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Road Movies Norbert Grob Thomas Klein (Hg.) Genres/Stile #2 Bender + Roadmovies Innenteil 05.07.2006 12:06 Uhr Seite 3

Road Movies

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Road Movies

Norbert GrobThomas Klein

(Hg.)

Genres/Stile #2Bender

+ Roadmovies Innenteil 05.07.2006 12:06 Uhr Seite 3

Die Deutsche Bibliothek - CIP-EinheitsaufnahmeEin Titeldatensatz für diese Publikation ist bei Der Deutschen Bibliothek erhältlich.

Bildnachweis Titelbild: easy rider (USA 1969), Privatarchiv Grob;Innenteil : Privatarchiv Meder; Archiv Reverse Angle;Privatarchiv Grob; Stiftung Deutsche Kinemathek;Filmmuseum Berlin; DVD-Print, für diese Ausgabe:Bender Verlag; © bei den jeweiligen Rechteinhabern.

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile isturheberrechtlich geschützt. Jede Verwertungaußerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfälti-gungen, Microverfilmungen und die Einspeicherungund Verarbeitung in elektronischen Systemen.

© 2006 Ventil Verlag KG, Mainz© für Wim Wenders: Verlag der Autoren,Frankfurt am MainISBN-10: 3-936497-11-7ISBN-13: 978-3-936497-11-3Satz: Christian WilpertLayout: Oliver SchmittDruck: FVA, Fulda

Bender VerlagAugustinerstraße 18, 55116 Mainzwww.bender-verlag.de

Reihe Genres & StileHerausgegeben von Norbert Grob

bisher erschienen:01 : Nouvelle Vague02: Road Movies

in Vorbereitung:03: Politthriller04: Noir-Kino05: Gefängnisfilm06: Neuer Deutscher Film

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Inhalt

7 Vorwort

8 Norbert Grob/Thomas KleinDas wahre Leben ist anderswo …Road Movies als Genre desAufbruchs

21 Wim Wenders»In no city, and no country … «Flüchtige Notizen zum Unter-wegs-Sein

40 Bernd KieferDie Flucht vor der Heimat-losigkeitSieben Zündkerzen für eine Reisedurch die Vorgeschichte der RoadMovies

50 Marcus StigleggerBorn to be free – Easy Riders,Hell’s Angels und andere Outlaws Zur Geschichte der Biker-Filme

67 Norbert GrobLovers on the RunGangsterpärchen

89 Thomas KleinA Goddamn Impossible Way of LifeMusik(er) on the road

101 Roman MauerZwischen Familie und FahrtwindAlltagsrebellen

118 Kai MihmBiedere Fassaden bröckelnRennfilme

128 Knut HickethierAuf dass einem etwaswiderfährtRoad Movies im deutschen Film

149 Andreas RauscherStraßen der Verdammnismad max und das post-apokalyptische Road Movie

165 Thomas MederEine Reise ans Ende desErhabenenRoad Movies und dieamerikanische Gegenkultur

184 50 Filme

188 Ausgewählte Bibliographie

191 Zu den Autoren

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Thomas Klein

A Goddamn Impossible Way of LifeMusik(er) on the road

»I mean, 16 years on the road.

The numbers start to scare you.

I couldn’t live with 20 years on the road.

The road has taken a lot of the great ones. «

Robbie Robertson

(in Martin Scorseses the last waltz)

Rockmusik spielt nicht nur in Form des Soundtracks eine zentrale Rolleim Road Movie. Sie kann unmittelbar in die Dramaturgie integriertwerden, indem vom Unterwegs-Sein ihrer Interpreten erzählt wird. Eineigenes Subgenre hat sich herausgebildet, das David Laderman als»rock ’n’ road-Movie« bezeichnet: »road movies about rock musicians orfans on tour, or merely on the road«1. Der für Jack Kerouacs Protago-nisten so wichtige Live-Act sorgt auch hier für Intermezzi der Bewegungon the road, indem die Musik im Augenblick der Performance die Sinnebewegt. Nahezu alle Filme haben Berührungspunkte zum Musikfilm. DieSpielarten lassen sich hinsichtlich des Fiktionalitätsgrades der dargestell-ten Musiker wie folgt unterscheiden: Im Bio-Pic wird von historischenSongwritern erzählt, wie Woody Guthrie in Hal Ashbys bound for glory(Dieses Land ist mein Land, 1976), oder historische Songwriter fungierenals Vorbild für die Hauptfigur, wie Clint Eastwood in honkytonk man(1982, angelehnt an Hank Williams) oder Willie Nelson in Alan Rudolphssongwriter (1984). In John Landis’ blues brothers (1980), Aki Kau-

