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Im Pariser Salon von 1881 stellte Édouard Manet die Porträts zweier Männer aus, die als Hasardeure in der ganzen Stadt bekannt waren: Während das Bildnis des Schriftstellers, Journalisten und Politikers Henri Rochefort 1 (Kat. 47) jedoch zu den kleinformatigsten Bildern zählt, die Manet je zum Salon ein- reichte, handelt es sich bei dem Porträt des Abenteurers und Löwenjägers Eugène Pertuiset 2 um ein Großformat (Abb. 1). 3 Rochefort, dessen nahezu lebensgroßes Halbporträt von einem neutralen grau-braunen Fond gefasst wird, blickt in Gedanken versunken und mit verschränkten Armen vor sich hin. Regelrecht abweisend wirkt sein abgewandtes Profil. 4 Ganz anders konfrontiert Manet den Bildbetrachter mit dem ganzfigurig wiedergegebenen, in einer bläulich-violetten Landschaft plat- zierten Pertuiset: Vor einem erlegten Löwen zwischen ein paar Baumstämmen kniend, blickt dieser den Betrachter fast bedrohlich aus dem Bild heraus an – ein Eindruck, der nicht zuletzt dadurch ver- stärkt wird, dass er seinen Karabiner in dieselbe Richtung schwenkt. Was die Salonbesucher im Jahr 1881 vielleicht ahnen, aber kaum wissen konnten, war, dass beide Gemälde auf Fotografien rekurrierten: Während die Pose, die wilde Frisur und Einzelheiten der Bekleidung von Manets Rochefort ihr Vorbild in einer Fotografie des Starfotografen Félix Nadar aus den späten 1850er Jahren finden (Abb. 2), liegt dem Bildnis Pertuisets eine gegen Ende der 1870er Jahre entstandene Fotografie von André Adolphe-Eugène Disdéri zugrunde (Abb. 3). Aus ihr lassen sich Jagduniform, Hut und Bart, Gewehr und sogar der erlegte Löwe in Manets Gemälde herleiten. 5 Auch bei einer Reihe weiterer Werke hat sich der Künstler nachweislich an Fotografien orientiert, wie etwa bei den Bildnissen der spanischen Solotänzerin Lola de Valence (Kat. 18, Abb. 4), des fran- zösischen Baritons und Komponisten Jean-Baptiste Faure (Kat. 45, 46, Abb. 5) und seines Jugend- freunds, des Journalisten und Politikers Antonin Proust (Kat. 42, Abb. 6). 6 Die Vielzahl von Gemälden, für welche die Forschung fotografische Vorlagen aufgespürt hat, ist jedoch umso überraschender, da Manet für die Häufigkeit der Sitzungen, die er seinen Modellen ab- verlangte, bekannt war. 7 Dabei stellte er die von ihm Porträtierten oftmals auf eine harte Geduldsprobe, weil er immer wieder Partien des bereits Gemalten mit dem Messer abkratzte, übermalte oder sogar gänzlich von Neuem begann. So berichtet etwa Jean-Baptiste Faure, dass für sein Porträt in der Rolle Hamlets vierzig Sitzungen nötig gewesen seien, da der Künstler gleich neunmal neu angesetzt, drei Fassungen zerstört und nach den Sitzungen das Bild oftmals radikal überarbeitet habe. 8 Angesichts 103 MEDIALE TRANSPOSITIONEN | MEDIALE TRANSPOSITIONEN Édouard Manet und die Fotografie DIANA WIEHN

Mediale Transpositionen. Édouard Manet und die Fotografie, in: Ausst.Kat. Manet-Sehen. Der Blick der Moderne, [27.5.-4.9.2016, Hamburger Kunsthalle], Petersberg 2016, S. 103-111

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Im Pariser Salon von 1881 stellte Édouard Manet die Porträts zweier Männer aus, die als Hasardeure

in der ganzen Stadt bekannt waren: Während das Bildnis des Schriftstellers, Journalisten und Politikers

Henri Rochefort1 (Kat. 47) jedoch zu den kleinformatigsten Bildern zählt, die Manet je zum Salon ein-

reichte, handelt es sich bei dem Porträt des Abenteurers und Löwenjägers Eugène Pertuiset2 um ein

Großformat (Abb. 1).3 Rochefort, dessen nahezu lebensgroßes Halbporträt von einem neutralen

grau-braunen Fond gefasst wird, blickt in Gedanken versunken und mit verschränkten Armen vor

sich hin. Regelrecht abweisend wirkt sein abgewandtes Profil.4 Ganz anders konfrontiert Manet den

Bildbetrachter mit dem ganzfigurig wiedergegebenen, in einer bläulich-violetten Landschaft plat-

zierten Pertuiset: Vor einem erlegten Löwen zwischen ein paar Baumstämmen kniend, blickt dieser

den Betrachter fast bedrohlich aus dem Bild heraus an – ein Eindruck, der nicht zuletzt dadurch ver-

stärkt wird, dass er seinen Karabiner in dieselbe Richtung schwenkt.

