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Jörg Oberste · Susanne Ehrich (Hrsg.) Die bewegte Stadt Migration, soziale Mobilität und Innovation in vormodernen Großstädten SONDERDRUC K AUS 3031_FM10-Die Bewegte Stadt-00.indd 3 07.12.15 13:42

Sozialer Aufstieg im spätrepublikanischen Rom am Beispiel der homines novi

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Jörg Oberste · Susanne Ehrich (Hrsg.)

Die bewegte StadtMigration, soziale Mobilität und Innovation

in vormodernen Großstädten

S O N D E R D RU C K AU S

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Forum Mittelalter · StudienBand 10

Herausgeberin der ReiheEdith Feistner

Umschlagabbildung: Piero di Cosimo, Bau eines Doppelpalasts, 1514 –1518, Tempera auf Holz (The John and Mable Ringling Museum of Art, Sarasota/FL, US), bereitgestellt von akg-images/De Agostini Picture Library

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

1. Auflage 2015© 2015 Verlag Schnell & Steiner GmbH, Leibnizstr. 13, D-93055 RegensburgUmschlaggestaltung: Astrid Riege, RegensburgSatz: typegerecht, BerlinDruck: Erhardi Druck GmbH, RegensburgISBN 978-3-7954-3031-3

Alle Rechte vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf fotomechanischem oder elektronischem Weg zu vervielfältigen.

Weitere Informationen zum Verlagsprogramm erhalten Sie unter: www.schnell-und-steiner.de

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Inhaltsverzeichnis

Jörg Oberste · Susanne EhrichEinführung 7

Johannes FouquetZum Schmuck der Stadt gebaut – Private Munifizenz und soziale Mobilität im frühkaiserzeitlichen Korinth und Sparta 17

Elena KöstnerSozialer Aufstieg im spätrepublikanischen Rom am Beispiel der homines novi 43

Peter HerzZuwanderung und soziale Mobilität in Ostia 59

Neville MorleyMigration, Mobility and the Decline of Urbanism in the Late Roman West 79

Sandro CarocciStudying Social Mobility in Italian Communes (13th – 14th Centuries) 89

Christoph DartmannDie Etablierung transmaritimer Staatlichkeit als Reaktion auf Migration und Mobilität im spätmittelalterlichen Mediterraneum: das Beispiel der Kolonialstädte Genuas 99

Jörg ObersteGeld und Gewissen. Soziale Mobilität von Kaufleuten und normativer Wandel in den Predigten Bertholds von Regensburg 113

Kerstin Schlögl-FlierlDie Bußbewegung der Bianchi im Italien des Spätmittelalters: Unterwegs im Auftrag der Geißelung – aus dem Blickwinkel der Mobilität und möglichen Innovation 151

Richard NěmecTradition, Innovationen oder Rückständigkeit? Medialitätsstrategien der reichsstädtischen und eidgenössischen Eliten an der Schwelle zur Frühen Neuzeit 165

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Katharina JeckelIntegrationsmechanismen eines Expertentums. Soziale Mobilität im Nördlinger Gesandtschaftswesen des 15. Jahrhunderts 189

Jaron Sternheimzu desser lande wolvart unde des Dutschen varende coppmans willen – Formen der Territorial- und Handelspolitik Rigas, Revals und Dorpats im späten 15. Jahrhundert 203

Dennis HormuthDer schwedische Protonotar Georg Plönnies – Möglichkeiten und Grenzen des sozialen und politischen Aufstiegs eines frühneuzeitlichen Migranten 219

Philipp StroblMärkte, Migration und die „Demokratisierung des Geschmacks“ – Amsterdam und London als Zentren der frühneuzeitlichen Weltwirtschaft 235

Autorenverzeichnis 251

Abbildungsnachweis 253

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1 Die wissenschaftliche Diskussion zum Komplex der homines novi ist ausgesprochen vielfältig und soll hier nicht in Gänze wiedergegeben werden. Einen Überblick dazu liefern beispielsweise Le-onhard A. Bruckhardt, The Political Elite of the Roman Republic: Comments on Recent Discus-sion of the Concepts nobilitas and homo novus, in: Historia 39 (1990), S. 77–99; Peter A. Brunt, No-bilitas and Novitas, in: Journal of Roman Studies 72 (1981), S. 1–17; Paul J. J. Vanderbroeck, homo novus again, in: Chiron 16 (1986), S. 239 –242.

2 Vgl. David R. Shakleton Bailey, Nobiles and novi reconsidered, in: American Journal of Philology 107 (1986), S. 259 f.; Matthias Gelzer, Die Nobi-lität der römischen Republik, Stuttgart, 2. Aufl. 1983, S. 32, S. 40 f.; Theodor Mommsen, Römi-

sches Staatsrecht Bd. 3, Tübingen, 4. Aufl. 1953, S. 460 – 464.

3 Vgl. Monique Dondin-Payre, Homo novus: un slogan de Caton à César?, in: Historia 30 (1981), S. 54 –79; John Dugan, Making a New Man. Ci-ceronian Self-Fashioning in the Rhetorical Works, Oxford 2005, S. 7; Timothy P. Wiseman, New Men in the Roman Senate, 139 B.C.-A.D. 14, Ox-ford 1971, S. 18 f. Während es sich für Dondin-Payre bei einem homo novus um die Person einer Familie handelt, die das Konsulat erreichte, greift Wiseman diese Definition auf und erweitert sie dadurch, dass er noch die Männer hinzunimmt, die als erste in ihrer Familie in den Senat aufge-nommen wurden.

4 Dondin-Payre (wie Anm. 3), S. 22.

Sozialer Aufstieg im spätrepublikanischen Rom am Beispiel der homines novi

Elena Köstner

Homo novus – ein unbestimmtes und unbestimmbares Paradoxon in antiken Quellen und moderner Forschung?

In der wissenschaftlichen Diskussion konnte seit Mommsen über Fragen die homines novi betreffend keine Einigkeit erzielt werden.1 Wie aus der Forschungslage und den Quellenbelegen zu schließen ist, wurde der Begriff homo novus während der römischen Republik in Zusammenhang mit denjenigen römischen Bürgern verwendet, die als erste ihrer Familie ein hohes Amt bekleideten und/oder die Zugehörigkeit zum Senat er-langten.2 Eine weitere Forschungsdebatte entwickelte sich aus den Schwierigkeiten, die bei der Rekonstruktion der Abstammung potentieller und tatsächlicher homines novi auftraten: Von Wisemans 79 homines novi konnte Dondin-Payre neun identifizieren und Dugan schätzt die Anzahl der Männer, die das Konsulat zwischen 366 und 63 er-reichten auf ungefähr 15 Personen.3 Die Frage nach diesen unterschiedlichen Resultaten beantwortet Dondin-Payre, indem sie den homo novus als ein Paradoxon der römi-schen Republik erachtet, „comme un type idéal qui aurait renouvelé la classe dirigeante, et l’insistance à souligner le faible effectif des homines novi à l’ascension desquels la noblesse n’aurait cessé de résister.“4 Deshalb kann es auch keine klare Definition des Be-griffs in der Antike gegeben haben, was uns unsere fragmentarische und widersprüch-

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5 Vanderbroeck (wie Anm. 1), S. 241.6 Cicero verwendete den Begriff homo novus als

politischen Slogan (vgl. Cicero, De lege agraria 2,3; Pro L. Murena 7,15 –17) und Sallust äußert durch die Gegenüberstellung von nobilis und no-bilitas seine Kritik an der Nobilität. Er erachtete die Nobilität als factio, die Reichtum, Ehren und Ämter für sich beanspruchte (vgl. Sallust, De bello Iugurthino 15,4; 41,6 f.; 63,6 f.; 64,5; 73,3 – 86,3).

7 Vgl. Plautus, Persa 53 – 61; Rudens 619; Lucilius 258 M.; Gellius 7,9,5; 10,3,3; Macrobius, Convivia primi diei Saturnaliorum 3,14,6 zu Cicero, Orator 2,225; 2,242.