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rismäkis leningrad cowboys go america (1989) oder Katja von Gar-niers bandits (1997) spielen Schauspieler Musiker oder Musiker sichselbst. Die Musik dieser Filme kann in der außerfilmischen Realität zumVerkaufsschlager werden, und die Schauspieler können, sofern sie selbstund nicht Playback singen, ihr Starimage als Schauspieler um den desMusikers erweitern. Reale Musiker können auch fiktive Figuren verkör-pern, die keine Musiker sind, so etwa Meat Loaf in der Titelrolle in AlanRudolphs roadie (1980). Eine weitere Spielart ist die Mockumentary,wenn etwa in Bruce McDonalds hardcore logo (1996) die titelgebendenicht wirklich existierende Punkband on tour gezeigt wird. Eine weitereForm der Funktionalisierung von Rockstars, die im Folgenden aber nichtnäher ausgeführt werden soll, besteht darin, den Starstatus zu nutzen,um Figuren, die selbst nicht Musiker sind, eine besondere Typologie zuverleihen. Das bekannteste Beispiel ist vielleicht Monte Hellmans two-lane blacktop (1971) mit James Taylor und Dennis Wilson von den»Beach Boys«, weitere sind John Lurie und Tom Waits in Jim Jarmuschsdown by law (1986) oder Kris Kristofferson in Sam Peckinpahs convoy(1978).

Dieser Systematisierung werde ich weitgehend, aber nicht in jederHinsicht folgen, weil es weitere Differenzkriterien gibt, die im Einzelfallwichtiger sein können, wie etwa der Aspekt, ob es sich um amerikanischeoder europäische Filme handelt.

Songwriter und die Große Depression

bound for glory und honkytonk man spielen zur Zeit der GroßenDepression. In John Steinbecks berühmtem, 1939 erschienenem RomanGrapes of Wrath, und ein Jahr später in John Fords Verfilmung wurdediese Periode in der US-amerikanischen Geschichte bereits als Kritik amamerikanischen Traum verarbeitet. Der Westen verheißt darin zunächstnoch Hoffnung auf ein besseres Leben. Doch bereits der Weg dorthin istderart beschwerlich und von negativen Erfahrungen und Beobachtungendurchsetzt, dass die hochgesteckten Träume der Familie Joad nach undnach einer Ernüchterung weichen. Dann, in Kalifornien, die endgültigeEnttäuschung: Zwar wachsen dort die mythenumrankten Orangen, dochregieren wie in der Heimat des Mittleren Westens große Companys, die die Arbeiter gnadenlos ausbeuten. Nicht umsonst entstanden im Kinodes New Hollywood eine ganze Reihe von Depressionsfilmen, wie etwa

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Martin Scorseses boxcar bertha (Die Faust der Rebellen, 1972) undRobert Altmans thieves like us (Diebe wie wir, 1973), weil über denBezug zur Depressionszeit eine subtile Kritik am amerikanischen Traumgeleistet werden konnte.

In bound for glory und honkytonk man ist die Musik auslösendesMoment für die Auflösung traditioneller Familienstrukturen, ein Phä-nomen, in dem Timothy Corrigan ein Paradigma das Road Movie als US-amerikanischem Nachkriegsphänomen feststellt.2 In bound for glorykann Woody Guthrie nicht anders als seine Familie fürs erste zu verlas-sen, sich on the road und nach Kalifornien zu begeben, weil er nur dortseinem Leben eine Richtung zu geben können glaubt, und die wird in derProfessionalisierung der sozialen Funktion seiner Musik bestehen. Inhonkytonk man reißt Red Stovall eine Familie auseinander, indem erseinen Enkelsohn Whit mit on the road nimmt. Einerseits will er selbst inNashville, im Mekka der Country & Western Musik, endlich erfolgreichsein, bevor er an Tuberkulose stirbt. Andererseits will er Whits Talent för-dern und ihm den Wunsch erfüllen, seine Zukunft selbst zu bestimmen.