Was die Salonbesucher im Jahr 1881 vielleicht ahnen, aber kaum wissen konnten, war, dass

beide Gemälde auf Fotografien rekurrierten: Während die Pose, die wilde Frisur und Einzelheiten der

Bekleidung von Manets Rochefort ihr Vorbild in einer Fotografie des Starfotografen Félix Nadar aus

den späten 1850er Jahren finden (Abb. 2), liegt dem Bildnis Pertuisets eine gegen Ende der 1870er

Jahre entstandene Fotografie von André Adolphe-Eugène Disdéri zugrunde (Abb. 3). Aus ihr lassen

sich Jagduniform, Hut und Bart, Gewehr und sogar der erlegte Löwe in Manets Gemälde herleiten.5

Auch bei einer Reihe weiterer Werke hat sich der Künstler nachweislich an Fotografien orientiert,

wie etwa bei den Bildnissen der spanischen Solotänzerin Lola de Valence (Kat. 18, Abb. 4), des fran-

zösischen Baritons und Komponisten Jean-Baptiste Faure (Kat. 45, 46, Abb. 5) und seines Jugend-

freunds, des Journalisten und Politikers Antonin Proust (Kat. 42, Abb. 6).6

Die Vielzahl von Gemälden, für welche die Forschung fotografische Vorlagen aufgespürt hat, ist

jedoch umso überraschender, da Manet für die Häufigkeit der Sitzungen, die er seinen Modellen ab-

verlangte, bekannt war.7 Dabei stellte er die von ihm Porträtierten oftmals auf eine harte Geduldsprobe,

weil er immer wieder Partien des bereits Gemalten mit dem Messer abkratzte, übermalte oder sogar

gänzlich von Neuem begann. So berichtet etwa Jean-Baptiste Faure, dass für sein Porträt in der Rolle

Hamlets vierzig Sitzungen nötig gewesen seien, da der Künstler gleich neunmal neu angesetzt, drei

Fassungen zerstört und nach den Sitzungen das Bild oftmals radikal überarbeitet habe.8 Angesichts

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Édouard Manet und die Fotografie

D I A N A W I E H N

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der Nähe, die die fertiggestellten Porträts zu den Fotografien aufweisen, bleibt der Aufwand, den

Manet mit seinen Modellen betrieb, letztlich unerklärlich. Retrospektiv lässt sich heute kaum mehr re-

konstruieren, welchem Vorbild, ob dem lebenden Modell oder der Fotografie, Manet den Vorrang ein-

räumte. Auffällig ist jedoch, dass die Porträtierten in seinen Gemälden oft dieselben Posen einnehmen

oder ähnliche Kleidung tragen wie schon in der fotografischen Vorlage. Dass Manet in der Fotografie

zumindest ein Hilfsmittel sah, durch das sich das Modellstehen ergänzen ließ, legt ein Brief an Isabelle

Lemonnier nahe (Abb. 7), in dem der Künstler – zwei kleine, flüchtig hingeworfene Porträtskizzen

kommentierend – seiner Adressatin erklärt: »Was man auswendig macht, ist nichts wert. Wenn ich we-

nigstens ein Modell vor mir hätte [...]«, um sie sodann zu bitten: »Senden Sie mir doch Ihre Photographie,

damit ich Sie mit größerer Sicherheit festhalten kann, wenn ich eine Skizze machen will.«9

Im noch jungen Zeitalter der Fotografie galt es schließlich, den Stellenwert des Modellstehens

neu auszuhandeln. Nicht nur Manet, sondern zahlreiche Künstler der Zeit scheinen sowohl nach

dem Modell als auch nach der Fotografie gearbeitet zu haben. Jean-Léon Gérôme etwa engagierte

Marie-Christine Leroux für sein Gemälde Phryné devant le tribunal (Kat. 5, Abb. 8).10 Dass er aber

zugleich Nadar beauftragte, sie in der gewünschten Pose zu fotografieren, zeigt, wie sich die

Fotografie als Ergänzung zur tradierten Praxis des Modellstehens bereits in den 1860er Jahren

etabliert hatte. Denn nur die Fotografie bot die besondere Möglichkeit, das Modell noch nach oder

bereits vor einer Sitzung in aller Ruhe zu studieren, ohne fürchten zu müssen, dass die Körperspannung

verloren ginge oder das Licht sich verändern würde. Zudem erleichterte die Fotografie dem Künstler,

die Dreidimensionalität des Modells ins Zweidimensionale zu übersetzen. Überdies erlaubte diese

Arbeitsweise, Zeit, Mühen und nicht zuletzt auch die für das Modell anfallenden Kosten einzusparen.

Obgleich es vermutlich kaum einen Künstler gab, der die Möglichkeiten, die das neue Medium

eröffnete, nicht nutzte, wäre es damals allerdings undenkbar gewesen, die Verwendung fotografischer

Vorlagen offen zuzugeben.11 Das gilt auch für Manet. In der Forschung wurde Manets Auseinander-

setzung mit der Fotografie bereits verschiedentlich thematisiert, wenn auch bislang selten als eigen-

ständiges Thema behandelt.12 Auch der folgende Beitrag möchte hier nur Schlaglichter setzen und

104

1 Édouard Manet: Portrait de Pertuiset, le chasseur de lions /Porträt Pertuiset als Löwenjäger, 1881, Öl auf Leinwand,150 x 170 cm, São Paulo, MASP, Museu de Arte de SãoPaulo Assis Chateaubriand

3 André Adolphe-Eugène Disdéri: Eugène Pertuiset, ca.1878, Fotografie, Albuminpapier, 14,3 x 17,6 cm, Paris,Musée de la Chasse et de la Nature

2 Félix Nadar: Henri Rochefort, 1854–1860, Fotografie, Albuminpapier, 22,2 x 16,7 cm, Paris, Musée d’Orsay

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darlegen, wie sich Manet mit der neuen Technik auseinandersetzt, sich an ihr orientiert und zugleich

von ihr abgrenzt.

Bereits als am 19. August 1839 die Daguerreotypie13 erstmals der Öffentlichkeit präsentiert wurde,

war abzusehen, dass die Fotografie mit der Malerei in Konkurrenz treten würde. Damals hatte einer

Anekdote zufolge der Historienmaler Paul Delaroche dem Fotopionier Louis Daguerre eine seiner

Daguerreotypien entrissen, sie umhergezeigt und pathetisch das Ende der Malerei proklamiert:

»Vom heutigen Tag an ist die Malerei tot.«14 Wenngleich sich diese Prognose nicht erfüllen sollte,

hatte die Erfindung der Fotografie doch einschneidende und weitreichende Folgen für die Malerei.

