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Stanley Kubrick PRIZEFIGHTER vs. DAY OF THE FIGHT - Die räumliche Entwicklung von der Einzelbildfotografie zum Film unter Berücksichtigung von Erwin Panofskys Dynamisierung des Raumes - BILDANALYSE Hausarbeit von Matthias Schäfer Dozent: Dr. habil. Marcus Stiglegger Universität Siegen | Medienwissenschaft

Stanley Kubrick - Prizefighter vs. Day of the Fight - Die räumliche Entwicklung von der Einzelbildfotografie zum Film unter Berücksichtigung von Erwin Panofskys Dynamisierung des

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Stanley Kubrick

PRIZEFIGHTER

vs.

DAY OF THE FIGHT

- Die räumliche Entwicklung von der Einzelbildfotografie zum Film unter Berücksichtigung von Erwin Panofskys Dynamisierung des

Raumes -

BILDANALYSE

Hausarbeit

von

Matthias Schäfer

Dozent: Dr. habil. Marcus Stiglegger

Universität Siegen | Medienwissenschaft

MATTHIAS SCHÄFER | 739782 | HAUSARBEIT – „BILDANALYSE“

©2012: Matthias Schäfer

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INHALT

Inhalt ................................................................................................................................. 2

1. Einleitung ...................................................................................................................... 3

2. Formate .......................................................................................................................... 5

2.1 Fotografische Formate ............................................................................................. 6

2.2 Kinematografische Formate ..................................................................................... 6

3. Bildanalyse - Theorie ...................................................................................................... 9

3.1 Erwin Panofskys Dynamisierung des Raumes ......................................................... 9

3.2 Licht und Schatten ................................................................................................ 11

4. Beispiel Fotografie – PRIZEFIGHTER ............................................................................. 12

5. Beispiel Film – DAY OF THE FIGHT .............................................................................. 15

6. Differenzierung durch Raum und Zeit ......................................................................... 18

7. Anhänge ....................................................................................................................... 20

7.1 Filmregister ........................................................................................................... 20

7.2 Bibliografie ........................................................................................................... 20

7.2.1 Printmedien ................................................................................................. 20

7.2.2 Weblinks ..................................................................................................... 21

7.2.3 Bildnachweise .............................................................................................. 21

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1. EINLEITUNG

„Jedes Ding stammt von etwas anderem ab. Das Schreiben kommt natür-lich vom Schreiben, das Schauspielen vom Theater und das Kino von der Fotografie. Das Schneiden gehört nur zum Film. Man kann damit etwas fast gleichzeitig aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten, was zu einer neuen Erfahrung führt.“

Stanley Kubrick (Duncan 2008, S. 20)

Seit wir Menschen denken können, schaffen wir Abbildungen. Zu Beginn waren die Bild-

nisse ein Darstellungsersatz für das Unsichtbare, das Unantastbare oder das Nichtvorhan-

dene. Sie waren stellvertretend für abwesende Dinge oder Personen, dienten als Abbild für

religiöse Zwecke oder sollten Wünsche oder Ängste verbildlichen. Dies gilt für die Bildhau-

erei gleichermaßen, wie für die Malerei aber teilweise auch für die neuen Medien Fotografie

und Film.

In den beiden Letztgenannten lässt sich eine religiöse Bedeutung oder ein Ersatz für das

Nichtvorhandene weniger bestätigen, da sie seit ihrer Erfindung als Mittel der realistischen

Reproduktion der Wirklichkeit galten. Seit den ersten Fotografien aus dem Jahre 1816 von

Joseph Nicéphore Niepce entwickelt sich die Fotografie bis heute immer weiter.1 Kontrast-

verbesserungen, Farbtreue und Lichtempfindlichkeiten wurden optimiert, um ein mög-

lichst realistisches Foto, also eine perfekte (Teil)reproduktion der Realität zu erzeugen.

Teilreproduktion deshalb, weil sich durch die Fotografie nur ein Ausschnitt der Wirklich-

keit darstellen lässt. Dieser kann zwar variieren, größer oder kleiner sein, doch ist er auf die

Darstellungsfläche, beispielsweise das Negativ oder das Fotopapier, beschränkt.

Obwohl analoges Filmmaterial noch bis heute Anwendung findet (es werden ja immer

noch, und glücklicherweise überwiegend, Filme auf analogem Material gedreht) hat sich die

digitale Foto- und Videografie in den letzten zehn Jahren extrem entwickelt und verursach-

te starke Lagerbildung unter Fotografen und Filmern. Was Firmen wie Kodak und Agfa

1 Obwohl Leonardo da Vinci bereits um 1519 die erste Camera Obscura zeichnete, gelang es Joseph Nicéphore Niepce

erst 1816 die ersten Papierfotografien anzufertigen. 1826 schaffte er es dann das erste Direktpositiv mit einer achtstün-digen Belichtungszeit auf eine lichtempfindliche Zinnplatte zu produzieren.

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oder Panavision und Paramount über nahezu ein Jahrhundert versuchten im analogen Be-

reich zu perfektionieren, passiert inzwischen im digitalen Zeitalter durch Sony, Canon, Arri

und Konsorten nahezu im Wochentakt. Während die erste digitale (nahezu) Vollformat-

kamera der Firmen Nikon und Fuji den Wert eines Kleinwagens hatte, das war im Jahr

1994, gibt es die Knipser mit dem großen Sensor nun schon zu erschwinglichen Preisen für

(fast) jedermann. 2 Die Unterscheidungen zwischen der analogen und digitalen Welt wer-

den, zumindest im Bereich der Einzelbildfotografie, somit immer geringer. Der Kontrast-

umfang der digitalen Bildwandler wächst, fehlender Kontrast (welcher bei Fotos im RAW-

Format so gut wie wegfällt) wird durch HDR-Fotografie oder anderweitige digitale Nach-

bearbeitung ausgeglichen. 3,4 Digitale Spiegelreflexfotoapparate sind inzwischen in der Lage

Full-HD-Filme mit cineastischen Bildeindrücken zu generieren und die Camcorder der

neuesten Generationen haben selbst im Consumer-Preisbereich unter 10.000€ bereits

Chips mit Super35mm-Maßen und können unkomprimierte Bilddaten aufzeichnen; rich-

tiges Kino also. Grundsätzlich kann man die feinstufigen Unterschiede zwischen dem ana-

logen Medium und dem digitalen Pendant in der Bildanalyse also vernachlässigen.5 Zwar

arbeiten viele Fotografen eben mit den charakteristischen Eigenschaften der analogen Bilder

als künstlerisches Stilmittel, insbesondere im Großformat, doch lassen sich auch hier nahe-

zu alle Effekte digital nachahmen. Gerade in der heutigen schnellen Entwicklung der mul-