8 Sallust, De Catilinae coniuratione 3,3 (Überset-zung C. Sallustius Crispus, De Catilinae coniu-ratione, Catilinas Verschwörung, eingel., übers. u. erläut. v. Dieter Flach, Stuttgart 2007).

9 Vgl. Jörg Spielvogel, Amicitia und res publica, Ciceros Maxime während der innenpolitischen Auseinandersetzungen der Jahre 59 –50 , Stutt-gart 1993, S. 25 f. Cicero sah sich selbst als ersten homo novus nach C. Caelius Calvus (vgl. Cicero, De lege agraria 2,3; In Verrem 2,5,81; Pro L. Mu-rena 17; De officiis 1,138; In Catilinam 1,28; Q. Cicero, Commentariolum petitionis 13).

10 Vgl. Plutarch, Cato 2; Appian, Bella civilia 2,2.

liche Quellenlage hinsichtlich Quantität und Qualität verdeutlicht: „it was a vague con-cept of social and political status, usually with a pejorative connotation.“5

Sowohl Cicero als auch Sallust verwendeten den Begriff homo novus kontextabhän-gig.6 Des weiteren scheinen die Begriffe homines novi und nobiles und die mit ihnen verbundene Dichotomie erst für die Zeit Ciceros und Sallusts tatsächlich greifbar zu werden, was wiederum auf diese beiden Autoren und auf ihre soziale Herkunft als ho-mines novi zurückgeführt werden kann. Auch gibt es nur wenige Belege für die Begriffe nobilis und homo novus aus der Zeit vor Cicero. Bei Plautus wird in satirischer Weise gezeigt, wie der Anspruch auf die Herkunft aus einer alten Familie erhoben werden konnte, wobei das Adjektiv nobilis in der Bedeutung von „gut bekannt“ oder „von ed-ler Herkunft sein“ verwendet wird.7 Homines novi können also als unbekannt erachtet werden, da ihre Ahnenbilder nicht bekannt waren und sie sich deshalb selbst in die Gesellschaft über ihre Taten und durch ihre virtus einführen mussten. Wenn Sallust aber von der politischen Bühne Roms spricht –

sed ego adulescentulus initio, sicuti plerique, studio ad rem publicam latus sum ibique mihi multa advorsa fuere. Nam pro pudore, pro abstinentia, pro virtute audacia, largitio, avaritia vigebant.

„Doch habe ich mich als blutjunger Mann anfangs wie die meisten aus Begeiste-rung in die Politik gestürzt und mir ist dort vieles zuwidergelaufen. Denn statt Anstand, statt Unbestechlichkeit, statt Tüchtigkeit, blühte Dreistigkeit, Wahlbe-stechung, Habsucht.“8

– darf nicht außer Acht gelassen werden, dass auch er – genauso wie Cicero – ein homo novus war und sich dies in seinem Werk widerspiegelt.9 Plutarch und Appian folgten der ciceronischen Einordnung des homo novus dann auch im 1. und 2. Jahrhundert n. Chr.10

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11 Vgl. Shakleton Bailey (wie Anm. 2), S. 259 f.; Du-gan (wie Anm. 3), S. 7.

12 Henriette van der Blom, Cicero’s Role Models, The Political Strategy of a Newcomer, Oxford 2010, S. 36 f.

13 Vgl. Dondin-Payre (wie Anm. 3), S. 22.

14 Pierre Bourdieu, Ökonomisches Kapital – Kul-turelles Kapital – Soziales Kapital, in: Soziale Ungleichheiten, hg. v. Reinhard Kreckel, Göttin-gen 1983, S. 190 f.

15 Vgl. Bourdieu (wie Anm. 14), S. 191.16 Bourdieu (wie Anm. 14), S. 192.

Da in der Antike keine Einigkeit darüber bestand, was genau einen homo novus aus-macht, weil gerade für die römische Republik eine genuine Definition nicht existierte (womöglich weil sie nicht nötig war oder hinderlich gewesen wäre), sollte dem auch in der Forschung Rechnung getragen werden.11 Van der Bloms Worte mögen an dieser Stelle einen angemessenen Abschluss zur Forschungsdiskussion bilden:

„The consensus seems to be understood as a term implying a certain informal group character and a certain composition of members, even if this composition was a continual change […] that the ambiguity in the sources reflected an ambi-guity in the terminology itself as employed by the Romans.“12

Plädoyer für ein flexibles homo novus-Konzept

Ein flexibles homo novus-Konzept, das dem Fehlen einer eindeutigen antiken Defini-tion Rechnung trägt, muss berücksichtigen, dass es sich, wie Dondin-Payre bemerkt, beim homo novus um einen Idealtypus handelte, der aus der Literatur stammt und u. a. aus den Reflektionen und erfahrenen Reaktionen der homines novi Cicero und Sallust geboren und konnotiert wurde.13 Eine mögliche Hilfestellung, sich den homines novi und ihrem Aufstieg systematisch anzunähern, stellt das Konzept des sozialen Kapitals dar. Damit bezeichnet Bourdieu

„die Gesamtheit der aktuellen und potentiellen Ressourcen, die mit dem Besitz eines dauerhaften Netzes von mehr oder weniger institutionalisierten Beziehun-gen gegenseitigen Kennens oder Anerkennens verbunden sind. […] es handelt sich dabei um Ressourcen, die auf der Zugehörigkeit zu einer Gruppe beruhen.“14

Der Umfang des sozialen Kapitals ist abhängig von dem Umfang des sozialen Netz-werks sowie von dem des ökonomischen, kulturellen und symbolischen Kapitals, das diejenigen besitzen, mit denen sich das Individuum umgibt.15 Dabei ist das soziale Netzwerk nicht grundlegend existent, sondern Resultat fortwährender Institutionali-sierungsarbeit und der damit zusammenhängenden Riten.16 Soziales Kapital bietet also für das Individuum einen Zugang zu den Ressourcen des sozialen und gesellschaftli-chen Lebens; es wird produziert und reproduziert sich über Tauschbeziehungen. Da dem homo novus senatorische Vorfahren und deren Reputation fehlten, musste er sich

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17 Dugan (wie Anm. 3), S. 7.18 Vgl. Bourdieu (wie Anm. 14), S. 193.19 Vgl. Cicero, De officiis 1,7; 3,43; De inventione

2,166 f.; Servius, Commentarius in Vergilii Ae-neida 6,609.

20 Aloys Winterling, Freundschaft und Klientel im kaiserzeitlichen Rom, in: Historia 57 (2008), S. 299.

21 Winterling (wie Anm. 20), S. 299.22 Vgl. Spielvogel (wie Anm. 9), S. 11–15; Koenraad

Verboven, The Economy of Friends. Economic Aspects of Amicitia and Patronage in the Late Republic (Collection Latomus Bd. 269), Brüssel 2002, S. 35 – 41.

noch qualifizieren und beweisen. Des Weiteren benötigte er ausreichend ökonomisches und symbolisches Kapital sowie „political connections, and a proven talent in an area recognized as civically beneficial“, um ein soziales Netzwerk aufbauen zu können, was für seine weitere Karriere unerlässlich war.17 Die Gruppen, die sich durch Austausch-prozesse gebildet haben und sich durch die Fortführung dieser Reziprozität ihrer selbst bestätigen, können in Neuzugängen eine Gefährdung ihrer Gruppengrenzen sehen, da diese Veränderungen herbeiführen können, die wiederum die Gruppenidentität umfor-men.18

Wenn man nun Bourdieus Überlegungen zum sozialen Kapital – besonders im Hin-blick auf den Aufbau eines sozialen Netzwerks – auf die gesellschaftlichen Mechanis-men und Prinzipien der späten Republik anwendet und sich ihrer Termini bedient, stößt man unweigerlich auf amicitia- und cliens-patronus-Beziehungen.19 Beide sind Formen „interpersonaler, längerfristiger Beziehungen […], die nicht auf Verwandtschaft basie-ren, bei denen die Beteiligten gleichwohl als nicht austauschbar gelten und die daher oft durch emotionale Nähe und Vertrauen oder deren Einforderung gekennzeichnet sind.“20 Während Klientelbeziehungen „durch Hierarchie, durch Ungleichheit der Be-teiligten“ und somit durch eine „asymmetrische Struktur“ gekennzeichnet sind, kön-nen die Akteure in einem amicitia-Verhältnis als gleichrangig in einer symmetrischen Struktur erachtet werden.21 Bei beiden Beziehungstypen findet sich ein Anspruch auf gegenseitige Unterstützung manifestiert, der auch in festgelegten Riten bzw. ritualisier-ten Handlungen seinen Ausdruck findet.