Dies galt insbesondere für die Porträtmalerei, benötigte doch das fotografische Porträt weniger Zeit,

war erheblich erschwinglicher und von einer Detailgenauigkeit, die sich selbst mit dem feinsten

Pinsel nicht erzielen ließ.

Viele der seit den 1840er Jahren in Paris gegründeten Fotoateliers konnten sich nicht lange halten,

doch geschäftstüchtige Fotografen wie Mayer & Pierson, Charles Reutlinger oder Félix Nadar brachten

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7 Édouard Manet: Brief an Isabelle Lemonnier (recto undverso), 1880, Paris, Département des Arts Graphiques dumusée de Louvre, Legs Moreau-Nélaton en 1927

4 Charles Weyler: Lola de Valence und M. Vantura, 1862,Carte de Visite-Fotografie, Albuminpapier, 8 x 5,5 cm,Paris, Bibliothèque nationale de France

5 Charles Reutlinger: Jean-Baptiste Faure in der Rolle desHamlet, Carte de Visite-Fotografie in George Sirots Albummit Porträts von Jean-Baptiste Faure und dessen Familie,1855–1901, Paris, Bibliothèque nationale de France

6 Franck: Antonin Proust, 1877, Carte de Visite-Fotografie,Paris, Bibliothèque nationale de France

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es zu Rang und Namen und oft zu erheblichem Reichtum. Auch Manet ließ sich immer wieder von

den verschiedensten Fotografen ablichten – so unter anderem von Adolphe-Jean-François-Marin

Dallemagne. Dass dieser Manet aus einem Fenster blicken lässt, das an einen barocken Bilderrahmen

erinnert, zeigt, wie sehr sich die Kunstfotografie in ihren Anfangsjahren zunächst noch an die Malerei

anzulehnen suchte (Abb. 9).15 Zudem besaß Manet, wie viele Bürger, ein Fotoalbum, in dem er die sei-

nerzeit beliebten Carte de Visite-Aufnahmen16 von Familienangehörigen, Freunden und prominenten

Personen des öffentlichen Lebens sammelte. Die erste Seite zeigt neben den Politikern Léon Gambetta,

Émile Ollivier und Georges Clemenceau auch eine Fotografie von Henri Rochefort (Abb. 10).

Dort, wo sich Manet direkt der Fotografie als Vorlage bedient hat, grenzt er sich doch zugleich

von dem neuen Medium ab. So unterscheiden sich die gemalten Porträts von Rochefort und Pertuiset

schon durch das Format und ihre materielle Beschaffenheit radikal von ihren fotografischen Vorbildern.

Denn während die Abbilder der Porträtierten auf den Fotografien nur wenige Zentimeter messen,

wird ihnen in den Gemälden Lebensgröße zurückerstattet. Indem Manet das Schwarz-Weiß der Fo-

tografie in Farbe übersetzte, vermochte er außerdem den Eindruck von Lebendigkeit zu steigern.

Auch die maltechnische Ausführung trägt dazu bei, physische Präsenz zu suggerieren.

Besonders deutlich wird dies im Porträt Rocheforts: Während die Farbe im Fond, beim Anzug und

dem Hemd des Dargestellten kompakt, aber in homogener Glätte aufgetragen ist, hat Manet das

Haupt in ›rauer Manier‹ gemalt. Die uneinheitliche, pastose Oberfläche verleiht dem Gesicht eine taktile

Qualität, wie sie weder die Fotografie noch die akademische Feinmalerei erreichen konnten.17 Die Kritik

fühlte sich durch diese materielle Beschaffenheit des Gesichts herausgefordert. So witzelte selbst der

dem Künstler ansonsten wohlgesonnene Joris-Karl Huysmans, einen »von Schnabelhieben angepickten

Weichkäse« solle man dieses Fleisch doch heißen,18 während Chassagnol in Rocheforts gequälten Ge-

sichtszügen im Mai 1881 Epilepsie,19 im Juni schließlich hohes Fieber zu diagnostizieren meinte.20

Eine andere Relation von fotografischer Vorlage und Gemälde ergibt sich im Fall von Pertuiset:

Hier hat Manet das Mise en Scène der Fotografie in eine landschaftliche Szenerie transponiert. Das

bot, wie Elizabeth McCauley ausführt, die Möglichkeit, der Artifizialität der Inszenierung entgegen-

zuwirken und ihr auf diese Weise mehr Glaubwürdigkeit zu verleihen.21 Indem Manet Pertuiset

nämlich nicht mehr in einem Fotoatelier zeige, sondern in eine Landschaft einbette, habe der

Künstler den Versuch unternommen, den Jäger gleichsam in seinem natürlichen Habitat zu porträ-

tieren.22 McCauley zufolge sei der Künstler dabei allerdings kläglich gescheitert.