2 Digitale Kameras mit Vollformatsensor: Der digitale Bildwandler (Sensor) entspricht den Abmessungen eines Klein-

bildnegativs 36x24mm. Die meisten digitalen Kameras haben kleinere Sensoren. 3 Als RAW-Foto (engl. raw = roh) bezeichnet man die gespeicherte Bilddatei einer Kamera ohne, dass ein Bildverarbei-

tungsprozess innerhalb der Kamera durchgeführt wird. Das Bild wird so gespeichert, wie der Sensor es aufnimmt. Sie sind somit unverfälscht und bieten mehr Farbinformationen als ein komprimiertes Bild. Die gespeicherten JPEG-Dateien einer Digitalkamera sind bereits durch die Kamera „entwickelt“ worden, sprich Kontrastanpassung, Schärfe-korrektur u.v.m. werden vor dem Abspeichern des Bildes von der Kamera durchgeführt ohne, dass man Einfluss auf die Charakteristik nehmen kann. Das RAW-Foto hingegen ist unbearbeitet. Die digitale „Entwicklung“ muss bei jedem Foto von Hand durchgeführt werden. Man kann also von einem digitalen Negativ sprechen (auch wenn das Bild na-türlich als Positiv dargestellt wird). In speziellen Entwicklungsprogrammen, wie z.B. Adobe Lightroom finden sich daher Werkzeuge wie „Abwedeln“, „Nachbelichten“ oder „Abdunkeln“; alles Begriffe, die aus der Dunkelkammer der analo-gen Entwicklung übernommen wurden.

4 High Dynamic Range-Fotografie; Ein Motiv wird in unterschiedlichen Belichtungsstufen (ohne die Kameraposition oder den Bildausschnitt zu verändern) mehrfach fotografiert und in der digitalen Nachbearbeitung übereinander gelegt um z.B. den Kontrastumfang und die Farbtiefe zu erweitern. Dadurch werden helle Stellen nicht über- und dunkle Bildstellen nicht unterbelichtet.

5 An dieser Stelle wäre es interessant zu wissen, wie sich Roland Barthes zu den neuen digitalen Formen des Fotografie-rens äußern würde; im Zeitalter der geräuschlos fotografierenden digitalen Kompaktkameras, welche ohne mechanische Vorgänge, vom Auslöseknopf mal abgesehen, zum Ergebnis kommen. Schließlich empfand er den auslösenden Finger als das eigentlich wichtige Organ beim Fotografieren und bekannte seine Liebe gegenüber den Geräuschen, die ein klassischer analoger Fotoapparat beim Auslösen macht (vgl. Barthes 1989, S. 24).

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timedialen Techniken und der Flut an (häufig uninteressanten) Produktionen zeigt sich

Erwin Panofsky (1999, S. 21) aktueller denn je:

„Nicht ein künstlerischer Impuls hat die Entdeckung und allmähliche Ver-vollkommnung einer neuen Technik herbeigeführt, sondern eine neue tech-nische Erfindung die Entdeckung und allmähliche Vervollkommnung einer neuen Kunst.“

Eben diese technischen Aspekte sind von Interesse und sollen in Bezug auf die „Dynamisie-

rung des Raumes“ bzw. die „Verräumlichung der Zeit“ nach Erwin Panofsky (1999, S. 25)

verdeutlicht werden. Der erste Teil dieser Arbeit gibt Aufschluss über verschiedene Film-

und Fotoformate und erläutert Methoden und theoretische Ansätze der Bildanalyse, insbe-

sondere Panofskys Theorie des „dynamisierten Raumes“. Im Anschluss werden zwei exemp-

larische Kurzanalysen im Hinblick auf die räumlichen Gestaltungsmöglichkeiten und Un-

terschiede zwischen Einzelbildfotografie und Film in Verbindung mit Panofskys Theorie

durchgeführt. Zum einen handelt es sich dabei um eine Fotografie aus der Fotoserie Prize-

fighter von Stanley Kubrick aus der Zeit als Fotojournalist vor seiner Filmkarriere, zum

anderen um eine kurze Filmsequenz aus Kubricks erstem und gleichsam recht erfolgreichen

filmischen Gehversuch DAY OF THE FIGHT.6 Abschließend fasst Kapitel 6 die Unterschiede

zusammen und bezieht sie auf Panofskys Raum-Theorie.

2. FORMATE

Das Einbeziehen des Formats, in welchem das jeweils analysierte Werk gefertigt wurde, ist

ein wichtiger Bestandteil der formalen Bildanalyse. Obgleich die Formate für die räumliche

Analyse nach Panofsky nur bedingt von Wichtigkeit sind, möchte ich an dieser Stelle einen

Überblick geben, zumal diese Arbeit die beiden Medien Fotografie und Film gegenüber-

stellt und die technischen Eigenschaften des jeweiligen Mediums Auswirkungen auf die

spezifische Gestaltung haben können.

6 Die Fotoserie PRIZEFIGHTER erschien am 18. Januar 1949 als journalistische Auftragsarbeit für das Magazin Look. Die

Dokumentation DAY OF THE FIGHT folgte ein Jahr später und war eine freie Arbeit, welche er später an die Firma RKO Pathé verkaufte. In beiden Werken begleite Kubrick den irischen Mittelgewichts-Boxer Walter Cartier, sowohl privat, als auch beim Kampf.

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2.1 Fotografische Formate

Folgend eine Auswahl an Formatgrößen von Fotonegativen (vgl. http://sprec000.lima-

city.de/Digicam2.html):

Format Kantenlänge Aspekt Ratio APS 30x16,7mm 1,80:1 35mm Kleinbild 36x24mm 1,50:1 Mittelformat 6x4,5 60x45mm 1,33:1 Mittelformat 9x6 90x60mm 1,50:1 Großformat 5x4 125x100mm 1,25:1

Die teils verwirrenden Formatbezeichnungen kommen dadurch zustande, dass im Klein-

bildformat die Größe in Millimetern berechnet, jedoch im Mittelformat in Zentimetern

und im Großformat in Zoll angegeben wird.

In der Fotografie gibt es zwar einige Negativformate, die obige Liste erhebt keinen An-

spruch auf Vollständigkeit, doch bewegen sich die Seitenverhältnisse recht dicht beieinan-

der. Die Größen der Negative spielen ihre Stärken besonders in der Auflösung (z.B. für

professionelle Plakatdrucke) und in der Tiefenunschärfe aus. Je größer das Negativ ist, des-

to kleiner ist die Tiefenschärfe. Viele von Kubricks Fotografien erschienen über Jahre ver-

teilt in verschiedenen Formaten in den Look-Magazinen von 1945 bis 1950 (vgl. Crone

2005, S. 6).