Bei amicitia- und cliens-patronus-Beziehungen spielen verschiedene gesellschaftli-che Prinzipien eine zentrale Rolle:22 Fides bildet die Basis zwischen clientes und pa-troni sowie zwischen gleichgestellten amici und führt zu officia, die gegenseitig erbracht werden. Gratia stellt – sowohl bei clientela als auch bei amicitia – die Reziprozität der officia sicher. Da der homo novus einerseits selbst cliens, andererseits aber auch patronus war, konnte er diese Tugenden einfordern, musste sie aber auch selbst erfüllen. Die salu-tationes ritualisieren und visualisieren die Verbindung zwischen cliens und patronus im öffentlichen Raum. Die liberalitas kennzeichnet hingegen allein das amicitia-Verhältnis und kann als die höchste Tugend eines Aristokraten erachtet werden. Für die homines novi galt es, den Aristokraten auch in dieser Hinsicht nachzueifern und sich in diesem gesellschaftlichen Gefüge zurecht zu finden, das in erster Linie von Reziprozität be-stimmt ist, was auch in Bourdieus Überlegungen zum sozialen Kapital als eminenter Faktor für das Anwachsen eines sozialen Netzwerks verstanden wird. Seine virtus befä-

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23 Vgl. Dondin-Payre (wie Anm. 3), S. 54 –79; Wi-seman (wie Anm. 3).

24 Velleius Paterculus 2,128,3 (Übersetzung Vel-leius Paterculus, Historia Romana. Römische Geschichte, übers. u. hg. v. Marion Giebel, Stutt-gart 1994).

25 Vgl. Plautus, Pseudolus 699 f.; Cicero, Orationes

Philippicae 6,17; Pro Cn. Plancio 67; In Catili-nam 1,28; Epistulae ad Brutum 96.

26 Vgl. Cicero, In Verrem 2,5,36; vgl. Frank Gold-mann, Nobilitas als Status und Gruppe – Über-legungen zum Nobilitätsbegriff der römischen Republik, in: Res publica reperta. Zur Verfassung und Gesellschaft der römischen Republik und

higte den homo novus, Leistungen zu erbringen, die ihn in die Position brachten, über den Zugang zu gesellschaftlichen Ressourcen und Austausch sein soziales Netzwerk zu vergrößern bzw. an neue Erfordernisse anzupassen und auf diese Weise seinen Aufstieg weiter fortzusetzen.

C. Marius, M. Tullius Cicero und C. Asinius Pollio – drei Männer auf dem Weg zum Konsulat

Wie Dondin-Payre und Wiseman eindrucksvoll belegen, gab es eine Vielzahl von Män-nern, die als homines novi angesehen werden können.23 Um diese Materialmenge ein-zugrenzen, sollen in dieser Studie nur diejenigen homines novi untersucht werden, die Velleius Paterculus für die späte Republik nennt:

et qui C. Marium ignotae originis usque ad sextum consulatum sine dubitatione Romani nominis habuere principem, et qui M. Tullio tantum tribuere, ut paene adsentatione sua quibus vellet principatus conciliaret, quique nihil Asinio Pollioni negaverunt, quod nobilissimis summo cum sudore consequendum foret, profecto hoc senserunt, in cuiuscumque animo virtus inesset, ei plurimum esse tribuendum.

„Man hatte keine Bedenken, C. Marius trotz seiner unbekannten Herkunft bis zu seinem sechsten Konsulat als Roms führenden Mann anzusehen. Und man schätzte M. Tullius Cicero so hoch, daß er sozusagen auf seine Empfehlung hin jedem führende Positionen verschaffen konnte. Und keine Ehrenstelle, die auch die Allervornehmsten nur mit größter Anstrengung erreichten, blieb dem Asi-nius Pollio verweigert. Das alles tat man in der Überzeugung, daß jeweils die Tüchtigsten die höchsten Ehren verdienten.“24

Resultierend aus dieser Passage werden Gaius Marius, Marcus Tullius Cicero und Gaius Asinius Pollio in diese Untersuchung aufgenommen. Als homines novi gelten die Män-ner, die als unbekannt erachtet wurden, deren Ahnenbilder nicht bekannt waren und die sich deshalb selbst in die Gesellschaft über ihre Taten und durch ihre virtus einfüh-ren mussten.25 Der Verweis der antiken Autoren auf die Ahnenbilder rekurriert auf das ius imaginis ad memoriam posterit atemque prodendae.26 Der Zweck der imagines war

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des frühen Prinzipats, Festschrift für Jochen Bleicken zum 75. Geburtstag, hg. v. Jörg Spiel-vogel, Stuttgart 2002, S. 63 – 65; Harriet I. Flo-wer, Ancestor Masks and Aristocratic Power in Roman Culture, Oxford 1996, S. 54.

27 Vgl. Flower (wie Anm. 26), S. 22. Goldmann (wie Anm. 26), S. 65 meint, dass das ius imaginis als Distinktionsmerkmal dieser Gruppe angese-hen werden kann.

28 Vgl. Wiseman (wie Anm. 3), S. 13.

29 Vgl. Catull 12,1; Tacitus, Dialogus de oratoribus 34. C. Asinius Pollio wurde wahrscheinlich im Jahre 76 oder 75 geboren.

30 Vgl. Silius Italicus, Punica 17,453 f.; Bertram Haller, C. Asinius Pollio als Politiker und zeit-kritischer Historiker. Ein Beitrag zur Geschichte des Übergangs von der Republik zum Prinzipat in Rom (60 bis 30), Münster 1967, S. 23.

31 Vgl. Plinius, Naturalis historia 3,106; Strabon, Geographica 5,4,2.

ihr öffentlichkeitswirksamer Einsatz: Sie stehen für Erbe und Herkunft, Kontinuität und Fortbestand der Familie, aber auch für Geld und Vermögen.27 Die nova nobilitas musste auf die Semantik der imagines verzichten, verspürte aber auch die Missgunst der von Vorurteilen geleiteten alten Aristokratie. Um dieses scheinbare Manko auszuglei-chen, mussten die homines novi ihre virtus weitsichtig und vorausschauend einsetzen, weshalb hier nur die Aspekte untersucht werden, die die virtus der drei Männer beson-ders deutlich zeigen; andere Karrierestationen, wie sie gerade auch durch den cursus honorum vorgegeben waren, sollen an dieser Stelle nicht explizit erörtert werden.

Der Weg zum Konsulat über virtus und soziale Netzwerke

1. Voraussetzungen eines homo novus

Der Besitz des römischen Bürgerrechts, die Zugehörigkeit zur municipalen Elite sowie eine entsprechende Bildung und Kontakte in die Hauptstadt waren essentiell für die Karriere eines homo novus während der späten Republik. Unbedingt notwendig für die Karriere eines homo novus war das römische Bürgerrecht.28 Wie wir bei Cicero, Marius und Asinius Pollio sehen können, stammten alle drei von der italischen Halbinsel, aber nicht aus Rom selbst. Die Vorfahren des Asinius Pollio gehörten den Marrucini an, die an der adriatischen Küste östlich von Rom lebten.29 Die Familie selbst stammte aus dem Ort Teate/Chiete.30 Die Familie Ciceros war in Arpinum im Süden Latiums ansäs-sig, deren Einwohner seit 188 im Besitz des römischen Bürgerrechts waren. Aus dieser Region stammte auch Gaius Marius, der in Cereatae nahe Arpinum geboren wurde, das 90 zum municipium ernannt wurde. Es ist nicht bekannt, wann die Marrucini in den Status eines municipium versetzt wurden oder wann die Einwohner das römische Bürgerrecht erhielten.31 Ein weiterer Aspekt, der die drei Protagonisten verbindet, ist ihre Zugehörigkeit zum municipalen Adel und somit zur lokalen Elite. Explizit soll auf Marius’ Zugehörigkeit zur lokalen Elite hingewiesen werden, da ihm, ausgehend von Plutarchs Überlieferung, eine Herkunft aus ärmlichen, bäuerlichen Verhältnissen attestiert wird und dies auch häufig in der Forschung zu finden ist.32 Das kann aber

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32 Plutarch, Marius 3,1; vgl. Richard J. Evans, Gai-us Marius, A Political Biography, Pretoria 1994, S. 23, Anm. 15.