Tatsächlich hat Manet die Artizifialität des fotografischen Arrangements keineswegs überwunden:

So verwandelte er das Löwenfell, das dem Jäger auf der Fotografie als Attribut zugeordnet ist, im Gemälde

mitnichten in eine überzeugende Darstellung eines Löwen. Bar jeder Plastizität führt er auch hier nicht

mehr als ein Requisitendasein. Daran konnte sich die zeitgenössische Salonkritik weiden: Man machte

sich lustig über den ausgestopften Löwen, der im Rücken des sich auf der Pirsch befindlichen Jägers fried-

fertig seine Zähne blecke.23 Der furchterregende Jäger habe doch nur ein Löwenfell getötet, das ein zer-

streuter Kürschner unachtsam in der Landschaft habe liegen lassen, kommentierte Le Temps. Nun richte

er seine Waffe gegen den unschuldigen Betrachter.24 Ebenso wenig wie der Löwe oder Pertuiset in

seiner »Verkleidung als Tiroler Jäger«25 vermochte die Landschaft in ihrer räumlichen Erstreckung zu

überzeugen. Vielmehr hat sie die Anmutung einer mit flachen Baumstaffagen ausgestatteten Kulisse.

Zur künstlichen Wirkung der Szenerie trägt auch die blau-violette Farbigkeit bei, in die Landschaft

und Jäger getaucht sind. Sie provozierte ebenfalls den beißenden Spott der Kritik. Im Juni 1881

schreibt L’Univers illustré von der ärmlichen Vorstellung Manets in diesem Jahr. Der Jäger Pertuiset sei

wohl aus Atemnot violett angelaufen, habe in einem violetten Wald auf einem violetten Boden

einen gleichermaßen violetten Löwen mit einer violetten Waffe erlegt. Beim Anblick von so viel

Violett überkomme einen das Verlangen nach einem Augenarzt.26 Zwar hat der Künstler auch hier

das Schwarz-Weiß der Fotografie durch Farbe ersetzt, doch anstatt die dargestellte Szenerie realer

wirken zu lassen, lässt der intensive Violettton sie noch unwirklicher erscheinen.

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8 Félix Nadar: Aktstudie (Marie-Christine Leroux genanntRoux), 1860/61, Fotografie, Salzpapier, 20,2 x 13,3 cm,New York, The Metropolitan Museum of Art. Purchase, TheMorace W. Goldsmith Foundation Gift, through Joyce andRobert Menschel, 1991

9 Adolphe-Jean-François-Marin Dallemagne: Édouard Manet,1900 (Abzug, Atelier Nadar), Fotografie, Albuminpapier, 20 x 12,5 cm, Paris, Bibliothèque nationale de France

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Angesichts einer solch nachgerade karikaturhaften Bildgestaltung scheint das Manet von McCau-

ley unterstellte Scheitern wenig plausibel. Vielmehr ist davon auszugehen, dass der Künstler bewusst

die unfreiwillige Komik der Fotografie ins Groteske zu steigern suchte. Die ins Auge stechende

Künstlichkeit des Gemäldes spricht dafür, dass Manet diese Wirkung gezielt hatte herbeiführen

wollen. Daher wirkt Pertuiset auch in Manets Malerei wie ein komischer Held.

Manet bediente sich Fotografien jedoch nicht nur als Vorlage, sein Œuvre zeugt vielmehr auch dort,

wo eine solche nicht nachweisbar ist, von einer intensiven Auseinandersetzung mit dem neuen Me-

dium. Seine Gemälde weisen zu allen Schaffensperioden eine Reihe von Gestaltungselementen auf,

die sich aus der zeitgenössischen Fotografie herleiten lassen.

Das lässt sich bereits an dem 1863 im Salon des Refusés ausgestellten Gemälde Déjeuner sur

l’herbe (Abb. 9, S. 25) veranschaulichen, das nicht nur aufgrund seines Sujets, sondern auch in

formaler Hinsicht irritiert. Nicht nur, dass hier eine nackte Frau gemeinsam mit zwei bekleideten

Herren picknickt und dabei selbstbewusst ihren Blick aus dem Bild auf den Betrachter richtet, erregte

den Unmut des Publikums, sondern auch ihre physische Erscheinung provozierte die Gemüter. Alexi

Worth hat schlüssig gezeigt, dass die Kritik an dem gedrungenen, blassen Körper von Manets Modell

Victorine Meurent eben jener Reaktion entsprach, wie sie die ersten Aktfotografien hervorgerufen

hatten, die ungeschönte, gewöhnliche Menschen zeigten und sich damit so gar nicht in die Konven-

tionen akademischer Idealisierung fügen wollten.27 Zugleich wurde der Blick, mit dem Victorine den

Betrachter ins Visier nimmt, mit den oftmals starren Blicken, wie sie Porträtierte auf Fotos der Zeit zur

Schau tragen, verglichen.28

Teil der genannten Konventionen war nicht zuletzt eine in zahlreichen Abstufungen zu erzielende

Feinmodellierung der dargestellten Körper. Wenn Manet stattdessen Licht- und Schattenpartien

seiner Figuren hart miteinander kontrastierte, habe er damit – so Worth – die Lichtverhältnisse der

frühen Atelierfotografie, die ihre Objekte stark frontal ausleuchtete, in seine Malerei übertragen.29

Die Beleuchtungssituation, die sich in den 1860er Jahren in den Fotoateliers durchzusetzen begann,

führte nicht nur zu einer radikalen Reduktion der Halbtöne, sondern ließ zugleich auch den Tiefenraum

kollabieren.