In der Heimat hat die Musik die Funktion darüber hinwegzutrösten,dass das Land schwer zu bewohnen ist. Es sind vor allem die Sandstürmedes Mittleren Westens, dem »dust bowl« in Oklahoma, die die Menschenimmer wieder auf die Probe stellen, sie daran zweifeln lassen, ihre Hei-mat wirklich zu lieben. In honkytonk man taucht mit einem dieser ver-heerenden Sandstürme der Musiker zu Beginn des Films erst auf. ImHaus wartet die Familie darauf, dass der Sturm vorüberzieht, der Groß-vater spielt auf der Mundharmonika und die andern singen »Swing low,sweet chariot«, als draußen ein Auto unkoordiniert herankurvt, dasWindrad umfährt und zum Stehen kommt. Aus dem Wagen fällt besin-nungslos betrunken: Red Stovall. In bound for glory singt WoodyGuthrie zu seiner Gitarre, während die Familie in ihrem Haus mit vor dasGesicht gezogenen Tüchern sitzt, um sich vor dem Sand zu schützen.Doch die Musik kann lediglich Trost im Kampf gegen die unbarmherzigeNatur spenden.

Wie die Joads in grapes of wrath lässt Ashby seinen Protagonistenauf dessen Weg nach Kalifornien Erfahrungen ernüchternder Art machen.Viele Szenerien in Ashbys erinnern daher auch an John Fords Film: diemit Hausrat beladenen Lastwagen, die die Route 66 säumen; die erschre-ckenden Bilder der armseligen Auffangcamps in Kalifornien, wo die Men-

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schen verzweifelt und dem Verhungern nah darauf harren, dass endlichauch sie ein paar lumpige Cents auf den Feldern der Großgrundbesitzerverdienen können, um sich und die Familie einigermaßen über die Run-den zu bringen. So sehr Woody Guthrie die gesellschaftlichen Missständeaber auch verstören, hier kann er – der er alleine unterwegs ist und keineVerantwortung einer Familie gegenüber übernehmen muss – sein Poten-tial als Musiker entfalten, hier kann er die Menschen mit seinen Protest-songs erreichen, sie beeinflussen und ermuntern nicht aufzugeben, siedazu bringen, sich gewerkschaftlich zu engagieren.

Mit dem Aufbruch nach Kalifornien in bound for glory und derFahrt nach Nashville in honkytonk man treten die entscheidenden Diffe-renzen der beiden Filme zutage, die auch im Zusammenhang mit der ver-wendeten Musik stehen. Wird bei Ashby dem Protest-Folk-Song im histo-rischen Rückblick auf die dreißiger Jahre ein ähnliches Potential zurGegenkultur wie der Rockmusik zu eigen (was zunächst ja auch für dieSongs Bob Dylans in den frühen 60er Jahren galt), so sind die Songs vonRed Stovall zwar nicht so konservativ wie es meist der Ruf der Country &

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bound for glory

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Western Musik nahe legt. Doch sind sie nicht mehr in den Kontext einerGegenkultur eingebunden. bound for glory ist noch New Hollywood,honkytonk man ist es nicht mehr. Die Unterschiede zeigen sich auch inder Begegnung mit der Musikindustrie in beiden Filmen, der Begegnungmit Musik als Ausdruck der Massenkultur: Als Produzenten auf ihn auf-merksam werden und ihn schließlich unter Vertrag stellen, nutzt WoodyGuthrie die Chance, weil er das Radio als Massenmedium für seineAgitation gegen die Ausbeutung der Arbeiter einsetzen will. Er wehrt sichgegen die Kommerzialisierung seiner Musik, unterläuft jeglichen Versuchseine Musik massenkompatibel zu machen. Ob er dabei seinen Starstatusverliert, ist ihm egal. Red Stovall hingegen will in eine Stadt, wo wohl-weislich eine Musikindustrie bereits besteht, und den Regeln dieserIndustrie will er sich auch nicht entgegenstellen, sondern einen letztenVersuch starten, ein Star zu werden. Alan Rudolphs songwriter schließtin mancher Hinsicht an honkytonk man an. Zum einen findet sich inbeiden Filmen eine Szene, in der Eastwood bzw. Willie Nelson auf demRücksitz eines fahrenden Cabriolets mit der Gitarre einen Song spielen,ein Moment, in dem die perfekte Harmonie von Musik, Freiheit undUnterwegs-Sein gefeiert wird. Zum anderen geht es auch bei Rudolphnicht darum, Kommerzialisierung und künstlerischen bzw. politischenAnspruch zu kontrastieren, sondern vielmehr zu zeigen, wie der Musikersich durch seinen exzessiven Lebenswandel bei seiner künstlerischenSelbstverwirklichung selbst im Weg steht.

