1980,S.145.

28 Ebd.,S.148.