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11 Henry Peach Robinson: A Holiday in the Wood / Ein freierTag im Wald, 1860, Fotografie, Albuminpapier, 42,9 x 56 cm,Rochester, George Eastman House. Gift of Alden ScottBoyer

10 Seite aus Édouard Manets Album mit Carte de Visite-Foto-grafien, Paris, Bibliothèque nationale de France

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Fehlende Tiefe und eine extreme Flächigkeit zeichnen auch die Parklandschaft aus, in die der

Künstler seine Figuren in Déjeuner sur l’herbe eingebettet hat, sind aber zugleich ein allgemeines

Charakteristikum der Malerei Manets.30 In Déjeuner sur l’herbe führt dies unweigerlich dazu, dass die

dargestellten Figuren ganz eigentümlich vor dieser Landschaftskulisse platziert erscheinen, fast so,

als wollten sie im nächsten Moment von der hochgeklappten Bildfläche rutschen. Zu Recht fühlt

sich Barbara Wittmann daher angesichts der Hintergründe von Manets Gemälden »an jene gemalten

Kulissen [erinnert], die zur fixen Ausstattung des Photoateliers gehörten und die Portraitierten in

eine pittoreske Situation einbinden sollten.«31 Auch die Accessoires der Bilder Manets – in Déjeuner

sur l’herbe wäre an den ausgekippten Korb zu denken – gemahnen an die artifiziellen Requisiten, mit

denen die Porträtfotografen ihre Kunden auszustatten pflegten.32

Das Bild unterteilt sich schließlich kaum in Vorder- und Hintergrund, sondern gliedert sich

vielmehr in zwei übereinander liegende Bildstreifen, was durch die uneinheitliche Lichtführung noch

betont wird: Während die Gruppe in der unteren Bildzone frontal angestrahlt wird, fällt seitliches Licht

auf die weibliche Figur im Hintergrund.33 In ihrem Größenverhältnis zur zentralen Figurengruppe voll-

kommen überdimensioniert schwebt die sich im Fluss waschende junge Frau regelrecht über ihnen.

Insgesamt wirkt das Ensemble nicht weniger zusammengestückelt als die aus mehreren Negativen

kombinierten frühen Collagen der Fotografie. Wie in Manets Gemälde scheinen etwa die dargestellten

Figuren in Henry Peach Robinsons Kombinationsfotografie A Holiday in the Wood (Abb. 11) wie Fremd-

körper in die Landschaft eingesetzt.34 Was bei Robinson als unbeholfenes Provisorium erscheint,

wird bei Manet zur malerischen Strategie: Bewusst legt er die Konstruiertheit seiner Bildkomposition

offen und bricht so mit der perspektivischen Illusion eines einheitlichen Bildraums.

Manets andauernde Beschäftigung mit den Gesetzmäßigkeiten des Sehens wird besonders deutlich

in dem 1869 zum Salon eingereichten Gemälde Le déjeuner dans l’atelier (Kat. 19). Während die ado-

leszente Gestalt des im Vordergrund positionierten Léon Leenhoff durch das von rechts oben einfal-

lende Licht prägnant hervorgehoben wird, scheinen die beiden anderen Figuren, der hinter dem

Esstisch sitzende Raucher sowie das den Kaffee servierende Hausmädchen, förmlich im Halbdunkel

des Hintergrunds zu versinken. Besonders beim Vergleich der Gesichter und Hände der einzelnen Fi-

guren wird deutlich, wie stark Manet den Fokus auf das Gesicht des Jungen gelegt hat, während den

beiden anderen Figuren nicht nur durch ihre Positionierung, sondern auch durch ihre skizzenhafte

Ausführung ein ungleich geringerer Grad an Aufmerksamkeit zukommt.35 Das entsprach den neuesten

Erkenntnissen über die Physiologie des Sehens wie sie etwa Hermann von Helmholtz formuliert

hatte: »Das Auge stellt ein optisches Werkzeug von sehr großem Gesichtsfelde dar, aber nur in einer

kleinen, sehr engbegrenzten Stelle dieses Gesichtsfeldes sind die Bilder deutlich. [...] So gleicht das

Gesichtsbild, welches wir durch ein Auge erhalten, einer Zeichnung, in welcher ein mittlerer Theil

sehr fein und sauber ausgeführt, die Umgebung aber nur grob skizziert ist.«36

Manets Gemälde fixiert einen bestimmten, flüchtigen Augenblick. Doch indem hier bewusst einige

Partien stärker, andere weniger stark in den Fokus gerückt sind als bei einer frühen, fotografischen Auf-

nahme, die in ihrer flächendeckenden Detailgenauigkeit keinen Unterschied zwischen den einzelnen

Bildelementen machte, grenzt sich Manet zugleich gegenüber dem neuen Medium ab. Gerade dass

das Objektiv der Kamera jede Einzelheit mit gleicher Schärfe wiedergab, wurde ihr vom künstlerischen

Standpunkt als Defizit ausgelegt – nicht zuletzt, weil es dem »natürlichen« Sehen widerspreche.37 Le

Déjeuner dans l‘atelier lässt sich demgegenüber als Wiedergabe eines subjektiven Seheindrucks begreifen,

der mit den Mitteln der Malerei fixiert wurde. Hier objektiviert und reflektiert Manet gewissermaßen,

wie es Michael Zimmermann formuliert hat, sein eigenes, subjektives Sehen.38

Einen besonderen Höhepunkt in der Auseinandersetzung mit der Fotografie stellt Manets Autoportrait

à la palette dar (Abb. 12), das schon insofern von hoher Relevanz ist, als Selbstporträts stets auch eine

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künstlerische Selbstaussage innewohnt. Indem das Pinselwerk dieses Gemäldes nicht nur das Bild

wiedergibt, wie es der Künstler im Spiegel vor sich hatte, sondern zugleich die Bewegung der Hand

während des Malens selbst dokumentiert, zeigt das Autoportrait à la palette – wie Carol Armstrong

zu Recht herausgestellt hat – nicht nur das Konterfei des Künstlers, sondern zugleich »eine Darstellung

des Malers bei der Arbeit [...] auf einer Leinwand« und »ganz wörtlich die Leinwand, auf der er arbei-

tet.«39 Performativ tritt hier der Akt des Malens selbst zutage. Während das Gesicht des sich malenden