33 Zum Zustandekommen solcher Kontakte über das Einladen von Gästen: vgl. Wiseman (wie Anm. 3), S. 33 –52; Cicero, Epistulae ad Atticum 4,5,5.

34 Vgl. Cicero, De legibus 3,36. 35 Vgl. Plutarch, Marius 4,1; Valerius Maximus

6,9,14; Cicero, Pro Cn. Plancio 52; Sallust, De bello Iugurthino 64,4.

36 Vgl. Haller (wie Anm. 30), S. 14.

37 Vgl. Cicero, Orator 2,1–3; vgl. Spielvogel (wie Anm. 9), S. 22.

38 Vgl. Cicero, Laelius de amicitia 1; De legibus 1,13; Epistulae ad Brutum 102; 212; 306; Orator 142; vgl. van der Blom (Anm. 12), S. 31 f.

39 Vgl. Cicero, Orator 3,6.40 Vgl. Plutarch, Marius 3 f.41 Vgl. Evans (wie Anm. 32), S. 21.42 Vgl. Ernst Badian, Marius and the Nobles, in:

Durham University Journal 25 (1963), S. 143 f.; Evans (wie Anm. 32), S. 28.

auch als literarischer topos gewertet werden, mit dem Plutarch die Herkunft des Ma-rius abwerten wollte. Es muss jedoch davon ausgegangen werden, dass die Marii zur lokalen Elite von Arpinum gehörten und dementsprechend auch über ausreichend fi-nanzielle Mittel verfügten. Während die Familien der drei Protagonisten in ihren Hei-matorten zur lokalen Elite gehörten, konnte sich der soziale Aufstieg zum homo novus und letztlich zum nobilis nur in Rom vollziehen. Deshalb war es auch so wichtig, dass man Kontakte in die Hauptstadt und v. a. zur politischen Sphäre pflegte.33 Von Cice-ros Familie ist bekannt, dass bereits sein Großvater in der Lokalpolitik tätig war und ebensolche Kontakte zur stadtrömischen Nobilität unterhielt wie z. B. zu M. Aemilius Scaurus (cos. 115).34 Die Marii aus Arpinum wiederum werden als clientes der Corne-lii Scipiones und der Caecilii Metelli bezeichnet.35 Grundlegend für einen homo novus war außerdem eine entsprechende Ausbildung. Asinius Pollios Vater legte Wert auf die Bildung und Erziehung seiner Kinder.36 Dies schreibt Cicero auch seinem Vater zu, der seinen Söhnen eine Ausbildung in Rom ermöglichen konnte. Cicero und sein Bru-der Quintus verkehrten im Umfeld der angesehenen Rhetoren M. Antonius (cos. 99) und L. Licinius Crassus (cos. 95).37 Dadurch erhielt Cicero auch Kontakt zu Q. Mucius Scaevola Pontifex (cos. 95) und Q. Mucius Scaevola Augur (cos. 117), iuris consulatus und die führenden Autoritäten im Zivil- bzw. Sakralrecht.38 Nach eigener Aussage war für ihn seine Tätigkeit im comitatus des Scaevola sehr gewinnbringend, denn er erhielt so Zugang zur Nobilität, ihren Werten und Umgangsformen.39 Plutarch hingegen mo-niert die angeblich fehlende Bildung des Marius.40 Ob dies der Realität entspricht, muss kritisch gesehen werden. Jedoch passt der Verweis auf diesen angeblichen Makel in die Argumentation des antiken Autors. Evans versucht die Äußerung Plutarchs zu entkräf-ten, indem er Griechischkenntnissen in dieser Zeit keine große Rolle für eine derartige Karriere beimisst.41 Badian spricht sich für ein späteres Nachholen des nötigen Wissens aus.42 Meiner Meinung nach hatte Marius wahrscheinlich eine ebenso fundierte Aus-bildung erfahren wie Cicero und Asinius Pollio. Plutarch vernachlässigt diesen Aspekt jedoch, um bewusst – wie auch schon bei seiner Falschaussage zu Marius’ Herkunft – eine größere Distinktion zu den nobiles und zu anderen homines novi zu kreieren.

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43 Plutarch, Marius 3,3 (Übersetzung Plutarch, Große Griechen und Römer Bd. 6, übers. v. Konrad Ziegler u. Walter Wuhrmann [Bibliothek der Alten Welt], Mannheim, 3. Aufl. 2010); vgl. Plutarch, Marius 3,2; Polybios 6,19,1–5. Evans ([wie Anm. 32], S. 27 f.) misstraut Plutarchs Angaben zum cursus honorum des Marius bzw. vermutet eine absichtliche Verfälschung (vgl. Appian, Iberica 76 –78; Valerius Maximus 8,15,7; dagegen: Plutarch, Marius 3,2 und Thomas F. Carney, Once again Marius’ Speech after the

Election in 108 B.C., in: Symbolae Osloenses 35 [1959], S. 15).

44 Vgl. Evans (wie Anm. 32), S. 26 –50; Plutarch, Marius 4 – 6. In dieser Zeit konnte Marius auch das Familienvermögen vermehren, da er Zugriff auf die Gold- und Silberminen in den montes Mariani erlangte (vgl. Cicero, Epistulae ad Atti-cum 1,1,1; De officiis 6,79; Plutarch, Marius 6,1; 8,4; Sallust, De bello Iugurthino 64,4).

45 Vgl. Plutarch, Caesar 1,1; Marius, 6,2.46 Wiseman (wie Anm. 3), S. 53.

2. C. Marius und die militärische virtus

Der Militärdienst, meist unter dem Kommando eines befreundeten Feldherrn, bildete oftmals den Einstieg in die Karrierelaufbahn. Marius tat Dienst in Spanien, wobei sein Einsatz bei Numantia unter dem Kommando des P. Cornelius Scipio Aemilianus 134 in den Quellen besondere Beachtung erfuhr. Plutarch lobt ihn und sein Talent explizit:

λέγεται δὲ καὶ πολέμιον ἄνδρα συστὰς καταβαλεῖν ἐν ὄψει τοῦ στρατηγοῦ. διὸ ταῖς τ‹ ἄλλαις προήγετο τιμαῖς ὑπ‹ αὐτοῦ, καί ποτε λόγου μετὰ δεῖπνον ἐμπεσόντος ὑπὲρ στρατηγῶν, καὶ τῶν παρόντων ἑνὸς εἴτ‹ ἀληθῶς διαπορήσαντος εἴτε πρὸς ἡδονὴν ἐρομένου τὸν Σκιπίωνα, τίνα δὴ τοιοῦτον ἕξει μετ‹ ἐκεῖνον ἡγεμόνα καὶ προστάτην ὁ Ῥωμαίων δῆμος, ὑπερκατακειμένου τοῦ Μαρίου τῇ χειρὶ τὸν ὦμον ἠρέμα πατάξας ὁ Σκιπίων »τάχα δὲ τοῦτον« εἶπεν. οὕτως εὐφυὴς ἦν ὁ μὲν ἐκ μειρακίου φανῆναι μέγας, ὁ δ‹ ἀπὸ τῆς ἀρχῆς τὸ τέλος νοῆσαι.