In Ashbys wie auch in Eastwoods Film wird nicht das Kraftfahrzeugzur Waffe, wie es für zahlreiche Road Movies der Fall ist3, sondern dieGitarre. Sie wird gegen die Widrigkeiten des Lebens ins Feld geführt, sieist das wesentliche Werkzeug des Protests gegen gesellschaftliche Miss-stände in bound for glory und des Trotzes gegen den eigenen verlebtenund an Tuberkulose erkrankten Körper Stovalls in honkytonk man. DieFahrt nach Nashville findet für Stovall bereits mit der Erkenntnis statt,dass das Leben zu Ende geht. Und dem Tod hat die Musik auch nichtsentgegen zu setzen. Vielmehr hat sie selbstzerstörerischen Charakter,denn das Singen verschlechtert seinen Gesundheitszustand.

honkytonk man ist außerdem eine story of initiation. Es wird davonerzählt, wie Whit erwachsen wird. Die Erfahrungen, die er unterwegsmacht – er schreibt den Refrain des Songs Honkytonk Man, er schläft miteiner Prostituierten, er lernt, auf sich selbst aufzupassen und schließlich

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den Tod kennen – lassen ihn zum Mann werden. Deshalb nimmt hier dieZeit on the road auch einen längeren Zeitraum ein als bei bound forglory, wo es die gesellschaftlichen Missstände sind, die vom Hobo be-kämpft werden müssen, und diese Missstände sind vor allem an demletzten Ort zu bekämpfen, der die Freiheit des Individuums noch möglichmachen sollte: in Kalifornien.

Bands und Roadies

In den achtziger Jahren verschmolz das Road Movie mit der Komödie, in-dem Standards des Genres bis ins Groteske gesteigert wurden. Die komö-diantischen rock ’n’ road movies dieser Art sind zugleich solche, in denenreale Musiker eine wichtige Rolle spielen. Dazu zählt etwa blues broth-ers. Hier ist der Handlungsort mehr die Stadt als das Land, die Straße istnicht mehr die frontier, sondern städtischer Tummelplatz für halsbreche-rische Verfolgungsjagden und Zerstörungsorgien. Die Musiknummernnehmen einen breiteren Raum ein, bis zu deutlichen Berührungspunktenmit dem Musik- und Konzertfilm.

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honkytonk man

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Ein weiteres Beispiel dieser Spielart des rock ’n’ road movies ist AlanRudolphs roadie. Der die Hauptrolle spielende Meat Loaf hatte zuvorzum Kultstatus von Jim Sharmans rocky horror picture show (1974)beigetragen und war mit seinem Album »Bat out of Hell« 1977 zumSuperstarder Rockmusik avanciert. Roadie ist wie blues brothers mitStars der Musikszene gespickt, die mit Walk-On-Konzert-Auftritten glän-zen (z. B. Alice Cooper, Roy Orbison, Blondie). Der von Meat Loafgespielte Travis Redfish begibt sich indessen unter ähnlichen Vorausset-zungen on the road wie in den zuvor besprochenen Filmen: Er verlässtseine Familie, schließt sich einer Band an, weil er sich Hals über Kopf inLola verliebt. Sie ist Groopie der Band, Travis deren Roadie und somit derFahrer und für die Instrumente oder auch den Aufbau der Soundanlagezuständig. Die Unentbehrlichkeit des Roadies bringt Lola wie folgt aufden Punkt: »The bands make it rock, the roadies make it roll«. Tatsächlichsind nicht die Musiker die Hauptfiguren des Films, sondern die sie be-gleitenden Helfer, die sich vom Unterwegs-Sein mit einer Band erhoffen,etwas vom Rock ’n’Roll-feeling mitzubekommen. Der Clou des Films be-steht nun darin, dass gerade der unfreiwillig zum Roadie erklärte Traviszum Star der Band avanciert.

Während eine Totale den Tross der Band auf einem Highway zeigt,hört man neueste Nachrichten aus dem Radio: »Officials are trying to put a stop to rock concerts due to fuel shortages. Don’t they know,rock ’n’ roll puts more energy into the air than it takes out the ground?«Am Konzertort in Idaho angekommen, die Technik nahezu aufgebaut,wird von den örtlichen Behörden tatsächlich der Strom abgestellt. Nunschlägt die Stunde von Travis. Durch seinen erfindungsreichen Vater, eine Art Daniel Düsentrieb, geschult, baut Travis eine komplizierte Appa-ratur, welche aus Sonnenergie, Windenergie, Rindermist und Auto-batterien Elektrizität erzeugt. Das Konzert kann stattfinden, Blondie trittauf und anschließend tritt der Tourmanager auf, um den Mann auf dieBühne zu bitten, ohne den dieses Konzert nicht hätte stattfinden können.Und Travis’ Auftritt ist spektakulär: Von der Ankündigung seiner Personvöllig perplex, fällt er vom Gerüst der Anlage viele Meter tief auf dieBühne.