Künstlers zwar lebhaft, doch in einer bestimmten Position auf der Leinwand fixiert ist, gilt ganz

anderes für die Hände: Den Oberkörper hinab über die Unterarme bis hin zu den sich bewegenden

Händen erscheint das gemalte Gegenüber immer unruhiger. Während die Pinsel und Palette haltende

Hand jedoch nur ein leichtes Vibrato erlebt – wobei offenbleibt, ob es sich bei den durch das Dau-

menloch der Palette gesteckten Pinsel um tatsächlich drei Exemplare oder aber eine Dreifachwie-

dergabe ein und desselben Malwerkzeugs zu verschiedenen Zeitpunkten handelt –, zeigt sich

Manets pinselführender Arm sichtbar in Bewegung. Feine Pinselstriche verwischen seine Umrisse

und werden zur Hand hin immer gröber. Der dem Spiegel bzw. der Leinwand entgegengestreckte

Unterarm zeigt sich nur noch in groben Zügen angedeutet. Die malende Hand erscheint selbst nur

noch als verwischter Farbfleck. Die Unbestimmtheit, in der sie belassen ist, lässt sich dabei gleichsam

als maltechnische Simulation einer fotografischen Bewegungsunschärfe verstehen.

Zwar kannte man den Effekt der Bewegungsunschärfe von frühen Daguerreotypien, auf denen

Objekte in Bewegung – bedingt durch die langen Belichtungszeiten – verwischt oder gar nicht auf-

genommen wurden. Zu dieser Zeit galten sie in der Regel zunächst jedoch als ein Resultat einer

technischen Unzulänglichkeit des neuen Mediums. Eine bewusste Beschäftigung mit Bewegung

setzte in der Fotografie erst ab Mitte der 1870er Jahre ein, als man damit begann, ganze Bewegungs-

abläufe in fotografischen Sequenzen zu erfassen.40 Während Eadweard Muybridge Bewegungsabläufe

in kurzer Folge festhielt und diese in Einzelfotografien darstellte, beschäftigten sich Étienne-Jules

Marey und sein Assistent Georges Demenÿ mit Mehrfachbelichtungen innerhalb eines Bildes. Sie

machten Bewegungsabläufe ebenfalls anschaulich, zeigten aber auch die »Zwischenstadien«, das

Verwischen der Bewegung innerhalb eines Bildes (Abb. 13).

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13 Georges Demenÿ: Ausfallschritt eines Fechters, 1890, Fotografie, 24,1 x 30,5 cm, Paris, La Cinémathèque française

12 Édouard Manet: Autoportrait à la palette / Selbstporträtmit Palette, ca. 1878/79, Öl auf Leinwand, 83 x 67 cm,Privatsammlung

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Dass Manet daran gelegen war, Bewegung in seinen Bil-

dern festzuhalten, belegt auch eine Anekdote, die sein Freund

Antonin Proust in seinen Erinnerungen an den Künstler er-

zählt. Demnach hatte sich Manet durchaus damit beschäftigt,

wie sich Bewegung von Figuren in die Malerei übertragen

und darstellen ließ: Dem damaligen Präsidenten der Londoner

Royal Academy, Sir Frederick Leighton, der Manet während

der Weltausstellung 1878 in seinem Atelier besuchte und bei

dieser Gelegenheit das Gemälde Le skating (Abb. 14) kritisierte,

weil es tanze und die Konturen der Figuren nicht bestimmt

genug seien, hatte der Künstler erwidert: »Es tanzt nicht, es

läuft Schlittschuh. Aber Sie haben recht, es bewegt sich, und

wenn sich die Leute bewegen, kann ich sie nicht malen, als

ob sie an die Leinwand gefroren wären.«41

Im Autoportrait à la palette geht es indes nicht nur um

die Visualisierung von Bewegung, mit der sich Manet in Le

skating beschäftigte, sondern vielmehr um die Verbildlichung

jener Bewegungen, die der Maler selbst während des Malens

vollführt. Indem Manet diese Bewegungen in seinem Selbst-

porträt festhält, erweitert er seine Malerei um das Moment

Zeit, nicht nur um die dargestellte Zeit, sondern auch um

jene Zeit, die es brauchte, um das Bild auf der Leinwand zu fi-

xieren. Die Prozesshaftigkeit der Malerei wird hier jedoch

nicht nur über die Simulation einer fotografischen Bewe-

gungsunschärfe thematisiert, sondern äußert sich zugleich

in der Offenlegung des Pinselduktus. Indem Manet sich über

den Pinselstrich geradezu physisch in sein Material ein-

schreibt, grenzt er sich nicht nur gegenüber der Glätte der

akademischen Malerei, sondern überdies auch von der als

seelenlos empfundenen Fotografie ab.42 Oder, um es im Vergleich mit der Fotografie des Fechters

von Demenÿ zu sagen: Manets Bild zeigt nicht nur den Maler bei der Arbeit – so wie der Fotograf den

Bewegungsablauf eines Ausfallschritts beim Fechten zeigt –, sondern dokumentiert überdies im

Pinselstrich die Arbeit des Künstlers am Bild. Der Pinselstrich wird zur sichtbaren Artikulation jener

Bravour, mit welcher der Künstler sein Duell mit der Leinwand ausgefochten hat.43

Mit der Ära der Fotografie brach auch ein neues Zeitalter in der Malerei an. Kein sein eigenes Tun reflek-

tierender Maler konnte umhin, einzugestehen, dass die Fotografie auch das Sehen und Betrachten von

Malerei grundlegend veränderte. Profitierten die Maler in vielerlei Hinsicht von der Fotografie, so zwang

sie das konkurrierende Medium anderseits dazu, ihre eigene Position neu zu definieren. Manets Reaktion

auf diese Herausforderung kann als paradigmatisch für die moderne Malerei angesehen werden. Denn

während sich der Künstler zum einen der Fotografie bediente und – mehr noch – bestimmte Eigenheiten

der Fotografie in Malerei transponierte, suchte er sich zum anderen zugleich von der Art und Weise

fotografischer Wiedergabe abzusetzen und zu spezifisch malerischen Lösungen zu gelangen.