„Er soll auch einen Feind vor den Augen des Feldherrn im Zweikampf niederge-streckt haben. So wurde er durch manche Ehrung von diesem ausgezeichnet, und als einmal nach der Tafel das Gespräch sich den Heerführern zuwandte und aus der Runde an Scipio die Frage gerichtet wurde, wer wohl das Römervolk nach ihm führen und schirmen werde, da klopfte er Marius, welcher ihm zur Seite lag, leicht auf die Schulter und meinte: ‚Vielleicht der da!‘ So reich hatte die Natur die beiden Männer begabt, daß der eine seine Größe schon im Jünglingsalter ahnen ließ und der andere aus dem Anfang das Ziel vorauszusehen vermochte.“43

Marius konnte hier seine virtus gekonnt unter Beweis stellen, die ihm half, seine officia vorbildlich zu erfüllen, was ihm wiederum fides und gratia entgegenbrachte – eine gute Ausgangsbasis für seine weitere Karriere in Rom, die er in den folgenden Jahren mehr oder weniger gemäß des cursus honorum absolvierte.44 Zwischen 113 und 110 heira-tete Marius die Patrizierin Iulia aus der gens Iulia, einer der einflussreichsten Fami-lien Roms.45 „The real test of social acceptability is marriage.“46 Denn es bestanden angeblich Ressentiments auf Seiten der römischen Nobilität, in municipale Familien

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47 Vgl. Sallust, De bello Iugurthino 61– 63; ausführ-lich dazu: vgl. Christina V. Dix, Virtutes und vi-tia. Interpretationen der Charakterzeichnungen in Sallusts Bellum Iugurthinum (Bochumer Al-tertumswissenschaftliches Colloquium 70), Trier 2006, S. 184 –250.

48 Vgl. Badian (wie Anm. 42), S. 142.49 Vgl. Plutarch, Marius 6,2.50 Vgl. Plutarch, Marius 32,1; zu den politischen

Verbindungen: vgl. Evans (wie Anm. 32), S. 153 –165.

einzuheiraten. Für die homines novi war es trotz dieser Vorbehalte wichtig, eine gute Partie zu machen. Eine Heirat sorgte für stabile Verhältnisse zwischen zwei Familien und ermöglichte die Erweiterung des sozialen Netzwerks. Auch konnte Marius damit belegen, dass er gesellschaftlich akzeptiert wurde.

Für Marius zeichneten die damals herrschenden Verhältnisse (metus Germanicus) und das politische Klima (Skandale der nobiles) gute Chancen, als homo novus, der sich militärisch und politisch bewiesen hatte, die Konsulatswahlen zu gewinnen. Seine letz-ten Schritte zum höchsten Amt der Republik tätigte er erneut im militärischen Bereich. Ab 109 war Marius Legat im Iugurthinischen Krieg unter Q. Caecilius Metellus Numi-dicus, musste aber für die anstehenden Wahlen 108 unbedingt nach Rom zurück. Über die verfrühte Abreise des Marius, um die er Caecilius Metellus Numidicus bat, kam es zum Zerwürfnis zwischen den beiden.47 Dieser Konflikt scheint auf den ersten Blick ein bewusster Verstoß des Marius gegen die Prinzipien der cliens-patronus-Beziehungen zu sein. Jedoch kann auch so argumentiert werden, dass Marius die Asymmetrie der inzwischen überholten cliens-patronus-Verbindung zu den Caecilii Metelli durch eine symmetrische Beziehung, basierend auf amicitia, ersetzen wollte und sich die Caecilii Metelli darauf nicht einlassen wollten oder konnten.

Zwar erfüllt Marius alle Kriterien – mit Ausnahme seiner Herkunft – für das Kon-sulat: industria, probitas, militiae magna scientia – im militärischen Bereich nahezu genial sowie im politischen bescheiden und beherrscht, doch musste er, um die Wahl zu gewinnen, auch sein soziales Netzwerk aktivieren. Dazu nutzte er zum einen seine Kontakte zu den in Africa bzw. im Handel mit Africa tätigen publicani und machte auf diese Weise gleichzeitig Stimmung gegen seinen Konkurrenten um das Amt, Cae-cilius Metellus Numidicus. Zum anderen musste auch die gratia von den mit den Marii verbundenen Familien eingefordert werden. Es kann auch angenommen werden, dass Marius eine große Anzahl von Unterstützern in Arpinum hatte, die ihm während seiner gesamten politischen Karriere zur Verfügung standen, wie z. B. die Gratidii.48 Außer-dem konnten über Eheschließungen – wie bereits angesprochen – stabile Verbindungen zu anderen familiae etabliert werden. Durch seine Heirat mit Iulia bestanden fortan über die gens Iulia Beziehungen zu denjenigen Familien, die mit den Iulii verbunden waren, wie z. B. zu Cn. Domitius Ahenobarbus (Volkstribun 104 und 103).49 Marius’ Sohn Gaius wurde mit Licinia, der Tochter des L. Licinius Crassus (cos. 95) verheira-tet, woraus weitere Unterstützer erwuchsen. Ebenso können einflussreiche Senatoren zu seinen Unterstützern gezählt werden, wie z. B. Q. Lutatius Catulus (cos. 102) und M. Antonius (cos. 99) sowie Q. Mucius Scaevola (cos. 95) sowie die clientes T. Matri-nius, T. Manlius Mancinus und A. Manlius.50 Letztlich konnte Marius ausreichend viele

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51 Vgl. Cicero, De officiis 3,79. 52 Vgl. Cicero, De legibus 21; Orationes Philip-

picae 12,27; Pro Q. Ligario 21; Spielvogel (wie Anm. 9), S. 22.

53 Vgl. Cicero, Epistulae ad Brutum 240; 310.

54 Vgl. Plutarch, Cicero 29; 20 –22. Nach mehr als 30 Jahren Ehe leitete Cicero 47/46 die Scheidung ein, berichtet Plutarch (vgl. Plutarch, Cicero 41).

55 Spielvogel (wie Anm. 9), S. 23. 56 Vgl. Spielvogel (wie Anm. 9), S. 24 f.

Unterstützer aus seinem sozialen Netzwerk aktivieren und die Konsulatswahlen 108 gewinnen.51

3. M. Tullius Cicero und die juristische virtus

Während Marius im Rahmen des Militärdienstes seine virtus zum Vorschein brachte, war für Cicero der Militärdienst während des Bundesgenossenkriegs in der cohors prae-toria des Cn. Pompeius Strabo eine ärgerliche Unterbrechung seiner Studien, die er nach Beendigung seines Dienstes wieder aufnahm.52 Damit knüpfte er auch an bereits bestehende Kontakte zu namhaften Juristen und Rhetoren seiner Zeit an – wie z. B. zu Q. Mucius Scaevola Pontifex und Q. Pompeius Bithynicus – und profitierte von ihren Kontakten wie z. B. zu dem Ritter T. Pomponius Atticus und den nobiles Ser. Sulpicius Rufus und M. Pupius Piso.53 Auch Cicero gelang es durch seine erste Eheschließung, Kontakte zu eminenten Familien zu knüpfen, denn Terentia stammte aus einer ange-sehenen und wohlhabenden patrizischen Familie. Gezielt setzte Terentia das Ansehen ihrer Familie und ihre Mitgift sowie ihr sonstiges Vermögen zur Förderung von Ciceros Karriere ein.54

Cicero nutzte dann die Publikation seiner Abhandlung De inventione, um sich der stadtrömischen Öffentlichkeit vorzustellen: „So verweist er auf die Vorteile, die die mit sapientia angewandte eloquentia in der res publica eröffnet: den sozialen Aufstieg über honos zu dignitas und die Möglichkeit, durch defensio Freunden sowie Klienten Hilfe zu leisten.“55 Seine Absicht war es, aus der Masse der ambitionierten jungen no-biles bzw. Ritter hervorzustechen. Damit machte Cicero Werbung für seine zukünftige Tätigkeit als Anwalt, denn durch eine erfolgreiche Verteidigung wollte er die gratia des amicus gewinnen, die dann dem patronus oder Freund z. B. bei Wahlen vergolten wurde.56 Ciceros Absicht war es, sich der Öffentlichkeit als homo antiqui officii und somit als patronus vorzustellen, der sich der fides gegenüber seinen Klienten verant-wortlich fühlt:

Sciunt ei qui me norunt me pro mea tenui infirmaque parte, postea quam id quod maxime volui fieri non potuit, ut componeretur, id maxime defendisse ut ei vince-rent qui vicerunt. Quis enim erat qui non videret humilitatem cum dignitate de amplitudine contendere?