Mit Blondies rockiger Version von Johnny Cashs Ring of Fire wird einBrückenschlag vollzogen von der traditionellen Volksmusik, Country &Western, hin zur industriellen Volksmusik, dem Rock. Der Aphorismus

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des Radiomoderators – »rock ’n’ roll puts more energy into the air than ittakes out the ground« – wird aber nicht wirklich eingelöst. Weniger Blon-dies Auftritt ist das Spektakuläre, weniger der sound of fury der E-Gitar-ren und der sound of surprise, die Unberechenbarkeit im Spiel des Rock-musikers, vielmehr ist es Travis, der Roadie, der in den Mittelpunktrückt. Er ist auch derjenige, der mit der haarsträubenden Energiegewin-nung eine für Amerika-Mythen, ohne die das Road Movie und die Rock-musik ja nicht denkbar werden, wesentlich substantiellere Brücke schlägt.Er nutzt nicht nur die unversiegbaren Ressourcen der Natur, Sonne undWind, sondern mit dem Rindermist auch Ressourcen, die die Western-Kultur erst hervorgebracht hat. Und schließlich nutzt er die Autobatte-

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roadie

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rien, ohne die das moderne Amerika und entsprechend auch das RoadMovie undenkbar wären.

Der kanadische Regisseur Bruce McDonald hat mit seinen Filmenroadkill (1989), highway 61 (1991) und hard core logo (1996) dasrock ’n’ road movie der 90er Jahre wesentlich geprägt. Nicht immer spie-len Musiker mit, aber immer dreht es sich um sie. In roadkill ist dieProtagonistin auf der Suche nach einer Rockband, in highway 61 machtsich der junge Pokey mit Jackie, die vorgibt ein ehemaliger Roadie undauf der Flucht vor einer Heavy Metal-Band zu sein, auf den Weg voneiner kanadischen Kleinstadt nach New Orleans. Angeblich will sie ihrengerade verstorbenen Bruder in einem Sarg in diese Musikmetropolebringen, doch die Leiche ist nicht ihr Bruder, und Jackie benutzt sie, umDrogen nach New Orleans zu schmuggeln. Wie Pokey es einmal aus-drückt, ist es eine Fahrt, während der die Geschichte der Popmusik bis zuden Wurzeln zurückverfolgt werden kann. Als Diskurs über Rockmusikkann der Film verstanden werden. So war der junge Mann, der nach NewOrleans gebracht wird, vermutlich ein Heavy Metal-Musiker. Mit ihmwird eine Musik in New Orleans zu Grabe getragen, die, verkörpert durcheinen skurrilen ›Seelenkäufer‹, von Moralaposteln verfolgt wird. Mithard core logo hat McDonald die Mockumentary in das Subgenre in-tegriert. Sein Film hat einen gezielt dokumentarischen Gestus, um denEindruck zu erwecken, die Punkband aus Vancouver, die sich nach fünfJahren zu einem Comeback zusammenfindet und auf eine kleine Tourbegibt, gebe es wirklich. hard core logo schließt an die Äußerung deszu Beginn dieses Textes zitierten Robbie Robertson an. Es geht um dieAuftritte, aber auch um die aufreibende Zeit unterwegs, die nächtelangenFahrten über die Highways, in denen man sich die Zeit mit Saufen,Rauchen und Ratespielen vertreibt. Doch ist dieser Film ein Abgesang aufein solches Leben. Die Bandmitglieder wirken körperlich und psychischam Ende, und es stellt sich die Frage, inwiefern ihr anarchischer Gestusnoch authentisch ist, wenn er es jemals war. Denn alles in diesem Filmscheint Fake zu sein: Der Ausgangspunkt für die Tour ist zuerst ein vonJoe Dick, dem Leadsänger von Hard Core Logo, initiiertes Benefizkonzertfür den ehemaligen Punkrocker Buck Haight, der angeschossen wordensein soll. Doch im Laufe des Films stellt sich heraus, dass alles erstunkenund erlogen war. Selbst der Suizid von Joe Dick am Ende ist zwar scho-ckierend, doch stellt sich schnell die Frage, was auch daran echt sein soll.