Gerade damit aber löste Manet jene Forderung ein, die Émile Zola bereits in seinem Salonbericht

von 1866 erhoben hatte. Dieser hatte gefordert, dass ein Kunstwerk ein Stück der Natur »gesehen

durch ein Temperament«44 zu sein habe. Fehle dieser zweite Anteil, so sei ein Gemälde nicht mehr als

eine bloße Fotografie.45 Kein anderes Œuvre erfüllte in den Augen Zolas diese Bedingung besser als

dasjenige Édouard Manets.

14 Édouard Manet: Le Skating / Schlittschuhlauf, 1877, Öl auf Leinwand, 92 x 72 cm, Cambridge, Harvard Art Museums/Fogg Museum

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1 Rocheforts spektakulärer Flucht aus der Verban-nung hatte Manet zwei eigene Gemälde gewid-met, jedoch keines davon für den Salon ausge-wählt. Die beiden Versionen dieses Sujets befin-den sich heute im Musée d’Orsay und im Kunst-haus Zürich.

2 Pertuisets abenteuerliches Leben sowie seine Be-ziehung zu Manet schildert Olivier Rolin in seinemRoman Un chasseur de lions, Paris 2008. Die deut-sche Ausgabe erschien unter dem Titel Ein Lö-wenjäger, München 2013.

3 Zu Manets Saloneinsendungen vgl. die Beiträgevon Matthias Krüger im vorliegenden Katalog.

4 Zur Beziehung zwischen Rochefort und Manetzum Zeitpunkt der Entstehung des Gemäldesvgl. den Beitrag von Hubertus Gaßner im vorlie-genden Katalog.

5 Vgl. McCauley 1985, S. 190–195 (zu Pertuiset) so-wie Patry 2010, S. 106 (zu Rochefort).

6 Vgl. McCauley 1985, S. 181f. (zu Lola) u. S. 190f.(zu Proust) sowie Callen 1974, S. 164f. (zu Faure).

7 Vgl. Hanson 1983, S. 21, Anm. 4, sowie Ausst.-Kat. Toledo/London 2012/13, S. 21.

8 Vgl. Fischer 2010, S. 17 (ohne Quellenangabe).9 »Ce qu’on fait de tête, ne vaut rien. Si au moins

j’avais le modèle devant moi […]. Envoyez-moidonc votre photographie, que je puisse vous avoirplus sûrement si je veux faire un croquis de vous.«Leymarie 1969, S. 38. In der deutschen Überset-zung zit. nach Graber 1941, S. 261.

10 Vgl. Rionnet 2000/01, S. 47f.11 Vgl. etwa Schmoll gen. Eisenwerth 1977, S. 12

sowie Zachmann 1997, S. 192.12 Vgl. etwa Scharf 1968, S. 40–49; Coke 1972, S. 44f.,

S. 48f. und S. 81; Varnedoe 1980; ebenso das Un-terkapitel »Photography« bei Farwell 1981, S.125–135; das Unterkapitel »Manet and the Cartede Visite« bei McCauley 1985, S. 172–195; dieUnterkapitel »Zwischen Photographie und Male-rei« und »Malerei unter den Bedingungen derPhotographie« bei Wittmann 2004, S. 59–64 undS. 71–76; das Kapitel »Photographic Features ofManet’s Mature Style« bei Ligo 2006, S. 115–127;Worth 2007; Armstrong 2012, S. 42–49; Worth2014, http://www.cabinetmagazine.org/issues/54/worth.php [Abruf: 11.3. 2016].

13 Mit diesem neuen, von Louis Jacques Mandé Da-guerre entwickelten Verfahren ließen sich auf ei-ner spiegelglatt polierten Metallplatte bereitsschon damals sehr detailgetreue, fotografischeAufnahmen machen. Das von William Henry FoxTalbot wenige Zeit später in England patentierteNegativ-Positiv-Verfahren der sogenannten »Ka-lotypie« war zwar weniger detailscharf als dieDaguerreotypie, durch die Verwendung von ge-wachstem Papier als Bildträger jedoch wesentlichkostengünstiger und zugleich beliebig reprodu-zierbar. Einen guten Überblick bietet Sachsse2003; ausführlicher die Beiträge bei Frizot 1998.

14 »…et tout Paris est pris de la fièvre du daguer-réotype. Les artistes sont saisis d’étonnement et

d’admiration: Paul Delaroche a vu Daguerre, illui a arraché des mains une plaque impressionnéepar la lumière. Il la montre partout en s’écriant:›La peinture est morte à dater de ce jour!‹« zit.nach Tissandier1882, S. 59. Vgl. auch Siegel 2014.

15 Vgl. Honnef 1982, S. 85f.16 Zur Carte de Visite vgl. McCauley 1985.17 Zur »Physiologie der Malerei« sowie zum »Wett-

streit der Medien« vgl. Krüger 2007, Kap. III und V.18 »On dirait de ces chairs, du fromage à la pie, ti-

queté de coups de bec, et de ces cheveux unefumée grise.« Huysmans 2006, S. 214.

19 »Salle XXIX. Deux portraits de Manet. Partie per-due, cette année et je le regrette vraiment pource maître si moderne et si personnelle, mais com-ment admirer de bonne foi l’excellent Pertuisettravesti en chasseur tyrolien dans une forêt vio-lette et ce Rochefort épileptique dont le toupetsemble électrisé.« Chassagnol 1881a, S. 1f.