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57 Cicero, Pro Sex. Roscio Amerino 136 (Überset-zung M. Tullius Cicero, Die Prozessreden, Bd. 1, übers. u. erläut. v. Manfred Fuhrmann [Samm-lung Tusculum], Zürich/Düsseldorf 1997); vgl. Cicero, Pro P. Quinctio 72.

58 Vgl. Spielvogel (wie Anm. 9), S. 31.59 Vgl. Cicero, De imperio Cn. Pompei 52; 61.

60 Vgl. Q. Cicero, Commentariolum petitionis 5; Spielvogel (wie Anm. 9), S. 37.

61 Vgl. Q. Cicero, Commentariolum petitionis 5; 14; 51; Cicero, Epistulae ad Atticum 1,12.

62 Vgl. Cicero, Epistulae ad familiares 1,12,4; 1,18,4; Cassius Dio 39,12,3.

63 Vgl. Cicero, Epistulae ad familiares 1,6,1; 1,5a,2; 1,7,2; 1,2,1.

„Wer mich kennt, weiß: als sich, was ich am liebsten gesehen hätte, eine friedliche Übereinkunft nicht erreichen ließ, da habe ich mich mit meiner geringen und schwachen Kraft vor allem dafür eingesetzt, daß die Sieger würden, die es auch geworden sind. Denn konnte nicht jedermann erkennen, daß die Gemeinheit mit der Ehre um den Besitz der Macht stritt?“57

Seine Verteidigungsreden sollten also Ciceros eigenen Aufstieg vorbereiten und ihm eine ausgezeichnete Reputation in der Öffentlichkeit verschaffen. Während Cicero vor-bildlich den cursus honorum absolvierte, setzte er seine Tätigkeit als Anwalt fort und versuchte „über das Gerichtspatrozinium die gratia seiner Mandanten“ zu erlangen, doch traten ihm die nobiles seiner Meinung nach noch immer mit Ablehnung und Miss-trauen gegenüber.58 Seine große Chance erhielt er 66 während seiner Praetur. In seiner ersten großen politischen Rede befürwortete er den Gesetzesantrag des Volkstribunen C. Manilius, den Oberbefehl gegen Mithridates auf Pompeius zu übertragen.59 Er expo-nierte sich für einen bei Volk, Rittern und publicani populären Antrag und verpflichtete sich Pompeius, um dessen gratia zu erlangen, wobei er v. a. von seinen officia geleitet wurde. Bisher sah sich Cicero v. a. als patronus in Gerichtsangelegenheiten, nun betrat er die rostra und somit die politische Bühne. Gemäß den Ratschlägen, die sein Bruder Quintus verfasst hatte, sollte Cicero das Misstrauen, das die nobiles gegenüber einem homo novus angeblich verspürten, zerstreuen.60 Deshalb war es für ihn so wichtig, die gratia des Pompeius und die seiner Anhänger zu erlangen.61 Gleichzeitig konnte er seine Unterstützer aus dem Ritterstand und andere clientes, die er u. a. über das Ge-richtspatrozinium gewonnen hatte, aktivieren. Sie zeigten Cicero ihre gratia, indem sie bei den Konsulatswahlen für ihn stimmten. Auf diese Weise konnte er diesen Urnen-gang erfolgreich bestreiten und wurde Konsul für das Jahr 63.

4. C. Asinius Pollio und die diplomatische virtus

Asinius Pollio trat im Jahr 56, als er Partei für L. Cornelius Lentulus Spinther (cos. 57) in der Debatte um die Rückkehr des Ptolemaios XII. Auletes nach Ägypten ergriff, in das Licht der Öffentlichkeit.62 Mit seinem Eintreten für Lentulus Spinther positionierte er sich gleichzeitig auf Seiten Ciceros und Pompeius’.63 Asinius Pollio hatte auf diese

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64 Vgl. Haller (wie Anm. 30), S. 17; Cicero, Epistu-lae ad familiares 1,6,1.

65 Vgl. Cicero, Epistulae ad Atticum 4,16,4 – 6; 4,15,4; 4,16,5; Cassius Dio 39,30,4.

66 Vgl. Plutarch, Caesar 32,3. 67 Vgl. Cicero, Epistulae ad familiares 10,31,3; Hal-

ler (wie Anm. 30), S. 22 f. Bei der Rubicon-Über-querung wird Asinius Pollio in Plutarchs Dar-stellung zu den Freunden Caesars gezählt und als einziger namentlich genannt. Das kann damit erklärt werden, dass womöglich Asinius Pollios Geschichtsschreibung Plutarch als Quelle diente. Für den Zeitraum von 53 bis 50 wissen wir nichts über seine Tätigkeiten (vgl. Plutarch, Pompeius 72; Caesar, 46; Appian, Bella civilia 2,82). Nach Haller ([wie Anm. 30], S. 23) soll sich Asinius Pollio in Rom aufgehalten und mit C. Scribonius Curio angefreundet haben, dem Volkstribunen

des Jahres 50, der ein Anhänger Caesars war. Da er kein gutes Verhältnis zu Pompeius, Crassus und Porcius Cato hatte, blieb ihm, als sich der Konkurrenzkampf zwischen den beiden verblei-benden Triumvirn zuspitzte, nur Caesar.

68 Vgl. Haller (wie Anm. 30), S. 25 –31, S. 50 f.; Jac-ques André, La vie et l’œuvre d’Asinius Pollion, Paris 1949, S. 15 f.; Matthias Gelzer, Die drei Briefe des C. Asinius Pollio, in: Chiron 2 (1972), S. 297–312; Velleius Paterculus 2,58,2; 2,73,2; Cassius Dio 42,29,1; 45,10; Plutarch, Caesar 52; 56; 67,8; Plutarch, Antonius 9,1; Cicero, Epis-tulae ad Atticum 12,2; 10,38,2; 13,21,3; 16,4,2; Epistulae ad familiares 10,24; 10,31–33; 11,9,1; 12,22a,3; Appian, Bella civilia 2,40; 2,82; Caesar, De bello civili 1,30,1 f.; Sueton, Caesar 30.

69 Vgl. Haller (wie Anm. 30), S. 50 f.; Cicero, Epis-tulae ad familiares 10,31,6; 10,33,2.

Weise Popularität erlangt und hoffte, auch die gratia des Pompeius und seines Kreises für sich gewonnen zu haben. Doch werden wir aus den Quellen nicht zufriedenstellend über die Motive für sein Eingreifen unterrichtet. Für Haller, der sich in seiner Mei-nung Cicero anschließt, ist Asinius Pollio ein Verteidiger der res publica.64 Dabei ist zu berücksichtigen, dass Haller dieses Argument generell als wesentliche Motivation des Asinius Pollio für die Mehrheit seiner Handlungen ansieht. Aus den Quellen wird auch nicht klar ersichtlich, ob sich Asinius Pollio zu diesem Zeitpunkt tatsächlich einem der Triumvirn anschloss. Die Prozesse des Jahres 54 gegen den ehemaligen Volkstribunen Porcius Cato, der M. Licinius Crassus und Cn. Pompeius Magnus zum Konsulat des Jahres 55 verholfen hatte, brachten dem Ankläger Asinius Pollio erneut große Bekannt-heit ein, denn die Prozesse richteten sich indirekt gegen die in Rom weilenden Trium-virn Pompeius und Crassus.65 Asinius Pollio konnte erneut seine fides und officia unter Beweis stellen; die gratia des Pompeius verlor er jedoch.