2.2 Kinematografische Formate

Das Medium Film gilt als der unmittelbare Nachfolger der analogen Fotografie. Grundle-

gend gelten für den Film die gleichen Analysewerkzeuge wie für die Fotografie. Bei beiden

Medien beruht die Erstellung eines Bildes auf einem opto-chemischen Verfahren und somit

der gleichen technischen Entwicklungsgrundlage (vgl. Hickethier 1996, S. 6). Es gibt zwar

Unterschiede in den Filmmaterialien z.B. in Bezug auf Körnung, Farbgebung, Lichtemp-

findlichkeit oder auch Kontrastumfang, doch ist die Charakteristik der Bildträger sehr ähn-

lich. In einem Kopierwerk wird man diese Aussage vermutlich verteufeln, doch reicht es an

dieser Stelle aus das analoge Medium vom digitalen abzugrenzen. Vergleicht man Filmauf-

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nahmen mit Videoaufnahmen, fällt der Unterschied in der Regel sofort auf, obgleich die

digitalen Medien schnell aufholen.

In Gegensatz zur Einzelbildfotografie ist der Film ein hoch spezifiziertes Medium und so-

mit an gewisse technische Gegebenheiten gebunden. Ein grundlegender Unterschied ist die

maximale Belichtungszeit, welche durch die Bildwiederholrate von 24 Bildern pro Sekunde

auf 1/24 Sekunde festgelegt ist.7 Verkürzungen der Belichtungszeit und dadurch auch Ma-

nipulationen der Bewegungsauflösung sind durch Flügelblenden (Abb. 1 & 2, S. 7) mög-

lich.8

Bei der Einzelbildfotografie sind Belichtungszeiten von Stunden bis tausendstel Sekunden

möglich. Dadurch muss der Kameramann beim Film auf andere Methoden des Helligkeits-

ausgleichs zurückgreifen, wie zum Beispiel die Änderung der Blendenöffnung. Dies wiede-

rum hat Auswirkungen auf die Tiefenschärfe und -unschärfe, welche insbesondere auf die

räumliche Wirkung der Abbildung einen hohen Einfluss hat.

Abb. 1: 2-Flügelblende Abb. 2: 3-Flügelblende

Ein weiterer Unterschied liegt im Bildausschnitt. Während ein Fotograf beispielsweise eine

Fläche von 36x24mm (35mm-Kleinbildnegativ, Aspekt Ratio 1,5:1, Abb. 3) zu Verfügung

hat und zudem bei der Vergrößerung auf Fotopapier zusätzlich den Ausschnitt durch Mas-

ken und Beschnitt frei wählen und formen kann, ist der Kameramann beim Film auf die

Abbildungsfläche von 21x15,3mm (35mm-Film Standardformat, Aspekt Ratio: 1,37:1,

Abb. 5) beschränkt. Obwohl beide Formate als 35mm-Film bezeichnet werden, unter-

7 Die Laufgeschwindigkeit eines Films ist, je nach Kamera, variierbar. Dadurch entstehen Effekte wie Zeitraffer oder

Zeitlupe. 8 Flügelblenden sind dem Filmmaterial in der Kamera vorgeschaltet und rotieren mit 24 U/Sek. Das bedeutet, jedes

Negativbild erlebt eine Umdrehung der Flügenblende. Durch die Belichtungsunterbrechung wird jedes Bild kürzer als 1/24 Sekunde belichtet (vgl. Monaco 2003, S. 26 & 147).

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scheiden sich die Abbildungsflächen. Das liegt daran, dass ein Kleinbildnegativ quer durch

den Fotoapparat transportiert wird (Abb. 3), ein Filmstreifen jedoch vertikal an dem Ob-

jektiv vorbei läuft (Abb. 4 & 5).9

Abb. 3: 35mm KB-Negativ Abb. 4: 35mm Stumm Abb. 5: 35mm Tonfilm Abb. 6: VistaVision

Beim Film ist man an gewisse Konventionen gebunden und muss industriell standardisierte

Seitenverhältnisse einhalten. Das konventionelle Format 1,37:1, auch Academy Ratio ge-

nannt (vgl. Monaco 2003, S. 154), ist nach gut zehn Jahren Nutzung durch das bevorzugte

1,85:1-Breitwandformat abgelöst worden, was nun letztlich auch der Grund dafür war, dass

durch das HDTV-Format die Übernahme des Kinoformats auch auf den heimischen Bild-

schirm erfolgte (vgl. Hickethier 1996, S. 12). 10, 11 Darüber hinaus gibt es die Möglichkeit

über anamorphotische Verfahren ein weitaus breiteres Bild bis zu einem Verhältnis von

2,76:1 zu erzeugen.12 Eine kompetente und recht vollständige Liste von analogen Filmfor-

maten gibt es auf der Webseite www.dvdlog.de (Bibra 2008), welche auch dieser Arbeit als

eine Quelle diente.

Die experimentelle Hochphase der Filmformate in den 1950er Jahren wurde nicht ohne

Grund durchgeführt. Man hat stetig versucht die Verfahren sowohl qualitativ zu optimie-

ren, als auch kosten zu sparen und neue Anreize für den Kinobesucher zu schaffen (vgl.

Zepf 1999). Zudem schaffte man es einen Filmausschnitt zu generieren, der dem menschli-

9 Es gab jedoch eine Zeitlang das VistaVision-Format (Abb. 6), in dem man zur Verbesserung der Qualität durch eine

größere Abbildungsfläche den Filmstreifen quer belichtete und auf die gängigen Filmformate maskierte (vgl. Bibra 2008). Zur Projektion musste der Film dann wieder für einen vertikalen Transport umkopiert werden.

10 1,85:1 entspricht dem gängigen amerikanischen Widescreen-Kinoformat seit 1953 (vgl. Bibra 2008). In Europa wurde zeitgleich das Format 1,66:1 als europäisches Breitwandformat etabliert (vgl. Hickethier 1996, S. 10 & Walter 2002, S. 49). Inzwischen wird aber auch in Europa im 1,85:1-Format gedreht.

11 Hier wurde auf das 16:9-Format mit einem Seitenverhältnis von 1,78:1 gebaut, welches inzwischen bei jedem Camcor-der zum standardgemäßen Aufnahmeformat gehört.

12 Anamorphotische Verfahren arbeiten mit einer Verzerrlinse, die das Bild auf dem Negativ gestaucht abbildet. Bei der Projektion findet eine entsprechende Entzerrung im gleichen Faktor statt (vgl. Hickethier 1996, S. 10). Das 1957 ent-wickelte Ultra Panavision 70-Format ermöglicht eine Weite im Seitenverhältnis 2,76:1. Bei gängigem 35mm-Film ist Panavision 2,35:1 bis heute das standardisierte anamorphotische Breitwandformat. Das Filmformat („Filmed in Pana-vision“) ist nicht zu verwechseln mit den Kameras und Optiken („Cameras and Lenses by Panavision“), welche auch für nicht-anamorphotische Formate genutzt werden können.