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leningrad cowboys go america

leningrad cowboys go america

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Die Reflexivität des Films, die vor allem auch darin besteht, dass dieBand im Film von einem Filmteam begleitet wird, dessen Regisseur BruceMcDonald ist, steigert den Eindruck noch, dass es hier um den GreatRock ’n’Roll Swindle geht, den Julian Temple 1978 in seinem gleichnami-gen Film über die Sex Pistols bereits thematisierte.

Europäische Perspektiven

Mit den Mythen Amerikas und dem Road Movie als Genre, das diese My-then sowohl wieder belebt als auch in vieler Hinsicht zu einem Endeführt, haben sich Filmemacher auch auseinandergesetzt, indem sie Frem-de nach Amerika kommen ließen. Bei Jarmusch ist das allenthalben zufinden, in Filmen wie stranger than paradise, down by law und mys-tery train. Daher wundert es nicht, dass Jim Jarmusch einen Auftritt inAki Kaurismäkis Blick auf Amerika und seine Variation des Road Moviehat, in leningrad cowboys go america.

Mit der Hoffnung, ein Publikum für ihre Musik zu finden, ja vielleichtsogar bekannt zu werden, reisen die Leningrad Cowboys in die USA. DieErnüchterung folgt sofort: Ein Produzent räumt ihrer Musik keine Chan-cen ein. In den USA sei der Rock ’n’Roll tonangebend. Ihre schräge Musikkönne aber in Mexiko ein Publikum finden. So begibt sich die Band on theroad, mit einem gebrauchten Cadillac, den sie bei einem von Jim Jar-musch gespielten Händler erstehen, sowie einem Buch über Rockmusikund einer Handvoll Schallplatten als Lehrmaterial. Die Reise durch dasweite Land bietet weniger Bilder von atemberaubenden Landschaftenund glamourösen Städten, sondern vielmehr Bilder zersiedelter Land-schaften und den Suburbs der Städte. Eben dort bieten sich der Bandkleine Auftritte, in Memphis, wo der Mythos vom Rock ’n’Roll, der dochtonangebend sein soll, aber noch weniger zu finden ist als in Jarmuschsmystery train, und an der Westküste, wo nur noch das skurrile Sonnen-bad der blassen Leningrad Cowboys an die Beach Boys erinnert. In Hous-ton, Texas treten sie in einer Biker-Kneipe auf, wo sie mit ihrer Versionvon Born to be Wild einen kleinen Erfolg feiern.

Nach dieser durchwachsenen Reise durch die USA, die die Band nacheinigen Problemen mit ihrem gierigen, von Matti Pellonpää gespieltenManager, aber mit stoischer Ruhe und jener für die Komik des Films es-sentiellen Coolness hinter sich bringen, wird endlich Mexiko erreicht. DasLand, in dem Sal Paradise und Dean Moriarty und auch die Helden der

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Romane Cormac McCarthys noch das Land der Freiheit erkennen wollen,wird zur Endstation der Leningrad Cowboys. Und tatsächlich wird ihreMusik hier verstanden: Sie kommen in die Top Ten der Charts.

Der Tod reist mit, oder die Musiker finden den Tod. In der deutschenpostmodernen Variante des rock ’n’ road movies, bandits, stirbt die ältesteder aus dem Gefängnis geflohenen Frauen. Ihre Flucht hat die Band undihre Musik schnell zu einem Mythos anwachsen und berühmt werdenlassen. Der Tod könnte vielleicht die Frauen noch auf den Boden der Tat-sachen zurückbringen. Doch die Regisseurin Katja von Garnier lässt ihrensichtbar an der Ästhetik von MTV orientierten Film im Mythos der Pop-musik enden. Im Gedenken an ihre gestorbene Freundin spielen sie einletztes Konzert auf einem Dach, ganz so wie die Beatles in der LondonerSavile Row auf dem Dach ihrer Firma Apple. Wiederum angelehnt an Vor-gänger des amerikanischen Road Movie finden die übrigen vier Frauenim Kugelhagel den Tod.

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1 David Laderman: Driving Visions. Austin2002. S. 192 vgl. Timothy Corrigan: A Cinema WithoutWalls: Movies and Culture after Vietnam.New Brunswick 1991. S. 1433 vgl. Martin Bertelsen: Roadmovies undWestern. Ammersbek bei Hamburg 1991.S. 92

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