Erst mit Caesars Überquerung des Rubicon tritt Asinius Pollio wieder in den Quel-len in Erscheinung.66 Cicero berichtet, Caesar habe ihn zu diesem Zeitpunkt kaum ge-kannt.67 Das würde dafür sprechen, dass sich Asinius Pollio womöglich zunächst an den in Rom residierenden Triumvirn Pompeius und Crassus orientierte, sich jedoch nach den Prozessen des Jahres 54 einen neuen Unterstützerkreis suchen musste. In der Fol-gezeit nahm Asinius Pollio an weiteren Kampagnen Caesars während des Bürgerkriegs teil, er fungierte aber auch als Ratgeber und Organisator für Caesar und Antonius, als ihr Mann hinter den Kulissen.68 Im März 43 – ca. ein Jahr nach Caesars Tod – inten-sivierte sich dann sein Kontakt zu M. Antonius.69 In dieser Zeit entwickelte er sein diplomatisches Verhandlungsgeschick, sein Organisationstalent weiter und baute seine Fähigkeit, aus dem Hintergrund den entscheidenden Einfluss auszuüben, weiter aus. Dies wird eindrucksvoll ersichtlich am Vertrag von Brundisium, der im Herbst 40 un-

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70 Plutarch, Antonius 30,6 (Übersetzung Plutarch, Große Griechen und Römer, Bd. 5, übers. v. Konrad Ziegler u. Walter Wuhrmann [Bibliothek der Alten Welt], Mannheim, 3. Aufl. 2010); vgl. Plutarch, Antonius 31; Cassius Dio 48,31,3; Vel-leius Paterculus 2,78,1.

71 Vgl. Velleius Paterculus 2,86,3.72 Vgl. Plutarch, Antonius 30,6; Appian, Bella civi-

lia 5,65. Für die Zeit bis zum Antritt des Konsu-lats sollte Asinius Pollio für Antonius die Gal-lia cisalpina verwalten (vgl. Velleius Paterculus 2,76,2; Cicero, Epistulae ad familiares 10,31,3;

Haller [wie Anm. 30], S. 54 – 65). Wahrscheinlich verfügte er jedoch nur über einen eingeschränk-ten Amtsbereich, da er nur noch für den östli-chen Teil der Provinz zuständig war, der übrige Teil war gemäß des Vertrags von Philippi ein Teil Italiens. Dies macht deutlich, dass sowohl der Einfluss und die Macht des M. Antonius in Italien schwanden als auch die des Asinius Pol-lio (vgl. Velleius Paterculus 2,76,2 f.; Cassius Dio 48,16 –30). Zur Zukunft des Asinius Pollio: vgl. A. Brian Bosworth, Asinius Pollio and Augus-tus, in: Historia 21 (1972), S. 441– 473.

terzeichnet wurde, und Octavian, M. Aemilius Lepidus und M. Antonius zumindest vorläufig miteinander aussöhnte:

[…] οὐκ εἴων [δ‹] ἐξελέγχειν οἱ φίλοι τὴν πρόφασιν, ἀλλὰ διέλυον ἀμφοτέρους καὶ διῄρουν τὴν ἡγεμονίαν, ὅρον ποιούμενοι τὸν Ἰόνιον, καὶ τὰ μὲν ἑῷα νέμοντες Ἀντωνίῳ, τὰ δ‹ ἑσπέρια Καίσαρι, Λέπιδον δὲ Λιβύην ἔχειν ἐῶντες, ὑπατεύειν δὲ τάξαντες, ὅτε μὴ δόξειεν αὐτοῖς, φίλους ἑκατέρων παρὰ μέρος.

„[…] sondern versöhnten beide und teilten die Herrschaft derart, daß sie das Io-nische Meer zur Grenze setzten, alles Land im Osten dem Antonius, den Westen dem Caesar zuwiesen und Lepidus Afrika behalten ließen, ferner festsetzten, daß beider Freunde abwechselnd das Konsulat verwalten sollten, soweit sie es nicht selbst führen wollten.“70

Asinius Pollio war im Hintergrund tätig und wirkte an den Vereinbarungen mit. Im Rahmen dieser Verhandlungen wurde auch bestimmt, dass Asinius Pollio als amicus des Antonius innerhalb der nächsten zwei Jahre das Konsulat bekleiden sollte – eine Ehrung für die für Antonius geleistete Unterstützung. Diese Episode verdeutlicht ei-nerseits den Einfluss- und Ansehensverlust des Konsulats seit dem ersten Triumvirat sowie die veränderte politische Gesamtsituation.71 Ohne durch die Wahl in der comitia centuriata wurde dieser Posten einem Mann zugesprochen, der von der herrschenden Clique dafür bestimmt worden war. Andererseits kann argumentiert werden, dass die officia des Asinius Pollio, seine fides zu Antonius und die daraus resultierende gratia sich unmittelbar bezahlt machten in Form der Übertragung des höchsten republika-nischen Amtes. Ende September bzw. Anfang Oktober des Jahres 40 wurde Asinius Pollio endlich für seine Mühen entlohnt und wurde Suffekt-Konsul.72

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73 Vgl. Velleius Paterculus 2,128,3.74 Vgl. Joseph Vogt, Homo novus. Ein Typus der

römischen Republik, Rede gehalten zum Antritt

der ordentlichen Professur für Geschichte des Altertums an der Universität Tübingen, Stuttgart 1926/1929, S. 22.

Sozialer Aufstieg im städtischen Milieu der späten Republik

Auch wenn in der Kaiserzeit der Begriff des homo novus für newcomer dieser Epo-che nicht mehr so häufig verwendet wurde, so waren C. Marius, M. Tullius Cicero und C. Asinius Pollio in augusteisch-tiberischer Zeit als homines novi bekannt.73 Auch stehen die drei Männer exemplarisch für ihre jeweilige Zeit. Wie die Fälle der drei Pro-tagonisten zeigen, konnten die Wege zum Konsulat und somit zum Status eines homo novus zur Zeit der späten Republik nicht unterschiedlicher sein. Marius’ virtus lag im militärischen Bereich. Er konnte angesichts der Umstände seiner Zeit auf diesem Feld punkten. Hilfreich war für ihn natürlich auch die Selbstdiskreditierung der Nobilität im Vorfeld seiner ersten Wahl zum Konsul. Ciceros virtus kann im Gerichtspatrozinium verortet werden. Sein vorbildlicher cursus honorum und die große Anzahl seiner clientes führten ihn zu einer erfolgreichen Konsulatswahl. Asinius Pollios virtus lag in seinem Organisationstalent begründet. Er wurde Konsul aufgrund eines politischen deal; nicht die römischen Bürger wählten ihn zum Konsul, sondern das Amt wurde ihm aufgrund seiner diplomatischen Vermittlerdienste zugesprochen (Abb. 1).

Nach Vogt ist virtus die nobilitas des homo novus, vielmehr müsste es heißen, dass virtus einen nobilis macht.74 Virtus war einerseits das Element, das den homines novi, die aus der ländlichen Elite stammten, den Weg in die Hauptstadt öffnete. Hier absol-vierten sie den cursus honorum. Erst der Erfolg in Rom, ersichtlich durch das Konsu-lat, ermöglichte es dann ihren Nachfahren, auf ihre Leistungen verweisen zu können. Andererseits stimmte die virtus der drei newcomer jeweils mit den Bedürfnissen ih-rer Zeit überein, was u. a. ihren Erfolg bedingte und ihnen ermöglichte, ihre jeweili-gen sozialen Netzwerke zu vergrößern und an neue Erfordernisse anzupassen. Dass dies nicht immer erfolgreich verlief, zeigt die Verbindung des Marius zu den Caeci-lii Metelli, die nicht in ein amicitia-Verhältnis transferiert werden konnte. Wenn auch verschiedene Beziehungstypen – familia, clientes-patronus und amicitia – die römische Gesellschaft kennzeichneten, kann jedoch weder für die Nobilität noch für die homines novi eine eindeutige Definition mit genau festgelegten Zugehörigkeitskriterien rekons-truiert werden. Diese Beobachtung ist auch für den Begriff des homo novus zutreffend, der ebenso nicht nur einen Status bezeichnet, sondern auch eine Gruppe. Dabei darf nicht vergessen werden, dass es sich bei diesem Terminus sowohl um einen Idealtypus handelt als auch um ein Paradoxon, denn einerseits führten die homines novi zu einer Erneuerung der herrschenden Elite, andererseits wird auf ihren Makel – das Fehlen senatorischer Ahnen – rekurriert, der ihren Aufstieg jedoch nicht verhindern kann. Bruckhardt verweist bei der Diskussion um die Ablehnung der homines novi durch die etablierten Kreise auf einen interessanten Aspekt: „It was never disputed that the nobility was open to individuals from below and that, therefore, the entry into the