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chen Sichtfeld immer ähnlicher wurde. Das fotografische Hochformat, welches dem Film

verwehrt blieb, entspricht beispielsweise nicht dem natürlichen Sichtfeld des Menschen.

3. BILDANALYSE - THEORIE

Viele Wissenschaftler, nicht nur aus dem medienwissenschaftlichen Bereich, haben sich in

der Vergangenheit mit der Analyse von Bildern (sowohl Fotografie als auch Kinematik)

auseinander gesetzt. Der Philosoph Roland Barthes (1989) ließ sich zu über 130 Seiten

füllenden Bemerkungen zur Photographie hinreißen. Bei der Lektüre merkt man schnell,

dass es ihm ein persönliches Bedürfnis ist, aus seiner Sicht (als Fachfremder) zur Fotografie

Stellung zu nehmen. Er unterscheidet die PHOTOGRAPHIE von der Photographie und un-

tersucht sie anhand seiner persönlichen Erfahrungen, Reaktionen und Emotionen auf Bil-

der. Als PHOTOGRAPHIE bezeichnet er das Medium als solches, das Ablichten der Realität,

die Kunstform, das Handwerk, welches man als Fotograf ausübt. Als Photographie be-

zeichnet er das tatsächliche Bild, das Negativ, das Dia oder den belichteten Papierabzug,

also die tatsächliche Sache, die man als Betrachter in Händen hält; sozusagen der Foto-

druck, das an die Wand projizierte Beamerbild, der digitale Fotorahmen (oder sogar das

digitale Bild auf einem Datenträger) um es auf das digitale Zeitalter zu übertragen.

3.1 Erwin Panofskys Dynamisierung des Raumes

Erwin Panofsky führte zur Abgrenzung ebenfalls eine Unterteilung durch. Jedoch unter-

schied er nicht das Medium (Barthes: PHOTOGRAPHIE) vom fotografischen Papierabzug

(Barthes: Photographie), sondern unterschied das faktisch vorhandene Bild und jenes, wel-

ches der Betrachter aufnimmt: image und picture (vgl. Schweizer 2010, S. 1). Das picture

steht für das fotografierte Bild (Barthes: Photographie), als image jedoch bezeichnet er das,

was der Rezipient mit dem Gesehenen assoziiert, die Welt, in die er eintaucht. Mit diesem

Begriff wird also klassifiziert welche Wirkung das Bild auf den Betrachter hat.

An dieser Stelle relativieren sich selbstverständlich all die zuvor dar gelegten Fakten über

Formate, Seitenverhältnisse und Tiefenschärfe. Man verlässt die Ebene der teilreproduzier-

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ten Wirklichkeit und spricht von der Wirkung des Bildes auf ikonographischer und ikono-

logischer Ebene. Diese Elemente möchte ich jedoch, wie auch den Ton, aussparen und

mich auf die optischen „spezifischen Möglichkeiten des Films“ im Vergleich zur Fotografie

beschränken, die Panofsky (1999, S. 25) als „Dynamisierung des Raumes“ und „Verräumli-

chung der Zeit“ definiert.13

Das fotografische Bild ist mit der „Unbewegtheit des Abgebildeten“ bzw. „Fixierung des

Augenblicks“ (Hickethier 1996, S. 6) verbunden. Das Fotografierte, „das was ich sehe, [ist]

tatsächlich gewesen“ (Barthes 1989, S. 92), von der Produktion fiktionaler Welten durch

Animationen oder digitale Bildbearbeitungseffekte mal abgesehen. Das heißt also, etwas

Vergängliches wird als statische Abbildung eingefroren. Dies kann natürlich auch eine Fi-

xierung von, sich während der Aufnahme bewegenden, Objekten sein. Es wird also eine

Handlung, nicht im geschichtlichen Sinne, auf eine zeitloses Negativ gebannt. Der Raum,

sowohl der örtliche, wie auch der zeitliche, wird auf eine plane Fläche fixiert und der Inter-

pretation des Betrachters überlassen. Dieser bedarf der Schulung gewisser Sehkonventio-

nen, um Dargestelltes auf einem Papierabzug oder bei einer Diaprojektion verstehen, deu-

ten und verorten zu können. So wissen wir beispielsweise, dass kleinere Berge die kontrast-

ärmer und blasser im Bild dargestellt werden wohl in weiter Ferne zu liegen scheinen.

Der Film hingegen ist ein in Bewegung gesetztes Bild, wenn man so will. Nicht ohne

Grund heißt ein Film auch Motion Picture. Panofsky (1999, S. 23) nennt ihn in seinem

Aufsatz Stil und Medium im Film auch „moving picture“.14 Diese Bewegung trifft, im Ver-

gleich zur Fotografie, gleich doppelt auf den Film zu. Zum einen werden die Handlungen

als Bewegungen innerhalb eines Raumes aufgenommen. Zum anderen beginnt der Bildaus-

schnitt sich zu verändern; entweder durch Schnitt, Kamerabewegung oder auch Brennwei-

tenveränderung (Zoom). Durch dieses Zusammenspiel entsteht der Eindruck eines dreidi-

mensionalen Raumes auf einer zweidimensionalen Leinwand (vgl. Hickethier 1996, S. 3)

und „die Addition der einzelnen Raumsegmente [...] zu einem räumlichen Kontinuum

transformiert zugleich den gesehenen abgebildeten Raum in einen neuen Raum, der sich

13 Die Begriffe können zudem auch auf der Ebene der Produktion eines Filmes betrachtet werden, da im Gegensatz zum

Theater beispielsweise keine chronologische Reihenfolge der zu filmenden Szenen besteht und die Takes in ökono-misch sinnvoller Reihenfolge abgedreht werden können (vgl. Walter 2002, S. 37).

14 Dies gilt auch in technischer Hinsicht, da ohne das Laufen des Filmstreifens die Bewegungsillusion, die man auf der Leinwand sieht nicht möglich wäre.

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vom fotografierten optischen Raum deutlich unterscheidet.“ (Hickethier 1996, S. 52) Dar-

über hinaus wird der Zuschauer mobil, indem seine Augen, perspektivisch die Rolle der

Kamera übernehmend, dem Geschehen aus unterschiedlichen Einstellungen folgen.