20 »Il y a comme une fièvre fougueuse dans le profiltourmenté de Rochefort dont le toupet de vieuxclown s’éparpille en mèches grises.« Chassagnol1881b, S. 1.

21 Vgl. McCauley 1985, S. 190.22 In ähnlicher Weise habe Manet etwa Lola de Va-

lence vom Atelier, in dem sie für den FotografenWeyler posierte, auf die Bühne rückübersetzt;vgl. McCauley 1985, S. 195.

23 »… mais on sourit malgré soi en regardant lelion empaillé qui montre ses crocs inoffensifsderrière le chasseur à l’affût.« Chassagnol 1881b,S. 1.

24 »… mais le portrait de M. Pertuiset, déguisé entueur de fourrures, a la valeur d’un dogme. Le re-doutable chasseur vient d’abattre une peau delion qu’un pelletier distrait a oubliée dans la cam-pagne, et, comme ce jeu l’amuse, il va recom-mencer, il a mis un genou en terre et il braqueson escopette sur le spectateur inoffensif.« Mantz1881, S. 1.

25 Chassagnol 1881a, S. 2.26 »Il faut convenir que l’exposition de M. Manet,

cette année, est tout ce qu’on peut imaginer deplus médiocre. Le chasseur Pertuiset, violetjusqu’à l’asphyxie, vient de tuer un lion aussi vio-let que lui, dans une forêt violette, sur un sol vio-let, avec un fusil plus violet encore : quand onvoit aussi violet que cela, on se fait soigner parun oculiste.« Bernard 1881, S. 375.

27 Wie sehr die Fotografie mit ihrer ungeschöntenRealität auf gängige Konventionen des Sehens Ein-fluss nahm, veranschaulicht ein »Experiment«, dasDelacroix angeblich unter Freunden am 21. Mai1853 durchführte. Zunächst konfrontierte er seineProbanden mit einigen Aktfotografien, die in sei-nem Auftrag entstanden waren. Aufgrund derGewöhnlichkeit der nackten Körper riefen sie je-doch nur Abscheu hervor. Danach präsentierteDelacroix einige Stiche Marcantonio Raimondisund führte so vor Augen, wie sehr die idealisie-renden Darstellungen des italienischen Künstlers

von der Realität abwichen – eine Abweichung,die von Delacroix’ Testpersonen als geradezu un-erträglich empfunden wurde. Vgl. Delacroix 1980,S. 350; vgl. hierzu Worth 2014, S. 62.Zur unretouchierten Wiedergabe von Körperlich-keit bei Manet und den Bezügen zur frühen Akt-fotografie vgl. auch Font-Réaulx 2012, S. 227.

28 Vgl. Armstrong 2012, S. 46f.29 Vgl. Worth 2007, S. 60 u. 61f. Vgl. auch Farwell

1981, S. 127.30 Zum Bildaufbau bei Manet vgl. Foucault 1999.31 Wittmann 2004, S. 71. Vgl. hierzu auch Fried 1996,

S. 333.32 Vgl. Wittmann 2004, S. 71f.33 Zu den beiden »hintereinanderliegenden Be-

leuchtungssystemen« und dem zonenhaftenBildaufbau in Le déjeuner sur l‘herbe vgl. Foucault1999, S. 32–34.

34 Vgl. Harker 1988, Taf. 38. Vgl. auch Bushart 2010.35 Zum Diskurs über die Aufmerksamkeit vgl. Crary

2001, S. 81–148.36 Helmholtz 1896, S. 281. Zu diesem Zitat vgl. auch

Wellmann 2005, S. 213. 37 Vgl. Krüger 2007, S. 245–248.38 Vgl. Zimmermann 2015, besonders S. 81–87. Vgl.

ferner Bourdieu 2015, S. 392f.39 Armstrong 2002, S. 315. Vgl. ferner Fried 1996, S.

395–398, sowie Wittmann 2004, S. 225–230.40 Eadward Muybridges Arbeit, die wiederum von

Étienne-Jules Marey inspiriert war, wurde in LaNature am 14. Dezember 1878 der französischenLeserschaft vorgestellt und zeigte erstmals inaufeinanderfolgenden Momentfotografien denbisher ungesehenen Ablauf verschiedener Pfer-degangarten. Vgl. Braun 1992, sowie Crary 2001,S. 138–148.

41 »Ah! sir Frederick Leighton, le président de l’Aca-démie Royale de Londres. [...] Il tournailla dansmon atelier, puis, s’arrêtant devant le Skating ilme dit: ›C’est très bien, mais ne pensez-vous pasmonsieur Manet, que cela danse et que lescontours ne sont pas assez arrêtes?‹ Je lui répon-dis: ›Cela ne danse pas, cela patine; mais vousavez raison, cela remue, et quand les gens re-muent, je ne peux pas faire qu’ils soient figés surla toile.‹« Proust 1913, S. 89. Die deutsche Über-setzung findet sich bei Proust 1917, S. 79.

42 Zur »Handschrift des Künstlers« vgl. Krüger 2007,S. 272–280. Vgl. auch Wagner 2001, S. 29f.

43 Zum Topos des Künstlers als Fechter vgl. Suthor2010, S. 66–86.

44 »[...] une œuvre d’art est un coin de la créationvu à travers un tempérament.« Zola 1991a, S. 44.

45 »[...] si le tempérament n’existait pas, tous les ta-bleaux devraient être forcément de simples pho-tographies.« Zola 1991b, S. 108. In der deutschenÜbersetzung bei Zola 1988, S. 20.

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