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75 Bruckhardt (wie Anm. 1), S. 84.76 Vgl. Bourdieu (wie Anm. 14), S. 193.77 Dondin-Payre ([wie Anm. 3], S. 30 f.) liegt nicht

ganz richtig, wenn sie für die frühe Kaiserzeit ein Fehlen von Belegen des Begriffs homo no-vus attestiert, berichtet doch Velleius Paterculus über die neuen Männer (vgl. Velleius Paterculus 1,13,2; 2,128,2). Trotzdem kann aufgrund des sel-teneren Auftretens des Begriffs auf „un désinté-rêt pour le phénomène“ geschlossen werden, das auf eine Reduktion des Wortgebrauchs während der Bürgerkriege hinweist (vgl. Dondin-Payre

[wie Anm. 3], S. 31, vgl. Tab. 1: Nennungen von 20 homines novi für die Zeit der römischen Re-publik und vier für die Kaiserzeit). Zwar hat es beispielsweise auch schon unter Sulla Aufsto-ckungen des Senats gegeben, die zu einer verän-derten Zusammensetzung dieses Gremiums und der römischen Elite geführt hatten, doch bele-gen die Untersuchungen Dondin-Payres ([wie Anm. 3], S. 31 f.), dass diese neuen Männer zu Beginn der Kaiserzeit zumindest nicht mehr so häufig als homines novi bezeichnet werden.

political elite was possible in a systematic way, in so far as one belonged to the class cap-able of rule.”75 Auch aus sozialer Perspektive war die Differenz zwischen den beiden Gruppen nicht sonderlich groß, denn die newcomer orientierten sich während ihres gesellschaftlichen Aufstiegs an den Werten und Normen der Nobilität. Damit können auch Bourdieus Befürchtungen, die Neuzugänge könnten die Gruppengrenzen gefähr-den und die Gruppenidentität verändern, entkräftet werden.76 Erst die soziopolitischen Umwälzungen der Bürgerkriegszeit und die Einführung des Prinzipats führten dazu, dass der Begriff homo novus seltener verwendet wurde in der Literatur. Anscheinend verlor die explizite Benennung dieses Karrierewegs an Bedeutung.77

Auch wird an den drei Männern deutlich, dass nur ein flexibles Konzept dem Phä-nomen des homo novus und seinem Aufstieg gerecht werden kann. Die virtus wurde in den verschiedensten Bereichen ersichtlich, gerade auch extra urbem, doch erst in der urbanen Petrischale vollzog sich der soziale Aufstieg eines homo novus.

Abb. 1: Aufstieg der homines novi

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Autorenverzeichnis

Dr. Sandro Carocci, Professore ordinario di storia medievale, Università di Roma „Tor Vergata“

Dr. Christoph Dartmann, Professor für Mittelalterliche Geschichte, Universität Hamburg

Dr. Susanne Ehrich, Akademische Rätin, wissenschaftliche Koordinatorin des Forums Mittelalter an der Universität Regensburg

Johannes Fouquet, Doktorand am Institut für Klassische Archäologie, Universität Heidelberg

Dr. Peter Herz, Professor i.R. für Alte Geschichte, Universität Regensburg

Dr. Dennis Hormuth, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur für Mittlere und Neuere Geschichte, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel

Katharina Jeckel, Doktorandin am Lehrstuhl für Mittelalterliche Geschichte, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Graduiertenschule Humanities, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg

Dr. Elena Köstner, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Alte Geschichte, Universität Regensburg

Dr. Neville Morley, Professor of Ancient History, University of Bristol/UK

Dr. PhDr. Richard Němec, wissenschaftlicher Assistent am Institut für Kunstgeschichte, Abtei-lung Architekturgeschichte und Denkmalpflege, Universität Bern

Dr. Jörg Oberste, Professor für Mittelalterliche Geschichte und Historische Hilfswissenschaften, Sprecher des Forums Mittelalter, Universität Regensburg

Dr. Kerstin Schlögl-Flierl, Professorin für Moraltheologie, Universität Augsburg

Jaron Sternheim, Doktorand in der Abteilung für Mittelalterliche Geschichte, Ludwig-Maximi-lians-Universität München

Mag. Philipp Strobl, PHD., MA, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Swinburne Institute for Social Research der Swinburne University of Technology, Melbourne/Australien

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Abbildungsnachweis

Johannes FouquetAbb. 1: bearbeitet nach Charles K. Williams/Orestes Zervos, Excavations at Corinth, 1989: The Teme-nos of Temple E, in: Hesperia 59 (1990), S. 327 Abb. 1 (ACSA)Abb. 2: nach Charles K. Williams/Orestes Zervos, Excavations at Corinth, 1989: The Temenos of Temple E, in: Hesperia 59 (1990), S. 355 Abb. 5 (ACSA)Abb. 3: nach Robert L. Scranton, Corinth I,3: Monuments in the Lower Agora and North of the Ar-chaic Temple, Princeton 1951, Plan D (ACSA, Corinth Excavations)Abb. 4/5 und 8: Foto des AutorsAbb. 6: nach Saul Weinberg, Corinth I, 5: The Southeast Building, the Twin Basilicas, the Mosaic House, Princeton 1960, Plan II.2 (ACSA, Corinth Excavations)Abb. 7: bearbeitet nach Stella Raftopoulou, New Finds from Sparta, in: Sparta in Laconia: The Archae-ology of a City and Its Countryside, Proceedings of the 19th British Museum Classical Colloquium Held with the British School at Athens and King’s and University Colleges, London, 6 – 8 December 1995 (BSA Studies 4), hg. v. William G. Cavanagh/Sarah E. C. Walker, London 1998, S. 139 Abb. 12.23Abb. 9: bearbeitet nach Geoffrey B. Waywell/John J. Wilkes/Sarah E. C. Walker, The Ancient Theatre at Sparta, in: Sparta in Laconia. Proceedings of the 19th British Museum Classical Colloquium Held with the British School at Athens and King’s and University Colleges, London, 6 – 8 December 1995 (BSA Studies 4), hg. v. William G. Cavanagh/Sarah E. C. Walker, London 1998, S. 98 Abb. 9.2 und Geoffrey B. Waywell/John J. Wilkes, Excavations at the Ancient Theatre of Sparta 1995 –1998: Preli-minary Report, in: The Annual of the British School at Athens 94 (1999), S. 439 Abb. 1 (BSA)Abb. 10: nach Arthur Woodward, Excavations at Sparta, 1924 –1928: I. The Theatre: Architectural Remains, in: The Annual of the British School at Athens 30 (1928 –1930), S. 208 Abb. 19 (BSA, SPHS C2808)

Elena KöstnerAbb. 1: Graphik der Autorin

Peter HerzAbb. 1: nach Tamás Bezeczky, The Laecanius Amphora Stamps and the Villas of Brijuni (Österreichi-sche Akademie der Wissenschaften, Denkschriften 261), Wien 1998, S. 75, Fig. 47

Richard NěmecAbb. 1– 4 und 7: Foto des AutorsAbb. 5: mit freundlicher Genehmigung des Bayerischen NationalmuseumsAbb. 6: nach Heinrich Schreiber, Denkmale deutscher Baukunst des Mittelalters am Ober-Rhein. In li-thographirten Abbildungen mit erläuterndem Texte, 3: Das Münster zu Straßburg, Freiburg i.Br. 1825, Tab. 4, AusschnittAbb. 8: mit freundlicher Genehmigung des Staatsarchivs Bern, Sign. B XIII 29Abb. 9: Kantonale Denkmalpflege, Kt. Nr. 5, IVAbb. 10: mit freundlicher Genehmigung des Stadtarchivs Ulm, Pfarrkirchenbaupflegeamt 1, Stadt Ulm, A Urk. 1470 Juli 11

Dennis HormuthAbb. 1–3: Tabellen und Graphik des Autors

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