„... hier hat der Zuschauer einen festen Platz inne, aber nur äußerlich, nicht als Subjekt ästhetischer Erfahrung. Ästhetisch ist es in ständiger Be-wegung, indem sein Auge sich mit der Linse der Kamera identifiziert, die ihre Blickweite und -richtung ständig ändert. Ebenso beweglich wie der Zuschauer ist aus demselben Grund der vor ihm erscheinende Raum. Es bewegen sich nicht nur Körper im Raum, der Raum selbst bewegt sich, nähert sich, weicht zurück, dreht sich, zerfließt und nimmt wieder Gestalt an – so erscheint es durch wohlüberlegte Bewegung und Schärfenänderung der Kamera, durch Schnitt und Montage der verschiedenen Einstellun-gen...“

(Panofsky 1999, S. 25)

Diese technischen Möglichkeiten bleiben dem Film vorbehalten. Kein anderes Medium,

außer interaktive Medien wie Computer- und Videospiele, ermöglicht diese bewegungsin-

tensive Rezeption, die den Betrachter in die Rolle des Voyeurs oder gar, wie in Gaspar

Noés ENTER THE VOID, durch ego-perspektivische Aufnahmen in die des Protagonisten

schlüpfen lässt. Noés aktueller Film ist ohnehin ein interessantes Werk, für eine Analyse

hinsichtlich seiner Kameraarbeit und Räumlichkeitserfahrung.

3.2 Licht und Schatten

Eine Bildanalyse kann eine Vielzahl an Beobachtungen festhalten. Neben der Bestandsauf-

nahme des Gezeigten, welche insbesondere der anschließenden ikonografischen und ikono-

logischen Analyse dienlich ist, sind, wie bereits festgestellt, auch technische Aspekte für eine

eben solche Analyse von Wichtigkeit. In diesem Fall (der Dechiffrierung der räumlichen

Umsetzung) ist die gegliederte Analyse von Vorder-, Mittel- und Hintergrund und deren

Veränderung im Bewegtbild von Bedeutung.

Alle angeführten Fotos und Filme sind in schwarz-weiß gefertigt. Durch die fehlende Farbe

zeichnen sich hier die Bilder nur „vom Kontrast und der Mischung aus ‚Hell und Dunkel’“

(Kühnel 2004, S. 66). Diese hellen oder dunklen Flächen entstehen durch Licht, welches

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Objekte unterschiedlich stark anleuchtet. Es ist ein weiteres „Mittel der Bildkomposition

und der räumlichen Gestaltung“ (Kühnel 2004, S. 59). Genau in diesem Zusammenhang

sollte man daher eher von ‚Ausleuchten’ statt ‚Anleuchten’ sprechen und ‚Hell und Dunkel’

durch die Begriffe ‚Licht und Schatten’ ersetzen (vgl. Hurni 2010).15 Hell und Dunkel

schaffen noch keine Räumlichkeit. Die feinen Nuancen und weichen Übergänge von hellen

zu dunklen Bereichen lassen die räumliche Ausdehnung erst richtig sichtbar werden (vgl.

Khouloki 2009, S. 42). Diese entstehen, wenn Objekte im Raum der „vorfilmische[n] [o-

der vorfotografischen] Realität“ (Hickethier 1996, S. 3), also dem abzulichtenden Szenario,

unterschiedlich stark ausgeprägte Schatten werfen. „Das Licht schafft Raumwirkung vor

allem durch seine Kehrseite: den Schatten.“ (Khouloki 2009, S. 42) In Kombination mit

der perspektivischen Anordnung der Objekte und Führungslinien sowie dem Einsatz von

Tiefenunschärfe wird die Räumlichkeit einer Fotografie oder eines Filmbildes verstärkt. All

diese Aspekte sorgen dafür, dass bei der „Übertragung der dreidimensionalen [...] Welt [...]

in das zweidimensionale Filmbild [...] die Illusion eines dreidimensionalen Raumes ent-

steht.“ (Kühnel 2002, S. 87)

Bewegt sich die Kamera beim Film, so verändert sich damit der Bildausschnitt. Da man

aber nicht jedes der 24 Einzelbilder (Frames) pro Sekunde analysieren kann (da sie Kom-

ponenten, wie Kamerabewegung nicht beinhalten können), empfehlen sich einzelne Ein-

stellungen als kleinste sinnvolle Analyseeinheit; vor allem unter dem Gesichtspunkt der

Raumdynamisierung wie sie Panofsky beschreibt.

4. BEISPIEL FOTOGRAFIE – PRIZEFIGHTER

Die Fotoreportage erschien in dem Magazin Look in der Ausgabe vom 18. Januar 1949

(vgl. Duncan 2008, S. 15). In welchem Format Kubrick die Serie fotografierte konnte lei-

der nicht herausgefunden werden.16

15 Von Anleuchten kann man bei Objekten sprechen, von Ausleuchten bei Räumen. Doch auch bei einem dreidimensio-

nalen Objekt, wie z.B. einem Gesicht wäre der Begriff Ausleuchten wieder notwendig, da es keine plane Fläche ist, son-dern ein durch Koordinaten messbares räumliches Gebilde.

16 Es wurde sich zwecks Nachfrage direkt mit dem Autor des Bildbandes Stanley Kubrick: Drama & Schatten, Rainer Crone, versucht in Verbindung zu setzen, leider ohne Ergebnis.

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Die Fotografien begleiten Walter Cartier in seinem Privatleben und in einer Kampfnacht.

Kubrick war auch bei sehr privaten Momenten mit der Kamera dabei, doch hält er als dis-

tanzierter Beobachter ein Stück weit Abstand, drängt sich nicht als Journalist in den Vor-

dergrund. Die Boxkämpfe jedoch sind so rasant nah fotografiert, dass er zeitweise die Ka-

mera mit in den Ring gehalten hat und man als Betrachter das Gefühl vermittelt bekommt,

man sei mitten im Geschehen (so auch bei dem gewählten Bild, Abb. 7). Ein ähnliches

Gefühl vermittelt er auch in der filmischen Umsetzung seiner Fotoreihe, der Dokumentati-

on DAY OF THE FIGHT, auf die im nächsten Kapitel eingegangen wird.

Abb. 7 – PRIZEFIGHTER - Der Kampf, Jimmy Mangia (li.) & Walter Cartier (re.)

Ich möchte zum Vergleich ein Bild aus dem Kampf von Walter Cartier gegen Jimmy Man-

gia nutzen (Abb. 7), welchen er in der ersten Runde des Kampfes durch K.O. besiegte (vgl.

Duncan 2008, S. 15). Das Foto ist stark nach links gekippt. In den oberen beiden Dritteln

des Bildes ist der Hintergrund in tiefes Schwarz getränkt. Im Mittelgrund sieht man nur

am Rande des Boxrings noch Köpfe der Zuschauer. Sie deuten an, welch eine Menge an

Menschen sich noch dahinter verbergen mag. Davor finden sich, abgetrennt von den Seilen

des Boxrings, die beiden Kämpfer im Vordergrund. Der Linke, Jimmy Mangia, duckt sich,

der Rechte, Walter Cartier, holt zum Schlag aus. Der Ringboden, auf dem sie stehen,

scheint noch weit unter die Kamera zu reichen.

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Kubrick hat mit einer recht kurzen Belichtungszeit gearbeitet, da die Bewegungen der bei-

den Kämpfer punktgenau eingefroren sind. Es ist keinerlei Bewegungsunschärfe zu sehen,

die sonst gerne als Mittel zur Bewegungsvermittlung genutzt wird. Die Tiefe dieses Bildes

ergibt sich durch die Anordnung mehrerer Schichten; fünf um genau zu sein:

1. Schwarzer Hintergrund 2. Zuschauerköpfe (unscharf) 3. Ringseile (leicht unscharf) 4. Boxer (scharf) 5. Bretter (unscharf)

Durch die verschiedenen Schärfeebenen wird dem menschlichen Auge suggeriert, es handle

sich dabei um Objekte, die in weiterer Ferne, oder, wie im Falle der Bretter im Vorder-

grund, sehr dicht vor dem Auge des Betrachters liegen, dass sie zu verschwimmen beginnen.

Das Bild weist zudem eine starke Schräglage, erreicht durch das drehen der Kamera um die

Blickachse nach rechts, auf. Dadurch steigen die Linien, geformt durch Ringseile und -

boden, nach rechts oben an. Die von rechts kommende Bodenkante trifft die linke hinter

Cartier an der Ecke. Beide leiten den Blick des Betrachters perfekt in seine Richtung. Da

Cartier somit höher zu stehen scheint, wirkt er gleichzeitig erhabener. Er ist es, der gerade

schlägt, der Gegner ist es, der sich duckt. Darüber hinaus vermittelt diese Schräglage Un-

ruhe, die auf den Betrachter übergeht.

Das Bild als solches weist in sich bereits eine gewisse Dynamik auf, weil es ein aktionsgela-

denes Moment festhält. Doch weiß man nicht was zuvor passierte oder was unmittelbar

nach diesem Augenblick folgt. Ist es der K.O.-Schlag? Ist es überhaupt ein Treffer? Wird

Jimmy Mangia kontern? In dem Foto lebt nur dieser eine Augenblick weiter, ohne dem

Betrachter hinweise auf das noch Folgende oder zuvor Gewesene zu geben. Ebenso gibt es

keinen Off-Sprecher oder Boxkommentator, der einem eine Aufschlüsselung gibt. Es han-

delt sich um ein „geschlossenes Kräftefeld“, wie Barthes (1989, S. 22) es nennt, dass in sich

Wirkung entfalten muss und dazu dem geschulten Auge und der Vorstellungskraft des Be-

trachters bedarf. Die Handlung über einen gewissen Zeitraum bleibt also außen vor. Der

Raum, den das Foto einfängt, bewegt sich ebenso wenig wie die Objekte selbst. Beides

wichtige Voraussetzungen, die der Film mitbringt, um eine Dynamisierung des Raumes zu

ermöglichen: „Es bewegen sich nicht nur Körper im Raum [durch die Tiefe vermittelt

wird], der Raum selbst bewegt sich“ (Panofsky 1999, S. 25).

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5. BEISPIEL FILM – DAY OF THE FIGHT

Wenden wir uns nun dem Filmbeispiel DAY OF THE FIGHT zu, welches kurz nach der Fo-

toserie PRIZEFIGHTER, basierend auf eben dieser, entstand. Gedreht wurde der Film mit

einer 35mm-Eyemo-Kamera in dem, damals noch aktuellen, Academy Ratio (vgl. Walker

1999, S. 12 & Thrawn 2008). Dazu beschränke ich mich auf zwei Einstellungen, die direkt

aufeinander folgen. Die Qualität der Screenshots ist aufgrund des schlechten Ausgangsma-

terials leider insgesamt recht unscharf und weist wenig Zeichnung in den extrem dunklen

und hellen Bildbereichen auf. Die Details, auf die ich eingehen werde, sind jedoch, wenn

auch schwach, zu erkennen und werden hinreichend beschrieben. Im Anhang findet sich

noch eine CD-ROM mit dem Film in seiner verwendeten Fassung, um die Szenen nach-

vollziehen zu können.

Abb. 8 – Einstellung 1.1 Abb. 9 – Einstellung 1.2

Abb. 10 – Einstellung 1.3 Abb. 11 – Einstellung 2

Die Abbildungen 8, 9 und 10 (S. 14) zeigen eine zusammengehörige Einstellung, welche in

extremer Untersicht aus der gegnerischen Ecke aufgenommen wurde. Die Kameraachse

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verläuft dabei nahezu waagerecht. Abbildung 11 (S. 14) zeigt die nächste Einstellung nach

einem Umschnitt.

Man erkennt schnell, dass die Bilder des Films eine starke Ähnlichkeit mit der Fotografie

haben. Die Charakteristik ist ähnlich, die Aufnahmen sind mit verhältnismäßig großer Tie-

fenschärfe aufgenommen und zeigen harte Kontraste und viele Schwärzen im Hintergrund,

welche die Boxer gut hervorheben. Nicht zuletzt verwendet Kubrick, sehr ähnliche Einstel-

lungen (siehe Abb. 7, S. 12 & Abb. 10, S. 14).

Einstellung 1.1: Der Hintergrund füllt die oberen beiden Drittel des Bildes und ist tief-

schwarz, das Publikum ist also ausgeblendet. Im Mittelgrund sieht man bildmittig aber

unscharf Walter Cartier mit seinem Trainer. Hinter ihm laufen, schwach zu erkennen, die

Ringseile zusammen. Das untere Drittel des Bildes ist gefüllt von der weißen Fläche des

Boxringbodens, der sich bis an die Kamera heranbewegt. Im Vordergrund sieht man einen

Holzhocker. Auf ihm sitzt der Gegner, von dessen Körper man jedoch nur die Beine sieht.

Hier liegt der Fokus in dieser Einstellung. Man erkennt es an den scharfen Kanten des Ho-

ckers, insbesondere dessen Querlatten auf der Unterseite der Sitzfläche.

Die zentralperspektivische Anordnung der Objekte im Bild lenkt den Blick. Cartier in der

Mitte, die Ringseile und die Kanten des Bodens laufen im Zentrum des Bildes hinter ihm

zusammen. Diese „Konvergenz paralleler Linien“ (Kühnel 2002, S. 97) vermittelt räumli-

che Tiefe. Die Einstellung, wäre sie eine Fotografie, wäre sehr gut arrangiert und mehr

vermochte sie als Fotografie nicht zu leisten, um dem Betrachter das Gefühl von Räumlich-

keit zu vermitteln. Das Ungewöhnliche ist jedoch, dass der Schärfebereich im Vordergrund

liegt, wobei der Mittelgrund eigentlich den Blick auf sich zieht. Man ist also ‚gezwungen’

auf die Beine des Gegners zu schauen.

Einstellung 1.2: Die Kamera bleibt statisch, doch der Schärfebereich verlagert sich nun auf

Cartier. Der Hocker und die Beine des Gegners werden unscharf und der Fokus liegt nun

voll und ganz auf Cartier und seinem Trainer. Wie bereits angedeutet vermag das Material

diesen Eindruck nicht sonderlich gut zu vermitteln, doch erkennt man es daran, dass die

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Querbalken auf der Unterseite des Hockers nun unscharf sind und der Körper von Cartier

mehr Zeichnung in den Konturen aufweist. An dieser Stelle zeigt sich das erste Merkmal

der filmspezifischen Mittel der Räumlichkeitsgestaltung, die Schärfeverlagerung. Durch sie

wird der Blick des Betrachters gelenkt, ähnlich wie die Linienführung es (auch in der Foto-

grafie) tut.

Der Gegner wirkt fast wie ein Übermensch. Die Beine sehen riesig aus, während Cartier

wie ein Zwerg in der gegenüberliegenden Ecke sitzt. Die Größenverminderung suggeriert

ebenfalls räumliche Distanz, da man sich als Betrachter bewusst ist, dass beide Kämpfer in

etwa die gleiche Größe haben (vgl. Kühnel 2002, S. 97); ein Beispiel für das, was ich zuvor

als „Sehkonventionen“ und „geschultes Auge des Betrachters“ bezeichnete.

Einstellung 1.3: Im Anschluss ertönt der Gong. Die Boxer stehen auf, bewegen sich aufei-

nander zu und umkreisen sich. Zeitgleich werden die Hocker aus dem Ring genommen.

Währenddessen bewegt sich die Kamera mit einem vertikalen Schwenk nach oben, um die

Kämpfer vollständig einzufangen (vgl. Kühnel 2002, S. 156). Nun sieht man zum ersten

Mal den ganzen Körper des Gegners. Durch die Veränderung des Bildausschnittes bzw. der

Perspektive ändert sich auch der Eindruck des Zuschauers. Der Blick ändert sich von einer

bodennahen, waagerechten Sicht in eine Aufsicht. Die Kämpfer wirken dadurch übergroß,

mächtig, nahezu titanenhaft. Man ist als Betrachter dicht am Geschehen. Die Kamera, als

das Auge des Betrachters, befindet sich mit im Ring. Lediglich die dünnen Seile des Box-

rings sind im oberen Bereich noch zu erkennen. Sie verschwimmen fast im schwarzen Hin-

tergrund und reichen gerade noch aus, um den Blick in die rechte Bildhälfte zu den Boxern

zu lenken.

Einstellung 2: Unmittelbar nach der Körperkontaktaufnahme der beiden Boxer schneidet

die Kamera um. Man sieht den Ring aus sicherer Distanz aus der Vogelperspektive. Im

Vordergrund sind noch die Silhouetten der Zuschauerköpfe zu erkennen. Der Ring befin-

det sich rautenförmig im Mittelgrund des Bildes und füllt mehr als die obere Hälfte des

Bildes aus. Die Zuschauer im Hintergrund sind in der Schwärze gar nicht mehr zu erken-

nen. Die beiden Boxer umkreisen sich, schlagen zu, wehren ab. Durch die Einstellung wird

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schon fast eine epische Überlegenheit des Zuschauers über die handelten Akteure suggeriert

(vgl. Kühnel 2002, S. 143). Die eben noch so großen Boxer sind nun nur noch kleine Ma-

rionetten, die zur Belustigung des Publikums Gewalt und Gegengewalt ausüben. Das Pub-

likum, wie auch die Kämpfer „suchen den Triumpf der Gewalt über die Gewalt“ (Seeßlen

2008, S. 84); am liebsten natürlich bis einer auf die Bretter geht.17

Dieser Umschnitt ermöglicht dem Zuschauer einen Perspektivwechsel ohne dabei den Ki-

nosessel verlassen zu müssen. Er verschafft ihm einen räumlichen Überblick. Die Bewegung

der agierenden Figuren bleibt flüssig, obwohl es sich dabei um zwei völlig unterschiedliche

zeitliche Momente handelt. Da Kubrick mit nur einer Kamera gefilmt hat, konnte er natür-

lich den Positionswechsel nicht durchführen ohne dabei einen Teil des Kampfes nicht zu

filmen. Dennoch wirkt alles wie eine einzige durchgängige Bewegung, ermöglicht durch ein

weiteres filmtypisches Werkzeug: den Schnitt (vgl. Pudovkin in Kühnel 2002, S. 211).

6. DIFFERENZIERUNG DURCH RAUM UND ZEIT

Die Struktur von Film und Fotoserie sind fast gleich (vgl. Duncan 2008, S. 16). Die Ka-

mera verhält sich, trotz der intimen Momente, denen sie zuteil war, recht distanziert ge-

genüber Walter Cartier. Wenn es dann jedoch in den Ring geht und die Gewalt herrscht,

nähert sich die Kamera und bringt den Zuschauer ganz nah ans Geschehen heran. Man hat

bisweilen das Gefühl mit im Ring zu stehen. Diese Eindrücke vermitteln beide Medien in

den Beispielen gekonnt im Rahmen ihrer spezifischen Möglichkeiten.

Kubrick greift bei beiden Arbeiten auf das gleiche Sujet und sogar die gleiche Person, Wal-

ter Cartier, zurück und behält die Bildästhetik von Fotografie zu Film bei. Durch diese

beiden Konstanten lässt sich die Untersuchung der beiden Medien auf ihre spezifischen

Möglichkeiten besonders gut durchführen.

17 Während des Kampfes wird Cartier zur Tötungsmaschine (im Original „killing machine“). Bereits dort zeichnen sich

früh Kubricks Motive seiner späteren Filme ab (vgl. Barg 1996, S. 36): Das Verhältnis Mensch/Maschine, Antihelden im Mechanismus der Gewalt und auch „die Grausamkeit des Menschen und seine Gewalttätigkeit als gesellschaftli-che[s] Phänomen“ (Barg 1996, S. 31).

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Die Fotografie lebt von dem Festhalten eines Momentes. Ein Bild gibt einen statischen

Charakter, auch wenn durch verschiedene technische Umsetzungen, wie beispielsweise eine

längere Belichtungszeit, Bewegung als solche suggeriert werden kann. Der Film hingegen

zeigt und begleitet die Objekte bei ihrer tatsächlich durchgeführten Bewegung. Wo die

Fotografie den abgelichteten Raum lediglich durch die geschickte Anordnung der Elemente

und einer Tiefenunschärfe andeuten kann, vermag der Film durch die Objektbewegung

und Schärfenverlagerungen über eine Zeitspanne hinweg diesen als solchen zu vermessen.

Weiter ist die Fotografie aufgrund ihrer Schnappschussabhängigkeit ein statischer Raum für

den Betrachter, da innerhalb eines Fotos kein Perspektivwechsel stattfinden kann. Das

Filmbeispiel zeigt, wie sich der Blick des Betrachters durch Kamerabewegung und Um-

schnitte verändern und so verschiedene Positionen einnehmen und Assoziationen hervorru-

fen kann.

Innerhalb weniger Sekunden Film finden sich bereits diese drei filmtypischen Elemente, die

eine Fotografie nicht umzusetzen vermag:

1. Verlagerung des Schärfebereichs 2. Kameraschwenk (Veränderung des Blickwinkels) 3. Umschnitt / Perspektivwechsel

Diese Aspekte formen das, was Panofsky unter den Begriffen „Dynamisierung des Raumes“

und „Verräumlichung der Zeit“ zusammenfasst. Dazu darf man natürlich nicht vergessen,

dass die Figuren sich währenddessen, auch in statischen Kameraeinstellungen, flüssig bewe-

gen und somit innerhalb eines Bildes, im Sinne einer Einstellung, räumlich und in Echtzeit

agieren. Ein weiterer Aspekt, welcher der Fotografie verwehrt bleibt.

All das macht die Fotografie selbstverständlich nicht zu einem weniger wichtigen oder inte-

ressanten Medium, sondern zeigt deutlich die technisch motivierten Abgrenzungsmerkmale

und Entwicklungsstadien zweier moderner Kunstformen.

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7. ANHÄNGE

7.1 Filmregister

DAY OF THE FIGHT (USA 1951, R: Stanley Kubrick)

ENTER THE VOID (F 2009, R: Gaspar Noé)

7.2 Bibliografie

7.2.1 Printmedien

Barg, Werner C. (1996). Die Mechanismen der Gewalt. Stanley Kubricks Kino-Visionen. In: Barg, Werner C. & Plöger, Thomas (Hrsg.). Kino der Grausamkeit. Frankfurt a. M.: Bundesverband Jugend und Film e.V.

Barthes, Roland (1989). Die helle Kammer. Bemerkungen zur Photographie. Frankfurt/M.: Suhr-kamp Taschenbuch.

Crone, Rainer (2005). Stanley Kubrick. Drama & Schatten: Fotografien 1945-1950. Berlin: Phaidon Verlag.

Duncan, Paul (2000). Stanley Kubrick. Sämtliche Filme. Köln: Taschen.

Khouloki, Rayd (2009). Der filmische Raum. Konstruktion, Wahrnehmung, Bedeutung. Berlin: Bertz & Fischer.

Kühnel, Jürgen (2004). Einführung in die Filmanalyse. Teil 1: Die Zeichen des Films. Siegen: Univer-sitätsverlag Siegen.

Monaco, James (2003). Film und Neue Medien. Lexikon der Fachbegriffe. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag.

Panofsky, Erwin (1999). Stil und Medium im Film & Die ideologischen Vorläufer des Rolls-Royce-Kühlers. Frankfurt/M.: Fischer Taschenbuch Verlag.

Seeßlen, Georg & Jung, Fernand (2008). Kubrick und seine Filme. Marburg: Schüren.

Walker, Alexander (1999). Stanley Kubrick, director. A Visual Analysis by Sybil Taylor and Ulrich Ruchti. New York: W. W. Norton.

Walter, Stephan (2002). 2001: Mythos und Science im Cinema. Norderstedt: Books on Demand.

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7.2.2 Weblinks

Bibra, Guido (2008). Filmformate. URL: http://www.dvdlog.de/filmformate/filmformate.htm Zugriff am: 05.07.2011, 14:16 Uhr.

Hickethier, Knut (1996). Zur Analyse des Visuellen, des Auditiven und des Narrativen. URL: http://www.mediacultureonline.de/fileadmin/bibliothek/hickethier_filmanalyse/ hickethier_filmanalyse.pdf Zugriff am: 05.07.2011, 15:47 Uhr.

Hurni, Andreas (2010). Bildgestaltung. Eine kurze Einführung für die Fotografie. URL: http://www.andreashurni.ch/bildgestaltung/licht/index.html Zugriff: 11.07.2011, 15:05 Uhr.

Schweizer, Yvonne (2010). Medienimmunität. Erwin Panofskys Style and Medium in the Motion Pictures als kunsthistorisches Symptom. URL: http://tobias-lib.uni-tuebingen.de/ volltexte/2010/4483/pdf/reflex_2_Schweizer_ fi-nal.pdf Zugriff am: 08.07.2011, 16:42 Uhr.

Thrawn, Alex D. (2008). Day of the Fight. URL: http://www.malcolmtribute.freeiz.com/dayofthefight.html Zugriff am: 12.07.2011, 11:30 Uhr.

Zepf, Matthias (1999). Fernseh- und Videonormen, Filmformate und Soundsysteme. URL: http://www.faqs.org/faqs/de-film/formate/ Zugriff am: 05.07.2011, 14:04 Uhr.

Weitere Recherchelinks

http://sprec000.lima-city.de/Digicam2.html Zugriff am: 09.07.2011, 14:31 Uhr.

7.2.3 Bildnachweise

Abb. 1: 2-Flügelblende. FFR Film Filmtechnik – Katalogfoto. URL: http://www.ffr-film.de/_bild/06270054.JPG Zugriff am: 10.07.2011, 18:20 Uhr.

Abb. 2: 3-Flügelblende. FFR Film Filmtechnik – Katalogfoto. URL: http://www.ffr-film.de/bild/06270060.JPG Zugriff am: 10.07.2011, 18:23 Uhr.

Abb. 3: 35mm KB-Negativ Skizze. Selbst erstellt.

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Abb. 4-6: Filmstreifen Skizzen. In Bibra, Guido (2008). Filmformate. URL: http://www.dvdlog.de/filmformate/filmformate.htm Zugriff am: 05.07.2011, 14:16 Uhr.

Abb. 7: PRIZEFIGHTER (1949, Foto: Stanley Kubrick). In: Crone, Rainer (2005). Stanley Kubrick. Drama & Schatten: Fotografien 1945-1950. Berlin: Phaidon Verlag, S. 184.

Abb. 8-11: DAY OF THE FIGHT (USA 1951, R: Stanley Kubrick). Screenshots.